Romantic Thriller Spezialband 3003 - 3 Romane - Ann Murdoch - E-Book

Romantic Thriller Spezialband 3003 - 3 Romane E-Book

Ann Murdoch

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (399XE) Der gute Geist von Ravens Crest (Ann Murdoch) Der Graue Zirkel (Der Graue Zirkel) Der Fluch aus der Gruft (Der Fluch aus der Gruft) Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...

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Ann Murdoch

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Inhaltsverzeichnis

Romantic Thriller Spezialband 3003 - 3 Romane

Copyright

Der gute Geist von Ravens Crest

Der Graue Zirkel

Der Fluch aus der Gruft

Romantic Thriller Spezialband 3003 - 3 Romane

Ann Murdoch

Dieser Band enthält folgende Romane:

Der gute Geist von Ravens Crest (Ann Murdoch)

Der Graue Zirkel (Der Graue Zirkel)

Der Fluch aus der Gruft (Der Fluch aus der Gruft)

Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...

Copyright

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Der gute Geist von Ravens Crest

von Ann Murdoch

Ein CassiopeiaPress E-Book

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© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Der Umfang dieses E-Book entspricht 98 Taschenbuchseiten.

Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...

1

Die Aussicht war atemberaubend.

Das Haus lag hoch oben auf den Klippen. Wenige Meter von der Terrassentür entfernt, fiel die Küste steil ab, und tief unten brandete das Meer in heftigen Stößen gegen die Felsen. Möwen flogen schreiend umher, die Luft war voller Salz, und der Wind toste unaufhörlich. Das nächste Haus war gut eine halbe Meile entfernt, das Licht aus einem der Fenster wie eine ferne Verheißung.

Es dämmerte schon, und in regelmäßigen Abständen flammte das Licht vom Leuchtturm herüber.

Andrea Parker stand im Wohnzimmer von Ravens Crest, wie das Haus allgemein genannt wurde, ließ den Blick über die jetzt kahlen Wände und den arg vernachlässigten Parkettboden gleiten, und nahm kaum noch auf, was die Immobilienmaklerin erzählte.

Das hier würde ihr neues Zuhause werden, ein nettes kleines Haus, weit ab von der Zivilisation, abgeschieden, um nur ja wenig Kontakt zu anderen Menschen zu haben.

Andrea wollte allein sein, nachdem sie ihren Mann bei einem schrecklichen Unfall verloren hatte. Er war in ihren Armen gestorben, mit vor Schmerzen verzerrtem Gesicht und unermesslicher Qual in den Augen. Nie würde sie diese Augen vergessen. Aber auch nie die sensationsgierige Meute, die um sie und Jack herumgestanden hatte.

Ein betrunkener Autofahrer war frontal ins Jacks Wagen gerast, und Jack war langsam auf der Straße verblutet.

Viele Menschen hatten herumgestanden, aber nicht einer hatte etwas getan, obwohl Andrea mehrmals um Hilfe gefleht hatte. Die Gaffer sahen seelenruhig zu, wie das Leben aus Jack herausfloss, und von diesem Augenblick an wollte Andrea so wenig wie möglich mit anderen Menschen zu tun haben.

Nach der Beerdigung hatte sie praktisch alle Brücken hinter sich abgebrochen, entgegen den Ratschlägen der wenigen echten Freunde. Sie wollte nur weg, und Ravens Crest schien ihr der richtige Ort zu sein, um sich zurückzuziehen. Arbeiten konnte sie von Zuhause aus, sie war Illustratorin, und hatte gute Aufträge für Bücher und Zeitschriften.

Hier draußen konnte sie mit ihrem Schmerz und dem Verlust allein sein und musste sich vor niemandem rechtfertigen.

„Mrs. Parker, hören Sie mir zu?“, fragte die Maklerin jetzt irritiert.

Andrea schrak aus ihren Gedanken auf. „Ja, natürlich“, beeilte sie sich zu versichern. „Ich nehme das Haus. Was sagten Sie gerade?“

Ein verweisender Blick traf sie - wie konnte sie nur so unaufmerksam sein?

Andrea zwang sich zu einem Lächeln. „Verzeihen Sie, ich war mit meinen Gedanken meilenweit entfernt. Sie wollten mir noch etwas über das Haus sagen. Vielleicht, warum es so billig ist?“

Die Maklerin wurde plötzlich puterrot. „Nun, Mrs. Parker, es ist so - ich meine...“

Andrea wurde hellhörig. Irgendetwas stimmte doch hier nicht. Die Lage war erstklassig, wenn auch abgeschieden, die Ausstattung schon fast luxuriös. Und eigentlich hätte Andrea ein so großes Haus gar nicht gebraucht. Aber der Preis war ungeheuer günstig. Wo also lag der Haken?

„Das Haus hat einen schlechten Ruf“, kam nun die Erklärung.

„Warum?“, fragte Andrea sanft.

„Nun, es gibt Leute, die behaupten, dass es hier spukt. Aber ganz sicher ist das alles nur dummes Gerede.“ Die Frau verhaspelte sich fast in dem Bemühen, das Gerede herunterzuspielen.

„Ein Geist? Wie reizvoll“, sagte Andrea und stöhnte innerlich. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Geisterglaube, im ausgehenden 20. Jahrhundert. Aber nun gut, dadurch war das Haus wirklich preiswert, und wenn die Leute daran glauben wollten, dann sollten sie das ruhig tun. Ihr konnte es egal sein.

Ein wenig neugierig war sie aber doch. „Und wer oder was spukt hier herum?“, erkundigte sie sich freundlich.

Das Gesicht der Maklerin wurde bleich. „Nun, man sagt, es sei ein Piratenkapitän, der auch das Haus einst hat bauen lassen. So, etwa vor zweihundert Jahren. Er starb dann unter ungeklärten Umständen, und es heißt, er spukt hier regelmäßig, weil er auf der Suche nach etwas ist. Es scheint allerdings niemand genau zu wissen, was er sucht, aber der letzte Besitzer ist - nun, er hat...“

„Was hat er?“, fragte Andrea jetzt etwas ungeduldig. Das hier war doch nun wirklich zu dumm.

„Man fand ihn gefesselt und geknebelt, ohne dass er sagen konnte, wie es dazu gekommen ist. Der Mann ist ausgezogen und hat geschworen, dass er nie wieder einen Fuß über die Schwelle setzt. Ich mache mir nicht gern selbst das Geschäft kaputt, aber ich glaube doch, dass Sie diese Sachen wissen sollten. Und wenn Sie das Haus jetzt nicht mehr wollen, dann will ich gerne etwas anderes für Sie suchen.“

Andrea lachte glockenhell auf. „Das alles ist ein Grund mehr für mich, das Haus sofort zu kaufen. Geister, nein, wirklich, solange ich noch mit den Gespenstern in meinem Herzen fertig werden muss, können mir die hier im Haus nicht besonders gefährlich werden. Es bleibt dabei, ich nehme das Haus, es gefällt mir nämlich.“

Zwei Wochen später zog Andrea Parker um.

2

Der Wind wehte beständig hier oben, und Andrea hatte sich gleich daran gewöhnt, dass es Geräusche im Haus gab, die darauf zurückzuführen waren. Man musste sich daran ebenso gewöhnen wie an das Licht des Leuchtturms, der mit absoluter Regelmäßigkeit die Nacht erhellte, und genauso wie an die großen Räume, die sie längst nicht alle hatte einrichten können.

Aber bei einem Streifzug durch das Haus war Andrea auf dem Boden über eine Menge sorgfältig abgedeckter Möbel regelrecht gestolpert. Wunderschöne Schränke standen da, ein komplettes Esszimmer und ein wahres Prachtstück von Himmelbett. Das war eine wunderschöne Idee, fand sie.

Andrea hatte eine nette ältere Frau eingestellt, die das Haus in Ordnung halten sollte und auch kochte, Mrs. Mason.

Und Mrs. Mason hatte zwei erwachsene Söhne, die Andrea nun halfen, die alten Möbel vom Dachboden in die Zimmer zu schaffen.

Mrs. Mason hatte sich zunächst bekreuzigt.

„Das alles hat dem Kapitän gehört, Mrs. Parker. Es ist sicher nicht recht, wenn Sie das benutzen. Wollen Sie nicht lieber alles verbrennen?“

„Nein, bloß nicht", wehrte Andrea empört ab. „Die Möbel sind schön, und ich werde sie mit Ihrer Hilfe aufpolieren. Sie sollen wieder zu Ehren kommen. Außerdem wären sie heute ein Vermögen wert, wenn ich sie kaufen müsste.“

„Nun gut, es ist Ihr Ärger. Dem Kapitän wird das sicher nicht gefallen, Sie werden schon sehen.“

„Mrs. Mason, Sie reden ja, als würde der Kapitän noch leben. Tun Sie mir den Gefallen und kümmern Sie sich um mich. Lassen wir dem Kapitän seine wohlverdiente Ruhe, ja?“

„Sie reden sehr respektlos, Mrs. Parker“, hatte die ältere Frau verschreckt ausgerufen. „Hüten Sie sich, den Kapitän zu verärgern.“

Nun war Andrea schon selbst fast verärgert, aber trotzdem hatte sie gelacht. „Ich hoffe, es wird nicht allzu schlimm werden. Sagte man den Piraten nicht eine gewisse Ritterlichkeit im Umgang mit Damen nach? Und ich will ja nichts Böses. Aber vielleicht stellt er sich ganz einfach mal vor.“

Heftig vor sich hinmurmelnd über die Unvernunft der jungen Frau war Mrs. Mason in die Küche gegangen, wo sie wild mit Geschirr hantierte, um ihre Erregung abzubauen.

Andrea hatte den beiden jungen Männern Anweisungen gegeben, und so nahm die Einrichtung der Zimmer Formen an.

Ganz besonders hatte es Andrea ein altes Fernrohr angetan, das auf einem Dreibein fest verankert im Wohnzimmer aufgestellt werden sollte. Andrea wollte damit eigentlich über das Land blicken, obwohl es vorher im Esszimmer gestanden hatte, wo es einen herrlichen Blick über die Küste gab.

Doch kaum stand das gute Stück in einer Position, die Andrea gefiel, das stürzte es auch schon zu Boden, als fege ein kalter Wind durch den Raum.

„Ja, da soll doch gleich dieser und jener dreinschlagen“, schimpfte Andrea, nachdem sie zum dritten Mal versucht hatte, das Fernrohr vernünftig aufzustellen.

Einer von den Masons kratzte sich am Kopf. „Tja, Mistress, da kann man wohl nich viel machen. Das Ding gehört ganz einfach nich hierher. Also stellen Sie’s doch einfach zurück, da wo’s hingehört.“

Andrea hörte mit Grausen, wie der junge Mann mit der Sprache umging, das hatte für sie etwas Erschreckendes. Aber dann seufzte sie.

„Nun gut, stellen wir es zunächst zurück, ich will sehen, was mir dazu einfällt.“

3

Noch sah es im Haus wüst und durcheinander aus, als die drei Masons nach Hause gingen. Das gutgemeinte Angebot Andreas, in dieser Nacht doch hier zu bleiben, war unter erregten Handbewegungen und vielfachen Bekreuzigungen abgelehnt worden.

Kopfschüttelnd schloss sie die Tür. Das war schon ein seltsames Völkchen hier oben an der schottischen Küste. Einerseits gastfreundlich und hilfsbereit, andererseits schien es, als wären die Menschen noch immer im dunkelsten Aberglauben gefangen.

Nun gut, für diesen Tag war es müßig, noch einen Gedanken daran zu verschwenden. Andrea ging durch den Flur und sah sich dann selbst für einen Augenblick im Garderobenspiegel. Sie war Anfang dreißig, hatte kurzgeschnittenes, jetzt ziemlich verstrubbeltes Haar und eine schlanke, aber sportliche Figur. Der Kummer über Jacks Tod hatte sich nicht in ihrem Gesicht abgezeichnet, nein, sie war eine attraktive Frau. Und wie Peter, ihr brüderlicher Freund, festgestellt hatte, war sie noch viel zu jung, um sich jetzt in der Einsamkeit zu verkriechen.

Aber Andrea wollte es so, und all die langen Diskussionen hatten sie in diesem Beschluss eher bestärkt.

Jetzt, da sie sich im Spiegel sah, musste sie Peter zumindest zugestehen, dass er in einem Punkt recht hatte. Sie sah immer noch gut aus. Und im roten Licht der untergehenden Sonne nahm ihre Haut einen warmen goldenen Farbton an, der ihr Gesicht fast überirdisch erschienen ließ.

Eine Bewegung lenkte plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Bewegung? Es war doch niemand hier! Aber im Spiegelbild schienen plötzlich die Konturen zu verschwimmen, zu einem anderen Gesicht zusammen zu fließen, zu einem fremden Gesicht: männlich, markant und mit einem etwas grausamen Zug um die Lippen.

Das Bild blieb seltsam unscharf, so als würde jemand versuchen, aus Andreas Gesicht ein anderes zu machen.

Erschreckt blinzelte die Frau und schaute erneut in den Spiegel. Aber jetzt war da nichts anderes als ihr eigenes Abbild.

„Jetzt fange ich auch schon an zu spinnen. Muss wohl an der Luft liegen“, murmelte Andrea vor sich hin und lachte dann über sich selbst.

Da hatte Mrs. Mason sie wohl schon mit dem Gerede über den Kapitän angesteckt.

Andrea schüttelte noch einmal den Kopf und ging in die Küche, um etwas zu essen, aber ein merkwürdiges Gefühl trieb sie ins Esszimmer.

Es schien, als wäre ein Sturmwind im Raum, der sich um das Fernrohr zu konzentrieren schien, und doch war keine Luftbewegung zu spüren.

„Jetzt reicht es aber“, sagte Andrea energisch und laut.

Sie ging zum Teleskop, schaute es sich an und blickte dann hindurch. Da war die See, in regelmäßigen Abständen aufgehellt durch das Licht des Leuchtturms, nichts weiter.

Eine kalte Hand schien plötzlich die ihre zu erfassen, aber da war doch niemand. Und die Berührung war auch gar nicht einmal unangenehm, fast wie ein sanftes Streicheln. Ach, das war ganz einfach ein Wunschtraum, eine erhoffte Berührung von Jack.

„O Jack, du fehlst mir so“, seufzte Andrea. „Warum musstest du so früh sterben?“

Ihr Kopf sank auf das kühle Metall, und heiße Tränen bahnten sich einen Weg aus den brennenden Augen. Wieder war es als, fühle sie eine kalte Berührung, so als streiche Jacks Hand über ihre Haare, tröstend und doch irgendwie verloren. Andrea schniefte laut und wischte sich mit einer trotzigen Geste die Tränen aus dem Gesicht. Es hatte keinen Zweck mehr, Tränen zu vergießen und dem Vergangenen nachzutrauern. Sie war extra hergekommen, um alles hinter sich zu lassen und neu anzufangen. Und genau das würde sie tun.

Und jetzt hatte sie Hunger. Andrea ging in die Küche, um den Kühlschrank zu plündern. Aber soweit kam es nicht. Als sie das Licht anmachte, fiel ihr Blick auf den Tisch. Dann schrie sie in heller Panik auf.

4

Sidney Buchanan lebte seit mehreren Jahren allein in dem alten Haus. Es war aus Bruchstein gebaut, hatte nur zwei Räume, einen Schlafraum und ein kombiniertes Wohn-, Esszimmer, in dessen Nische auch gekocht wurde, und einen riesigen Kamin. Buchanan besaß Vermögen, lebte aber äußerst bescheiden, und er vermied engen Kontakt zu Menschen.

An diesem Abend hatte er einen langen Spaziergang an der Steilküste entlang gemacht, die Dunkelheit war sein liebster Begleiter, und nun war er auf dem Rückweg nach Hause.

Plötzlich zerriss ein gellender Schrei die relative Stille des Abends.

Da befand sich jemand in höchster Not. Sidney mied zwar die Menschen, aber er würde nie jemanden die notwendige Hilfe verweigern.

So schnell seine Füße ihn trugen, rannte er auf das einzige Haus in der Nähe zu, von wo er den Schrei hörte, Ravens Crest.

Ach ja, erinnerte er sich, er hatte beim Einkaufen im Ort gehört, dass jemand dorthin ziehen wollte. Die Spukgeschichten über den Kapitän hatten ihn nie geschreckt, aber das Haus war ihm damals zu groß gewesen, als er selbst ein Anwesen suchte.

Eine hastende, offensichtliche zutiefst in Panik geratene Gestalt stürmte aus dem Haus und rannte blindlings davon, geradewegs auf die Klippen zu.

„He, halten Sie an!“, brüllte Sidney, aber die Gestalt hörte nicht.

Er stieß einen Fluch aus und rannte hinterher. Sidney war durch lange Wanderungen und Kletterpartien gut durchtrainiert und erreichte die Gestalt recht schnell. Er griff danach und stellte fest, dass es sich um eine Frau handelte, die sich in blanker Panik heftig gegen ihn wehrte.

Er sprach laut auf sie ein, aber keines seiner Worte drang zu ihr durch, bis er sie unsanft schüttelte. Langsam klärte sich ihr Blick, doch die Panik verschwand noch nicht vollends, wie er im vorbeihuschenden Licht des Leuchtturms sehen konnte.

„Was ist los? Warum rennen Sie wie eine Wilde durch die Gegend? Wollen Sie sich umbringen?“

Andrea, denn um sie handelte es sich, schaute den Mann noch immer voller Angst an und deutete dann stumm auf das Haus.

„In - in - in der Küche“, stieß sie hervor.

Sidney ließ sie los, warf ihr noch immer einen argwöhnischen Blick zu, ob sie nicht wieder auf die Klippen zurennen würde, und stapfte dann mit schweren energischen Schritten auf Ravens Crest zu. Er kannte das Haus noch ungefähr von der Besichtigung her, als er selbst überlegte hatte es zu kaufen. Und so fand er die Küche auf Anhieb.

Ein seltsamer Anblick bot sich ihm, der eigentlich erwartete hatte, nichts zu finden. Andrea hatte seiner Ansicht nach vor dem Geist Reißaus genommen.

Aber auf dem Tisch, auf dem Mrs. Mason frisches Brot zurückgelassen hatte, saß eine dicke fette Ratte und fraß genüsslich.

Sollte wirklich allein das Tier der Grund gewesen sein, dass die Frau da draußen so durchgedreht war? Sidney tat das nicht als dummes Gerede ab, er wusste, dass es noch schlimmere Ängste gab, die durch wesentliche geringere Anlässe ausgelöst werden konnten.

Trotzdem konnte er nicht anders als laut auflachen. Diese Ratte war eine durchaus reale Bedrohung. Kein, Geist, kein Spuk, keine Einbildungen. Die Frau schien sich zumindest nicht von dem Gerede über den Kapitän einschüchtern lassen. Aber sie würde doch sicher nicht allein hier leben. Wo war denn ihr Mann? Es wäre doch wohl seine Aufgabe gewesen die Ratte zu verscheuchen.

„Na, komm, du“, sagte er noch immer lachend und griff nach einem Nudelholz, das auf einem der Küchenschränke lag, und scheuchte damit die Ratte fort. Mit einem empörten schrillen Quieken verschwand das Tier.

„Es mag ja sein, dass Sie sich über meine Panik amüsieren, und es tut mir auch sehr leid, dass ich Sie augenscheinlich belästigt habe, aber ich habe wirklich panische Angst vor Ratten“, sagte Andrea in diesem Augenblick von der Tür her.

Sie wusste nicht recht, ob sie jetzt nur dankbar sein sollte, weil er ihr geholfen hatte, oder ob sie ihm sein Gelächter verübeln sollte.

Sidney drehte sich zu ihr, sein Gesicht war ernst, und der Ausdruck in seinen Augen mitfühlend.

„Ich habe nicht über Sie gelacht“, erklärte er. „Die Angst die Sie haben, kann ich gut nachvollziehen. Geht es Ihnen jetzt besser? Das Vieh ist weg.“

„Ja, danke“, erwiderte Andrea spröde und musterte den Mann.

Er mochte Anfang bis Mitte vierzig sein, das Haar war weißblond, oder waren es graue Strähnen, die sich darin abzeichneten? Die Augen leuchteten in einem intensiven Blau, das Gesicht wies einige bemerkenswerte Falten auf, als habe dieser Mann tiefes Leid gesehen oder erlebt, aber das konnte auch eine Täuschung sein. Die Kleidung war derb und praktisch, das, was hier draußen angemessen zu tragen war, trotzdem war sie teuer gewesen. Am meisten aber war Andrea von der Stimme fasziniert, sie war tief und dunkel, warm und beruhigend.

Andrea fasste sich. „Entschuldigen Sie, ich glaube, ich war sehr unhöflich. Natürlich bin ich Ihnen dankbar. Ich - es tut mir leid, ganz sicher hätte ich mich nicht so anstellen dürfen. Aber nun gut, egal. Kann ich Ihnen etwas anbieten auf den Schreck?“

Sidney betrachtete die Frau ebenfalls genau, die alles daran setzte, ihre Panik zu überspielen. Sie war seelisch sehr stark, das sah er, aber auch sie hatte einen Ausdruck in den hübschen braunen Augen, der ihm zeigte, dass sie bisher schon viel durchgemacht hatte.

Jetzt bemühte sie sich, den Vorfall herunterzuspielen, aber tief in ihr drin saß die Angst noch immer, bereit wieder zuzuschlagen.

Sidney hätte ihr helfen können, aber er wollte nicht. Hier hatte er keinen Beruf mehr. Und doch, die Frau erinnerte ihn an seine große Liebe, Jane, und das nicht einmal so sehr im Aussehen. Andreas hatte kurzes, braunes, verwuscheltes Haar, das den feingeschnittenen Kopf umgab, die Figur war schlank und doch kräftig. Und die Bewegungen waren zielstrebig und nicht geziert.

Sidney versuchte ein freundliches Lächeln. Es war lange her, dass er das getan hatte, und er fühlte sich komisch dabei. Aber die Frau schien seine Bemühung anzuerkennen.

„Wenn Sie einen Cognac oder einen Whiskey zur Hand haben, sollten wir beide einen trinken“, sagte er dann. „Sie sind immer noch leichenblass. Verbinden Sie ein schlimmes Erlebnis mit Ratten?“

Sofort verschloss sich die Miene von Andrea. Sie hatte ganz sicher nicht vor, mit einem wildfremden Mann darüber zu reden, dass, noch während sie den sterbenden Körper Jacks in den Armen hielt, eines dieser ekligen Tiere direkt aus der Kanalisation aufgetaucht war. Vielleicht hatte der Blutgeruch sie angelockt, auf der Suche nach Nahrung. Andrea hatte jedenfalls nur mit Mühe die Beherrschung gewahrt, als das Vieh immer näher gekommen war. Seit der Zeit aber überkam sie immer wieder die Panik, wenn sie eine Ratte nur sah.

Das alles würde sie diesem Mann jedoch nicht erzählen, es ging ihn nichts an. Sollte er doch glauben, dass sie hysterisch war, das spielte keine Rolle.

„Ich sollte mich wohl erst einmal vorstellen“, sagte sie stattdessen. „Mein Name ist Andrea Parker, ich wohne seit neuestem hier.“

„Sidney Buchanan, ich bin Ihr Nachbar, da drüben.“ Er machte eine vage Handbewegung, doch Andrea verstand. Es war das kleine Haus, dessen Licht sie gesehen hatte.

Sie holte aus einem Schrank zwei Gläser und eine Flasche und goss großzügig ein.

„Wenn Sie öfter zu solchen Panikattacken neigen, sollten Sie sich den Weg zu meinem Haus merken. Das ist nicht ganz so gefährlich wie die Klippen“, bemerkte er, und Andrea wurde rot. „Oder lassen Sie Ihren Mann einen Zaun ziehen. Sieht vielleicht nicht schön aus, kann aber sehr wirkungsvoll sein.“

„Ich lebe allein“, erwiderte sie rasch. „Und ich glaube nicht, dass sich so ein Vorfall wiederholt. Ich danke Ihnen nochmals, Mr. Buchanan. Ihre Hilfe war wirklich willkommen. Aber jetzt ist es spät...“

Er grinste plötzlich, diese Frau begann ihm Spaß zu machen, wie sie über seine provozierenden Worte hinwegging.

„Schade um den guten Whiskey“, meinte er und stürzte sein Glas mit einem Ruck herunter. „Sollten Sie trotzdem nicht weiterwissen - ich wohne da drüben.“

Er wusste nicht, was ihn zu dieser ironischen Bemerkung veranlasst hatte, doch der wütende Blitz aus ihren Augen war es wert. Mrs. Parker hatte Temperament.

Sidney stellte sein Glas ab und tippte sich grüßend an die Stirn. „Gute Nacht, Andrea.“

Sie starrte ihm hinterher. Was für ein komischer Kauz. Auf der einen Seite hilfsbereit und mitfühlend, auf der anderen bitter und ironisch, fast verletzend. Aber gut war es doch, dass er zur Hilfe dagewesen war. Mit Schaudern dachte sie daran, dass sie wirklich geradewegs auf die Klippen zugestürmt war.

Andrea löschte überall das Licht und legte sich zu Bett. Auch hier im Schlafzimmer sah es noch sehr unaufgeräumt aus, aber das war egal. Die erste Nacht in einem neuen Heim. Hieß es nicht, die Träume aus dieser Nacht gingen in Erfüllung?

Noch so ein abergläubischer Unsinn.

5

Er wanderte durch das Haus, wie er es schon seit langer Zeit fast jede Nacht tat. Er sah aus dem Fenster und dachte über diese Frau nach. Sie war eigentlich nicht ängstlich, o nein. Und hübsch war sie auch noch, aber das spielte für ihn im Grunde keine Rolle.

Seine Finger glitten über das Teleskop. Er würde auf keinen Fall zulassen, dass es von diesem Platz verrückt wurde. Von hier aus hatte er Blickfeld auf das Meer, wo eines Tages sein Schiff mit seiner Crew und dem Schatz wieder auftauchen musste. Das war es, worauf er seit ewig langen Zeiten wartete.

Und diese Frau, die jetzt träumend im Bett lag, würde eben mit ihm leben müssen - oder ausziehen. Nun, er wollte ihr das Leben nicht unmäßig schwer machen. Vielleicht konnte er sogar etwas dafür tun, dass sie im Herzen wieder lachen konnte. Dieser Mann, der ihr vorhin das Leben gerettet hatte, wäre ein guter Partner für sie.

Kapitän Ravens schritt durch die Wände hindurch ins Schlafzimmer und streichelte Andrea über die Stirn. Dabei musste er aufpassen, dass seine Hand nicht durch die Frau hindurch glitt.

„Viel zu traurig für so ein junges Leben“, stellte er fest.

Andrea regte sich und murmelte im Schlaf. Raven lachte leise auf und verschwand spurlos.

6

Andrea erwachte am anderen Morgen und fühlte sich wie gerädert. Die Überreste von wirren Träumen geisterten durch ihren Kopf, und der Körper schmerzte. Etwas verwirrt schüttelte sie sich. Der Morgen kroch mit flammender Röte am Horizont hoch und tauchte die felsige Landschaft draußen in blutige Schlieren. Es sah phantastisch aus, versprach aber für den Verlauf des Tages schlechtes Wetter.

Andrea stand im Bad und starrte versonnen hinaus auf das in unwirklich leuchtenden Farben schimmernde Meer. Weiße Gischtkronen tanzten auf den Wellen, und ein kleines Boot fuhr draußen herum, auf dem Weg zur Insel, die bei Flut regelmäßig überspült wurde. Mrs. Mason hatte gestern schon erzählt, dass es dort draußen Krebse zu sammeln gab, ein Leckerbissen für die Einwohner.

Nach einem starken Kaffee war Andrea wieder in der Lage, dem Tag ins Auge zu sehen. Schränke mussten noch aufgestellt und eingeräumt werden, und das große Zimmer im Obergeschoss mit dem Nordfenster sollte zum Atelier werden, wo Andrea ihre Arbeit fortsetzen konnte.

Mrs. Mason kam bereits wieder mit ihren Söhnen, es konnte bald weitergehen. Irgendwann fragte sie nach Sidney Buchanan.

„Ein komischer Kauz ist das“, sagte die ältere Frau mit einem Achselzucken. „Er wohnt seit einigen Jahren hier, hat aber kaum Kontakt zu den Dorfbewohnern, außer zu Jarod McPherson, dem Lehrer. Man sagt - aber ich weiß das ja alles natürlich nicht genau“, beteuerte Mrs. Mason in einem Tonfall, der besagte, dass sie es doch ganz genau wusste, „dass er ein Doktor ist, so einer fürs Gehirn und so. Aber da war wohl eine unglückliche Liebesgeschichte, oder vielleicht auch eine Patientin, das habe ich noch nicht feststellen können. Und danach gab Buchanan seine Praxis auf, kaufte hier das Haus und kümmert sich nur um sich selbst. Sie sollten sich von ihm fernhalten, er kann ausgesprochen grob werden. Oder hat er Sie etwa belästigt?“ Die Augen von Mrs. Mason drückten unverhohlene Neugier aus, und Andrea lächelte.

„Nein, ganz sicher nicht. Ich habe ihn gestern Abend rein zufällig kennengelernt und fand ihn etwas wortkarg. Das ist schon alles.“

Andrea konnte in Mrs. Masons Gesicht lesen, dass sie liebend gern alle Einzelheiten dieses Zufalls erfahren hätte, doch sie wollte keinem Klatsch Vorschub leisten und ignorierte so die unausgesprochene Frage.

Der Tag war ermüdend und anstrengend, wie immer bei einem Umzug, aber am späten Nachmittag sah es dann schon viel wohnlicher aus, und Andrea begann zu glauben, dass dies hier bald ein Zuhause werden konnte.

Dann kam ihr die Idee, dass sie sich vielleicht bei Buchanan ordentlich bedanken und entschuldigen sollte. Sie überlegte nicht mehr lange und verpackte eine gute Flasche liebevoll.

7

„Hallo? Niemand da?“, rief Andrea laut und klopfte noch einmal heftiger gegen die Tür, nachdem auf ihr erstes etwas zaghaftes Pochen keine Reaktion gekommen war. Die Tür schwang jetzt einfach auf, und Andrea schaute ein wenig neugierig hinein. Sie erblickte einen kombinierten Wohn-Essraum. Ein Tisch und einige Stühle standen in der Nähe einer Kochnische, dicht beim Kamin befand sich ein gemütliches Sofa, und an allen Wänden gab es bis unter die Decke Regale, die größtenteils mit Büchern gefüllt waren. Andrea trat vorsichtig und doch neugierig in den Raum.

„Sidney? Mr. Buchanan, sind Sie da?“ Noch immer keine Antwort. Aber die Tür war doch offen, ihm würde doch nichts passiert sein? Achtlos stellte sie ihr Geschenk auf dem Tisch ab und ging entschlossen in die kleine Nische, die zum Kochen diente. Hier war er nicht. Nun, dann gab es wohl nur noch das Schlafzimmer.

Sie legte gerade die Hand auf die Klinke, als in ihrem Rücken eine sarkastische Stimme aufklang.

„Ist das Ihre übliche Art Besuche zu machen? Ich hätte es vorgezogen, Sie hereinzubitten, aber wie ich sehe, ist das überflüssig.“

Sidney Buchanan schien völlig ruhig zu sein, nach außen hin. Doch in seinen Augen loderte unterdrückter Zorn.

Andrea wurde puterrot, und sie suchte nach Worten.

„Ich - ich wollte nicht - eigentlich hatte ich geklopft, aber niemand machte auf. Und dann ging die Tür von allein auf.“

„Und das war Grund genug für Sie, einfach in ein fremdes Haus hineinzuspazieren. Ihnen scheint es egal zu sein, dass andere Menschen eine Privatsphäre besitzen.“

Jetzt regte sich doch gesunder Zorn in der Frau.

„Gerade weil die Tür offen war, hatte ich befürchtet, Ihnen wäre vielleicht etwas passiert. Und da wollte ich nichts weiter als ebenfalls hilfsbereit sein. Im Übrigen war ich gekommen, um mich für Ihre Hilfe gestern zu bedanken. Und mich vielleicht für mein dummes Benehmen zu entschuldigen. Aber ich denke, dessen bedarf es nicht. Ein kleines Präsent steht dort auf dem Tisch, meinen Dank habe ich hiermit abgestattet. Und was dummes Benehmen angeht, scheint es fast, als könnte ich von Ihnen noch einiges lernen.“

Andreas Augen blitzten zornig, und ihre Stimme klang kalt. Sie war innerlich aufgewühlt. Wie konnte dieser Mann es wagen, ihr zu unterstellen, dass sie herumspionierte? Das war nun wirklich das letzte, was ihr in den Sinn gekommen wäre. Sie wollte jetzt sofort hinaus, weg von diesem ungehobelten Kerl, aber der stand immer noch mitten in der Tür, und Andrea hatte eigentlich nicht vor, sich jetzt an ihm vorbeizuquetschen. So stand sie da, ein Bild unterdrückter Erregung, und kein Platz, um einen rauschenden Abgang hinzulegen.

Sidney schaute die Frau an, er zweifelte nicht an ihren Worten. Und er stellte gerade fest, dass Andrea ausgesprochen anziehend aussah, besonders in ihrem Zorn. Aber im Grunde war das alles so lächerlich, ein Missverständnis, nicht wert, noch ein Wort darüber zu verlieren.

Sidney sah sehr wohl die Zwickmühle, in der Andrea sich gerade befand, und er begann plötzlich zu lachen. Ein erneuter Blitz aus Andreas Augen traf ihn.

„Ich weiß wirklich nicht, was es da zu lachen gibt“, fauchte sie und sah dann die vor Vergnügen funkelnden Augen des Mannes.

„Es ist lange her, dass ich so viel Spaß hatte, Mrs. Parker. Diese Situation ist wirklich nur lächerlich. Ich entschuldige mich hiermit für mein unmögliches Benehmen. Selbstverständlich war es eine Frechheit von mir, anzunehmen, Sie könnten etwas anderes als ehrenvolle Absichten verfolgen. Wollen wir das Kriegsbeil wieder begraben? Ich begrüße Sie jetzt einfach als netten, willkommenen Gast.“

„Sie haben eine sehr merkwürdige Auffassung von Gastfreundschaft“, erwiderte Andrea. Aber sie bemerkte die goldene Brücke, die Sidney baute, damit sie beide mit Anstand dieses Missverständnis beseitigen konnten. Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

„Fangen wir von vorn an?“

Sidney lächelte ebenfalls, und Andrea fühlte, wie ihr warm wurde.

„Seien Sie mir willkommen, Andrea. Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?“

8

Es kam plötzlich ein normales Gespräch zustande, worüber sich Sidney selbst am meisten wunderte, hatte er doch, abgesehen von seinem Freund, lange kein gutes Gespräch mehr geführt. Aber Andrea war gebildet, neugierig Neues zu erfahren, und eine gute Zuhörerin, sie interessierte sich für fast alles außer Klatsch.

Und so waren die beiden bei einer Tasse Tee tief in ihr Gespräch vertieft, als es an der Tür klopfte, die gleich darauf einfach aufgestoßen wurde. Wie ein Wirbelwind kam ein Mann herein, hochgewachsen, blond, mit stahlgrauen Augen, die verwundert auf das traute Beisammensein der beiden schauten.

„Schau mal an. Stille Wasser gründen tief, Sidney. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich mit schönen Frauen unterhältst. Ich bin Jarod McPherson.“ Der Mann reichte Andrea die Hand, und aus seinen Blicken sprach Bewunderung.

Sidneys Gesicht hatte sich etwas verdüstert, so als wäre ihm der Besuch seines Freundes im Augenblick ganz und gar nicht willkommen. Andrea stellte sich vor und spürte im gleichen Augenblick wie sympathisch sie Jarod fand. Er hatte eine offene und fröhliche Art, ganz im Gegensatz zu Sidney. Unwillkürlich fragte sie sich, was diese beiden Männer verband.

Jarods Erscheinen beendete die Ernsthaftigkeit der Diskussion, die Andrea uns Sidney sich geliefert hatten. Plötzlich war da etwas, was beiden fehlte, obwohl Jarod unterhaltsam und humorvoll das Gespräch an sich riss.

Schließlich aber brach Andrea auf. Sidney hatte einen fragenden Blick in den Augen.

„Es ist schon dunkel“, gab er zu bedenken. „Ich sollte Sie wohl besser heimbringen.“

„Es ist nicht weit, machen Sie sich bitte keine Umstände“, wehrte die Frau ab.

„Sie kennen sich hier noch nicht so gut aus. Ich würde mir Vorwürfe machen, wenn Ihnen etwas passiert.“

„Wie wäre es, wenn ich Sie nach Hause begleite, mein Weg führt bei Ihnen vorbei“, warf Jarod ein.

„Nein, danke, es ist wirklich nicht nötig.“

Aber Jarod gab nicht so leicht auf, und schließlich stimmte Andrea zu. Sidneys Miene verschloss sich.

„Dann wäre das geklärt. Gute Nacht, Mrs. Parker.“

Diese Worte stieß er schroff hervor, und Andrea fragte sich, was sie jetzt wohl wieder falsch gemacht haben mochte, dass Buchanan so abweisend reagierte. Spontan wandte sie sich ihm noch einmal zu.

„Wenn Sie Lust und Zeit haben, kommen Sie doch morgen auf einen Kaffee vorbei. Wir können das Thema dann noch einmal aufgreifen.“

„Wir werden sehen“, gab er ruhig zurück, und Andrea fühlte sich zurückgestoßen. Aber vielleicht war das wirklich so die Art dieses Mannes. Zumindest hatte er ihr nicht gleich eine Absage gegeben.

Jarod brachte Andrea nach Hause und stellte eine Unmenge Fragen. Als er hörte, dass sie Bücher illustrierte, wurde er eifrig.

„Ich dränge mich nicht gerne auf, aber ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen einmal bei der Arbeit zusehen darf. Wissen Sie, ich bin Lehrer hier am Ort, und ganz sicher hätten auch die Kinder Spaß daran, mehr darüber zu erfahren.“

Unwillkürlich lachte Andrea auf. „Ganz sicher wäre ich als Lehrerin ungeeignet, und Schulstunden halte ich nicht ab. Aber wir können noch einmal darüber reden. Vielleicht lade ich Sie und Ihre Klasse in mein Atelier. Doch zuerst muss ich mich selbst einrichten.“

Eine Weile gingen sie schweigend weiter, bis sie vor dem Haus standen.

„Ich hoffe, der Kapitän machte Ihnen nicht das Leben schwer“, bemerkte Jarod.

„Wer?“, fragte Andrea aus den Gedanken gerissen, dann lachte sie auf. „Oh, das Gespenst meinen Sie. Nein, bisher ist er noch friedlich. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich nicht an Gespenster glaube.“

„Nehmen Sie die Sache bitte nicht auf die leichte Schulter“, warnte Jarod.

„Haben Sie den Kapitän vielleicht schon gesehen, dass Sie so von ihm reden?“, fragte sie spöttisch.

„Gesehen - nein, ja. Als Kind habe ich in dem damals leer stehenden Haus gespielt. Das war damals so eine Art Mutprobe, wissen Sie? Und ich habe seine Anwesenheit gespürt. Doch ja, ich weiß, dass er da ist.“

„Aber Jarod, bitte, das ist nun wirklich zu albern, finden Sie nicht?“ Andrea konnte es wirklich kaum glauben, er meinte seine Worte doch nicht ernst? „Eine gute Nacht wünsche ich Ihnen, Jarod. Und vielen Dank fürs nach Hause bringen.“

„Das habe ich gern getan. Und ich würde mich über ein Wiedersehen freuen.“

„Das lässt sich in einem so kleinen Ort wie diesem wohl kaum vermeiden“, stellte Andrea lächelnd fest.

„Sie nehmen mich nicht ernst“, klagte er, lächelte aber dabei.

„Nun, ich habe Ihnen doch zugesagt, dass ich über einen Besuch im Atelier nachdenke. Mehr kann ich im Augenblick nicht versprechen.“

„Nun gut“, beschied sich Jarod und strahlte sie an. „Dann werde ich mich in Geduld üben. Gute Nacht, Andrea.“

Er verschwand nach wenigen Schritten in der Dunkelheit, während Andrea seufzend die Tür aufschloss. Seltsame Menschen waren das, die hier lebten, Einsiedler, Klatschtanten, nun ja, eigentlich waren es Menschen wie überall woanders auch. Und doch Andrea sie in kurzer Zeit alle auf einmal kennengelernt.

„Jack hätte sich bestimmt königlich amüsiert. Überhaupt hätte es ihm hier auch gefallen“, murmelte Andrea vor sich hin.

Durch die Fenster fiel in regelmäßigen Abständen das Licht des Leuchtturms, und die Frau kuschelte sich in einen Sessel und starrte zum Fenster hinaus.

9

Wie schön sie war.

Kapitän Ravens schaute aus seinem Aufenthaltsort in der Wand auf die Silhouette der Frau, die sich gegen das zeitweise aufleuchtende Licht abzeichnete. Schmerzhaft erinnert dachte er an seine große Liebe, die nun schon so lange tot war, während er immer noch in dieser Zwischenwelt herumgeistern musste. Irgendwie wollte er endlich versuchen, sein unheiliges Leben zu ordnen, um auch in die Ewigkeit eingehen zu können. Und diese Frau hier, die im Herzen so unglücklich war, sollte sein Sprungbrett sein. Er würde ihr zum Lachen und Glücklichsein verhelfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass sein verschollener Schatz wieder auftauchte und an den rechtmäßigen Eigentümer zurückging. Dann würde er endlich in Ruhe richtig sterben können und seine große Liebe, Amalthea, in der Ewigkeit finden können.

Andrea war eingenickt, und Ravens trat jetzt hervor. Ein Mensch hätte in ihm einen durchsichtigen Schemen gesehen, der dennoch eindeutig menschliche Umrisse besaß. Sogar die Kleidung wäre erkennbar gewesen.

Der Geist trat jetzt dicht an das Sofa und strich mit einer behütenden Geste über den Kopf der Frau. Er spürte, dass sie im Traum wieder bei ihrem toten Mann war. Das war nicht gut. Eine Frau in diesem Alter sollte nicht so sehr der Vergangenheit nachtrauern.

Andrea schlug unvermittelt die Augen auf. Ihr Gesicht nahm einen verwunderten Ausdruck an, aber sie machte keine Anstalten zu schreien. Sie holte tief Luft und rührte sich nicht.

„Wer sind Sie?“, fragte sie dann mit unterdrückter Stimme.

„Ich bin der Kapitän. Und Sie sollten jetzt weiterschlafen, meine Liebe.“

Diese Worte kamen wie ein Hauch und doch verstand Andrea jedes Wort. Ein fast unwiderstehliches Schlafbedürfnis machte sich in ihr breit, und sie konnte sich wehren, wie sie wollte, die Augen fielen ihr wieder zu. Morgen würde alles nur ein Traum gewesen sein. Noch im Einschlafen hörte sie aber die Worte des Kapitäns.

„Es wird nicht lange dauern, bis Sie wieder glücklich sind.“

10

Andrea erwachte mit schmerzenden Gliedern. War sie wirklich hier auf dem Sofa eingeschlafen? Und was hatte dieser verrückte Traum zu bedeuten, dass der Kapitän hier vor ihr gestanden hatte?

Energisch stand sie auf. Dieser Unsinn musste endlich aufhören. Und sie würde gleich heute damit anfangen, die letzten Schatten und Erinnerungen zu vertreiben. Das Teleskop kam hier weg, und das Atelier würde heute noch vernünftig für die Arbeit hergerichtet.

Andrea kochte einen starken Kaffee und bereitete sich ein paar Scheiben Toast mit Marmelade. Dann schaltete sie das Radio ein, und Musik klang durch das Haus.

Mit vollem Mund kauend nahm sie das Teleskop hoch und trug es in ihr Atelier im ersten Stock. Hier würde es stehenbleiben, mochte da kommen, was wolle.

Sie putzte die Fenster noch einmal und stellte dann ihren Tisch auf, legte einige angefangene Zeichnungen hin und packte ihre Stifte aus. So, das sah schon fast aus, als könnte sie sich in die Arbeit stürzen. Später würde wieder Mrs. Mason kommen und sich um das Putzen und Kochen kümmern.

Andrea starrte versonnen in den Raum hinein. Es kribbelte sie in allen Fingern, sie wollte endlich wieder zeichnen. Automatisch griffen ihre Hände nach den Stiften, und wenige Minuten später war sie völlig vertieft.

Ein Poltern erschreckte sie. Das Fernrohr lag am Boden. Erstaunt schaute Andrea sich um, niemand war zu sehen. Und doch konnte das Gerät nicht so einfach umgefallen sein. Es stand sicher auf einem dreibeinigen Stativ.

Kopfschüttelnd stand die Frau auf und stellte es wieder richtig hin. Im gleichen Augenblick schrie sie auf, weniger vor Schmerz als vor Verblüffung. Jemand oder etwas hatte sie am Arm berührt. Aber hier war doch niemand.

Argwöhnisch blickte Andrea sich um, fing sie langsam an zu spinnen?

„Verdammt, dieses Ding bleibt hier stehen, weil ich es so will. Und da muss schon mehr kommen als ein blödes Gespenst“, schimpfte sie vor sich hin.

Kaum hatte sie sich umgedreht, um sich wieder an ihren Tisch zu setzen, fiel das Fernglas wieder um.

Jetzt griff doch nackte Angst nach Andrea, aber sie wollte sich nicht so einfach kleinkriegen lassen. Erneut stellte sie das Teleskop auf.

„Verstehen Sie mich, Sie Geist, Sie?“, sagte Andrea laut. „Ich will, dass dieses Ding hier stehenbleibt. Und wenn Ihnen das nicht passt, kann ich es leider nicht ändern. Es steht Ihnen aber frei, auszuziehen. Und nun möchte ich Sie bitten, mich in Ruhe arbeiten zu lassen. Außerdem, welches anständige Gespenst spukt am Tage herum? Tun Sie das doch bitte, wenn ich nachts schlafe, dann kommen wir uns auch nicht in die Quere.“

Andrea schüttelte plötzlich über sich selbst den Kopf. Da redete sie schon mit der Luft. Es wurde wirklich Zeit, dass sie wieder zur Ruhe kam.

Sie setzte sich hin und erwartete schon fast, dass das Fernglas wieder umfallen würde. Doch nichts geschah. Andrea atmete auf. Ganz sicher war sie ein Opfer ihrer eigenen überreizten Phantasie geworden.

„Na also, geht doch“, murmelte sie und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit.

Plötzlich aber fühlte sie sich unbehaglich. Ihre Hand, in der sie den Stift hielt, zitterte und gehorchte ihr nicht mehr. Unwiderstehlich wurde ihre Hand gezwungen Buchstaben zu schreiben, die nicht von Andrea gewollt waren. Sie versuchte den Stift wegzuwerfen, aufzustehen, davonzulaufen - irgendetwas zu tun, aber sie war wie gelähmt. Der Stift glitt über das Papier, schrieb Wort an Wort, und Andrea erfasste zunächst noch gar nicht, dass es sich um eine Botschaft an sie selbst handelte.

Irgendwann ließ der innere Zwang nach, sie warf den Stift von sich fort, als wäre er aus rotglühendem Eisen, sprang auf und lief wie von Furien gehetzt aus dem Raum. Ohne nachzudenken führte ihr Weg zur Haustür, sie wollte nur weg. Doch dann riss sie die Haustür auf und lief jemanden über den Haufen.

„Hoppla, sind Sie stürmisch“, sagte die warme Stimme von Sidney Buchanan und hielt sie fest an sich gedrückt.

Er sah die Angst in ihren Augen.

„Wieder eine Ratte?“, fragte er, aber Andrea schüttelte stumm den Kopf. Jetzt kam ihm die Sache komisch vor, denn die Frau machte auf ihn nicht den Eindruck, als wäre sie von Ratten abgesehen, besonders ängstlich.

„So, jetzt beruhigen Sie sich erst einmal. Ich bin ja bei Ihnen. Kommen Sie, setzen wir uns, und Sie erzählen mir, was los ist.“

Andrea ließ sich von Sidney in die Küche führen. In der Thermoskanne war noch Kaffee, und Sidney goss für beide eine Tasse ein. Aus Andreas Augen verschwand der panikartige Ausdruck, und sie kam sich plötzlich unsagbar dumm vor, aber Sidneys Augen ruhten mitfühlend auf ihr.

„Sie sehen wahrhaft aus, als hätten Sie einen Geist gesehen“, stellte er fest, und bemerkte, dass sich wieder ein angstvoller Blick bei Andrea einschlich. Natürlich kannte er mittlerweile alle umlaufenden Geschichten über den Kapitän, und er vermutete, dass sie davon beeinflusst war.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Frau sich wieder beruhigt hatte. Und dann war sie einfach nur noch verlegen. Doch Sidney beharrte darauf, dass sie ihm alles erzählte, und dann blickte er eher skeptisch.

„Er hat mit Ihrer Hand geschrieben, ja? Klingt äußerst unwahrscheinlich. Andererseits waren Sie wirklich voller Panik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich das eingebildet haben. Lassen Sie uns nachsehen, was auf dem Blatt steht.“

„Es war klar, dass Sie mir nicht glauben“, seufzte Andrea. „Ich glaube mir ja selbst nicht recht. Es klingt ja auch irgendwie lächerlich. Verzeihen Sie mir bitte, und lassen wir das Thema einfach. Sind Sie gekommen, um einen Kaffee mit mir zu trinken? Das finde ich ausgesprochen nett von Ihnen.“

Sie verfiel in einen leichten Plauderton, aber Sidney hatte nicht vor, sich davon ablenken zu lassen. Irgendetwas stimmte hier nicht, entweder mit der Frau oder mit dem Haus. Und er wollte dieses Rätsel jetzt lösen.

Er stellte seine Kaffeetasse ab und griff nach Andreas Arm.

„Kommen Sie, Andrea, egal wie verrückt die ganze Sache auch sein mag. Ich möchte jetzt dieses beschriebene Blatt sehen.“

Andrea gab nach. Im Übrigen war sie mittlerweile selbst von Neugier erfasst worden. Sidney war erstaunt, wie schnell und praktisch sie das Atelier aufgebaut hatte. Es war ein heller freundlicher Raum, an dessen Wänden einige ihrer besten Zeichnungen hingen. In einem Regal stapelten sich Bücher, die sie bearbeitet hatte, und noch mehr Bücher standen in Kisten umher, die noch ausgepackt werden mussten. Auf dem großen Zeichentisch, der von einer Lampe schattenlos ausgeleuchtet wurde, lag ein Blatt. Sidney nahm es prüfend in die Hand.

„Das ist nicht Ihre Handschrift, nein?“, erkundigte er sich, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten.

Es war ausgesprochen krakelig geschrieben und nur schwer zu entziffern. Einzelne Buchstaben waren verschnörkelt, wie man es früher getan hatte.

Sidney brauchte eine Weile, bis er die Nachricht gelesen hatte; Andrea blickte ihm über die Schulter und versuchte mitzulesen.

„ Dies ist mein Haus. Ich will keine Veränderungen. Stellen Sie das Fernglas zurück, oder Sie werden es bereuen!“

Sidney starrte verständnislos auf die Zeilen, während Andrea nervös auflachte.

„Das kann ja nicht wahr sein!“, ächzte sie.

„Meint er dieses Teleskop?“, fragte Sidney und deutete auf das Gerät.

„Ja. Und der Teufel soll mich holen, wenn ich es zurückstelle“, trumpfte sie auf.

„Der Teufel wird Sie auch holen, wenn Sie es nicht tun“, erklärte Sidney sanft. „Haben Sie schon vergessen, in welchem Zustand Sie gerade waren? Es kam Ihnen als reale Bedrohung vor. Legen Sie Wert auf weitere dieser Erlebnisse?“

Andrea wurde kleinlaut. „Ich kann mich doch nicht von einem Geist einschüchtern lassen. Es gibt keine Geister. Vielleicht steckt da irgendwo etwas Dunkles in mir. Aber ganz sicher kein Geist.“

„Sie sind sehr schnell mit Ausreden bei der Hand“, bemerkte Sidney trocken. „Und aus Erfahrung kann ich sagen, dass es nicht immer eine logische Erklärung für solche Vorfälle gibt.“

„Ach, Sie glauben also an Geister?“, höhnte Andrea. „Dann teilen Sie doch bitte dem herumspukenden Kapitän mit, dass ich nicht gewillt bin, mich seinen Launen zu unterwerfen.“

Andrea redete sich in Zorn, aber Sidney erkannte sehr wohl, dass sie am Rande der Hysterie stand. Kein Wunder eigentlich nach den Erlebnissen, die sie bis jetzt hier gehabt hatte. Er musste versuchen, sie wieder zum normalen Denken zu bringen, aber das würde nicht ganz einfach sein.

„Ich wohne leider nicht hier. Sie müssen sich mit dem Herrn schon selbst auseinandersetzen“, bemerkte er darum trocken.

„Aber ich will das nicht. Ich will doch nichts weiter als meine Ruhe“, rief Andrea plötzlich. „Habe ich denn noch nicht genug hinter mir?“

Tränen liefen plötzlich über ihre Wangen, ohne dass sie weinte, und aus ihren Augen sprach unendliches Leid.

Sidney zog sie zart an sich. „Ist ja gut“, tröstete er sanft. „Sie machen das schon. Sie sind eine starke Frau, und Sie lassen sich bestimmt nicht von einem Geist kleinkriegen. Suchen Sie Ihre Kraft, Andrea, Sie können das. Zeigen Sie dem Kapitän die Zähne. Aber provozieren Sie ihn nicht zu sehr.“

Es tat so gut, an dieser breiten ruhigen Brust zu liegen und den starken regelmäßigen Herzschlag zu hören. Andrea beruhigte sich, und statt der Verzweiflung fühlte sie einen gesunden Zorn in sich aufsteigen. Langsam, fast widerwillig löste sie sich von Sidney. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie ihn jetzt verlegen anschaute.

„Sie müssen mich für ein ziemlich dummes Gänschen halten“, sagte sie leise.

„Nein, eigentlich nicht. Ich denke, dass Sie nicht nur hier einiges an Problemen hinter sich haben. Vielleicht wollen Sie irgendwann einmal darüber reden. Aber jetzt lassen Sie erst einmal alles stehen und liegen. Ruhen Sie sich vom Umzug aus, gehen Sie spazieren, schlafen Sie, soviel Sie können, und morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.“

Hatte er ihr wirklich gerade angeboten, ihm ihr Herz auszuschütten? Das war eigentlich nicht seine Absicht gewesen, das alles hatte er hinter sich gelassen, so war bisher seine Meinung gewesen. Doch diese Frau hatte etwas Besonderes an sich.

„Sie haben wahrscheinlich recht“, sagte Andrea in diesem Moment. „So langsam wird es aber zur Gewohnheit, dass ich Ihre Hilfe in Anspruch nehme. Ich sollte mir eine angemessene Art ausdenken, Ihnen zu danken. Für heute, Sidney, meinen herzlichen Dank. Mehr weiß ich nicht zu sagen.“

Sidneys Blick fiel plötzlich auf eine von Andreas Zeichnungen. Sie hatte sie hier mit anderen zusammen auf dem Tisch liegen, weil sie noch keinen rechten Platz dafür gefunden hatte.

„Das ist sehr gut“, sagte er und betrachtete das Blatt interessiert. Es zeigte eine Straße in London, Häuser wohlhabender Menschen, Bäume entlang der Bürgersteige und nur wenige Personen. Fast ein Idyll.

„Ich frage nicht gern“, sagte Sidney mit rauer Stimme. „Aber wenn ich das haben dürfte...“