Rendezvous am Silbermoor - Tina Feuerbach - E-Book

Rendezvous am Silbermoor E-Book

Tina Feuerbach

2,3

Beschreibung

82 Seiten dramatische Handlungsverläufe, große Emotionen und der Wunsch nach Liebe und familiärer Geborgenheit bestimmen die Geschichten der ERIKA-Reihe - authentisch präsentiert, unverfälscht und ungekürzt! Norbert von Pletten schaute auf die Uhr, während er wieder in den vierten Gang schaltete. Wie ein silbernes Band lag die Landstraße vor ihnen, und die Bäume flogen wie huschende Schatten in dem gleißenden Sonnenlicht an ihnen vorüber. »Es ist gleich zwölf Uhr«, sagte Norbert. »Wann fährt dein Zug?« Ein rascher Blick streifte das blonde Mädchen mit dem zarten Profil, das neben ihm im Wagen saß. Ihr langes helles Haar, das sonst in lockeren Wellen bis fast auf die Schultern fiel, flatterte jetzt lustig im Wind der raschen Fahrt. Wenn sich eine Strähne über die Augen legte, pustete sie dagegen und warf lachend den Kopf zurück. Sie sieht aus wie ein Kind, dachte Norbert, und obwohl seine Aufmerksamkeit dem Fahren galt, nahm er doch Beates leicht geöffneten Mund und die zart geröteten Wangen mit leiser Bewunderung wahr. Wer sie nicht kennt, würde niemals glauben, daß dieses unbeschwert heitere Mädchen so energisch und ehrgeizig sein kann. Eine gute Mischung für die künftige Herrin auf dem Plettenschen Besitztum! »Wir haben noch genug Zeit«, unterbrach ihre helle klingende Stimme seine Betrachtungen. »Der Zug fährt erst zwölf Uhr zwanzig, und du brauchst uns also nicht in den Tod zu fahren!« mahnte sie lachend und legte leicht ihre Hand auf seinen rechten Arm. Doch ohne das Tempo zu verlangsamen, fuhr Norbert von Pletten über die staubige Landstraße, bis in der Ferne das Bahnhofsgebäude vor ihnen auftauchte. Staubwolken wirbelten auf, als der blaue Sportwagen durch die flirrende Hitze dieses Maitages raste. Doch durch das geöffnete Verdeck spürten Norbert und Beate

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Erika Roman – 4–

Rendezvous am Silbermoor

Tina Feuerbach

Norbert von Pletten schaute auf die Uhr, während er wieder in den vierten Gang schaltete. Wie ein silbernes Band lag die Landstraße vor ihnen, und die Bäume flogen wie huschende Schatten in dem gleißenden Sonnenlicht an ihnen vorüber.

»Es ist gleich zwölf Uhr«, sagte Norbert. »Wann fährt dein Zug?« Ein rascher Blick streifte das blonde Mädchen mit dem zarten Profil, das neben ihm im Wagen saß. Ihr langes helles Haar, das sonst in lockeren Wellen bis fast auf die Schultern fiel, flatterte jetzt lustig im Wind der raschen Fahrt. Wenn sich eine Strähne über die Augen legte, pustete sie dagegen und warf lachend den Kopf zurück.

Sie sieht aus wie ein Kind, dachte Norbert, und obwohl seine Aufmerksamkeit dem Fahren galt, nahm er doch Beates leicht geöffneten Mund und die zart geröteten Wangen mit leiser Bewunderung wahr. Wer sie nicht kennt, würde niemals glauben, daß dieses unbeschwert heitere Mädchen so energisch und ehrgeizig sein kann. Eine gute Mischung für die künftige Herrin auf dem Plettenschen Besitztum!

»Wir haben noch genug Zeit«, unterbrach ihre helle klingende Stimme seine Betrachtungen. »Der Zug fährt erst zwölf Uhr zwanzig, und du brauchst uns also nicht in den Tod zu fahren!« mahnte sie lachend und legte leicht ihre Hand auf seinen rechten Arm.

Doch ohne das Tempo zu verlangsamen, fuhr Norbert von Pletten über die staubige Landstraße, bis in der Ferne das Bahnhofsgebäude vor ihnen auftauchte. Staubwolken wirbelten auf, als der blaue Sportwagen durch die flirrende Hitze dieses Maitages raste. Doch durch das geöffnete Verdeck spürten Norbert und Beate nicht die drückende Wärme. Erst als der Wagen vor dem Bahnhofsgebäude hielt, und Norbert Beate beim Aussteigen behilflich war, wurde ihnen beiden die lastende Schwüle bewußt.

»Ziemlich heiß«, seufzte Beate und fächelte sich mit einem dünnen Batisttüchlein Kühlung zu, während Norbert ihren Koffer aus dem Gepäckraum nahm.

Ich liebe ihn, dachte sie, als sie seine breite, kraftvolle und doch schlanke Gestalt beobachtete. Mein Mann! stellte sie in kindlicher Besitzerfreude fest, um sofort über sich selbst zu lächeln, denn ihre Träume waren wieder einmal mit ihr davongeeilt.

»Hoffentlich ist im Zug die Hitze nicht so arg«, meinte Norbert und legte seinen Arm um ihre Schulter, während sie auf den Bahnsteig gingen.

»Da kommt ja schon das Bimmelbähnchen!« rief Beate munter aus. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab Norbert rasch einen Kuß auf die Wange. Sie war groß und schlank, aber neben der hünenhaften Gestalt des jungen Mannes wirkte ihre biegsame Figur kleiner und schmaler als sie eigentlich war.

»Nun kommt wieder einmal der schreckliche Trennungsschmerz«, sagte sie mit einem Anflug von zärtlichem Spott, während sie gleichzeitig dachte: Warum sage ich das eigentlich so ironisch, ich bin doch wirklich traurig, daß ich jetzt wieder von ihm wegfahre, oder rede ich mir das nur ein? »Wie lange sehen wir uns nicht?« fragte sie ihn.

»Ich denke, daß ich in zwei oder drei Wochen mal einen kurzen Abstecher in die Stadt machen kann, um dich zu besuchen. Ist’s recht?« Er hob ihr Kinn ein wenig empor. »Ich glaube, du freust dich schon wieder auf die Stadt nach vier Wochen Landluft, stimmt’s?« Er schaute forschend in ihr lachendes Gesicht, aus dem sofort das Lächeln verschwand.

»Aber Norbert«, wehrte sie fast ein wenig erschrocken ab, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Es war sehr schön bei euch, aber natürlich freue ich mich auch wieder auf meine Schwester und auf zu Hause!«

»Zu Hause?« Er dehnte das Wort bedeutsam. »Ich wollte, du fühltest dich bei uns schon richtig zu Hause, mein Lieb! Es soll ja schließlich bald deine Heimat werden!«

»Ach, Norbert, bis zum Herbst ist noch so lange Zeit!« Beate lachte unbekümmert auf. »Und bis dahin muß ich das betriebsame Stadtleben noch richtig genießen, bis ich mich dann in die Einsamkeit der Natur zurückziehe!« Sie sagte es heiter, mit zärtlichen Augen, doch Norbert spürte einen leisen, schmerzhaften Stich bei ihren Worten.

»Beate, ich fürchte, du nimmst diese Dinge zu sehr auf die leichte Schulter«, warnte er. »Eine Ehe ist kein Kinderspiel! Du mußt genau wissen, was du tust, denn ich will, daß du glücklich wirst.« Seine Stimme klang warm und eindringlich, und der Blick seiner blaugrauen Augen suchte den ihren.

»Mach dir keine Sorgen, Norbert«, sagte sie leise und drückte fest seinen Arm. »Ich liebe dich, das mußt du immer wissen, und darum werde ich alles für dich tun, auch das, was mir schwerfällt!« Und nun lächelte sie zu ihm auf und lehnte sich für einen Augenblick zärtlich an ihn. Warme Freude pulste in ihm hoch, als er sie fester an sich zog. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und preßte ihre Wange an die seine. »Leb wohl, Liebling«, flüsterte sie, »und vergiß mich nicht!«

Er küßte zart ihre kühlen, weichen Lippen und gab sie dann frei. »Leb wohl, Beate, leb wohl, mein Schatz!«

»Bis bald, Norbert!« sagte sie, als der Zugschaffner die letzte Tür geschlossen hatte und das Abfahrtssignal gab. Als der Zug langsam anrollte, warf sie ihm eine Kußhand zu und schwenkte ein winziges Nichts von einem Tüchlein. Ein zarter Hauch ihres Parfüms wehte noch einmal zu Norbert hin, dann entschwand sie bald darauf seinen Blicken.

Gedankenvoll verließ er den Bahnsteig. Er fühlte eine eigentümliche Leere in sich und schob dies auf Beates Abreise. Hatte er sich schon so an sie gewöhnt, daß er sich jetzt einsam und verlassen vorkam? Oder lag es daran, daß sie vier Wochen lang das große, ein wenig kühle Haus der Plettens mit ihrer lebendigen, sprudelnden Gegenwart erfüllt hatte und ihn von morgens bis abends in Anspruch genommen hatte? War ihr mädchenhaft kühler Zauber, der sich bis zum überschäumenden Temperament steigern konnte und doch noch immer eine letzte Distanz zwischen ihnen ließ, diesmal besonders stark gewesen?

Als er aus dem Stationsgebäude in die glühende Sonnenhitze des späten Mittags trat, spürte er brennenden Durst und beschloß, im Gasthaus – dem einzigen im Dorf – ein Glas Bier zu trinken.

Anton Mirbach, der schon in dritter Generation das Gasthaus »Zur Sonne« betrieb, stand hinter der Theke. Er grüßte freundlich erstaunt, als er Norbert hereinkommen sah, denn Norbert war ein seltener Gast bei ihm.

»Ein Bier bitte, Herr Mirbach«, sagte er, als er plötzlich einen heftigen Schlag auf seine Schulter spürte.

»Norbert, alter Junge – ist das eine Überraschung!« rief eine laute und fröhliche Männerstimme aus, und als Norbert sich umwandte, brach er in die gleichen Überraschungsrufe aus wie der kleine vierschrötige Mann, der braungebrannt und stämmig vor ihm stand.

»Hans Rettmann! Genosse aller meiner schlechten Streiche meiner Jugend – sei willkommen wieder daheim!« Und Norbert schlug ihm ebenfalls kräftig auf die Schulter. »Seit wann bist du denn wieder im Lande?«

»Eben gekommen«, erklärte Hans Rettmann lachend, »habe mich gerade hier einlogiert, dieweil ja das Haus meiner Väter für den ungeratenen Sohn verriegelt und versperrt ist!« Sein Lachen wurde noch breiter. Auf Norberts erstaunten Blick fügte er hinzu: »Nein, im Ernst! Mutter hat damals das Haus verkauft, um mir das Studium zu ermöglichen, und nach ihrem Tod sind eben fremde Leute hineingezogen.«

»Also gehört dir das Haus gar nicht mehr?« fragte Norbert, und als Hans Rettmann den Kopf schüttelte, fuhr er sogleich fort: »Hans, alter Freund, dann wohnst du doch selbstverständlich bei uns! Das wäre ja noch schöner, wenn du hier nicht mal ein richtiges Zuhause hättest!« Als Rettmann sich sträubte, wischte Norbert dessen Einwände mit einer bestimmten Handbewegung weg und sagte zu Anton Mirbach: »Seien Sie nicht böse, Herr Mirbach, daß ich Ihnen den Logiergast entführe – wir werden Sie anderweitig entschädigen, nicht wahr?«

Er blinzelte Hans zu, der ihm sofort beipflichtete.

»Dann gib mal gleich dein ganzes Gepäck her, ich habe den Wagen draußen, und dann auf nach Plettenhof!«

»Ich habe nur einen großen Koffer bei mir, der Rest kommt nach«, erklärte Hans und wies auf den Koffer, der noch unten in der Gaststube stand.

»Na, wunderbar, dann wollen wir gleich losfahren!« Norbert zahlte und ging danach mit Hans Rettmann zum Wagen hinaus. »Du mußt mir viel erzählen«, sagte Norbert, als er den Motor anließ. »Du Faulpelz hast ja nie geschrieben, und alles, was ich über dich erfahren habe, weiß ich nur vom Hörensagen!«

»Also hat man über mich getratscht?« Hans Rettmann grinste breit. »Das liebe alte Dorf – offenbar hat sich nicht viel verändert?« Er blickte Norbert von der Seite an.

Norbert schüttelte lachend den Kopf.

»Aber ich glaube, du hast auch eine Menge zu berichten.« Rettmann blinzelte listig. »Ich habe dich heute nämlich bereits auf dem Bahnhof gesehen, du warst sozusagen der erste, über den ich in der alten Heimat fiel. Aber just in dem Moment, als ich aus dem Zug stieg, küßtest du eine bildschöne blonde Dame. Und so steckte ich als schüchterner Mensch sofort mein Vorhaben zurück, dir spontan in überschwenglicher Wiedersehensfreude um den Hals zu fallen!«

»Was – du bist mit dem Zug um zwölf Uhr zwanzig hier angekommen?« meinte Norbert überrascht. »Wieso habe ich dich denn nicht gesehen, als du ausstiegst? Der Bahnhof ist doch wirklich nicht groß!«

»Weil deine ungeteilte Aufmerksamkeit der blonden Schönheit galt, mein Freund«, erwiderte Rettmann mit lustiger Herausforderung. »Und nun erzähl schon! Merkst du denn nicht, daß ich bald vor Neugier platze, wer besagte Dame war? Du kennst doch meine Schwäche für das schöne weibliche Geschlecht!«

»Du bist unverbesserlich – wie eh und je!« stellte Norbert fest. »Aber da ist nichts zu machen, alter Junge, die Dame ist bereits vergeben!«

»Wahrscheinlich an dich, hab ich recht geraten?«

»Du hast’s getroffen!« gab Norbert zu.

»War ja auch nicht schwer, wenn man euch zusammen gesehen hat! Aber ich finde, du hast ein unwahrscheinliches Glück gehabt, solch ein Weib zu erringen!« meinte Hans anerkennend. »Ich gestehe, daß ich einfach neidisch bin, jawohl – schließlich hast du soviel Schönheit gar nicht verdient! Ich wäre doch bestimmt ein viel besserer Partner für die bildhübsche junge Dame, meinst du nicht?« Sein Grinsen wurde noch breiter, und seine Augen sprühten lustige Funken. »Also: Wer ist es? Wenn ich nicht denken müßte, daß es eine sentimentale Aufwallung der Wiedersehensfreude ist, würde ich sagen, sie hat eine markante Ähnlichkeit mit der großen Liebe meiner Jugendjahre! Gott, wie lang ist das her!« Er seufzte in komischer Verzweiflung tief auf, und Norbert mußte lachen.

»Na, weißt du, mein Lieber, so alt sind wir ja nun wirklich noch nicht!« wehrte er ab. »Aber wahrscheinlich hast du in der Zwischenzeit so viel erlebt, daß du dir um Jahrzehnte gealtert vorkommst!« meldete er dem Freund. »Doch nun will ich deine Neugierde befriedigen: Die Da­me, mit der du mich am Bahnhof gesehen hast, ist meine Verlobte und wird im Herbst auf dem Plettenhof als meine Frau einziehen!« Er sagte es fast stolz, und Hans Rettmann dachte nach einem kurzen Seitenblick auf den Freund, er scheint sehr glücklich zu sein!

»Sie sah aus wie Beate Barentin«, sagte Rettmann, und für einen Moment waren seine Augen ungewöhnlich ernst.

Doch Norbert bemerkte es nicht, sondern fiel lebhaft ein: »Sie ist es, Hans, sie ist es! Du hast sie also gleich wiedererkannt?«

»Ich war mir nicht sicher – aber die Ähnlichkeit…« Gedankenvoll zündete sich Rettmann eine Zigarette an. »Wußtest du, daß es Beate war, in die ich mich unsterblich verliebt hatte, ehe ich von hier wegging?«

»Hans, ist das möglich?« rief Norbert erstaunt aus. »Ich hatte keine Ahnung! Du hast mir nie ein Wort davon erzählt!«

»Nein, das ließ mein Ehrgefühl nicht zu!« Und nun schmunzelte Rettmann wieder in Erinnerung an die vergangenen Jahre. »Es war im letzten Sommer meines Hierseins. Beate verlebte wieder einmal ihre Ferien bei euch. Ich fand, daß sie nun mit fünfzehn Jahren alt genug war, um meine Liebe zu ihr zu erfahren, und versuchte, ihr einen schüchternen Kuß auf die Wange zu geben. Doch ihre einzige Erwiderung war eine schallende Ohrfeige! Ich wurde sehr verlegen und habe bestimmt einen knallroten Kopf bekommen, dann rannte ich einfach weg. Das war mein Erlebnis mit Beate Barentin.« Er verzog das Gesicht in komischer Verzweiflung. »Du siehst, ich habe in dieser Geschichte keine sehr glanzvolle Rolle gespielt!«

»Das sieht dir aber gar nicht ähnlich«, verwunderte sich Norbert. »Du hast dich doch sonst nicht so schnell geschlagen gegeben!«

»Vielleicht kam es daher, weil ich bis über beide Ohren in Beate verliebt war und eine Niederlage einfach nicht ertragen konnte. Es dauerte auch eine ganze Weile, ehe ich von ihr innerlich loskam, aber ich habe mir immer gesagt, daß es natürlich grotesk gewesen wäre, wenn sich ein so zauberhaftes Geschöpf wie Beate für einen derartig häßlichen Vogel wie mich interessierte!«

»Red keinen Quatsch«, fuhr Norbert ihn freundschaftlich-energisch an. »Was hat Sympathie schließlich mit äußeren Dingen zu tun! Aber eine Frage, Hans: Bist du nun mit dieser alten Geschichte wirklich fertig?« Er schaute den Freund forschend an.

»Mach dir keine Sorgen, Norbert, daß ich dir deine Braut abspenstig machen könnte!« lachte Rettmann. »Die Ohrfeige war zwar eine sehr schmerzhafte, aber immerhin recht heilsame Lehre für mich, und ich habe nie mehr meine Hand nach Dingen ausgestreckt, die in unerreichbarer Ferne für mich lagen, sondern ich habe mich immer mehr an die Realitäten gehalten.«

»Und du bist damit glücklich geworden?«

»Was heißt schon glücklich? Ich bin zufrieden, und das ist, glaube ich, viel wert. Aber du, alter Freund, du bist wirklich glücklich, nicht wahr? Man sieht’s dir förmlich an!«

»Ich glaube, ich muß wohl glücklich sein«, lächelte Norbert, »obwohl man sich selbst dessen gar nicht immer bewußt ist.«

»Nun mach aber mal einen Punkt!« ereiferte sich Rettmann. »Du erbst den schönsten und größten alten Besitz weit und breit, bekommst eine Frau, um die jeder dich beneiden würde – und du weißt nicht, ob du glücklich bist!« Mit einer lebhaften Bewegung warf er die Zigarette aus dem Wagenfenster.

»Der schöne alte Besitz, den du so bewunderst, wird nur mit sehr viel Mühe und unseren letzten Geldreserven erhalten, und die Frau, um die du mich beneidest, nun, ich mag Beate sehr, sehr gern, aber sie ist ein ausgesprochener Stadtmensch, und es ist nicht so leicht mit ihr auszukommen, wie du denkst. Sie versteht nämlich so gut wie nichts von der Landwirtschaft und interessiert sich auch nicht dafür.«

»Aber ihr liebt euch doch«, bemerkte Hans fast heftig, »und dagegen ist alles andere doch unwichtig. Warum würdest du sie denn sonst heiraten?«

»Ja – wir lieben uns«, sagte Norbert, und Hans Rettmann wußte nicht, ob der Freund mit der Antwort gezögert hatte, oder ob es sich nur so anhörte, weil er gerade in eine Kurve einbog, in der ihm ein anderer Wagen entgegenkam und Norbert sich ganz auf das Fahren konzentrierte. »Aber unsere Heirat hat eigentlich einen anderen Grund.« Norbert schwieg für einen Augenblick, und Hans hätte gern mehr darüber gehört, aber eben fuhr der Wagen in die Auffahrt zum Plettenhof, und Norbert schloß das Gespräch ab mit den Worten: »Ich erzählte dir später alles ausführlich.«

Ein wenig nachdenklich ging Rettmann neben der hohen Gestalt seines Freundes die breiten Steintreppen zum Herrenhaus der Plettens empor. Er spürte einen leisen Vorbehalt, als Norbert über Beate gesprochen hatte. Was verbarg der Freund vor ihm?

In der großen getäfelten Halle empfing sie angenehme Kühle, die nach der dumpfen Hitze sehr wohltat. Tyko, der Schäferhund, kam Norbert schwanzwedelnd entgegen, und nach einer kurzen, freudigen Begrüßung beschnüffelte er argwöhnisch den Neu­ankömmling.

Wilhelm, das Faktotum des Hauses, der bei den Plettens alt geworden war, hatte Norberts Wagen gehört und fragte nach seinen Wünschen.

»Wir haben Besuch bekommen, Wilhelm. Sie kennen Doktor Rettmann sicher noch, nicht wahr?« Wilhelm machte eine etwas steife Verbeugung und strahlte über das ganze Gesicht, als Rettmann ihn begrüßte. »Sagen Sie Frau Böttcher Bescheid, daß sie das große Gastzimmer im Westflügel richten soll, und bringen Sie einstweilen das Gepäck hinauf.« Dann wandte Norbert sich an den Freund. »Sicher willst du dich ein wenig frisch machen. Komm mit zu mir, bis dein Zimmer vorbereitet ist, und dann werden wir erst mal einen Drink nehmen.«

Wenig später saßen sie sich in der Bibliothek gegenüber, und Rettmann erzählte von seinem Studium und den folgenden Jahren in Texas und New Mexico, wo er in einem aufregenden, ungebundenen Leben als Tierarzt reiche und wechselvolle Erfahrungen gesammelt hatte.

»Aber nun habe ich so viel von mir berichtet«, unterbrach sich Rettmann plötzlich. »Jetzt will ich auch von dir mal etwas hö­ren!« Er ließ sein Feuerzeug aufschnappen, beugte sich vor und hielt es dem Freund hin, der sich gerade eine Zigarette genommen hatte.

»Von mir ist nicht viel zu sagen.« Norbert machte eine fragende Handbewegung. »Wir Leute auf dem Lande führen halt ein langweiliges Leben, verglichen mit so bunten Schicksalen wie dem deinen! Von morgens bis spät Arbeit, gelegentlich Hausbesuch und Gäste, mal Einladungen und als Krone aller Vergnügungen ein rascher Besuch in der Stadt bei Beate.«

Er schwieg, und Hans Rettmann spürte, daß er jetzt nicht in den Freund dringen durfte, um mehr über Beate zu erfahren Er sah, daß Norberts schmales Gesicht ein wenig angespannt war und daß dessen Blick an ihm vorbeiging und zu dem großen Bild wanderte, das neben dem Kamin hing. Gertrude von Pletten! dachte Rettmann, und sofort wurde die Erinnerung an Norberts Mutter in ihm wieder wach, an die zarte, schöne Frau, die wie ein feenhaftes Wesen mit unendlicher Güte auf dem Plettenschen Hof geherrscht hatte. Ihrer Anmut und ihrem Charme beugte sich jeder, und selbst Arnulf von Pletten, der mit eiserner Strenge und einem unbeugsamen Willen regierte, war machtlos gegenüber der zärtlichen Sanftmut seiner über alles geliebten Frau.

Wie ähnlich er ihr sieht, dachte Hans Rettmann, als er die ebenmäßigen Züge des Frauenantlitzes auf dem Gemälde mit Norberts edelgeschnittenem, kraftvollem Gesicht verglich. Was bei Gertrude von Pletten vornehme Anmut war, fand sich in Norbert als edle Männlichkeit und stolze Kraft wieder.

»Du hast mich vorhin gefragt, warum ich Beate heirate«, nahm Norbert nun den Faden des Gesprächs wieder auf. »Das ist nicht so leicht zu beantworten, und ich will gegen dich ganz ehrlich sein. Beate ist gewissermaßen ein Vermächtnis von Mutter.« Und als Hans ihn verständnislos ansah, fuhr er fort: »Du weißt, daß Beates Mutter, die eine Kusine meiner Mutter war, früh starb, und Mutter nahm sich als Patin sehr herzlich der kleinen Beate an. Schließlich liebte sie Beate wie ein eigenes Kind. Beate hat viele Wochen ihrer Kindheit und Jugendzeit hier bei uns verlebt, und es waren immer sehr schöne Zeiten. Auch ich habe diese Wochen ihres Hierseins genossen, denn immer gab es Fröhlichkeit und Leben um sie herum. Und so kam es, daß Mutter als letzten Wunsch auf ihrem Sterbebett äußerte, wir beide sollten heiraten. Vater, völlig willenlos in seinem Schmerz, versprach es ihr, und ich versprach es ihr auch, denn ich mochte Beate immer sehr gern und stellte es mir damals sehr schön vor, mit ihr verheiratet zu sein.«

»Damals?« fragte Hans Rettmann aufmerksam. »Was willst du damit sagen?«

Norbert wandte den Blick von dem Bild seiner Mutter ab und sah den Freund mit einem feinen Lächeln an. »Du brauchst gar nicht so argwöhnisch zu fragen, Hans!« stellte er fest, doch die wasserhellen Augen des Freundes blieben forschend auf ihn gerichtet.

»Ich war damals noch sehr jung, Anfang Zwanzig, und ich glaube, ich war blind in Beate verschossen, und darum gab ich Mutter nur zu gern das Versprechen, meine Kusine zu heiraten, wenn sie alt genug wäre. Damals war sie ein verspieltes, lebhaftes junges Mädchen, nur wenig reifer als zu der Zeit, die du mit uns zusammen verlebt hast. In den folgenden Jahren erst lernte ich sie richtig kennen, und aus der schwärmerischen Verliebtheit wurde eine wunderbare Freundschaft und Kameradschaft, was nicht aus­schließt, daß ich auch heute noch in Beate verliebt bin. Aber heute kenne ich auch ihre Fehler und weiß, daß eine Ehe mit ihr nicht so einfach sein wird, wie ich es mir damals vorgestellt habe, als ich sozusagen Mutter mein Jawort gab.« Bei seinen letzten Worten flog ein belustigter Ausdruck über sein Gesicht.

»Trotzdem weiß ich nicht, warum du dann noch Vorbehalte hast«, warf Rettmann ein. »Gut, die Ehe ist also gestiftet worden, aber doch keinesfalls gegen euren Willen, oder wie steht Beate dazu? Darüber hast du nämlich noch gar nichts verraten, und es scheint mir eigentlich das Wichtigste zu sein!«

»Ich glaube, sie liebt mich wirklich, ich war ihre erste große Liebe, und dieses Gefühl hat bei ihr nicht nachgelassen. Aber meine Vorbehalte gehen in ganz andere Richtung. Später habe ich nämlich erfahren, daß meine kluge Mutter auch sehr materiell gedacht hat, als sie Beate für mich aussuchte, denn Beates beträchtliches Vermögen wird für unseren Besitz die sicherste Hilfe sein, um nicht früher oder später in Schwierigkeiten zu geraten. Und das hat Mutter mit einkalkuliert, obwohl sie nie darüber sprach. Ich habe nie gewußt, wie vermögend Beate ist, erst Vater hat mir später in einer Auseinandersetzung die Augen über die Hintergründe unserer Heirat geöffnet.«

»Und stört es dich, wenn deine Frau, die du ja liebst, außer ihrer Schönheit auch noch Geld hat?« Rettmann fragte es spöttisch, aber Norbert ging nicht auf seinen Ton ein.

»Aber verstehst du denn nicht, daß ich nicht von dem Geld meiner zukünftigen Frau abhängig sein will? Besonders, da Beate sich nur wenig für den Besitz und seine Erhaltung interessiert. Sie würde gar nichts von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten verstehen!«

»Norbert, alter Freund, ich will dir einen guten Rat geben: Du grübelst zuviel, du komplizierst die Dinge, die im Grund ganz einfach sind. Wenn Beate erst einmal hier lebt, wird sie bald mit allem vertraut werden. Das kannst du nach ein paar Wochen Ferien auf dem Plettenhof natürlich nicht erwarten.« Rettmann stand auf und durchmaß mit wenigen Schritten die Bibliothek. Vor dem Fenster blieb er stehen und blickte in den Garten hinaus. »Ich bin froh, daß es so ist, ich hatte irgendwie Schlimmeres erwartet.«

»Schlimmeres?« fragte Norbert zurück und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Wie meinst du das?«

»Ich weiß es nicht.« Er zuckte die Schultern. »Ich hatte so ein dummes Gefühl, als du vorhin mitten im Gespräch abbrachst. Aber nun bin ich beruhigt.« Er drehte sich um und kam auf Norbert zu. »Und ich finde, darauf sollten wir trinken!« Er hob das Glas und nickte dem Freund zu.

*

Norbert war auf den Schafkoppeln gewesen, um die Schur zu kontrollieren, die vor wenigen Tagen begonnen hatte. Wie er bis jetzt übersehen konnte, schien die Schafschur in diesem Jahr sehr ertragreich zu werden. Norbert war zufrieden. Gegen den erbitterten Widerstand seines Vaters hatte er vor einigen Jahren durchgesetzt, daß die Schafherde erheblich vergrößert wurde, und einige besonders gute Mutterschafe aus Australien eingeführt wurden. Die hohen zusätzlichen Kosten, die damals entstanden waren und die sein Vater unter keinen Umständen riskieren wollte, hatten sich inzwischen vielfach gelohnt.

Hanko, der schwarzgraue Hengst, Norberts Lieblingspferd, trug ihn an den Feldern und Wiesen vorbei, die hier noch zum Teil zu dem Plettenschen Besitz gehörten.

Unser Land! dachte Norbert und schaute über die Weite der hügeligen Landschaft. Tief atmete er die würzige Luft des späten Mainachmittags ein und fühlte aufs neue die Verbundenheit mit der lebendigen Natur.