Reversum: Verloren in der Zeit - Mirko Hübner - E-Book

Reversum: Verloren in der Zeit E-Book

Mirko Hübner

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dritter Teil des Auftaktes zur spannenden Zeitreise-Saga Ein im Asphalt versunkener Brückenpfeiler, sich durch eine Hauswand bohrende Äste, ein mit einer Hecke verwachsener Pkw – Nevens Reisen durchs Reversum fordern nun ihren Tribut. Immer mehr Objekte verschmelzen miteinander und drohen eine unkontrollierbare Kettenreaktion im gesamten Universum auszulösen. Die Welt versinkt in tödlichem Chaos und nur Neven kann es aufhalten. Dafür muss er erneut rückwärts durch die Zeit reisen und den Ursprung des Übels in der Vergangenheit auslöschen. Doch seine Mission wird zu einem Kampf gegen die Zeit selbst, als ihm in der Vergangenheit folgenschwere Entscheidungen bevorstehen. Verschollen in der Zeit muss Neven alles auf eine Karte setzen, um die drohende Zerstörung abzuwenden. Wird es ihm gelingen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Prolog
Kapitel 21
Kapitel 20
Kapitel 19
Kapitel 18
Kapitel 17
Kapitel 16
Kapitel 15
Kapitel 14
Kapitel 13
Kapitel 12
Kapitel 11
Kapitel 10
Kapitel 9
Kapitel 8
Kapitel 7
Kapitel 6
Kapitel 5
Kapitel 4
Kapitel 3
Kapitel 2
Kapitel 1
Epilog
Ausblick auf das nächste Buch

REVERSUM

Band 3: Verloren in der Zeit

von Mirko Hübner

Mirko Hübner

 

 

Band 3: Verloren in der Zeit

 

Roman

 

 

Copyright: © 2025 by Mirko Hübner (Selbstverlag)

 

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

 

1. Auflage, November 2025

 

Autor, Herausgeber, Layout:

Mirko Hübner

Gehrnstr. 50

71720 Oberstenfeld

Umschlaggestaltung: Nico Reimer, Mirko Hübner

ISBN: 978-3-910357-13-6

 

Besuchen Sie mich im Internet und bestellen Sie dort die Taschenbücher:

www.zeitreise-saga.de

 

Wie winzige Blutegel spüre ich die Angst in jeder Ader zucken. Die Dunkelheit, die mich umgibt, wird wohl nie mein Freund werden. Auf Zehenspitzen taste ich mich durch die endlose Schwärze, als wäre ich ein Eindringling in einer fremden Welt. Im Takt meines stampfenden Herzens hallen schnelle Schritte aus dem Nebenraum wider. Mein Atem stockt, mein Leib bebt. Synchron zu dem Motor in meiner Brust beschleunigt der Mann nebenan seine Schritte. Plötzlich ist es totenstill.

Nur ein Atemzug später wird die Stille durchbrochen, als ich mit dem Schienbein gegen ein Hindernis stoße. Mein Herz setzt aus. Ich halte die Luft an – o Gott, hoffentlich hat er mich nicht gehört! Wie festgefroren stehe ich im Raum. Schweiß perlt auf meiner Stirn. Die Sekunden ziehen sich endlos in die Länge, wie ein gespanntes Bungeeseil. Sekunden, in denen meine Gedanken wandern. Tief sinke ich in mich, wo Erinnerungen ihre Fäden spinnen. Bilder tauchen vor meinem geistigen Auge auf …

Ich sehe Amina, wie sie durch die Tür kommt und ihre langen, rabenschwarzen Haare durch die Luft wirbeln lässt. Sie tänzeln um ihr ebenmäßiges Gesicht, umrahmen ihre kastanienbraunen, verführerischen Augen, ihre kleine, süße Nase und die rotbraun bemalten, unwiderstehlich femininen Lippen. Die Halbafghanin ist eine der hübschesten Frauen, die ich je gesehen habe. Ein Prickeln durchfährt mich bei ihrem Anblick. Bis dahin habe ich nicht im Entferntesten an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, doch ich wurde eines Besseren belehrt.

Vor über zwei Jahren war dies geschehen. Damals war ich mit meinen Freunden Sarah und Ben Rahimi bei der Geburtstagsfeier eines Hamsters. Er gehörte Peter Kurz, einem Chemiestudenten auf Lebenszeit. Jener Tag war einer der glücklichsten meines Lebens. Wenn ich die über vier Wochen dazurechne, die für meinen Eroberungsfeldzug um meine Traumfrau notwendig waren, so kann ich stolz sagen: Amina Sattari und Neven Renner waren zwei Jahre lang das wohl glücklichste und beneidenswerteste Paar Frankfurts.

Inzwischen hat uns das Schicksal allerdings einige erbarmungslose Schläge versetzt. Alles begann damit, dass Ben mich in sein Labor rief, um mir seine wohl größte Erfindung zu zeigen: den Weltenteleporter, wie er die Maschine nannte. Er behauptete, damit in parallele Welten reisen zu können, von deren Existenz er überzeugt war. Tatsächlich entpuppte sich seine Erfindung jedoch als Zeitmaschine. Keine gewöhnliche, wie man sie aus unzähligen Zeitreisefilmen kennt, sondern eine, die einen rückwärts durch die Zeit führt. Während man selbst vorwärtsläuft, handelt, denkt und spricht, spielt sich alles andere um einen herum rückwärts ab. Ich nenne diese rückwärts laufende Welt Reversum.

Ben nutzte einen Trick, um mich mittels seines Teleporters drei Stunden in die Zukunft zu beamen. Dort erlebte ich auf seinem Holodeck eine simulierte, rückwärts ablaufende Atomexplosion. Überzeugt, dass dies real sei und ich in einem alternativen, rückwärts laufenden Universum gefangen wäre, versuchte ich verzweifelt, die Katastrophe zu verhindern und zurück in meine eigene Welt zu gelangen. Nach Ablauf der drei Stunden und einer atemlosen Verfolgungsjagd kehrte ich schließlich in Bens Labor zurück und erkannte mit Entsetzen, dass die rückwärts erlebte Welt in Wahrheit meine eigene war.

Zusätzlich täuschte Ben mich mit einer Simulation auf seinem Deck, die suggerierte, dass Amina eine Terroristin und für den Anschlag verantwortlich sei. In Wirklichkeit jedoch waren Ben und seine Frau Sarah mit einer terroristischen Gruppe im Bunde. Die Videoaufzeichnung der Simulation schien Amina als Terroristin zu überführen, weshalb die Antiterroreinheit sie festnahm und ins Gefängnis brachte. Doch Ben hatte nicht damit gerechnet, dass ich seinen Plan durchschauen würde, mit dem er von seinen kriminellen Machenschaften ablenken wollte.

Mein Vater David Renner, Leiter der EATA, der European Anti Terror Agency, ließ die Rahimis festnehmen, und Amina wurde freigelassen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Sie war als verdeckte Ermittlerin für meinen Vater tätig. Über Ben hoffte sie, an den Kopf der in Frankfurt ansässigen Terrorzelle heranzukommen. Dieser Mann war Victor Kleemann, Staatssekretär beim Bundesministerium für Verteidigung. Als glühender Verfechter des Einsatzes äußerster Gewalt gegen den Terrorismus hatte er sich mit der Waffenindustrie verbündet. Um einen Krieg mit dem Nahen Osten zu rechtfertigen, der die leeren Kassen der Waffenindustrie wieder füllen sollte, plante er, eine Atombombe im eigenen Land zu zünden.

Die Bombe ließ er von Ben bauen. Dieser allerdings hatte damit offensichtlich eigene Pläne. Ben und seine Frau Sarah hatten einen Sohn namens Farim, der 26 Jahre zuvor bei einem Einsatz gegen Terroristen in Afghanistan von deutschen Soldaten getötet worden war. Die bei der nuklearen Explosion freigesetzte immense Energie wollten sie nutzen, um mittels des Teleporters in die Vergangenheit zu reisen und Farims tragischen Tod ungeschehen zu machen. Doch dazu kam es nicht, da Kleemann den Wagen, in dem Sarah und Ben in Gewahrsam gebracht werden sollten, mit einer Panzerfaust zerstören ließ.

Mein Vater schickte mich ein zweites Mal durchs Reversum, um in der Zukunft herauszufinden, wo genau die Bombe detonieren würde. Nach einer nervenaufreibenden Jagd nahmen wir Kleemann fest und fanden die Bombe in Bens ehemaligem Labor direkt unterhalb des Teleporters, mit dem sie verbunden war. Dabei erfuhr ich, dass Amina als Maulwurf für die EATA arbeitete und bei ihrer verdeckten Ermittlung von Janos Schaal, einem als Polizisten getarnten Terroristen, erschossen wurde.

In einem Moment schockierter Verzweiflung setzte ich einen spontanen Plan in die Tat um: Ich musste die Atomexplosion verhindern und gleichzeitig Amina retten. Da es uns nicht gelang, die Bombe zu entschärfen, nutzten wir die bei der Explosion freigesetzte Energie, um mich ein drittes Mal ins Reversum zu schicken, diesmal eine Stunde in die Vergangenheit. Dort konnte ich Amina rechtzeitig vor ihrem Tod durch Schaal retten. Mir wurde klar, dass meine Reise durch das Reversum schon immer Teil der Ereigniskette war. Durch einen inszenierten Anruf täuschten wir meinen Vater und mein jüngeres Ich, indem wir vorgaben, dass Amina durch Schaals Hand gestorben sei. Dies war notwendig, damit ich meine vorbestimmte Reise durchs Reversum antrete und das Raumzeitkontinuum bewahrt bleibt.

Bei meiner Teleportation wurde das Gebäude mit dem Labor und der Zeitmaschine vollständig zerstört. Endlich konnte ich Amina einen Heiratsantrag machen. Sie sagte ja, ich war überglücklich, und alles schien perfekt zu sein.

Doch weit gefehlt – stattdessen wurde alles noch weit schlimmer. Wenn ich gedacht hatte, mich könne kaum noch etwas schocken, hatte ich mich getäuscht.

Plötzlich reißt mich eine gespenstische Stimme aus meinen Gedanken: »Zeig dich, du Feigling! Vielleicht lass ich dich dann ja am Leben.«

O nein, wenn er mich in die Finger bekommt, geht es nicht nur mir an den Kragen, die ganze Welt könnte aus den Fugen geraten.

Auf der Suche nach einem Versteck fliegen meine Blicke aufgeregt hin und her. Das spärliche Licht, das unter der Tür hereindringt, lässt mich nur die Konturen einzelner Gegenstände hier drinnen erahnen. Leise und so zügig wie möglich umlaufe ich das Hindernis direkt vor mir und erreiche kurz darauf eine Wand, die ich mit den Händen abtaste.

Wieder zucke ich zusammen, als die Stimme wie ein Insekt in meine Gehörgänge kriecht: »Ich habe eine Pistole. Du hast dreißig Sekunden Zeit, dich zu zeigen. Andernfalls kann ich für nichts garantieren.«

Für einen Moment erwäge ich ernsthaft, mich zu ergeben. Doch dann male ich mir mit einem Schaudern aus, was wohl geschehen würde, falls ich diesen fatalen Schritt wage. Nein, unter gar keinen Umständen darf er mich finden. Eigentlich sollte dies hier gar nicht geschehen.

Verzweifelt taste ich mich weiter an der kalten Wand entlang auf der Suche nach dieser verdammten Tür. Zitternd rollt ein Schweißtropfen meinen Nacken hinab und hinterlässt eine Gänsehaut. Wenn ich jetzt nicht bald diese vermaledeite Tür finde, ist alles verloren.

»Zwanzig Sekunden!«, schießt die Stimme wie eine Harpune in meinen Kopf.

Fieberhaft suche ich weiter nach der Türklinke, während die Ereignisse seit meinem Heiratsantrag an Amina abermals an mir vorüberziehen – so, als wäre ein Film an die schwarze Wand vor mir projiziert.

 

 

Ein schrecklicher Traum hatte mich viel zu früh aus dem Schlaf gerissen. Es hatte sich so verblüffend echt angefühlt, dass ich mich Minuten nach dem Erwachen immer noch fragte, ob ich noch schlief oder ob der Traum möglicherweise sogar real gewesen war.

Im Traum war ich wiederholt sowohl vorwärts als auch rückwärts durch die Zeit gereist. Der Zeitstrahl wechselte in einem fortwährenden Zyklus die Richtung. Es war entsetzlich, weil ich immer wieder den Tod mir nahestehender Menschen erleben musste, die kurz darauf wieder zum Leben erwachten, um abermals sterben zu müssen.

Ich sah, wie der EATA-Wagen mit meinen Freunden Sarah und Ben Rahimi von einer Panzerfaust getroffen wurde. Und ich musste unzählige Male mit ansehen, wie der Audi 3000 mit meinen Eltern von der von Terroristen gesprengten Brücke in den Main stürzte und meine Mutter jämmerlich in den Fluten ertrank.

Mal raste die Zeit in atemberaubendem Tempo dahin, mal schritt sie mit geradezu beklemmender Trägheit voran. Bisweilen verlangsamte sie sich so sehr, dass ich die Knochensplitter der explodierenden Körper meiner Freunde hätte zählen und das Volumen der Luftblasen hätte ermitteln können, die meine Mutter kurz vor ihrem Tod mit schreckgeweiteten Augen ausstieß.

Immer und immer wieder präsentierte mir mein Traum die Schicksalsschläge auf besonders grausame Weise. Ich war erleichtert, als ich schließlich aufwachte, obwohl sich die Bilder regelrecht in meinen Kopf eingebrannt hatten. Der Wecker zeichnete die phosphoreszierenden Zahlen 13:17 in die Dunkelheit. Demnach hatte ich keine vier Stunden geschlafen.

Nachdem es uns gelungen war, den für 7 Uhr angekündigten atomaren Anschlag zu vereiteln, hatte Amina meinen Heiratsantrag angenommen. Irgendwann nach 9 Uhr waren wir zu Hause angekommen, und nach einer kleinen Stärkung hatte uns der Schlaf sanft überwältigt.

Inzwischen saß ich schlaflos auf der Wohnzimmercouch, während der Fernseher vor mir flimmerte. Mit einer kühlen Flasche Wasser in der Hand verfolgte ich eine Sondersendung rund um den – wie verlautbart wurde – vereitelten Terroranschlag. Doch weder von Zeitreisen noch von Teleportationen und ähnlichem war die Rede. Vernünftig, dachte ich.

Angesichts der dadurch in meinem Geiste wieder aufblitzenden Erlebnisse war an Schlaf nicht zu denken. Dafür war ich viel zu aufgewühlt. Hellhörig wurde ich erst, als die Sprecherin von einer Begebenheit aus der vorletzten Nacht berichtete, von der bislang noch nichts zu mir durchgedrungen war. Da ich fortwährend von einer in die nächste Katastrophe geschlittert war, hatte ich weder die Zeit noch die Nerven gehabt, mir irgendwelche Nachrichten zu Gemüte zu führen – geschweige denn, mit meinem Vater über andere Dinge als über die drohende Apokalypse beziehungsweise den Tod meiner Mutter zu sprechen.

Aufmerksam wie ein Schießhund verfolgte ich also die Neuigkeit. In der Nacht, nach der mich Ben ins Reversum teleportiert hatte, war etwas Merkwürdiges geschehen. Das Schillerdenkmal in der Taunusanlage war am folgenden Morgen mit einem Metallregal verschmolzen. Links und rechts ragten aus der Statue die Enden des Möbelstückes heraus. Ein Teil davon war im Sockel versunken.

Anfangs mutmaßten Experten, dass es sich um einen gut organisierten Studentenstreich handele. Inzwischen war man allerdings der Ansicht, dass es einen Zusammenhang mit dem vereitelten Terrorakt gab, bei dem das Gebäude mit Bens Labor in die Luft geflogen war.

Meine erste Überlegung war: Resultierte die mutmaßliche Materieverschmelzung möglicherweise aus einer weiteren Reise durch das Reversum? Zu den Endzeitpunkten meiner drei Reisen befand ich mich jeweils für eine kurze Dauer in meinem minimal älteren und anschließend in meinem jüngeren Ich. Beim dritten Mal teilte ich mit mir sogar für mehrere Minuten denselben Platz – allerdings bewusstlos.

Von den Gegenständen, die Ben in seinen Versuchsreihen in die Zukunft gebeamt hatte, verweilten offensichtlich jeweils zwei unterschiedlich alte Instanzen für bis zu drei Stunden an derselben Stelle.

Zwei Objekte, die sich denselben Platz teilen – unglaublich, aber wahr.

Das in der Sendung gezeigte Regal war allerdings schon länger als einen Tag mit dem Denkmal eins. Würde der gute alte Friedrich Schiller jetzt noch leben, läge ihm dies sicher schwer auf dem Magen. Der Reversum-Teleporter wurde mitsamt Labor und den dort befindlichen Computern restlos zerstört. Ben ist tot. Und wie ich ihn kenne, hatte er nirgendwo Pläne von seinen Erfindungen aufbewahrt. All sein Wissen und seine Ideen hatte er mit ins Grab genommen, um sicherzugehen – wie er stets betonte –, dass kein anderer damit Schindluder trieb. Ich konnte also davon ausgehen, dass niemand Bens Teleporter nachgebaut hatte.

Hatte Ben etwa selbst das Regal zum Schillerdenkmal gebeamt? Wohl eher nicht. Sofern man seinen Aussagen Glauben schenken konnte, war eine Teleportation nur bis zu drei Stunden in die Zukunft möglich. Das passte nicht mit der Tatsache zusammen, dass Friedrich das Regal bereits seit mehr als einen Tag sein Eigen nannte.

Ein Anruf von meinem Vater riss mich aus meinen Gedanken.

»Hab ich dich geweckt?«, lautete seine erste Frage.

»Nein, ich war sowieso wach. Was gibt’s denn?«

»Bist du allein?«

»Ja, Amina schläft noch. Wieso?«

»Gut, hör zu! Es ist verdammt wichtig, dass du Amina nichts davon erzählst.«

Ich wurde hellhörig. »Wovon?«

»Wir können niemandem mehr trauen. Nicht einmal Amina.«

»Bitte? Willst du mich veralbern?«

»Nein, ich wünschte, es wäre nur ein Spaß.«

Mit einem prüfenden Blick in Richtung Schlafzimmer zog ich mich unverzüglich in die Küche zurück. »Nach allem, was sie für uns getan hat, traust du ihr nicht mehr? Amina musste die letzten zwei Jahre schon genug leiden, weil sie mir nicht die Wahrheit sagen konnte. Drei Mal habe ich fest daran geglaubt, sie sei eine Terroristin, um schließlich feststellen zu dürfen, dass dem glücklicherweise nicht so ist. Ich schäme mich sogar dafür. Und jetzt, nachdem ich ihr endlich den Heiratsantrag gemacht habe und sie Ja gesagt hat, kommst du plötzlich schon wieder mit einer solchen Unterstellung? Nein, nein, nein, den Fehler begehe ich kein weiteres Mal.«

»Neven!«, stach mein Vater in die aufschäumende Verärgerung hinein. »Ich sage es wirklich ungern. Aber ich bin gerade mit meinem Team in Bens Haus. Und da haben wir eine zutiefst beunruhigende Entdeckung gemacht.«

»Was habt ihr da gefunden?« Der Puls drängte mir in den Hals. Ich zitterte vor Aufregung.

»Leider kann ich dir das nicht am Telefon sagen, Neven. Das ist zu unsicher. Du musst unbedingt herkommen und dir das mit eigenen Augen ansehen.«

Nervös spähte ich ins Wohnzimmer. Noch immer war alles still. Amina schien tief und fest zu schlafen. Oder war der Schein nur trügerisch, und in Wirklichkeit lauschte sie heimlich meinen Worten?

Noch leiser, aber gepresster als zuvor, wisperte ich in die Sprechmuschel: »Wie stellst du dir das vor? Was soll ich ihr sagen, wenn ich jetzt schon wieder abhaue?«

»Dir wird schon was einfallen. Sag ihr zum Beispiel, dass ich dich angerufen habe, weil ich unbedingt noch mal mit dir über deine Mutter und meine Zwillingsschwester reden muss. Du kriegst das schon hin.«

Mein Verstand schlug Purzelbäume. »Sag mal, was du da entdeckt hast … das hat nicht zufällig was mit dem Schillerdenkmal zu tun? Ich hab nämlich gerade im Fernsehen gesehen, dass die Statue vorletzte Nacht mit einem Eisenregal verschmolzen ist.«

Mein Vater hüllte sich in Schweigen, woraufhin ich hinzufügte: »Glaubst du etwa ernsthaft, dass Amina eine Terroristin ist?«

Nach Sekunden des Zögerns überging er einfach meine Frage mit den Worten: »Lass dir nichts anmerken und komm so schnell wie möglich zu Bens Haus.«

Aufgelegt. Fassungslos starrte ich auf das erlöschende Display und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Eine Bewegung aus den Augenwinkeln ließ mich aufschauen. Der Schreck fuhr mir ins Gebein, als hätte ich gerade an eine Starkstromleitung gefasst.

In ihrem weißen, seidenen Nachthemd sah Amina kurzzeitig wie ein heranschwebendes Gespenst aus. Sie sah mich sichtlich verwundert aus verschlafenen Augen heraus an. »Wer war das?«

Die Schockstarre hatte sich auf meine Stimmbänder gelegt, sodass ich nicht sprechen konnte. Mein Herz schlug von innen gegen den Brustkorb, als versuchte es, aus seinem Knochengefängnis auszubrechen.

Amina legte die Stirn in Falten, wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht und sagte: »Hallo Schatz! Was ist los? Hast du gerade einen Geist gesehen?«

»Oh, äh, ich, äh«, haspelte ich endlich. »Ich … sorry, du hast mich nur gerade ziemlich erschreckt.«

»Oh, entschuldige Schatz! Das wollte ich nicht.« Mit reumütigem Blick legte sie ihre warme Hand an meine Wange.

»Ja, schon gut«, nickte ich und hob das Spacephone. »Mein Vater hat gerade angerufen.«

»Aja?« Sie zog die Hand, wie es schien, erschrocken zurück und die Brauen hoch. Nachdenklich und skeptisch neigte sie den Kopf. »Was wollte er denn?« Der melodische Klang ihrer Stimme ließ meine Alarmglocken läuten.

»Er meinte«, erwiderte ich ohne zu zögern, »er müsse sich nochmal dringend mit mir über meine Mutter und seine Zwillingsschwester unterhalten.«

Trotz meines Bemühens, die zunehmende Unsicherheit zu verbergen, hatte ich das Gefühl, Amina könnte mit ihrem bohrenden Blick bis in die tiefsten Winkel meiner Seele vordringen. Ihre Pupillen wanderten zur Wohnzimmeruhr. »Wir haben gerade einmal vier Stunden geschlafen. Musste er uns deshalb jetzt schon aus den Federn klingeln? Das hat doch gewiss noch Zeit.«

Ich spürte, wie sich mein Herz zuschnürte und mein Zögern sie stutzig machte. Jetzt musste ich etwas sagen.

»Naja«, begann ich und holte dabei tief Luft, während sich die Informationsflut unter meinem Schädel verwirbelte. »Genau genommen war ich schon wach. Mein Vater hat mir eine Nachricht geschrieben, dass ich ihn anrufen soll, sobald ich wach bin.«

»Ach so? Und warum habe ich dann vorhin das Telefon läuten hören?«

Verdammt, ich Vollidiot, dachte ich bei mir, woraufhin mein Puls sofort wieder einen Zahn zulegte. Doch ich fand schnell eine Lösung für mein Dilemma: »Na, als ich ihn angerufen habe, war besetzt. Daraufhin hat er zurückgerufen.«

Wenn Amina unschuldig war, sollte sie mir glauben und mitnichten mein Spacephone kontrollieren. Andernfalls jedoch konnte ich nur hoffen, dass sie nicht die angebliche Nachricht meines Vaters zu lesen verlangte – was einer Offenbarung gleichkäme.

»Okay«, nickte sie schließlich scheinbar gelassen. »Aber du willst doch nicht etwa jetzt schon wieder gehen?«

»Nun ja, das bei meinem Vater hat sich ziemlich wichtig angehört. Er hat mich gebeten, gleich zu ihm zu kommen. Und da wir gerade erst wieder zueinander gefunden haben, will ich ihn nicht erneut enttäuschen.«

Aminas Gesicht bildete einen argwöhnischen Knoten. »Konnte er dir nicht gleich am Telefon sagen, worum es geht?«

»Na, um meine Mutter und seine Zwillingsschwester. Sagte ich doch schon.«

»Ich hätte erwartet, dass er dir schon alles berichtet hat. Da er mit einem Misserfolg bei der Rettung Frankfurts rechnen musste, hat er dir gewiss die wichtigsten Dinge bereits erzählt. Deshalb frage ich mich, was ein weiteres Gespräch so wichtigmacht, dass es praktisch sofort sein muss …« Sie sah mich an wie einen Prüfling, bei dem die letzte Antwort darüber entscheidet, ob er die Prüfung besteht.

Ich wollte nicht schon wieder glauben, dass sie auf der dunklen Seite der Macht steht. Doch ihre Beharrlichkeit und die ungewohnt finstere Miene ängstigten mich. Ich musste ihrem entschlossenen Blick standhalten, durfte nicht wegsehen, sonst verriet ich mich. Dennoch sagte mir meine innere Stimme, dass sie die Wahrheit längst in meinen Augen wie in einem offenen Buch gelesen hatte.

Im Bemühen, meine Lüge zu untermauern, erwiderte ich: »Worum es genau geht, sagte er nicht. Er meinte nur, er habe vorhin mit seiner Schwester gesprochen und dabei etwas erfahren, das er mir unbedingt persönlich sagen muss.«

Da die Skepsis kein Stück aus Aminas Gesicht wich, fügte ich schnell hinzu: »Naja, und das lässt mir einfach keine Ruhe. Ich muss da jetzt unbedingt hin. Es wird auch sicher nicht lange dauern.«

Ihre Miene blieb zunächst unverändert starr. Doch nach einigen Sekunden zogen sich ihre Mundwinkel zu einem breiten Lachen auseinander – meiner Spontaneität sei Dank.

Mit gewohntem Rehblick erwiderte sie: »Entschuldige, Schatz! Mein Job bringt eben eine gesunde Portion Skepsis mit sich. Also, dann hau schon ab, mein Held!«

Sie drückte ihre Lippen kräftig auf meine. Ich erwiderte ihren Kuss, um den Schein zu wahren, auch wenn sich die Schmetterlinge im Bauch diesmal eher wie Monsterhornissen anfühlten.

»Ich leg mich noch mal hin«, sagte Amina dann lächelnd und schlurfte zurück ins Schlafzimmer.

Mit einer Gefühlsmixtur aus Salpeter, Schwefel und Holzkohle schlüpfte ich in meine Kleider, die ich vor dem Schlafengehen im Wohnzimmer hatte fallen lassen. Währenddessen hallten immerfort die Worte meines Vaters durch meinen Kopf. Sie waren genauso unmissverständlich wie Aminas Reaktion. Glücklicherweise hatte sie nicht noch weiter nachgehakt – was vermuten ließ, dass sie nichts ahnte. Oder wollte sie mich mit ihrem Rückzug ins Bett nur täuschen? Vorsicht, Neven, Vorsicht!

»Ich bin dann mal weg, Schatz!«, rief ich ins Schlafzimmer. »Ich liebe dich.«

»Ich lieb dich mehr«, hallte es zurück.

Zügig verließ ich das Haus, hielt dabei jedoch meine Ohren und Augen weit offen. Vor Anspannung zitternd stieg ich in meinen metallicblauen VW Zyklon und düste los. Immerfort spähte ich in den Rückspiegel. Amina schien mich zwar nicht zu verfolgen, aber es war denkbar, dass sie einen anderen, gewissenlosen Verbrecher auf mich angesetzt hatte. Vielleicht war ja sogar mein Wagen verwanzt. Oder gar mein Spacephone?

Für einen Moment spielte ich tatsächlich mit dem Gedanken, das Spacephone aus dem Fenster zu werfen, wie man es oft in Agentenfilmen sieht. Doch letztlich entschied ich mich dagegen. Ich hatte mir geschworen, die Paranoia endlich abzulegen.

In meinem Kopf kreiste es. Im Vorbeifahren sah ich auf dem Gehweg einen Mann laufen, der mich von weitem an Ben erinnerte. Und da legte sich plötzlich Traurigkeit wie ein eisiger Regen auf mein Herz. Vier Jahre lang waren Sarah und Ben meine besten Freunde gewesen – bis sich herausstellte, dass sie mich die ganze Zeit über nur für ihre Zwecke missbraucht hatten. Sie hatten Amina vorübergehend ins Gefängnis gebracht, und sie waren bereit gewesen, mich zu töten.

Für die beiden gab es einen großen Platz in meinem Herzen, der schlagartig leer geworden war. Nicht wegen ihrer Taten, sondern wegen ihres unverhofften Todes. Der Verlust schmerzte deshalb so sehr, weil sich erst vor wenigen Stunden herausgestellt hatte, dass die beiden wohl gar nicht wirklich für Kleemann gearbeitet hatten. Vielmehr brauchten sie sein Geld für den Bau der Zeitmaschine, von der Kleemann sicherlich nichts gewusst hatte. Die Atombombe war notwendig, weil nur sie genügend Energie für eine Reise in die Vergangenheit liefern konnte. Ben und Sarah hatten allem Anschein nach vorgehabt, sich 26 Jahre in die Vergangenheit zu beamen, um den Tod ihres Sohnes ungeschehen zu machen.

Ich konnte das den beiden nicht einmal übelnehmen. Wer weiß, was ich alles getan hätte, hätte ich ein Kind verloren. Für Amina hatte ich schließlich auch alles riskiert. Sogar mein Leben. Doch inzwischen deutete vieles darauf hin, dass sie vielleicht doch nicht die Frau fürs Leben war. Angesichts dieses Verlustes sank mein Herz nochmals ein Stück tiefer in meine Brust wie ein Stein im Wasser. Nein nein, ich durfte sie kein weiteres Mal verlieren, sonst würde mich der Stein selbst mit unter Wasser ziehen. Bestimmt war wieder alles nur ein riesiges Missverständnis. Bestimmt.

Mein Verstand glich einer Sporthalle, in der ein Tischtennisturnier ausgetragen wurde. Wie die Bälle sprangen auch meine Gedanken hin und her. Mal zu Ben, mal zu Amina. Und als einer der kleinen weißen Bälle wieder auf Bens Seite angekommen war, verfehlte er ihn. Es schien, als hätte sein Schläger plötzlich ein Loch. Ich stutzte ob seines Fehlschlages. Auch wenn es Ben und Sarah nur darum gegangen war, ihren Sohn zu retten: Warum riskierten sie den Tod Hunderttausender Unschuldiger? Kein Menschenleben rechtfertigt ein solches Unterfangen, nicht einmal, wenn es um das Leben des eigenen Sohnes geht.

Mit ziemlicher Sicherheit hatte Ben nicht wissen können, ob die Zeitmaschine die enorme Energie der Atomexplosion komplett absorbieren würde. Es war ein Wunder, dass bei der Zerstörung des Gebäudes mitsamt Labor keiner der Agenten ums Leben gekommen – geschweige denn, dass keine radioaktive Strahlung freigesetzt worden war. Wäre ich nicht auf die Idee gekommen, mit dem Teleporter in die Vergangenheit zu reisen, um Amina zu retten, wäre es sicherlich das Ende von Frankfurt gewesen. Ebenso wäre es denkbar gewesen, dass die Terroristen die Kontrolle über die Bombe erlangten.

Waren Ben all diese Risiken bewusst? Waren er und Sarah tatsächlich bereit, so viele Menschen für das Leben ihres Sohnes zu opfern? Und außerdem: Selbst wenn sie es geschafft hätten, 26 Jahre rückwärts durch die Zeit zu reisen und das Unglück zu verhindern: Wie hatten sie sich dann ein Leben mit Farim vorgestellt? Die Rahimis hätten zu diesem Zeitpunkt zwei Mal existiert. Wollten sie Farim etwa mit ihrem jüngeren Selbst teilen?

Hatte ich das wahre Gesicht der Rahimis gestern zum ersten Mal gesehen? Das konnte und wollte ich nicht glauben. Derart begnadete Schauspieler waren sie beide nicht, um mir jahrelang etwas vorzumachen. Obwohl – Amina war das ja auch gelungen …

Gemäß den Worten von Herrn Reiß war mit dem Teleporter nur eine Reise von bis zu einer Stunde in die Vergangenheit möglich. Hatte er es nicht besser gewusst, oder war Ben mit der Maschine wirklich an die Grenze des Machbaren gestoßen? Meine Überlegungen führten mich zu dem Schluss, dass die Rahimis aufgrund der Nichtdurchführbarkeit ihrer Rettungsmission womöglich doch nur Rache im Sinn gehabt hatten.

Dafür sprach außerdem, dass mich Sarah hatte erschießen wollen. Zum Glück hatte mir die Kaugummischachtel mit dem Betäubungsgas das Leben gerettet. Ein weiteres Argument für den Rachegedanken war Sarahs ungewollter Hinweis auf den Anschlag im Einkaufszentrum Skyline Plaza, der quasi in letzter Sekunde vereitelt werden konnte. Hätten sie den Tod der vielen Menschen dort wirklich verhindern wollen, so hätten sie der EATA schon viel eher einen anonymen Hinweis geben können. Schließlich hatten sie nicht wissen können, dass mein Vater uns belauscht hatte, als Sarah mir den Hinweis gab.

Alle Indizien sprachen also dafür, dass ich für die Rahimis jahrelang genauso ein Spielball war wie allem Anschein nach auch für Amina. Mein Fazit versetzte mir einen arktischen Schauer. Erneut wurde ich von Traurigkeit überwältigt.

Um mich abzulenken, aktivierte ich den Bordcomputer und rief die neuesten Nachrichten ab. Da ich auf einer Strecke unterwegs war, auf der mein Fahrzeug per Autopilot fuhr, konnte ich mich auf die Neuigkeiten konzentrieren, die auf dem Headup-Display erschienen. Bezüglich der Materieverschmelzung beim Schillerdenkmal gab es neue und interessante, doch zugleich auch beängstigende Entwicklungen. Es war von drei weiteren derartigen Absurditäten die Rede.

Zunächst wurde die Außenwand eines mehrstöckigen Wohnhauses irgendwo in Frankfurt gezeigt. Von Etage eins bis drei ragten die Äste eines Baumes heraus – ein bizarrer Anblick. Weitere Aufnahmen zeigten das Haus von innen. In den Wohnräumen schmiegte sich der offenbar zu den Ästen gehörende Baumstamm jeweils an die Außenwand. Die in die Zimmer ragenden Äste waren wie mit einem Laser auf die Armlänge eines Kleinkindes abgeschnitten – so, als hätten sich die Bewohner damit Platz verschafft.

Als zweites war eine Autobahn zu sehen, aus deren Asphalt ein mittelgroßer Brückenpfeiler ragte – deutlich schiefer als der Turm von Pisa. Hätte man den abgeschrägten, circa einen Meter breiten und drei Meter hohen Pyramidenstumpf dort einfach hingestellt, wäre er definitiv umgefallen. Das ließ nur einen Schluss zu: Das Fundament musste tief in den Asphalt reichen. Die zugehörige Brücke, der dieser Pfeiler fehlte, war auch bereits gefunden worden. Was in aller Welt ging hier vor? Das konnten unmöglich Resultate von Bens Teleportationen durch die Zeit sein.

Die kurioseste surreale Verschmelzung wurde zuletzt präsentiert. Ein silbergrauer Ford Fortuna hing mitten in einer riesigen Hecke in gut einem Meter Höhe. Das Dickicht der Hecke füllte das Wageninnere komplett aus. Wie Dornen aus härtestem Stahl durchstachen die Zweige die Karosserie. Unterhalb des Wagens gab ein bis zum Boden reichender Asphaltklumpen dem Wagen den nötigen Halt. Vereinzelt ragten Zweige aus dem Klumpen heraus. Beim besten Willen konnte dies kein von Studenten vollbrachtes Werk sein. Zumindest nicht in kürzester Zeit, und das auch noch tagsüber. Dass ausgerechnet vor der Hecke ein Parkverbotsschild stand, verlieh dem Ganzen noch eine Spur Ironie.

Da mich mein Vater zu Bens ehemaligem Wohnhaus beordert hatte, war anzunehmen, dass die Vorkommnisse mit einer von Bens Erfindungen zu tun hatten. Gleichwohl bestätigte dies und das Schweigen meines Vaters auf meine letzten Fragen meine Befürchtung, dass Amina, Sarah und Ben der Kategorie »Superschurken« zuzurechnen waren.

In der ganzen Aufregung um die Verschmelzungen ging eine weitere Meldung komplett unter. Dieser zufolge war erstmals ein Medikament erfolgreich gegen den FKZB3-Virus eingesetzt worden. Die tödliche Krankheit wird von Zecken übertragen. Es gibt sie erst seit wenigen Jahren, und sie galt bisher als unheilbar. Bei den Betroffenen äußert sie sich in Form von Fieber, Krämpfen, Zitteranfällen, Bauchschmerzen, Blutspucken bis hin zu zeitweiser Bewusstlosigkeit und schließlich dem Tod.

Schnell vergaß ich die Neuigkeit wieder, weil mir die Verschmelzungen und das, was mein Vater im ehemaligen Heim der Rahimis entdeckt haben wollte, mehr Sorgen und Kopfzerbrechen bereitete.

Völlig unbeschadet gelangte ich an mein Ziel, was zu meiner Beruhigung darauf schließen ließ, dass Amina keinen Verdacht geschöpft hatte. Oder es traf die unwahrscheinlichere Variante zu, dass sie unschuldig war. So sehr ich das auch glauben wollte, mein Bauchgefühl sagte mir etwas anderes. Doch diese und weitere Fragen würden mir sicher bald beantwortet werden.

Vor der Garage links neben dem Haus stand der schwarze Mercedes meines Vaters. Da er gesagt hatte, er wäre mit seinem Team vor Ort, hätte ich hier mehrere Wagen erwartet. Ich wunderte mich kurz, sagte mir dann aber, dass sie wahrscheinlich nur zu zweit da waren und der Rest des Teams schon wieder weggefahren war und parkte rechts neben dem Mercedes. Unter dem Rahmen der offenen Haustür stand mein Vater. Im Hintergrund war im Schatten eine weitere Person auszumachen.

Nochmals stieg meine Nervosität wie die Benzinpreise in einer Ölkrise. Was erwartete mich wohl im Haus? Ich atmete tief durch und stieg aus. Mit einem Winken bedeutete mir mein Vater, ins Haus zu kommen. Ein flaues Gefühl begleitete mich, als ich die steinernen Stufen zur Haustür erklomm.

»Danke, dass du gleich gekommen bist, mein Sohn«, sagte der große, schnauzbärtige Mann lächelnd, aber in besorgtem Tonfall.

Bei der darauffolgenden Umarmung schien er von seiner gewohnten, körperlichen Größe allerdings einiges eingebüßt zu haben. Hatte ihn seine Entdeckung im Haus etwa schrumpfen lassen? Oder hatten die Ereignisse der letzten Stunden meine Wahrnehmung getrübt?

»Mit deinem Anruf hast du mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, erwiderte ich.

»Sorry, aber das musst du dir ansehen. Komm rein!«

Ich folgte seiner einladenden Geste durch den Hausflur und trat in die geräumige Wohnung ein, in der mich unverhoffte Stille empfing. Das Wohnzimmer wirkte unbewohnt. Obwohl ich vorhin noch jemand gesehen hatte, war jetzt niemand hier. Mitten im Zimmer blieb ich stehen und schaute mich um. Es sah alles noch genauso aus, wie ich es nach der Verhaftung der Rahimis verlassen hatte. Die Jalousien waren halb geschlossen, sodass das spärliche Licht dem Raum eine unheimliche Atmosphäre verlieh.

Plötzlich wurde die Tür zu Bens ehemaligem Büro geöffnet. Eine Frau kam heraus. Ich zucke unwillkürlich zusammen, weil ich im ersten Moment Amina in ihr zu erkennen glaubte. Doch mir wurde schnell klar, dass sie es eigentlich nicht sein konnte. Nach wie vor stand die Fremde im Schatten, sodass sie nur schemenhaft zu erkennen war. Nach Sekunden atemloser Stille schälte sie sich aus dem Schatten heraus. Und da traf mich der Schlag erst richtig.

Ich kniff mich, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träumte. Nein, ich war in der Tat hellwach. Die Frau, die nun gut zwei Armlängen von mir entfernt stand, war niemand anderes als Sarah Rahimi!

»Hallo Neven«, sagte sie mit einer unverkennbaren Spur Ironie. »Schön, dich wohlauf zu sehen.«

Instinktiv trat ich zwei Schritte zurück. Mein Herz tat es einem Death-Metal-Drummer gleich. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Ich wirbelte herum.

Mit bitterernster Miene musterte mich mein Vater, während er mit der rechten Hand an seinem linken Arm herumtippte, als würde er dort eine imaginäre Tastatur bedienen. Und im Handumdrehen änderte sich sein Aussehen. Sein Bart und sein Haupthaar verschwanden. Der Kopf wurde rundlicher, die Nase kürzer, das Kinn breiter und die Augen wärmer. Ich war wie gelähmt, unfähig, irgendeinen Laut von mir zu geben.

»Hallo, mein Freund«, ertönte Bens Stimme verschlagen. »Schachmatt würde ich dann mal sagen!«

 

 

Verwirrung, Entsetzen, Furcht und Ratlosigkeit krochen gleichzeitig meinen Nacken hinauf, so kalt und totenbleich wie glitschige Maden, die sich an einer Leiche ergötzen. Und plötzlich gesellte sich noch ein Funken Freude hinzu, der allerdings einsam und verlassen wie ein verirrtes Glühwürmchen anmutete.

Jeden Moment erwartete oder besser hoffte ich, dass die Inkarnation von Ben erneut die virtuelle Tastatur an seinem Arm bediente, um sich wieder in meinen Vater zurückzuverwandeln. Doch mir war klar, dass dies nicht passieren würde. Stattdessen sagte er in ironischem Tonfall: »Hat dir mein Schachzug gefallen? Hab mir auch extra viel Zeit für die Analyse genommen. Du weißt ja, dass ich eine Mattscheibe habe.«

Mit einem verstohlenen Grinsen quittierte er sein Wortspiel. Mehrfach hatte er beim Sprechen mit den Brauen gezuckt und mit den Fingern fremdartige Symbole in die Luft gezeichnet, genauso wie ich es von Ben gewohnt war. Seine Stimme, die Mimik und Gestik sowie der Gehalt seiner Worte passten auf niemanden so gut wie auf Ben Rahimi. Er war es – definitiv!

Ich war perplex. Vor einigen Stunden hatte mir mein Vater unmissverständlich klargemacht, dass Kleemann die Rahimis hatte töten lassen. Und nun standen sie in Fleisch und Blut vor und hinter mir. Gelähmt vom Gewicht meiner Furcht wusste ich nicht, was ich tun sollte. Wie angewurzelt stand ich mitten im Raum. Ich ließ meinen Blick umherschweifen, der dann beim offenen Durchgang zur Küche hängen blieb. Der Messerblock auf der Arbeitsplatte wurde zum Angelpunkt meines Interesses. Ich zögerte und sah wieder zu Ben. Ihm war meine Suche nach einer Waffe offenbar nicht entgangen. Als auch seine Pupillen zur Küche schnellten, riss ich mich mit aller Kraft aus meiner Starre.

Wie ein Besessener rannte ich zum Messerblock und glaubte, Bens Schritte unmittelbar hinter mir zu hören. Im Augenwinkel meinte ich, seinen Schatten zu vernehmen. Mit einem Satz hechtete ich in die Küche. Noch im Sprung erfasste ich den Griff des wohl größten Messers und zog es blitzschnell heraus.

Bei der Landung geriet ich aus dem Gleichgewicht. Ich kippte nach links, wirbelte dabei aber herum und schwang die Messerspitze in einem großen Bogen vor meiner Brust entlang. Im Nu stand ich wieder sicher auf den Beinen und scannte den Raum ab.

Niemand war mir gefolgt. Sarah und Ben standen noch immer im Wohnzimmer und starrten mich mit eiserner und sichtlich verwunderter Miene an. Demnach war ich wohl gerade vor meinem eigenen Schatten geflüchtet.

»Stehenbleiben!«, brüllte ich.

Sarah hob beschwichtigend ihre Hände. »Ganz ruhig, Neven! Wir wollen dir nichts tun.«

»Und das sagt ausgerechnet die, die mir vor wenigen Stunden noch eine Kugel verpassen wollte?«

»Neven«, sagte Ben großväterlich. »Wollten wir dich wirklich beseitigen, wärst du schon längst unter der Erde.«

Ich schluckte das Dutzend Flüche, das mir auf der Zunge lag, hinunter und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es funktionierte nicht. Zumindest nicht momentan. »Was wollt ihr von mir?«, bellte ich. »Und warum in aller Welt lebt ihr noch?«

»Oh, das verletzt mich aber«, brummte Ben in offenbar gespielter Enttäuschung. »Und ich dachte schon, du freust dich, uns lebend zu sehen.« Eine Spur Ironie hatte sich in seine Stimme geschlichen.

Ich wusste selbst nicht, ob ich mich freuen oder fürchten sollte. Das Einzige, was mir über die Zunge glitt, war die Frage: »Wurde euch das Passieren des Höllentores etwa verwehrt, ihr verdammten Terroristen?«

»Wir können voll und ganz nachvollziehen, warum du uns nicht traust, Neven!«, sagte Sarah in scheinbar versöhnlichem Tonfall. »Aber eines kannst du uns glauben: Wir wollen dir nichts tun. Vielmehr benötigen wir deine Hilfe.«

»Ah, daher weht also der Wind. Normalerweise bin ich ja entbehrlich. Aber aus irgendeinem beschissenen Grund braucht ihr mich zufällig gerade für irgendeine beschissene Drecksarbeit. Aber wisst ihr was? Ich habe null Bock darauf, weiterhin euren Sklaven zu mimen, dessen Licht sowieso ausgeknipst wird, sobald er keinen Nutzen mehr für euch hat.« Ich fuchtelte mit dem Messer vor mir herum. »Lasst mich gehen! Dann kommt ihr vielleicht ungeschoren davon. Mein Vater ist nämlich schon auf dem Weg hierher. Ich hatte bereits den Verdacht, das hier könnte eine Falle sein.«

»Ach komm, lass das, Neven!«, mahnte Ben. »Wir drei wissen doch, dass niemand auf dem Weg hierher ist. Und schon gar nicht dein Vater. Siehst du ihn hier etwa irgendwo?« Er sah sich fragend um.

Während seiner Worte griff ich unauffällig in meine Jackentasche auf der Suche nach meinem Spacephone. Gut, dass ich es auf meiner Fahrt hierher nicht weggeworfen hatte. Doch wo war es?

»Suchst du vielleicht das hier?«, fragte Ben und zückte mein Spacephone. In der anderen Hand hielt er den Akku, den er vorher wohl entfernt hatte. Verdammt, er musste es mir bei der Umarmung entwendet haben. »Dir steht es frei zu gehen.« Er deutete auf die Tür zu seiner Rechten und bedachte mich eines Blickes, der irgendwo zwischen Schadenfreude und Argwohn angesiedelt zu sein schien. Da ich mit einer Falle rechnete, schlug ich sein Angebot mit einem resoluten Kopfschütteln aus.

Ben hob seine Arme schräg zur Seite. »Wie du siehst, sind wir unbewaffnet. Wenn du gehen willst, nur zu! Dann wirst du die Wahrheit allerdings nie erfahren.«

»Welche Wahrheit? Die, die ihr euch selbst ausgedacht habt?«

»Wir wissen«, übernahm Sarah wieder das Wort, »dass du eine Reihe Fragen hast. Was hatten wir wirklich mit den Terroristen zu tun? Warum leben wir noch? Warum bist du hier? Was hat es mit den merkwürdigen Verschmelzungen aus den Nachrichten auf sich?«

»Glaubt ihr etwa ernsthaft«, fuhr ich sie erbost an, »dass ich euch auch nur ein einziges Wort glaube, nachdem ihr mich jahrelang nur angelogen habt und mich sogar töten wolltet?«

»Wir wollten dich nicht töten. Wir wollten dir nur Angst machen.«

»Natürlich wolltet ihr das. Und Michael Jackson war in Wirklichkeit ein Außerirdischer, der auf seinen Heimatplaneten zurückgekehrt ist, um dort mit Elvis ein Bier zu trinken. Wozu in aller Welt wolltet ihr mir Angst einjagen?«

Sarah und Ben musterten sich, als müssten sie mittels versteckter Zeichen erst abklären, welche Antwort sie mir auftischen wollten. Schließlich wandte sich Sarah mir zu.

»Also die Wahrheit ist die: Wir wussten, dass uns Kleemann nicht traut und deshalb überwachen ließ. Uns war auch klar, dass er uns früher oder später aus dem Weg räumen lassen würde. Wir mussten also dafür sorgen, dass das nicht passiert. Und zwar so lange, bis wir in die Vergangenheit reisen konnten, um unseren Sohn von den Toten zurückzuholen. Doch als uns dein Vater auf die Spur kam und in Bens Labor auftauchte, mussten wir tätig werden. Auch Amina stellte allem Anschein nach eine Gefahr für uns dar. Damals vermuteten wir, Kleemann hätte sie auf uns angesetzt, weshalb wir es so arrangiert haben, dass dein Vater sie hinter Gitter bringt. Aber die Geschichte kennst du ja.«

»Ihr wollt mir also sagen«, hakte ich ungläubig ein, »dass ihr keine Ahnung hattet, dass Amina für meinen Vater gearbeitet hat?«

»Nein, wir waren genauso ahnungslos wie du. Sie hat ihre Rolle wirklich hervorragend gespielt. Jedenfalls schien für uns alles gut zu laufen. Bis du uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hast. Zum Glück haben wir überall Leute, die uns die Treue halten. Bei den Terroristen, bei der Polizei und bei der EATA. Ein Maulwurf im Team deines Vaters teilte uns mit, dass du unseren Plan durchschaut hast und zu uns kommen würdest, um uns deinem Vater ans Messer zu liefern.«

»Was?«, stieß ich verstört aus. »Ihr wusstet, dass mein Vater von draußen mithört?«

Scheinbar verlegen nickte Sarah.

»Und ihr wusstet, dass ich euch ausliefern will, und ihr habt trotzdem die ganze Zeit über mitgespielt?«

Sarah wippte abermals mit dem Kopf.

»Warum denn das? Ihr wusstet schon, dass ihr dadurch ins Gefängnis kommen würdet, oder?«

»Das war ja auch das Ziel. Da du uns durchschaut hattest, war uns klar, dass a) unser Labor dauerhaft beschlagnahmt sein wird, wir b) ohne den Teleporter kaum entkommen konnten und c), dass uns Kleemann zeitnah umbringen lassen würde. Wir standen also vor einem Problem. Und unser einziger Ausweg war, die Bombe auf 7 Uhr zu programmieren und …«

»Moment mal!«, unterbrach ich Sarah, wiederholt verwirrt. »Das Labor war doch bereits von meinem Vater beschlagnahmt worden. Somit hattet ihr doch sowieso keine Gelegenheit mehr, den Teleporter für eure Zeitreise zu nutzen. Warum in Dreiteufelsnamen habt ihr dann die Atombombe aktiviert?«

»Die Bombe«, nahm Ben den Faden auf, »war mit dem Teleporter gekoppelt. Sie wäre nur hochgegangen, wenn gleichzeitig auch der Teleporter für eine Reise in die Vergangenheit eingesetzt worden wäre. Andernfalls hätte sich die Bombe Punkt 7 Uhr deaktiviert. Es bestand also niemals eine wirkliche Gefahr für die Bewohner Frankfurts.«

»Okay«, fasste ich seine Antwort wohlwollend auf, zweifelte sie kurz darauf aber gleich an. Möglich, dass Ben damit nur mein Vertrauen gewinnen wollte. Sofort hakte ich nach: »Aber wozu habt ihr die Bombe überhaupt aktiviert, wenn ihr doch ohnehin nicht ins Labor konntet?«

»Unter normalen Umständen wäre kurz vor 7 Uhr niemand mehr im Labor gewesen. Wir waren davon ausgegangen, dass sich zu dem Zeitpunkt alle woanders befinden, entweder weit weg von Frankfurt oder auf der Suche nach der Bombe. Wir hatten nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass du darauf kommst, dass sich die Bombe im Sockel des Teleporters befindet.«

»Schon das zweite Mal, dass du mich unterschätzt hast«, machte ich mich über ihn lustig.

»Ja, du hast wahrlich das Talent, meine Pläne zu durchkreuzen. Uns freute es aber, dass du wenigstens so klug warst, eine Stunde zurückzureisen, um Amina vor dem Tod zu bewahren.«

»Als wenn euch Amina wichtig wäre. Du hast sie doch erst ins Gefängnis gebracht.«

»Weil ich dachte, sie wäre eine Terroristin. Und das ist ja die gute Nachricht für dich: Amina ist definitiv eine Gute.«

In der Tat ließ diese Schlussfolgerung einen der Felsbrocken von meinem Herzen purzeln.

»Nun gut«, gleiste ich mich nach kurzem Schweigen wieder auf. »Und wie habt ihr nun den Anschlag von Kleemann überlebt?«

Bens bisher eher zurückhaltende Mimik und Gestik nahm nun wieder Fahrt auf. »Unser Maulwurf bei der EATA war der Fahrer des Wagens, in dem wir zur Zentrale gefahren wurden. Wir haben mitgespielt, damit uns dein Vater gefangennehmen ließ. Unser Mittelsmann hatte nämlich in seinem Wagen einen von mir entworfenen mobilen Raumteleporter dabei. Von einem unserer Leute bei den Terroristen haben wir erfahren, wann und wo genau der Wagen, der uns zur Zentrale bringen würde, abgeschossen werden sollte. Kurz bevor das Fahrzeug explodierte, teleportierte ich uns und die beiden Agenten in Sicherheit. Auf diese Weise konnten wir also glaubhaft unseren Tod vortäuschen. Keiner hatte mehr ein Auge auf uns. Wir konnten uns also in aller Ruhe auf unsere Zeitreise vorbereiten, wozu es dank dir nun aber doch nicht gekommen ist.«

Noch immer hielt ich das Messer mit leicht zitternder Hand erhoben, doch mein Herz versuchte nicht mehr so eifrig, die Rippen zu durchbrechen. Wenn all das stimmte, was mir die beiden erzählt hatten, dann waren sie keine Gefahr für mich. Doch die Erfahrung lehrte mich, dass es besser ist, eine gesunde Portion Skepsis zu bewahren.

Argwöhnisch fragte ich also: »Und wo sind die beiden Agenten, die ihr angeblich gerettet habt?«

Ben tippte auf ein auf dem Wohnzimmertisch liegendes Tablet trat einige Schritte zurück und deutete mit einem Nicken darauf. »Sieh selbst!«

Ich schoss einen Teil meiner Vorsicht in den Wind, lief zum Tisch und spähte auf das Gerät – die Messerspitze nach wie vor auf Ben zeigend. Auf dem Display waren zwei Männer zu sehen. Das Gesicht des einen kannte ich aus einem Team meines Vaters.

»Herr Renner«, sagte dieser bestimmt. »Sie können den Rahimis trauen. Sie erzählen die Wahrheit. Bitte hören Sie sich an, was sie Ihnen zu sagen haben! Andernfalls würde das unser aller Tod bedeuten.«

Sofort fiel mir eine Testfrage ein. »Okay, wie lautete der Code für das Einsatzteam bei der Gefangennahme der Rahimis?«

»Na los, tu es schon!«, kam die richtige Antwort wie aus der Pistole geschossen.

Ich sah zu Ben auf. »Und warum hast du mir das nicht alles schon viel früher erzählt? Wir hätten für euch eine Lösung gefunden, damit ihr untertauchen könnt.«

»Du weißt genau, warum«, erwiderte Ben. »Dein Vater hätte niemals den Einsatz einer Atombombe für eine private Zeitreise akzeptiert. Farim zu retten, stand für uns außer Frage. Unser Tod war außerdem viel glaubhafter, wenn keiner von euch davon wusste.«

»Und was macht euch so sicher, dass ich euch jetzt glaube, wenn ihr mir jahrelang nur etwas vorgespielt habt?«

»Und was ist mit Amina?«, konterte Sarah. »Sie hat dich ebenfalls zwei Jahre lang nur belogen. Ihr hast du sofort verziehen.«

»Das ist etwas anderes. Sie hat für die EATA verdeckt ermittelt, sie durfte also nicht mit mir darüber sprechen. Ihr hingegen wart mit Terroristen im Bunde – und zwar für eure privaten Zwecke. Ihr wärt über Leichen gegangen. Oder wollt ihr mir etwa erzählen, es bestand kein Risiko, dass bei der Explosion mehr als nur das Gebäude mit dem Labor zerstört wird?«

Schweigen.

»Und wie war das doch gleich mit dem Skyline Plaza? Ihr habt mit eurem Hinweis darauf so lange gewartet, dass die Leute meines Vaters den Anschlag erst in letzter Minute verhindern konnten. Wäre euch das Leben der Menschen etwas wert gewesen, so hättet ihr den Tipp anonym geben können, um auf Nummer sicher zu gehen. Nein, für mich seid ihr keinen Deut besser als Kleemann und seine Marionetten.«

Wie versteinert starrten mich die Rahimis an. Sarah fand nach einer Weile als erste wieder Worte. »Neven, es tut uns wirklich leid, wie das alles gelaufen ist. Wir wünschten, es hätte einen anderen Weg gegeben. Wir verstehen voll und ganz, warum du uns momentan nicht traust. Doch wir sind guter Hoffnung, dass du all das irgendwann verstehen wirst.«

Ihr bettelnder Rehblick erinnerte mich an Amina. Und für einen Augenblick war ich tatsächlich versucht, ihnen uneingeschränkt zu glauben. Doch meine Erfahrungen setzten meinem Verstand eine andere Brille auf. Da sie offenbar meine Hilfe benötigten, konnten sie mir alles Mögliche weismachen wollen.

»Den Spruch höre ich nicht zum ersten Mal«, argwöhnte ich.

»Ja, ich weiß. Du spielst auf meine Nachricht an. Sollte dir meine Warnung vor Amina nicht Beweis genug sein, dass wir um dein Wohl besorgt sind?«

»Ja ja, schon klar. Ihr und um mein Wohl besorgt. Amina arbeitete für meinen Vater. Sie war also niemals eine Gefahr für mich.«

»Das wussten wir zu dem Zeitpunkt ja nicht. Wir dachten wirklich, sie sei eine Terroristin.«

Schweigen. Mir war klar, dass den Rahimis nicht zu trauen war, egal, wie sie mich einzulullen versuchten. Die Spannung, die die Luft um uns schier zum Vibrieren gebracht hatte, legte sich ein wenig.

»Ach ja«, fiel mir plötzlich ein, und ich richtete mich an Ben. »Was hat es jetzt eigentlich mit der Brille auf sich, die dir die Zukunft gezeigt hat?«

»Das habe ich mir nur ausgedacht, damit meine Beweggründe, warum ich mich mit den Terroristen zusammengetan habe, glaubhafter werden.«

»Eine solche Brille gibt es also gar nicht?«

Ben schüttelte den Kopf. »Wie schon gesagt. Dein Vater sollte uns ins Gefängnis bringen, damit der Wagen abgeschossen wird und wir so unseren Tod vortäuschen konnten. Ich konnte dir also nicht die Wahrheit sagen. Deshalb habe ich mir spontan das mit der Brille ausgedacht.«

»Nun gut«, sagte ich schließlich und fasste seine Antwort als ein weiteres Beweisstück dafür auf, den Rahimis in keiner Weise zu trauen. »Also weshalb habt ihr mich nun hierhergelockt?«

Ben zuckte mehrfach mit den Brauen. Das tat er immer, wenn er nervös war. »Wollen wir uns dazu nicht lieber setzen?«, fragte er. »Wird etwas dauern.«

»Nein, ich bleibe lieber stehen«, beschloss ich. »Schon beim letzten Mal war der Stuhl, auf dem du mich gefesselt hast, keine so gute Idee.«

Ben zuckte scheinbar verlegen mit den Schultern und setzte sich. »Nun gut, wie du willst.«

Sarah nahm neben ihm Platz und meinte: »Komm, nimm wenigstens das Messer runter! Wir sind nicht deine Feinde. Sonst hätten wir dich schon längst getötet.«

»Ihr habt mich nur deshalb nicht getötet, weil ihr mich für irgendwas braucht.«

Ben brummte. »Ich wusste, dass es mit dir nicht leicht wird. Aber ich kann es dir nicht verdenken.«

»Jetzt rede nicht um den heißen Brei herum! Komm zur Sache! Warum bin ich hier?« Noch immer hielt ich verkrampft das Messer fest.

Seufzend lehnte sich Ben zurück, rieb sich mit dem Mittelfinger die Nase und hob mehrfach die Brauen. Im Verhalten war er ganz der Alte, nicht die bösartige, emotionslose Bestie, die mich gestern Abend töten wollte. Ich war drauf und dran, ihm alles zu glauben und zu verzeihen. Doch dann führte ich mir erneut vor Augen, dass die Rahimis offenbar bereit waren, das Leben ihres Sohnes gegen das tausender anderer Menschen einzutauschen. Meine kurzzeitig aufsteigende gute Laune versank so schnell wie die Titanic nach ihrem Rendezvous mit dem Eisberg. Skepsis war nach wie vor die bessere Einstellung.

»Also«, begann Ben endlich nach Sekunden bedeutungsarmer Mimik und Gestik. »Ich habe beim Spiel zwei starke Figuren zu viel geopfert. Und jetzt droht mir das Matt in wenigen Zügen, wenn ich es nicht schaffe, meinen Bauer durchzubekommen, um ihn in eine Dame umzuwandeln.«

»Verstehe, ich bin dein Bauer. Ich hoffe nur, dass du keine Geschlechtsumwandlung bei mir im Sinn hast.« Ich staunte selbst über mich. Obwohl mir nicht annähernd nach Scherzen zumute war, war mir dieser Gag herausgerutscht. Vermutlich hatte mich Bens scheinbar gelassene Art dazu ermutigt. Nach wie vor behielt ich aber meine stählerne Miene bei.

»Keine Sorge«, erwiderte Ben. »Du bist nicht der Bauer, sondern der begnadete Schachspieler, der mir aus meiner Lage helfen soll.«

Sein aufgesetztes Lächeln bewirkte lediglich eine emotionslose, bissige Bemerkung meinerseits: »Ganz was Neues, dass du mich als begnadeten Schachspieler bezeichnest.«

»Wie dem auch sei. Jedenfalls habe ich ziemlichen Mist gebaut. Wie du bereits weißt, habe ich die Zeitmaschine aus nur einem Grund gebaut: um damit in die Vergangenheit zu reisen und Farims Tod ungeschehen zu machen.«

»Womit ihr im Übrigen auch die Gegenwart und damit mein Leben geändert hättet«, warf ich vorwurfsvoll zurück. »War euch das eigentlich klar?«

Ben stierte scheinbar betroffen auf die Tischplatte, rieb sich dabei verlegen die Stirn und sagte mit nach wie vor gesenktem Blick seufzend: »Ja, damit hast du wohl recht. Das war ziemlich egoistisch von uns.« Er sah wieder auf. »Aber wir haben aus unseren Fehlern gelernt.«

»Aja? Und was hat den plötzlichen Wandel bewirkt?«

»Wir mussten einsehen, dass wir Farim nicht retten können. Meine neuesten Berechnungen ergaben, dass wir selbst mit dem Einsatz aller auf der Welt verfügbaren Atombomben keine 26 Jahre in die Vergangenheit hätten reisen können.«

»Ganz abgesehen davon«, ergänzte ich, »dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass man rein gar nichts an der Vergangenheit ändern kann. Mein ganzes Handeln im Reversum war bereits Bestandteil unserer Welt. Ihr könnt Farim also nicht retten.«

»Nein, das ist nicht ganz richtig«, widersprach Ben. »Bei dir mag das vielleicht größtenteils so gewesen sein, dass du die Geschichte nicht verändert hast. Zumindest hattest du den Eindruck. Was allerdings auch daran gelegen haben mag, dass du viele Dinge, die du erlebt hast, nicht ändern konntest beziehungsweise wolltest, sonst hättest du dein Ziel nicht erreicht oder womöglich gar einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum bewirkt. Die Angst davor allein hat dazu geführt, dass du alles, was du im Reversum erlebt hast, in der vorwärtsgerichteten Zeit genauso hast geschehen lassen. Dein Handeln war also weitestgehend vom Fortbestehen der dir bekannten Welt bestimmt. Meine Berechnungen jedenfalls haben ergeben, dass die Vergangenheit sehr wohl verändert werden kann. Auch du selbst hast sehr wahrscheinlich Dinge unwissentlich geändert. Die Änderungen sind allerdings so minimal, dass sie dir nicht aufgefallen waren, beziehungsweise haben sie nichts Wesentliches am Ablauf des Geschehens verändert. Es hätte aber auch ganz anders kommen können.«

Bens Worte machten mich nachdenklich. Ich hätte schwören können, dass ich bei meinen Reisen durchs Reversum nichts am Erlebten verändert habe. Das meiste hatte ich sogar genauso geschehen lassen. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Mut gehabt, irgendetwas daran zu ändern. Doch Bens Argumentation war nachvollziehbar.

»Und wenn schon«, hakte ich ein: »Hattet ihr wirklich vorgehabt, 26 Jahre lang rückwärts durch die Zeit zu reisen? Selbst wenn ihr die 26 Jahre überlebt hättet, wärt ihr wohl reif für die Klapse gewesen. Abgesehen davon: Euch hätte es in der Vergangenheit zwei Mal gegeben. Wie habt ihr euch das mit Farim vorgestellt? Wolltet ihr ihn mit euren jüngeren Ichs teilen?«

»Wir müssen das nicht weiter ausdiskutieren«, fuhr mir Sarah über den Mund. »Du hast recht, aber das hat sich mittlerweile ja sowieso erledigt.«

»Richtig, die Maschine wurde zerstört.« Ich fixierte wieder Ben. »Was ist jetzt also euer Problem?«

Ben schnaufte und strich sich dabei mit der Hand über seine Glatze, die er gern als seine »Bruce-Willis-Frisur« bezeichnete.

»Vor ein paar Jahren«, begann er zögerlich, fast schon ängstlich, wie mir schien, »war es mir erstmals gelungen, Materie von einem Ort zu einem anderen zu teleportieren. In der Nacht, bevor ich dich ins Reversum schickte, gelang mir die erste Teleportation durch die Zeit. In beiden Fällen hatten die Versuchsobjekte hinterher ihre feste Konsistenz verloren. Es kam jeweils nur ein deformierter, breiiger Klumpen am Zielort an. Daraufhin habe ich einige Parameter geändert, und die zweiten Versuche liefen erfolgreich. Es gab keine Nebenwirkungen bei den Versuchsobjekten. Bei meiner ersten Raumteleportation stimmten außerdem die Zielkoordinaten nicht, weshalb der breiige Klumpen irgendwo anders in Frankfurt statt in meinem Labor ankam. Doch das waren noch die geringsten Probleme. Ein wahrhaft beunruhigender Nebeneffekt der beiden misslungenen Experimente offenbarte sich mir erst in der letzten Nacht.«

Ben machte eine Pause und sah hilfesuchend zu Sarah, als erwarte er ihre Zustimmung zum Weitersprechen.

»Welcher Nebeneffekt?«, drängte ich ungeduldig.

Mit gewohnt malerischer Gestik gleiste sich Ben wieder auf. Seine Stimme nahm dabei einen zunehmend deprimierten Klang an, was die Stimmung im Raum immer stärker trübte. »Bei jeder Teleportation werden zwei Portale geöffnet, eins am Start- und eins am Zielort. Verbunden sind sie über die sogenannte Einstein-Rosen-Brücke, auch als Wurmloch bekannt.«

»Ja, das ist mir soweit bekannt«, sagte ich genervt und wedelte ungeduldig mit der Hand.

»Bei meiner ersten Raum- und später der ersten Zeit-Teleportation haben meine Fehler in den Berechnungen zudem bewirkt, dass sich die Portale nach dem Materietransport nicht mehr geschlossen haben.«

»Heißt das«, sinnierte ich, von einem mulmigen Gefühl ergriffen, »dass zwei offene Wurmlöcher existieren?«

»Ja, aber es wird noch schlimmer.« Mein Herzschlag verstärkte sich wieder so sehr, dass es jeder im Raum hören musste. »Die Portale vergrößern sich stetig. Das heißt, die Löcher im Raum reißen mehr und mehr auf. Die beiden Portale des Wurmlochs, das ich vor Jahren erzeugt hatte, hatten damals die Größe eines Gymnastikballs. Heute haben sie bereits ganz Frankfurt erfasst. Die Portale meiner ersten Zeit-Teleportation, also von vor nicht einmal zwei Tagen, nehmen jetzt bereits drei Viertel der Größe Frankfurts ein. Das heißt, sie wachsen um ein Vielfaches schneller.«

»Und w… was … bedeutet das?«, stotterte ich.

»Das vor Jahren erzeugte Wurmloch hat bewirkt, dass in der vorletzten Nacht ein Kellerregal von irgendwoher zum Schillerdenkmal teleportiert wurde, sodass die beiden Objekte miteinander verschmolzen sind. Möglich, dass eine solche unkontrollierte Teleportation bereits vorher mehrfach passiert war, nur vielleicht an weniger auffälligen Orten, sodass dies nicht an die Öffentlichkeit gelangte.«

»Moment mal!«, unterbrach ich ihn grübelnd und senkte erstmals geschockt das Messer. »Vorhin habe ich in den Nachrichten von drei weiteren derartigen Verschmelzungen gehört. Dann sind die also auch Resultate deiner Raumteleportation von damals?«

»Nein, das hat meine erste Zeit-Teleportation bewirkt. Die Nachwirkungen davon sind noch deutlich stärker. Die Portale von vorgestern Nacht reißen nicht nur viel schneller auf, der Transport von Materie über das Wurmloch erfolgt zudem viel häufiger und in einem immer größer werdenden Umkreis. Der Materieaustausch ist weder berechenbar noch kontrollierbar. In weniger als einer Woche werden die Portale bereits so groß sein wie der Mond. Der Größenzuwachs ist exponentiell. In bereits acht Tagen ist die ganze Erde davon betroffen, in etwa einem halben Jahr die Nachbarplaneten und in zwei Jahren bereits das gesamte Sonnensystem. Der Austausch von Materie und die damit einhergehenden Verschmelzungen werden immer häufiger. In acht Tagen wird unsere Erde also nicht mehr so sein, wie wir sie kennen. Wir werden alle tot sein, stückchenweise verschmolzen mit anderen Dingen. In ein paar Jahrzehnten wird unsere Galaxis ein einziges Chaos sein. Im Laufe von Jahrhunderten oder wenigen Jahrtausenden werden die Portale das gesamte uns bekannte Universum verschlungen haben. Wie im Mixer wird es zur Gleichverteilung von Materie kommen. Ein einziger Einheitsbrei. Kein Leben wird jemals mehr existieren können.«

Fassungslos starrte ich die beiden an. Das Entsetzen war mit arktischer Kälte bis in die verborgensten Winkel meines Verstandes vorgedrungen. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Muskeln, sodass mir das Messer aus der Hand glitt und lautstark auf den Fliesen landete. Das Scheppern riss mich aus der Starre.

Wie aus einem schier endlosen Höllenschlund drang es hohl aus meiner Kehle: »Das … das ist ein Scherz, oder?«

Ben zog seine Brauen zusammen. Es sah aus, als würden auch sie miteinander verschmelzen. »Also wenn ich einen Scherz machen wollte, dann hätte ich dich gefragt, was bei der Verschmelzung zweier Raubtiere entsteht.« Sein bisher finsterer Blick erhellte sich durch den Hauch eines schelmischen Grinsens etwas, und auf mein Schweigen hin sagte er: »Es entsteht ein Bärtiger.«

Wie konnte Ben in dieser Situation noch an Wortspiele denken? Versuchte er nur, mich aufzumuntern? Oder wollte er mir damit zeigen, dass er der Ben war, den ich kannte, damit ich seinen Worten Glauben schenkte? Von mir konnte er derzeit jedenfalls nicht mehr erwarten als eine entsetzte, stockfinstere Miene zu ernten.

»Es tut mir leid«, sprach Ben schließlich mit wieder todernstem Gesicht weiter. »Es ist so wahr, wie ich Ben bin und das meine Frau Sarah ist. Du hast es ja selbst in den Nachrichten gesehen. Dinge von entfernten Orten werden immer häufiger miteinander verschmelzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch uns erwischt.«

Meine Brust hob und senkte sich im Rhythmus unbeherrschbarer Schauer, die mich überliefen. Die Angst hatte sich wie eine riesige Hand aus Eis um mein Herz geschlossen. Ich zitterte, als wäre ich in einem Kühlraum gefangen.

»Und«, stockte ich, »kann man gar nichts dagegen tun?«

Ben kratzte sich am Kopf. »Es gibt eine – wenn auch geringe – Chance, das aufzuhalten.« Er sah mich streng an. »Und deshalb bist du da.«

»Ich?«, tat ich überrascht, obwohl ich wusste, dass es darauf hinauslief.

»Ja. Unsere Chance besteht darin, die Portale zu schließen. Und zwar zu genau den Zeitpunkten, zu denen sie geöffnet wurden.«

»Und wie bitteschön wollen wir das anstellen? Dazu müssten wir ja in die Vergang…« Ich hielt inne.

Sarah und Ben bedachten mich eines Ausdruckes, der zugleich Zustimmung als auch Mitleid bedeuten konnte. Nach einigen schweren Atemzügen bestätigte Ben meine Ahnung: »Korrekt, du musst abermals durchs Reversum reisen. Diesmal, um die Existenz allen Lebens zu sichern.«

Mit offenem Mund stand ich da und atmete tief ein.

Meine Knie wurden weich wie zwei Schwämme. Mit fahriger Hand zog ich den verbliebenen Stuhl vom Tisch weg und ließ mich erschöpft darauf nieder.

 

 

Ich war wie geplättet, unfähig, einen Laut von mir zu geben. Mit eisigem Grauen malte ich mir aus, wie mein Leib mit dem Tisch vor mir eins wird. Noch schlimmer wurde es, als Amina in meinem Geiste erschien. Aus ihrem Brustkorb ragte ein Grabstein, auf dem die Namen Amina & Neven Renner eingraviert waren. Mir gefror das Blut. Meine Fantasie ging mit mir durch. Ich versuchte, das Bild loszuwerden – es gelang mir nicht. Dass Amina keine Terroristin war, war in Anbetracht des uns bevorstehenden Grauens kaum ein Trost. Ein Schaudern nach dem anderen durchlief mich.

»Ich wünschte, wir hätten bessere Nachrichten«, sagte Sarah betrübt. Die Traurigkeit und Trostlosigkeit in ihrer Stimme zerstreuten jegliche Zweifel am Wahrheitsgehalt von Bens Ausführungen. »Aber ohne deine Hilfe sind wir aufgeschmissen.«

Meine Beklemmung wich allmählich rechtschaffenem Zorn, woraufhin meine Stimme jäh wiederkehrte. »Wenn ihr das verbockt habt, dann bringt das gefälligst selbst wieder in Ordnung«, knurrte ich.