Romana Extra Band 83 - Maisey Yates - E-Book
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Romana Extra Band 83 E-Book

Maisey Yates

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Beschreibung

IM SÜßEN DUFT DER APFELBLÜTEN von WEST, NIKKI
Philips zärtlicher Kuss unter dem blühenden Apfelbaum lässt Rebeccas Herz schneller schlagen. Er scheint zu verstehen, wie sehr sie sich nach wahrer Liebe sehnt! Doch sie weiß nicht, was er getan hat, bevor ihm das romantische Anwesen in Norditalien gehörte. Was verschweigt er ihr?

DIE RÜCKKEHR DES STOLZEN MILLIARDÄRS von FIELDING, LIZ
Auf keinen Fall will Agnès dem Milliardär Kam Faulkner ihr Schloss verkaufen, auch wenn es kurz vor dem Verfall steht! Seit Jahrhunderten gehört es ihrer Familie, und so soll es auch bleiben. Doch kann sie Kams verführerischer Strategie widerstehen? Er bietet Geld - und Liebe.

FLITTERWOCHEN AUF SPANISCH von MARINELLI, CAROL
Der Vertrag ist unterzeichnet: Ab sofort ist Estelle mit dem mächtigen Spanier Raúl Sanchez verheiratet. Nur zum Schein, denn Raúl braucht für einige Zeit eine Frau an seiner Seite … von Flitterwochen in Marbella und den Folgen davon stand nichts im Vertrag!

HERZ IN VERSUCHUNG von YATES, MAISEY
Unbedingt will die schöne Victoria die Firma ihres Vaters zurück, die inzwischen dem berüchtigten Dmitri Markin gehört! Zum Glück weiß sie, dass der reiche Playboy etwas braucht, das er sich nicht kaufen kann: einen guten Ruf als Ehemann …

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Seitenzahl: 713

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Nikki West, Liz Fielding, Carol Marinelli, Maisey Yates

ROMANA EXTRA BAND 83

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburgfür Nikki West: „Im süßen Duft der Apfelblüten“

© 2019 by Liz Fielding Originaltitel: „The Billionaire’s Convenient Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Christopher Bischoff

© 2015 by Maisey Yates Originaltitel: „His Diamond of Convenience“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Simone Fischer

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 83 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2013 by Carol Marinelli Originaltitel: „The Playboy of Puerto Banús“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anna Grabener Deutsche Erstausgabe 2014 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 384

Erste Neuauflage in der Reihe ROMANA EXTRABand 83 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Abbildungen: Kiuikson, Artur Bogacki / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733744816

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop

NIKKI WEST

Im süßen Duft der Apfelblüten

Niemand darf herausfinden, womit Philip ein Vermögen verdient hat! Doch als ihm die bezaubernde Rebecca begegnet, fragt er sich: Hat er die Frau gefunden, mit der er sein Geheimnis teilen möchte?

LIZ FIELDING

Die Rückkehr des stolzen Milliardärs

Als Milliardär kehrt Kam Faulkner zurück nach Priddy Castle. Er will das Schloss kaufen – und die aparte Besitzerin Agnès verjagen, so wie man ihn damals verjagt hat! Es sei denn, sie heiratet ihn …

CAROL MARINELLI

Flitterwochen auf Spanisch

Was für ein Abend! Auf der High-Society-Party zieht die schöne Estelle unerwartet den Blick eines mächtigen Spaniers auf sich. Er macht ihr ein skandalöses, aber sehr verführerisches Angebot …

MAISEY YATES

Herz in Versuchung

Dem reichen Dmitri Markin gehört jetzt die Firma ihres Vaters: Victoria schmiedet einen raffinierten Plan, sie zurückzubekommen. Ganz ohne Gefühle – aber sie hat die Rechnung ohne ihr Herz gemacht …

Im süßen Duft der Apfelblüten

1. KAPITEL

Rebecca Connelly drehte das Glas in ihrer Hand. Langsam rann die Flüssigkeit am Rand hinunter. Nüchtern betrachtet, konnte es betrunken nur besser werden. Nie im Leben hätte Rebecca sich auf diesen Trip einlassen dürfen. Sagten Menschen nicht ständig die Teilnahme an Familienfeierlichkeiten ab? Ganze Romane waren darüber geschrieben worden, aber ausgerechnet sie, Rebecca Connelly, hatte sich überzeugen lassen, dass die Hochzeit ihrer Stiefschwester so schlimm schon nicht werden würde. Schließlich musste die Familie zusammenhalten. Selbst nach allem, was geschehen war.

Allein der Gedanke verursachte Rebecca Übelkeit. Vier Jahre lang hatte sie auf einen Antrag von Lucas gewartet. Vier Jahre, und dann hatte sie nach all der Zeit ihre Vorsicht für einen Tag über den Haufen geworfen und ihren Freund zu einem Dinner im Hause ihrer Stiefmutter mitgenommen. Jetzt, ein halbes Jahr später, war sie das verlassene hässliche Entlein, und Lucas feierte Hochzeit mit Rebeccas wunderschöner Stiefschwester Michelle.

Eine ganze Woche lang! Noch dazu in einem abscheulich romantischen Landgut in irgendeinem verlassenen Tal in Oberitalien. Kein Wunder, dass ihr der Sinn danach stand, die Realität in Alkohol zu ertränken … Nicht, dass Rebecca eine besonders geübte Trinkerin gewesen wäre. Aber sie hatte sich sagen lassen, nichts helfe besser gegen zu viel Realität als ein ausgewählter Tropfen.

Sie führte das Glas zum Mund und nahm einen tiefen Schluck. Heiliges Kanonenrohr, das Zeug brannte! Sie verschluckte sich und musste husten. Jetzt brannte der Grappa nicht nur im Hals, sondern auch in der Nase. Rebeccas Augen tränten, mit Sicherheit verwischte ihre Wimperntusche, und jeder, wirklich jeder in dieser Bar konnte sehen, dass Rebecca ihrer Stiefschwester tatsächlich in allem nachstand. Sogar darin, sich gepflegt zu betrinken.

Das einzig Positive war, dass Michelle und Lucas sich bisher noch nicht hatten blicken lassen. Sicher genoss das verliebte Brautpaar den Beginn der Feierlichkeiten in trauter Zweisamkeit. Oh Himmel, egal wie fürchterlich dieser Schnaps war, solange er Rebeccas Kopf mit Watte füllte, sollte es ihr recht sein. Das Letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte, waren Bilder vor ihrem inneren Auge, wie Michelle und Lucas sich im Bett der Hochzeitssuite miteinander vergnügten.

Rebecca suchte den Blick des Barkeepers. „Noch einen, bitte.“

„Sicher?“ Fragend hob der Barkeeper eine Augenbraue. Dann nahm er eine Serviette vom Stapel auf der Bar und reichte sie Rebecca. „Hier, für Ihre Augen, Signorina.“

Wunderbar. Sie sah also genau so schlimm aus, wie sie befürchtet hatte. Und da wollte er ihr den winzigen Trost von angeblich erstklassigem Tresterbrand versagen?

Spielverderber.

So damenhaft wie möglich tupfte sie sich Wangen und Nase ab.

Hinter der Bar befand sich noch eine Terrasse, die ebenfalls zu dem Anwesen gehörte, auf dem ihre Stiefschwester in wenigen Tagen heiraten würde. Dort saßen außer ihr noch acht weitere Gäste, und minütlich gesellten sich weitere Feierwillige zu den Grüppchen an den Terrassentischen. Freunde des Brautpaares, nahm sie an, denn das norditalienische Landgut war die ganze Woche bis zur Trauung ausschließlich für die Hochzeitsgesellschaft reserviert. Sie sahen zu Rebecca, dann steckten sie die Köpfe zusammen, tuschelten. Ja, sie konnte sich vorstellen, worüber sie lachten. Sieh nur, da ist sie. Die Verlassene. Die Arme. Die kleine Dicke, die vier Jahre lang dachte, sie könnte sich einen Kerl wie Lucas angeln. Nur ein letzter Rest Selbstrespekt hielt Rebecca davon ab, in ihr Zimmer zu fliehen und die Tür hinter sich zuzuschlagen.

„Jetzt besser?“, fragte der Barkeeper.

Rebecca ließ die Papierserviette in der Tasche ihres Strickjäckchens verschwinden und nickte. „Ich hätte trotzdem gerne noch einen von denen. Egal wie sehr das Zeug brennt, ich kann es gebrauchen.“

„Immer noch übel von der kurvigen Strecke? Die Anreise ist nichts für schwache Gemüter, was?“ Zwinkernd lehnte er sich über den Tresen zu ihr. „Wir machen das absichtlich, wissen Sie? Nur die ganz Harten finden unser Schlösschen. Aber wer tapfer genug ist, den Weg auf sich zu nehmen, verdient dafür das ganze Vergnügen. Also? Wirklich noch einen Grappa, oder wollen Sie es lieber mit einem Limoncello versuchen? Vielleicht trifft der eher Ihren Geschmack.“

„Was auch immer.“ Die Worte klangen abweisender als beabsichtigt. Tatsächlich war sie dem Barmann dankbar dafür, dass er so charmant über ihren erbärmlichen Auftritt hinwegsah. Natürlich musste ihm auffallen, dass sie die Einzige war, die nicht mit den anderen Gästen zusammen auf der Terrasse saß, lachte und die wunderbare Aussicht auf die Hochebene genoss.

Bis Michelle lautstark und vollkommen begeistert verkündet hatte, dass sie und Lucas ihre Hochzeit auf einem Landgut in den Valli Giudicarie verbringen würden, hatte Rebecca nicht einmal gewusst, dass es diese Täler in Oberitalien überhaupt gab. Natürlich, vom Gardasee hatte sie gehört. Aber dass dieser nur einer von vielen Seen war, die sich in die beeindruckenden Gebirgsmassen der Dolomiten duckten und die von schmalen, teils kaum zugänglichen Tälern verbunden wurden, war ihr neu gewesen.

„Dort ist die Zeit wie stehengeblieben“, hatte ihre Stiefschwester geschwärmt und auf Bilder von winzigen Bergdörfern gezeigt, in denen sich Häuser wie sandsteinfarbene Bauklötze mit braunen Dächern aneinanderschmiegten.

Zuerst hatte Rebecca Michelles Überschwang für eine ihrer typischen Übertreibungen gehalten. Doch die zweistündige Fahrt vom Flughafen in Verona hierher hatte Rebecca eines Besseren belehrt. Sie hatte sich den Mietwagen mit ihrem Vater und seiner Frau Lauren geteilt, und hätte das Navigationsgerät nicht penetrant darauf bestanden, dass sie auf dem richtigen Weg waren, hätte Rebecca niemals geglaubt, dass sie ihr Ziel erreichen würden.

Frutteti Cancello del Cielo nannte sich das Anwesen, das von ausgewählten Gästen als Veranstaltungsort gemietet werden konnte – Obstgärten am Himmelstor. Ein bisschen wirkte es tatsächlich, als hätte man die Pforte zum Paradies entdeckt, wenn sich nach stundenlanger Fahrt durch enge Serpentinenstraßen zwischen kargen Felsgipfeln und kieferngrün bewaldeten Berghängen die Hochebene auftat, auf der sich die Plantage befand.

Wie eine uneinnehmbare Sandsteinfestung wirkte das alte Castello auf der weiten Ebene. Ein kleiner Bach mäanderte durch die Felder und umfloss das Gutshaus und den dazugehörigen Garten fast komplett. Nur dort, wo eine Zypressenallee den Weg zu einem schmiedeeisernen Eingangstor flankierte, konnte man die Flussinsel betreten.

Die Nebengebäude jenseits des Baches wirkten wie Almhütten aus einer Zeit, in der die Bewohner der Gegend arm gewesen waren und nur von dem gelebt hatten, was der Boden ihnen schenkte.

Blumenkästen mit üppig wuchernden Geranien in Rot und Rosa verliehen den Häusern ein freundliches Aussehen. Die Hortensienbüsche im Garten waren zwar bereits verblüht, dafür hing der Duft von Wiesenkräutern und sonnensattem Gras in der Luft. Vor dem Haupthaus glitzerte ein von hohem Schilfgras umwucherter Teich in der Sonne, und jetzt, am Abend, untermalte das Quakkonzert der Frösche das leise Wispern des Windes im Schilf.

„Bitte schön, bella. Un limoncello. Lassen Sie es sich schmecken.“ Die Stimme des Barmannes holte Rebecca aus ihren Tagträumen zurück an den einsamen Tresen. Vor ihr stand ein Glas mit einer leuchtend gelben Flüssigkeit.

„Das soll ich trinken?“

„Nur zu. Ich garantiere Ihnen, dieser Zitronenlikör ist der beste nördlich von Neapel. Die Zitronen stammen von einem befreundeten Hof in der Nähe des Gardasees. Alles hundert Prozent bio. Durch den Verzicht auf Pestizide und chemischen Dünger wachsen die Zitronen zwar langsamer, aber ihr Geschmack ist unnachahmlich. Probieren Sie!“

Wenn es denn half. Rebecca erinnerte sich an ihren Vorsatz, diesen Abend nicht ohne einen tröstenden Rausch zu verbringen, und fasste sich ein Herz. Mit Mühe rang sie den Impuls nieder, sich beim Trinken die Nase zuzuhalten, wie sie es als Kind getan hatte, wenn sie bittere Medizin schlucken musste. Beim Grappa hätte sie das mal besser getan. Aber wenn sie eines ganz sicher nicht wollte, dann war das, den Freunden von Michelle und Lucas noch einen Grund zu geben, sich noch mehr über sie lustig zu machen. Sie setzte das Glas an und nahm einen Schluck von der kühlen Flüssigkeit.

Im nächsten Moment verpuffte ihre Vorsicht in einer Geschmacksexplosion. Das Getränk besaß genau die richtige Mischung aus Süße und Säure, mit einem winzigen Hauch Bitterkeit, der das Geschmackserlebnis perfekt ausbalancierte. Wie im Leben und in der Liebe war es die Bitterkeit, die die Süße kostbar machte. Augenblicklich wollte Rebecca mehr.

Sie nahm einen zweiten Schluck, dann einen dritten, und ehe sie sichs versah, hatte sie das Glas geleert. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie die Augen geschlossen hatte, so sehr hatte sie den Geschmack des Likörs genossen. Langsam öffnete sie die Augen wieder.

Und erstarrte.

Das … musste ein Traumbild sein! Sie blinzelte und rieb sich mit den Handballen die Augen.

Verwirrt blickte sie auf das leere Glas, dann wieder nach oben, wo hinter dem u-förmigen Bartresen an der Längsseite des Raumes in der schmalen Personaltür auf einmal ein Mann stand, der zuvor ganz sicher nicht da gewesen war. Mindestens genauso sicher konnte dieser Kerl nicht echt sein. Kein Mensch aus Fleisch und Blut sah so perfekt aus. Für einen Mann war er zwar nicht besonders groß, aber das störte Rebecca nicht. Schließlich hatte sie mit ihren einsfünfundsechzig auch nicht gerade Modelmaße.

Im weichen Abendlicht, das durch die offenen Terrassentüren in die Bar flutete, glänzte sein schulterlanges Haar pechschwarz. Der dunkle Bartschatten ließ vermuten, dass er sich nicht nur ein paar Tage lang nicht mehr rasiert hatte. Er mochte Ende zwanzig sein, vielleicht auch Anfang dreißig, und hatte eher den Körper eines Läufers als den eines Gewichthebers, wenn auch seine breiten Schultern darauf schließen ließen, dass er regelmäßig Sport machte.

Rebecca sah auf das leere Likörglas und dachte an den Grappa, den sie mehr ausgehustet als getrunken hatte. Sicher spielte ihre Fantasie ihr einen Streich, denn wenn ihr Hirn ihr jemals einen Traummann vorgaukeln würde, dann sähe er aus wie dieser. Abenteuer und ein Hauch von Freiheit umwehten ihn. Die obersten Knöpfe seines weißen Leinenhemdes standen offen, und an den Ärmeln hatte er den Stoff bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt, sodass der Blick frei war auf seine sehnigen Unterarme. Gott, was war das mit Unterarmen, dass sie einen Mann so unglaublich sexy machen konnten? Aufrecht und lässig stand er im Türrahmen. Genau so hätte er am Steuerrad eines Piratenschiffs stehen können. Egal, wie sie es drehte und wendete: Er war ein wahrgewordener Traum.

Die Schmetterlinge, die plötzlich wie wild in Rebeccas Magen flatterten, hatten nichts mehr mit Übelkeit oder ungewohntem Alkoholkonsum zu tun. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sich mit aller Kraft zwang, den Blick von dem Traummann abzuwenden und noch einmal mit dem Mann hinter der Bar zu reden.

„Sie hatten recht“, sagte sie und wünschte, man würde ihr nicht anhören, wie trocken ihre Kehle mit einem Mal war. „Dieser Limoncello hat es in sich. Davon brauche ich noch mehr.“

Einen Anreisetag, an dem sich niemand beschwerte, gab es nicht. Irgendwas war immer. Mal fand ein Ankömmling keinen Schattenparkplatz, mal dauerte es zu lange, bis aus der Dusche warmes Wasser kam. Manche fanden die Matratze zu weich oder zu hart, andere das Bett zu groß oder zu klein. Über fünf Jahre als Apfelbauer und Gelegenheitshotelier hatten Philip Bradshaw davon überzeugt, dass es keine Beschwerde gab, die er noch nicht gehört hatte. Aber wie jeder Anreisetag zuvor würde auch dieser zu Ende gehen. Jetzt, um kurz nach acht Uhr am Abend, war er fast sicher, die größten Katastrophen des Tages hinter sich gebracht zu haben.

Dankbar nickte er Armando zu, der hinter der Rezeption stand und die letzten Gästedaten in das Formular fürs Fremdenverkehrsamt eingab. Philip hatte keine Ahnung, was er ohne den Jungen machen würde. Armando war ein echtes Goldstück, ein Urgewächs der Täler. Seit Generationen lebte seine Familie in der Gegend, und wen diese karge Welt nicht vertrieb, den schliff sie zu einem Kristall. Armando hatte ein gutes Händchen mit den Gästen, gab sich stets freundlich und kompetent. Er dankte Philip seine Anstellung im Castello mit absoluter Loyalität und stellte nie mehr Fragen, als Philip beantworten wollte. Kurzum, er war ein echter Freund.

„Alles klar bei dir?“

Armando blickte vom Computerbildschirm auf. „Alles klar. Die Gesellschaft ist komplett und versorgt. Ein paar trinken noch ein Gläschen Wein auf der Terrasse, aber niemand möchte mehr etwas essen. Falls doch noch jemand Hunger bekommt, haben sie unseren Willkommenskorb auf dem Zimmer.“

Der Willkommenskorb mit einer Auswahl an lokalen Speisen und frischen Früchten von der Plantage hatte sich in den vergangenen Jahren als außerordentlich nützlich erwiesen. Die meisten Gäste freuten sich über die Aufmerksamkeit, und Philip und seinem Personal sparte es Nerven und Beschwerden, wenn seine Gäste satt und zufrieden waren.

„Na gut. Wie immer hast du alles im Griff. Das meiste hast du im Vorfeld mit der Hochzeitsplanerin besprochen, oder?“

„Ja, genau.“

Philip gab sich einen Ruck. „Dann schau ich noch einmal in der Bar vorbei und mache anschließend Feierabend. Du übernimmst morgen die Führung durch die Plantage?“

„Natürlich. Du weißt doch: Versprochen ist versprochen …“

„… und wird auch nicht gebrochen“, beendete Philip gemeinsam mit Armando dessen Wahlspruch.

Armando grinste. Er kannte Philip gut genug, um zu wissen, wie ungern sein Boss sich unter die Gäste mischte.

Philip rieb sich den Nacken und seufzte. Acht Jahre, acht verdammte Jahre später, und noch immer begleitete ihn die Angst auf Schritt und Tritt. Zwar hatte er seit mindestens zwei Jahren keine Panikattacke mehr gehabt, und manchmal gelang es ihm sogar, sich einzureden, dass das Leben, das er heute führte, das einzige wäre, das er kannte. Menschenmengen und Fremde ließen ihn trotzdem immer noch schaudern. Egal wie unsinnig es war, jedes Mal, wenn neue Gäste ankamen, rechnete er damit, dass diesmal einer dabei war, der ihn durchschaute. Kälte rieselte sein Rückgrat entlang und ballte sich in seinem Magen zu einer eisigen Faust zusammen. Nein, daran durfte er nicht denken. Sein altes Ich war begraben und vergessen.

Zum Glück entging Armando der innere Tumult seines Chefs. „Genau, also mach dir keine Sorgen. Wenn ich fertig mit dem Papierkram bin, schließ ich hier alles ab. Wir sehen uns morgen.“

Armandos Heiterkeit half Philip, seine Beklemmung abzuschütteln. „Machen wir. Grüß deine Mamma und sag ihr Danke für die Honiglieferung. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber euer Honig ist immer der beste.“

Der junge Italiener lachte. „Sie spricht mit den Bienen und bedankt sich für ihre fleißige Arbeit, wenn sie den Honig aus den Waben schleudert. Ich sag ja immer, sie ist verrückt, aber Mamma schwört darauf.“

„Was auch immer sie tut, sie soll weitermachen. Wir sehen uns.“ Zum Gruß hob Philip die Hand, dann machte er sich auf den kurzen Weg von der Rezeption zur Bar.

Nur ein schmaler Flur trennte die Räumlichkeiten voneinander. Von außen mochte das Castello groß und pompös wirken – in Wahrheit war es ein altes Landgut in einer Gegend, die jahrhundertelang von der Armut ihrer Bewohner geprägt gewesen war. Bis Philip das Anwesen gekauft und wiederhergerichtet hatte, war nicht viel mehr davon übrig gewesen als die Grundmauern. Stein für Stein hatte er das Gut mithilfe einer örtlichen Historikerin so originalgetreu wie möglich wiederaufgebaut. Dazu gehörten die engen Gänge, die im hellsten Tageslicht düster wirkten, dafür aber selbst im Hochsommer angenehm kühl blieben.

Lachen und Gläserklirren drangen wie Lichtstrahlen durch die offenstehende Tür seitlich des Tresens in die Düsterkeit des Korridors.

Um seinem Unterbewusstsein Zeit zu geben, sich an die Gesellschaft zu gewöhnen, blieb Philip im Türrahmen stehen. Er sah sich um, stolz auf sein Haus und das, was er daraus gemacht hatte.

Längst hatte sich sein Gut als Geheimtipp unter Eventplanern herumgesprochen. Die Auswahl der Personen, die in seinem Refugium feiern durften, übernahm Armando für ihn.

Auf der Terrasse herrschte eine ausgelassene Stimmung, vor allem das Jungvolk der Partygesellschaft schien sich eingefunden zu haben. Aus den Unterlagen wusste er, dass es sich um eine englische Hochzeitsgesellschaft handelte. Die meisten Feiernden stammten aus London und der direkten Umgebung. Sie mussten Geld haben, so viel sah er, als er die Anwesenden nun musterte. Ihnen allen haftete diese Aura von Unverfrorenheit an, die reiche Menschen oft besaßen. Als wäre es das Natürlichste der Welt, dass alles sich ihren Wünschen beugte, egal, ob sie nun eine weitere Karaffe Wein verlangten oder ein paar Grissini zum Knabbern.

Langsam schweifte Philips Blick durch den fast leeren Gastraum zur Bar. Dort saß eine Frau allein. Sie passte so wenig zum Rest der Gesellschaft, dass sein Blick ganz von selbst an ihr hängenblieb. Nichts an ihr wirkte gestylt oder übertrieben. Sie trug ein einfaches Baumwollkleid mit mädchenhaftem Blumenmuster und darüber eine leichte Strickjacke. Üppige Brüste spannten den Stoff ihres Kleides. In der Hand hielt sie ein Glas Limoncello und nippte daran, als vollführe sie ein heiliges Ritual. Ihre Augen geschlossen, den Kopf leicht gesenkt, als müsste sie sich konzentrieren, ließ sie sich den Likör auf der Zunge zergehen.

Aus dieser überkandidelten Hochzeitsgesellschaft stach sie heraus wie ein Gänseblümchen in einem Strauß tropischer Orchideen. Doch das war nicht der einzige Grund, warum er nicht wegsehen konnte. Da war noch etwas, das ihn fesselte. Ihr ganzes Auftreten war wie eine Maske, ging es ihm durch den Kopf. Vielleicht wäre es ihm nicht aufgefallen, hätte er nicht selbst so viel Erfahrung darin, sich hinter Masken zu verstecken.

Ihre Kleidung und das zu einem braven Pferdeschwanz zusammengebundene Haar erweckten den Eindruck, sie sei eine graue Maus. Doch die Art, wie sie den Likör trank, die genussvolle Selbstvergessenheit, mit der sie in dem Getränk schwelgte, verriet sie. An seiner Bar saß die sinnlichste Frau, die er je gesehen hatte, und sie saß dort allein. Man musste kein Hellseher zu sein, um zu erraten, wie einsam sie sich fühlen musste. Auch das war etwas, womit er sich auskannte: die Einsamkeit, die schlimmer und schmerzhafter wurde, je mehr Leute um einen herum waren. Und plötzlich verlangte alles in ihm danach, ihre Einsamkeit zu vertreiben.

2. KAPITEL

Nie im Leben hätte Rebecca damit gerechnet, dass dieser Abend, der alles andere als vielversprechend angefangen hatte, damit enden würde, dass sie einem Wildfremden ihr Herz ausschüttete.

Doch die Dinge kamen selten, wie man sie erwartete, und so beeindruckend das Auftauchen ihres Traummannes auch war, natürlich gelang es ihrer Stiefschwester, den Augenblick zu zerstören. Gerade als Rebecca sich überzeugen wollte, dass im Türrahmen ein Mensch aus Fleisch und Blut und nicht eine Traumgestalt stand, begleiteten Applaus und laute Hallo-Rufe die Ankunft des Brautpaares auf der Terrasse.

Am liebsten wäre Rebecca im Boden versunken. Natürlich sah Michelle wunderbar aus. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass ihre Stiefschwester eine lange Anreise hinter sich hatte. Ihre roten Locken glänzten in der Abendsonne, weich umspielte ihr weißes Kleid Michelles schlanke Gestalt. Wie eine Fee schwebte sie über die Terrasse. Lucas an ihrer Seite sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die Michelle auf sich zog. Der Stolz auf seine Verlobte stand ihm ins Gesicht geschrieben. Rebecca wollte nicht neidisch sein, wirklich nicht, aber die Bitterkeit in ihrer Kehle ließ sich nicht leugnen. Einmal nur! Hätte Lucas sie in all den gemeinsamen Jahren nur einmal so angesehen, vielleicht wäre dieser Abend dann leichter zu ertragen gewesen.

Die anderen Gäste erhoben sich von ihren Plätzen, um die Brautleute zu begrüßen. Wangenküsschen hier, Komplimente für Michelles Outfit dort. Immer wieder drang die Begeisterung bis an Rebeccas Ohren. Die Location – so ungewöhnlich! Das Brautpaar – so glücklich! Und überhaupt, wie sehr man sich freute, hier sein zu dürfen! Rebecca freute sich nicht. Sie fand alles ganz grauenvoll, und wenn sie nicht aufpasste, würde sie bald vor Neid platzen.

„Amüsieren Sie sich?“

Sie fuhr herum. Direkt neben ihr stand der Mann, den sie gerade noch aus sicherer Entfernung bewundert hatte. Unter all den Paradiesvögeln hatte er ausgerechnet sie, Rebecca Connelly, angesprochen. Vor Schreck rutschte sie fast vom Barhocker. In letzter Sekunde rettete sie sein fester Griff um ihren Oberarm. Zur Scham über ihr linkisches Verhalten gesellten sich Herzklopfen und Nervosität. Nur das konnte der Grund dafür sein, dass sie plötzlich Dinge sagte, die sie normalerweise unter allen Umständen für sich behalten hätte.

„Ganz sicher nicht! Um ehrlich zu sein, kann ich mir kaum einen Ort vorstellen, an dem ich mich unwohler fühlen könnte als hier. Diese ganze Hochzeit ist ein Albtraum!“

„Ist das der Grund für den Limoncello?“ Er hob eine Augenbraue und nickte zu dem leeren Glas in ihrer Hand. Wenn sie sich nicht täuschte, lag ein Schmunzeln auf seinen Lippen. Machte er sich über sie lustig?

„Sie sollten vorsichtig sein. Man schmeckt es zwar nicht, aber das Zeug ist heimtückisch. Wenn Sie morgen früh Kopfweh haben, sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“

„Und wenn schon. Kopfweh klingt gar nicht so verkehrt. Eine Migräne wäre allerdings besser.“ Sehnsuchtsvoll blickte Rebecca in ihr mittlerweile leeres Likörglas. Ob sie sich vielleicht noch einen gönnen sollte? Das würde die Sache mit der Migräne womöglich beschleunigen. „Oder vielleicht ein akuter Anfall von Sonnenunverträglichkeit. Irgendwas, das mich unter allen Umständen dazu zwingt, in meinem Zimmer zu bleiben und mit keinem Menschen zu reden.“

Was, zugegeben, sehr schade wäre, denn was sie bisher von der Gegend gesehen hatte, war wirklich eindrucksvoll. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, ehe sie weiterredete. „Wenn es mir richtig schlecht geht, muss ich wenigstens keine gute Miene zum bösen Spiel machen. Was meinen Sie?“ Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Sieht das nach dem Lächeln der glücklichen Schwester der Braut aus? Aber nein, sagen Sie nichts.“

Jetzt hob sie die Hand, die eben noch ihre Strähnen gekämmt hatte, in einer abwehrenden Geste. „Wenn ich es mir recht überlege, kann niemand von mir erwarten, mich für Michelle und Lucas zu freuen. Schließlich war er bis vor sechs Monaten mein Freund. Ich hatte schon meine Gründe, dass ich ihn Michelle nicht vorgestellt habe. Aber dann habe ich es doch getan, weil er behauptet hat, er würde mich lieben, dabei hat er mich nur benutzt. Ich war so naiv.“

Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. Egal wie sehr sie sich wünschte, über die ganze Sache hinweg zu sein, jedes Mal, wenn sie an Lucas’ Verrat dachte, stach ihr der Schmerz aufs Neue ins Herz. Glücklicherweise hatte der Barmann zwischenzeitlich ihr Glas erneut gefüllt. Sie leerte es in einem Zug. „Ich hätte es wissen müssen. Schließlich hat mir Michelle bisher noch jeden Freund ausgespannt, den ich mit nach Hause gebracht habe, und Lucas hat oft genug gesagt, was er wirklich will. Ich war nur zu blind zu begreifen, dass er damit nicht mich meinte.“ Sie brachte es nicht fertig, ihrem unfreiwilligen Zuhörer in die Augen zu sehen. Er hatte nicht darum gebeten, sich ihre erbärmliche Geschichte anzuhören. Um ihrer Nervosität irgendein Ventil zu geben, trommelte sie mit den Fingern auf ihren Oberschenkeln. Wieder perlte ein Lachen von der Terrasse zu ihnen an die Bar. Nur ein weiteres Zeichen dafür, dass alle Spaß hatten. Alle außer ihr. „Warum hätte es diesmal anders sein sollen? Wer bleibt schon beim Trostpreis, wenn er den Hauptgewinn haben kann? Er hat gemacht, was alle machen, und jetzt heiraten sie.“

Sie griff nach ihrem Glas und drehte es am Stiel hin und her. Es war einfacher, auf die Likörreste im Glas zu schauen, als dem armen Kerl ins Gesicht zu blicken, dem sie ihren ganzen seelischen Ballast vor die Füße kippte, obwohl er nur eine unverbindliche Frage gestellt hatte. Nun, einmal mehr hatte sie bewiesen, dass sie sich nicht dafür eignete, in Gesellschaft zu sein. Sie gab sich einen Ruck und rutschte vom Barhocker. „Entschuldigung. Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.“

„Bleiben Sie!“ Die Worte waren heraus, ehe Philip sie zurückhalten konnte. Er war kein Mensch, der andere drängte. Zu oft war er selbst bedrängt und umlagert worden. Aber etwas an dieser Frau war anders. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie den Rest des Abends allein sein würde. Allein mit ihren Gedanken und Erinnerungen. Sie hatte ihm genug erzählt, damit er sich ein Bild davon machen konnte, wie unangenehm die ganze Situation für sie sein musste. Betrogen und hintergangen von der eigenen Schwester und dem Mann, der alles darauf hätte verwenden sollen, sie zu beschützen. Wie hinterhältig und gemein!

Mitten in der Bewegung stockte sie, sah noch einmal zu ihm. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, dem ein Muttermal rechts über der Oberlippe und große, seelenvolle Augen Charakter verliehen. „Warum?“, fragte sie leise, fassungslos. Hatte dieser Frau noch nie ein Mensch gesagt, dass er sie behalten wollte? Dass sie es wert war, Zeit mit ihr zu verbringen? Eine Stunde, zwei, ein ganzes Leben. Wenn eine Frau einem Mann Zeit schenkte, legte sie immer einen Teil von sich in seine Hand. Dann musste es sich anfühlen wie die Ewigkeit, sonst war es verschwendete Zeit, verschwendetes Leben. Das hatte ihn seine Nonna gelehrt, die im Herzen auch nach vier Jahrzehnten im kalten England immer Italienerin geblieben war.

„Weil ich nicht möchte, dass Sie traurig ins Bett gehen“, sagte er ehrlich. Trotzdem war er überrascht, als sie tatsächlich stehen blieb. Er war aus der Übung. Seit Jahren gab es nur ein einziges Mädchen, das ihn interessierte, und das wartete zu Hause auf ihn. Er sollte die Fremde mit dem herzförmigen Gesicht und dem schweren Herzen gehen lassen. Philip Bradshaw hatte nichts zu geben. Nichtsdestotrotz hörte er sich sagen: „Lassen Sie mich einen kleinen Imbiss für Sie bestellen, ja? Alkohol verträgt sich besser mit einem vollen Magen. Und wenn Sie wollen, sprechen wir heute kein Wort mehr von dieser Hochzeit. Es ist eine Schande, wenn die, die es am wenigsten verdienen, immer die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Aber Menschen sehen eben meist nur, was sie sehen wollen.“

„Sie klingen, als wüssten Sie, wovon Sie reden.“

„Zumindest weiß ich, wie es ist, fallengelassen zu werden. Franco!“ Er wandte sich an den Barmann, teils, weil er verhindern wollte, dass die Fremde weiter nachfragte, und teils, weil es ihm ein Bedürfnis war, dafür zu sorgen, dass sie etwas in den Magen bekam. „Käse und Brot bitte“, bestellte er auf Italienisch, dann wandte er sich auf Englisch wieder an seine neue Bekannte. „Sie mögen Käse, hoffe ich? Franco bringt uns eine Platte Bagoss. Kennen Sie diese Sorte? Bagoss wird nur von achtundzwanzig kleinen Firmen in der Provinz Brescia hergestellt. Man verwendet ausschließlich die Milch von braunen Kühen, die mit dem örtlichen Heu gefüttert werden.“

„Nicht nur ein Trinkberater, auch ein Reiseführer. Ich bin beeindruckt.“ Der traurige Ausdruck auf ihrem Gesicht wurde von Neugier abgelöst. Ihr Ton klang fast neckisch. Sie hatte schöne Augen, fand er. Geheimnisvoll und viel zu traurig für so eine schöne Frau. Augen, in denen ein Mann ertrinken konnte.

„Kommen Sie hier aus der Gegend?“, wollte sie wissen. „Ich dachte, alle, die zurzeit im Castello sind, gehören zur Hochzeitsgesellschaft.“

„Ich arbeite im Tourismus“, antwortete er ausweichend. An diesem Abend wollte er nur er selbst sein. Nicht das Phantom hinter der Maske, nicht der Apfelbauer mit den ausgefallenen Gourmetapfelsäften und auch nicht der Besitzer einer exklusiven Eventlocation – einfach nur er selbst. Er streckte ihr die Hand entgegen. „Ich heiße Philip. Schön, Sie kennenzulernen. Wollen wir das mit den Förmlichkeiten nicht lieber vergessen und Du sagen?“

„Rebecca. Wie kommt es, dass du so gut Italienisch sprichst? Bist du Italiener?“

„Meine Mutter ist Italienerin. Ihretwegen haben wir früher oft hier Ferien gemacht. Mein Vater ist Engländer.“

„Dann hast du das Aussehen von deiner Mutter? Als du vorhin dort im Türrahmen aufgetaucht bist, dachte ich, du wärst ein Flaschengeist. Oder ein Pirat.“

Das erste Mal schenkte sie ihm ein Lächeln. Es war so unergründlich wie ihre Augen. Ein bisschen traurig und ein bisschen, als wüsste sie nicht, ob sie über ihn lachen sollte oder über sich selbst. Auf ihren Wangen lag eine feine Röte. Pina konnte gut einen Abend auf ihn verzichten. Er bereute es kein bisschen, die Fremde aufgehalten zu haben.

Franco brachte ihre Käseplatte. Sie aßen und redeten. Und Philip spürte schnell, dass Rebecca keine Fragen zu ihrer Person beantworten wollte. Vielleicht meinte sie, sie hätte schon zu viel von sich preisgegeben. Also unterhielt er sie mit Geschichten über die Täler und seine Kindheit zwischen dem regnerischen England und der Sonne Italiens. Es war ganz einfach, Zeit mit ihr zu verbringen.

Mittlerweile senkte die Nacht ihren Schleier vor die Fenster der Bar, und Franco verteilte Windlichter und Citronella-Kerzen auf der Terrasse. Jedes Mal, wenn Rebecca lachte und sie für einen Moment zu vergessen schien, wie schlimm der Tag für sie begonnen hatte, schwoll Philips Brust vor Stolz. Er hatte das fertiggebracht! Er hatte es nicht verlernt und war noch immer ein begnadeter Geschichtenerzähler. Mit seinen Beschreibungen und Anekdoten wob er einen Mantel aus Vergessen um sie. Die anderen Gäste mit ihrem affektierten Getue versanken im Nichts.

Gerade war er dabei, ihr ein Bild von Salvios und Valentinas Hochzeit zu zeichnen, einem alten Paar aus dem Dorf, das im vergangenen Frühjahr im Castello geheiratet hatte. „Du musst dir vorstellen, sie waren beide über neunzig“, erzählte er. „Aber sie haben getanzt wie die Wilden. Jedes Mal, wenn jemand ‚Bacio, Bacio‘ rief – Bacio heißt Kuss – haben sie geknutscht wie Teenager.“ Er gab seine beste Imitation davon, wie die beiden Senioren trotz dritter Zähne ihrer Liebe mit heißen Küssen und schmachtenden Blicken Ausdruck verliehen hatten. „Doch das Beste war der Hochzeitstanz. Diese beiden haben eine heiße Sohle aufs Parkett gelegt, da könnten sich die meisten jungen Paare eine Scheibe von abschneiden. Das ging so lange, bis Valentina lautstark verlangt hat, Silvio solle mehr Rücksicht auf ihre künstliche Hüfte nehmen. Schließlich hätten sie noch eine Hochzeitsnacht vor sich, und sie hätte nicht vor, sich mit einer lauen Nummer abspeisen zu lassen.“

Lachtränen rannen Rebecca über die Wangen. Das machten Geschichten mit Menschen, dachte er. Sie vertrieben Geister und pflanzten Hoffnung selbst in einem Beet aus Trauer. Rebecca lachte, er lachte mit, doch als er ein Stück Käse von der Platte nahm, um sie damit zu füttern, verklang ihr Lachen mit einem Mal. Kribbelige Erwartung hing plötzlich in der Luft. Rebeccas Lippen berührten seine Finger, als sie den Käse aus seiner Hand aß. Ganz kurz nur. Ihr Atem streifte seine Haut.

„Wünscht sich nicht jeder von uns, einmal seinen Silvio oder seine Valentina zu finden? Meine größte Angst ist, am Ende allein zu sein“, gestand sie. „Allein mit einem Leben voller ungelebter Träume.“ Sie sprach leise. Ihr Geständnis gehörte nur ihm.

„Du bist nicht allein“, meinte er, flüsternd, weil das, was zwischen ihnen zum Leben erwachte, zu kostbar war, um es mit lauten Worten zu erschrecken. „Deine Stiefschwester, dein Ex, sie wissen nur nicht, was sie verpassen. Sie sind blind und dumm, aber irgendwann wird jemand oder etwas ihnen die Augen öffnen. Dann werden sie erkennen, was für einen schrecklichen Fehler sie gemacht haben, indem sie dich unterschätzt haben. Doch dann ist es zu spät, denn dann haben sie in deinen Träumen keinen Platz mehr.“

Seinen Worten folgte Schweigen. Sie sah ihn an, eine Frage im Blick und auch ein Flehen.

Wirklich?, fragten diese Augen, die er so schön fand, so grün und geheimnisvoll. Meinst du wirklich, es wird irgendwann besser werden? Hört der Schmerz irgendwann auf?

Sein Herz geriet ins Stolpern. Philip Bradshaw war kein Mann für impulsive Entschlüsse. Diese Seite von sich hatte er mit seinem alten Leben hinter sich gelassen. Doch jetzt, in diesem Moment, konnte er sich nicht zurückhalten. Etwas an Rebecca zog ihn magisch an. Er wollte sie halten, ihr alles Gute der Welt schenken, die Wunden heilen, die andere ihr geschlagen hatten und ihr zeigen, wie einzigartig und wunderbar sie war. Und vielleicht, nur vielleicht, würde auch er dabei die Vergangenheit hinter sich lassen können. Womöglich war es auch für ihn an der Zeit, nach vorne zu sehen.

Er lehnte sich zu ihr, die Hand, mit der er sie gefüttert hatte, glitt in ihren Nacken, sein Daumen streichelte ihre Wange, während sein Blick auf ihre Lippen fiel. Wie zur Antwort öffnete sie den Mund, nur ein winziges bisschen, aber das genügte ihm als Einladung.

Hauchzart erst streichelte er mit seinen Lippen über ihre. Sie schmeckten nach Limoncello, nach Süße und Bitterkeit, und obwohl Rebecca seinen Kuss nicht erwiderte, ließ er sich nicht entmutigen und verlangte nach mehr. Vorsichtig stupste er mit der Zunge in ihren Mundwinkel, warb um Einlass.

Zu spät fiel ihm auf, dass ihr Zögern keine Überraschung war, sondern Unwille. Sie versteifte sich in seinen Armen, presste ihre Fäuste gegen seine Brust, schob ihn von sich.

Als er endlich begriff und es ihr gelang, sich von ihm loszumachen, schimmerten Tränen in ihren Augen. „Was … Rebecca …?“

Sie antwortete ihm nicht. Das, was für ihn wunderbar und ganz natürlich gewesen war, hatte für sie offenbar etwas anderes bedeutet.

Auf seiner Zunge lag eine Entschuldigung, aber sie wollte nicht über seine Lippen kommen. Der Geschichtenerzähler hatte nicht nur keine Geschichten mehr, er hatte nicht einmal mehr Worte, so wütend war er auf sich selbst.

Ehe es ihm gelang, seine Fassung wiederzufinden, wandte sie sich ab und lief davon.

Philip blieb geschlagen zurück. Natürlich könnte er ihr folgen. Er hatte die Mittel, um herauszufinden, in welchem Zimmer sie untergebracht war. Er könnte an ihrer Tür kratzen, bis sie ihn erhörte und ihm vergab, ein solcher Hornochse gewesen zu sein.

Doch was sollte das helfen? Ihr Handeln sprach deutlicher als tausend Worte. Er hatte es versaut.

Rebecca blieb erst wieder stehen, als hinter ihr die Tür ihres Hotelzimmers ins Schloss fiel. Noch im Laufen trat sie sich die Schuhe von den Füßen und ließ sich aufs Bett fallen. Knisternd empfing sie die gestärkte Bettwäsche. Es half nichts. Nichts half. Wütend schlug sie mit den Fäusten auf das Kopfkissen ein. In ihrer Kehle saßen Schluchzer und erschwerten das Atmen. Ihre Lippen brannten von Philips Bartstoppeln. Von seinem Kuss!

Himmel, war sie wirklich so erbärmlich, dass er sie aus Mitleid küssen musste? Natürlich hatte sie sich gefragt, warum ein Mann wie er sich ausgerechnet mit ihr unterhalten wollte. Trotzdem hatte sie seine Gesellschaft genossen. Und ja, auch die Blicke, die sie ab und zu von Michelle eingefangen hatte. Guck du nur, hatte Rebecca gedacht, und sich für ein paar Minuten der Vorstellung hingegeben, wie es wäre, wenn Philip das „Plus 1“ auf ihrer Einladung wäre. Selbstverständlich hatten Lucas und Michelle beide gewusst, dass es niemanden in Rebeccas Leben gab, den sie nach Italien mitnehmen konnte. Das scheinheilige Angebot einer Begleitung war nur eine der zahlreichen Spitzen gewesen, mit denen Michelle Rebecca quälte.

Langsam ließ die Wut nach und machte Resignation Platz. Egal, wie sehr es Michelle darauf anlegte, sie vorzuführen, Rebecca hatte sich geschworen, sich nicht mehr auf halbe Sachen einzulassen. Ganz sicher hatte sie etwas Besseres verdient, als sich von einem gelangweilten Halbitaliener zum Wohltätigkeitsprojekt machen zu lassen.

Was auch immer es für eine fixe Idee von Philip gewesen war, dass er sie angesprochen und den Abend mit ihr verbracht hatte: Er musste sich ein anderes Opfer für seine Spielchen suchen. Mit Männern, die sie für ihre Zwecke missbrauchten, hatte sie nach Lucas ein für alle Mal abgeschlossen. Mittlerweile wusste Rebecca, dass ihr Ex in ihr nur die Verbindung zu dem erfolgreichen Verlagshaus ihrer Stieffamilie gesehen hatte.

Vier Jahre lang hatte sie für Liebe gehalten, was in Wahrheit Berechnung gewesen war. Nein, es war besser, Philip so schnell wie möglich zu vergessen. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihm nicht noch einmal während der Hochzeitsfeierlichkeiten begegnete. Wenn doch, würde sie ihm aus dem Weg gehen, so wie sie auch den anderen Freunden von Michelle und Lucas aus dem Weg ging.

Vom Nachttisch erklang ein Piepen. Zeit, ihr Bad im Selbstmitleid zu beenden. Sie griff nach dem Mobiltelefon. Nach ihrer Ankunft hatte sie es zum Aufladen im Zimmer gelassen. Sicher hatte Daddy zwischenzeitlich versucht, sie zu erreichen. Sie drückte die Kurzwahl für ihren Vater und wartete auf das Freizeichen.

Nach dem vierten Klingeln nahm ihr Vater ab. „Hummelchen, hast du dich von der Anreise erholt? Ich habe mehrmals angeklingelt, aber du bist nicht drangegangen. Hattest du Spaß mit den anderen?“

Rebecca seufzte. Ihr Vater meinte es nur gut. „Dad, ehrlich. Du weißt doch, dass Michelle und ich niemals Spaß miteinander haben werden. Ich glaube wirklich, es war keine gute Idee, dass ich mit hierhergekommen bin. Besser, ich hätte auf mein Bauchgefühl gehört. Ich komme mir vor wie die Live-Version einer Seifenoper.“

„Das kommt davon, dass du dich immer zwischen zwei Buchdeckeln versteckst. Bücher sind Fiktion, mein Schatz. Unsere Familie ist vielleicht nicht perfekt, aber Michelle ist deine Schwester. Sie mag dich, da bin ich sicher, und Lauren sagt das auch, wenn ich sie frage. Michelle wäre untröstlich gewesen, wenn du nicht mit nach Italien gekommen wärst. Eine Woche, das ist doch nicht zu viel verlangt. Wir sind so selten als Familie zusammen.“

„Weil du immer in der Weltgeschichte herumreist, um dich vor den Karren deiner Frau und ihres Unternehmens spannen zu lassen!“ Jetzt wurde Rebecca doch laut. Sie hasste es. Sie wollte nicht mit ihrem Vater streiten, und doch kamen sie immer wieder an diesen Punkt. „Wenn du öfter in London wärst, würdest du sehen, was für eine linke Bazille Michelle ist. Himmel, Dad! Sie hat mir meinen Freund ausgespannt, und das nicht zum ersten Mal. Was muss passieren, damit du einsiehst, wie sehr sie mich hasst?“

„Was man nie besessen hat, kann man nicht verlieren“, ermahnte ihr Vater sie mit derselben Stimme, mit der er sie schon als Kind zurechtgewiesen hatte. Auch diesmal verfehlte sein Ton nicht den Effekt. Augenblicklich fühlte Rebecca sich wie ein kleines Mädchen. „Wenn das, was Lucas und du hattet, echt gewesen wäre, hätte er sich nicht Michelle zugewandt. Deine Stiefmutter hat dir so oft angeboten, dich ein bisschen zu unterstützen.“ Er stockte für einige Sekunden, und Rebecca rüstete sich. Sie wusste zu gut, was als Nächstes kommen würde. „Du weißt schon, in diesen … Frauendingen. Für mich bist du perfekt, wie du bist, aber Lauren weiß nun mal, was Frauen machen, um sich besser zu fühlen. Ich hab mich immer bemüht, dir ein guter Vater zu sein, doch seit deine Mutter …“ Er ließ den Satz im Nichts verklingen. Trauer füllte die Lücke, die seine ungesagten Worte hinterließen. Erstaunlich, wie auch nach über zehn Jahren der Tod ihrer Mutter immer noch die Macht hatte, Rebeccas Herz in Fetzen zu reißen.

„Ich weiß, Dad. Ich weiß, dass du es gut meinst. Und du liebst Lauren, und Michelle ist ihre Tochter und deshalb …“

„Es geht nicht um mich“, unterbrach er sie. „Das ist, was ich dir immer wieder klarzumachen versuche. Es ist nicht mein Wunsch, dass du dich mit Lauren und Michelle besser verstehst, sondern auch der von deiner Mum. Sie hat sich gewünscht, dass ich nicht allein bleibe. Das habe ich dir schon so oft gesagt. Ihr letzter Wunsch war, dass ich eine andere Frau finde und noch einmal glücklich werde. Nicht nur meinetwegen, sondern vor allem deinetwegen. Sie ist mit sechs Brüdern aufgewachsen. Sie wusste, wie schwer es ist, nur Männer um sich zu haben, und deshalb wollte sie für dich etwas anderes. Kannst du dich nicht ein bisschen mehr anstrengen und dich mit Michelle vertragen? Deine Mum hätte es so gewollt.“

Hätte sie nicht, wollte Rebecca aufschreien. Sicherlich hätte Mum nicht gewollt, dass diese neue Familie, die du für mich auftreibst, mich wie Dreck behandelt, jedes Mal, kaum dass du aus der Tür bist.

Rebecca war aus dem Haus ihrer Stiefmutter ausgezogen, kaum, dass sie alt genug war, sich mit Aushilfsjobs über Wasser zu halten. Doch die Jahre im fremden Heim hatten Spuren hinterlassen. Die quälenden Kommentare; die rationierten Abendessen, weil sie mit ihren Kurven niemals in das Weltbild ihrer Stiefmutter passen würde; die permanenten Gängeleien, mehr Sport zu machen. Einmal war Lauren sogar so weit gegangen, Rebecca ihre geliebten Bücher wegzunehmen.

Und dazu Michelle. Michelle, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Rebecca zu beweisen, dass es nichts gab, worin sie nicht besser war. Jede Freundin, die Rebecca mit in ihr neues Zuhause brachte; jeder Junge, der sich vielleicht für sie interessierte; jedes Hobby, das sie ausprobierte – stets war Michelle zur Stelle, um sie zu übertrumpfen. Einzig ihre Liebe zu Büchern hatte Michelle ihr nicht streitig machen können.

Rebeccas Blick fiel auf die abgegriffene und signierte Schmuckausgabe von Gesichter der Liebe. Ihr Lieblingsbuch lag auf dem Nachttisch, bereit, sie in eine andere Welt zu entführen. Nur gut, dass sie es mit nach Italien genommen hatte. Wenn Dad sie schon nicht verstand, würde Rebecca in der vertrauten Geschichte und dem Geruch nach Leder und Papier Trost finden. Das tat sie immer.

„Ich werde mich mehr bemühen, Dad. Versprochen. Du hast recht, Mum hätte es so gewollt.“

Die Erleichterung in der Stimme ihres Vaters tat fast genauso weh wie die Lüge, die sie ihm zuliebe aussprach. Er begriff es einfach nicht, und sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu enttäuschen. Nicht, wo sie für ihre Stieffamilie schon eine einzige Enttäuschung war. Ihr Dad war die einzige Familie, die ihr geblieben war, und immer wieder erinnerte er sie daran, wie sehr sich ihre Mutter für Rebecca gewünscht hätte, dass sie leichter Freundinnen fände.

„So ist es schon besser. Machen wir den Brautleuten eine schöne Woche, ja? Wir sind so selten alle zusammen, und du weißt, wie wichtig Familie für deine Mum war. Das Allerwichtigste. Aber jetzt schlaf gut, in Ordnung? Hab dich lieb, Hummelchen.“

„Hab dich auch lieb, Dad“, erwiderte Rebecca leise. Als sie das Telefon zurück auf den Nachttisch legte, streiften ihre Finger das Leder ihres Lieblingsbuches. Seit Langem hatte sie sich nicht mehr so sehr darauf gefreut, ein paar Seiten darin zu lesen, wie an diesem furchtbaren Abend.

3. KAPITEL

Die Bäume waren kleiner, als Rebecca sich vorgestellt hatte. Sie standen in Reih und Glied, verschränken die Äste ineinander und reckten sich dem Himmel entgegen.

„Apfel ist nicht gleich Apfel“, erklärte der junge Plantagenmitarbeiter ihr und den Gästen. Er hatte sich ihnen als Armando vorgestellt und führte sie bereits seit einer knappen halben Stunde durch die Plantage. Fast die gesamte Hochzeitsgesellschaft war an diesem Morgen erschienen, um an der Führung teilzunehmen.

Rebecca wäre am liebsten im Zimmer geblieben. Doch sie hatte ihrem Vater versprochen, sich mehr zu bemühen, und außerdem interessierte sie, was sie über den Apfelanbau erfahren würden. Bisher hatte sie sich nie Gedanken über Obstsäfte gemacht. Für sie war Saft gleich Saft. Man kaufte ihn in Tetra Paks im Supermarkt, oder, wenn man einmal Lust auf etwas Besonderes hatte, in Glasflaschen. Die waren zumindest besser für die Umwelt. Dass Gourmetapfelsäfte mittlerweile die Sternegastronomie eroberten, hörte Rebecca heute zum ersten Mal. Langsam lief sie neben ihrem Vater durch die unzähligen Baumreihen. Leider hatten sich auch Michelle und Lucas von ihren Freunden abgeseilt und sich an den Kopf der Gruppe gesellt. Aber nun, einen Tod musste man schließlich sterben. Egal, was kommen mochte, Rebecca würde sich einfach nicht provozieren lassen.

„Fast jeder Landstrich in Europa kann mit eigenen Apfelsorten aufwarten. Rotgestreifte Schafsnase, Goldparmäne oder Schöner aus Bath. Hunderte Apfelsorten sind nie im Supermarkt zu finden, weil ihre Lagereigenschaften unpassend sind oder ihr Anbau zu kompliziert. Einige Sorten sind sogar fast ausgestorben.“

„Kennt sich der Besitzer der Plantage denn wirklich mit dem Apfelanbau aus?“ Ungeduldig unterbrach Michelle den Plantagenmitarbeiter bei seinen Ausführungen. Im Gehen schob sie so heftig einen Ast beiseite, der weiter als die anderen in den Sandweg zwischen den Baumreihen ragte, dass Rebecca es knacken hörte. Sie biss die Zähne zusammen. Das war so typisch Michelle. Interesse heucheln, während ihre Gesten eine ganz andere Sprache sprachen. Wer so sorglos mit einer Pflanze umging, konnte sie nicht schätzen. So gut es ging, versuchte Rebecca, den Ast zurück ins Blattgrün zu schieben. Heile, heile Segen, dachte sie und kam sich außerordentlich lächerlich dabei vor. Jetzt sprach sie in Gedanken also schon mit Bäumen. Kein Wunder, dass kein Mann sich je ernsthaft für sie interessierte.

Ohne die Antwort des Italieners abzuwarten, stichelte Michelle weiter. „Na, die Bäume standen schon immer da, während das Gut laut meiner Hochzeitsplanerin erst seit acht Jahren wieder betrieben wird. Sieht für mich eher danach aus, als wäre da jemand nur zu faul gewesen, die Bäume abzuholzen.“ Sie hob theatralisch die Schultern. „Was ich durchaus verstehen könnte. Sicher hat er doch andere Interessen, als den Gärtner zu spielen. Oder ist er einer dieser aktiven Rentner“, mit den Ring- und Mittelfingern beider Hände malte sie bei dem Wort aktiv Anführungszeichen in die Luft, „die sich irgendein absurdes Hobby suchen müssen, weil ihnen sonst langweilig ist? Niemand hat mir gesagt, wie alt dieser Mann überhaupt ist, der unser Gastgeber ist und sich trotzdem nicht blicken lässt.“

„Oh, also so ist das ganz sicher nicht.“ Obwohl Armando versuchte, gelassen zu klingen, glaubte Rebecca an seinem Tonfall zu erkennen, dass er ebenso irritiert von Michelles spitzen Einwänden war wie sie selbst. „Was der Besitzer der Frutteti Cancello del Cielo hier auf die Beine gestellt hat, ist einmalig! Wir behandeln Apfelbäume mit der gleichen Sorgfalt wie Weinreben. Bei uns kommt es auf die Qualität an, nicht die Quantität. Unser Umgang mit den Früchten ist respektvoll, wir lassen ihnen Zeit, voll auszureifen und ihr ganzes Aroma zu entfalten. Angefangen haben wir mit sortenreinen Apfelsäften aus Ananasrenette und weißer Wintercalville, die jedem Wein Konkurrenz machen können. Die Bäume dieser Sorten“, mit dem Finger wies Armando auf einen Bereich der Plantage, wo rote Felsen Schatten vor der intensiven Bergsonne spendeten, „tragen nur sehr wenige Früchte. Jeder Apfel ist ein kleiner Schatz. Der Geschmack ist unvergleichlich. Frisch und spritzig die Ananasrenette, mit Noten von Zitrusfrüchten und Cassis. Lieblich und süß die Wintercalville. Ihr Duft nach weißem Pfirsich und Mirabellen ist etwas ganz Besonderes.“ Sie gingen weiter, und Rebecca wartete, dass der Hotelangestellte weitersprach. Was er erzählte, war faszinierend. Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass es so viel über ein einfaches Obst wie Äpfel zu wissen gab. Zum Glück musste sie nicht lange warten, dann fuhr Armando fort.

„Erst in den letzten beiden Jahren sind auch Cuvées dazugekommen, Mischungen mit Minze, Ingwer, Birne oder Heidelbeere auf Apfelsaftbasis. Wer ein solches Unternehmen nicht mit Herzblut betreibt, gewinnt keine Preise auf internationalem Niveau. Im vergangenen Jahr haben wir den Corpus Culinario gewonnen.“

„Pff“, machte Michelle nur, und sie gingen weiter. Immer wieder hielt der Italiener an, pflückte Früchte von den Bäumen, ließ sie kosten und erklärte, wie sich die verschiedenen Sorten in Fruchtfleisch, Farbe und Lagerverhalten unterschieden. Es bestand kein Zweifel daran, dass die Arbeit auf der Plantage seine Leidenschaft war.

Rebeccas Sinne vibrierten von all den Eindrücken. Nur Michelle schien die Magie des Ortes kaltzulassen.

„Wenn das alles so außergewöhnlich ist und Sie wirklich schon Preise gewonnen haben, frage ich mich nur, warum der Besitzer der Plantage sich so gut versteckt und einen so jungen Mitarbeiter vorschickt. Hat er was zu verbergen? Man sollte doch meinen, er wäre stolz auf das, was er erreicht hat. Dabei hat er uns noch nicht einmal persönlich begrüßt! Ich wüsste ja schon ganz gerne, bei wem ich meine Hochzeit feiere.“

„Michelle!“ Rebecca konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Sieh dich um. Reicht das nicht? Es ist doch vollkommen gleichgültig, wem das alles hier gehört. Jetzt bist du hier. Und es ist wunderbar. Was soll das für einen Unterschied machen, wie alt der Gastgeber ist, wie er aussieht, oder was er gemacht hat, bevor er hierherkam!“

„Du begreifst mal wieder gar nichts.“ Michelle zischte ihr die Worte so leise zu, dass wahrscheinlich nicht einmal Dad und Lauren sie hören konnten. „Nicht jeder Mensch lebt in Traumwelten. Und für mich ist es wichtig zu wissen, mit wem ich es zu tun habe.“

„Was auch immer.“ Resigniert warf Rebecca die Hände in die Luft. Der Spaß an der Führung war ihr gründlich vergangen. Sie sagte kein Wort, dabei hatte der Morgen so gut begonnen.

„Pina! Pina, hierher!“ Wo zum Teufel steckte dieser Hund? Philip nahm den Pfad zwischen seinem Haus und dem Castello im Laufschritt. Der gute Kilometer Weg quer über die Ebene war ihm so vertraut wie die eigene Westentasche. Er musste nicht einmal darauf achten, wo er hintrat, und das war auch gut so, denn sein Kopf war ganz bei seinem Hund. Pina war noch nie weggelaufen. Seit er sie als acht Wochen altes Fellbündel bekommen hatte, klebte die kleine, schwarz-weiß gefleckte Mischlingshündin an seinem Bein, wann immer er ihr die Gelegenheit dazu ließ. So wie heute hatte sie sich noch nie benommen. Kaum hatte er die Eingangstür geöffnet, war die junge Hündin wie ein geölter Blitz aus dem Haus geschossen. Das hatte er also davon, dass er sie am vergangenen Abend für Rebecca vernachlässigt hatte.

Normalerweise verging kaum ein Tag, an dem er sich nicht einen Augenblick Zeit nahm, um die Schönheit dieses Fleckchens Erde zu bewundern. Dafür hatte er jetzt keine Zeit. Von Armando wusste er, dass die morgendliche Führung durch die Obstgärten gut über die Bühne gegangen war. Mittlerweile saßen die Gäste auf dem gekiesten Vorplatz zwischen Haupthaus und Teich unter efeuberankten Pergolen und genossen ihr Mittagessen. Nur von Pina war weit und breit nichts zu sehen.

Ein spielerisches Bellen aus Richtung des Gartens durchbrach die Stille. Aha! Dahin also hatte sich die kleine Streunerin verzogen. Langsam folgte er den freudigen Lauten hinein in den Garten.

Doch nicht Pina fiel ihm als Erstes ins Auge, sondern … Rebecca.

Sie kniete im Schatten einer ausladenden Bluteiche und hatte beide Hände im Nackenfell seiner Mischlingshündin vergraben. Beide hatten sichtlich Spaß daran, miteinander zu balgen. Begeistert warf Pina sich vor Rebecca auf den Rücken, damit die junge Frau ihr besser den Bauch kraulen konnte. Weil dabei Pinas Rute wedelte, wackelte der ganze Hund hin und her. Rebecca ließ sich nicht lange bitten. Sinnlose Koseworte plappernd verwöhnte sie Pina, und Philip fand sich unvermittelt eifersüchtig auf seinen Hund.

Lächelnd trat er näher. „Und da heißt es immer, Hunde haben treue Seelen. Kaum verbringe ich einmal den Abend mit einer anderen charmanten Dame, kehrt sie mir den Rücken. Ich weiß nicht, ob mein Stolz das verkraftet.“

Rebecca hob ihr Gesicht, und für einen kurzen Moment stockte ihm der Atem. Hatte er gestern gedacht, sie sei hübsch? Er hatte ja keine Ahnung gehabt. Sie war wunderschön! Die Morgensonne und der Spaziergang durch die Obstgärten hatten ihre Wangen rot gefärbt. Kein Make-up verkleisterte die Reinheit ihrer Haut. Abends, in der Bar, hatte er gedacht, ihr Haar sei von einem einfachen Hellbraun. Jetzt erkannte er, dass es in Wahrheit ein Farbmosaik aus tausend verschiedenen Tönen war. Von Hellblond bis zu einem tiefen Kupferton war alles dabei. Echt und unbeschwert lächelte Rebecca ihn an. Zumindest für einen Moment, dann errichtete sie wieder ihre Schutzmauern und brachte damit Distanz zwischen sie, ohne dass einer von ihnen sich bewegt hätte.

„Philip“, sagte sie und nahm die Hände aus Pinas Fell. Die Hündin setzte sich auf die Hinterpfoten und sah Rebecca mit schräg gelegtem Kopf auffordernd an.

„Das ist Pina.“ Mit dem Kinn nickte er zu seiner tierischen Freundin. „Ihr habt euch angefreundet, wie es aussieht.“

Rebecca wich seinem Blick aus und schwieg. Offenbar hatte sie ihm sein Verhalten vom vorherigen Abend noch nicht verziehen. Er nahm einen tiefen Atemzug. „Ihr fällt es wohl leichter, deine Grenzen zu respektieren. Tut mir leid, dass ich dich gestern mit dem Kuss überrumpelt habe.“

„Das glaube ich dir gerne.“ Rebecca schnaubte abschätzig und schüttelte den Kopf. Ihre Zähne hinterließen weiße Spuren auf der Unterlippe, so tief grub sie sie in die zarte Haut.

Lass das, wollte er sagen, oder lass es mich tun. Doch er hielt sich zurück. Gestern Abend hatte er sich schon idiotisch genug benommen. Er hatte keine Ahnung, woher dieser Drang kam, sie zu berühren, sie zu küssen und ihr nah zu sein. Dabei wollte er nicht einmal mit ihr schlafen.

Na gut, das stimmte nicht. Natürlich wollte er mit ihr schlafen, aber er wollte nicht nur mit ihr schlafen. Gesichtslose Affären ohne Bedeutung hatte er in seinem alten Leben genug gehabt. Das, was Rebecca in ihm weckte, fühlte sich anders an. Nicht hektisch und hungrig, sondern wie eine Serenade in Moll, voller Sehnsucht und Sinnlichkeit. Wenn er sich danach sehnte, sie anzufassen, wollte er das ebenso sehr für sie tun wie für sich. Er rieb sich den Nacken. Das alles ergab überhaupt keinen Sinn.

Rebecca zumindest hatte eine Erklärung für seine plötzliche Verlegenheit. „Oh, vielen Dank für die Entschuldigung! Natürlich bereut ein Kerl wie du, einen Trampel wie mich geküsst zu haben. Mach dir bloß keine Sorgen! Soweit ich weiß, hat niemand deinen Ausrutscher bemerkt. Dein kleines Wohltätigkeitsprojekt wird deinen Ruf schon nicht auf immer und ewig zerstören.“ Sie stand auf.

Wohltätigkeitsprojekt? Trampel? Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider. Doch ehe er sich einen Reim darauf machen konnte, stürmte sie davon. Schon wieder! Wenigstens auf Pina konnte er sich verlassen. Seine Hündin ließ ihn nicht damit durchkommen, wie erstarrt hinter Rebecca herzublicken. Auffordernd zupfte sie ihn am Ärmel und fiepste, während sie immer wieder von ihm zu Rebecca sah.

„Du hast recht.“ Er tätschelte Pina den Kopf, dann lief er Rebecca hinterher. Diesmal würde sie ihm nicht entkommen.

„Warte!“, rief er und packte sie am Oberarm. „Was soll das heißen, ‚dein Wohltätigkeitsprojekt‘? Was willst du damit sagen?“ Er zog an ihrem Arm und zwang sie, sich zu ihm umzudrehen. So nah war sie plötzlich. Ihr Duft stieg ihm in die Nase, vermischte sich mit dem Geruch nach frischem Gras und sattem Grün in seinem Garten. Sein Blut schäumte, sein Herz pochte.

„Dass du mich aus Mitleid geküsst hast, das will ich sagen! Warum sonst sollte ein Kerl wie du sich dazu herablassen, eine Frau wie mich zu küssen? Aber weißt du was? Danke, aber nein danke! Ich spiele zwar nicht in derselben Liga wie du und die anderen Gäste, trotzdem brauche ich keine Almosen! Lieber bin ich die Einzige hier ohne Begleitung, als den winselnden Streuner zu mimen, dem der attraktivste Mann von allen aus Barmherzigkeit einen Knochen zuwirft.“

„Das ist nicht der Grund, warum ich dich geküsst habe!“ Noch immer hielt er sie fest, sanft, aber bestimmt.

Einzelne Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst. Sie riss an ihrem Arm, er ließ sie los, doch sie trat nicht zurück. Nase an Nase standen sie einander gegenüber. Ihre Wut machte sie mutig und unwiderstehlich zugleich.

„So? Und was war dann der Grund?“ Herausfordernd blitzte sie ihn an. Hitze strahlte von ihrem Körper ab. Erregung. Sie war wunderschön, und sie machte ihn zornig. Sie musste aufhören mit diesen Selbstanklagen. Jedes abfällige Wort, das Rebecca über sich selbst sagte, ließ Philip die Welt hassen, die ihr den Glauben vermittelt hatte, sie sei nicht begehrenswert.

„Das hier!“ Er schlang seinen rechten Arm um ihre Taille und legte seine linke Hand in ihren Nacken. Er zog Rebecca an sich, nah genug, damit sie spüren musste, was sie mit ihm machte.

Ein Seufzen entwich ihr, und Philip nutzte die Gunst des Augenblicks, indem er sie küsste. Diesmal hielt er sich nicht zurück. Er küsste sie hart und leidenschaftlich und mit all der Glut, die sie in ihm wachrief. Und als er spürte, wie Rebecca sich an ihn schmiegte und seinen Kuss erwiderte, da ahnte er, dass er von dieser Art Küsse niemals genug bekommen würde.

Langsam, immer wieder unterbrochen von kleinen Zärtlichkeiten, zog er sich irgendwann zurück. Sie beide waren atemlos und erhitzt.

„Weil du eine sinnliche Frau bist“, beantwortete er ihre Frage. „Weil ich nicht glauben kann, dass dir noch nie jemand gesagt hat, wie sexy du bist.“

Sie wollte protestieren, doch er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Pst. Ich weiß, was du sagen willst. Aber dein Ex ist ein Idiot. Er ist ein dummer Junge, der eine Frau wie dich gar nicht verdient.“

Die Leidenschaft und Wut waren verloschen. Sie lächelte traurig. Sie roch nach Apfelblüten und Ingwer, ein bisschen wie der erste Saft, für den er einen Preis gewonnen hatte.

„Dann ist die Welt voller dummer Jungen. Ich bin die Einzige ohne Begleitung hier. Alle anderen sind glückliche Pärchen, nur ich hab kein ‚Plus 1‘. Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Und dazu die Gehässigkeiten von Michelle? Gott, ich würde ihr so gerne mal die Meinung sagen. Nur dass ich damit meinen Dad mehr treffen würde als sie. Er wünscht sich so sehr, wir alle wären eine große, glückliche Familie.“ Sie schnaubte abschätzig. Zwar kannte Philip sie noch keine vierundzwanzig Stunden lang, doch dass der Wunsch ihres Vaters meilenweit von der Realität entfernt war, hatte auch er schon begriffen.

Wie um ihre Gedanken zu sortieren, schüttelte Rebecca den Kopf. „Doch bei allem guten Willen: Nach der Plantagenführung auch noch ein gemeinsames Mittagessen mit dem Rest der Gesellschaft wäre definitiv zu viel für einen halben Tag gewesen. Allein unter lauter glücklichen Pärchen kann es ganz schön einsam sein.“

„Dann lass mich dein ‚Plus 1‘ sein.“

Sie befreite sich aus seiner Umarmung und sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Warum nicht? Keiner der Gäste hat mich bisher gesehen. Wenn jemand fragt, sagen wir einfach, wir haben uns erst kürzlich kennengelernt. Das ist nicht einmal gelogen. Du bist niemandem Rechenschaft schuldig, wie lange du mit deinem Freund zusammen bist.“

„Meinem Freund?“, fragte sie ungläubig.

„Ich hätte nichts dagegen, deinen Freund zu spielen. Sieh es meinetwegen als Wiedergutmachung. Dafür, dass ich gestern so ein Idiot war.“ Aus Höhe ihrer Knie erklang ein begeistertes Fiepen.

„Woher stammt der Name Pina eigentlich?“

Philip erkannte ein Ausweichmanöver, wenn er eines sah, doch diesmal ließ er sie damit durchkommen. Rebecca kraulte Pina hinter den Ohren. Begeistert leckte die Hündin Rebeccas Handinnenfläche, dann stupste sie sie mit der Nase, sodass Rebeccas Hand an die von Philip stieß. Kluger Hund.