Richtig im Kopf - Dante Andrea Franzetti - E-Book

Richtig im Kopf E-Book

Dante Andrea Franzetti

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Beschreibung

Dante Andrea Franzetti erzählt in seiner Kriminalnovelle die berührende Geschichte von einem behinderten Kind, einer allein­erziehenden Mutter und einem zynischen Fernsehmann, der unversehens in die mörderischen Ereignisse stolpert. Darf man Schwerverbrecher verurteilen? Nein, ist die Hirnforscherin Regine Ode­naal überzeugt. Wenn diese Täter töten, werden sie von abnormen Neuronenströmen geleitet, für die sie nichts können. Im Gespräch mit dem Drehbuchautor Mauro de Feo, der sie filmisch porträtieren soll, erläutert sie, warum pädophile Mörder oder notorische Vergewaltiger strafrechtlich nicht belangt werden dürften. Strafe könne es nur für Menschen geben, die eine Wahl hätten, nicht aber für Täter, die von ihrem kranken Gehirn gesteuert würden. Sie seien nicht Richtig im Kopf. Auf die Probe gestellt wird Regine Odenaal, als sie selbst unmittelbar von einem grausamen Mord betroffen ist. De Feo und sie sind mittlerweile ein Paar, doch er muss feststellen, dass er gegen das unaufhaltsame Abdriften seiner Partnerin in Wahnsinn und Rachsucht machtlos ist. Die überlegene Wissenschaftlerin stürzt plötzlich in den bodenlosen Strudel der Realität. Der Roman ist eine Auseinandersetzung mit den neuesten neuro­logischen Theorien, die dem Menschen jede Verantwortung für sein Tun absprechen. Das Dasein, die Realität widerlegt aber solche Konstrukte: Ohne Schuld- und Verantwortungsgefühle ist ein menschliches Zusammenleben nicht möglich.

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Der Autor

Dante Andrea Franzetti, geboren 1959 in Zürich, ist Autor, Publizist und Dozent. 1985 wurde er durch den Roman Der Grossvater (Lenos Pocket 161) bekannt und veröffentlichte danach weitere Romane und Erzählbände. Er wurde u.a. mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis (1994) und dem Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank (2013) ausgezeichnet. Franzetti war zeitweilig Reporter und Italienkorrespondent verschiedener Zeitungen und lebt heute in Zürich und Rom. Im Lenos Verlag veröffentlichte er Zurück nach Rom, Roger Rightwing köppelt das feingeistige Tischgespräch und, zusammen mit Pic, Das Bein ohne Mann.

www.interessen.org.

E-Book-Ausgabe 2014

Copyright © 2014 by Lenos Verlag, Basel

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Hauptmann & Kompanie, Zürich, Dominic Wilhelm

unter Verwendung einer Illustration von Luca Andrea Franzetti

www.lenos.ch

ISBN EPUB-E-Book 978 3 85787 593 9

Richtig im Kopf

I.

Regine Odenaal

In Wirklichkeit ist die Welt geordnet.

Ich weiss, dass vieles dagegen zu sprechen scheint, besonders hier, an diesem Ort im Süden, an den Mathilda und ich vor einem Jahr gezogen sind. Wenn ich sie morgens zur Deutschen Schule in der Via Toledo begleite, die Bagutta hinunter zur Via Marsala – wir wohnen ja oben am Berg –, schlagen uns nach wenigen Schritten die feinen schwarzen, in den grauen Rauch gemischten Russpartikel entgegen, und weiter unten, gegen die Hafenstrasse hin, sehen wir die Müllhaufen, in denen es noch flackert und denen dunkle, ölige Schwaden entsteigen, die, je nach Intensität und Richtung, die Meeresbrise einmal stärker, ein andermal schwächer zu uns heraufweht. Mathilda mit ihrem verkümmerten rechten Bein kann nicht so schnell gehen, abwärts ohnehin nicht, und so sind wir diesem stinkenden Schwall aus dem unteren Bezirk immer länger ausgesetzt als alle übrigen Leute, die vom Berg, eher einem Hügel, den sie nicht umsonst Montagnetta nennen, in die Altstadt Richtung Hafen oder in die Via Toledo müssen, die grosse Hauptstrasse, die noch vor dem Hafen den anderen Hügel hinaufführt. Als Mathilda einmal zu husten begann und ich in ihr Taschentuch blickte, erschrak ich zu Tode: Darin war blutroter Schleim. Sie aber lachte: Nein, Mama, ich habe zu Hause noch ein paar Kirschen verdrückt.

Seit einem Jahr also leben wir hier, seit einem Jahr gehen meine Tochter und ich diesen Weg zur Altstadt hinunter und dann die Via Toledo wieder hinauf zum Goethe, wie sie hier die Deutsche Schule nennen – das Goethe –, weil dort auch jährlich den Fremdsprachigen die Prüfungen für die verschiedenen Deutschzertifikate abgenommen werden. Als wir hier ankamen, war Mathilda neun, jetzt ist sie zehn Jahre alt und besucht die fünfte Klasse der Grundschule.

Von der Montagnetta aus, wo all die kleineren und grösseren Einfamilienhäuser und Villen stehen – wir wohnen in einem bescheidenen, zweistöckigen Villino –, sieht die Altstadt, durch den russigen Nebel betrachtet, wie ein ungeordneter Haufen Steinkohle aus, aus dem stossweise die schwarzen Rauchfahnen steigen, die uns auf dem Weg nach unten im Rachen brennen und vor allem Mathilda, manchmal aber auch mich, zu Hustenanfällen reizen. Die Häuser aus grauem Tuff, aus denen dunkle Fenster blicken, verlieren ihre Konturen, den Verlauf der Strasse erkennt man nur anhand der helleren Autos im Verkehrsstau, am Abend natürlich an den Lichtern, einem schmierigen Gelb, das aus dem grauen Brei herausleuchtet. Diese Stadt ist ein Sumpf, sagen die Einheimischen, eine giftige Minestrone, ein stinkiges Jaucheloch – was also soll hier geordnet sein? Ganz zu schweigen von all dem übrigen Zeug, das auf den Strassen und in den Innenhöfen herumliegt: vermodernde Kartonschachteln, rostende Fahrradgestelle, verbeulte Kühlschränke und andere Haushaltsgeräte, Reifen, Büchsen, Flaschen, Matratzen – einmal entdeckten Mathilda und ich auf dem Schulweg an der Ecke Marsala und Toledo sogar ein ausgebranntes Auto.

Das Mädchen sieht seinem Vater ähnlich: die gleichen kantigen Gesichtszüge; eine lange, gerade Nase; ein voller, breiter Mund und dunkelbraune, beinahe schwarze Augen; die schulterlangen gelockten Haare haben dieselbe Farbe. Ich weiss nicht, welchen Anteil an ihrer Sensibilität, ihrer Aufmerksamkeit für Details, ihrer Geduld und Beobachtungsgabe, ihrer Distanz zu den Menschen und Dingen die Missbildung trägt, mit der sie geboren wurde. Ihr Vater, ein Maler, der uns natürlich nach einem Jahr verliess, und ich, wir hatten uns auf die Geburt dieses Kindes gefreut, obwohl wir schon im vierten Monat meiner Schwangerschaft wussten, dass etwas mit ihrem Bein nicht in Ordnung war. Ja, genau: nicht in Ordnung.

Von der Ecke Bagutta und Marsala in die Toledo einzubiegen ist sehr mühsam, vor allem mit einem gehbehinderten Kind. Hier sind die Autos oft in zwei Reihen geparkt, manche stehen auf dem Gehsteig, und man muss sich hindurchschlängeln. Mathildas Bewegungen werden dabei sehr abrupt, sie fürchtet, sich die Knie an den Stossstangen anzuschlagen, sie knickt mit dem schwächeren rechten Bein oft ein. Mich befällt kein Mitleid, wenn ich sie so sehe – beinahe wirkt sie wie eine Spastikerin –, aber eine unbestimmte Trauer, aus der ich nur einen Gedanken herausschälen kann: dass Mathilda ein Vater fehlt und, wenn möglich, ein besserer, aufmerksamerer Vater, als es ihr leiblicher war. Nein, kein Mann für mich, aber ein Vater für dieses Kind, das mir oft viel zu abgeklärt und viel zu vernünftig und viel zu tapfer für seine zehn Jahre erscheint. Ein verspielter, ein wenig verrückter Vater meinetwegen, aber kein Säufer und Original wie der Maler, mit dem ich dieses Kind gezeugt hatte.

Das Goethe ist eine Ganztagsschule, und so haben Mathilda und ich sozusagen denselben Arbeitsweg. Ich übergebe sie zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn Esterina Pepe, der Frau des Hausmeisters, gehe die Toledo zurück bis zur Marsala, biege in die Via del Porto ein und habe nur noch wenige Schritte bis zum Europäischen Institut für Neuropathologie (EINO), in dem ich als ehemals in der Grundlagenforschung tätige Biochemikerin und Neurologin den einmaligen und etwas seltsamen Posten einer Neuroethikerin bekleide. (Wenn es um das Institut geht, drücke ich mich oft bürokratisch-ironisch aus, aber darüber werde ich diesem Schriftsteller und Drehbuchautor, der mir heute Morgen seine Ankunft mitgeteilt hat, de Feo, mit Vornamen Mauro, glaube ich, wesentlich mehr mitteilen müssen – vielleicht denke ich deswegen gerade über meinen Arbeits- und Schulweg mit Mathilda nach; über die Stadt, die zum allgemeinen Erstaunen von der Brüsseler Kommission als Sitz für die Forschungsanstalt ausgewählt wurde; und natürlich über die angebliche Unordnung, das Chaos, die stinkende Brühe, giftige Minestrone, die diese Stadt sein soll und als welche sie seit einem Jahr, seit unserer Ankunft hier, in den internationalen Nachrichtensendungen dargestellt wird.) Manchmal bleibt mir noch etwas Zeit für einen Cappuccino und ein Cornetto in der Bar gegenüber unserem Institut, wenn Mathilda einen guten Anlauf hatte und zügig vorankam, danach setze ich mich Punkt neun Uhr an meinen Schreibtisch in der Bibliothek – ich habe mir den Standort ausbedungen – und werfe den Computer an, wie jetzt gerade, am 12. Februar, dem Tag der heiligen Eulalia, wie ich dem Kalender entnehme, den mir Esterina Pepe zur letzten Weihnacht geschenkt hat.

Eine Wissenschaftlerin wie ich glaubt natürlich nicht an die Heiligen, erst recht nicht an Himmel und Hölle und übrigens ebenso wenig daran, dass diese Stadt die Hölle sein soll. Ich glaube auch nicht an die Ordnung in der Welt, weil das keine Glaubensfrage ist. Wenn wir versucht sind, zu denken, wir seien von Unordnung und Unübersichtlichkeit umgeben, dann deshalb, weil unser Gehirn ein so geordnetes Organ ist, dass es den kleinsten Verstoss gegen die Ordnung unmittelbar und mit Unbehagen wahrnimmt. Aber die vielen kleineren und grösseren Verstösse gegen die Ordnung, die wir idealerweise im Kopf haben, bestätigen diese ja gerade.

Diesem Doktor de Feo, der einen aufwendigen Dokumentarfilm über die, wie er schrieb, »ethischen Implikationen der neueren Hirnforschung« realisieren will, zu welchem Thema er mich »für die wichtigste europäische Instanz« hält, ihm werde ich, wenn er heute um siebzehn Uhr dreissig bei uns zum Tee erscheint, als Erstes nachdrücklich sagen müssen: Die Welt ist in Wirklichkeit geordnet.

II.

Mathilda Odenaal

Mama meint, dass bald der Frühling kommt. Unser zweiter Frühling. Wir sind vor einem Jahr hier angekommen, und, das weiss ich genau, in unserem kleinen Garten trug der Mandelbaum vier weisse Blümchen. Nein, Blüten, so heisst es. Vier weisse Blüten. Die Stadt, unten, ist schwarz, aber oben sind die Blüten weiss wie die Unschuld.

Oben, wo die Herren wohnen. Das hat natürlich nicht Mama gesagt, sondern Walter. Er ist der Junge von der Signora Pepe und ihrem Mann, dem am Goethe. Mama würde jetzt schimpfen, aber nicht laut: Mathilda. Vergiss die deutschen Wörter nicht, vielleicht müssen wir einmal nach Hamburg zurück. Also: Wo die Signori wohnen, sind die Blüten weiss wie die Unschuld. Oh, die jetzt habe ich es schon wieder getan!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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