Riverside - Patrick Roth - E-Book

Riverside E-Book

Patrick Roth

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Beschreibung

Patrick Roths Prosadebüt und gleichzeitig der erste Teil der "Christus Trilogie". Seit ihrem Erscheinen 1998 steht die "Christus Trilogie" im Ruf eines erratischen Blocks in der Landschaft der Gegenwartsliteratur. Quer zum postmodernen Zeitgeist hatte es Patrick Roth unternommen, eine Brücke zurück zu den Stoffen der Bibel zu schlagen und ihren erstarrten Bildern in ungeheuer authentischen Geschichten ("Riverside", "Johnny Shines" und "Corpus Christi") neue Sicht und Fassung zu geben. Die suggestiv-filmische Erzählweise, der symbolische Zugriff und die unorthodoxe Durchmischung mit popkulturellen und mythologischen Elementen lösen die christlichen Mythologeme aus ihren traditionellen theologischen Zusammenhängen – Taufe, Heilung, Wiedererweckung, Kreuzigung und Auferstehung – werden in ihrer numinosen Dimension neu erfahrbar. Gefasst in eine rhythmisierte, bildgewaltige Sprache, aufgeladen mit Suspense, Mystik und Bedeutsamkeit entfalten Roths poetische Konstellationen des christlichen Mythos überwältigende Präsenz und Provokation in unserer transzendenzfernen Zeit.

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Patrick Roth

Riverside

Christusnovelle

Herausgegeben vonMichaela Kopp-Marx

Inhalt

Riverside

Impressum

ER, Gott, rief den Menschen an und

sprach zu ihm:

Wo bist du?

Er sprach:

Deinen Schall habe ich im Garten

gehört und fürchtete mich,

 weil ich nackt bin,

und ich versteckte mich.

Im Anfang 3,9.10

Rock of Ages, cleft for me,

Let me hide myself in thee.

American Gospel Hymn

I

Ich sehe eine Höhle. Und darin, während draußen in den Gassen der Hügel die Springflut Regens übers Wild-Trockene hinschießt, seh ich Glut. Und gut zwanzig Schritte in die Sicherheit ihres dunklen Überhanges hinein, liegt gesammelt die Glut der Höhle. Zusammengesammelt, steinumringt, windumstoben. Und es hört Regen die Höhle. Und staut sich das Echo hinten, wohin sie dem Glutschein entkommt und dunkler wird und dunkelt, unsichtbar macht, was hier aufhält die Höhle. Aber fernher kam Donner.

Und aus dem dunkleren Teil, wo sich sein Echo hellt, kommt der Mann. Ist ein Alter. Und vermummt an Gestalt, kalkgraue, aschenverschmierte Lumpen am ganzen Körper, kommt er zu tragen, vornübergebeugt, die Last. Kommt schweren Schritts und zieht eine Leiter, langsam, beschwerlich, die, rückengetragen, im langen End kauzig-rauh nachschleift, als sei sie Last nur am Mann, am Boden aber schon Pflug. Als gälte es, aus dem trocken-brüchigen Lehm heute noch Ernte zu ziehen, eigensinnigerweise.

Und angekommen am Eingang der Höhle, beäugt der Alte die Wand, sucht darin obenhin. Nach einem Zeichen? Einem Versteck? Und scheint bald fündig und stellt dann die Leiter. Und nimmt auf vom Boden, bevor er noch steigt, ein Männergewand, das schon gefaltet bereit dort lag. Und steigt die Leiter hinauf. Und hält, unter der nächstletzten stehend, auf der siebenten Sprosse, und lehnt gegen die Leiter. Und greift aus der Seite sich, einer lappigen Falte des Lumpengewands, Nagel und Stein. Und schlägt den Nagel dort in die Wand, auf der Höhe etwa der letzten Sprosse der Leiter. Und hängt daran auf das Kleid, hoch oben, das sich entfaltet. Ein einfach Männergewand. Und läßt den Stein fallen und klettert hinab.

Und nochmals, von unten, prüft er die Höhe des Kleids. Und als die Fingerspitzen des Alten reichen nicht an den Saum, da ist ers zufrieden. Und zieht ab die Leiter, zurück. Und das lange Ende schleift nach, aber achtlos, nicht länger rückengetragen von ihm. So als sei schon gesät und die Ernte schon sicher. Und verstaut sie hinten im Dunkel der Höhle.

Und taucht, so getan, aus dem Dunkel dort auf, und nähert der Glut sich des Feuers. Und hockt davor hin und bläst hinein in die Flamme und wärmt sich die Hände.

Und ab und zu, schläfrig, tonbetört, schaut er hinaus in den Regen.

Zeit ist vergangen, da hört er Stein, niedergehaun vom Berg. Und rappelt sich auf, geht vornhin zum Eingang und schaut hinab. Da packt ihn, was er sieht. Denn er hat erkannt: es kommt Einer, kommen Welche! Und er zittert, wird schwach, als er sieht, und lehnt eine Weil in die Wand sich, wie in einen Freund. Wird aber nicht beruhigt, sondern: wünschend, die Leiter stünd neben ihm noch, auf Zehenspitzen heischt er, durchs Regenfadengewirr hinabhin, ein Bild sich zu holen der Ankömmlinge.

Und jetzt – wo ist das Schwer-Beschwerliche jetzt seines Gangs? – eilt er zurück zur Feuerstelle, hockt sich dahinter, dem Eingang zu. Und sogleich hat er Augen für nichts als das Feuer, das zusammengesammelte, steinumringte. Und hockt stille dort, reglos, als säß er schon Jahre.

Und zwei Männer erreichen, durchnäßt und vom Aufstieg erschöpft, die Höhle. Und sind jung, treten ein, Andreas und Tabeas, naßquerend die Ackerfurchen der Leiter.

Und der Alte, die Augen im Feuer, bemerkt sie nicht. Unsicher gehen die Männer hin, auf ihn zu. Er aber bemerkt sie nicht. Und Andreas blickt auf den Tabeas. Denn sie meinen, daß, wider die Rede der andern, ein Wunder geschehen, und der Alte hier, im Gebet versunken, vor ihnen ruhe. Und warten auf sein Auftauchen und daß er sie bemerke. Und er bemerkt sie nicht.

Von Andreas, der näher steht, tropft der gesammelte Regen, den sein Kleid gesammelt und aufgesogen. Nein, von beiden, von Tabeas ebenso, rinnen die Tropfen des ins Gewand versackten Wassers. Und rinnt ein Bächlein davon, wie sie dastehn und voll Achtung sind für die Andacht des Alten und sich nicht zu bewegen, nicht ihn zu stören wagen. Rinnt spöttisch die Schritt hin zum Steinring, zischt auf an der Hitze des Steins, mitten hinein in Schweigen und Ernst. Und macht Tabeas lachen.

Andreas aber, weil der Alte auch jetzt noch nicht aufschauen will, spürt dessen Widerwillen und sieht hin durchs Gebet, daß es keines ist, sondern Widerwille, und spricht vors Feuer tretend zum Alten:

– Sei gegrüßt, Diastasimos. Denn wir kommen in Frieden.

Der Alte bemerkt nicht. Schaut nicht einmal auf.

– Diastasimos?

Und bleibt reglos, wie er war. Und Tabeas hält den Andreas, der schon unwillig ist über solchen Empfang, weil er immer schnell unwillig ist und nur langsam bereut. Und Tabeas setzt sich diesseits des Feuers und bedeutet dem Andreas, ihm nachzutun. Und zögernd streckt Tabeas seine Hände aus, sie über dem Feuer zu wärmen. Läßt aber den Alten jenseits nicht aus den Augen, wie der sein Feuer, die Mitte, nicht aus den Augen läßt. Dann sagt Tabeas:

– Dank, Diastasimos. Denn dein Feuer, nachdem der Regen uns auf dem Berg überrascht hat, tut uns gut.

Und Diastasimos schweigt. Aber Andreas, den Alten endlich aufzuwecken, klatscht in die klammen Hände und reibt sie sich warm über Glut. Und als Tabeas, nachdem er aus seiner Tragtasche Schreibtafel und Stilus entnommen, neu beginnt und, von Heiserkeit unterbrochen, mit dem Namen des Alten, Diastasimos also, keine zwei Silben weit kommt, da brüllt es ihn an! Und herrscht die Lumpengestalt, die da hockt, die da aufblickt jetzt, herrscht beide sie an:

– Also, was wollt ihr?

Und genießt ihr Erschrockensein. Will mehr davon, raunt, schnaubt:

– Hmmmh?! … Hmmmmhh?!!

Und wiederholt so und ähnlich, herausfordernd, in allerlei raunender, schnaubender Tonart sein Hmhmmmh, wie es alter Männer giftiger Brauch, wenn sie junge befremden oder loswerden wollen. Und so immer wieder, als sei er verrückt oder zum Mindesten alt-kindisch, ungeeignet zu einem Gespräch mit Besuchern. Bis er einhält damit, wie verjüngt seine Stimme vor ihnen auffahren läßt, tänzelnd und höhnisch redend – sie letztlich, indem er so Kraft beweist, doch ermutigend, daß sie den Weg nicht umsonst gekommen:

– Noch vor Sonnenaufgang riet mir eine Stimme: »Diastasismos, versteck dich vor ihnen. Denn sie kommen die Hügel hinaufgeklettert zu deiner Höhle, dich zu fangen. Verhülle dich, denn sie schreiben dich auf. Schreiben dich auf … oder graben dich zu. Denn sie verfassen Schrift!«

Und Tabeas versucht, den Alten zu beruhigen. Er solle doch keine Furcht tragen. Wird aber im Beschwichtigen von Andreas unterbrochen, der sich an Diastasimos wendet, neugierig über das eben vom Alten Behauptete.

– Sag, hörst du solche Stimmen öfter?

– Ich sprach nur von einer. Sei also unbesorgt. Und versuche nicht, sie mir auszutreiben! Ich werde mich nicht vor euch winden und kenne eure Sorte.

Und Andreas und Tabeas werden wieder still, wissen noch nicht, wie sie den Alten zu nehmen haben. Da fragt er sie aber:

– Und? Wie nennen sie euch?

– Tabeas, aus Jerusalem.

– Andreas …

Der Alte unterbricht ihn, zahlts ihm zurück.

– Auch kein schöner Name.

Andreas will auffahren, aber schon hat ihn Tabeas angefaßt, dort am Ellenbogen. Und widerwillig, als wisse er wohl, was zu tun sei, zieht er weg seinen Arm, antwortet so:

– Haben wir dich, Diastasimos, etwa verstimmt, uns danklos hier niedersetzend, und sollten wir, Tabeas und ich, Andreas Markus, uns glücklich preisen, dich in der Höhle hier überhaupt anzutreffen, in der du seit langen Jahren lebst, fern der Stadt und selbst die aus dem nahen Bethanien meidend? Meinst du, wir sollten froh sein, dich nicht auf- und davongehen zu sehen?

– Allerdings, Bürschchen. Glücklichpreisen solltet ihr euch.

– Oder meidest du nicht gezwungenermaßen? Und meidet man dich nicht gezwungenermaßen und schließt dich aus der Gemeinschaft der Juden und auch der Heiden, gezwungenermaßen? Denn so verlangt es das Gesetz, Diastasimos, welches den Eintritt in die Stadt unter Todesstrafe stellt jedem Aussätzigen. Wohin hättest du dich versteckt, wenn nicht unter die Lumpen, mit denen du dich vor uns vermummst, und was etwa zu verhehlen hättest du dich aus deiner Höhle hinauswagen wollen?

Und Diastasismos wendet sich ab von Andreas, spricht zu Tabeas, als sei einem wie Andreas gar nicht zu antworten.

– Er weiß schon alles, dein Freund. Ihr hört auf eure Stimmen. Die meine aber, »mutiger« Andreas, »mutiger« Tabeas, die ihr in die »Höhle des Aussätzigen« zu treten euch überwunden habt, die zeigte mir an, daß es Zeit sei.

– Zeit? Wie meinst du?

– Zeit ist es nicht nur für euren Besuch, sagte die Stimme, sondern: zu vertauschen Gelübde und Lehre. Und euch, die ihr kommt, mir das eine abzuringen, will ich das andere gern verpassen. Denn ich habe der Stimme wohl gehorcht und habe mich versteckt. Nur seht ihrs nicht. Statt dessen werft ihr einander Blicke zu – mir entgeht keiner! – als sei der Aussätzige hier auch noch geistesgestört.

Und Andreas will jetzt gehört werden, dem Alten zu widersprechen, ihn aufzuklären über den wahren Grund ihres Kommens. Und Diastasimos gibt ihm Zeit, zweimal – aber nur für einige Worte.

– Alter, glaubst du, wir …

– »Geistesgestört«, sagten eure Blicke, lehr mich nicht anders!

– Nun hör mir doch zu, wir …

– Aber damit habt ihr ja Erfahrung, mit solcher Sorte. Bei den im Geist Gestörten kennt ihr euch aus, nicht wahr?

So rieb sich der Hohn des Alten an Andreas Einsprüchen blank, weil er unbeirrt ihn nicht zur Rede kommen ließ:

– Denn euren Herrn und Meister, hatte man den nicht oft grade so genannt und hat man nicht in der Heiligen Stadt gesagt, er höre Stimmen? Und gar welche von Gott? Und die hätten ihm gesagt, daß er sei jener Stimme Sohn und also König der Seinen, der Jünger, aber mehr noch: aller Juden? Mehr noch: der Heiden und aller Welt, wie ich seit einigen Tagen höre, daß es geplant? Erfahrung habt ihr, geprüft seid ihr wahrhaft in solchen Stimmen, höre ich. Drum wunderts mich, ihr könnt nicht sehen, wie ich versteckt bin. Denn ich bin euch versteckt, und meine Stimme sagte mir so.

– Du argwöhnst gegen uns ohne Grund, antwortet Tabeas nach respektvoller Pause. Zweifelten wir dein Zeugnis und Denkvermögen an, wir hätten uns nicht die Mühe gemacht. Auch in Bethanien erinnert man sich deiner. Wer aber im einzelnen von dir erzählt, auch dir von den Geschehnissen der Stadt berichtet, konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Sind es die dir manchmal das Essen bringen?

Diastasimos schweigt.

– Nur daß du nicht irr oder stumm geworden … das wußten sie dort sicher zu sagen.

– In Bethanien? Wollt ihr sagen, man erinnert mich in Bethanien?