Rom abseits der Pfade - Elisabetta De Luca - E-Book

Rom abseits der Pfade E-Book

Elisabetta De Luca

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Beschreibung

Italien-Spezialistin Elisabetta De Luca entführt uns diesmal auf einen ganz speziellen Spaziergang durch Italiens Hauptstadt. Sie beschreibt pittoreske Gassen und besondere Plätze, schwelgt in Erinnerungen an Zeiten, in denen noch Filmstars aus Hollywood und Cinecittà die Via Veneto bevölkerten, und erzählt Anekdoten über bekannte Römer und illustre Gäste der Capitale. Mit persönlichen Erlebnissen gespickt, berichtet die Autorin unterhaltsam wie detailreich von bekannten und weniger bekannten Plätzen in der Metropole am Tiber und nimmt uns mit an ihre ganz geheimen Lieblingsorte. Rom – eine Stadt zwischen Antike und Moderne, Klischees und Überraschungen, Freilichtmuseum und prallem Leben.

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Seitenzahl: 309

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ELISABETTA DE LUCA

Rom

ABSEITS DER PFADE

Per Chiara con amore!

Ich widme dieses Buch Remus.Nein, nicht dem glücklosen Zwillingsbruder von Romulus, sondern dem wunderbaren Nachtzug, der meine Jugend als Kind zweier Kulturen prägte und einst auf magische Weise Wien mit Rom, meine österreichische mit meiner italienischen Heimat, und mein Leben mit meinen Träumen verband.

Inhalt

Vorwort

Remus

Alle Wege führen nach Rom

Tempi mai passati

Die Ewige Stadt

Caput mundi

Von den Römern und ihren Besuchern

Mamma Roma

Rom für Leib und Seele

Sanus per aquam

Die Stadt des Wassers

I giardini di Roma

Paradies auf Erden

Il Tevere

Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss

Trastevere

Das Dorf in der Stadt

Über sieben Hügel

Das sind ja schöne Aussichten!

Mythos Rom

Die verewigte Stadt

Il Vaticano

Ein Paralleluniversum

Arrivederci Roma

Ein Abschied auf Zeit

Nachsatz

Grazie!

„Ja, ich bin endlich in dieserHauptstadt der Welt angelangt!“

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) am 1. November 1786 bei seiner Ankunft in Rom

Stadtteile von Rom

Vorwort

Seit meinem letzten Buch „Neapel abseits der Pfade“ waren bereits zwei Jahre vergangen, und es war so einiges passiert, als mich eines schönen Tages unverhofft ein Anruf meines Verlegers ereilte. „Frau De Luca“, schallte es laut, bestimmt, aber freundlich von der anderen Seite der Leitung, „wie sieht’s aus, hätten Sie Lust ein Rom-Buch für uns zu schreiben?“

Welch eine Frage? Natürlich hatte ich Lust! Und so buchte ich umgehend für mich und meine Tochter Fahrkarten in die Ewige Stadt. Mit dieser Reise machten wir uns auf in ein neues gemeinsames Abenteuer.

Zumindest für Chiara war es das, hatte sie doch noch nie einen Fuß auf den Boden Roms gesetzt. Ich selbst kenne dank meiner vielen römischen Freunde und Bekannten, die mich nicht nur seit vielen Jahren immer wieder in die Ewige Stadt einladen, sondern mir nun auch mit Rat und Tat bei der Entstehung dieses Buches zur Seite gestanden haben, die Capitale recht gut. Sie war stets Bindeglied und Drehscheibe zwischen meiner österreichischen Mutter und meinem italienischen Vater. Hier stieg ich schon als Kind an der Hand meiner Eltern regelmäßig vom Nachtzug aus Wien in den Intercity nach Neapel um. Von dieser Stadt – und ihren feschen ragazzi – schwärmte ich später als Teenager zwischen Klängen von Ramazzotti, Baglioni und Venditti. Nach Rom führte mich dann gemeinsam mit meiner Tante Gerda meine „Grand Tour“ nach der Matura. Hier machte ich während meiner Studienjahre in Salerno dreibis viermal pro Jahr auf meiner Heimreise nach Wien Station, um Freunde zu treffen. In der Ewigen Stadt feierten mein Mann und ich viele Jahre später Verlobung. Und im Rom war es auch, wo ich vor einigen Jahren sogar mein großes Vorbild, den großen neapolitanischen Schriftsteller und Philosophen Luciano De Crescenzo besuchen durfte, der in seinen Büchern zwar stets von Neapel schwärmte, aber schlussendlich dennoch die italienische Capitale zu seinem Lebensmittelpunkt erkor. Eine Frage, die mich übrigens viele Jahre beschäftigte und der ich im Kapitel „Mythos Rom“ endlich auf den Grund gegangen bin.

Kurzum, Rom begleitet mich bereits mein Leben lang. Und dennoch entdecke ich bei jedem Besuch immer wieder neue Facetten an dieser einzigartigen Stadt. Facetten, wohl gemerkt, keine neuen Orte. Denn die Ewige Stadt zählt aufgrund der vielen Menschen, die in den vergangenen drei Jahrtausenden hier zu Besuch waren, wohl zu den am besten erforschten und dokumentierten unserer Zeit. Jeder, der hierherkommt, ist beseelt davon immer wieder etwas Neues aufzuspüren – womöglich etwas, das vor ihm noch kein anderer gesehen hat. Ein hehrer Anspruch! Dennoch kann es bisweilen tatsächlich passieren, dass man auf seinen Spaziergängen durch diese pulsierende Metropole, in Gedanken versunken, von einer dicht bevölkerten Piazza in eine menschenleere Seitengasse abbiegt und auf einmal unverhofft vor dem halb geöffneten Tor eines alten Palazzo steht, das mit seinem kleinen Einblick eine große Entdeckung verspricht und zum Eintritt verlockt. Der Forschergeist tut dann sein Übriges, und wenn man zufälligerweise auch noch auf einen alten Pförtner stößt, der das ein oder andere Geheimnis über das Gebäude und seine Geschichte zu erzählen weiß, ist das Entdeckerherz selig! Auf diese Weise habe ich schon viele Raritäten und interessante Hintergrundinformationen dieser Stadt erfahren, die in keinem Reiseführer stehen und die ich gerne in diesem Buch mit anderen Rom-Liebhabern teilen will.

Kommen Sie also mit auf diese besondere Reise durch Rom, die uns inhaltlich abseits der Pfade durch die Ewige Stadt führen und einige ihrer bisher noch unbekannten Facetten und gut gehüteten Geheimnisse enthüllen wird.

Buon viaggio!

Donnernd rast der Zug durch die schwarze Nacht. Sanft schaukelt der Waggon über die Gleise und wiegt mich in den Schlaf. Wohlig kuschle ich mich in das weiche, frisch überzogene Kissen meines komfortablen Bettes und ziehe entspannt die Steppdecke bis zur Nase hoch. Welch ein Luxus, mein Schlafwagenabteil hat ein eigenes Bad und WC. Ich fahre 1. Klasse.

Dass das nicht immer so war, daran erinnere ich mich nur zu gut. Meine halbe Jugend habe ich auf den harten Pritschen der Liegewagen zugebracht. Bettwäsche aus Papier. Sechs Personen und das dazugehörige Gepäck in einem Abteil, vollgestopft bis oben hin. Von den Ausdünstungen gar nicht erst zu reden … Und dann nur eine Toilette für den gesamten Waggon. Die zweite am anderen Ende des Zuges war meist schon ab Wiener Neustadt fuori servizio.

Trotz dieser unangenehmen Umstände denke ich bis heute gerne, ja geradezu mit Liebe, an diese Reisen zurück, die ich erst als Kind auf dem Weg zu meiner Familie in Napoli und später als Studentin nach einem Besuch bei meiner Mutter in Wien retour zur Universität in Neapel viele Jahre lang alle paar Monate gemacht habe.

Ich kam regelmäßig in letzter Minute am Südbahnhof – dem heutigen Hauptbahnhof – an und hetzte mit halb offenem Koffer und unter den gestrengen Augen des Markuslöwen, der noch heute als Kopie des venezianischen Originals dort steht, durch die große Schalterhalle Richtung Gleise. Einmal hatte sich der Zug doch tatsächlich bereits in Bewegung gesetzt, und ich konnte gerade noch aufspringen, während Chris Lohner mit blecherner Stimme die Abfahrt des Nachtzuges „Remus, EC 31, 19:45 Uhr, über Wiener Neustadt, Bruck an der Mur, Leoben, Klagenfurt, Villach, Tarvis, Udine, Venezia Mestre, Bologna, Firenze, Roma Termini“ schallend aus allen Lautsprechern verhieß. Nachdem das Abteil gefunden, das Gepäck verstaut und die Mitreisenden begrüßt waren, konnte die Reise beginnen.

Anfangs saß ich auf den abgewetzten Polstersesseln, deren Kopfteile papierene Schutzhäubchen trugen, die nicht mehr ganz neu zu sein schienen, und betrachtete die kunstvollen Reproduktionen von Gemälden mit klassischen italienischen Allegorien auf der gegenüberliegenden Wand. Zu späterer Stunde – gegen Bruck an der Mur – begannen die ersten Fahrgäste ihre Betten aufzuklappen, die Schuhe auszuziehen und es sich gemütlich zu machen, und so stieg dann auch ich zwangsläufig auf meine Pritsche und beobachtete durch einen Schlitz in der Markise die vorüberziehende nächtliche Landschaft, bis ich trotz des wilden Gerüttels irgendwann einschlief. Hundegebell, aber vor allem die Tatsache, dass der Zug plötzlich stillstand, weckten mich meist gegen ein Uhr nachts in Tarvisio, wo die italienischen Grenzposten lauthals die Fahrkarten und Pässe kontrollierten. Ich liebte diesen Moment, in dem ich nach langer Zeit endlich wieder italienische Stimmen hörte! Damals gab es weder so viele italienische Pizzerien und Eisgeschäfte wie heute in Wien, noch italienisches Kabelfernsehen. Und so genoss ich es, den teils beruflichen, teils belanglosen Konversationen der Schaffner und Carabinieri draußen auf dem nächtlichen Perron unter dem italienischen Sternenhimmel zu lauschen. Nachdem sich der Zug wieder in Bewegung gesetzt hatte, ging es flott weiter. Udine, Venezia, Bologna … Meist wachte ich erst gegen sieben Uhr morgens in Florenz auf und sah glückselig den roten Ziegeldächern, Zypressenalleen, Wäscheleinen, hupenden Autos, ja Italien, beim Vorüberziehen zu.

Nun schien die Zeit nicht mehr vergehen zu wollen. Zu groß war meine Sehnsucht nach Rom bereits. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand, den der Schaffner seit den frühen Morgenstunden auf großen Tabletts kunstvoll durch den schmalen Korridor des Liegewagens jonglierend an die Fahrgäste verteilte, blickte ich gebannt hinaus auf die toskanische Hügellandschaft. Mit jedem Kilometer, den der Zug zurücklegte, veränderte sich der Ausblick vor dem Fenster und war schließlich, je näher wir der Hauptstadt kamen, immer mehr vom Anblick antiker Ruinen und kunstvoller römischer Aquädukte inmitten der weiten Ebene des Lazio geprägt. Ich konnte es kaum erwarten anzukommen, die Türe des Zuges aufzustoßen und die heiße, nach einer Mischung von motorini, pizza und caffè duftende Luft dieser geliebten Stadt einzuatmen. Die ersten Schritte über den Bahnsteig führten mich stets zu einem der kleinen plätschernden Trinkbrunnen aus schwarzem Marmor, die am ganzen Bahnhof zu finden waren. Mit einem Schluck des köstlichen, kühlen Nass stärkte ich mich, ehe ich mich in das wilde Getümmel der Stadt wagte. Heute sind diese kleinen Brunnen zwar noch zu sehen, aber leider nicht mehr in Betrieb. Sie wurden durch Getränkeautomaten ersetzt. Ihr sanftes Plätschern vermeine ich indes noch heute zu hören, wenn ich in Roma Termini aus dem Zug steige. So sehr hatten sie die Reisen meiner Jugendjahre und die Ankunft in dieser wundervollen Stadt geprägt.

Erst liebte ich den plüschig abgestandenen Geruch dieses Zuges, denn er verhieß Urlaub, Abenteuer, die große Freiheit! Doch mit den Jahren wurde er immer weniger aufregend, bis ich eines Tages, bereits im Berufsleben stehend, in Anbetracht von Zeitknappheit und – ich gestehe es unverhohlen – auf der Suche nach mehr Komfort, begann, auf das Flugzeug umzusteigen. Als ich jedoch neulich in einem Anfall von Nostalgie nach vielen Jahren erstmals wieder mit meiner Tochter am Kassenschalter des heutigen Hauptbahnhofes, in Erinnerungen schwelgend, zwei Tickets für den „Remus“ verlangte, sah mich das Fräulein hinter dem Tresen nur verständnislos an und faselte teilnahmslos irgendetwas von NightJet 40233. Tja, den „Remus“ – wie seinen Bruder „Romulus“, der diese Strecke tagsüber fuhr – gibt es nicht mehr. Die Erinnerungen an ihn haben mich jedoch beseelt, dieses Buch zu schreiben.

Prägende Kindheitserinnerungen: Der Nachtzug nach Rom und die kleinen Marmorbrunnen in Roma Termini

Aber gleich ob Bahn, Flugzeug, Bus oder Auto, fest steht, dass „alle Wege nach Rom führen“. Das behauptete einst zumindest Kaiser Augustus, der 20 v. Chr. eine goldene Säule mitten in der Stadt aufstellen ließ, auf welcher die Namen aller römischen Provinzhauptstädte standen und von der sich ein ausgeklügeltes, 200.000 Kilometer langes Straßennetz bis in die entferntesten Teile des großen römischen Reiches ausbreitete, um diese mit dem Zentrum der Macht zu verbinden. Vom sogenannten „Milliarium Aureum“, dem Goldenen Meilenstein, ist nichts als der steinerne Sockel auf dem Forum Romanum übriggeblieben. Das Sprichwort hat jedoch die Zeiten und Jahrtausende überdauert und ist auch heute noch Ausdruck des Stellenwertes Roms als eine der bedeutendsten Metropolen weltweit zwischen Macht, Kultur und Tourismus!

Endlich am Ziel meiner Träume!

In der Tat, die ganze Welt scheint Sehnsucht nach Rom zu haben, nach Rom zu drängen – ja, in Rom zu sein! Hier hört man so viele unterschiedliche Sprachen wie sonst nirgendwo auf der Erde. Jährlich kommen über fünfzehn Millionen Touristen in die Ewige Stadt. Jahrein, jahraus bevölkern zu jeder Tagesund Nachtzeit Menschen aus allen Teilen der Erde die Capitale. Und das nicht erst heute, sondern schon immer. Während heutzutage die Booking-Plattformen im Internet einander mit Schnäppchenpreisen überbieten und so dafür sorgen, dass die Hotels, Pensionen und Ferienappartements das ganze Jahr hindurch kontinuierlich ausgebucht sind, waren es einst die Pilgerwege durch ganz Europa, die Menschen aus aller Herren Länder in die Hauptstadt des Christentums brachten, welche die Tavernen und sonstigen Unterkünfte in der ganzen Stadt belebten – besonders an den hohen Feiertagen.

Ein einziges Mal habe ich die Unbesonnenheit begangen, zu Ostern nach Rom zu fahren. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, mehr ein Zufall. Und so befand ich mich just am Ostersonntag in der Ewigen Stadt – noch dazu mitten am Petersplatz! Noch nie zuvor hatte ich die Stadt dermaßen überfüllt gesehen. Sie war zum Bersten voll mit Menschen aus aller Welt! In der Via del Corso schoben sich die Touristengruppen, wie die Lemminge den bunten Wimpeln ihrer Reiseführer folgend, geduldig an den Souvenirgeschäften vorüber. Der Zutritt zur Piazza di Spagna wurde wegen Überfüllung sogar zeitweise geschlossen. Offensichtlich fürchtete man, dass jemand in dem Gedränge in die Barcaccia – den einem Boot gleichen, seichten Brunnen – fallen könnte. In den umliegenden Bars und Restaurants waren alle Tische besetzt. Vor den Gastgärten warteten müde Touristen stundenlang auf einen Sitzplatz. Von der Suche Erschöpfte übersäten trotz des ausdrücklichen Verbots sich hinzusetzen die Spanische Treppe. Aber das machte nichts, denn die Carabinieri schafften es ohnehin nicht, durch die Menschenmassen bis zu ihnen vorzudringen, um sie davon abzuhalten oder gar dafür zu strafen. Von der Fontana di Trevi sah ich nicht viel, sondern hörte lediglich das Plätschern des Wassers. Und selbst dafür musste man die Ohren spitzen, um es inmitten des internationalen Stimmengewirrs überhaupt vernehmen zu können. Es war eine Erfahrung, die ich mir gerne erspart hätte.

Vor lauter Touristen sieht man zu Ostern in Rom bisweilen nicht mal das türkisglitzernde Wasser des Trevibrunnens.

Denn mein Bild von dieser Stadt ist ein ganz anderes. Ich liebe Rom! Es strahlt für mich einerseits historische Schönheit und Größe, aber andererseits auch italienische Betriebsamkeit sowie gleichermaßen Gelassenheit aus. Es ist einfach wundervoll, durch die engen kleinen Gassen, die eleganten Corsi und über die weiten prunkvollen Piazze zu schlendern, den Blick schweifen zu lassen und die vielen einzigartigen Gebäude, Kulturdenkmäler und Kunstwerke zu bewundern, wovon die Menschen der vergangenen Jahrtausende hier eine schier unendliche Fülle hinterlassen haben. In der Tat entdecke ich selbst nach vierzig Jahren bei jedem Besuch immer wieder etwas Neues und Wunderbares – sei es ein kunstvolles Detail einer Fassade, eine lateinische Inschrift an einer antiken Mauer oder ein paradiesischer Garten im versteckten Innenhof eines unscheinbaren Hauses. Und erst die Menschen! Sie sind die Seele der Stadt. Einer meiner bevorzugten Zeitvertreibe bei meinen Besuchen in der Capitale ist es, mich irgendwo an den Tisch einer kleinen Bar zu setzen und bei einer Tasse caffè gedankenversunken die Passanten zu beobachten. Ich betrachte, wie sie miteinander angeregt diskutieren und den oftmals harmlosen Dialog dabei mit wilden Gesten unterstreichen. Ich sehe den Geschäftsleuten zu, wie sie stolz ihre Waren in den Schaufenstern drapieren, um danach einen prüfenden Blick von außen darauf zu werfen und zufällig des Weges Kommende nach ihrer Meinung zu befragen. Tja, „Fare una bella figura“ ist in Rom eben etwas sehr Wichtiges! Ich liebe es, Kellner zu bewundern, die mit Tabletts voll von klappernden Kaffeetassen und kunstvoll aufgeschichteten Bergen von tramezzini und cornetti über die Gassen laufen, um den Menschen in den umliegenden Büros und Geschäften eine kleine Stärkung zu servieren. Oder ich schaue einfach den vorbeiknatternden Vespas, voll beladenen Apes und hupenden Cinquecentos nach und erfreue mich an dem pittoresken Perpetuum Mobile, das die Straßen Tag und Nacht so lebendig macht. Kurzum, ich lasse die umwerfende Ausstrahlung dieser Stadt einfach auf mich wirken.

Dazu kommt man jedoch nur, wenn man so richtig Muße hat. Also auf keinen Fall an Ostern in Rom. Eines ist seither nämlich sicher: Mögen die Glocken auch weiterhin zu Ostern nach Rom fliegen, ich werde künftig lieber zu einer anderen Zeit wiederkommen.

In Rom erlebt man immer was! Da reicht es schon, sich in eine kleine Bar zu setzen und bei einem Espresso dem bunten Treiben in den Gassen zuzusehen.

Die Menschheit jedenfalls drängt seit jeher in die Ewige Stadt. Noch lange vor der Erfindung des Autos, der Bahn und des Flugzeugs reiste man ganz einfach per pedes. Auch wenn sich die meisten Menschen zu jener Zeit zu Fuß fortbewegten, gab es schon Transportmittel, die eine solch strapaziöse Reise angenehmer machten – für die Reichen zumindest. Stumme Zeugen davon sind bis heute die Spurrinnen auf der Via Appia Antica, die aus dem Jahr 312 v. Chr. stammt und einst Rom mit dem an der Adria gelegenen Brindisi verband – in der Antike eine der bedeutendsten Hafenstädte im Mittelmeer. Dementsprechend rege war der Verkehr auf diesem Hauptverkehrsweg, der noch heute als Nuova Via Appia oder auch Strada Statale SS7 dem gleichen Streckenverlauf folgt und sehr stark befahren ist – natürlich mit modernem Straßenbelag und „Autogrill“ anstatt Tavernen. In einigen Gegenden tritt jedoch hie und da noch die antike Pflasterung zutage. So beispielsweise in den römischen Vororten Ciampino und Marino, aber auch in den etwas weiter entfernten Orten Terracina, Mondragone, Caserta und Matera, wo man bis heute Teile der freigelegten Via Appia Antica bewundern kann. Ihren Ursprung nimmt Roms einst wichtigste Verbindung mit dem Rest der Welt beim Circus Maximus, von wo sie an den Caracalla-Thermen vorbei durch die Porta San Sebastiano in der Aurelianischen Stadtmauer aus der Stadt hinaus gen Süden führt. Zwischen dem Grabmal der Caecilia Metella und dem Emporion nahe dem Flughafen Ciampino liegt wohl das schönste Stück der Via Appia Antica. Dreizehn Kilometer lang schlängelt sich die alte römische Straße gesäumt von meterhohen Pappeln und Palmen im Schatten duftender Pinien und Zypressen zwischen antiken Grabmälern, Landhäusern und Ruinen durch die sanfte römische Hügellandschaft. Autos sind hier nicht zugelassen, und auch Fahrräder darf man darauf bloß schieben. Schwarz und glatt glänzen die antiken Pflastersteine in der Sonne. Die Spurrinnen historischer Karren und Streitwagen im Stein lassen nur erahnen, wie dicht der Verkehr hier einst gewesen sein muss. Heute ist diese idyllische Route Spaziergängern und Läufern vorbehalten. Aber man trifft mitunter auch auf Schafherden, die einen gerne an der Fortsetzung der Wanderung hindern. Und so bleibt man dann versonnen am Wegesrand stehen und wartet ab, dass das trotzige Herdenvieh mit gesenktem Haupt blökend vorüberzieht, während man sich vor Augen führt, wer aller schon auf dieser heute schmal anmutenden, doch einst bedeutendsten Straße des Römischen Reiches gereist sein mag. Und ehe man sich’s versieht, scheint man zurückversetzt in die Antike und meint einen Augenblick lang gar, in der Ferne einen römischen Streitwagen, eine Kohorte von Legionären, einen Handkarren ziehende Sklaven oder in weiße Togen gehüllte lustwandelnde Römer wahrzunehmen … Die Schafherde ist in der Zwischenzeit weitergezogen, und man kann seinen einsamen Spaziergang fortsetzen.

Ob wirklich alle Wege nach Rom führen? Auf jeden Fall die Via Appia Antica.

Und doch muss diese verlassene Straße, auf der man heute lediglich ab und an auf Jogger und vereinzelte Touristen trifft, einst voller Leben gewesen sein. Schließlich wurden auf ihr Waren aus aller Welt nach Rom gebracht, Sklaven aus den römischen Provinzen in die Hauptstadt transportiert, Nachrichten mit Boten in alle Welt versendet und Soldaten hinaus in die entferntesten Winkel des Römischen Reichs entsandt. Als Ausfallstraße nach Süden war die Via Appia in der Antike somit bedeutender Standort für Gutshöfe, Thermen, Geschäfte und Gasthäuser, die voller Menschen und Sprachen aus allen Teilen des Römischen Reiches waren. Im starken Gegensatz dazu war sie aber gleichzeitig auch von Grabmälern gesäumt. Da die Bestattung aus Hygienegründen nur außerhalb der Stadtmauern Roms erlaubt war, suchten sich die wohlhabenden Bürger der Stadt für das Leben danach eine ebenso repräsentative Adresse, wo sie selbst nach dem Tod ihren sozialen Status noch zur Schau stellen konnten. So kommt es, dass man auch heute noch unzählige letzte Ruhestätten bedeutender römischer Persönlichkeiten entlang der Allee bewundern kann. Eine der berühmtesten ist wohl das Grab des Seneca, jenes aus Spanien stammenden, meist gelesenen Autors seiner Zeit, der auf Befehl Neros als Verschwörer in den Freitod gehen musste. Der Grabstein ist mittlerweile nur noch sehr schwer auszunehmen. Die Umweltverschmutzung in unmittelbarer Nähe des Flughafens sowie der ein oder andere Hobbyarchäologe haben ihm in den vergangenen Jahrzehnten dermaßen zugesetzt, dass von den einstigen Reliefs, die auf alten Fotos aus Zeiten der Jahrhundertwende noch bewundert werden können, nicht mehr viel zu sehen ist.

Einer meiner Lieblingsorte an der Via Appia ist das Mausoleo di Cecilia Metella, das Grabmal einer bedeutenden römischen Familie, das im 13. Jahrhundert von der ebenso bedeutenden Adelsfamilie der Caetani, welche zu jener Zeit mit Bonifatius VIII. den Papst stellten, zu einer Festung ausgebaut wurde. An dieser Stelle werden mir stets die Vergänglichkeit und gleichermaßen die Ewigkeit des Lebens so begreiflich wie kaum woanders. Nicht nur das Grab, das später zum Wohnsitz wurde, sondern auch die in unmittelbarer Nähe befindliche Gaststätte, Hostaria Antica Roma, eine der ältesten Roms, war einst, eingebettet zwischen Weingärten und Feldern, ein römisches Landgut vor den Toren der Hauptstadt. Im Schatten uralter Pinienbäume kann man hier heute noch an heißen Sommertagen der Hitze der Stadt entfliehen. Begleitet vom Zirpen der Grillen sitzt man bequem an weiß gedeckten Tischen und verbringt den Nachmittag am besten damit, sich quer durch die Speisekarte zu essen, die mit Stolz ausschließlich mit römischen Gerichten und Weinen aus dem Latium aufwartet. Zur Verwunderung der ausländischen Gäste ist die Spezialität des Hauses ein einfacher Schafskäse, der mit Knoblauch, Koriander, Essig und Olivenöl zu einem Aufstrich verarbeitet und zu frischem Brot gereicht wird: der Moretum. Die Besonderheit daran ist, dass es sich dabei um ein Gericht aus der Antike handelt. Selbst der große Dichter Vergil hat über diese Lieblingsspeise der Römer einst ein gleichnamiges Gedicht geschrieben, in dem er das Landleben preist und die Zubereitung dieser typisch bäuerlichen Speise beschreibt.

Im Garten der Hostaria Antica Roma in unmittelbarer Nähe des Mausoleo di Cecilia Metella kann man im Schatten der Bäume an heißen Tagen herrliche Stunden verbringen.

Rezept:

Moretum

Das Rezept dieser Leibspeise der antiken Römer ist auch in anderen Texten vielfach überliefert. Der Aufstrich gleicht ein wenig dem in unseren Breiten so beliebten griechischen Tsatsiki, ist aber kompakter. Er wurde damals meist schon zum Frühstück mit Fladenbrot gegessen.

Zutaten:

5–7

Knoblauchzehen

100 g

Pecorino Romano

100 g

Schafskäse (Feta)

100 g

Schafstopfen (Ricotta)

1

Selleriestange

 

Petersilie

2–3 EL

Olivenöl

1–2 TL

Essig

2

Lorbeerblätter

 

Salz und Pfeffer

Zubereitung:

Die Zutaten gut miteinander in einem Mixer vermischen, bis sich daraus eine kompakte, cremige, hellgrüne Masse ergibt. Danach 1–2 Stunden im Kühlschrank rasten lassen und mit noch warmem Fladenbrot servieren.

Die Familie Magnanimi, die dieses Lokal seit einigen Generationen betreibt, ist übrigens sehr kulturinteressiert und den Traditionen Roms verpflichtet. So berichtet sie ihren Gästen auf ihren diversen Internetkanälen regelmäßig über historische Besonderheiten, die mit ihrem Hause in Zusammenhang stehen, und veranstaltet in einem antiken Pavillon im Garten des Restaurants Konzerte, die sehr beliebt und stets gut besucht sind. Brot und Spiele sozusagen – seit jeher ein römischer Garant für gute Unterhaltung.

Hostaria Antica Roma

Via Appia Antica, 176

00178 Roma

+39/06/513 2888

Die 540 Kilometer lange Via Appia, die einst als wichtigste Handelsstraße der Antike auch „Königin der Straßen“ genannt wurde und heute als längstes Freilichtmuseum der Welt gilt, soll 2023 als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt werden. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung und Verwahrlosung hat sich in den vergangenen 10 Jahren eine Gruppe von 28 italienischen Ministerialbüros, 74 Gemeinden, 13 Metropolitanstädten, 14 Nationalparks, 4 Regionen und 25 Universitäten zusammengeschlossen, um kurz vor dem endgültigen Verfall dieses bedeutenden europäischen Kulturgutes endlich die überfällige Rettung desselben einzuleiten. Am 1. Oktober 2022 wurde vom italienischen Kulturminister Dario Franceschini im Zuge der Messe „TourismA – Salone Archeologia e Tursimo culturale“ in Florenz nach langen Vorbereitungen der offizielle Antrag bei der UNESCO auf Ernennung der Via Appia Antica zum Weltkulturerbe eingereicht. Mit ein Grund für die jahrelange Verzögerung war wohl das dafür benötigte exorbitante Budget von 22 Millionen Euro. Damit soll dafür gesorgt werden, dass die Straße selbst, aber auch eine Reihe bedeutender Kulturdenkmäler, die sie säumen, renoviert und ab sofort verstärkt in den Mittelpunkt eines sogenannten „sanften Tourismus“ gestellt werden, sofern es so etwas überhaupt gibt …

Bei Pilgern aus aller Welt hat Rom immer Hochsaison.

Aber nicht nur die Via Appia führte einst nach Rom. Nach den Römern gewannen mit der zunehmenden Ausbreitung des Christentums in ganz Europa die Pilgerwege immer mehr an Bedeutung, welche die Ewige Stadt als Mittelpunkt ihrer Religion zum Zentrum der Welt und somit zum begehrten Ziel machten. Einer der ältesten christlichen Pilgerwege Europas ist die Via Francigena, der Frankenweg. Dieser startet im englischen Canterbury und führt 1700 Kilometer von Dover nach Calais, Arras, Reims, Lausanne, Aosta, Pavia, Lucca und über Viterbo in den Vatikanstaat. Ihren Ursprung hat diese Route im entfernten Jahr 990 n. Chr., als Bischof Sigerich von Canterbury nach Rom aufbrach, um dort die Bischofswürde zu erhalten. Über seine Reise führte er so genaue Aufzeichnungen, dass der gut dokumentierte Weg bis heute willkommene Vorlage für viele weitere christliche Rom-Pilger und nicht christliche Rom-Reisende wurde.

Seit einigen Jahren ist das Pilgern wieder hoch in Mode. Und so sieht man auf dem altehrwürdigen Weg viele Wanderer – jedoch nicht mit Kutte, Rosenkranz und Kreuz, sondern mit Rucksack, Trekkingausrüstung und GPS ausgestattet – durch die Landschaft streifen und von Ort zu Ort, von Kirche zu Kirche und Kloster zu Kloster ziehen, um das Grab des Heiligen Petrus’ in Rom zu besuchen. Allerdings gehen die meisten Menschen diesen Weg heute wohl weniger aus religiöser als aus sportlicher Motivation. Während man auf dieser Straße einst so mancher Gefahr ausgesetzt war, werden diese Fußreisen heutzutage von darauf spezialisierten Reisebüros organisiert – Rückfahrt inbegriffen. Der Verein Eurovia beispielsweise verfügt sogar über Pilgerausweise in fünf Sprachen, die den ehemaligen Pilgerbrief ersetzen sollen. Damit findet man längs der Route überall leicht Unterkunft oder Hilfe. Der versierte Pilger von heute jedoch stützt sich lieber auf die moderne Technik und benutzt das Internet, das entlang der historischen Route bereits sehr gut ausgebaut ist. Und so gibt es mehrere Websites zu dem Thema und dazu die passende Pilger-App: „Via Francigena – The Offical App“. Tja, auch die Kirche geht mit der Zeit.

Ein weiterer wichtiger Fernwanderweg, der aus Norddeutschland über 2200 Kilometer in die Ewige Stadt führt, ist die Via Romea Germanica. Wie einst der Jakobsweg noch bis vor Kurzem verwaist, erfreut sich auch dieser ursprüngliche Pilgerweg des Abtes Albert von Stade aus dem 13. Jahrhundert in den vergangenen Jahren wieder immer größer werdender Beliebtheit. Er verläuft von Stade nach Süden über Celle, Braunschweig, Gotha, Augsburg, Innsbruck, Bozen, Padua, Venedig, Ravenna und trifft schließlich westlich von Viterbo auf die Via Francigena, auf der es die letzten 100 Kilometer weiter nach Rom geht. Zwei Wochen soll man dafür benötigen – wenn man sportlich ist.

Auf den Spuren des heiligen Franz von Assisi hingegen wandelt man auf dem 600 Kilometer langen Franziskusweg, einem der wichtigsten italienischen Pilgerwege, von Florenz über Assisi nach Rom. Anders als auf anderen großen Pilgerrouten Europas wie zum Beispiel dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, wo tagein, tagaus das ganze Jahr über bei jedem Wetter hektisches Treiben Tausender nach Ruhe und Erleuchtung Suchender aus aller Welt herrscht, geht es hier noch sehr gemächlich und besinnlich zu. Der Weg führt den Wanderer quer durch die idyllischsten Landschaften der Toskana, Umbriens und Latiums, vorüber an stillen Einsiedeleien, malerischen Klöstern sowie durch teilweise noch unberührte Natur. Allerdings handelt es sich dabei nicht, wie bei anderen Pilgerwegen, um einen Weg zur Grabstätte eines Heiligen, sondern man schreitet auf historischen Wegen und an Orten, die einst der Lebensmittelpunkt des heiligen Franz von Assisi waren.

Wo einst der Heilige Franziskus wirkte, pulsiert heute das Leben.

Das Ziel des Franziskuswegs: die Kirche San Francesco a Ripa im belebten Viertel Trastevere.

Ich selbst war zwar noch nie pilgern, dennoch bin ich schon einmal auf dem Franziskusweg gewandelt – wenn auch bloß durch Zufall und nur auf einem kleinen Stück davon.

Damals waren mein Verlobter und ich auf der Durchreise von Wien nach Neapel, wo er – wie sich das in Italien gehört – ganz offiziell bei meinem Vater um meine Hand anhalten wollte. Es sollte eine unvergessliche und romantische Reise werden, die uns durch die schönsten Städte Italiens über die Hauptstadt Rom bis in meine Heimat an der Amalfiküste führen sollte. Das Schicksal jedoch wollte es anders. Kurz nach Assisi ging der Kompressor der Klimaanlage ein, und das Auto wurde unversehens zur Sauna. Mein Mann, der sein Fahrzeug nicht der erstbesten italienischen Provinzwerkstatt anvertrauen wollte, beschloss daraufhin, in einem Stück bis nach Neapel durchzufahren, um die Reparaturarbeiten so schnell wie möglich in die Hände eines fähigen Großstadtmechanikers zu legen. Kurz vor der Capitale machten wir jedoch schlapp. Im Inneren des Fahrzeugs kochte die Luft. An eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Und so beschlossen wir, die nächstbeste Ausfahrt zu nehmen und eine Pause einzulegen. Wir waren in Rieti gelandet, einem Wallfahrtsort und beliebten Ausflugsziel der Römer vor den Toren der Hauptstadt, wo wir nach einer ersten Stärkung in einer kleinen Trattoria am Ortsrand auf der Suche nach ein wenig Erholung in einem angrenzenden Olivenhain landeten. Wir gingen ein wenig darin spazieren und ließen uns dann erschöpft im kühlen, wohltuenden Schatten eines alten knorrigen Baumes im hohen Gras nieder, um Pläne für die Fortsetzung unserer Reise zu schmieden. Als wir zum Auto zurückkehrten, das wir vor dem Lokal stehen gelassen hatten, empfing uns schon erwartungsfroh der Wirt, um uns darüber aufzuklären, dass wir dort unten auf heiligem Boden, nämlich der „Strada di San Francesco“ gewandelt waren. Er hatte hier einst auf seinem Weg nach Rom pausiert und sogar einige Zeit hier gelebt, ehe er zum Papst weiterreiste, um von diesem seinen Orden anerkennen zu lassen. Ein Gedanke, der mich zutiefst berührte.

Unter Olivenbäumen unterwegs auf dem Franziskusweg nach Rom.

„Die Römer lieben Fahrräder, gleich ob zum Spazierenfahren oder für Besorgungen.“

Nachdem das Auto nun doch bei einer kleinen Werkstatt in der Nähe untergebracht war, beschlossen wir, mit dem Zug ins nahe gelegene Rom zu fahren, um dort meinen Vater zu treffen, der uns auf halbem Wege aus Neapel entgegenkommen wollte. Und so kam es, dass wir – für eine neapolitanische Großfamilie wie die meine eigentlich unüblich – nur im kleinsten Kreise zu dritt und in der Ewigen Stadt Verlobung feierten. Ein sehr besonderes Ereignis, das mich bis heute mit dieser außergewöhnlichen Stadt auf eine sehr persönliche Weise verbindet.

Natürlich führen nicht ausschließlich Pilgerwege nach Rom. Es gibt auch weltliche Vergnügungen, die in der italienischen Hauptstadt gipfeln – wie beispielsweise das berühmte Autorennen Mille Miglia oder der Giro d’Italia, der 1909 vom Herausgeber der italienischen Tageszeitung La Gazzetta dello Sport, Eugenio Camillo Costamagna, erstmals ausgerufen wurde. Inspiriert dazu hatte ihn das einige Jahre zuvor in Frankreich ins Leben gerufene Radstraßenrennen, die Tour de France. Beim ersten Mal wurde die Strecke von Mailand über Rom nach Neapel und wieder retour gefahren. Inzwischen ist der Giro bereits 3500 km lang und hat 21 Etappen, die teilweise auch ins benachbarte Ausland führen. Der Sieger erhält die berühmte Maglia rosa, das rosa Trikot, welches sich an die Farbe jener beliebten Zeitung anlehnt. Aber nicht immer lief alles rund bei dem bedeutenden Radrennen. So fuhren die Teilnehmer 1912 die letzte Etappe nach Rom kurzerhand mit dem Zug, weil ein Fluss über die Ufer getreten war, was sie an der Weiterfahrt hinderte. Und 2018 wurde den Fahrern das teilweise antike holprige Kopfsteinpflaster beim Zieleinlauf in Rom vor dem Kolosseum zum Verhängnis, sodass einige von ihnen auf den letzten Metern protestierend abstiegen und disqualifiziert wurden.

In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts stieg der Rennsport dann vom Rad auf das Automobil um. Und so wurde 1927 in Italien die legendäre Mille Miglia aus der Taufe gehoben. Die exklusive Oldtimer-Rallye quer durch Italien mit Rom als Ziel entwickelte sich rasch zum Schaulauf der internationalen Prominenz und zieht noch heute jedes Jahr Millionen von Zusehern aus der ganzen Welt nach Italien, so auch in die Capitale.

Alljährlich jagten die modernsten Rennwagen ihrer Zeit, gesteuert von den tollkühnsten Fahrern jener Epoche, gleichsam futuristischen Boten der anbrechenden Moderne und des Fortschritts, quer über die staubigen Landstraßen und durch die mittelalterlichen Städte Norditaliens, vorüber an staunenden Bauern und jubelnden Menschenmassen bis in die italienische Hauptstadt. Bis es 1957 zum fatalen Unfall von Alfonso de Portago kam, der das Ende jener Ära zeichnete. Ein von ihm während seines letzten Rennens in Rom aufgenommenes Foto, das nachträglich den Namen „Bacio della morte“ (Kuss des Todes) erhielt, ist zum Symbol des tragischen Endes der Mille Miglia geworden. Es zeigt die amerikanische Schauspielerin Linda Christian, wie sie ihren Freund unmittelbar vor dem tragischen Unfall bei einem Boxenstopp unter dem Jubel der Menge küsst.

Eleganz und Charme der Mille Miglia sind in Rom das ganze Jahr über zu spüren.

Doch das „schönste Autorennen der Welt“, wie es bis heute oft genannt wird, geriet nie ganz in Vergessenheit. Und so schaffte die Mille Miglia 1982 ein Revival, diesmal jedoch als gemächliche Oldtimer Rallye, bei der einfach nur die historischen Rennwagen und die schöne Landschaft Italiens im Mittelpunkt standen, wobei der Höhepunkt der mehrtägigen Tour natürlich wieder Rom war.

Rom ist umwerfend! Wer schon einmal da war, weiß, was ich meine. Der erste Eindruck von so viel Größe, Geschichte und Schönheit erschlägt einen förmlich. Zwischen dem Prunk und der Pracht ihrer monumentalen historischen Bauwerke und Denkmäler aus den unterschiedlichsten Epochen der Menschheit – wie beispielsweise dem ältesten komplett erhaltenen Gebäude der Antike, dem fast 2000 Jahre alten Pantheon – und der Imposanz des Vatikans strahlt die Stadt Macht und Ewigkeit aus. Der Gedanke berührt einen, dass diese Gebäude ihre Erbauer seit vielen Jahrhunderten überlebt haben, lange nach ihnen noch immer da sind und bis heute die Menschen zum Staunen bringen. Die Antike, das Mittelalter, die Renaissance und das Barock sind allgegenwärtig und ein selbstverständlicher Teil des Alltags der Römer. Seit drei Jahrtausenden zieht Rom nun schon Menschen aus aller Welt an. Doch was hat diese Stadt, die einst nahe der Küste des Tyrrhenischen Meeres zwischen der weitverzweigten Mündung des Tibers und inmitten der ausladenden Sümpfe der Pontinischen Ebene auf sieben Hügeln gegründet wurde, eigentlich so Besonderes an sich? Dazu lohnt es sich, auch ein wenig die Geschichte dieser außergewöhnlichen Metropole zu betrachten. Denn meines Erachtens kann man die Gegenwart nur dann begreifen, wenn man auch die Vergangenheit kennt. Und die ist im Falle Roms ja eigentlich die Gegenwart.

Die Mura Aureliane auf einem modernen Graffitti, das überall im Centro storico an den Hausmauern zu sehen ist.

Nachdem bereits Vergil in der Aeneis vom „imperium sine fine“, also vom „Reich ohne Ende“, geschrieben hatte, prägte der römische Dichter Tibul um 20 v. Chr. mit den Worten „urbs aeterna“ erstmals den Begriff der „Ewigen Stadt“. Auch Jahrhunderte danach schrieben Autoren über Rom als eine Stadt, die nie untergehen werde. Ihre unbändige Kraft sah man anfangs in der Kriegsführung und Unterwerfung anderer Völker, später wiederum auch in der Vitalität und Vielfalt der zahlreichen Menschen verschiedenster Kulturen, welche die Hauptstadt bevölkerten und bereicherten – erst in Form von Sklaven, dann als Pilger, Händler, Künstler und heute als Touristen.

Antike trifft auf Moderne: Lieferautos vor dem Pantheon

Schon lange vor ihrer – der Sage nach – offiziellen Gründung am 21. April 753 v. Chr. durch Romulus gab es auf den Hügeln Palatin und Esquilin Siedlungen der Sabiner aus der Zeit um 1000 v. Chr. Dazwischen existierte nichts als Sumpflandschaft, die erst die Etrusker – ein hochzivilisiertes, jedoch aufgrund einer Hungersnot aus Kleinasien nach Italien geflohenes Volk – etwas später trockenzulegen vermochten, um so wertvolles Land zu gewinnen. Sie waren es auch, die auf dem Palatin den ersten Hauptplatz errichteten – das spätere Forum Romanum. Nach dem Niedergang ihrer Kultur und der Vertreibung des letzten etruskischen Königs 510 v. Chr. wurde Rom zur Republik und die Entwicklung der Infrastruktur vorangetrieben. Nach dem Sturm der Gallier auf die Stadt 387 v. Chr. wurde die erste Stadtmauer östlich des Tibers gebaut. Die Servianische Mauer steckte erstmals das Stadtgebiet Roms ab, das sich damals über die sieben ursprünglichen Hügel Aventin, Caelius, Esquilin, Capitol, Palatin, Quirinal und Viminal erstreckte.

Mithilfe einer Heerschar von Sklaven aus allen Ecken des gigantischen Reiches war es den Römern ein Leichtes, binnen kürzester Zeit jede Menge öffentliche Gebäude, private Häuser, Mietskasernen, Brücken und Straßen, Markthallen, Thermen, Bibliotheken und Theater zu bauen. Aquädukte versorgten die Bevölkerung in der Stadt mit frischem Quellwasser, für den Abtransport des Abwassers gab es ein ausgeklügeltes Kanalsystem, die cloaca maxima. Es gab eine funktionierende Müllabfuhr, eine Feuerwehr und eine Art Polizei, die für Ordnung in den Straßen der immer größer werdenden Stadt sorgte. Aufgrund der hervorragenden Stadtverwaltung und Hygienemaßnahmen war die Bevölkerung im 1. Jahrhundert n. Chr. bereits auf eine Million Menschen angewachsen. Die Bautätigkeit schritt voran, und es entstanden einige der bedeutendsten Bauwerke der Menschheitsgeschichte wie das Kolosseum, der Circus Maximus, die Caracalla-Thermen sowie die rund um diese neuen Stadtgebiete erbaute Aurelianische Mauer. Jeder neue Kaiser versuchte seinen Vorgänger durch Pracht, Prunk und Größe zu übertrumpfen. Um das Jahr 300 n. Chr. erlangte Rom mit 1,2 Millionen Einwohnern seine bis dahin größte Bevölkerungszahl und dehnte sich nunmehr auch über die Hügel Gianicolo, Vaticano und Pincio auf dem westlichen Ufer des Tibers aus. Eine Einwohnerzahl, die sie erst in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts wieder erreichen sollte. Denn zur gleichen Zeit begann auch schon der Abstieg des Tausendjährigen Reiches, bis zu seinem Zerfall im 5. Jahrhundert n. Chr. Dennoch hat das antike Rom auf seine Weise überlebt. Die einst von den Römern geschaffenen Strukturen – sei es in architektonischer Hinsicht mit Thermen, Märkten, Mietskasernen, Theatern uvm. oder auch in struktureller wie mit Parlament, Gerichtsbarkeit, Verwaltung, Hygiene, Sicherheit usw. – prägen unsere Gesellschaft bis heute weltweit und sind das Fundament unserer modernen Gesellschaft. Das macht meines Erachtens die tatsächliche Ewigkeit Roms aus.