Reisen vor der Sündfluth - Friedrich Maximilian Klinger - E-Book

Reisen vor der Sündfluth E-Book

Friedrich Maximilian Klinger

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Beschreibung

Klingers orientalische Phase mit diesem Roman als Hauptwerk zeichnet sich durch seine fiktiven Erzählungen, die er einem Sultan vorliest, und der darin versteckten Gesellschaftskritik aus.

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Reisen vor der Sündfluth

Friedrich Maximilian Klinger

Inhalt:

Friedrich Maximilian von Klinger – Biografie und Bibliografie

Reisen vor der Sündfluth

Einleitung des Herausgebers

Erster Abend

Zweiter Abend

Dritter Abend.

Vierter Abend

Fünfter Abend.

Sechster Abend

Siebenter Abend

Achter Abend

Neunter Abend

Zehnter Abend

Elfter Abend

Siebzehnter Abend

Achtzehnter Abend.

Neunzehnter Abend.

Reisen vor der Sündfluth, F. M. Klinger

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849629588

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Friedrich Maximilian von Klinger – Biografie und Bibliografie

Deutscher Dichter, geb. 17. Febr. 1752 (nicht 1753) in Frankfurt a. M. als Sohn eines Stadtartilleristen, gest. 25. Febr. 1831 in Dorpat, verlor früh seinen Vater, der die Seinigen in den dürftigsten Umständen zurückließ, half sich durch eignen Fleiß und Energie weiter, besuchte bis 1772 das Frankfurter Gymnasium und trat in Beziehung zu Goethe und dessen Freundeskreise. 1774 ging er nach Gießen, um die Rechte zu studieren. Viel eifriger als mit diesen beschäftigte er sich indes mit schöner Literatur. Im Sommer 1776 ging er zu Goethe nach Weimar, im Oktober nach Leipzig als Theaterdichter der Seilerschen Truppe, mit der er bis Februar 1778 umherreiste. Alsdann lebte er einige Zeit auf Reisen durch Deutschland, machte als österreichischer Leutnant den Bayrischen Erbfolgekrieg mit und ging 1780 in russische Dienste nach Petersburg. Er erhielt 1780 eine Offizierstelle und zugleich den Adelsrang, ward bald darauf Hofmeister bei dem damaligen Großfürsten Paul und begleitete denselben auf einer Reise durch fast ganz Europa. Er stieg unter den Kaisern Paul und Alexander I. in militärischen Würden rasch empor, verheiratete sich 1790 mit einer natürlichen Tochter der Kaiserin Katharina und wurde 1798 Generalmajor, 1811 Generalleutnant. 1803 wurde er zum Kurator der Universität Dorpat ernannt, welche Stelle er bis 1817 bekleidete. 1820 suchte er um Enthebung von allen seinen Ämtern nach, zog sich aber erst 1830 ganz zurück. Von Klingers zahlreichen dramatischen Werken, die meist in die erste Hälfte seines Lebens fallen, heben wir hervor das Trauerspiel: »Die Zwillinge« (verfasst 1775), in dem, wie in so vielen Dramen der Geniezeit, ein feindliches Brüderpaar im Mittelpunkte der Handlung steht, und das 1776 bei dem sogen. Schröderschen Preisausschreiben den Vorzug vor Leisewitzens »Julius von Tarent« erhielt. Von dem wild verworrenen renommistischen Schauspiel »Sturm und Drang« empfing die ganze Epoche, in der es entstand, den Namen (s. Deutsche Literatur, S. 703 f.). Außer den Dramen (gesammelt als »Theater«, Riga 1786–87, 4 Bde., und »Neues Theater«, Leipz. 1790, 2 Bde.) veröffentlichte K. eine Anzahl meist derb-realistischer Romane, in deren ausgedehnten Reflexionen seine Verehrung für Rousseau stark zur Geltung kommt: »Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt« (Petersb. 1791), »Geschichte Giafars, des Barmeciden« (das. 1792), »Geschichte Raphaels de Aquilas« (das. 1793), »Reisen vor der Sündflut« (Riga 1795), »Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit« (Leipz. 1798), »Der Faust der Morgenländer« (Riga 1797), »Der Weltmann und der Dichter«, sein bestes Werk, eine Leistung voll Kraft und psychologischer Feinheit (Leipz. 1798), und »Sahir, Evas Erstgeborner im Paradies« (das. 1798). Die Summe seiner Welt- und Lebenserfahrung hat er in aphoristischer Form niedergelegt in den inhaltschweren »Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und Literatur« (1803–05). Eine Sammlung des Besten seiner Werke hat K. selbst veranstaltet (Königsb. 1809–15, lu Bde.; neue Ausg., Stuttg. 1842, 12 Bde.); eine andre Auswahl erschien in 8 Bänden (Stuttg. 1878–80). Vgl. Erdmann, Über F. M. Klingers dramatische Dichtungen (Königsberg 1877); E. Schmidt, Lenz und K., zwei Dichter der Geniezeit (Berl. 1878); M. Rieger, Friedr. Maxim. K. Leben und Werke (Darmst. 1880–97, 2 Bde.); L. Jacobowski, K. und Shakespeare (Dissertation, Freiburg 1891).

Reisen vor der Sündfluth

Einleitung des Herausgebers

nach Ben Hafi und den arabischen Traditionen.

Nach den strengen und thätigen Weisen und Eroberern, die dem großen Propheten in dem Khalifat nachfolgten, lebte nun einer, der vermöge seiner Erziehung und seines natürlichen Hanges zur Ruhe, das Geheimniß finden mußte, der Oberherrschaft über Asien in aller Gemächlichkeit zu genießen. Seine Vizire und Vertrauten bewiesen ihm klar, daß alle seine Vorfahren, nur um ihm, ihrem weisesten und glücklichsten Nachfolger, ruhige, selige Tage zu verschaffen, so viel Land erobert und so viele Hunderttausende während der Eroberungen aufgeopfert hätten. Es hält, wie man sagt, nicht schwer, einen Mann, der als Thronerbe geboren wird, von einer solchen Meinung zu überzeugen, und man soll sogar bei noch sonderbarem Meinungen auf seinen Beifall rechnen können, wozu aber Erfahrung und Geschichte die Beweise liefern mögen. Der Khalife wenigstens widersprach diesen edlen Männern selten, und wären die Kräfte seines Körpers, der Witz seiner reich besoldeten Märchenerzähler zu seinen physischen und geistigen Ergötzlichkeiten immer hinreichend gewesen, so wäre er, aller Wahrscheinlichkeit nach, ohne weitere Klage und Mißbehagen, von seiner Seite wenigstens, mit dem Ruhme zu seinen Vätern gewandelt, selbst nichts Gutes und nichts Böses gethan und weder das erste gehindert, noch das zweite befördert zu haben. Hofleute und Priester mögen es beweisen, daß dieses die besten Regierungen sind. Da aber nun des Khalifen Nerven durch Ruhe und Genuß etwas geschwächt waren, seine witzigen Köpfe sich in wunderbaren Märchen so erschöpft hatten, daß sie die alten wiederholen mußten, ein Ding, welches dem Herrscher ganz unerträglich vorkam, so waren plötzlich alle Personen, die in seinem heiligen und mächtigen Namen herrschten und als wohlverbundne Räuber gegen die Menschheit fest zusammen hielten, in der größten Verlegenheit. Was ihre Verlegenheit sehr ängstlich machte, war, daß der Khalife, der sich bisher um die Regierung gar nicht thätig bekümmert hatte, auf einmal anfing, sich nach Diesem und Jenem zu erkundigen, und für einen Mann von vierzig Jahren, der seit einigen zwanzigen regieren ließ, die sonderbarsten Fragen that. Es schien, er, der bisher ohne alle Sorge und Unruhe auf dem Thron gesessen hatte, wollte nun auf einmal wissen, warum er auf dem Throne säße und was ihm denn eigentlich für Geschäfte in dieser Welt zugetheilt wären. So weit kann sogar Abspannung und Mangel an die Phantasie kitzelnder Unterhaltung einen Khalifen selbst in Asien bringen.

Der Khalife war ein sehr frommer Mann, ein eifriger Verehrer Gottes und treuer Schüler des Propheten. Keiner seines großen Reichs war von dem Hauptgesetze der wahren Gottesfurcht, dem völligen Ergeben in den Willen des Höchsten ohne Murren und Fragen, dem Dulden unter dem Schicksale ohne Klage so tief durchdrungen, wie er. Er kannte kein andres Buch als den Koran, dessen Worte beständig im feierlichsten Tone von seinen Lippen flossen, weil der Geist derselben ganz in seinem Herzen wohnte. So leicht nun die Verbündeten, die von diesem Geiste weniger durchdrungen waren, dieses mißbrauchen konnten, so wußten sie doch, daß es ihrem Herrn, der so oft die naivsten, ja gar erhabene Dinge sagte und eben so oft die weisesten Entschlüsse faßte, weder an Verstand noch Witz, sondern bloß an Dem gebrach, was Diesem allem Gedeihen gibt – dem festen, ernsten Willen. Daß dieser ihnen so gefährliche Feind nicht rege würde, dafür hatten sie bisher weislich gesorgt, nun aber fürchtete Jeder des Bundes, es möchte wohl einer unter ihnen herrschsüchtig und treulos genug sein, diesen halberwachten Feind ganz aufzuwecken. Zwar fürchteten sie nicht, der Mann, der seinem Fleische so lange wohl gethan hatte, daß zu Zeiten sein Geist mit demselben Eins geworden zu sein schien, würde nun auf einmal ein thätiger Regent werden; Alles, was sie besorgten, war, einer von ihnen möchte sich, durch die Erfindung eines neuen Gaukelspiels, des Herrschers über Asien allein bemächtigen. Diese Sorge und Angst dauerte einen ganzen Monat lang; Einer beobachtete den Andern, Ruhe und Schlaf hatte Alle verlassen. Die Kabale, Intrike, Niederträchtigkeit, die Heuchelei und der Stolz, angefeuert von Furcht, Mißgunst und Neid, spielten eine so possierlich tragische Farce, daß des Khalifen Unterthanen, hätten sie in die Herzen ihrer Unterdrücker blicken und ihrem Spiel zusehen können, wenigstens einen kleinen Trost für ihre Leiden gefunden haben würden. Ach, die Lage eines Hofmanns, der nicht mit den vollen Segeln der Gunst schiffet, oder der in seiner stolzen Fahrt auf eine Klippe stößt, ist gar zu traurig, und gewiß, es beweiset die eingewurzelte Bosheit der Menschen, wenn sie sich eines so rührenden Schauspiels erfreuen! Zum Trost der Gutgesinnten befreite indessen der Zufall, das dunkelste und entscheidenste aller Wesen in menschlichen Ereignissen und Begebenheiten, unsre Bekümmerten aus ihrer Verlegenheit. Freilich nur auf eine kurze Zeit; da man aber nirgends mehr als an Höfen auf den gegenwärtigen Augenblick sieht, so schien schon Alles gewonnen.

In Bagdad trieb sich um diese Zeit ein gewisser Ben Hafi herum, den das Volk den weisen Narren nannte; zwei Gemüthsbeschaffenheiten, die, so widersprechend sie auch bei dem ersten Anblick erscheinen, sich doch sehr oft beisammen finden. Vielleicht nannten die Bagdader ihn auch darum den weisen Narren, weil er nicht weise auf ihre Art war, und gewiß hätte er nach der ihrigen mehr gewonnen, als nach der seinigen. Bis jetzt besaß er nichts an Werth und Schätzen, als eine seltene Handschrift, mit wunderbaren Zeichen geschrieben, des Inhalts: Reisen vor der Sündfluth, aus dem er bald Diesem, bald Jenem, für ein Mittagessen oder Nachtlager, etwas vorerzählte. Diese besondre Art, sein Brod zu erwerben, ward dem Ober-Kadi durch seine geheimen Aufseher hinterbracht, und dieser Umstand beweiset den Spruch des weisen Salomo, daß unter der Sonne nichts Neues mehr geschehen und erfunden werden kann. Der Herausgeber dieses Buchs bedauert es, daß er seine Zeitgenossen um den Ruhm dieser Erfindung der weisesten Polizei bringen muß, tröstet sich aber mit dem schmeichelhaftesten Gedanken, daß sie diese rohe Erfindung so zur Vollkommenheit gebracht haben, daß es unserm erleuchteten Zeitalter noch immer als charakteristisches Ehrenzeichen vorzüglich angehört. Auf was für Absprünge doch ein Mann, der heute ein Buch schreibt oder nur zusammenträgt, gebracht wird, und gleichwohl klagt man, daß wir nicht mehr so einfach schreiben, wie die Alten. Klagt die Veränderung der Umstände, die hohe Erleuchtung an, ihr beschwerlichen Mißvergnügten! Was kann der Schriftsteller dafür, daß Religion, Moral, Politik, Polizei, Finanzwesen und Regierung in ein so schönes, feines, rundes und vollendetes Ganze zusammengeflossen sind, daß man keinen Faden dieses so mannigfaltigen Gewebes berühren kann, ohne die unzähligen andern mit zu bewegen. Und warum darüber klagen, da wir daraus beweisen können, daß sie nicht allein uns glücklich machen, sondern auch durch den Reichthum unsrer Ideen den Vorrath unsrer Sprache so vermehrt haben, daß die Alten mit ihren so ausgebildeten Sprachen als arme Stümper erscheinen müßten, wenn sie mit unsern Moralisten, Kameralisten, Finanziers, Polizeiaufsehern oder gar mit einem Minister zu unterhandeln hätten.

Der Ober-Kadi, der, vermöge seines Berufs, natürlich gleich etwas Widriges gegen den Koran oder den Khalifen in dem Benehmen des weisen armen Narren finden mußte, ließ ihn ohne Weiteres vor der Hand gefänglich einziehen, und dies nach den Regeln der Klugheit; denn er war überzeugt: daß, wenn bei der Sache Gefahr wäre, so sei er ihr zuvorgekommen, und fände man den armen Narren unschuldig, so habe er ja noch immer Zeit genug, gegen ihn gerecht zu sein. Ein Mann, der in Bagdad vor grauer Zeit so schließen konnte, wäre auch noch heute in unsern feiner organisirten Staaten zu gebrauchen; doch maßen wir uns mit dieser Bemerkung gar nicht an, unsre Ober-Kadis belehren zu wollen, was in solchen Fällen ihre Pflicht sei.

Zum Glück des armen Ben Hafi sprach der Ober-Kadi zufällig von diesem besondern Vorfall mit dem Großvizir. Der Großvizir, der sich am meisten im Gedränge fühlte, hörte kaum die Worte: Reisen vor der Sündfluth, ein närrischer Weiser, als sein Geist ihm zuflüsterte: »Wer weiß, ob uns Dieser nicht aus der Verwirrung hilft; je seltsamer, je besser! Ist der Kerl ein Narr und doch weise dabei, so wird er ja wohl wissen, wie man einem etwas abgespannten Monarchen die Zeit vertreibt, ohne daß es nützet oder schadet!«

Der Großvizir sah und hörte Ben Hafi, durchblätterte seine wunderbare Handschrift, schüttelte den Kopf über die verworrenen, verzerrten Zeichen und blickte ihn lächelnd an, während dieser ihm ernst und kalt in die Stirne sah. Hierauf rollte der Großvizir die Handschrift zusammen, nahm sie unter den Arm, winkte Ben Hafi, ihm zu folgen, und sagte im Gehen: »Ben Hafi, närrische Weisheit, so viel du immer willst, nur keine ernste. Die erste erwirbt dir Gold und des Großvizirs Gunst, die zweite des Khalifen Unwillen, weil sie ihm Langeweile machen würde, und sein Diener müßte sie dir, vielleicht gezwungen, mit einem Strick belohnen.«

Nach diesem sehr verständlichen Fingerzeig führte ihn der Großvizir bei dem Khalifen ein, legte diesem die Handschrift vor, sagte ihm, was sie enthielte und was er von dem närrischen Weisen wußte. Während der Khalife, neugierig und erstaunt, die wunderbare Handschrift durchblätterte, hatte Ben Hafi Zeit, ihn zu beobachten. Sein freundlicher milder Blick, seine schöne, ehrwürdige Gestalt gewannen ihm Ben Hafis Herz, und es fuhren diesem so viele sonderbare Gedanken über den Herrn der Gläubigen durch den Kopf, in die sich zugleich so viele Kühnheit mischte, daß sie selbst die Gegenwart des strengen Großvizirs nicht niederschlagen konnte. – Bald that der Khalife eine Menge Fragen an ihn: »Woher er die Handschrift habe? In welcher Sprache sie geschrieben sei? Wer der Urheber davon sei? Wie sie der allgemeinen Fluth hätten entgehen können? Ob es nicht gar eine Erdichtung wäre? Scheue dich nicht, Ben Hafi,« setzte er hinzu, »mir dies zu gestehen, denn aus gewissen Ursachen wäre es mir noch lieber, wenn es eine Erdichtung wäre.«

Ben Hafi versicherte den Khalifen, die Handschrift enthielte Wahrheit und stellte ein treues Gemälde von der Erde und ihren Bewohnern in dem letzten Zeitraum vor der Sündfluth dar.

Khalife. So fürchte ich sehr, diese Gemälde werden so wenig lustig sein, wie die Gemälde von den Menschen nach der Sündfluth.

Ben Hafi. Nachfolger des Propheten, du hast viel mit wenig Worten gesagt, vielleicht noch mehr, als du sagen wolltest.

Khalife. Ich will weiter nichts sagen, als daß ich fürchte, deine Geschichte da wird für mich nicht unterhaltend sein.

Ben Hafi. Höre sie an und urtheile dann.

Großvizir. Du bist sehr kurz, Ben Hafi! Glaubst du, der Khalife habe weiter nichts zu thun, als das Wagestück mit dir einzugehen, seine kostbare Zeit aufs Spiel zu setzen?

Ben Hafi. So erspare sich und mir der Herr der Gläubigen die Zeit, denn ich stehe für nichts. Und beim Propheten, ich würde eine große Sünde begehen, wenn ich dem Nachfolger des Propheten Stunden raubte, die seinem Volke gehören. Noch mehr, meine Geschichten müßten erbärmlich flach sein, wenn man sie an einem Hofe immer unterhaltend finden sollte; oft erfordern sie etwas mehr, als das bloße Ohr. Laß mich darum immer wieder einpacken.

Khalife (fuhr hastig zu). Halt! beantworte erst meine Fragen, und dann will ich deine Geschichten hören.

Ben Hafi. Herr, wenn du mir befiehlst, daß ich dir die Zeichen der Handschrift verdolmetschen soll, so wirst du die Antworten auf deine Fragen nach und nach selber finden. Für jetzt so viel!

Diese wunderbare Handschrift fand viele Jahrhunderte nach der Sündfluth ein Weiser Indostans auf dem alten Gebirge, Da die Handschrift Ben Hafis weder dies alte Gebirge, noch den Khalifen namentlich bezeichnet, so hätte der Herausgeber eine schöne Gelegenheit, sich das Vergnügen zu machen, eine lange historische Abhandlung darüber zu schreiben und sie diesem Werke anzuhängen. Das Einzige, was ihn abhält, ist der Zweifel, ob sie dem Leser eben so viel Vergnügen machen würde. Ein Zweifel, der da beweiset, daß der Herausgeber gewiß kein Deutscher ist. tief unter einem Felsen vergraben. Durch Eingebung eines höhern Geistes lernte der Weise, die Handschrift zu entziffern, wenigstens sagte er so. Die Handschrift erbte in seiner Familie fort, und immer lehrte der Vater den Erstgeborenen den Sinn der wunderbaren Handschrift. Ich wanderte in Asien herum, kam nach Indostan, lernte den Besitzer der Handschrift kennen und stahl ihm, durch den Beistand meines natürlichen Geistes, den Schlüssel zur geheimen Sprache dieser Zeichen. Bald darauf verließ ich ihn und wunderte mich sehr, als ich in dem Sacke, worin ich meinen Vorrath auf der Reise trage, die seltene Handschrift fand. Vielleicht wollte mich der gute Weise mit dem Geschenke, nach dem er mich so lüstern sah, überraschen; vielleicht auch, daß das Schicksal wollte, sie sollte nicht fernerhin das zu eigennützige und beschränkte Eigenthum eines Einzigen bleiben; vielleicht wollte es gar, daß der arme, immer herumwandernde Ben Hafi an des Khalifen Hofe dadurch das Ende seiner mühseligen Wanderungen finden sollte. Die Zeichen nun, die du hier siehst, Beherrscher der Kinder des Propheten, sind Zeichen und keine Sprache, oder besser, sie sind Versinnlichung der Gegenstände. Und wer nun diese Zeichen zu deuten weiß und jedes derselben durch drei und sieben und sieben durch drei, und eins durch drei und drei durch eins, und neun durch drei und drei durch neun zu theilen und zu verbinden versteht, der versteht die Bedeutung und den Sinn der Zeichen, er sei Araber, Perser oder Indostaner. Die Wurzel liegt in dem Ungraden und der Geist der Wurzel in dem Einfachen.

Khalife. Genug! genug! Sage mir lieber, was die Handschrift enthält.

Ben Hafi. Wie schon gesagt: Reisen, Geschichten vor der Sündfluth. Mahals, Noahs des Propheten Schwähers, Reisen oder die Geschichte der Menschen und ihrer Herrscher vor der Sündfluth.

Khalife. Ich ließ dich schon merken, daß ich die Geschichten nicht leiden kann, die wahren meine ich. Märchen! Märchen müssen es sein! denn sieh, Ben Hafi, Märchen lehren Weisheit, ohne den Anschein davon zu haben; sie belehren den Zuhörer, ohne daß sich der Erzähler dem Verdacht aussetzt, Höhere und Bessere, als er selbst ist, belehren zu wollen. Märchen kitzeln die Einbildungskraft und schläfern ein. Von Märchen glaubt der Zuhörer, was er will, und erzählst du etwas Schlechtes von Sultanen und ihren Dienern, so kann man denken, es sei Erfindung eines müßigen Thoren oder eines schwarzgallichten Mißvergnügten; aber der Geschichte muß man glauben. Darum mußt du mir deine Reisen da wie Märchen erzählen, wenn du willst, daß ich sie hören soll. Mißfällt mir etwas, so denk' ich oder sag' ich dann: ist's doch nur ein Märchen und keine Wahrheit!

Ben Hafi. Ich bewundere, was du sprichst! Springt doch immer da der tiefe Sinn hervor, wo du ihn nicht suchtest! Ach, gliche nur das Vermögen meines Geistes dem Willen, dir zu gefallen, so sollten dir Mahals Reisen vor der Sündfluth eine herrliche Erzählung werden, und ich wäre des reichen Lohns gewiß.

Khalife. So beginne!

Ben Hafi. Da nun meine Erzählungen wie Märchen klingen sollen, so erlaube, daß ich erst ihren Ton umstimme. Auch mußt du mir, bevor ich anfange, eine Bedingung gewähren. –

Khalife. Eine Bedingung! Wer macht die als ich? Vernimm die meine und schweige. Ich unterbreche dich, so oft es mir gefällt. Mache meine Anmerkungen über Das, was du erzählst, schlafe ein, wenn ich dazu geneigt bin, und wenn ich schlafe, so erzählst du fort; denn Derjenige, der unter dem Erzählen schläft – vorausgesetzt, daß der Erzähler keine schnarrende, rauhe, gellende Stimme hat – der glaubt, er schliefe unter dem sanften Gemurmel eines Baches, und erwacht er, so hat er den Vortheil, daß er gleich Gedanken vor sich findet, die ihm weiter keine Mühe kosten, als sie aufzunehmen.

Ben Hafi. Vortrefflich, Herr! doch ich kann von meiner Bedingung nicht abstehen, solltest du auch mir zürnen.

Khalife. Laß hören.

Ben Hafi. Du erlaubst mir, in diese Reisen oder Märchen so viel von meiner eigenen Weisheit und Thorheit, meinen Sprüchen und Bemerkungen einzumischen, als mir gefällt, und wenn sie auch nicht an ihrer Stelle ständen. Kein Philosoph hört sich lieber, als ich mich höre, und springt meine Ader einmal, so möcht' ich mich lieber erdrosseln lassen, als schweigen. Auch muß ich aufhören können, wenn ich es für gut finde, und meine Märchen nach mir gefälligem Maß zuschneiden dürfen. Ferner mußt du Mahals Reisen bis ans Ende anhören, und sollten sie dir auch noch so viele Langeweile machen; denn erst am Ende kommt das Lustige und Stechende. Bin ich mit Mahals Reisen fertig, so erzähle ich dir meine Wanderungen durch Asien und Afrika, die, obschon nach der Sündfluth gemacht, mit denen vor der Sündfluth sehr viel Aehnliches haben, nur daß sie etwas wunderbarer und lustiger sind. – Herr der Gläubigen, gefallen dir meine Bedingungen nicht, so rolle ich meine Handschrift zusammen, und du machst mit mir, was du willst.

Khalife. Und du fürchtest nichts von Dem, der hier über Leben und Tod gebietet?

Ben Hafi. Nichts, gar nichts, und dazu habe ich einen ganz eignen Grund.

Khalife. Wie lautet der?

Ben Hafi. Ich glaube, Herr, daß nur die Bösen nach diesem Leben sich fühlen und fortdauern, daß die Guten dort ohne Träume und Erinnern schlafen, und darum kann ich nicht geschwind genug dahin kommen, wo man nicht mehr erwacht, wo man vergißt, daß man gewesen ist.

Khalife. Du sprichst Unsinn, Mensch, doch Gott ist groß! denn bei den Engeln, die Einigen die Seelen gewaltsam entreißen! bei den Engeln, die sie Einigen sanft ablösen! bei den Engeln, die mit den Befehlen Gottes schwimmend in der Luft hingleiten! bei den Engeln, die dem Gerechten in dem Paradiese vortreten und seinen Sitz bereiten! bei den Engeln, die die Ereignisse der Welt leiten! Nur ein Stoß in die Trompete wird ertönen, und die Gräber werden sich öffnen, und die Ungerechten werden rufen: Ach, Unglück über uns, der Tag des Gerichts ist da! Dann wird die Erde von ihrer Stelle beweget, die Gebirge in Stücke zerschlagen werden und in Staub zerfliegen. An diesem Tage soll die unvermeidliche Stunde des Gerichts kommen. Dann soll die Sonne zusammengefaltet werden, die glänzenden Gestirne erlöschen und die Himmel zerrissen werden. Das Meer wird kochen, die reißenden Thiere werden sich zu Haufen sammeln, des zehen Monden trächtigen Kameels wird man nicht achten, die Seelen werden mit den Leibern wieder vereinigt werden, die Gräber sich öffnen und die Todten lebend hervorgehen. Dann wird eines Jeden Buch geöffnet werden und Jedem geschehen, nach dem er gethan hat!« Aus dem Koran; wie alle übrigen so gedruckten Stellen, die in diesem Werke vorkommen.

Ben Hafi. Gott ist groß und gerecht und darum fürchte ich nichts. – Ohne diese Bedingungen rolle ich die Handschrift hier nicht auf.

Khalife (zum Großvizir.) Was für einen Menschen hast du mir da gebracht?

Großvizir. Ich bedeutete dir, Herr, daß ihn das Volk den närrischen Weisen nennt. Geh immer ein, was er verlangt; kannst du ihn doch durch einen Wink zum Stummen machen.

Khalife. Wohl weiß ich dies; aber du weißt auch, daß ich es eben darum nicht thue. Wie kann ich, der Aller Willen lenkt und bloß nach seinem Willen lebt, einem Sklaven Willen gegen mich verstatten?

Ben Hafi (der die letzten Worte vernahm). Herr der Gläubigen, dabei leidet dein hoher Wille nichts. Du kannst, wenn, was und wie du willst, und willst du, so willst du doch nur durch deinen Willen, da du Herr bist, zu wollen oder nicht zu wollen. Nur du gebietest dir; denn wer könnte dich wohl nöthigen, mir, dem armen Ben Hafi, eine Bedingung zu gestatten, wenn du nicht wolltest. Alles, was man sagen könnte (vorausgesetzt, man dürfte es wagen, von dir zu reden), wäre: der Herr der Gläubigen gehorchte dem edlen Triebe des Wissens, der, wie du weißt, die Mutter aller Kenntniß ist. –

Khalife. Genug! Ich gehe es ein. Vizir, laß ihn kleiden, daß er morgen Abend anständig vor mir erscheinen kann. – Bringe du die Handschrift mit den Fratzen mit. Wahrlich, man sollte sagen, die Hähne hätten sie im Kampfe darauf gezeichnet. – Doch noch Eins! Ich setze voraus, daß die Handschrift nichts enthält, was den Koran beleidigen kann. –

Ben Hafi. Sie kann ihn nur verherrlichen, wie du am Ende sehen wirst.

Erster Abend

Der Khalife lag auf dem Sopha. Zu seinen Füßen saß ein alter Verschnittener, Masul, der von des Khalifen frühster Jugend um ihn war, ohne den er nicht sein konnte und der, weil er taub war, ein sehr ernsthafter Zuhörer blieb. Gegen dem Khalifen über saß sehr ehrerbietig der Großvizir; hinter diesem der Leibarzt, und in einiger Entfernung die wichtigen Diener des Staats, die man nach unsern Gebräuchen Kammerherrn nennen könnte.

Ben Hafi saß an einem kleinen Tische, mitten in dem Zimmer. Er beugte sich auf den Wink des Khalifen dreimal mit vielem Ernst und Anstand, rollte die Handschrift aus einander, blickte über die hohe Versammlung hin und begann:

Da ich Mahals Reisen vor der Sündfluth, oder die Märchen vor der Sündfluth, wie sie der Herr der Gläubigen genannt will haben, ganz nach meiner Laune erzählen darf und will, so schicke ich zur Einleitung die drei folgenden wichtigen Anmerkungen voraus.

Fürs Erste: da die Menschen und Sultane, die darin auftreten werden, alle vor der Sündfluth gelebt haben, so kann ich keinen der jetzt Lebenden, noch weniger der Gegenwärtigen, durch meine Erzählung beleidigen wollen, träfe es auch zufällig zu, daß das Gemälde dieses oder jenes der Vorwelt diesem oder jenem der Nachwelt so haarscharf gliche, als habe er dem Mahal dazu gesessen. Selbst die ältesten Familien Asiens können von dem Erzählten nichts auf sich ziehen, denn es ist bekannt, daß, so wie die alte Welt ihren Ursprung nur einem Manne zu danken hat, die neue den ihren gleichfalls –

Khalife. Ben Hafi, ich weiß, was du sagen willst, und gebiete dir, davon zu schweigen. Es ist besser, gewisse Dinge in dem Dunkel zu lassen, in dem sie verborgen liegen. – Wenn du zum Beispiel nun sagtest, wir alle hier, selbst diesen tauben Verschnittenen nicht ausgenommen, stammten von einem Manne her, so könnte Dieser oder Jener nicht glauben, wir alle seien eines Ursprungs; darüber nun ließe sich gar Vieles denken; und sage, wem frommte das?

Ben Hafi. Dem Weisen, Herr! doch ich bitte dich, werde nicht zum Räuber an dem armen Ben Hafi und denke unsers Vergleiches. Die Bemerkung gehört mein, und ich lasse mir sie von Keinem nehmen, selbst von dir nicht, der Millionen Alles, bis auf den Athem, nehmen kann. Herr der Gläubigen, Gedanken sind ein Eigenthum, worauf die Allmacht selbst Verzicht that, da sie den Menschen den denkenden Geist einblies.

Dieses sagte Ben Hafi mit einem so feierlichen Ernste, daß sich die Gesellschaft anblickte, und Einer den Andern zu fragen schien, wie es zu nehmen sei. Der Khalife sagte zu ihm: Friede sei mit dir! ließ sich noch ein Polster unterlegen und winkte dem Erzähler, fortzufahren.

Ben Hafi. Vor einigen Tagen begegnete ich einem Barbier an dem Tigris, der wie ich die weite Welt durchlaufen hatte und nun auf seiner Heimkehr war. Ich fragte ihn, wie es draußen herginge, und er antwortete mir: Bruder, überall wie bei uns. Dieses ist meine zweite Anmerkung, und vielleicht möchte ein so philosophischer Kopf, wie mein Barbier, an dem Ende der Reisen Mahals und meiner Wanderungen mit ihm sagen: Es ist heute noch Vieles wie damals.

Khalife. O des Schwätzers! erzähle und laß die Leute sagen, was sie wollen.

Ben Hafi. Herr der Gläubigen, die Bedingung.

Khalife. Nahe bin ich daran, eine der meinigen zu erfüllen und einzuschlafen.

Ben Hafi. Dies muß ich ertragen, verschweige meine dritte Anmerkung und beginne.

Khalife. Nun will ich sie hören.

Ben Hafi. Sie lautet: obgleich die Sündfluth alles Unkraut der alten Welt weggespült hatte, so blieb doch, wie du hin und wieder merken wirst, einiger Samen desselben in der Erde zurück, und vermutlich wird sie nur das Feuer einst ganz und gar ausreinigen.

Khalife. Dann werden Alle glauben.

Ben Hafi. Ich beginne:

Kaum athmeten auf diesem Klumpen Erde einige wenige Menschen, so theilten sie sich schon in Gute und Böse, und was man von Geschöpfen, die ihrem Ursprunge so nahe waren, die ihren großen Schöpfer zum Theil mit Ohren gehört, mit Augen gesehen hatten, wenigstens nicht hätte erwarten sollen, die Guten machten bald Gemeinschaft mit den Schlechten und übertrafen sie am Ende gar in Bosheit und Verderbtbeit.

Khalife. Einen Augenblick, Ben Hafi! fängt gleich dein Märchen wie die Ermahnung eines Mullahs an, so habe ich doch nichts dawider, weil es mir Gelegenheit gibt, etwas zu sagen, das mich oft besonders dünkte. Warum wundert man sich doch so sehr, daß die Menschen heute so böse sind, da doch die Menschheit so zu sagen schon zum Greise geworden ist und damals so zu sagen noch als Säugling an der Brust der Amme lag. Und dies, dies sage mir, warum sind die Menschen böse? Warum gibt es der Bösen mehr als der Guten?

Großvizir. Dieses kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Zepter beherrschen.

Khalife. Ich kenne deinen Spruch, Vizir; doch Ben Hafi soll mir antworten.

Ben Hafi. Willst du, Herr, hierüber eine bestimmte Antwort, so frage den Propheten und die Ausleger des heiligen Buches! durch dieses wissen sie eine Antwort auf jede Frage.

Khalife. So ist es, Gott ist groß, und dies ist eines seiner Geheimnisse. Er sagte zu den Engeln: ich will in dem Menschen einen Stellvertreter auf die Erde setzen! Sie antworten: willst du einen auf die Erde setzen, daß er darauf Böses thue und Blut vergieße? Doch wir beten dich an und preisen dich. Gott sprach: wahrlich, ich weiß, was euch verborgen ist.«

Ben Hafi. Und so ist der verworrene Knoten gelöst.

Kain erschlug seinen frommen Bruder Abel, Gott trieb den Mörder in das Elend, er floh von dem Gebirge der Unschuld in die Thäler und baute sich an. Adam zeugte einen Sohn, den nannte er Seth. Seths Nachkommen wohnten auf dem alten Gebirge, verblieben Gott getreu, lebten in Einfalt und Unschuld, nährten sich von den Früchten der Erde und von der Milch ihrer Heerden. Darum hatte Gott Wohlgefallen an ihnen und nannte sie seine Kinder. Unter ihnen waren weder Weise, Künstler, Richter noch Sultane, Jeder sorgte nur für das Nöthigste, Keiner vernünftelte über sein Dasein, und Jeder war sich selbst Richter und Sultan, weil Jeder in dem reinen Menschensinn wandelte, den auch wir zu Zeiten ahnen, wenn wir, wund und ermüdet von den Schlägen der Menschen und des Schicksals, dem Tand und Truge der Welt, nach dem unschuldigen Glücke der Beschränktheit seufzen.

Khalife. Ich begreife ganz wohl, wie Leute leben können, ohne etwas anders zu thun, als zu essen, zu trinken und zu schlafen; aber wie sie ohne Richter und Sultane leben mögen, oder wie man sich Sultan und Unterthan zugleich sein kann, dieses begreife ich nicht. Magst du auch sagen, was du willst, sehr unterhaltend muß ihr Leben nicht gewesen sein, und ich sehe schon voraus, daß es eben darum nicht lange wird gedauert haben.

Ben Hafi. Du hast es getroffen, Herr der Gläubigen, siehst für einen Märchenerzähler viel zu scharf und raubst ihm, wornach er vorzüglich strebt, die Ueberraschung. Khalife. Darüber klagten alle; aber dies macht die Ungeduld, die du nicht wenig reizest.

Ben Hafi. Sieh, schon fahre ich in dem Entwurfe des Hauptgemäldes fort, das ich an dem Eingang ausstellen muß, damit Jeder wissen möge, was er im Innern zu suchen hat.

Vermehrten sich die Nachkommen Seths auf dem Gebirge, so vermehrten sich die Nachkommen Kains noch mehr in den Thälern, die durch ihren Fleiß und erworbene Geschicklichkeit bald blühend wurden. Kain legte zuerst den Grund zur Gesellschaft und zum Bösen, indem er das Eigenthum einführte. Durch das Mein und Dein weihte der Brudermörder die Erde und Das, was sie hervorbrachte, der Gewaltthätigkeit, dem Raube, und ihre Besitzer dem wechselseitigen Morde. Er baute Wohnungen, setzte Richter ein und wies dem Menschen das Fleisch und Blut seines Halbbruders, des Thiers, zur Speise an. Seine Nachkommen gingen weiter, sie entrissen der Erde die Erze, erbauten Städte, sammelten sich in gedrängte Haufen, zwangen die Erde, den ihr vertrauten Samen hundertfältig zurückzugeben, bändigten das Roß, beschifften die Gewässer und beseelten Erz, Holz und die Eingeweide der Thiere durch ihren Athem und ihre Finger, daß sie in wollüstigen und brausenden Tönen erklangen. Den Künsten, deren Mutter das Bedürfnis; war, folgten schnell Erfindungen der Ueppigkeit, und bald erschuf sich der zu gekünstelte Verstand ein Spielwerk für die Phantasie, und dieses Spielwerk nannten sie Wissenschaft. Seths Nachkommen sahen von dem Gebirge auf die blühenden Thäler herunter, sie erblickten die reichen Felder, die duftenden, schattigten Gärten, die dunklen, kühlen Haine, die spiegelnden Teiche und sich schlängelnden Flüsse, die Städte und ihre glänzenden Thürme. Sie sahen ihre Einwohner auf den Wiesen herumschwärmen, in den Hainen und Gärten wandeln, auf dem Rücken des schnellen Pferdes einherschweben und mit ausgespannten Segeln über die Gewässer hingleiten. Nach und nach nahten sie furchtsam den lang angestaunten Wundern, hörten in der Ferne die Zaubertöne der Musik, das Freudengelächter und den süßen, wollüstigen Gesang der Töchter Kains. Gelockt von den Zauberbildern und dem Zaubergetöne, schlichen sie näher. Sie sahen die reizenden Töchter der Thäler, geschmückt von der erfinderischen Hand des Künstlers, unterrichtet von dem Verlangen zu gefallen, in wollüstigen Ringeln, abgemessenen Schlitten, nach dem süßen Geflüster der Flöten, dem hellen Klange der Zither und dem noch süßern Gesange der Gespielen sich winden. Viele vergaßen der Rückkehr bei dem Anblick, Einige schlichen nach dem Gebirge, beschrieben, von dem gefährlichen Gifte berauscht, mit feurigen Worten Das, was sie gesehen hatten. Aber mehr als Worte wirkte auf die erstaunten Horcher das glühende Verlangen in den Augen der Erzähler, der Widerwille, der Ekel, womit sie auf die Gegenstände um sich her blickten. Sie verglichen ihren Zustand mit dem Zustande der Bewohner der Thäler so lange, bis ihnen der ihrige ganz unerträglich ward. Die Nachkommen Seths vermischten sich mit den Nachkommen des Brudermörders Kain, und aus der Vermischung der Kinder Gottes mit den Kindern des Fleisches, oder der Einfalt und Unschuld mit der Aufklärung und Ueppigkeit, entsprangen die Gewaltigen der Erde, ihre Tyrannen und ihre Verwüster. So, Befehlshaber der Gläubigen, verschlang in den ersten Tagen der Welt die Kultur die Unschuld.

Khalife. Das ist mir sehr leid; aber wenn dieses nun nicht geschehen wäre, was wäre dann geschehen?

Ben Hafi. Wir lebten noch in der Einfalt unsers Herzens, und der arme Ben Hafi würde dem Herrn der Gläubigen keine Reisen vor der Sündfluth als Märchen zu erzählen haben, da entweder alsdann die Sündfluth gar nicht gekommen wäre, oder doch vor der Sündfluth nichts geschehen wäre, was des Erzählens nach der Sündfluth werth gewesen wäre.

Khalife. Geschehen mußte es denn doch, weil es geschehen ist, und weil es geschehen ist, so wollte es Gott, und Gott ist groß! Er hat den Schlüssel zu den verborgenen Dingen, außer ihm kennet sie Keiner; er weiß, was auf dem trocknen Lande und in dem Meere geschieht. Kein Blatt fällt von dem Baume, er weiß es, in der Dunkelheit der Erde ist kein Sandkorn, das er nicht kennt, auf ihr sproßt kein Grashalm, den er nicht sieht. Er läßt euch schlafen bei Nacht und weiß, was ihr den Tag verdienet; er weckt euch auf, daß ihr die Zahl der euch bestimmten Tage erfüllen mögt! Zu ihm sollen wir wiederkehren, und er wird Jedem von uns offenbaren, was wir gethan haben.«

Gleichwohl muß ich als ein frommer Muselmann wünschen, Dies alles wäre nicht geschehen, und wir lebten noch in der Unschuld, in der die Kinder Seths sollen gelebt haben. Aber wenn ich bedenke, daß von allem Dem, was mir jetzt Vergnügen macht, nichts da wäre, daß ich alsdann nicht Khalife wäre und, dem geringsten meiner Sklaven gleich, ohne Dach und Fach auf dem Gebirge herumziehen müßte, wo mein bester Leckerbissen Gras und Kraut wären – so muß ich anderer Meinung sein, und ich hoffe, Gott wird mir es vergeben. Er sagte vor meiner Zeit, du sollst sein, und er schuf das Kleine wie das Große, macht das Kleine groß und das Große klein. Auch denke ich, Das, was du Aufklärung nennst und der Einfalt entgegenstellst, sei an sich besser, da der Mensch, wie sie sagen, nur dadurch seine herrlichen Eigenschaften entwickeln und zu jener Vollkommenheit gelangen kann, zu der er bestimmt sein soll. Uebrigens, Ben Hafi, kann doch der Mensch so wenig dafür, wenn er gescheidter wird, als die Katze dafür kann, wenn sie Mäuse fängt, und wenn ich mich baden will, muß ich nicht scheuen, naß zu werden. Was meinst nun du: ist Dummheit besser oder Aufklärung?

Ben Hafi. Die Frage ist zu verworren und wichtig für mich. Alles, was ich davon weiß, ist dieses: die rohe Unart sah ich im zottigten Fell einhergehen, und das feinere Laster in weicher glatter Seide, das dazwischen lag, war nicht viel besser als jedes Mittelding. Ich fahre fort: Im Jahr tausend fünf hundert und fünf und siebenzig nach Erschaffung der Welt lebte nur noch ein Muselmann mit seiner Familie auf dem alten Gebirge.

Khalife. Ben Hafi – ein Muselmann vor der Sündfluth?

Ben Hafi. Dem Geiste nach! Glaubte Noah nicht an einen Gott; nennt ihn sein Apostel nicht einen der Propheten? – Ja, ein Muselmann, denn er wandelte auf dem Wege, den Gott den Menschen vorgezeichnet hat, fromm und gerecht; dieser Mann war Noah, der Sterblichen zweiter Urvater. Seths übrige Nachkommen waren nach und nach alle in die lustigen Thäler hinabgestiegen, hatten sich gegen Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht in dem Lande zerstreut und Städte und Dörfer angebaut. Bald vergaßen sie Gott, sündigten und zitterten unter den Tyrannen, die Kains Söhne mit ihren Töchtern zeugten, und die sie selbst als Herrn und Richter über sich gesetzt hatten. Da nun die Gewaltigen ihre Stärke und Macht fühlten, wütheten und immer furchtbarer durch den Schrecken wurden, erscholl eine Sage aus einer dunkeln Höhle: den Gewaltigen dürfe man nicht widerstehen, denn die Söhne Gottes, die Beschützer der Menschen, die von dem Herrn ausgehen, hätten sie, von der Schönheit der Töchter Seths entflammt, gezeugt und die Mütter in den geheimen Künsten, wodurch ihre Sühne herrschten, unterrichtet. Die Gewaltigen der Erde fanden, daß diese Sage ihnen heilsam sei; sie gaben sich von nun an für Söhne der Engel aus und sagten laut: Ihre mächtigen Väter hatten ihnen darum Geist, Verstand, Kraft und Zauber mitgetheilt, damit sie dieselben von ihrem Amte ablösten und die Menschen an ihrer Stelle leiten, beschützen und beherrschen sollten. Die Thoren, die Gott und die Unschuld verlassen hatten, glaubten es ihnen, und ihre Herrscher benutzten den Wahn, nach der Lust ihres Herzens, das keine Grenzen mehr anerkennt, wenn es nichts zu fürchten hat.

Der Großvizir sah Ben Hafi sehr bedeutend an und wollte eben den Mund zum Reden öffnen, als der Khalife sich aufrichtete, sich mit Nachdruck auf seine Rechte stützte und sprach:

Ben Hafi, dieses ist noch das Gescheidteste, was du bisher vorgebracht hast, und wenn du Verstand hast, so laß es keine Sage sein. Daß sie es nicht ist, kann ich dir beweisen, weil ich Das alles an mir fühle; doch nehme ich die Zauberei aus, die der Koran verbietet. Verstehst du aber die geheime Kunst zu herrschen darunter, so habe ich nichts dawider. (Zum Kammerherrn.) Bringe hundert goldne Derhem, Ben Hafi soll sie mit nach Hause nehmen. – Sagt, leite und beschütze ich nicht ganz Asien? Ist es bloßes Menschenwerk, daß ich, geboren wie ihr, nicht weiser, nicht stärker als ihr, diese ungeheure, vielsinnige, bösartige Menge ohne alle Mühe in Ordnung und Zucht erhalte, daß Jeder thut, was ich will, und Jeder überzeugt ist, daß ich nur wollen darf? Und woher käme es wohl, daß ich immer nur das Beste, ihnen Heilsamste will, und daß nur Menschen eurer Art mir verpfuschen, was ich entwerfe? Dies kommt von Gott, von dem Alles kommt; er weiß, daß Alles rein und meines Ursprungs würdig aus meinem ihm ergebenen Herzen fließt, und daß es nur in den Händen meiner Sklaven verunreinigt wird.

Gegen diesen Beweis fand keiner der Anwesenden etwas einzuwenden: jeder, besonders der Großvizir, fühlte sein Gewicht mit tiefer Ehrfurcht. Ben Hafi sah den Khalifen mit ernster Verwunderung an, dankte für die Derhem und fuhr fort:

Noah, seine Söhne und Töchter wandten ihr Angesicht nie nach den verführerischen Thälern; der Einzige seiner Familie, welcher forschend und lüstern hinunter blickte, war Mahal, sein Schwager. Dieser Mahal war einer der Geister, denen es nicht genug ist, da und glücklich zu sein, sie wollen auch wissen, warum, wozu sie da sind, ob sie so auf die rechte Art glücklich wären, ob sie es auf eine andere nicht mehr und besser sein könnten. Dabei war er heftiger, gallichter und starrsinniger Gemüthsart und trug in seinem unruhigen Busen den Samen zu Zweifeln, die um so quälender für ihn werden mußten, weil es ihm an hellem Verstande und dem wahren Glauben, der in völligem Hingeben besteht, zugleich gebrach. Ihm kam sehr sonderbar vor, daß sich Noah ganz allein von dem übrigen Menschengeschlechte absonderte und so furchtsam in dem Gebirge vergrübe. Fragte er nun Noah um die Ursache, so erhielt er zur Antwort: »Der Gott unserer Väter will es so! Jene sind von ihm abgefallen, sollen nun auch wir von ihm abfallen, und Keiner des ganzen Menschengeschlechts ihm mehr anhängen?«

Je entscheidender nun eine solche Antwort ist, je weniger befriedigt sie den lüsternen Forscher. Der erste flüchtige Gedanke über den Unterschied der Familie Noahs und der Thälerbewohner hatte Mahal des reinen Glücks unfähig gemacht. Nun entspann sich ein Gedanke aus dem andern, und es erging ihm, wie allen Vernünftlern, er fing mit leisen, zagen Zweifeln an und endigte mit Murren und Unmuth. Viel hatte er von den Bewohnern der Städte erfahren, die Sage von ihren Gewaltigen und ihren Thaten vernommen, er stellte sich diese als ungeheure Riesen vor und gedachte ihrer in grausender Bewunderung.

Eines Tages sagte er zu seinem Schwäher: »Ich bin dieses Lebens hier müde, der Dorn der Unruhe sitzt in meinem Herzen, und ich kann ihn nicht herausziehen. Alles ist hier einerlei, und ich scheine mir nicht mehr zu leben als unsre Vorfahren, die dort tief in der Erde schlafen. Auch weiß ich nicht mehr als die Schafe, die ich weide. Ich will hinunter in die Thäler steigen zu unsern Brüdern und die Weisheit der Menschen kennen lernen. Ich will diese gewaltigen Riesen, diese Söhne Gottes, welche die Mächtigen des Himmels mit den Töchtern unsers Bluts gezeugt haben, in der Nähe sehen. Mich gelüstet wahrzunehmen, wie sie die Erde beherrschen und den Menschen, die sie bewohnen, gebieten.«

Noah ergrimmte und sprach: »Thor, der Dorn, der in deinem Herzen sitzt, ist der lüsterne Hang des Fleisches, den du selbst erzeugt hast! Wohl, gehe und folge ihm und kehre mit Reue zurück, wenn du Denen nicht gleich wirst, nach deren Weisheit dich gelüstet. Aber warum lästerst du Gott vor mir und die Mächte, die er den Menschen als Führer und Beschützer gegeben hat? Diese Gewaltigen, die du Riesen und Söhne Gottes nennst, sind Menschen wie die andern, ihre Stärke und Macht bestehen in ihrer Bosheit und List, mehr noch in der Verderbtheit Derer, über die sie nun eigenmächtig herrschen. Die Nachkommen des Brudermörders zeugten sie mit den Töchtern unsrer Väter; denn da diese den Menschen nahten, lernten sie Alles, was ihr unruhiger Geist ersonnen hatte, wurden ihnen gleich und verließen Gott. Darauf, daß einst ihre Väter Kinder Gottes genannt wurden, weil sie es durch ihre Frömmigkeit waren, bauten ihre Söhne die vermeßne Sage, die dich nun irre führt.«

Mahal erwiederte: »Schilt mich nicht, Schwätzer, in deinem Unwillen! Hat sich doch der Mensch diesen ersinnenden Geist nicht selbst gegeben, und vermag er doch nicht mehr, als ihm verliehen ist. Der Löwe und der Bär sind stark, das Pferd und die Gemse schnell, und der Mensch ist sinnreich. Das was ich von ferne sehe, aus der Ferne vernehme, beweist mir, daß die Gewaltigen der Erde Göttersöhne und Riesen sein müssen. Ich sehe die Ebene mit ihren zahllosen Bewohnungen bedeckt, sehe sie auf dem starken Rosse hinfahren gleich dem Winde. Leicht wie der Schwan schwimmen sie in Häusern auf den Gewässern. Oft hör' ich Töne in mein lauschendes Ohr fließen, die mir mein Innerstes fühlbar machen, es erweichen, empören und erheben. Alles haben sie sich unterthan gemacht; ihnen gehorcht die harte Erde, das fließende Wasser und die veränderliche Luft, nebst Allem, was sie tragen und ernähren. Ja, Riesen müssen ihre Gewaltigen sein, ausgerüstet mit der Stärke des Stiers und des Sturms. Wie wäre es sonst möglich, daß sie solche große ungeheure Thaten thun könnten, daß die Andern, glichen sie ihnen, die Gewalt ertrügen. Mich verlangt heiß, ihr Leben anzuschauen, zu erfahren, ob Gott auch unter ihnen ist, und ist Gott unter ihnen, warum sollten wir von Denen getrennt leben, die mit uns eines Blutes sind?«

Khalife. Ich wette, dein Mahal macht einen dummen Streich; aber seine Gründe dazu sind vernünftig, und darauf kommt Vieles an bei einem dummen Streiche.

Ben Hafi. So muß auch er gedacht haben: denn Noah erfuhr an ihm, wie schwer es sei, den Geist des Forschers zu befriedigen, und da er befürchtete, die kühnen Worte seines Schwähers möchten seine Söhne und Töchter vergiften, so schied er von ihm.

Mahal stieg bald darauf mit seiner schönen Tochter Milka von dem Gebirge und lagerte sich an dem Fuße desselben. Hier verweilte er in einer Höhle einige Tage, weil der nähere Anblick der Stadt Enoch, deren Grund Kain gelegt hatte, seine Geister erschreckte. Die dritte Nacht weckten ihn Stampfen und Wiehern der Pferde aus dem Schlafe. Der Schein der Fackeln erleuchtete plötzlich seine Höhle. Männer mit Schwertern und Lanzen bewaffnet traten ungestüm herein, durchsuchten Alles, bemerkten seine blühende Tochter, bemächtigten sich ihrer und verschwanden mit ihrem Raube.

Mahal zerriß in Verzweiflung sein Gewand und zerraufte sein Haar. Die Furcht trieb ihn auf das Gebirge zurück, und er murrte in seinem Geiste: »Herr, warum ließest du dies zu? Warum ließest du die Gewaltigen geboren werden?«

Kahlife. »Bei dem Rosse des Kriegs, das zur Schlacht »eilt« – es fliegt an dir vorüber, du siehst nicht, mit welcher Farbe es geschmückt ist, aber sein Muth saust durch seine weit offne Nase an dir vorbei Der Koran sagt: sein Keuchen ertönt. Entweder hat der Khalife oder, welches wahrscheinlicher ist, der Herausgeber diese Stelle so paraphrasirt. – Bei dem Feuer, das es mit seinem Hufe aus dem Steine schlägt! Bei Denen, die am Morgen den Feind überfallen, den Staub aufwühlen und durch die Mitte der Feinde sprengen, der Mensch ist undankbar gegen Gott.« So sagt der Prophet!

Ben Hafi. Dessen goldner Mund die Wahrheit ist.

Als Mahal bei dem wiederkehrenden Lichte über die Ebene hinsah, ward es noch finstrer in seinem Geiste; sein Herz schwoll vor Groll, seine Gedanken wurden immer mehr, und ihre Verwirrung stieg durch die Mehrheit. Er warf sich unter eine Ceder, haderte und klagte. Den zweiten Tag nahte er Noah düstern Muths und erzählte ihm im Grimme, was ihm widerfahren sei.

Noah antwortete ihm: »So hast du nun die Gewaltigen der Erde kennen gelernt, und der Herr hat dich gezüchtigt.«

Mahal erwiederte: »Hätte er mich geschlagen, würde ich murren? Was hat die Jungfrau verbrochen, daß er sie in die Hände der Gewaltigen fallen ließ? Ach, dieses ist mir leidiger Trost! Leben diese nicht vor seinem Angesichte wie wir, thun vor ihm, was ihnen gelüstet, sind dabei groß von Macht und Ansehen, und wir, die wir ihm treu anhängen, uns schützt er nicht, und wir müssen uns vor ihnen verbergen.«

Noah. Der Herausgeber geht darin von der Handschrift ab, daß er das sagte und erwiederte u. s. w., das zu oft vorkommt, wegstreicht. Du möchtest deine Thorheit gern entschuldigen, und solltest du auch Gott Hohn sprechen.

Mahal haderte fort. Da säuselte es, als die Dämmerung einbrach, in den Wipfeln der Bäume, und die Erde bebte sanft. Noah rief: »Der Herr wandelt auf dem Gebirge!« Er fiel nieder und betete an.

Khalife. Gott ist groß!

Ben Hafi. Mahal fiel nicht nieder, sein Geist blieb finster.

Khalife. Gott ist langmüthig und barmherzig!

Ben Hafi. Die Stimme des Herrn erscholl: »Worüber hadert ihr Männer des Gebirges?«

Noah. Herr, vergib mir und ihm! Wir hadern um der Menschen Willen, die in den Städten wohnen, belehre ihn und mich!

Die Stimme des Herrn erscholl stärker: »Soll ich Den noch lehren, den ich so gebildet habe, daß er sein eigner Lehrer