Rom - JJ. Platz - E-Book

Rom E-Book

JJ. Platz

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Beschreibung

*Von den Flammen Trojas bis zur Dämmerung des Römischen Reiches - ein episches Abenteuer durch die Entstehung einer Weltmacht.* Als der trojanische Prinz Aeneas aus seiner brennenden Heimat flieht, ahnt er nicht, dass er den Grundstein für eines der mächtigsten Reiche der Geschichte legen wird. Seine Nachfahren Romulus und Remus, von einer Wölfin großgezogen, gründen eine Stadt, die die Welt verändern soll: Rom. Von den legendären Anfängen unter den sieben Königen, über dramatische Machtkämpfe der jungen Republik bis hin zu den schicksalhaften Tagen von Julius Caesar und Augustus - dieser historische Roman erzählt die packende Geschichte Roms und seiner Menschen: - Mutige Helden wie Horatius, der die Stadt im Alleingang verteidigt - Weise Frauen wie Cornelia, die ihre Kinder als wertvollsten Schatz betrachtet - Aufrechte Kämpfer wie die Gracchus-Brüder, die für Gerechtigkeit ihr Leben riskieren Ein bewegendes Epos über Mut, Verrat, Liebe und den ewigen Kampf zwischen Macht und Freiheit. Eine Geschichte, die zeigt, wie aus einer kleinen Siedlung am Tiber die "Ewige Stadt" wurde - und wie ihre Ideale bis heute nachwirken. *Für junge Leser ab 11 Jahren, die sich für spannende historische Abenteuer und die faszinierende Welt der Antike begeistern.*

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Seitenzahl: 405

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

I. Aeneas Flucht aus Troja

II. König Latinus

III. Die neue Heimat

IV. Numitor und Amulius

V. Rhea Silvia

VI. Romulus und Remus

VII. Die Gründung Roms

VIII. Die Sabiner

IX. Romulus Ende

X. Numa Pompilius – II. König Roms

XI. Tullus Hostilius – III. König Roms

XII. Ancus Marcius – IV. König Roms

XIII. Tarquinius Priscus - V. König Roms

XIV. Servius Tullius - VI. König Roms

XV. Tarquinius Lucius Superbus - VII. König Roms

XVI. Die geheimnisvollen Bücher

XVII. Beim Orakel von Delphi

XVIII. Lucretia

XIX. Die Vertreibung der Tarquinier

XX. Die Römische Republik

XXI. Der Angriff der Etrusker

XXII. Horatius, ein römischer Held

XXIII. Römische Ordnung und Disziplin

XXIV. Androklos, Mila und Lykos

XXV. Cornelia – Eine Patrizierin

XXVI. Hannibal

XXVII. Die Plebejer

XXVIII. Wahre Schätze

XXIX. Die Gracchen

XXX. Spartacus

XXXI. Gaius Julius Caesar

XXXII. Kaiser Augustus

XXXIII. Die Heilige Nacht in Bethlehem

XXXIV. Eine neue Zeit

I. Aeneas Flucht aus Troja

Im flackernden Schein der Fackeln eilte Aeneas durch die verwüsteten Gassen Trojas. Unter seinen Füßen erbebte die Erde, während griechische Krieger mit gewaltigen Rammböcken die mächtigen Tore der Stadt zum Einsturz brachten.

"Bei allen Göttern, wo bist du nur, Vater?", flüsterte er verzweifelt und spähte in jede dunkle Nische. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen. Aeneas fuhr herum und erblickte seinen Vater Anchises, der gelassen in der Tür seines Hauses stand. Der Greis blickte mit stoischer Ruhe auf das um ihn tobende Chaos.

"Da bist du ja endlich!", meinte Anchises mit einem schwachen Lächeln. "Ich dachte schon, du hättest den Weg vergessen."

Aeneas schüttelte ungläubig den Kopf. "Dies ist nicht die Zeit für Scherze, Vater. Wir müssen fort von hier!", sagte er eindringlich und legte behutsam den Arm um den alten Mann.

Er hob Anchises auf seine Schultern und griff nach der Hand seines Sohnes Julus. "Halte dich gut fest, mein Junge. Wir unternehmen eine kleine Reise."

Gemeinsam kämpften sie sich durch die brennenden Straßen, vorbei an einstürzenden Gebäuden und lodernden Flammen. Der Rauch brannte in ihren Augen, und der Geruch von Asche und Blag schwer in der Luft. Aeneas legte schützend eine Hand über die Augen seines Sohnes, als sie an grauenvollen Szenen vorbeieilten.

Am Hafen angekommen, entdeckten sie ein verlassenes Schiff, das schaukelnd an den morschen Pfählen lag. "Das ist unsere Rettung!", rief Aeneas seinen verbliebenen Gefährten zu. "Alle Mann an Bord, schnell!"

Als sie in See stachen, wandte Aeneas den Blick zurück auf das brennende Troja. Sein Herz war schwer, denn er musste Abschied nehmen von seiner Heimat, von allem, was er je gekannt hatte. Die Flammen verschlangen gnadenlos die Stadt, sein altes Leben ging in Rauch auf.

"Wohin sollen wir nun segeln?", fragte einer der Männer leise, die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Aeneas richtete seinen Blick entschlossen nach vorn, auf die unendliche Weite des Meeres. "Wir werden ein neues Zuhause finden. Irgendwo dort draußen wartet ein Land auf uns. Und wenn wir es erreichen, werden wir etwas Großes erschaffen, etwas, das selbst die Götter beeindrucken wird."

Das Schiff der Trojaner tanzte auf den Wellen, während Aeneas' Blick suchend den Horizont absuchte. Wochen des Umherirrens hatten ihre Spuren hinterlassen; zerklüftete Inseln und feindliche Küsten lagen hinter ihnen. Die Männer waren müde, die Hoffnung schwand mit jeder vergangenen Nacht.

"Hey, Anführer! Noch immer kein Land in Sicht?", rief einer der Krieger vom Mastkorb herab.

Aeneas lächelte sanft. "Habt Geduld, meine Freunde. Die Götter wachen über uns und werden uns leiten."

Sein Sohn Julus trat an seine Seite. "Vater, glaubst du wirklich, dass wir ein neues Zuhause finden werden?"

"Gewiss, mein Sohn", antwortete Aeneas und strich ihm liebevoll durchs Haar. "Vertraue auf das Schicksal. Bald werden wir an einem Ort ankommen, den die Götter für uns bestimmt haben."

"Bei allen Göttern!", ertönte plötzlich der Ruf des Ausgucks. "Da vorne – Land in Sicht!"

Die Mannschaft stürmte zur Reling. Tatsächlich zeichnete sich am Horizont ein grüner Streifen ab. Aeneas' Herz schlug schneller. "Seht nur! Dichte Wälder, so weit das Auge reicht, und dort – ein Fluss, der sich ins Meer ergießt!"

"Beim Neptun!", rief Julus begeistert und zeigte aufgeregt zum Ufer. "Ist das unser neues Land?"

"Es scheint so, mein Junge", bestätigte Aeneas mit einem hoffnungsvollen Lächeln. "Das Schicksal hat uns nach Latium geführt. Bereitet euch vor zum Anlegen!"

Freudiger Jubel erhob sich unter den Männern. Ihre Gesichter erhellten sich nach langer Zeit der Entbehrung mit neuer Zuversicht. "Endlich!", brummte ein alter Seefahrer und strich sich den grauen Bart. "Meine alten Knochen sehnen sich nach festem Boden unter den Füßen."

Das Schiff glitt sanft über die Wellen, vorbei an schroffen Felsen und stillen Buchten. Über ihnen kreisten Möwen, deren Schreie sich mit dem Rauschen des Meeres vermischten. Vom Land her wehte der Duft von hohen Pinien und blühenden Zitronenbäumen zu ihnen herüber. Olivenhaine erstreckten sich entlang der Küste, und ein breiter Fluss schlängelte sich durch saftig grüne Wiesen.

"Sieh nur, Vater!", rief Julus voller Staunen. "Was für ein wunderschönes Land!"

Aeneas legte ihm die Hand auf die Schulter und nickte. "Die Götter waren uns gnädig, mein Sohn."

Als sie näher kamen, entdeckten sie eine geschützte Bucht. Geschickt manövrierte die Mannschaft das Schiff zwischen den Felsen hindurch. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung spürten sie, wie der Anker den Grund berührte. Die Männer sprangen ins seichte Wasser und zogen mit vereinten Kräften das Schiff an den Strand, wo sie es an knorrigen Olivenbäumen festbanden.

Die Neuankömmlinge standen schweigend am Ufer und ließen ihren Blick über die fremde Küste schweifen. Hier sollte ihre Geschichte weitergehen. Über ihnen spannte sich ein azurblauer Himmel, die Wellen umspielten sanft den Strand, und in den Zweigen der Bäume sangen Vögel ihr Lied. Aeneas atmete tief die duftende Luft ein. "Hier", murmelte er, "beginnt unser neues Leben."

II. König Latinus

Majestätisch erhoben sich die Albaner Berge in der Ferne, ihre zerklüfteten Gipfel bildeten einen imposanten Rahmen um den glitzernden, fischreichen See. In den verborgenen Höhlen dieser Berge fanden nicht nur Bären und Wölfe ihre Zuflucht, sondern auch – so erzählte man sich – kühne Räuberbanden, die zuweilen Vieh aus den Tälern entführten. Der Tiber wand sich in sanften Schleifen von den Bergen hin zum Meer und ließ bei Hochwasser die Ebenen unter seinen Fluten versinken.

Das Volk der Latiner, benannt nach ihrem König Latinus, hatte sich an den sonnenverwöhnten Hängen niedergelassen. Sie pflegten die Sprache ihrer Vorfahren, Latein, doch durch den Einfluss griechischer Siedler beherrschten einige unter ihnen auch die Kunst der hellenischen Rede.

In diesem fruchtbaren Landstrich Latium, wo wohlgenährte Schafherden die grünen Täler durchstreiften und üppige Obsthaine die sanften Hügel zierten, betraten die geflüchteten Troer den Boden Italiens. König Latinus regierte hier seit vielen Jahren mit weiser Hand.

Während sie durch die prächtigen Gärten des Palastes wandelten, wandte sich Lavinia, die einzige Tochter des Königs, an ihren Vater. "Mein Vater, warum ist es mir verwehrt, einen der edlen Fürsten unseres Landes zu heiraten?", fragte sie mit sanfter Stimme.

Latinus seufzte tief und blieb neben einer blühenden Lorbeerpflanze stehen. "Meine geliebte Tochter, die Weissagungen binden uns an das Schicksal."

"Ach ja, die Bienen im Lorbeerbaum", erwiderte Lavinia und ließ ihren Blick über die duftenden Blüten schweifen.

"Es ist nicht allein dieses Omen", fuhr der König fort und legte eine Hand auf ihre Schulter. "Erinnerst du dich an das Ereignis im Tempel der Götter?"

Lavinia nickte schweigend. "Als mein Haar in Flammen gestanden haben soll?"

"Genau. Der Seher deutete es als Zeichen deiner großen Bestimmung und der künftigen Taten unserer Nachfahren."

"Aber Vater, sollen wir ewig auf einen Fremden warten? Was, wenn er niemals kommt?"

In diesem Moment näherte sich ein Bote mit eilenden Schritten. "Mein König! Schiffe sind an der Küste gesichtet worden – es sind Fremde!"

Latinus’ Gesicht hellte sich auf. "Siehst du, meine Tochter? Das Schicksal hat gesprochen. Lasst uns unsere Gäste willkommen heißen."

Lavinia atmete tief ein und folgte ihrem Vater, voller Erwartung dessen, was die Zukunft für sie bereithalten mochte.

III. Die neue Heimat

Das goldene Abendlicht legte sich sanft auf die Baumwipfel, als Aeneas und seine Gefährten im Hain am Tiber Rast machten. Der Boden unter ihren Sandalen war weich und einladend. "Was haltet ihr davon, hier ein Mahl einzunehmen?", schlug Aeneas vor. "An diesem friedlichen Ort werden wir niemanden stören."

Seine Kameraden stimmten begeistert zu. Rasch sammelten sie trockene Zweige und Reisig. Bald flackerte ein munteres Feuer, über dem sie knuspriges Fladenbrot buken. Jeder nahm einen der runden Fladen und belegte ihn mit Köstlichkeiten aus ihrem Reiseproviant. "Ein Festmahl für die Götter!", rief Julus aus und biss herzhaft in sein Brot mit Oliven und Käse. Heiteres Lachen erfüllte die Luft, während eine sanfte Brise durch die Blätter strich.

Plötzlich lachte Julus auf: "Stellt euch vor, wir verspeisen unsere eigenen Teller zum Nachtisch! Kein lästiges Abwaschen mehr!" "Dann ist es wohl gut, dass wir solch großen Hunger haben!", rief einer der Gefährten, und alle stimmten in das Lachen ein.

Für Aeneas bedeutete dies mehr als nur ein Scherz. Eine weise Seherin hatte ihm auf der Reise prophezeit: "Wenn euch der Hunger zwingt, an fremden Ufern eure eigenen Teller zu verzehren, dann seid ihr in eurer neuen Heimat angekommen." Voller Freude erhob sich Aeneas und rief mit ausgebreiteten Armen: "Freunde, wir haben unser Ziel erreicht! Die Prophezeiung hat sich erfüllt. Unser Leid hat ein Ende. Dies ist unser neues Zuhause, ein Geschenk der Götter! Lasst uns dankbar sein und feiern!"

Die Gefährten aßen die letzten Bissen. Mit Genuss bissen sie in die knusprigen Fladen, die köstlich schmeckten. Jeder Bissen erinnerte sie an die Speisen, die sie zuvor darauf genossen hatten. "Hm, das erinnert mich an die Brote vom Markt in Troja!", schwärmte einer der Männer und leckte sich die Finger. "Nur noch besser", fügte ein anderer lachend hinzu. "Wir sollten das Rezept bewahren!"

Mit gefüllten Bäuchen und frohen Herzen kehrten sie zum Schiff zurück. Die Nacht verbrachten sie an Bord, während das sanfte Plätschern der Wellen sie in den Schlaf wiegte. Als die Morgensonne den Himmel rosa färbte, setzten sie die Segel. Sie folgten dem mäandrierenden Lauf des Flusses, bis eine Anlegestelle in Sicht kam.

Julus sprang aufgeregt auf. "Vater, schau! Ein Steg! Meinst du, hier leben Menschen?" Aeneas legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. In den Augen des Jungen erkannte er denselben Abenteuergeist, der auch in ihm loderte. "Das werden wir bald erfahren", antwortete er. "Vielleicht finden wir hier neue Freunde – und ein neues Zuhause."

* * *

Aeneas und seine Gefährten erblickten ein friedliches Bauerndorf, das sich harmonisch in die sanfte Hügellandschaft einfügte. Aus den Schornsteinen der einfachen Häuser stieg Rauch empor, während Rinder auf saftigen Wiesen weideten. Neugierig folgten sie dem Pfad, der sie zu den bescheidenen Behausungen führte.

"Vater, sieh nur, wie freundlich die Menschen hier sind", flüsterte Julus, als die Dorfbewohner ihnen mit offenen Armen entgegenkamen. Aeneas atmete erleichtert auf, dankbar für diesen Ort des Friedens.

Ein ehrwürdiger Dorfältester trat vor. "Seid willkommen, Reisende! Was führt euch in unsere bescheidene Gegend?" Aeneas neigte respektvoll den Kopf. "Ehrenwerter Herr, wir sind Trojaner auf der Suche nach einer neuen Heimat. Wer herrscht über dieses Land?"

"Unser weiser König Latinus", erwiderte der Alte und wies mit seiner wettergegerbten Hand auf eine Anhöhe hinter dem Dorf. "Sein Palast thront dort oben." "Wäre es möglich, einen Boten zu ihm zu entsenden?", bat Aeneas höflich. "Wir ersuchen um die Gunst, uns hier niederzulassen."

Der Dorfälteste nickte zustimmend, und sogleich machte sich ein flinker Jüngling auf den Weg zum Königspalast. Während sie auf die Antwort warteten, erkundeten Aeneas und seine Gefährten das Dorf. Überall waren fleißige Bauern und spielende Kinder zu sehen. "Schaut nur, wie friedlich es hier ist", flüsterte einer der Trojaner. "Ja, es ist, als hätten wir ein Paradies gefunden", stimmte ein anderer zu.

Bald kehrte der Bote zurück. "Der König erwartet euch!" Sie folgten ihm zum prächtigen Palast. Im Thronsaal empfing König Latinus sie mit wohlwollendem Blick. "Seid willkommen, edle Gäste aus Troja", sagte er. "Als ich von eurer Ankunft hörte, wusste ich, dass das Schicksal euch zu uns geführt hat."

Aeneas verneigte sich tief. "Eure Majestät, wir sind überwältigt von Eurer Gastfreundschaft." Latinus betrachtete ihn aufmerksam. "In dir erkenne ich den Fremden aus der Prophezeiung. Nimm dieses Land als Geschenk und lass uns in Frieden zusammenleben." "Ihr ehrt uns mit Eurer Großzügigkeit", erwiderte Aeneas bewegt. "Wir werden uns als würdig erweisen."

Der König lächelte. "Keine Ursache zur Bescheidenheit. Das Schicksal hat Großes mit uns vor. Gemeinsam werden wir Geschichte schreiben." Aeneas' Herz erfüllte sich mit Freude. Endlich hatten sie ein neues Zuhause gefunden.

König Latinus wandte sich seiner Tochter zu. "Eine alte Weissagung besagt, dass Lavinia einen Fremden heiraten wird, der unsere Völker vereint." Lavinias Wangen röteten sich leicht. Aeneas betrachtete sie fasziniert. In ihren Augen lag eine Mischung aus Stärke und Sanftmut.

"Majestät, wenn Eure Tochter einverstanden ist, würde ich sie gerne zur Gemahlin nehmen und unsere Völker verbinden", sprach Aeneas mit fester Stimme. Lavinia hob den Blick. "Ich nehme Euren Antrag an, Aeneas", sagte sie leise, aber mit Entschlossenheit.

König Latinus breitete die Arme aus. "Die Götter mögen euch ihren Segen schenken! Eine neue Ära beginnt für Latium und Troja!" Aeneas' Gefährten jubelten, und Freude erfüllte den Saal. Gemeinsam würden sie ein neues Kapitel ihrer Geschichte schreiben, vereint in Frieden und Hoffnung auf eine strahlende Zukunft.

* * *

König Latinus stand auf einer Anhöhe, sein Gewand im sanften Wind bewegt. Er hob die Arme, während sein Blick über die weiten Felder und Wälder schweifte, die sich bis zum Horizont erstreckten. "Seht das Land, das vor euch liegt!", rief er mit kräftiger Stimme. "Es ist nun euer. Möge es euch Heimat und Zuflucht sein."

Aeneas trat hervor und verneigte sich tief. "Edler König Latinus, eure Großherzigkeit ist grenzenlos. Wir werden eurer Gabe würdig sein und dieses Land in Ehren halten."

Während er sprach, fühlte Aeneas die Last der Verantwortung auf seinen Schultern. Vor seinem inneren Auge entstand das Bild eines großen Reiches, doch sein Herz wurde von Lavinia, der Tochter des Königs, angezogen.

Lavinia näherte sich ihm leise, ihre Augen trafen die seinen. "Was hast du vor, Aeneas?" fragte sie sanft.

Er lächelte sie an. "Ich werde eine Stadt gründen. Einen Ort, der unsere gemeinsame Zukunft verkörpert."

"Wie wirst du sie nennen?" erkundigte sie sich neugierig.

"Lavinium", antwortete er ohne zu zögern. "Zu deinen Ehren soll sie ein Zeichen der Hoffnung sein."

So begann Aeneas, seine Bestimmung zu erfüllen – mit der Gründung einer Stadt, die zum Grundstein eines zukünftigen Imperiums werden sollte.

* * *

Die Jahre vergingen, und Lavinium wuchs zu einer blühenden Stadt heran. Aeneas und Lavinia widmeten sich mit Hingabe der Erziehung des jungen Julus, der in ihrer Obhut heranwuchs. In den Straßen spielte er ausgelassen mit den Kindern der Nachbarschaft, während aus den Häusern der Duft von frisch gebackenem Fladenbrot strömte – eine Köstlichkeit, die Julus besonders schätzte.

Mit jedem vergehenden Jahr zeigten sich bei Julus mehr die Führungsqualitäten seines Vaters und die Weisheit seiner Stiefmutter. Eines Tages trat Julus zu seinem Vater, der Blick entschlossen.

"Vater", begann er, "ich spüre, dass die Zeit gekommen ist, etwas Großes zu wagen. Ich möchte Verantwortung übernehmen und eine neue Stadt gründen, um unseren Einfluss zu mehren und zu festigen."

Aeneas betrachtete seinen Sohn und fühlte tiefen Stolz. Sanft legte er eine Hand auf Julus' Schulter. "Du bist bereit, mein Sohn. Die Zukunft unseres Volkes liegt nun auch in deinen Händen. Gehe hinaus und errichte deine Stadt!"

* * *

Julus zog, getrieben von dem unstillbaren Wunsch, eine eigene Stadt zu gründen, unermüdlich durch die Lande. Seine Augen suchten nach Zeichen, sein Herz lauerte auf eine Botschaft der Götter. Eines Tages, als der Morgennebel sich über dem funkelnden Albaner See lichtete und der mächtige Tiber sich serpentinenartig durch die Ebene schlängelte, hielt er inne.

"Bei den unsterblichen Göttern!", entfuhr es ihm, als er vor sich eine Wölfin erblickte, die liebevoll ihre Jungen säugte. Sie ruhte unter den ausladenden Zweigen eines mächtigen Baumes, dessen Blätter im ersten Licht des Tages schimmerten. Fasziniert beobachtete Julus das anmutige Tier, bis es lautlos im Unterholz verschwand.

An ihrer Stelle erschien, wie aus dem Nichts, ein großes, schneeweißes Schwein. Es stand ruhig da, als wolle es ihm etwas verkünden. Julus spürte eine tiefe Ehrfurcht in sich aufsteigen. "Das ist ein Zeichen der Götter", flüsterte er. "Hier, an diesem heiligen Ort, werde ich meine Stadt errichten."

Mit glänzenden Augen ließ er den Blick über die fruchtbaren Felder und sanften Hügel schweifen. Der Duft von wildem Thymian lag in der Luft, und das leise Säuseln des Windes erfüllte die Stille. "Alba Longa soll sie heißen", verkündete er feierlich, "zu Ehren des weißen Schweins, das mir die Götter sandten."

Ohne Zögern versammelte Julus seine Getreuen. Mit unermüdlichem Eifer begannen sie, eine prächtige Stadt zu errichten. Das Hämmern und Klopfen der Werkzeuge mischte sich mit den Rufen der Arbeiter, während Stein auf Stein gesetzt wurde. Bald erhoben sich stolze Mauern gen Himmel, hell leuchtend im Schein des Tages.

"Seht nur, wie unsere Stadt erstrahlt!", rief einer der Baumeister, die Arme vor Freude emporhebend.

Julus lächelte und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Möge sie für immer bestehen und die Götter ihren Schutz über sie halten. Unsere Nachkommen werden sich Julier nennen und dieses Land zu neuem Glanz führen."

Die Jahre vergingen, und Alba Longa blühte auf, wurde zum Mittelpunkt einer aufstrebenden Kultur. Julus’ Name wurde mit Ehrfurcht genannt, sein Vermächtnis weitergetragen. Viele Generationen später erfüllte sich seine Prophezeiung: Ein Mann namens Gaius Julius Caesar, geboren aus dem Geschlecht des Julus, formte das Römische Reich zu einer Weltmacht, von der noch in fernen Zeiten erzählt werden würde.

IV. Numitor und Amulius

Im Herzen des antiken Latiums, wo der Duft der Olivenbäume die Luft erfüllte und Weinreben die sanften Hügel umschmeichelten, erhob sich majestätisch das Königshaus von Alba Longa. Vor nahezu drei Jahrtausenden regierte dort König Proca, ein edler Nachfahre des Julus. Sein Palast, ein prächtiges Bauwerk aus Marmor und Gold, beherbergte neben unschätzbaren Schätzen auch seine drei Kinder: die Prinzen Numitor und Amulius sowie die anmutige Prinzessin Rhea Silvia.

Als der betagte Proca sein Ende nahen fühlte, ließ er seine Söhne zu sich rufen. "Meine Zeit in dieser Welt neigt sich dem Ende zu", sprach er mit schwacher, aber bestimmter Stimme. "Numitor, mein Erstgeborener, dir vermache ich gemäß unseren alten Bräuchen die Krone und den Schatz unseres Hauses."

Amulius' Blick verfinsterte sich bei diesen Worten. Seine Augen glühten vor Neid, während er die funkelnde Krone betrachtete, die auf einem samtenen Kissen neben dem Lager seines Vaters ruhte. "Doch Vater", wagte er einzuwenden, "sollte nicht jener herrschen, der am fähigsten ist? Numitor mag der Ältere sein, aber bin ich nicht der Klügere von uns beiden?"

Numitor wandte sich erstaunt seinem Bruder zu. "Amulius, was führt dich zu solchen Worten? Willst du den Willen unseres Vaters und die Gesetze unserer Ahnen missachten?"

Die Spannung im Gemach war förmlich spürbar. Proca hustete schwach und versuchte, sich aufzurichten. "Meine Söhne", flüsterte er, "lasst nicht zu, dass Zwietracht unser Haus zerstört. Amulius, deine Talente sind unbestritten, doch die Tradition muss gewahrt bleiben. Numitor wird herrschen, und du sollst ihm als treuer Ratgeber zur Seite stehen."

Amulius neigte steif sein Haupt, doch in seinen Augen flackerte ein gefährliches Feuer. "Wie Ihr wünscht, Vater", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Als Proca wenige Tage später seine Reise in die Unterwelt antrat, versammelte sich das Volk von Alba Longa auf dem Forum. Numitor, gehüllt in eine prächtige Toga, trat vor die Menge. "Bürger von Alba Longa", rief er mit fester Stimme, "gemäß dem Willen meines Vaters und den Gesetzen unserer Vorfahren trete ich heute die Herrschaft über unser Reich an."

Ein Murmeln ging durch die Versammlung, und viele nickten zustimmend. Doch plötzlich erhob sich aus den Reihen eine Stimme. "Halt!", rief Amulius und drängte sich nach vorne. "Ist es gerecht, dass ein Mann allein aufgrund seiner Geburt alles erbt? Sollten wir nicht den Fähigsten zum König krönen?"

Die Menge verstummte, überrascht von diesem unerwarteten Einspruch. Numitor blickte seinen Bruder fassungslos an. "Amulius, was hast du vor? Willst du wirklich den letzten Willen unseres Vaters missachten?"

Amulius' Lachen klang bitter. "Unser Vater war alt und schwach. Wer kann sagen, ob sein Geist noch klar war? Ich sage, lasst das Volk entscheiden!"

Die Spannung auf dem Forum war zum Greifen nah. Die Bürger von Alba Longa sahen verunsichert von einem Bruder zum anderen, unsicher, wem sie folgen sollten. In diesem Moment trat Rhea Silvia hervor, ihre Augen voller Bestimmtheit. "Brüder, hört mich an! Euer Streit wird unser Reich ins Verderben führen. Lasst uns gemeinsam einen Weg finden, der uns allen gerecht wird."

Die Geschichte von Numitor und Amulius war noch lange nicht besiegelt. Ihr Konflikt sollte das Schicksal von Alba Longa für immer verändern und den Grundstein für die Entstehung jener Stadt legen, die einst die Welt beherrschen würde: Rom.

* * *

In den prächtigen Hallen des Palastes von Alba Longa standen die Brüder einander gegenüber. Numitor Silvius, mit ruhiger Ausstrahlung und weisen Augen, schaute seinem jüngeren Bruder fest ins Gesicht. Amulius Silvius hingegen musterte ihn mit kühlem Blick, Berechnung lag in seinem Ausdruck.

"Du weißt, dass mir der Thron zusteht, Bruder", sagte Numitor mit fester Stimme. "Es war Vaters Wille, und es entspricht den Gesetzen unseres Volkes."

Amulius zuckte mit den Schultern und lehnte sich lässig an eine der marmornen Säulen. "Die Zeiten ändern sich", erwiderte er mit einem Hauch von Spott. "Alba Longa braucht einen Herrscher von Stärke, keinen Träumer, der an alten Traditionen festhält."

"Ein wahrer König dient seinem Volk, nicht seinen eigenen Interessen", entgegnete Numitor und hielt dem Blick seines Bruders stand. "Wir könnten die Verantwortung teilen und gemeinsam regieren – als Brüder."

Ein kaum merkliches Lächeln spielte um Amulius' Lippen, während in seinem Inneren bereits andere Pläne Gestalt annahmen. "Wie du meinst", sagte er scheinbar nachgiebig. "Teilen wir die Macht und den Reichtum."

Erleichtert streckte Numitor die Hand aus. "Das freut mich zu hören."

Amulius ergriff die Hand seines Bruders, sein Griff kühl und ohne Wärme. Seine Augen blieben ausdruckslos. Ohne es zu ahnen, trat Numitor in die Falle, die sein Bruder ihm gestellt hatte.

Schon bald begann Amulius, die Männer um sich zu scharen. Mit reichen Geschenken und verheißungsvollen Worten gewann er die loyale Leibgarde Numitors für sich. Die Soldaten ließen sich von seinen Versprechungen blenden und wandten sich von ihrem rechtmäßigen Herrscher ab.

Eines Morgens, ohne Vorwarnung, ergriffen die Wachen Numitor in seinem eigenen Palast. Sie packten ihn und führten ihn fort. "Deine Herrschaft ist beendet", verkündeten sie. "Alba Longa hat einen neuen König!"

Unterdessen bestieg Amulius den Thron. Mit selbstzufriedenem Lächeln nahm er auf dem reich verzierten Sitz Platz. Seine Anhänger jubelten ihm zu, ihre Stimmen erfüllten den prunkvollen Saal, dessen Wände mit kostbaren Fresken und goldenen Verzierungen geschmückt waren. Das Volk begrüßte seinen neuen Herrscher mit begeisterten Rufen.

Doch kaum hatte er sich gesetzt, überkam Amulius eine Unruhe. Seine Stirn legte sich in Falten.

"Majestät, Ihr scheint bekümmert", bemerkte einer seiner Ratgeber vorsichtig.

Amulius blickte auf. "Numitors Tochter, Rhea Silvia, könnte Nachkommen hervorbringen, die meinen Anspruch gefährden", sagte er leise.

Der Ratgeber nickte verständig. "Aber Ihr könnt Vorsorge treffen, Majestät."

"Genau das habe ich vor." Amulius ließ einen Wachmann zu sich rufen. "Sorge dafür, dass Rhea Silvia den Dienst als Vestalin antritt. So wird sie keine Kinder gebären können, die mir gefährlich werden."

"Wie Ihr wünscht, mein König", antwortete der Wachmann und verneigte sich tief.

V. Rhea Silvia

Ein Stich fuhr Rhea Silvia durchs Herz, als sie den unerbittlichen Befehl ihres Bruders Amulius vernahm. Ihr Vater war verbannt, ihre eigene Freiheit geraubt – und nun sollte sie als Priesterin im Tempel der Vesta dienen? Es schien, als läge ein dunkler Schleier über ihrem Schicksal.

Die rauen Hände der Wachen umklammerten ihre Arme und führten sie durch die engen, verwinkelten Gassen von Alba Longa. Vor ihnen erhob sich majestätisch der Tempel der Vesta. Die hohen Marmorsäulen ragten gen Himmel, und die kunstvollen Mosaiken erzählten von glorreichen Legenden vergangener Zeiten. Trotz der Verzweiflung, die ihr Herz bedrückte, konnte Rhea Silvia nicht umhin, die erhabene Schönheit des heiligen Ortes zu bewundern.

Am Eingang des Tempels stand die Hohepriesterin, gehüllt in eine schneeweiße Stola, ihr Blick zugleich freundlich und geheimnisvoll. "Sei willkommen im heiligen Hause der Vesta, mein Kind", sprach sie mit einer Stimme, die Trost und Weisheit ausstrahlte. "Möge die Göttin des ewigen Feuers dich unter ihren Schutz nehmen."

"Doch was ist mit meiner Familie...", flüsterte Rhea Silvia, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch.

Die Hohepriesterin legte sanft ihre Hand auf Rhea Silvias Schulter. "Hier wirst du neue Schwestern finden, die an deiner Seite stehen. Und vielleicht..." Ein leichtes Lächeln erschien auf ihren Lippen. "...hält das Schicksal noch unerwartete Wendungen für dich bereit."

Rhea Silvia atmete tief ein, bemüht, ihre aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Ihr Bruder mochte ihr die Freiheit genommen haben, doch ihr Geist blieb ungebrochen. Eines Tages würde sie einen Weg finden, das Unrecht zu beseitigen. Bis dahin galt es, standhaft zu bleiben.

* * *

Rhea Silvia verbrachte ihre Tage im Tempel der Vesta, vertieft in ihre priesterlichen Pflichten. Sie wachte über die ewige Flamme und bat um Schutz für Alba Longa und ihren ins Exil getriebenen Vater Numitor. Obwohl sie sich nach Freiheit und der Nähe zu ihrer Familie sehnte, nahm sie ihr Schicksal an und wurde zu einer Frau von großem Willen.

"Vesta, bitte steh uns bei", murmelte sie leise und betrachtete die flackernden Flammen. Ihre Gedanken schweiften zu ihrem Vater, der fern in einem entlegenen Tal lebte. Würde sie ihn jemals wiedersehen?

Jene Nacht brachte Rhea Silvia einen Traum, der ihr Schicksal wenden sollte. In den Hallen des Tempels erschien ihr eine leuchtende Gottheit.

"Rhea Silvia", sprach die Erscheinung mit sanfter Stimme, "du wirst Zwillinge gebären. Sie werden Amulius stürzen und deinen Vater wieder auf den Thron von Alba Longa setzen."

"Kinder? Ich?", stammelte Rhea überrascht. "Doch ich bin eine Vestalin..."

"Es ist der Wille der Götter", antwortete die Göttin mit mildem Lächeln. "Deine Söhne werden Helden sein. Sie werden das Unrecht bekämpfen und Gerechtigkeit bringen. Nenne sie Romulus und Remus."

"Und mein Vater?", fragte Rhea Silvia mit aufkeimender Hoffnung.

"Numitor wird erneut über Alba Longa herrschen und dem Land Wohlstand bringen", versprach die Göttin, ehe sie verschwand und Rhea Silvia in der Stille zurückblieb.

Rhea Silvia erwachte, erfüllt von neuer Zuversicht. Die nächtliche Botschaft ließ ihr Herz höher schlagen. Endlich schien sich ihr Schicksal zu wenden.

"Mögen die Götter mir beistehen", flüsterte sie, während sie die Flammen des heiligen Feuers nährte. "Ich werde meine Bestimmung erfüllen und Vater Numitor zu seinem Recht verhelfen."

Mit jedem neuen Morgen wurde ihr Wille stärker. Sie spürte die unsichtbare Hand der Götter, die sie auf ihrem Weg begleiteten, um Amulius zu stürzen und ihren Vater erneut auf den Thron zu setzen.

Doch während Rhea Silvia die Gunst der Götter erlangte, herrschte Amulius ohne ihren Segen. Insbesondere Mars, der mächtige Kriegsgott, trug den Wunsch in sich, den Usurpator zu stürzen. Er, der die Klänge des Schlachtfelds liebte, verachtete einen Mann, der durch List und Tücke zur Macht gelangt war. Seine Zuneigung hingegen gehörte der anmutigen Rhea Silvia – eine Wahrheit, die der jungen Vestalin unbekannt war.

An einem milden Morgen betrat Rhea Silvia den heiligen Hain der Vesta, wo ein klarer Bach murmelte und das Rascheln der Blätter vom sanften Wind erzählt wurde. Ihre Blicke glitten über das üppige Grün, bis sie einen farbenprächtigen Specht entdeckte. "Na, du Schöner", hauchte sie und streckte vorsichtig die Hand aus. Der Vogel hüpfte ohne Scheu auf ihren Arm. "So einen wie dich erblickt man hier nicht oft."

Doch kaum waren ihre Worte verklungen, da durchbrach ein fernes Grollen die Stille. Rheas Herz begann rascher zu schlagen. "Wir sollten uns besser verbergen", flüsterte sie dem zarten Specht zu, der nun unruhig auf ihrem Arm saß. Das Knurren kam näher. Rhea drückte sich an den rauen Stamm eines Baumes und flüsterte ein leises Gebet: "Vesta, sei mir gnädig."

Plötzlich sprang ein gewaltiger Wolf aus dem Unterholz hervor. Rhea erstarrte vor Schreck. "Ein Wolf? Hier?", flüsterte sie ungläubig. "Bitte, verschone uns", bat sie mit bebender Stimme. Der Wolf knurrte tief, doch dann geschah etwas Unglaubliches: Vor ihren Augen verwandelte er sich in einen Mann mit rabenschwarzem Haar und leuchtend blauen Augen. Seine Rüstung funkelte im Licht. Rhea wusste sofort, dass dies kein sterblicher Mann sein konnte.

Sie blickte dem Fremden in die Augen. Ihre Stimme bebte, als sie fragte: "Seid Ihr Mars, der Kriegsgott?" Von Ehrfurcht ergriffen, ließ sie sich auf die Knie sinken, überwältigt von seiner mächtigen Ausstrahlung.

Mars trat einen Schritt näher und sagte mit sanfter Stimme: "Erhebe dich, Rhea Silvia. Ich bin gekommen, um dir beizustehen." Seine Worte gaben ihr Trost, doch ihr Herz schlug noch immer heftig. Zaghaft nahm sie seine ausgestreckte Hand. Der Specht flog von ihrem Arm und ließ sich auf Mars’ Schulter nieder.

"Mein Vater wurde verbannt", flüsterte Rhea. "Ich bin hier gefangen und fürchte um mein Leben." Mars lauschte ihren Worten mit ernster Miene. Er drückte ihre Hand behutsam.

"Ich verspreche dir, Rhea Silvia, deiner Familie wird Gerechtigkeit widerfahren", sagte Mars mit fester Stimme.

"Wirklich?", hauchte sie, und Hoffnung flammte in ihren Augen auf. Mars nickte bestimmt. "Vertraue mir. Du bist nicht mehr allein mit deiner Bürde."

Rhea fühlte, wie neue Zuversicht in ihr erwachte. Die Nähe des Gottes verlieh ihr Stärke, auch wenn sie weiterhin Ehrfurcht empfand. "Ich werde heute Abend hierher zurückkehren", versprach Mars, bevor er sich zum Gehen wandte. Er zeigte auf eine Lichtung im Hain und verschwand im nächsten Augenblick.

* * *

Rhea war von tiefer Freude erfüllt, so strahlend wie das Licht des Morgens. Der kleine Specht folgte ihr auf Schritt und Tritt, während die Hohepriesterin sie mit verwundertem Blick beobachtete. Als die Dämmerung hereinbrach, tauchte das Abendlicht den Wald in goldene Farben. Rhea wartete ungeduldig auf Mars. Plötzlich trat er zwischen den Bäumen hervor. Ihre Hände fanden einander wie von selbst. Wortlos standen sie im heiligen Hain, umgeben vom Flüstern der Blätter und dem fernen Ruf einer Eule.

"Rhea", sagte Mars leise, seine Stimme sanft wie der Wind, der durch die Zweige strich. "Du bist wahrlich etwas Besonderes." Ihre Blicke trafen sich, und in seinen Augen lag eine Tiefe, die ihr Herz berührte.

Rhea lächelte, ihr Inneres erfüllt von Wärme. "Deine Hilfe bedeutet mir so viel", erwiderte sie mit bebender Stimme. Mars neigte sich zu ihr und berührte sanft mit seinen Lippen ihre Stirn. "Lass uns den Bund der Ehe schließen", schlug er vor.

Rhea war erstaunt über seinen Vorschlag. "Aber wir müssen es geheim halten – zu deinem Schutz und dem unserer Kinder." Sie nickte voller Glück, ihr Lächeln erhellte die Schatten des Waldes. Hand in Hand gingen sie tiefer in den Hain hinein, ihre Schritte leicht und geführt von einem unsichtbaren Pfad.

"Verlass dich auf den Vogel", flüsterte der Kriegsgott seiner Geliebten zu und deutete auf den prächtigen Specht, der auf einem Ast thronte. "Er ist mehr als ein gewöhnliches Tier – ein Teil von mir selbst. Unsere Söhne werden weiteren Schutz erhalten, wenn die Zeit gekommen ist. Eine Wölfin, der dein Onkel nichts anhaben kann."

In den folgenden Monden wuchs Rhea Silvias Leib, und mit ihm ihre Vorfreude. Doch sie spürte die nahende Gefahr. Der Gott würde bald in ferne Länder ziehen müssen, um den Schlachten der Sterblichen beizuwohnen. Aber er beruhigte sie: Die Kleinen würden wohlbehütet sein unter den wachsamen Augen des Vogels, der treu über dem Hain kreiste.

* * *

Romulus und Remus wurden geboren. Mars witterte die Gefahr und rief den Specht zu sich. "Behüte Rhea Silvia und die Zwillinge", befahl er. "Berichte mir von jedem ungewöhnlichen Ereignis." Der bunte Vogel neigte ehrfürchtig sein Haupt. "Ich werde wachen wie ein Adler, mein Herr", versprach er und breitete seine Schwingen aus. Ohne zu zögern machte er sich auf den Weg, um die Schützlinge des Kriegsgottes zu bewachen.

* * *

König Amulius fuhr sich mit der Hand über das Kinn, seine Stirn in tiefe Falten gelegt. "Zwillinge, sagst du?" Er beugte sich auf seinem Thron vor und ließ seine Finger ungeduldig auf der Armlehne trommeln.

"Ja, Hoheit. Zwei Knaben", bestätigte Acerbus, den Blick ergeben gesenkt.

Der König erhob sich abrupt und schritt aufgebracht durch den Thronsaal. Seine Sandalen klackten auf dem Marmorboden. "Das könnte gefährlich werden. Sehr gefährlich."

"Wie meint Ihr das, mein König?", fragte Acerbus vorsichtig.

Amulius hielt inne und heftete seinen stechenden Blick auf seinen Berater. "Denk nach, Acerbus! Diese Bälger könnten eines Tages Anspruch auf meinen Thron erheben. Das muss verhindert werden."

Acerbus wich erschrocken zurück. "Aber Hoheit, es sind doch lediglich Neugeborene..."

"Säuglinge werden zu Männern!" donnerte der König und ließ seine Faust auf die massive Tafel niedersausen. Ein goldener Kelch fiel um, und roter Wein ergoss sich über die kostbaren Stoffe.

"Was beabsichtigt Ihr zu tun?", wagte Acerbus leise zu fragen.

Amulius’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. "Was immer erforderlich ist. Noch diese Nacht werden wir handeln."

"Aber, mein König, erwägt die möglichen Folgen! Das Volk wird—"

"Schweig!", fuhr ihn Amulius an. "Ich bin euer König. Mein Wort ist Gesetz."

Acerbus neigte ehrerbietig sein Haupt. "Gewiss, Hoheit. Ich werde alles veranlassen."

Nachdem sein Berater verschwunden war, trat Amulius an das weit geöffnete Fenster und ließ seinen Blick über die Dächer der Stadt schweifen. Das Abendrot tauchte die Türme in blutrote Farben. Bald würde die Bedrohung für seinen Thron beseitigt sein.

VI. Romulus und Remus

Der grausame Amulius stand am Ufer des Tiber, sein kalter Blick auf die aufgewühlten Fluten gerichtet. Sein Herz schlug heftig. "Beseitigt sie", befahl er mit eisiger Stimme. "Herr, Ihr könnt doch nicht...", wagte Acerbus einzuwenden. "Genug!" Amulius' Worte durchschnitten die Luft wie eine Klinge. "Holt sie her und werft sie in den Fluss. Beide!" Ohne einen weiteren Blick wandte er sich ab und eilte zurück zum Palast, als der Himmel seinen Zorn in Form von strömendem Regen preisgab.

In der Dunkelheit schlichen die Diener zum Tempel der Vesta. Dort schliefen Rhea Silvia und ihre Zwillinge in friedlicher Unwissenheit. Die Männer handelten nicht aus Bosheit, sondern aus Angst vor dem unbarmherzigen Herrscher. Im Sturm trugen sie die weinenden Säuglinge fort. Ihre Herzen waren schwer, doch sie sahen keinen anderen Weg. Sie waren nur Werkzeuge in den Händen eines grausamen Schicksals.

Mit tränenverschleierten Augen legten sie die Kinder in einen Weidenkorb. Der Tiber war nach dem Unwetter zu einem reißenden Strom angeschwollen. In stiller Hoffnung wählten sie einen ruhigeren Seitenarm. "Müssen wir das wirklich tun?", flüsterte einer und hielt den Korb fest umklammert. "Wir haben keine Wahl", antwortete ein anderer mit erstickter Stimme. "Amulius würde uns sonst richten lassen."

Acerbus hob den Blick gen Himmel und murmelte ein Stoßgebet: "Gütige Götter, erbarmt euch dieser Unschuldigen. Zeigt uns einen Weg, sie zu retten. Gebt ihnen die Kraft zu überleben und ihr Schicksal zu erfüllen. Möge der Tiber sie sicher ans Ufer tragen." Er verstummte und blickte flehend in die Nacht.

Nun lag das Los der Zwillinge in den Händen der Götter. Schweren Herzens setzten sie den Korb auf das Wasser. "Lebt wohl, Romulus und Remus", hauchte einer der Männer. Während sie zusahen, wie die Strömung den Korb mit sich nahm, spürten sie, wie ein Teil von ihnen selbst mit den Kindern davonglitt.

Die Strömung ergriff den Korb, als hätte der Fluss selbst Mitleid mit den Kleinen. Ein Blitz erhellte den Horizont, und die Männer erstarrten. "Bei Jupiter!", keuchte einer. "Seht nur!" "Die Götter haben offenbar Pläne mit den Zwillingen", murmelte ein anderer ehrfürchtig.

Wie von unsichtbarer Hand geleitet, glitt der Korb über die Wellen. Die Männer hielten den Atem an, als er unversehrt durch Strudel und Stromschnellen trieb. Am Ufer erhob ein knorriger Feigenbaum seine Äste gen Himmel. Seine Wurzeln griffen ins Wasser und fingen den Korb sanft auf. "Beim Bart des Neptun!", rief einer der Knechte. "Habt ihr das gesehen?" Die anderen nickten stumm.

Im Korb schlummerten Romulus und Remus friedlich, als lägen sie in einer Wiege. "Vielleicht weben die Parzen doch einen goldenen Faden für diese Kleinen", sinnierte der Älteste. "Wer weiß", erwiderte sein Gefährte. "Vielleicht ist ihnen ein großes Schicksal bestimmt."

Mit einem letzten Blick auf die schlafenden Zwillinge wandten sie sich ab. Behutsam traten sie den Rückweg zum Palast an, während der Mond sein silbernes Licht über den Tiber goss.

* * *

Es war früh am Morgen, als eine Wölfin durch die stille Landschaft zog. Eine unsichtbare Kraft leitete ihre Schritte, ohne dass sie es bemerkte. Ihre Augen funkelten wie Sterne, als sie sich dem Flussufer näherte, und der Duft der überfluteten Felder erfüllte ihre Sinne.

Plötzlich vernahm sie eine tiefe Stimme in ihrem Inneren. "Was führt dich hierher, edles Geschöpf?"

Die Wölfin hielt inne und spitzte die Ohren. "Wer spricht zu mir?", dachte sie verwundert.

"Ich bin es, Mars", antwortete die Stimme. "Ich lege meine Söhne in deine Obhut. Dein Herz ist rein, deine Tatzen sind stark."

Verwundert blickte die Wölfin über das Wasser und entdeckte einen Weidenkorb, der sich zwischen den Wurzeln eines Feigenbaums verfangen hatte. "Deine Söhne?", fragte sie ungläubig.

"Ja, Romulus und Remus", erwiderte Mars mit ungewohnter Sanftheit. "Sie brauchen deinen Schutz in dieser gefährlichen Welt."

Ein warmes Gefühl durchströmte die Wölfin. Angetrieben von ihrem Beschützerinstinkt sprang sie vorwärts. Als sie die schlafenden Zwillinge erblickte, erfüllte sie tiefe Zuneigung. Behutsam zog sie den Korb ans trockene Ufer.

"Du bist wahrlich eine treue Gefährtin", lobte Mars. "Dein Name wird für immer mit dem Schicksal meiner Söhne verbunden sein."

In diesem Moment landete ein Specht neben ihr, sein Schnabel gefüllt mit saftigen Beeren. Geschickt ließ er die Früchte in den Korb fallen. Die Wölfin beobachtete, wie die Knaben erwachten und nach den Beeren griffen.

"Siehst du? Du bist nicht allein", sprach Mars erneut. "Gemeinsam werdet ihr für meine Söhne sorgen, bis sie ihren eigenen Weg finden. Bringe sie nun zu deiner Höhle."

Die Wölfin und der Specht tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Eine wichtige Aufgabe lag vor ihnen. Ohne zu zögern, packte sie den Korb vorsichtig mit ihren Zähnen. Mit festem Schritt trug sie ihn durch den Wald, während der Specht ihr vorausflog.

In ihrer Höhle angekommen, wurden sie von ihren eigenen Jungen begrüßt. Sanft legte sie den Korb ab und säugte die Zwillinge wie ihre eigenen Welpen. "Wir schaffen das zusammen", zwitscherte der Specht ermutigend.

Die Wölfin leckte Romulus und Remus liebevoll über die Köpfe. In ihren Augen glomm ein göttlicher Funke. Ein neues Kapitel im Leben der Zwillinge hatte begonnen.

* * *

Unter dem wachsamen Auge der Wölfin und des Spechts wuchsen die Zwillinge heran. Tief in den Wäldern gediehen sie prächtig, genährt von der warmen Milch ihrer Wolfsmutter und den reichen Gaben der Natur. Seite an Seite mit ihren pelzigen Geschwistern durchstreiften Romulus und Remus die ungezähmte Wildnis, erkundeten verborgene Pfade und wurden eins mit dem Wald.

Mit jedem Tag wurden ihre Sinne geschärft, ihre Instinkte wacher. Wie junge Wölfe glitten sie lautlos durchs dichte Unterholz, Augen und Ohren stets aufmerksam. Sie lernten die Sprache der Tiere, verstanden das Flüstern der Blätter und das Rauschen der Bäche. Gemeinsam mit dem Rudel jagten sie durch die Schatten des Waldes, ein Teil der wilden Natur.

So wuchsen die Zwillinge durch die Lehren des Waldes und die behütende Fürsorge ihrer Wolfsmutter zu außergewöhnlichen Jünglingen heran, wobei sie sich in ihren Stärken ergänzten. Romulus mit seinem unbändigen Mut und Remus mit seiner weisen Vorsicht bildeten zusammen eine Einheit, wie Tag und Nacht, die einander ergänzten.

* * *

Die Nacht lag still über den Hügeln, als Faustulus, der Oberhirte des Königs Amulius, unruhig in seinem Lager schlief. Seit vielen Jahren sehnten er und seine Frau sich nach einem Kind, doch die Götter hatten ihr Flehen bislang nicht erhört. In dieser besonderen Nacht jedoch wurde er von einer seltsamen Vision heimgesucht, die neue Hoffnung in seinem Herzen entfachte.

Im Traum sah Faustulus einen Specht mit schillerndem Gefieder, der auf einem Ast vor ihm saß. Der Vogel neigte den Kopf zur Seite, als wolle er ihn zum Folgen auffordern. Mit einem leisen Flattern erhob er sich in die Lüfte und verschwand zwischen den Bäumen. Eine unsichtbare Kraft zog Faustulus vorwärts, und er betrat einen Pfad, den er noch nie zuvor erkundet hatte. Der Specht huschte zwischen den Schatten hindurch, tauchte auf und verschwand wieder, sein Klopfen klang durch den nächtlichen Wald. Tief in den geheimnisvollen Tiefen führte der Weg über moosbewachsene Steine, durch sprudelnde Bäche und hinauf zu steilen Hängen, bis sie schließlich vor dem Eingang einer verborgenen Grotte in den Bergen standen.

Zögernd trat Faustulus in die dunkle Grotte ein. Ein sanftes Leuchten erfüllte den Raum, als käme es von den Felsen selbst. Vor ihm erschienen zwei Knaben, deren Häupter von einem milden Schein umgeben waren, als trügen sie unsichtbare Kronen. Ihre Augen leuchteten wie Sterne, und ein warmes Lächeln lag auf ihren Gesichtern. Sie wirkten wie junge Könige aus alten Legenden. Ohne ein Wort zu sprechen, eilten sie auf ihn zu, ihre Schritte lautlos auf dem steinigen Boden. Mit kindlicher Freude umarmten sie ihn, und Faustulus spürte eine Wärme, die sein ganzes Wesen durchdrang.

Bevor er die Bedeutung dieses Wunders erfassen konnte, begann die Vision zu verblassen. Die Gestalten der Knaben lösten sich im Dämmerlicht auf, und Faustulus fühlte sich sanft zurück in die Wirklichkeit gezogen. Mit einem Ruck schlug er die Augen auf und fand sich in seinem einfachen Lager wieder. Sein Herz schlug heftig, und er setzte sich auf. Neben ihm lag seine Frau Acca Larentia, noch tief im Schlaf versunken. Behutsam weckte er sie. "Acca", flüsterte er, "ich muss dir von einem Traum berichten." Sie öffnete die Augen und sah ihn fragend an. "Was ist geschehen?" fragte sie leise. Faustulus erzählte ihr von der geheimnisvollen Vision, die ihm in der Nacht erschienen war. Während er sprach, sah er, wie Hoffnung in ihren Augen aufglomm, begleitet von der Vorsicht, die nur diejenigen kennen, die bereits viele Enttäuschungen erlebt haben. Sie wusste, dass Träume trügerisch sein können, so flüchtig wie der Morgennebel über den Wiesen.

Der Tag brach an, und das erste Licht durchflutete ihre bescheidene Hütte. Trotz aller Ungewissheit teilten Faustulus und Acca ihr einfaches Mahl, ein Stück Brot und etwas Käse. "Vielleicht ist es ein Zeichen der Götter", murmelte Acca, während sie den Tisch abräumte. Faustulus nickte nachdenklich. "Vielleicht", erwiderte er, "aber wir müssen geduldig sein." Er erhob sich, nahm seinen Hirtenstab und machte sich bereit, die Schafe auf die Weiden zu führen. "Pass auf dich auf", sagte Acca und legte ihre Hand sanft auf seinen Arm. "Das werde ich", antwortete er mit einem kleinen Lächeln. Als er die Hütte verließ und den vertrauten Pfad zu den Hügeln einschlug, spürte er, wie die Hoffnung in seinem Herzen wuchs. Vielleicht würden die Götter ihnen doch noch ein Kind schenken. Aus der Ferne vernahm er das Klopfen eines Spechts, und ein Gefühl von Zuversicht begleitete ihn auf seinem Weg.

* * *

Faustulus ließ seinen Blick über die grasende Herde schweifen. Das Abendlicht legte sich sanft über die Weide, doch ein Gefühl der Unruhe beschlich ihn. Er zählte die Schafe erneut und bemerkte mit Sorge, dass eines fehlte.

"Acca Larentia!", rief er zu seiner Frau hinüber, die vor der Hütte stand. "Ein Schaf ist verschwunden."

Sie trat zu ihm und legte eine Hand auf seinen Arm. "Vielleicht hat es sich nur verlaufen. Sei vorsichtig, wenn du danach suchst. Der Wald kann tückisch sein."

Er nickte. "Mach dir keine Sorgen. Ich werde es finden und vor Einbruch der Dunkelheit zurückkehren."

Mit entschlossenem Schritt näherte er sich dem Waldrand und entdeckte eine Lücke im Zaun, durch die das Tier entwichen sein musste. Das leise Hämmern eines Spechts hallte zwischen den Bäumen wider und zog ihn tiefer in das dichte Unterholz. Die hohen Eichen und dichten Büsche schienen ihn zu verbergen, und das Sonnenlicht verblasste allmählich.

"Wo steckst du nur?", murmelte Faustulus leise, während er auf jedes Geräusch lauschte. Gerade als Zweifel in ihm aufkamen, vernahm er das entfernte Blöken seines Schafes. Ein Funken Hoffnung flammte in ihm auf.

Er folgte dem Klang und stieß auf eine verborgene Höhle, deren Eingang von Ranken verdeckt war. Vorsichtig schob er das Laub beiseite und spähte hinein. Sein Atem stockte bei dem Anblick, der sich ihm bot: Neben seinem Schaf lagen zwei kleine Jungen, eng an eine Wölfin und ihre Jungen gekuschelt, in friedlichem Schlaf.

"Bei allen Göttern...", flüsterte er erstaunt. Die Wölfin hob den Kopf und fixierte ihn mit durchdringendem Blick. Ein sanftes Knurren kam über ihre Lippen, doch keine Feindseligkeit lag darin.

Faustulus hob beschwichtigend die Hände. "Ich bringe euch kein Leid. Ich suche nur mein Schaf." Seine Stimme war ruhig und mitfühlend.

Zu seiner Überraschung entspannte sich die Wölfin und senkte den Kopf. Die beiden Knaben öffneten ihre Augen und blickten ihn neugierig an. Ein schwacher Sonnenstrahl fiel durch die Blätter und ließ ihr Haar wie goldene Flammen leuchten.

"Kommt her, kleine Freunde", sagte er sanft und streckte ihnen die Arme entgegen. Ohne Zögern rappelten sie sich auf und traten auf ihn zu. Mit behutsamen Bewegungen nahm er sie auf den Arm, spürte die Wärme ihrer Körper und das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachten.

"Ihr sollt ein Zuhause bei uns finden", versprach er leise. "Wir werden für euch sorgen."

Die Wölfin trat an seine Seite und betrachtete ihn ein letztes Mal. Es war, als erkannte sie in ihm eine Bestimmung. Sie stupste leicht seine Hand, bevor sie sich umwandte und im Schatten des Waldes verschwand.

Mit den Knaben und dem Schaf machte sich Faustulus auf den Heimweg. Die Dämmerung legte sich über die Landschaft, doch in seinem Herzen brannte ein erneuertes Licht. Als er die Hütte erreichte, eilte Acca ihm entgegen.

"Wer sind diese Kinder?", fragte sie verblüfft, während Freude in ihren Augen aufglomm.

"Ein Geschenk der Götter", antwortete er lächelnd. "Sie brauchen uns, und vielleicht brauchen wir sie ebenso."

Sie nahm die Jungen liebevoll in die Arme. "Willkommen, ihr kleinen Wunder. Unser Haus ist nun auch eures."

Gemeinsam traten sie ein, und eine neue Zukunft begann für sie alle. Die Sterne funkelten am Nachthimmel, und das leise Flüstern des Windes erzählte von großen Taten, die noch vor ihnen lagen. Faustulus und Acca wussten, dass ihr Leben von nun an für immer verändert war, und sie dankten den Göttern für dieses unerwartete Glück.

* * *

Faustulus führte die beiden Jungen in die Feinheiten des Landlebens ein. Romulus und Remus nahmen das Wissen über Viehzucht, Ackerbau und Kräuterkunde begierig auf, wie dürstende Erde den ersehnten Regen aufsaugt.

"Seht ihr die Spuren im Gras?", fragte Faustulus und deutete auf den Boden. "Was können wir daraus schließen?"

Romulus trat vor und musterte die Abdrücke genau. "Es war ein Hirsch, nicht wahr? Er ist hier entlanggegangen und..." Er hielt kurz inne. "...hat dort drüben geäst."

Faustulus nickte anerkennend. "Gut beobachtet, Romulus."

Remus grinste schelmisch. "Und dort hat er uns ein Andenken hinterlassen. Ein wahrhaft großzügiger Besucher!"

Die beiden Jungen lachten, während Faustulus schmunzelnd den Kopf schüttelte. "Ihr seid mir schon welche. Aber kommt, es gibt noch viel zu lernen."

Im Laufe der Jahre wuchsen die Zwillinge zu stattlichen jungen Männern heran. Romulus' Mut und Tatendrang machten ihn zum natürlichen Anführer unter den Hirten. Remus hingegen gewann alle mit seinem Humor und seinem verschmitzten Lächeln für sich.

Eines milden Sommerabends saßen sie zu dritt am lodernden Feuer vor ihrer bescheidenen Hütte. Faustulus zog eine alte Schriftrolle hervor. "Zeit für eure Lektion", verkündete er.

Romulus seufzte. "Müssen wir wirklich? Die Sterne leuchten so schön heute Nacht."

"Ja", stimmte Remus zu. "Und ich höre die Wölfe in der Ferne heulen. Sie rufen uns!"

Faustulus lächelte nachsichtig. "Ihr Abenteurer. Auch wenn das göttliche Blut des Mars in euren Adern fließt, sollte man Lesen und Schreiben beherrschen. Also kommt her."

Widerwillig rückten die Jungen näher. Obwohl sie das freie Leben in der Natur bevorzugten, schätzten sie die Weisheit ihres Ziehvaters. Ihre Augen spiegelten das Flackern der Flammen wider, während sie den Geschichten lauschten, die Faustulus aus der Schriftrolle vortrug – Erzählungen von Heroen, Göttern und fernen Ländern.

Romulus und Remus lagen im hohen Gras, ihre Blicke auf die Herde gerichtet. Plötzlich gerieten die Tiere in Aufruhr.

"Siehst du das?", zischte Romulus. "Fremde Hirten!"

Remus nickte ernst. "Die Schurken stehlen unsere Schafe!"

Die Zwillinge sprangen auf und stürmten los. Ihre Füße trommelten über den Boden, als sie die Diebe verfolgten.

"Halt!", rief Romulus. "Im Namen des Mars, bleibt stehen!"

Die fremden Hirten lachten nur und trieben die Schafe noch schneller voran. Doch die flinken Zwillinge holten auf. Remus griff nach dem Arm eines der Männer. "Wer seid ihr? Für wen arbeitet ihr?"

"Für Numitor, den rechtmäßigen Herrscher!", knurrte der Hirte und versuchte, sich loszureißen.

Romulus blickte erstaunt. "Numitor? Der gestürzte König?"

Die Brüder tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Sie kannten Numitors Schicksal – vertrieben von seinem eigenen Bruder Amulius.

"Nehmt die Schafe", sagte Remus unerwartet. "Aber bringt uns zu eurem Herrn."