Renda 2 - Paul Martín - E-Book

Renda 2 E-Book

Paul Martin

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Beschreibung

Der erste Teil dieser Reihe berichtet über Robert, dessen Weg nach seinem Outing von vielen extremen Schwierigkeiten begleitet ist. Er unternimmt am Schluss des Buches einen Selbstmordversuch und fällt nach der Reanimation für lange Zeit ins Koma. In diesem zweiten Teil erzählt Christoph, der Kellner aus dem Café Holzstrand in St. Peter-Ording, sowie Sänger der Band TheThreeGuys aus dem TwoFlowers und Freund von Robert, seine Geschichte. Er wird darüber berichten, wie sein eigener Lebensweg in der Zeit des Kennenlernens seines Eisbären ablief, welchen Versuchungen des Lebens er in dieser Zeit erlag und welche er bewältigt. In der Zeit, in dem Robert im Koma liegt, fängt Christoph an seine Erlebnisse mit Robert in seinem Tagebuch festzuhalten. Diese Tagebucheinträge zeichnen den Weg der beiden auf, bis zu dem Zeitpunkt in dem wieder eine kleine Familie, das Leben auf Renda gestaltet und sich der Kreis schließt, der 60 Jahre zuvor begann.

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Um existierende Personen nicht zu verletzen, wurde der Roman in einen fiktiven Rahmen mit einer fiktiven Handlung gesetzt. Trotzdem ist ein wichtiger Teil des Buches in einer anderen Zeit so erlebt worden. Dabei wurde die Funktion lebender Personen völlig verändert, mit anderen Namen versehen und im Wesentlichen in völlig andere Kontexte gesetzt. Sollte sich doch jemand angesprochen fühlen, sei ihm für seine Hilfe, wenn es denn eine war, gedankt. Der Autor bekennt sich mittlerweile offen zu seiner Homosexualität.

Dieses Buch enthält detaillierte Beschreibungen von erotischen und sexuellen Handlungen mit entsprechender Wortwahl. Darum ist das Buch nur für volljährige Leser geeignet, die sich nicht an homosexueller Erotik stören.

WARNUNG: In dieser Geschichte kommen gewalttätige Szenen und moralisch zwielichtige Charaktere vor.

Inhalt

Rückblende

Prolog

Abschnitt I – Erinnerungen

Kapitel – Der Eisbär

Kapitel – Careless Whisper

Kapitel – Gefangen

Kapitel – Heimkehr

Kapitel – Wiedersehen

Kapitel – ein schlimmer Tag

Kapitel – Christmette

Kapitel – Momente

Kapitel – Fehler

Kapitel – Silvester

Kapitel – Kissing a Fool

Kapitel – das Schicksal stellt Weichen

Abschnitt II – Hoffen

Kapitel – im Koma

Kapitel – Tagebuch

Kapitel – Zufälle

Kapitel – Mit allen Sinnen

Kapitel – Kälte

Kapitel – Fortschritte

Kapitel – ELLA

Kapitel – Ein Blick

Kapitel – Das Porträt

Kapitel – Notar Billerbeck

Kapitel – eine Beichte

Kapitel – Aufzeichnungen

Abschnitt III – Ein zweites Leben

Kapitel – Urlaub aus der Klinik

Kapitel – Leben lernen

Kapitel – Eine unerwartete Nachricht

Kapitel – Auszeit

Kapitel – Ausnahmezustand

Kapitel – Stürmisches Wetter

Kapitel – Ruhe im Karton

Kapitel – Begehrlichkeiten

Kapitel – Drei sind keiner zu viel

Kapitel – Betrachtungen

Abschnitt IV – Die Reise

Kapitel – Ruhe vor dem Sturm

Kapitel – Schlimme Nachrichten

Kapitel – Madrid

Kapitel – Puppen

Kapitel – Eine Hand

Kapitel – Der gefallene Engel

Kapitel – Entscheidungen

Kapitel – Bilder

Kapitel – Posen

Kapitel – Die Reise zurück

Kapitel – Angst vor der Angst

Kapitel – Der Antrag

Epilog

Jedes Leben hat sein Maß an Leid. Manchmal bewirkt eben dieses unser Erwachen.

Buddha

Rückblende

Die Eltern von Robert, dem schwulen Protagonisten des ersten Teils der RENDA-Reihe, haben Roberts Leben zu ihrem eigenen Vorteil eingerichtet. So muss er lange lernen, bis er aus dieser Falle auszubrechen vermag. Er heiratet früh, weil seine Eltern ein Abweichen nicht dulden und er selbst seine Neigungen sich nicht eingesteht.

Er erlebt den Bau der Mauer in Westberlin hautnah mit, mit all seinen Spießigkeiten und Vorurteilen. Schon früh hat er homosexuelle Erfahrungen, mit dem Enkel des Ehepaares welche beim Bombardement in den letzten Kriegsmonaten zu Ersatzeltern seiner Mutter werden, er erfährt sexuelle Übergriffe im Bus und von einem Vopo am Grenzübergang zu Ostberlin.

Er richtet sich in seiner Ehe ein, bis er keine Luft mehr bekommt und er sich nach fast 30 Jahren Ehe und verlorener Zeit outet. Das Coming-out von Robert ist problembeladen, aber auch in seinem Leben vorgezeichnet. Er bemerkt es jedoch erst, als es fast zu spät ist und das stetige Verstecken ihn zu zerreißen droht. Denn Robert ist jemand, der stets glaubt, dass er an irgendetwas schuld sei. Das ist seine Lernaufgabe in diesem Leben, zu begreifen, dass er nicht das Leben der anderen lebt, sondern es sein Leben ist, was zu gestalten es gilt.

Dieser Weg dorthin ist von vielen extremen Schwierigkeiten begleitet. Tod, Verlust und Schuld sind seine stetigen Begleiter, aber auch Überraschungen aus seiner eigenen Familie gilt es zu verarbeiten, bis er den Sinn seines eigenen Lebens mithilfe eines Freundes fast zu spät begreift. Er unternimmt einen Selbstmordversuch und fällt nach der Reanimation für lange Zeit ins Koma.

In diesem zweiten Teil erzählt Christoph, der Kellner aus dem Café Holzstrand in St. Peter-Ording, sowie Sänger der Band TheThreeGuys aus dem TwoFlowers und Freund von Robert seine Geschichte.

Er wird darüber berichten, wie sein eigener Lebensweg in der Zeit des Kennenlernens seines Eisbären ablief, welchen Versuchungen des Lebens er in dieser Zeit erlag und welche er bewältigt.

In der Zeit, in dem Robert im Koma liegt, fängt Christoph an seine Erlebnisse mit Robert in seinem Tagebuch festzuhalten. Diese Tagebucheinträge zeichnen den Weg der beiden auf, bis zu dem Zeitpunkt in dem wieder eine kleine Familie, das Leben auf Renda gestaltet und sich der Kreis schließt, der 60 Jahre zuvor begann.

Prolog

Hallo, mein Name ist Christoph Krüger. Ich wurde 1978 geboren und bin jetzt 37 Jahre alt und komme aus einer kleinen Stadt nördlich von Berlin. Ich habe zwar mein Abitur in der Tasche, aber nichts daraus gemacht. Musik zu machen war mir immer wichtiger, als irgendeinen Job zu erledigen. Natürlich sind meine Eltern darüber nicht glücklich, das muss ich zugestehen, aber es geht hier nicht um das Leben meiner Eltern. Ich bin nicht da, um meine Eltern glücklich zu machen, sondern ich muss in erster Linie mein Leben gestalten. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass Kinder den Eltern nur geborgt werden und nicht übereignet. Hat eine Weile gedauert, bis meine Eltern das kapiert hatten. Es brauchte eine Menge Geduld, bis ich sie davon überzeugt hatte, denn ich habe es ihn oft genug klargemacht und irgendwann haben sie es dann einfach so akzeptiert.

Ich konnte schon Gitarre spielen, bevor ich das Einmaleins lernte. Ich habe es mir selbst beigebracht und dazu hatte ich auch gesungen, na ja, vielleicht nicht so richtig gesungen, eher gekrächzt und gekreischt, zum Unwillen meiner Eltern und der Nachbarn im Haus. Die Gitarre bekam ich damals von Tante Anke geschenkt, von der noch zu erzählen sein wird und ich klampfte wie wild darauf rum, dass es ab und zu eine neue Saite zu kaufen gab. Als ich dann in die Schule kam, hatte mein Sitznachbar eine Trommel zu Weihnachten geschenkt bekommen. Das war cool, wir spielten mehr schlecht als recht zusammen und brachten uns im zweiten Schuljahr, als wir so ungefähr lesen konnten, die Noten selbst bei. Gut, unsere Klassenlehrerin förderte dies sicherlich auch und extra für Lars und mich wurde eine AG gegründet. Musikalische Früherziehung wird das heute genannt, bei uns hieß das damals ‚Hebung des Niveaus der musikalischen Bildung und Erziehung sozialistischer Schülerpersönlichkeiten‘ und hatte mit Erziehung eigentlich nicht so viel zu tun. Als ich dann zu Weihnachten einen Wunschzettel schreiben sollte, stand ganz oben eine Trommel, die ich natürlich nicht bekam, stattdessen lagen unterm Baum eine Stimmgabel und ein Notenheft für Kinder.

Als wir in der vierten Klasse waren, schaffte die Schule, natürlich wieder im Rahmen der Bildung und Erziehung sozialistischer Schülerpersönlichkeiten neben Blockflöten, Gitarren und Xylofon auch ein Schlagzeug an, und zwar so ein richtig echtes Drumset mit zwei Tomtoms, einer großen und einer kleinen Trommel, sowie ein großes Ridebecken und ein Hi-Hat, auch Ständerbecken.

Das war eine tolle Zeit, in der fünften Klasse bildeten wir dann die erste Jugendband in einer Grundschule im ganzen Bezirk, das war noch kurz vor der Wende, also in der ehemaligen DDR. Nun ist also auch das raus. Von Geburt her bin ich ein Ossie, wobei ich glücklich bin, dass dies heute keine große Rolle mehr spielt. Lars kam dann plötzlich nicht mehr zur Schule und ich hörte von anderen unter der Hand geflüstert, dass die Eltern mit ihm wohl in den Westen geflüchtet waren. Leider habe ich ihn bis heute nie wiedergesehen.

Aber davon soll weiter keine Rede sein und ich schreibe dies auch nur auf, weil es für meinen weiteren Bericht eine Grundlage bildet.

Als dann die Wende kam, besorgten wir uns natürlich alle Westnoten, die es vorher nur als sogenannte Bückware gab. Dabei waren auch Noten mit Gesang zu Careless Whisper von George Michael, ein Song der 1984 die Hitparaden stürmte.

Als ich für den Englischunterricht den Song auswendig lernte und ihn als freies Schulprojekt vortrug, na ja mehr hauchte, als sang, wurde ich von den anderen Mitschülern gedrängt in der Schulband den Gesangspart zu übernehmen. Unsere Musiklehrerin Cordelia Kleinschmidt gab mir nach dem Unterricht dann Gesangsunterricht. Die „Eins“ in Englisch und Musik war mir danach sicher.

So spiele ich auch jetzt immer noch in einer Band. Wir nennen uns TheThreeGuys, sicher nicht besonders kreativ, aber man kennt uns und wir werden mittlerweile oft zu irgendwelchen Festivitäten eingeladen. Meine Bandmitglieder heißen Tom und Frank. Mit ihnen ging ich später aufs Gymnasium und auch dort spielten wir in der Schulband zusammen, dass bei manchen Auftritten die Wände wackelten und der Fußboden der Aula bebte.

Tom und Frank haben jetzt jeder ihren Job. Tom ist zwei Jahre älter als ich und mittlerweile KFZ-Meister, verheiratet, zwei Kinder. Frank, der jüngste von uns ist noch ledig, aber liiert und arbeitet als Hotelfachmann in Berlin. Frank ist immer noch der gutaussehende Schönling von uns dreien. Blonde Haare, blaue Augen, einen Dreitagebart und 2 cm größer als ich. Ich habe früher Frank immer beneidet, nicht dass er Frauen aufriss, nein, ich habe ihn um sein Aussehen beneidet, hatte ihn angeschmachtet, bis er mir seine Freundin vorstellte und ich aus dem Himmel fiel. So nun ist auch das raus, ich bin schwul, hatte einige Affären mit ganz gutaussehenden Männern, die mich aber alle nicht so wahrgenommen haben, wie ich es mir vorgestellt hatte, sondern denen es nur um die schnelle Nummer ging. Nur meine engsten Freunde und meine geliebte Tante Anke wissen es, ich darf nicht daran denken was meine Eltern für einen Tanz aufführen würden, wenn sie es wüssten.

War dann oft in Berlin in der schwulen Szene zunächst in der Schönhauser Allee und dann rund um die Motzstraße unterwegs, bis dann hier in unserem Städtchen eine neue Bar auf machte, das TwoFlowers. Es entwickelte sich in den Jahren zur Anlaufstelle aller Gays, die nicht nach Berlin wollten und sorgte so für manches Stirnrunzeln bei unseren Altvorderen.

Tom und Frank, also meine Mitmusiker können von ihrer Arbeit gut leben und machen die Musik nebenberuflich. Ich habe keinen Job und habe mich auch nie so darum bemüht. Ich mache Musik, das aus vollem Herzen und mit voller Kraft. Leider reicht das zum Überleben oft nicht aus, sodass ich im Sommer nach Nebenjobs suche, was mich manchmal wirklich ankotzt. Und da kam dann Tante Anke ins Spiel, die es kurz nach der Wende nach Schleswig-Holstein der Liebe wegen gezogen hatte und wo sie seit einigen Jahren auch als Geschäftsführerin einer Kaffeestube arbeitet. Und zwar in Sankt-Peter-Ording. Ein Ort den ich früher noch nicht mal auf der Landkarte suchte und der mein Leben nun vollkommen durcheinanderwirbeln sollte.

Meine Tante, also die Schwester von meiner Mutter, hat also eine Kneipe in St. Peter-Ording. Das nennt sich Café Holzstrand und dort kellnere ich ab und zu, wenn Not am Mann ist. Das ist es eigentlich oft, weil der Ort im Sommer ziemlich überlaufen ist.

Wieso ich das hier so genau alles aufschreibe, hat einen Grund. Ich habe nämlich einen Kerl kennengelernt in St. Peter-Ording, besser gesagt im Café Holzstrand. Er saß da in einem Strandkorb und sah ziemlich bedrückt aus, schaute in der Gegend herum, ohne etwas genau zu beobachten, und als ich ihn fragte, was er denn haben möchte, stand er kurz danach auf und lief einfach davon.

Danach ist eine Menge passiert. Ich kann nur so viel sagen, dass ich derzeit an seinem Krankenbett sitze und sein kaltes Händchen halte. Dieser Kerl, für den ich alles machen würde und auch machen werde, wollte sich nämlich einfach so aus dem Leben schleichen, weil dieses Leben ihm ganz harte Nüsse als zu bewältigende Aufgaben vor die Füße geworfen hat.

Und weil ich hier an seinem Krankenbett sitze, gehen mir die letzten Monate durch den Kopf und ich habe beschlossen, dies aufzuschreiben. Immer wenn ich ein Kapitel fertig habe, dann lese ich es ihm vor, damit mein Eisbär wieder aufwacht, denn nach der Reanimation durch zu große Tabletteneinnahme ist er aus dem künstlichen Koma, in das ihn die Ärzte versetzen, nicht mehr aufgewacht. Das war vor zwei Wochen, als mir die Ärzte diese erschütternde Mitteilung machten.

Ich werde um meinen Schatz kämpfen, was immer da draußen passiert. Doch ich will jetzt noch nicht alles verraten. Wenn irgendwann jemand anderes das liest, soll er wissen, dass es sich immer zu leben lohnt, trotz aller Widrigkeiten und es lohnt sich auch immer, zu sich selbst zu stehen. Jedenfalls glaube ich ganz fest daran, dass er wieder aufwachen wird, auch wenn alle ihn als verloren bezeichnen.

Abschnitt I – Erinnerungen

1. Kapitel – Der Eisbär

Meine Tante wohnt in Ording, am Norddeich in der Nähe der Fischerkate. Kleines Häuschen mit großem Garten und vor allem einen Parkplatz für mein Wohnmobil, dessen stolzer Besitzer ich seit einigen Jahren bin. Es ist natürlich kein neues Wohnmobil, eher ein älteres Modell, gut, ein ganz altes Modell, welches der Vorbesitzer eigentlich verschrotten lassen wollte. Tom als Kfz-Mechaniker machte es mir jedoch wieder fit und so touren wir mit der Band, falls wir mal außerhalb Auftritte haben, mit diesem Bus durch die Lande.

Es hat alles, was es braucht, hinten ein 120 cm breites Bett, daneben eine winzige Dusche, sowie ein drehbares WC mit einem klitzekleinen Waschbecken. Einen riesigen 50 cm breiten Kleiderschrank, daneben einen Kühlschrank mit Gefrierabteil und einer Mikrowelle. Geradeüber ein Zweiplattenherd, darunter Schubladen mit Befestigungsmöglichkeiten für Geschirr und Besteck, damit es beim Fahren nicht umher klappert. Einen Sitzplatz mit einer Bank, die man zur Liegefläche umklappen kann und über den drehbaren Fahrer -und Beifahrersitzen einen Alkoven, der ebenfalls mit einer Matratze ausgestattet ist. Dazu jede Menge Stauraum in den diversen Ecken. Für die Band ein gutes und vor allem kostensparendes Fortbewegungsmittel und für mich die Möglichkeit, im Sommer bei Tante Anke im Garten zu stehen, von ihr verköstigt zu werden und trotzdem meine eigenen vier Wände um mich zu haben.

Es war der erste Frühjahrstag im Jahr 2014. Die Sonne flirrte und schien gnädig auf die lichthungrigen Menschen herab. Der Wind, der über die Salzwiesen kam, blies mir ins Gesicht, als ich mit Tantchens Fahrrad Richtung Bad fuhr. Ich genoss die Sonnenstrahlen, welche die Schilfdolden im Gegenlicht so richtig in Szene setzten.

Der Wind fegte meinen Kopf frei und ich freute mich auf nette Kunden und üppiges Trinkgeld. Tantchen hatte das Café gut in Schuss gebracht. Eine neue Außenterrasse zur Straße hin, mit dunkel gebeizten und geriffelten Holzdielen, bildete den Fußboden für verschiedene Strandkörbe, in denen die Gäste sich an kleinen Glastischen sonnen oder vor dem Wind schützen konnten, um die Frühstücks, Snacks, Kuchen und Kaffeeangebote genießen zu können. Und genau wegen dieser geilen, dunkelbraunen Holzdielen sagten zu Anfang alle Leute, wir treffen uns am Holzstrand. So bekam das Café vor Jahren seinen Namen: Café Holzstrand.

Es war ein Montag Mitte April letzten Jahres, das weiß ich noch genau, weil das erste Mal so richtig die Sonne schien und der Wind von Westen kam und die salzige Meeresluft über unseren Ort verteilte. St. Peter-Ording wird oft nur SPO genannt. Das ist kürzer und entspricht unserem Autokennzeichen, na ja früher jedenfalls. Jetzt müssen alle mit dem nichtssagenden NF für Nordfriesland rumgurken. SPO selbst ist ein Konglomerat von vier Orten, nämlich Böhl ganz im Süden, dann St. Peter-Dorf, St. Peter-Bad und schließlich Ording, dem nördlichsten Ortsteil. In den Chroniken kann man nachlesen, dass der Ort eigentlich früher Ulstorp hieß, die Kirche jedoch war St. Peter. 1967 wurden die bislang unabhängigen Orte zu einem Amt zusammengeschlossen.

Das soll es aber auch schon mit Geschichte hier sein, denn ich will nicht von SPO erzählen, sondern von einer schicksalhaften Begegnung und was danach alles so bis heute passierte.

Am 14. April 2014, ungefähr 11 Uhr vormittags begann ich meinen Job im Holzstrand. Ich bin gut 1,80 m groß, habe grüne Augen und kurze dunkle Haare. Da ich ab und zu mal ein Sportstudio aufsuche, habe ich zwar keinen Waschbrettbauch, aber ich denke, ich kann mich sehen lassen. Wenn ich kellnere, trage ich grundsätzlich schwarze Jeans und ein weißes Hemd ohne Krawatte, sowie weiße Sneakers. Das Bedienungspersonal bei Tantchen hat entsprechende Schürzen zu tragen, lang und bordeauxrot, zum Glück ohne Latz. Ich band mir also meine Kellnerschürze um, zückte meinen Notizblock und eilte hinaus auf die Terrasse, um die Bestellungen aus den vollen Strandkörben entgegenzunehmen. Ganz hinten allein saß ein älterer Mann, dessen Gesicht mich irgendwie anzog. Betrübt sah er aus, nein das ist nicht richtig, eher gehetzt, verletzt und doch rührte er mich, wie er so in sich versunken dasaß. Ein Eisbär! Groß, bärig, Bauch, Bart, graue kurze Haare und blaue Augen, in die ich mich verlieren könnte. Mir war noch niemals ein Mann mit solch strahlend blauen Augen begegnet. Als würde dahinter ein Feuer lodern, die diese Augen zusätzlich zum Leuchten brachte. Ein Gedicht von einem Kerl. Ein Kerl zum Verlieben und das war ich. Nach wenigen Augenblicken wusste ich, dass dieser Eisbär mein Schicksal war und so wie er mir auf den Arsch schaute und mich mit offenen Augen anblickte, ging es ihm mit mir wohl ähnlich. Ich hatte oft von Liebe auf den ersten Blick gehört. Das hier traf es sofort. Auf den Punkt. Ich war völlig geflasht und er sah auch nicht nach völliger Verachtung aus, als er mich betrachtete.

„Moin, moin“, begrüßte ich ihn höflich. „Hunger?“

„Frühstück, bitte“, war die kurze knappe Antwort und nachdem ich ihm die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten beschrieben hatte, antwortete er barsch: „Zwei Brötchen, dazu Marmelade und Honig, keine Wurst, ein Stückchen Camembert und einen Pott Kaffee, wenn ich bitten darf.“

Als ich dann locker flockig antwortete: „Uiiiii da ist aber einer schlecht drauf, Stress gehabt? Wie kann ich denn außer mit einem Frühstück noch helfen?“ Stand er plötzlich auf und rannte fort. Ich sah noch, wie er im Fortrennen Leute anrempelte, ohne sich umzuschauen, sich an der runden Ecke ein Fischbrötchen besorgte, es mit dem Fettpapier unachtsam in die Tasche steckte und Richtung Seebrücke verschwand.

Das war mir ja auch noch nie passiert, dass der Gast plötzlich aufstand und einfach so verschwand, ohne dass ich ihm etwas anbieten oder bringen durfte. Lange schaute ich ihm nach, bekam plötzlich ein merkwürdiges Gefühl, als wenn man nach etwas süchtig ist und es nicht bekommen hat und überlegte, was ich machen sollte. Ihm einfach hinterherrennen? Was sollte Tantchen dazu sagen, ich war ja man gerade erst angekommen. Meine Pause war noch in weiter Ferne oder sollte ich ihn mir einfach aus dem Kopf schlagen und so tun, als wenn es diese Situation nie gegeben hätte? Er hatte mir garantiert auf den Arsch geschaut, das hatte ich genau gespürt und nicht nur das. Denn als ich mich dann zu ihm umdrehte, hatte er auch genau die andere Seite von meinem Hintern beobachtet, wo sich ganz langsam aber sicher eine Beule gebildet hatte. Und auch ich war ihm wohl nicht ganz egal, denn er wurde rot, als ich ihn so direkt ansprach. Das war doch immer ein sicheres Zeichen. Sollte sich mein Schwulenradar hier so irren? Ich muss wohl ziemlich lange hilflos herumgestanden haben und merkte gar nicht, wie die Gäste nach mir riefen.

Nachdem ich wieder einigermaßen klar denken konnte, sah ich mit Erstaunen, wie meine Tante inzwischen die Gäste bediente. Man, war mir das peinlich. Schließlich sprach sie mich auch noch direkt darauf an und beorderte mich zu sich an den Tresen: „Kannst du mir mal erklären, was das eben war?“ Fragte sie mich schmunzelnd, was ich aber zunächst nicht wahrnahm und so antwortete ich pflichtbewusst: „Sorry, das war wohl ein Blackout eben, kommt nicht wieder vor, Tante.“

„Das meinte ich nicht“, war die überraschende Antwort. „Ich habe doch gesehen, wie du diesen älteren Herrn angeschmachtet hast.“

„So alt war der doch gar nicht. Er sah nur so unglücklich aus.“, stotterte ich und hatte wohl damit zu viel gesagt.

„Aha, du verteidigst ihn bereits, kennst du ihn? Aber nein. Ich habe ihn noch nie hier gesehen. Aber da war auch was zwischen euch, ich habe es doch durch das Fenster beobachten können. Ich habe es genau gespürt, ich habe es doch gesehen, wie das geknistert hat zwischen euch beiden, ich kenne dich doch und weiß genau, dass du auf diese Sorte Mann stehst und sag mir jetzt nicht, dass ihr euch das erste Mal gesehen habt, denn das glaube ich dir einfach nicht.“

„Doch Tante, ich habe ihn wirklich hier noch nie gesehen. Keine Ahnung, wo der jetzt hin ist. Ist einfach aufgestanden, hat sich geradeüber ein Fischbrötchen geholt und ist dann irgendwo Richtung Seebrücke verschwunden.

„Aha, verstehe“, war die einfache und doch voll erklärende Antwort meiner irren und so was von lieben Tante, sodass ich sie einfach hätte umarmen können. „Und? Was stehst du jetzt hier noch so rum? Denn wie ich mir denke, bedeutet er dir etwas und das tut es ja wohl, oder? Denn so habe ich dich noch nie gesehen. Es war, als wenn irgendwo der Blitz bei dir eingeschlagen hat.“

„Du kennst mich zu gut Tante. Bloß was soll ich jetzt tun?“

„Pass auf min Jung. Es ist zwar voll, aber Bettina steht hinten und wäscht ab und hat mir gemeldet, dass sie mir gleich helfen kann. Mach, dass du wegkommst und suche ihn, wenn er dir so wichtig ist.“

„Ist das nicht aufdringlich?“

„Magst du ihn oder nicht?“

„Doch er hat mich irgendwie geflasht. Ich weiß selber nicht, was los ist, aber ich glaube, mich hat es erwischt.“

„Na dann los, binde deine Kellnerschürze ab und hinterher. Du wirst schon wissen, was du ihm sagen musst. Und deine grünen Augen werden ihn schon beeindrucken. Wird Zeit, dass du mal wieder jemanden kennenlernst nach der Pleite mit Janko.“

Janko, man warum erinnerte sie mich gerade jetzt an diesen Scheißkerl, der mich im letzten Jahr nach 5 Jahren Partnerschaft so einfach vor die Tür gesetzt hatte und ich aus Lübeck mitten in der Nacht zu Tantchen nach SPO trampen musste.

OK, OK es war vielleicht nicht fein, dass ich ihn gefragt hatte, ob ich mal mit nem Freund in meinem Zimmer übernachten könnte, schließlich lief zwischen uns beiden seit einem Jahr nichts mehr. OK, ich war auch zu bequem mir was Eigenes zu suchen. Ja, ihr habt ja alle Recht. Sind immer zwei dran schuld. Aber ich zahlte immer pünktlich meinen Mietanteil und Janko war auch nicht gerade ein Kostverächter.

Soweit also zu Janko. Hoffentlich komme ich dem nie mehr in die Quere. Doch wieder zurück zu meinem Eisbären, bevor ich hier weiter rumlabere.

Gesagt, getan. Ich legte also meine Kellnerschürze auf den Tisch neben dem Tresen, steckte mein Portemonnaie in die Kasse und schaute mich um. Zu sehen war er nicht mehr, was hatte ich auch erwartet? Dass er an der nächsten Ecke steht und mich küsst? Aber ich erinnerte mich, dass er die Straße zur Seebrücke hinuntergelaufen war. Gut, mit einem Fischbrötchen in der Tasche wird er ja wohl eher zu irgendeiner Bank gelaufen sein, als in die diversen Geschäfte, so dachte ich. Einige Minuten später war ich ebenfalls unten am neu gestalteten Platz der Seebrücke angekommen. Die Kurverwaltung hatte hier wirklich viel investiert. Der Platz ist schön gepflastert, Gaslaternen, die nachts ein Feuer erzeugen, rahmen das Rondell ein. Ringsherum stehen Bänke, aber dort war er nicht zu erblicken.

Am Restaurant, dem Imbiss und dem kleinen Schmuckladen war er ebenfalls nicht zu sehen. Ich überquerte den Platz und ging zum Deichweg, der südlich an den Salzwiesen entlangführt, da sah ich ihn nur 100 Meter weit von mir entfernt auf einer Bank sitzen. Er schaute Richtung Salzwiesen und weiter zum Horizont, als ich mich ihm langsam näherte. Kurz bevor ich ihn erreichte, nahm er sein Handy in die Hand und las wohl eine Nachricht ab. Der heute nur sanft wehende Wind trug seine Stimme zu mir rüber und ich hörte, wie er zu sich selbst sprach: „Was hat der Kerl gemacht, war er etwa bei mir zu Hause?“

Das war mein Stichwort: „Also Stress mit nem Kerl, dachte ich es mir doch“, sagte ich ziemlich unverschämt. Doch dieser begehrenswerte Mann schaute sich zu mir um und als er mich anblickte und irgendwie musterte, war es wiederum um mich geschehen und ich bekam kein weiteres Wort heraus. In diesem Moment der Verwirrung sagte er zu mir ganz abgeklärt: „Habe ich so laut gedacht, dass man es schon bis zum Holzstrand hört?“

Und dann setzte er doch tatsächlich ein Lächeln auf, welches mich noch mehr zum Dahinschmelzen brachte und auch ich lächelte vielleicht ein Stück zu aufdringlich zurück.

„Hab Pause“, schwindelte ich und setzte mich einfach so neben ihn und schaute aufs Meer. „Lauf dir nicht hinterher. Keine Sorge! Mache nur meine übliche Runde und da hab ich dich hier sitzen sehen. Bin übrigens Christoph und kann gut zuhören. Bringt mein Sommerjob im Holzstrand so mit sich. Also, was ist das für ein Kerl, der dich so aus der Fassung bringt. Muss ja eine richtige Sahneschnitte sein, wenn du so offensichtlich schmachtend leidest.“

„Robert“, stellte er sich vor. „Geht dich nichts an, sorry, aber ich mag jetzt nicht mit einer wildfremden Person darüber reden.“

Uff, das saß. Ich nahm meinen ganzen kleinen Mut zusammen und meinte nur: „Na so wildfremd sind wir uns auch nicht. Sehen uns doch heute schon zum zweiten Mal.“

Doch Robert blieb stumm und schaute weiter aufs Meer, als wenn es mich nicht gäbe. Nach langer Zeit des gemeinsamen Schweigens wurde es mir dann doch zu bunt. Wenn er nicht will, dann eben nicht. Ich laufe keinem Kerl hinterher, auch wenn er noch so gut aussieht. Aber ich wollte ihm noch einen kleinen Seitenhieb mitgeben und flüsterte ihm zu: „Ich will nicht übergriffig wirken. Bist ein Netter, wirklich.“ Als ich dann aufstand und fortgehen wollte, bückte ich mich noch mal zu ihm herunter und murmelte ihm aus einer Laune heraus ins Ohr: „Man sieht sich, Süßer“.

Robert schaute mich mit einem Blick an, der vollkommen jenseits von dieser Welt war und ich beschloss in diesem Moment, ihn nicht mehr aus den Augen zu lassen, bis sich ein neues Gespräch ergeben würde. Als er dann aufstand, in die entgegengesetzte Richtung ging, lachte ich ihm frech hinterher und er drehte sich um und ich sah ihn erschrocken weggehen.

„Schnorpicon“, rief ich ihm lachend hinterher. „Heute Abend. Da will ich alles wissen von dir.“ Aber er lief fort und ich ahnte, dass er mich nicht mehr gehört hatte.

Tantchen wollte natürlich alles wissen, aber es gab halt nicht viel zu erzählen und so ließ sie mich irgendwann in Ruhe. Um 18.00 Uhr war Feierabend und ich fuhr mit dem Rad nach Ording, um mich für heute Abend frisch zu machen. Auch wenn ich es nicht glaubte, dass er mich gehört hatte oder überhaupt es angedachte mich zu treffen, ich hoffte auf mein Glück und auf das Schicksal was uns abends zusammenführen sollte.

Doch er kam nicht.

Die ganze Woche war er nicht zu sehen, weder im Café, noch im Ort, noch abends im Schnorpicon. Abends lag ich lange wach in meinem Wohnmobil, spielte an mir herum und stellte mir vor, wie es wäre, wenn dieser Eisbär es für mich tun würde. Ich kuschelte mich in mein Kopfkissen und träumte davon, wie ich mich auf seinem Bärenbauch einrollte und sein Aftershave einsog, was ich nur kurz auf der Bank wahrgenommen hatte. Irgendwas mit Zedernholz, nach einem sonnigen Tag duftend, würzig, männlich, sinnlich. Irgendwo musste ich diesen Duft herbekommen.

Diesem Kerl war ich verfallen, das war mir so was von klar in diesem Moment und ich war die nächsten Tage völlig unkonzentriert, verwechselte Latte macchiato mit Cappuccino und einiges mehr. Irgendwann reichte es Tantchen und schickte mich nach Ording zurück um meinen Kopf freizubekommen.

2. Kapitel – Careless Whisper

Nach einigen Tagen des Wartens war mir eigentlich klar, dass meine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit meinem Eisbären ein womöglich aussichtsloses Unterfangen war. Ich beschloss daher, meine Abende nicht mehr im Schnorpicon zu verbringen und damit auf etwas Aussichtsloses zu warten. Nur noch einmal, dachte ich und dann nicht mehr. Das Schnorpicon war in diesen Tagen fast meine zweite Heimat geworden, zumindest für den Abend. Kalle und Moni, die Inhaber, wussten mittlerweile, wie es um mich stand, da man den beiden kaum was verbergen konnte. Und wenn nicht diese beiden, dann Heike. Die etwas üppige Barfrau im Schnorpicon ist noch nicht allzu lange da, aber mittlerweile die Seele dieser Kneipe. Sie weiß sofort, was bei einem los ist und hilft einem immer wieder auf die Beine. Die Kneipe Schnorpicon ist aber auch ein gemütlicher Ort. Ein rechteckiger Raum, mit genauso einem rechteckigen Tresen in der Mitte, der nur eine schmale Öffnung hat, nämlich für das Bedienungspersonal. Um den Tresen herum stehen Barhocker an Barhocker. Über dem Tresen hängen Gläser, stehen Flaschen fürs Cocktailmixen herum. An den Wänden hängen Plakate aus alten Filmen. Man lernt Einheimische wie Touristen kennen und vor allem, man wird sofort mit Namen angesprochen, wenn man auch nur einmal dort war. Grüppchen sitzen nebeneinander im Rund und quatschen. Ich setzte mich an die Stirnseite mit dem Rücken zum Eingang und bestellte bei Kalle ein frisches, kühles Helles. Eigentlich überlegte ich wieder zu gehen, man sah mir die Enttäuschung auch irgendwie an, da ich fast die ganze Zeit mit hängendem Kopf dasaß. Jedenfalls hatte es Kalle so bemerkt und sagte es mir mit seiner unverblümten friesischen Art genau ins Gesicht: „So schlimm?“

Und ich antwortete lasch. „Schlimmer!“

Da lachte Kalle mir zu und verschwand zum Zapfhahn. Als ich den Kopf hob, um in die Runde zuschauen, dachte ich kurz, mein Herz setzt aus. Denn links von mir an der langen Seite des Tresens saß plötzlich mein Eisbär und bestellte bei Kalle gerade sein Bier. Er musste wohl gerade eingetroffen sein. Aufstehen und hin zu ihm war eins und die Gelegenheit ihn zu überraschen war günstig, denn er schaute nach links an die andere Stirnseite.

„So allein, schöner Mann?“ Flüsterte ich ihm ins rechte Ohr. Allein seine Reaktion brachte meine Haut dazu sich zusammenzuziehen und mir ein wohliges Kribbeln durch den ganzen Körper zu spendieren. „Ich habe dich nicht verfolgt, Süßer, du bist hier ganz alleine hergekommen“, wedelte ich vorsorglich ab.

„Kannst du bitte aufhören, mich Süßer zu nennen, das wirkt irgendwie peinlich für mich.“ Antwortete mein Eisbär. „Ich wollte hier lediglich gepflegt und allein ein Bierchen trinken.“

„Das will ich auch“, bemerkte ich forsch: „Was dagegen, wenn ich mich neben dich hinsetze?“

„Kann ich das verhindern?“ Erwiderte Robert barsch meine Frage.

„Nö“, antwortete ich und damit ging ich jetzt wirklich aufs Ganze. „Habe mir zum Ziel gesetzt, dich heute aufzumuntern. Na los, was ist passiert, nachdem wir uns am Deich trafen?“

„Gibst du nie Ruhe? Ich will einfach nicht.“

Was war mit ihm los? Er mochte mich. Seine Augen verrieten ihn. Er schaute mich manchmal an, als wenn ich irgendein Supermann wäre, ehrfürchtig fast und ich hätte weiß Gott was dafür gegeben, ihn zu diesem Zeitpunkt für mich zu gewinnen. Aber es sollte wohl nicht sein. Nicht an diesem Tag. Und das erfuhr ich dann auch bald.

Nachdem wir uns mehr als zwanzig Minuten anschwiegen, fragte uns Kalle plötzlich: „Na Jungs, noch ein Bier, damit der Mund nicht trocken wird vom vielen Reden?“

„Was willst du wissen?“, fragte er mich plötzlich.

„Alles, was dich bedrückt“, antwortete ich und versuchte entsprechend meiner Stimmung es mitfühlend klingen zu lassen. Irgendwie musste sich wohl bei ihm in diesem Moment ein Ventil geöffnet haben.

Er zählte mir von Nickligkeiten, von Geheimnissen und Lügen seiner Familie, welche ihn völlig runterzogen. Er berichtete von seinen Eltern, dem Gefühl schwul zu sein und es verstecken zu müssen, bis es ihn quasi zerriss und er erzählte von einem Harald, wie sie sich wiedertrafen und er sprach auch aus, dass da vor einer Woche plötzlich ein Sohn war, den dieser Harald ihm verschwiegen hatte.

Als über die Lautsprecher der Bar der Song <Careless Whisper> von George Michael läuft, verstummt Robert mit einem Mal und er erzählte, dass dies sein Lieblingssong wäre.

„Jetzt bist du fort... Was hab ich bloß falsch gemacht – so falsch, dass du mich gleich verlassen musstest…?“

Rezitierte ich gespreizt und lachte.

Es war der Song, den ich früher in Englisch sang. Ich überlegte in diesem Moment, das dieser Song gut in das Repertoire unserer Band passen würde. Und während ich so darüber nachdachte, nahm ich Robert an die Hand, zog ihn hoch, zog ihn an mich heran, legte seine Hände um mich und meine Hand um seine Hüfte und begann mit ihm nach der Musik zu tanzen. Ganz langsam, aber im Rhythmus. Das fühlte sich so gut an. Er zitterte leicht. Ich schaute ihm tief in die Augen und wollte ihn gerade küssen, da stieß er mich empört weg: „Spinnst du jetzt total?“

Seine Augen zeigten die Angst vor sich selbst, so ließ ich ihn los und wir setzten uns beide wieder hin, als wenn nichts geschehen war. Morgen schon war er weg, fuhr wieder zurück. Was sollte ich machen?

„Und? Was wirst du morgen tun, wenn du nach Hause kommst zu deiner Frau? Was wirst du ihr sagen?“ Fragte ich ihn, nachdem er mir auch den Rest erzählt hatte.

„Was soll ich denn sagen? Sag es mir bitte! Was würdest du an meiner Stelle sagen oder machen?“ Schaute Robert mich verzweifelt an und am liebsten hätte ich noch mal versucht ihn an mich zu ziehen, doch Fiete, ein Handwerker hier aus dem Ort, der uns gegenübersaß und uns wohl die ganze Zeit beobachtet hatte, schüttelte mit dem Kopf.

So sagte ich nur leise: „Das ist nicht entscheidend für deine Situation, was ich machen würde. Du musst es selbst für dich herausfinden. Wie ich von dir gehört habe, hast du die letzten 30 Jahre das Leben deiner Frau und deiner Eltern gelebt. Sieh zu, dass du über deinen eigenen Wunsch zu leben nachdenkst.“

Fiete nickte mir zu, doch Robert sah ihn an, als wenn er ein Geist wäre, er legte einen Schein auf den Tisch, sprang auf und hastete zur Tür hinaus.

„Holla“, rief ich, „warum so stürmisch?“ Kalle bemerkte nur trocken: „Sturm ist hier erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben.“

Ich rannte meinem Eisbären hinterher, aber er war nicht mehr auf der Straße zu sehen. Sowieso war es dunkel und es war wohl aussichtslos ihn um diese Zeit irgendwo zu finden. Nachdem ich wieder zurück in den Schankraum kam, setzte sich Fiete zu mir: „Er mag dich, glaub mir. Er kann es bloß nicht zugeben, nicht derzeit jedenfalls.“

Ich antwortete doch recht verzweifelt: „Ja, ich weiß, aber was soll ich machen?“

Fiete guckte mich mit seinen großen blauen Augen an und sagte: „Du magst ihn doch auch, oder?“

„Ja, natürlich.“ Flüsterte ich.

„Es wird der Tag kommen, an dem du ihn wiedersehen wirst und ich denke mal, das ist gar nicht mehr so lange hin“, meinte er aufmunternd.

„Kannst du jetzt Spökenkiekern oder was?“ Fragte ich. „Meine Mutter konnte es“, antwortete Fiete und nickte kurz.

„Vielleicht habe ich was davon übrigbehalten, aber glaub mir, du wirst ihn wiedersehen, das weiß ich, so wahr ich hier sitze.“

„Wenn ich dir doch bloß glauben könnte“, antwortete ich mit einem Kloß im Hals. „Und ich habe noch nicht einmal seine Telefonnummer.“

3. Kapitel – Gefangen

Die nächsten Tage waren geprägt von einer Wut auf mich selbst, dann auf Robert, dann wieder auf mich und so weiter. Ich konnte nicht mehr durchschlafen und Tage später war ich einfach nur noch traurig, dass ich meinen Eisbären verloren hatte, ohne dass ich es wenigstens nicht versucht hätte, ihm zu folgen. An Fietes Prophezeiung glaubte ich nicht und nach einiger Zeit hatte ich mich insoweit wieder gefangen, dass ich meine Arbeit im Café wieder aufnehmen konnte. Tantchen hatte mich rausgeworfen, als ich am nächsten Morgen mit rotgeränderten Augen meine Schürze umbinden wollte. Ich solle erst wiederkommen, wenn es mir besser ginge. Sie hatte ja recht, in jedem Gast sah ich Robert und wenn es sich dann als falsch herausstellte, wurde ich unkonzentriert und manchmal unhöflich.

In diesen Tagen lief ich viel durch den Dünenwald von Ording nach Bad rüber und saß oft lange auf dem Maleens Knoll. Eigentlich heißt die höchste Erhebung von St. Peter-Ording ja Magdalenenhügel, doch es rankt sich eine schöne Geschichte um diesen klitzekleinen Berg. Demnach soll ein junges Mädchen mit dem Namen Maleen hier jeden Tag Ausschau nach ihrem Verlobten gehalten haben, der zur See gefahren war. Sie hatte versprochen, auf ihn zu warten. Um die Zeit zu nutzen, nahm sie immer ihr Spinnrad mit. Jeden Abend zündete sie ein Licht an, damit ihr Verlobter auch nachts den Weg zu ihr finden konnte. An diesen Anblick gewöhnten sich die Bewohner der Umgebung. Als nach Jahren das Licht ausblieb, sah man erschrocken nach und fand Maleen tot auf der Düne an ihrem Spinnrad. Wochen später wurde am Strand ein toter Seemann aufgefunden, der den gleichen Ring wie Maleen trug.

An manchen Tagen fühlte ich mich mit Robert verbunden, wenn ich oben am Aussichtsturm saß. Ob auch er abends irgendwie an mich denken würde, ob er ebenfalls den Blick zum Mond richten würde, wenn auch ich hinschaute?

All das fragte ich mich in diesen Tagen und ich fragte mich auch, ob ich Robert jemals wiedersehen würde. Meine Mutter sagt immer, man sieht sich meistens zweimal im Leben.

Ob das stimmt?

Würde ich Robert wiedersehen?

So waren meine Gedanken damals und meistens endete dann ein solcher Besuch auf dem Hügel unten im Schnorpicon. Ich genehmigte mir dort dann einen Absacker, bevor ich meinen Weg zurück nach Ording nahm.

Im Schnorpicon saß ich oft mit Fiete zusammen und wir beklagten gegenseitig das Leid der Welt. Abends kamen häufig Leute aus der gegenüberliegenden Gesundheitsklinik, meistens alleinstehende Herren und Damen, die Anschluss suchten. Aber auch bei Einheimischen war das Schnorpicon sehr beliebt. Man traf sich dort und schnackte um die Wette. Tolle Cocktails und ein frisches Bier, sowie die Möglichkeit zu rauchen, luden die Leute ein.

Ungefähr Anfang September betrat jemand die Kneipe, der sich als Jürgen Wiesner vorstellte. Er setzte sich neben mich, sodass ich automatisch etwas beiseite rutschte, denn Jürgen war ein Hüne von Mensch, fast 2 Meter groß, athletische Figur, Schädel glattrasiert und mit einer sehr eng sitzenden Lederhose die nichts, aber auch gar nichts verdeckte, sowie einem weißen Hemd bekleidet. Eigentlich überhaupt nicht mein Typ, aber seine Präsenz in dem Raum war spürbar und seine Körperwärme erzeugte einen Schauer auf meiner Haut. Seine Nippel waren gepierct und stachen aus dem Hemd heraus. Man sahen die geil aus.

Ich versuchte ständig woanders hinzuschauen, bis der Hüne zu mir sagte: „Na Kleiner, gefällt dir, was du siehst? Bin der Jürgen.“

Es entwickelte sich ein Gespräch, eine Art gedanklicher Einklang, was ich bis heute nicht ganz nachvollziehen kann. Ich muss wohl damals völlig weggetreten gewesen sein, diesem Kerl zu folgen wie ein kleines Hündchen, was Schutz vor seinem Alpha erbittet. Zwei Stunden später standen wir jedenfalls im Aufzug zu seiner Wohnung im Apartmenthotel Atlantik fast direkt an der Strandpromenade. Die Wohnung lag im obersten Stockwerk und von dort hatte man einen fantastischen Blick auf das Meer mit seinen Wellen, die im Sternenlicht dahinplätscherten. Die Wohnung war sehr elegant eingerichtet, dunkles graubraunes Parkett, weiße Möbel, cremefarbene Ledergarnituren, ein rauchfarbener Glastisch. Bilder von Erhard Schiel, einem bekannten Maler hier aus SPO, hingen an den Wänden und ich war mir sicher, dass dies keine Kopien waren. Als ich noch so am Fenster stand und ich dieses Spektakel in mich aufnahm, trat Jürgen hinter mich und umschlang mich mit beiden Armen.

Jürgen war bestimmt um die 60 Jahre alt, irgendein Immobilienmakler, der auch in SPO nach neuen Objekten suchte. Wenn ich gewusst hätte, welche Objekte dies waren, wäre ich sofort geflüchtet, stattdessen schmiegte ich mich an seine Brust, schubberte meinen Rücken an seinen Nippelhanteln und schnurrte. Nicht viel Zeit später landeten wir in seinem breiten Bett und er vernaschte mich, dass mir Hören und Sehen verging. Nicht, dass ich mich auch mal gerne toppen lasse, eigentlich bin ich eher der aktive Part, aber bei Jürgen war dies anders. Er war zärtlich, behutsam, einfühlend. Seine Hände schienen zur gleichen Zeit an allen Stellen meines Körpers zu sein, berührten mich sanft und streichelten mich in den siebenten Himmel. Vielleicht war es auch der Verlust von Robert, die Sehnsucht nach ihm, welche mir meine Vorsicht nahm gleich am ersten Tag mit einem Mann ins Bett zusteigen.

Der Sex mit ihm war gigantisch. Sein Penis hatte etwas überdurchschnittliche L – Maße. Er begann behutsam mein Loch zu dehnen, schob sich langsam vorwärts, quälte gleichzeitig meine Nippel und fuhr fort meine Eichel mit seiner Zunge zu verwöhnen. Dieser Mann war so was von gelenkig, es war ein Genuss, sich von ihm verwöhnen zu lassen. Als er sich in mir ergoss, spürte ich sogar durch das hauchdünne Kondom seine Hitze in mir. Solch einen heißen Sex hatte ich noch nie erlebt und ich war in den letzten Jahren bestimmt kein Kostverächter gewesen. Ich lebte sicher nicht keusch und nahm mit, was ich bekommen konnte, besonders in der Zeit nach Janko.

Als er mich nach ausgiebigen Duschen und gegenseitigen Trockenrubbeln mit seinem Jaguar nach Ording brachte, scheute ich mich, ihm meinen abgewetzten Wohnwagen zu zeigen, und bat ihn, mich an der letzten Kurve aussteigen zu lassen. Er nahm mich in den Arm, küsste mich zärtlich und fragte mich sanft: „Hab morgen Geburtstag, kommst du?“ Spätestens das hätte mich stutzig machen sollen, welch ein Zufall. Aber ich muss wohl völlig blind gewesen sein und genoss einfach die Zuwendungen, die ich erhielt, und wollte sie auch weiter genießen. So sagte ich natürlich zu und freute mich wie ein Schneekönig, dass so ein weltgewandter Mann mich bemerkt hatte. Die letzten Meter zu meinem Bus hätten mir eigentlich diesen Schwachsinn aus meinem Kopf blasen müssen, doch ich fühlte noch sein Glied in mir, seine großen Hände auf meinem Körper und seine warmen Lippen auf meinem Mund.

Der nächste Tag wollte und wollte nicht vergehen und ich war gespannt auf Jürgens abendliche Geburtstagsparty. Als ich zur angegebenen Zeit bei ihm mit einer guten Flasche Rotwein vor der Tür stand, wusste ich noch nicht, welche schlimmen Dinge mir an diesem Abend widerfahren würden. Als Jürgen mir die Tür öffnete, strahlte er mich an und nannte mich mein Goldstück und stellte mich seinen fünf Freunden vor, die mich gierig sabbernd anschauten. Nur an einen kann ich mich eigentlich außer dem Jürgen noch erinnern, er hieß Hans-Georg, wurde von den anderen Schorschi genannt und war bestimmt einige Jahre älter als die anderen, jedoch nicht mein Typ. Er hatte eine Spiegelglatze wie Jürgen und war schon ziemlich alkoholisiert. Wir tranken einiges und ich weiß nur noch, dass ich irgendwann müde wurde und Jürgen mich aufforderte mich ins Schlafzimmer kurz hinzulegen. Als ich wiedererwachte, war ich gefesselt und geknebelt. Meine Beine hingen an irgendeiner fiesen Vorrichtung an der Decke, sodass ich mich fühlte wie ein gespreiztes Brathähnchen. Meine Eier waren straff abgebunden. In meinem Schwanz steckte ein Metallstab und dieser war mit einem Kabel verbunden. Als dann die Nadeln kamen und sich in meine Nippel bohrten, versuchte ich zu schreien, doch der Knebel verhinderte dies und heraus kam nur ein müdes Stöhnen.

Nun sah Jürgen gar nicht mehr so nett aus, und die anderen Kerle grinsten sich zu und geilten sich an meinem Schmerz auf. Nur kurz sah ich diese Männer und bekam danach eine Augenmaske umgebunden, sodass ich auch nichts mehr sehen konnte.

„Mein Goldstück ist also wach“, pustete er mir mit alkoholgeschwängertem Atem ins Ohr. „Nur keine Sorge, Kleiner, wir wollen etwas Spaß mit dir haben, ich denke, dass es dir gefallen wird. Ich rate dir stillzuhalten und zu genießen, dann passiert dir auch nichts weiter.“

„Jürgen bitte“, flüsterte ich durch den Knebel hindurch, aber gleichzeitig ahnte ich, dass ich ihm einmal zu viel vertraut hatte.

Die folgenden drei Stunden waren die Hölle, die Kerle fickten mich um die Wette, wobei einer, den sie den Schorschi nannten, einen Riesenpimmel haben musste, denn ich fühlte Blut an meiner Rosette herunterlaufen. Lutschen musste ich ebenfalls und sie stießen so heftig rein, dass ich kaum Luft bekam und der Sabber und Speichel dabei an mir herunter tropfte. Zwischendurch schaltete einer den Strom ein, der durch meinen Schwanz zuckte und mich zum Aufbäumen brachte. Ich fühlte mich mies, benutzt und schäbig. Unwillkürlich und ohne, dass ich eine Chance hatte, diese aufzuhalten, liefen mir Tränen über die Wangen. Angst und Panik übermannten mich. Würde ich dies überleben?

Ich fühlte mich elendig, irgendwann versiegten meine Tränen und ich ertrug nur noch und hoffte inständig, dass es bald zu Ende wäre. Meine Nippel wurden regelmäßig malträtiert und der Strom in meinem Schwanz trug natürlich auch dazu bei, dass ich dreimal hintereinander einen Abgang bekam, der mich zum Schluss fast ohnmächtig werden ließ. „Mehr, mehr, lass ihn leiden“, hörte ich die Kerle vor Geilheit geifern.

Irgendwann hatten sie wohl genug, hatten ausreichend abgespritzt, ließen von mir ab, ich hörte Geldscheingeraschel und Dankeswünsche an Jürgen, sowie Türen klappern. Nach langer Wartezeit schnallte er meine Beine ab, zog die Nadeln langsam heraus, betupfte sie mit irgendeiner Alkoholflüssigkeit, dass es fürchterlich brannte, zog mir mit einem Ruck den Metallstab aus dem Schwanz, was mich zum Aufbäumen brachte und die Augenklappe wegrutschte.

Ich brüllte.

Ich schrie.

Jürgen aber saß über mir und sah mich fies grinsend an. „Nur ein Wort nach draußen und dir wird der heutige Abend wie ein Spaß vorkommen“, sagte er. Danach entfernte er mir den Knebel und die anderen Fesseln.

Es war zu Ende.

Ich hatte diese Tortur überstanden.

„Zieh dich an, nimm dir zwei Grüne als Lohn und verschwinde.“

Mühsam stand ich auf, konnte mich kaum auf den Beinen halten, nahm meine Sachen und zog mich im Bad an. Auf dem Tisch lagen mindestens ein halbes Dutzend 100 Euro Scheine und auch ein 200er Schein. Ich hätte diese Scheine ihm ins Gesicht werfen sollen, doch ich nahm mir zwei Scheine weg und schaute in Jürgens fieses Gesicht. „Dachte ich es mir doch, du Schlampe, dass du dir das Geld nimmst. Sag Bescheid, wenn du wieder was brauchst, habe stets Verwendung für Kerle wie dich.“

Angeekelt, aber glücklich, dass ich gehen durfte, fuhr ich mit dem Aufzug hinunter, nahm mein Fahrrad, aber schob es neben mir her, denn aufsitzen konnte ich nicht, selbst das Laufen fiel mir schwer, aber ich musste irgendwie nach Ording zurückkommen. So lief ich im Mondschein am Deich langsam Schritt für Schritt, die erlebten Aktionen spürend, entlang und wünschte mir, irgendwo ganz weit weg zu sein. Ich war gedemütigt, entehrt und vergewaltigt worden, aber ich hatte auch das Geld genommen.

Als ich zwei Stunden später völlig erschöpft an meinem Wohnmobil ankam, wurde es langsam Tag. Mein Arsch tat höllisch weh aber ich versuchte diesen Schmerz zu unterdrücken. Meine Beine spürte ich kaum noch. Meine Nippel brannten wie Feuer und ich traute mich nicht zu pissen. Ich dachte nicht weiter nach, schaffte es irgendwie mein Wohnmobil startklar zu machen und fuhr Richtung meiner Heimatstadt nach Brandenburg. Am Ortsausgang von Ording tankte ich den Bus voll und bezahlte mit dem Schein aus dem Strichergeld. Als ich in Heide auf die Autobahn fahren wollte, machte ich kurz entschlossen nochmals an einer Tankstelle Pause und wechselte den zweiten Schein. Nun ging es mir etwas besser. In Hamburg fuhr ich auf den Wohnmobilhafen kurz vor Horn und ruhte mich dort zwei Tage aus. Mein Handy hatte ich ausgeschaltet. Ich wollte nie mehr hier nach St.-Peter-Ording zurückkehren.

4. Kapitel – Heimkehr

Als ich meinen Bus bei Tom vor dem Haus abstellte und die letzten Meter zu Fuß zu meinen Eltern schlich, fragten sie mich nach meiner Ankunft natürlich sofort aus, was denn vorgefallen wäre, denn Tante Anke hatte Alarm geschlagen, als sie mich am nächsten Morgen nicht mehr fand und mein Wohnmobil weg war. Allerdings erzählte ich ihnen nicht die Wahrheit, sondern tischte ihnen irgendeine Geschichte auf, an die ich mich nicht mehr erinnere. Jedenfalls glaubten mir alle und ich versuchte mich in den nächsten Tagen zu regenerieren. Bei Tom konnte ich mein Wohnmobil auf dem Hof stehen lassen und er versprach mir eine kostenlose Durchsicht.

In den folgenden Wochen nahmen wir die Proben wieder auf und so vergingen die Tage, welche ich äußerst inaktiv, meist auf dem Bett lümmelnd, verbrachte. Frank hatte für uns im TwoFlowers für die Adventszeit und auch über Silvester einige Auftritte gebucht. Meine Mutter freute sich, ihr einziges Kind wieder bemuttern zu können, nur Vater brabbelte manchmal was, von „wie-lange-willste-uns-noch-auf-der-Tasche-liegen“.

Dabei hatte ich mir vom Trinkgeld bei Tantchen einiges zurückbehalten, sodass ich nur Frühstück und Mittag bei den Eltern bunkerte. Abends saßen Tom, Frank und ich oft beisammen, probten im Schuppen bei Tom und entwarfen neue Songs. Dabei entpuppte sich besonders Frank als guter Übersetzer und nun bestand unser Programm fast völlig aus gecoverten englischsprachigen Songs, die ich auf Deutsch sang. Im Second-Hand-Laden unserer Stadt erstand ich sogar bei einem Bummel mit Frank und seiner Freundin einen cremefarbenen Anzug mit Glitzersteinchen sowie ein flaschengrünes Hemd. Frank meinte, dass die Farbe wunderschön zu meinen grünen Augen passen würde und sah mich so was von an, dass ich den Scherz erst nicht begriff, sondern völlig platt zurück schmachtete. Man war mir das nachher peinlich. Nur Birgit, seine Frau meinte es wohl ehrlich und zwinkerte mir zu. Was sollte denn das bedeuten?

Den Gedanken an SPO versuchte ich bewusst zu verdrängen, doch als im Internet eine Nachricht verbreitet wurde, dass ein gewisser Jürgen Wiesner von einem Stricher mit einem Küchenmesser erstochen wurde, kam alles wieder hoch.

Nein, ich würde bei der Polizei keine Aussage dazu machen.

Und nein, es sollte auch keiner erfahren, mit welcher Blauäugigkeit ich in diesen Tagen in diese Kreise geriet. So langsam kamen Bilder von meinem Eisbären zurück in den Kopf, den ich ebenfalls lange verdrängt hatte. Er dürfte dies nie erfahren, falls ich ihn noch mal wiedersehen würde. Sicher, er wollte nichts mehr von mir wissen, also hatte ich dies zu akzeptieren, aber ich dachte an Fietes Worte, die mir ein Wiedersehen prophezeit hatten. Und manchmal abends in meinem Bett, in dem ich schon zu Kinderzeiten schlief, erinnerte ich mich an seinen weißen Bart, das kurz geschnittene Haar, diesen wunderbaren Mund, den ich nie richtig küssen durfte und an dieses Aftershave, das so nach Zedernholz und einem sonnigen Tag roch.

Seit der Vergewaltigung hatte ich jegliches Interesse an Sex verloren, auch bei mir selbst Hand anzulegen machte mir Angst, weil ich ständig daran denken musste, wie ich unter Schmerzen und Strom regelrecht zwangsgemolken wurde. Die Schmerzen beim Wasserlassen hielten noch einige Tage an, waren dann aber nicht mehr spürbar. Nur der seelische Schmerz wollte nicht vergehen und so manches Mal nach den Proben lief ich durch die Stadt mit meiner Gitarre, setzte mich einfach irgendwo an eine Stelle, wo es keinen stören würde, wenn ich einfach vor mich hin improvisierte. Ab und zu ging ich ins Stadtcenter um in einer Parfümerie nach Roberts Aftershave zu suchen, doch ich fand es nicht wieder. Jedenfalls konnte es kein Duft sein, den man derzeit irgendwo erwerben konnte.