Reversum: Wettlauf gegen die Zeit - Mirko Hübner - E-Book

Reversum: Wettlauf gegen die Zeit E-Book

Mirko Hübner

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Beschreibung

Zweiter Teil des Auftaktes zur spannenden Zeitreise-Saga Zeit ist für Neven mehr Fluch als Segen. Seit er das erste Mal unfreiwillig rückwärts durch die Zeit gereist ist, trifft ihn ein Schicksalsschlag nach dem anderen. In den letzten Stunden hat er nahezu alles verloren, was seinem Leben zuvor Sinn verliehen hatte. Zudem bahnt sich eine verheerende Katastrophe an. Eine, die Neven abermals auf eine Weltrettermission ins Reversum geführt hat. Doch diesmal scheint es nicht nur ein Wettlauf gegen die Zeit, sondern auch gegen den Tod zu werden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Prolog
Kapitel 15
Kapitel 14
Kapitel 13
Kapitel 12
Kapitel 11
Kapitel 10
Kapitel 9
Kapitel 8
Kapitel 7
Kapitel 6
Kapitel 5
Kapitel 4
Kapitel 3
Kapitel 2
Kapitel 1
Epilog
Ausblick auf Band 3

REVERSUM

Band 2: Wettlauf gegen die Zeit

von Mirko Hübner

Mirko Hübner

 

 

Band 2: Wettlauf gegen die Zeit

 

Roman

 

 

Copyright: © 2025 by Mirko Hübner (Selbstverlag)

 

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

 

1. Auflage, November 2025

 

Autor, Herausgeber, Layout:

Mirko Hübner

Gehrnstr. 50

71720 Oberstenfeld

Umschlaggestaltung: Nico Reimer, Mirko Hübner

Korrektorat: Michael Kanthak

ISBN: 978-3-910357-12-9

 

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www.zeitreise-saga.de

 

Wie winzige Blutegel spüre ich die Angst in jeder Ader zucken. Die Stille und die Dunkelheit eines im Fels eingeschlossenen Urzeitkäfers umhüllen mich. Obwohl ich nicht selbst der Käfer bin, fühle ich mich genauso versteinert und eingeschlossen – einsam, verlassen und von der Außenwelt abgeschnitten. Ich bin dem Tode geweiht!

In einer ähnlich beklemmenden Lage befand ich mich vor nicht einmal zehn Stunden, als ich an einen Stuhl gefesselt war und mit Bangen hoffte, dass mir Sarah, die Frau meines bis dato besten Freundes Ben Rahimi, keine Kugel verpasst. Doch im Gegensatz zu jetzt bestand zu besagtem Zeitpunkt wenigstens noch ein Fünkchen Hoffnung auf einen guten Ausgang, denn ich hatte einen Plan – einen riskanten, aber guten Plan. Einen, der am Ende aufging.

Ben hatte meine Freundin Amina und mich dazu benutzt, seine terroristischen Hände in Unschuld zu waschen. Ich hatte zwar seine Pläne durchschaut, musste aber das Risiko eingehen, ein Projektil in meinen Schädel gejagt zu bekommen, um herauszufinden, welche Bluttat die beiden vorhatten. Dank der Unterstützung meines Vaters David konnte ein Bombenattentat auf das Einkaufszentrum Skyline Plaza in Frankfurt verhindert, Sarah und Ben dingfest gemacht und damit Aminas Unschuld bewiesen werden.

Doch inzwischen hat sich das Blatt aufs Schrecklichste gewendet. Wiederholt wurde ich unwillentlich zum Retter der Welt auserkoren. Diesmal scheint die Lage allerdings um einiges aussichtsloser zu sein. Denn bei dem, was ich in den letzten Stunden erlebt habe und sicherlich noch erleben werde, handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit nicht wieder nur um eine Holoprojektion. Bereits gestern hat mich Ben mit einer simulierten Atomexplosion im Reversum getäuscht. »Reversum« habe ich die Welt genannt, in der die Zeit rückwärtsläuft. Genaugenommen war das meine eigene Welt, die ich dank Ben für drei Stunden rückwärts erleben musste.

Jedenfalls scheint es zur Gewohnheit geworden zu sein, dass ich von einer Schwierigkeit in die nächste schlittere und eine herbe Enttäuschung nach der anderen kassiere. Seit nunmehr fast zwanzig Stunden balanciere ich quasi barfuß auf des Messers Schneide.

Im Gegensatz zu meiner von Sarah verpatzten Hinrichtung scheint mein Ende diesmal jedoch besiegelt und unausweichlich. Die unverhoffte Todesgewissheit hat mich in einen derartigen Schock versetzt, dass der Schmerz in meiner rechten Wade praktisch ausgeblendet ist. Apathisch greife ich nach dem betroffenen Bein. Es fühlt sich komplett taub an.

Mittlerweile habe ich mich mit meinem Schicksal abgefunden und dem Überlebenswillen goodbye gesagt. Allmählich verlieren sich meine Gedanken in der kalten Schwärze ringsum. Ich fühle so gut wie nichts mehr – wie der versteinerte Urzeitkäfer, dessen Lebenslicht schon lange erloschen ist.

Ein entferntes Knarren schreckt mich auf.

Was war das?

Plötzlich bin ich wieder ganz bei Sinnen. In der wiedereingekehrten Stille halte ich den Atem an. In diesem Moment wünsche ich mir einen schnellen, schmerzlosen Tod. Andernfalls könnte es zu einem langen, qualvollen Kampf gegen den Sensenmann kommen.

Und da holt mich die Vergangenheit wieder, einem Blitzschlag gleich, ein. Angesichts meines sicher bevorstehenden Todes ziehen die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Stunden abermals geisterhaft an meinem inneren Auge vorüber.

 

 

All diese Strapazen: meine Reise rückwärts durch die Zeit; die bloß projizierte, aber real anmutende Atomexplosion in der Zukunft; die Verfolgungsjagden mit Polizisten und Terroristen in beiden Richtungen des Zeitstrahls; zwei Mal die irrtümliche Annahme, meine Freundin Amina, die ich zu heiraten beabsichtigte, sei eine Drahtzieherin des Terrorismus in Frankfurt; und nicht zuletzt die schmerzhafte Erkenntnis, dass sich mei-ne besten Freunde – die Rahimis – als diejenigen entpuppten, für die ich Amina gehalten hatte.

All das war nun endlich vorbei – so hatte ich zumindest geglaubt.

Mir war es gelungen, die Unschuld meiner Traumfrau Amina zu beweisen, indem ich mit einem Trick ein Geständnis aus Ben herausgekitzelt hatte. So bitter auch meine Enttäuschung über das wahre Wesen meiner langjährigen Freunde war, wenigstens konnte ihr geplanter Terrorakt vereitelt werden, mit dem das Skyline Plaza dem Erdboden gleichgemacht und damit viele hundert Menschen in den Tod gerissen werden sollten.

Noch glücklicher machte mich freilich, dass ich noch am selben Abend mit Amina nach Hause fahren konnte – Amina, mit der ich eigentlich ausgiebig unser Zweijähriges hatte feiern wollen. Ben und Sarah hatten mir bezüglich des geplanten Dinners einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht, was in Anbetracht meiner wohl eher bescheidenen Fertigkeiten als Koch möglicherweise sogar von Vorteil war. Das mit dem Lieblingsgericht für Amina – Bandnudeln mit Lachs und Spinat – jedenfalls war gehörig ins Wasser gefallen. Deshalb begnügten wir uns mit Steinofenpizzen vom Italiener um die Ecke.

Zuhause eröffneten wir unser Dinner mit dem Rest eines vor Tagen geöffneten Barolo. Doch das Highlight des Abends sollte noch folgen: mein für kurz vor Mitternacht geplanter Heiratsantrag. Dafür hatte ich mir goldene Verlobungsringe gekauft, die sich in einer blauen, in meiner Hosentasche verborgenen Schatulle befanden.

Ich war wahnsinnig aufgeregt. Mein Atem ging flach. Und ausgerechnet in dem Augenblick, als ich Amina den Antrag machen wollte, meldete sich mein Spacephone. Für jeden meiner Kontakte hatte ich spezielle Summtöne programmiert, die Amina glücklicherweise nicht zuordnen konnte. Und jener stammte von Sarahs Spacephone – was mich äußerst stutzig machte, da sie sich derzeit doch in Gewahrsam befand und daher gar keine Möglichkeit haben konnte, eine private Nachricht zu versenden. Ich konnte nicht anders als die Nachricht zu lesen.

Der Betreff lautete: »WARNUNG! Bitte allein lesen! Niemandem zeigen!« Mit dem Lesen der Nachricht änderte sich plötzlich alles:

 

Hallo Neven, wir müssen dich dringend warnen. Diese Nachricht habe ich mittels einer Timer App versendet. Wenn du sie liest, sind Ben und ich entweder tot oder im Gefängnis. Was auch immer geschehen ist, es tut uns unendlich leid. Eines Tages wirst du unser Handeln vielleicht verstehen. Doch momentan musst du uns glauben: Amina ist nicht die, für die du sie hältst! Hast du dich schon einmal gefragt, warum sie ständig Überstunden macht und sich oft mit angeblichen Freundinnen trifft, die du nie zu sehen bekommen hast? Am Freitag vor vier Wochen beispielsweise kamst du früher als erwartet von der Arbeit nach Hause, und Amina war nicht da. Sie behauptete später, sie hätte eine betrogene Freundin trösten müssen. Allein das sollte dir zu denken geben, ob du Amina wirklich trauen kannst. Am besten, du traust niemandem. Sarah & Ben

 

Ich konnte einfach nicht fassen, was ich da las. Alles hatte darauf hingedeutet, dass wir mit der Verhaftung von Ben und Sarah das Übel an der Wurzel gepackt hatten. Und nun stellte Sarah es so dar, als sei Amina das wahre Übel.

Nein, bitte nicht schon wieder Amina!

Was hatte ich mit ihr nicht schon alles durchmachen müssen. Nach meiner dreistündigen Reise durchs Reversum, in das mich Bens angeblicher Weltenteleporter be-fördert hatte, musste ich mit Schrecken erfahren, dass ich in Wirklichkeit drei Stunden in die Zukunft meiner eigenen Welt teleportiert worden war, von wo aus ich in die entgegengesetzte Richtung des Zeitstrahls unterwegs war.

Bei meiner Ankunft in der Zukunft erlebte ich zunächst eine Atomexplosion rückwärts. Ich war in einem Raum eines Hochhauses auf einem Stuhl festgebunden und musste die schreckliche Katastrophe mit ansehen. Es war, als säße ich in einem Kinosaal, in dem ein apokalyptischer Film rückwärts abgespult wird.

In dem Raum befand sich neben dem bulligen Polizisten Lukas Steiner auch Amina, die mich allen Hinweisen zufolge hatte ergreifen lassen, um mir einen Datenstick abzunehmen, der anscheinend die Atomexplosion ausgelöst hatte.

Später stellte sich allerdings heraus, dass die Sequenz im Hochhaus, in der Frankfurt zerstört wurde, lediglich eine 3D-Projektion war, die Ben erschaffen und die ich auf seinem Holodeck erlebt hatte, wohin ich von Ben und meinem älteren Ich gebracht worden war, als ich bewusstlos war.

Ich war zunächst heilfroh, mich bezüglich Amina geirrt zu haben, bis mein Vater David Renner – der Leiter der European Anti Terror Agency – sie am Flughafen gefangennehmen ließ und Beweise vorbrachte, laut denen Amina nun doch in alles involviert war.

Dennoch wollte ich partout nicht an ihre Schuld glauben. Nach stundenlanger, nervenzermürbender Gehirnakrobatik durchschaute ich Ben endlich. Er hatte mich absichtlich drei Stunden in die Zukunft auf sein Holodeck teleportiert und Dokumente fälschen lassen, die Amina letztlich als Drahtzieherin des Terrorismus in Frankfurt überführen sollten.

Dank meines Scharfsinns und der Unterstützung meines Vaters war Bens Plan gescheitert. Ein Wunder nur, dass Bens Brille, mit der er die Zukunft sehen konnte, ihm das nicht verraten hatte. Doch darüber machte ich mir keine Gedanken mehr. Ich strahlte vor Glück, als Amina wieder freigelassen wurde.

Ben hatte mir Amina betreffend ein wahres Wechselbad der Gefühle beschert: unschuldig – schuldig – unschuldig – schuldig – unschuldig. Und plötzlich doch wieder schuldig? Schuldig im Sinne der Anklage als Terroristin?

Nein, das konnte und vor allem wollte ich nicht glauben. Nicht schon wieder. Doch nach all meinen Erlebnissen in den vergangenen Stunden war die Mauer meiner Sicherheit gehörig ins Wanken geraten. Und mit Sarahs Nachricht taten sich plötzlich auch noch dicke Risse auf.

Wollte mich Sarah nur verunsichern? Gönnte sie es mir nicht, weiterhin mit Amina zusammen zu sein? Mit ihr glücklich zu werden? Vielleicht sogar Kinder zu haben – ein Wunsch, dessen Erfüllung Sarah nach dem Tod ihres Sohnes und ihrer damit einhergehenden Zeugungsunfähigkeit verwehrt geblieben war?

Sollte ich permanent mit der Angst leben, jeder um mich herum könnte ein Verbrecher oder gar ein Terrorist sein, der es auf mich abgesehen hat? Sollte ich niemandem mehr trauen und keine Frau mehr lieben können? Weil mein Vater und ich ihr Leben und ihre Mission zunichtegemacht hatten? War dies also ihre Rache, die sie für den Fall eines Misserfolgs vorsorglich vorbereitet hatte? Oder sollte ich ihre Warnung nicht doch lieber ernst nehmen?

Mich machte nämlich stutzig, dass Sarah von Aminas Freundinnen wusste, die ich nicht kannte. Mag sein, dass Amina in Gegenwart von Sarah irgendwann einmal darüber gesprochen hatte, aber welchen Grund sollte sie gehabt haben, Sarah mitzuteilen, ich hätte ihre Freundinnen noch nie gesehen?

Mehr noch überraschte mich aber, dass Sarah wusste, dass ich vor vier Wochen früher als erwartet von der Arbeit nach Hause gekommen und dass Amina nicht dagewesen war. Als sie später selbst heimkam, war sie von meiner unerwarteten Gegenwart so sehr überrascht, ja, fast schon ertappt, dass sie sogar zu stottern begann, was sie sonst nie tat. Ihre Erklärung mit der Freundin, die sie trösten musste, weil deren Freund fremdgegangen war, war mir für einen Moment wirklich wie eine spontane Ausrede erschienen, aber ich vertraute ihr, hatte also nicht nachgehakt und es schnell wieder vergessen.

Dass Sarah ausgerechnet davon wusste, ließ nur wenig Spielraum für Schlussfolgerungen. Ihre Warnung hätte ich garantiert als eine Lüge abgetan, wären da nicht diese beiden Dinge gewesen, die sie eigentlich nicht hatte wissen können. Denn so innig befreundet waren die beiden auch wieder nicht. In der Regel war ich mit Amina gemeinsam bei den Rahimis zu Besuch gewesen. Sarah konnte also nur davon gewusst haben, wenn sie sich ohne mein Wissen mit Amina getroffen hatte, zum Beispiel an den Abenden, an denen Amina vorgegeben hatte, sich mit ihren Freundinnen zu treffen. Auch Aminas Reaktion an besagtem Tag unterstrich die Glaubwürdigkeit von Sarahs Nachricht.

All diese Überlegungen bestärkten meinen Entschluss, die Schatulle mit den Verlobungsringen und auch das Spacephone wieder in meine Hosentaschen zurückwandern zu lassen. Wie durch eine Nebelwand hörte ich Aminas Frage, wer mir denn eine Nachricht geschickt habe.

»Ach, äh, nur mein Vater«, antwortete ich prompt. »Er schreibt, dass Sarah und Ben jetzt in sicherem Gewahrsam sind.«

Ich versuchte, bei meinen Worten gelassen zu wirken, doch mein Herz schlug so schnell und aufgeregt, dass ich befürchtete, Amina könnte es hören und am Klang und dem ständig wechselnden Rhythmus erkennen, dass ich sie belog. Hoffentlich hakte sie nicht nach.

Zu meiner Erleichterung war ihre Reaktion vertrauensselig. »Okay«, sagte sie beiläufig und erinnerte mich: »Du wolltest mir gerade etwas sagen?«

»Ach ja?«, tat ich überrascht und wusste vor Schreck nicht gleich, was ich darauf erwidern sollte. Der Heiratsantrag jedenfalls war vorerst auf Eis gelegt – so lange jedenfalls, bis ich mir zweifelsfrei sicher sein konnte, dass Amina unschuldig war.

Erwartungsvoll hob sie ihre Brauen und lächelte mich an.

Für einen Augenblick waren der Glaube an ihre Unschuld und der Wunsch, ihr die allesentscheidende Frage zu stellen, stärker denn je. Doch gleich darauf musste ich mich wieder zu Vorsicht und Vernunft zwingen. Jetzt noch nicht, Neven! Nicht jetzt! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Einige Sekunden lang spielte ich noch den Ratlosen, indem ich sie mit offenem Mund und gerunzelter Stirn anstarrte, ehe ich in gespielter, plötzlicher Erhellung kurz schnaufte und »Ach so, ja!« antwortete.

Ich holte zwei Mal tief Luft, sah ihr etwas unsicher in die großen, rehbraunen Augen und sagte mit hohler Stimme: »Schatz, ich wollte dir nur noch mal sagen, wie sehr ich dich liebe und wie erleichtert und glücklich ich bin, dass du wieder frei bist.«

Amina strahlte vor Glück – wie mir schien – und gab mir einen zärtlichen Kuss. Statt eines wohligen Prickelns lief mir diesmal allerdings eine Armee von Eisspinnen das Rückgrat hinunter. Anschließend sah sie mich an, als hätte ich einen Kaugummi im Mund oder einen Knoten in der Zunge. Verdammt, hoffentlich hatte ich mich nicht verraten! Ich hätte ihr Liebesbekenntnis besser mit etwas mehr Leidenschaft erwidern sollen, statt es wie ein lebloser Kloß geschehen zu lassen.

Doch dann zog sich ihr Mund wieder zu einem breiten, herzlichen Lachen auseinander. »Ich liebe dich auch von ganzem Herzen«, sagte sie mit einer Leichtigkeit in der Stimme, die auch mich wieder etwas lockerer machte. »Darum lass uns nochmal darauf anstoßen!«

Sie griff nach einer neuen, noch verkorkten Flasche – einem Barolo, den wir bisher noch nicht probiert hatten – und öffnete sie mit dem Kommentar: »Den wollte ich schon lange mal probieren.«

Während Amina den Wein einschenkte, musterte ich sie aufmerksam und kritisch. In den zwei Jahren, die wir zusammen waren, hatte Amina nicht allzu oft Gefühlsschwankungen. Doch wenn, dann konnte ich stets deutlich an ihren Augen beziehungsweise an leichten Zuckungen ihrer Brauen ablesen, ob ihr etwas auf der Seele lag oder ob sie sich über etwas besonders freute oder ärgerte.

Doch diesmal war nichts dergleichen zu erkennen. Allenfalls ein Hauch von Erleichterung und Glück schien in ihren Pupillen zu funkeln. Entweder war sie bezüglich Sarahs verstecktem Vorwurf so unschuldig wie ein Lamm auf einer Wiese voller toter Wölfe … oder sie war tatsächlich eine Terroristin, hatte aber keinerlei Verdacht, dass der Inhalt der Nachricht etwas damit zu tun haben könnte.

Mein Puls war mittlerweile wieder normal. Nein, selbst mit viel Fantasie konnte diese Wahnsinnsfrau keine Ausgeburt Satans sein. Bestimmt wird sich Sarahs Anschuldigung bald schon als Irrtum oder gar als Lüge erweisen – spätestens, nachdem mein Vater sie ins Gebet genommen hat.

Genau, mein Vater! Mit ihm musste ich darüber reden, dann würde gewiss bald alles klar sein. Als Leiter der EATA war es wohl das Unwahrscheinlichste, dass ausgerechnet er ein Terrorist ist, sonst hätte er gewiss nicht Amina und später die Rahimis verhaften lassen.

Mit neugewonnener Zuversicht stieß ich mit Amina an: »Auf uns!«, sagte ich. »Auf uns!«, erwiderte sie.

Ich zögerte kurz, doch als Amina einen großen Schluck nahm, setzte auch ich mein Glas an.

Eine wahre Gaumenexplosion war es, als der vollmundige Rebensaft meine Speiseröhre hinabglitt und mich kurzzeitig innerlich erwärmte.

Amina stellte ihr Glas zuerst ab und beäugte mich mit schräggelegtem Kopf in augenscheinlicher Erwartung irgendeiner Reaktion meinerseits.

Und plötzlich, als auch ich das Glas von den Lippen nahm, um es abzustellen, durchfuhr mich statt der gewohnten Wärme eine arktische Kältewelle.

Eine pelzige Taubheit ergriff schlagartig Besitz von mir. Ich spürte das Glas in den Fingerspitzen nicht mehr. Mir war, als hätte ein Vampir sämtliches Blut aus meinem Körper gesaugt.

Das Glas entglitt meiner Hand und zerschellte am Boden. Mein Körper erstarrte. Ich konnte nicht einmal mehr mit der Wimper zucken, geschweige denn den Kopf drehen oder etwas sagen. Sogar mein Herz schien aufgehört haben zu schlagen.

Mein Verstand arbeitete jedoch unaufhörlich weiter und malte sich die schrecklichsten Szenarien aus, die jetzt folgen könnten. Was verdammt nochmal hatte Amina mit mir gemacht?

Sie verzog ihre Lippen zu einem durchtriebenen Lachen und erhob sich mit stolz geschwellter Brust. Ich merkte, wie ich allmählich das Gleichgewicht verlor und vom Stuhl zu kippen drohte.

In Sekundenschnelle war Amina um den Tisch herumgelaufen und hatte mich von hinten unter den Achseln gepackt. Ohne ein Wort zu verlieren, schleifte sie mich zur Couch und legte mich flach darauf. Ich war ihr komplett ausgeliefert.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie sie sich neben mich setzte und mein Spacephone aus meiner lin-ken Hosentasche zutage förderte. Obwohl ich nicht genau sehen konnte, was sie tat, wusste ich, dass sie Sarahs Nachricht las.

Eine unerträgliche Weile später beugte sie sich über mich, sodass ich in ihre nunmehr eiskalten Augen sehen musste, die so schwarz waren wie die Tiefsee, sodass ich befürchtete, darin zu ertrinken. Dabei spürte ich nicht einmal den erwarteten eiskalten Schauer. Mein ganzer Körper war leblos, wie in eine Art Dornröschenschlaf versetzt, bei dem der Verstand allerdings in einem fort weiterwerkelte.

Mein Herz schien bereits aus der Brust gerissen zu sein, darum malträtierte sie jetzt wohl mein Bewusstsein, indem sie ihren Blick kalt über mein Gesicht gleiten ließ. Ein stechendes Glitzern funkelte in ihren Pupillen.

Gefühlte fünf Minuten später begann sie, mit gespielter Schwermut zu reden.

»Oh Neven, Schatz, was hab ich dir nur getan, dass du mich so belügen musstest?« Sie hielt mir Sarahs Nachricht vor die Nase, legte dabei die Hand auf ihre Brust und setzte eine enttäuschte, betroffene Miene auf. »Das hat mich wirklich schwer getroffen. Hab ich dich jemals belogen?« Verständnislos schüttelte sie den Kopf.

Zwei Jahre lang waren Aminas Augen wie ein offenes Buch für mich gewesen. Und nun wurde es mit einem heftigen Schlag geschlossen. Sie hatte die ganze Zeit über gewusst, dass ich sie bezüglich Sarahs Nachricht belogen hatte. Und ihr war nichts davon anzumerken gewesen. Offensichtlich war sie eine viel bessere Schauspielerin, als ich es je vermutet hätte. War es von ihr die letzten zwei Jahre dann auch nur ein brillantes Schauspiel gewesen? Kannte ich sie überhaupt?

Amina setzte sogar noch eins drauf, indem sie sich über mich lustig machte. »Hast du gar nichts dazu zu sagen, Schatz? Oh, du enttäuschst mich ja mit jeder Minute mehr.«

Sie zog nachdenklich die Brauen zusammen und schlug sich dann mit der Hand theatralisch gegen die Stirn.

»Ach so, entschuldige! Wie dumm von mir. Ich hatte ja ganz vergessen, dass du gar nicht sprechen kannst. Jetzt fragst du dich sicherlich, warum, oder? Nun ja, das hier ist der Grund.«

Sie zeigte mir ein kleines dunkles Fläschchen mit einem Etikett, auf dem ein langer lateinischer Begriff stand, den ich auf die Schnelle nicht identifizieren konnte. Darunter war ein Totenkopf abgebildet.

»Das ist das Gift einer seltenen afrikanischen Spinne, einer hochgiftigen Abart der Totenkopfspinne. Mit ihrem Gift tötet sie ihre Opfer nicht, sondern macht sie vorerst nur bewegungsunfähig, und trotzdem sind sie noch bei vollem Bewusstsein. Bei entsprechend hoher Dosis wirkt es natürlich auch tödlich, selbst für einen Menschen. Aber keine Sorge, so viel hast du nicht davon getrunken. Glaube ich zumindest.«

Sie kratzte sich unsicher am Kopf.

»Ausprobiert habe ich es bisher zumindest noch nicht bei einem Menschen. Jedenfalls habe ich das Gift vor einigen Tagen mit einer Spritze durch den Korken der Flasche in den Wein gespritzt. Die Wirkung soll gut vier Tage anhalten, heißt es. Also, falls du bis dahin nicht verdurstet bist … Naja, auf jeden Fall fährt das Gift den Herzschlag so sehr herunter, dass praktisch kein Puls mehr messbar ist. Man könnte dich für tot halten.«

Sie nahm ihr Weinglas, trank es in einem Zug leer und leckte sich anschließend verführerisch mit der Zunge über die Lippen.

»Ach wie köstlich! Ach so, du fragst dich jetzt gewiss, warum nicht auch ich erstarrt bin. Nun – ich hab vorher ein passendes Gegengift eingenommen.«

Amina beugte sich so weit über mich, dass sich unsere Lippen beinahe berührten, strich mir mit der Hand übers Gesicht und gab mir dann einen langen Kuss. Doch ich spürte nichts – außer einer eiskalten Leere an der Stelle, an der für gewöhnlich mein Herz saß.

Mit einem Seufzen richtete sie sich wieder auf.

»Ach Neven, ich wünschte, die Umstände wären andere. Wir hätten wirklich glücklich miteinander werden können. Doch leider war uns das Glück nicht wohlgesonnen. Und diese verdammten Rahimis sind schuld daran. Na, wenigstens haben sie ihre gerechte Strafe erhalten. Und da wir gerade beim Thema sind: Dich interessiert doch sicher auch, was Ben, Sarah, ich und die Frankfurter Terrorzelle miteinander zu tun haben, oder? Nun, wir drei haben jahrelang eng zusammengearbeitet. Mein Job als Sekretärin bei der Polizei war für unsere Sache durchaus hilfreich. Außerdem war der Job weniger arbeitsreich, als ich dir immer weisgemacht habe. Ich hab nur in Teilzeit gearbeitet. In der restlichen Zeit habe ich mich meistens mit Ben getroffen, um an unserer Sache zu arbeiten. In Wirklichkeit habe ich Ben allerdings nie getraut. Ich ahnte, dass er irgendetwas gegen mich im Schilde führte, um sich selbst reinzuwaschen. Ich war für ihn nur ein Spielball, so wie du auch. Dank dir wurde sein Plan gegen mich aber zum Glück vereitelt. Und das werde ich dir natürlich nie vergessen. Als Dank dafür lass ich dich am Leben. Normalerweise hätte ich dich jetzt nämlich töten müssen.«

Amina holte tief Luft und strich sich die Haare aus dem Gesicht, ehe sie weitersprach.

»Um ehrlich zu sein, ich hab dir sogar doppelt zu danken. Dank Sarahs Verrat kann ich nämlich bald in der Champions League unserer Gruppe mitspielen. Ben und Sarah – und auch ich – waren nicht, wie du vielleicht vermutet hast, die federführenden Leute. Da steckt noch weit mehr dahinter als pure Rache von Ben. Um ganz oben mitspielen zu können, muss ich nur bedingungslose Treue beweisen. Wenn ich es also schaffe, die Leute dort davon zu überzeugen, dass ich den Mann, den ich liebe, für unsere Sache getötet habe, dann stehen mir praktisch alle Türen offen.«

Amina strahlte plötzlich vor Stolz und Zuversicht. »Ich erzähle dir das alles nur, weil ich dir was schuldig bin. Aber das Wissen nützt dir sowieso nichts. Denn selbst wenn du das hier überlebst: Wenn du es deinem Vater oder wem auch immer erzählst, ist es bereits zu spät. Dann haben wir unser Ziel schon längst erreicht.« Sie strich mir nochmals lächelnd übers Gesicht. »Neven, Schatz, entschuldige mich bitte für einen Moment! Ich muss nur schnell mal telefonieren. Bin gleich wieder da. Also, bleib schön brav da liegen, okay? Und übrigens, ich hab das Telefon und dein Spacephone stumm gestellt, damit du schön ungestört bleibst.«

Sie grinste diabolisch, erhob sich und entfernte sich zügigen Schrittes.

 

 

Ich kam mir vor wie ein Spinnenmännchen, das nach der Paarung vom Weibchen eingesponnen wird und dann darauf wartet, von ihm aufgefressen zu werden.

Der Schreck saß so tief, dass ich mich wahrscheinlich allein deswegen nicht mehr hätte bewegen können. Mit zur Wohnzimmerdecke gerichtetem Blick lag ich nun also hilflos auf dem Sofa und hörte Aminas dumpf aus dem Schlafzimmer herüberhallende Stimme. Ich ver-stand nicht, was sie sagte, ich konnte es lediglich erahnen.

Wie hatte sie mich die letzten zwei Jahre nur so an der Nase herumführen können?

Nach wenigen, quälenden Minuten kehrte sie zurück und setzte sich wieder neben mich aufs Sofa.

»Hallo Schatz, ich bin wieder da«, sagte sie in einem Ton, in dem eine Art Vor- oder Schadenfreude mitschwang. Sie beugte sich über mich. Ihr Lächeln besaß die Wärme einer von Krokodilzähnen verursachten Wunde im Bauch einer Leiche.

»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche willst du zuerst hören? Ich glaube, zuerst die gute: Meinem Aufstieg auf der Karriereleiter steht offenbar nichts mehr im Wege. Die schlechte Nachricht: Leider wirst du das nicht miterleben. Ich hoffe, du freust dich trotzdem mit mir. Damit ich mein Ziel erreiche, müssen wir nur noch zwei Typen davon überzeugen, dass ich würdig bin, in die Chefetage einzuziehen. Die beiden werden uns in den nächsten Minuten einen Besuch abstatten.«

Mit grübelnder Miene hielt sie inne und hob den Zeigefinger. »Hm, warte mal! Das ist fast perfekt. Fehlt nur noch eins.«

Sie strich mir mit den Fingern über die Augen, sodass sich meine Lider schlossen, ich also nichts mehr sehen konnte. »Ja, das ist perfekt. Bleib genau so liegen! Steht dir übrigens gut – dich totzustellen.«

Sie verstummte. Eine Weile lang hörte ich gar nichts. Weder etwas zu sehen, noch etwas zu hören, machte mich angesichts meiner ohnehin wehrlosen Lage schier wahnsinnig. Amina hätte sonst was mit mir machen können – mich tätowieren, schlagen, foltern, auspeitschen, sezieren, häuten, rädern, aufspießen, entmannen, zerstückeln oder an die Hunde verfüttern – und ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Ich war ihr komplett ausgeliefert: blind, taub, gefühllos – ein quasi toter Mann.

Endlich sagte sie wieder etwas, das wie mit einem Bunsenbrenner daherkam. »Ach ja, bevor ich’s vergesse: In den Morgenstunden wird in einer deutschen Stadt eine Atombombe hochgehen.«

Sie pausierte kurz, offenbar, um mir Zeit zu geben, die entsetzliche Neuigkeit zu begreifen.

»Doch diesmal wird es nicht nur ein Hologramm sein. Die gute Nachricht: Ich werde dann in Sicherheit sein. Die schlechte: Selbst wenn dich hier jemand finden und dich aus deiner Starre befreien könnte: Niemand kann es aufhalten – weder du, noch dein Vater. Eigentlich kannst du mir sogar dankbar dafür sein, dass ich es verhindere, dass du hier rausgehst und dich schon wieder in Gefahr begibst. Das eine kannst du mir nämlich glauben: Würdest du auch nur an einen unserer Leute geraten, du wärst ein toter Mann. Die kennen im Gegensatz zu mir nämlich keine Gnade. Womöglich war längst schon ein Attentat auf dich geplant, weil du inzwischen zu viel weißt. Spätestens als dich Sarah indirekt über meine wahre Identität aufgeklärt hat, war dein Todesurteil praktisch unterschrieben. Da du mir aber die Freiheit geschenkt hast und mir nicht ganz egal bist, schenke ich dir vorübergehend das Leben. Ich hoffe, du weißt meine Geste zu schätzen. Gut, dann wollen wir mal hoffen, dass …«

Das schrille Klingeln der Tür schnitt ihr das Wort ab.

»Oh, unser Besuch ist schon da. Ich geh dann mal zur Tür. Und denk dran: Immer schön totstellen, ja?«

Ihre Schritte entfernten sich. Sie öffnete die Tür. Männerstimmen erschallten aus dem Flur. Dann feste, bedrohliche Schritte, die sich mir ungestüm näherten.

»Da liegt er«, hörte ich Amina selbstbewusst sagen.

»Und womit hast du ihn vergiftet?«, fragte eine brummige Männerstimme.

»Mit dem Spinnengift hier. Es stammt von der Totenkopfspinne. Das kennt ihr doch sicher, oder? Es lähmt das Herz binnen weniger Sekunden. Und das Beste: Das Gift ist nicht nachweisbar.«

»Jaja«, hörte ich den Mann gelangweilt zustimmen. Sicherlich wollte er sich nur nicht die Blöße geben, zugeben zu müssen, die Wirkungsweise des Giftes nicht genau zu kennen.

Ein kehliges Brummen folgte. Ich spürte, wie sich mir jemand näherte. Aus seinem Keuchen folgerte ich, dass er nun neben mir saß. Er drückte meinen Kopf leicht zur Seite. Obgleich ich seine Hand nicht fühlte, wusste ich, dass er meinen Puls prüfte.

»Ich spüre keinen Puls«, ertönte seine bissige Stimme mit wie mir schien arabischem, zumindest aber südosteuropäischem Akzent.

»Na was glaubst du denn, was man bei einem Toten noch spürt?«, spottete Amina.

Ich hörte, wie der Typ zu meiner Rechten beleidigt aufstand und mit einem tiefen Schnaufen zu sprechen ansetzte.

Doch sein Kollege mit der Bärenstimme bremste ihn: »Ganz ruhig, Hakan! Lass dich nicht provozieren!«

Ein verärgertes Grummeln folgte. »Ich lass mich doch nicht von so einem jungen Gemüse beleidigen. Sei froh, dass uns der Boss aufgetragen hat, dir kein Haar zu krümmen. Allerdings …«

Er hielt inne. Ein Geräusch erklang, das sich wie das Entsichern einer Pistole anhörte. Panik stieg in mir auf.

»Allerdings«, wiederholte er quälend langsam, »hat er es uns überlassen, wie wir deinen Ex hinterlassen, solange er nur tot ist. Und ich geh da lieber auf Nummer sicher.«

»Halt, nein!«, brüllte Amina los und machte, wie mir schien, einen Satz zwischen ihn und mich. »Bitte verpass ihm keine Kugel!«, flehte sie. »Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich das längst selbst getan, statt ihn zu vergiften.«

»Ach, ist er womöglich gar nicht tot?«

»Natürlich ist er tot. Er war eine zu große Gefahr für unsere Sache. Ich musste ihn ausschalten, sonst hätte er auch mich verraten. Und ich will gewiss nicht nochmal in den Knast.«

»Ach ja? Und warum darf ich ihm dann keine Kugel verpassen?«

»Ich will nicht, dass ihn irgendjemand verunstaltet. Ihm hab ich mein Leben und meine Freiheit zu verdanken. Ich bin ihm also noch was schuldig.«

»O mein Gott!«, brummte der Mann im Hintergrund. »Dann hast du dich also tatsächlich in ihn verliebt?«

Amina seufzte hörbar. »Ja, und da kannst du dir vielleicht vorstellen, wie schwer es mir gefallen ist, ihn zu vergiften.«

Du durchtriebenes Miststück, dachte ich bei mir. Lieferst als Treuebeweis eine wirklich überzeugende Show ab. Wüsste ich es nicht besser, würde ich es dir glatt abkaufen, dass du mich geliebt hast.

Der Typ mit der scharfzüngigen Stimme schien davon allerdings weniger überzeugt zu sein. »Ein Grund mehr, seinen Schädel wegzupusten«, sagte er und ließ damit das Barometer meiner Angst bis zum Anschlag emporschießen.

»Nix da!«, fauchte Amina. »Ihr wisst, dass ihr ohne Ben auf meine Hilfe angewiesen seid. Nur ich weiß, was Ben wusste. Wenn ihr Neven verstümmelt, dann bin ich raus aus der Sache. Und dann könnt ihr zusehen, wie ihr eurem Boss beibringt, warum ich nicht mehr im Boot bin. Und bei dem, was ich über ihn gehört habe, glaube ich nicht, dass er darüber sehr erfreut sein wird.«

Eine Zeit lang herrschte unbehagliches Schweigen.

Schließlich ertönte wieder die Brummstimme: »Komm, lass es gut sein, Hakan!«

Das erleichternde Geräusch eines Pistolensicherns erklang. »Na gut. Und was machen wir mit ihm?«

»Wir lassen ihn einfach hier liegen«, entschied Amina. »Ich nehme sein Spacephone an mich. So kann ich auf mögliche Anfragen von seinem Vater oder wem auch immer reagieren – damit niemand Verdacht schöpft und womöglich hierherkommt.«

»Gut, dann lasst uns gehen!«

»Ja, geht schon mal voraus! Ich komme gleich nach. Ich will mich nur noch in angemessener Form von Neven verabschieden.«

Ein spöttisches Feixen war das letzte, was von den Männern kam, ehe sie die Wohnung verließen.

So tief die Enttäuschung auch saß, zumindest hatte Amina alles dafür getan, dass mich die beiden nicht töteten. Ein schwacher Trost.

Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, tot zu sein, anstatt weiter mit dem Wissen zu leben, neben dem besten Freund nun auch noch meine große Liebe verloren zu haben. Höchstwahrscheinlich gehörte meine Rettung sogar zu ihrer Strategie, in die Chefetage aufzusteigen.

Amina öffnete meine Augen wieder, lächelte mich freudestrahlend an und sagte in hämischem Tonfall: »Das hast du toll gemacht, Schatz. Alles ist nach Plan gelaufen. Freust du dich nicht auch ein bisschen mit mir?«

Mit ihren Fingern schob sie meine Wangen ein Stück nach oben und hielt so einige Sekunden inne.

»Schön.« Sie seufzte und ließ mich wieder los. »Tja, dann kommt jetzt der Moment des Abschieds. Leider werden wir uns nicht wiedersehen. Danke für die nette Zeit mit dir, Neven. Ich hoffe, es hat auch dir ein wenig gefallen.«

Der Hohn in ihrer Stimme war unverkennbar. Doch sie wirkte auch etwas schwermütig, und für einen Augenblick hatte ich tatsächlich den Eindruck, sie würde das ernst meinen … bis sich wieder eine unheimliche Kälte in ihre Miene schlich.

»Ach ja, und danke natürlich nochmals dafür, dass du mir die Freiheit geschenkt hast und dass du mich die Jahre über bezüglich deines Vaters einigermaßen auf dem Laufenden gehalten hast, auch wenn das angesichts eures Verhältnisses alles andere als optimal war. Und falls du dich fragst, ob unser Kennenlernen beim Hamstergeburtstag wirklich nur Zufall war, kann ich nur antworten: Natürlich nicht. Wie Ben dir bereits gesagt hat: Das war von Anfang an von ihm und mir geplant gewesen.«

Ich hatte geglaubt, mein Seelenschmerz könnte nicht noch schlimmer werden. Doch diese Nachricht belehrte mich eines Besseren. Plötzlich war mir, als würde ich wieder etwas in meiner Brust spüren – scharfe Krallen, die sich schmerzhaft in mein Herz bohrten.

»Dann hoffe ich für dich, dass dich hier niemand fin-det und für tot hält, ehe dein Herz wieder kräftig genug schlägt. Denn lebendig begraben oder verbrannt zu werden, wünsche ich dir wahrlich nicht. Ich habe zum Abschluss noch eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Zuerst wieder die gute: Ich werde deinem Vater nachher eine Nachricht senden, dass du mit einer Grippe im Bett liegst und dich deshalb nicht mit ihm treffen kannst, damit er sich keine Sorgen macht. Die schlechte Nachricht: Falls du die vier Tage ohne Wasser überlebst, brauchst du dich nicht mehr bei deinem Vater zu melden. Denn dann wird er nicht mehr am Leben sein.«

Amina hielt inne und atmete tief ein, während sich ihre Androhung wie ein weiteres Geschwür über mich legte.

»Also, dann wünsche ich dir alles Gute für die Zukunft, Schatz!«

Sie gab mir einen Kuss, was es mir nicht gerade leichter machte. Dann trennte sie sich von mir und sah mich voller Wehmut an. Schwer zu beurteilen, ob das echt oder auch nur gespielt war.

»Tschüss, Neven!«

Sie erhob sich und löschte das Licht. Ihre Schritte entfernten sich. Dann schlug die Wohnzimmertür mit entsetzlicher Endgültigkeit hinter ihr zu.

 

 

Stille und Dunkelheit umgaben mich wie die Innenwände eines Sarges, der bereits tief unter der Erde eingegraben war. Mein Tod schien amtlich zu sein. Ich hoffte, dass mein Verstand so bald als möglich versagte und ich friedlich einschlief – für immer. Auf diese Weise musste ich wenigstens nicht länger leiden.

Obwohl mein Körper praktisch tot, sprich empfindungsunfähig war, glaubte ich, den von Amina verursachten Schmerz in meiner Brust zu spüren.

Jeden Tag mit ihr hatte ich in vollen Zügen genossen. Jedes Lächeln, jede ihrer Berührungen hatte mich stärker und lebendiger gemacht. Für keinen Menschen hatte ich je so viel Liebe empfunden. Umso mehr schmerzte die Enttäuschung.

Mir war, als stünde die Zeit still. Nichts geschah – meine Augen, Ohren und die Nase schienen abgestorben zu sein, kein Jucken oder Kribbeln auf der Haut, ja, nicht einmal das Beben meines Herzens war zu spüren.

Nichts. Lediglich mein Verstand arbeitete noch.

Und das war zutiefst beunruhigend. So sehr ich mir das auch wünschte, mein Bewusstsein wollte partout nicht in den Schlafmodus gehen, während sich das Rad der Zeit einfach nicht weiterdrehen wollte. Ich hatte das Gefühl, es nicht einmal anschubsen zu können.

Sollte das wirklich vier Tage lang so weitergehen?

Sofern mir Amina nicht nur Angst hatte einjagen wollen, drohte in den Morgenstunden irgendwo in Deutschland eine Atombombe hochzugehen. Darüber hinaus spukte ihre Morddrohung an meinen Vater durch meinen Kopf. Und ich konnte nichts gegen all das ausrichten. Nie zuvor war ich mir derart hilflos vorgekommen.

Die Beziehung zu meinem Vater hatte in den letzten zwei Jahren sehr gelitten. Ich war überzeugt, dass er meine Mutter damals im Main hatte ertrinken lassen, als Ben den Auftrag zur Sprengung der Alten Brücke gab. Ben hatte damit, das war mir jetzt klar, offenbar meinen Vater, der für ihn die größte Gefahr darstellte, aus dem Weg räumen wollen. Letztlich war aber meine Mutter das Opfer.

Immer wieder hatte mein Vater beteuert, er hätte alles gegeben, um meine Mutter aus den kalten Wassern des Mains zu retten. Doch ich glaubte ihm nicht.

Wenige Tage vor dem Unglück hatte ich ihn zufällig dabei beobachtet, wie er sich in einem Restaurant mit einer fremden Frau traf, die er herzlichst umarmte. Zwar stand sie bei der Umarmung von mir aus gesehen hinter meinem Vater, aber ich war mir todsicher, dass sie sich sogar küssten. Ich sah eine Weile lang zu und zoomte die Frau mit dem Spacephone heran. Sie hatte langes blondes Haar, und ihre Schönheit war so still und klar wie das Wasser der Malediven.

Ich kannte die Frau nicht, und mein Vater hatte sie an jenem Abend angehimmelt wie eine Göttin, so wie er es bei meiner Mutter nie getan hatte. Die Erinnerung daran ließ erneut einen brennenden Zorn aufflammen. Es konnte sich bei der Blondine nur um eine Geliebte meines Vaters handeln. In den Wochen davor hatten sich meine Eltern immer wieder heftig gestritten. Ihre Ehe bröckelte gehörig.

Mein Vater ging also fremd, so viel war sicher. Offenbar hatte er Pläne mit der Blondine. Und meine Mutter war kein Teil davon, was es ihm bestimmt leichter machte, sie im Main ertrinken zu lassen.

Außerdem war er als Leiter der EATA ein Mann der Öffentlichkeit. Er konnte und wollte sich keine Scheidung leisten. Das hätte kein besonders gutes Licht auf ihn geworfen. Also kam ihm das Unglück ganz recht.

Ob sich mein Vater weiterhin mit der Fremden traf oder gar mit ihr zusammenlebte, wusste ich nicht. Das war mir einerlei. Seit dem Vorfall wollte ich nichts mehr von ihm wissen. Er widerte mich an.

Doch gestern, als wir wegen des Verrats der Rahimis gezwungen waren, zusammenzuarbeiten, waren wir uns wieder ein kleines Stück nähergekommen. Er hatte mich gebeten, mich mit ihm zu treffen, um über das Unglück zu sprechen. Ich wollte ihm eine Chance geben, sich zu erklären. Doch das hatte sich nun offensichtlich erübrigt.

Die letzten zwei Jahre hatte ich meinem Vater immer wieder den Tod gewünscht. Jetzt richtete sich mein ganzer Zorn gegen Amina. Hätte ich die Wahl, würde ich eher sie als ihn ins Jenseits schicken.

Gefühlte drei Stunden lag ich da und ließ es zu, dass die Erinnerungen mich innerlich zerfraßen. Irgendwann fragte ich mich, wie lange es wohl dauern würde, bis meine Augen ausgetrocknet wären. Beim Blinzeln wird die Hornhaut mit Tränenflüssigkeit benetzt, das schützt das Auge vor dem Austrocknen. Das ist eines der ersten Dinge, die man in der Ausbildung zum Krankenpfleger lernt. Doch wie lange man diesen Zustand aushalten kann, weiß wohl niemand. Ich hatte mal gelesen, dass eine Frau ihre Lider ganze dreiundzwanzig Stunden offenhalten konnte. Aber ich würde hier möglicherweise Tage herumliegen. Und irgendwann wäre ich gewiss blind wie ein Maulwurf.

Da erschreckte mich der schrille Ton der Türklingel. Wer war das? Mein erster Gedanke war: Hoffentlich kam der unverhoffte Besucher nicht herein und hielt mich für tot. Mehrfach schlug er gegen die Tür.

Eine tiefe Männerstimme rief: »Neven, bist du da? Mach bitte auf! Ich muss dringend mit dir reden.« Es war die Stimme meines Vaters.

Was in aller Welt hatte ihn zu mir geführt? Kannte er etwa die Wahrheit über Amina? Was bedeuten würde, dass Sarah und Ben geplaudert hatten. Ja, genau, das musste es sein.

Ich wusste nicht so recht, ob ich mich über den Besuch freuen sollte. Sprechen konnte ich sowieso nicht mit ihm.

Abermals klingelte er und hämmerte heftig gegen die Tür. »Hallo, Neven, ich bin’s, dein Vater. Bitte öffne die Tür!«

Ein Poltern folgte, dann ein splitterndes Krachen, sodass es in den Hohlräumen meiner Knochen widerhallte. Er hatte die Tür aufgebrochen.

Schnelle schwere Schritte näherten sich. Ein Klick, und das grelle Licht der Deckenlampe stach unangenehm in meine Augen. Ich konnte die Lider nicht schützend schließen.

»Neven?«, stieß mein Vater hörbar entsetzt hervor, als er mich offenbar leblos auf der Couch liegen sah.

Im Nu war er bei mir, packte mich bei den Schultern und schüttelte mich durch. Dann prüfte er meinen Puls.

»O nein, bitte nicht!« Er hielt mit beiden Händen mein Gesicht und sah mich fassungslos an. »Bleib bei mir, Sohn! Bleib bei mir!«

Tränen quollen aus seinen Augen. In fast jeder Lebenssituation, selbst wenn sich Maden in seinem Lieblingskäse verirrt hatten, konnte er so ernst und gleichzeitig so gelassen dreinschauen, dass ihn jeder Pokerspieler um diesen Blick beneiden würde. Doch von dieser Gelassenheit war momentan überhaupt nichts zu erkennen.

»Nein! Nein!«, schluchzte er. »Das … das kann nicht wahr sein. Was hat diese Bestie mit dir gemacht?«

Er packte mich und drückte mich weinend an sich. »Es tut mir so leid, mein Junge, dass ich das nicht eher herausbekommen habe. Es tut mir so furchtbar leid. Ich habe dir noch so viel zu erzählen.«

»Vater, ich lebe!«, wollte ich herausschreien, doch ich bekam nicht den leisesten Mucks hervor.

»Herr Renner!«, erklang die Stimme eines weiteren Mannes, der sich in mein Sichtfeld schob und dessen Gegenwart ich bereits wahrgenommen hatte. »Ich glaube, Ihr Sohn wurde vergiftet. Ich habe das hier auf dem Tisch gefunden.«

Er überreichte meinem Vater das Totenkopffläschchen. Mit entgeisterter Miene musterte er das Etikett.

»O Neven!«, seufzte er. »Warum habe ich Amina nicht eher durchschaut? Ich hätte Ben Rahimi direkt nach der Gefangennahme noch weiter ausquetschen sollen.«

»Nein, Vater, ich lebe!«, brüllte ich wiederholt in Gedanken, in der Hoffnung, dass sich irgendein Muskel bei mir regte. Vergeblich.

Ich sah mich bereits in weniger als vier Tagen lebendig begraben. Doch der Gedanke wurde in seiner Schrecklichkeit noch übertroffen, als mir plötzlich in den Sinn kam, Amina könnte dafür verantwortlich sein, dass mich mein Vater hier besuchte, mich für tot hielt und später zu Grabe tragen würde.

O nein, war sie etwa wirklich dazu imstande, mir etwas derart Furchtbares anzutun? Und das, nachdem wir zwei Jahre lang zusammengelebt und uns geliebt hatten?

Ich wollte den Gedanken aus meinem Kopf verbannen, doch je mehr ich mich darum bemühte, umso tiefer und schmerzhafter brannte er sich ein.

»Ich hab dir noch so viel zu sagen, mein Sohn«, bedauerte mein Vater zum wiederholten Male.

Doch plötzlich verzog sich sein Gesicht, als hätte ihn eine Überlegung den Schmerz des irrtümlichen Verlusts vergessen lassen. Erneut starrte er auf das Fläschchen – diesmal nachdenklich … ein Gesichtsausdruck, wie ich ihn von ihm nur zu gut kannte.

Noch als ich bei meinen Eltern lebte, war er fast permanent in Gedanken versunken. Ständig beschäftigte ihn irgendetwas. Oftmals war er nicht richtig bei der Sache, zumindest nicht bei seiner Familie. Er schien irgendwo in einer anderen Welt zu sein – in einer Parallelwelt vielleicht.

Er war ein Mann, der unheimlich viel wusste und überaus gut kombinieren konnte. Kein Wunder, dass er Leiter der EATA geworden war. Auch jetzt schien etwas Rätselhaftes, etwas Geheimnisumwobenes durch seinen Kopf zu wandeln.

»Moment mal!«, sagte er plötzlich in einem Tonfall, in dem Hoffnung schwang, und riss die Augen auf. Die dunkle Wolke über seinem Gesicht war komplett verschwunden. »Genau, das muss es sein. Es gibt eine sogenannte Totenkopfspinne, deren Gift beim Menschen eine Art Starre bewirkt und ihn wie tot aussehen lässt.«

Er sagte das zu seinem Begleiter und sah dann wieder zuversichtlich zu mir … und zum ersten Mal in meinem Leben war ich mehr als dankbar für sein breites Wissensspektrum.

»Sohn«, sagte er und kramte dabei mit zitternder Hand sein Spacephone aus der Tasche. »Wenn du mich hörst: Ich kenne jemanden – Professor Schick, der dir bestimmt helfen kann. Den werde ich jetzt anrufen, und dann bringen wir dich von hier weg – in Sicherheit. Es wird alles gut werden.«

Während er telefonierte, zog mir sein Begleiter meine Jacke über. Er war noch recht jung, um die 25, schätzte ich, aber recht kräftig, sodass ihm das Hieven meines Körpers beim Bekleiden wenig Mühe zu bereiten schien.

Anschließend sagte mein Vater: »Wir haben Glück, Neven. Professor Schick hat ein Gegenmittel. Er kommt zu Bens Labor, wo wir dich jetzt auch hinbringen werden. Es gibt nämlich ein paar neue Entwicklungen. Mehr dazu erzähl ich dir draußen im Auto.«

Nach einigen Anweisungen an den jungen Mann trugen mich die beiden nach draußen. Dabei ließ mein Vater permanent die Augen misstrauisch durch die Nacht wandern, darauf gefasst, jeden Augenblick von einem dunklen Ritter überfallen zu werden. Angesichts von Aminas Morddrohung war das durchaus ratsam. Die Vorstellung, jemand könnte jetzt irgendwo aus der Dunkelheit hervortreten und die beiden EATA-Spezialisten erschießen, beängstigte mich.

Und plötzlich wunderte es mich, warum mein Vater nicht gleich mit einer ganzen Armada von bis an die Zähne bewaffneter Profis hier aufgetaucht war, genau wie bei Bens und Aminas Gefangennahme.

Es war eine sternklare Nacht. Die silberne, halbe Mondscheibe strahlte eine bedrohliche Kälte aus, als wolle sie sämtliche Sterne vom Himmel ernten und auf uns herniederwerfen.

Der junge Beamte schnallte mich auf dem Beifahrersitz des Wagens, einem Mercedes NLQ, fest, während Vater sich ans Lenkrad setzte. Er drehte mein Gesicht zu sich, sodass ich ihn sehen konnte. Sein Begleiter stieg hinten ein.

»Ich habe leider keine so guten Nachrichten«, begann mein Vater beim Starten des Wagens seine ausführliche Berichterstattung. »Wahrscheinlich erzähle ich dir nichts Neues, wenn ich dir sage, dass sich deine Freundin Amina nun doch als Terroristin entpuppt hat. Sie hat mit Ben und Sarah zusammengearbeitet, die sie ans Messer liefern wollten. Und vermutlich hat sie dir das angetan.«

Sein Blick glitt verbittert an mir empor. Ich spürte, wie er sich um mich sorgte, auch wenn er es nicht zeigte.

Draußen zogen Baumkronen vorbei, die wie riesige Trauergäste aus einer fremden Welt am Straßenrand standen, um mir, einem scheinbar Toten, die letzte Ehre zu erweisen.

»Aber keine Sorge, Professor Schick bekommt das schon wieder hin. Es tut mir wirklich leid für dich, mein Sohn, dass sich unsere erste Befürchtung nun doch bewahrheitet hat. Ich wünschte, das wären die einzigen schlechten Nachrichten.«

Er strich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnauzbart, als wolle er dort seine Betroffenheit über das noch Unausgesprochene herausmassieren

»Ich weiß nicht, was dir Amina alles erzählt hat. Aber noch heute soll in einer deutschen Stadt eine Atombombe hochgehen, und zwar Punkt 7 Uhr. Das wissen wir von einem Maulwurf, den wir in die Reihen der Terroristen geschmuggelt haben. Vor weniger als einer Stunde hat er herausgefunden, wer Amina wirklich ist.«

»Ach, das wisst ihr gar nicht von Sarah und Ben?«, wollte ich schon fragen und vergaß dabei fast, dass ich gar nicht sprechen konnte.

»Durch ihn wissen wir auch von dem atomaren Schlag, den die Terroristen planen. Als ich erfahren habe, dass Amina mit drinsteckt, bin ich sofort zu dir gefahren. Hätte ich versucht, dich anzurufen, hätte Amina möglicherweise Verdacht geschöpft. Normalerweise wäre ich mit meiner gesamten Einheit angerückt. Aber erstens ist ein Großteil gerade mit anderen Dingen beschäftigt. Zweitens hätten so viele Uniformierte Aufsehen erregt, sodass Amina vorgewarnt gewesen wäre. Und drittens kann ich den meisten meiner Leute nicht mehr trauen, weshalb ich die Operation momentan nur mit einer Handvoll Auserlesener durchführen kann. Wir haben nämlich einen Verräter in den eigenen Reihen. Womit ich zur nächsten schlechten Nachricht komme.«

Vater hielt inne und sättigte seine Lunge mit reichlich Luft. Es schien ihm schwerzufallen weiterzusprechen.

»Es gab ein Attentat auf die Rahimis. Der Wagen, in dem ich sie in Gewahrsam bringen lassen wollte, wurde unterwegs mit einer Panzerfaust abgeschossen. Sarah und Ben sind dabei ums Leben gekommen.

---ENDE DER LESEPROBE---