Romantic Thriller Viererband 1013 - Ann Murdoch - E-Book

Romantic Thriller Viererband 1013 E-Book

Ann Murdoch

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane von Ann Murdoch und Carol East: Blutschwestern (Ann Murdoch) Teufelsspiel (Ann Murdoch) Das verhängnisvolle Tagebuch (Ann Murdoch) Das unheimliche Haus auf dem Hügel (Carol East) Sonya war ahnungslos. Eigentlich war sie hergekommen, um eine ganz besondere Art von Arbeit auszuführen. Höflich ausgedrückt gehörte sie zum horizontalen Gewerbe. Es war schon seltsam, dass man sie zu diesem doch vornehmen Haus geladen hatte. Aber sicher würde die Bezahlung dann auch dementsprechend vornehm sein. Sie lächelte den Mann vor sich einladend an und wollte schon den Reißverschluss ihres hautengen Kleides öffnen. Eine rasche unerwartete Bewegung irritierte sie jedoch, und dann spürte sie den Einstich einer Spritze. Noch bevor sie aufschreien konnte, sackte ihr Körper zusammen. "Sie müssen keine Angst haben", sagte der Mann, der ihren schlaffen Leib jetzt durch den Raum zerrte und dann auf einem Stuhl ablegte. Gurte an den Armlehnen und auch unten an den Stuhlbeinen wurden festgezogen, dann wurde auch der Kopf fixiert. Ein irres Lachen brach sich Bahn aus der Kehle des Mannes. "Ich will Ihnen nichts Böses, ganz im Gegenteil. Sie nehmen teil an einem faszinierenden Experiment, in dessen Verlauf Ihr Geist ungeahnte Höhen erreichen wird. Sie werden sich verändern von einer einfachen Frau von der Straße zu einer wahren Geistesgröße. Ihre Intelligenz und Ihre Ausdauer werden sprunghaft zunehmen, und Sie werden auf jedes Wort von mir hören. Gemeinsam werden wir dann völlig neue Wege gehen." Ein Irrer!, schoss es Sonya durch den Kopf. Bisher hatte sie Glück gehabt mit ihren Kunden, so einer war ihr noch nicht begegnet.

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Ann Murdoch, Carol East

Romantic Thriller Viererband 1013

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Inhaltsverzeichnis

Romantic Thriller Viererband 1013

Copyright

​Blutsschwestern

​Teufelsspiel

​Das verhängnisvolle Tagebuch

Das unheimliche Haus auf dem Hügel: Mitternachtsthriller

Romantic Thriller Viererband 1013

Ann Murdoch, Carol East

Dieser Band enthält folgende Romane

von Ann Murdoch und Carol East:

Blutschwestern (Ann Murdoch)

Teufelsspiel (Ann Murdoch)

Das verhängnisvolle Tagebuch (Ann Murdoch)

Das unheimliche Haus auf dem Hügel (Carol East)

Sonya war ahnungslos. Eigentlich war sie hergekommen, um eine ganz besondere Art von Arbeit auszuführen. Höflich ausgedrückt gehörte sie zum horizontalen Gewerbe. Es war schon seltsam, dass man sie zu diesem doch vornehmen Haus geladen hatte. Aber sicher würde die Bezahlung dann auch dementsprechend vornehm sein.

Sie lächelte den Mann vor sich einladend an und wollte schon den Reißverschluss ihres hautengen Kleides öffnen. Eine rasche unerwartete Bewegung irritierte sie jedoch, und dann spürte sie den Einstich einer Spritze. Noch bevor sie aufschreien konnte, sackte ihr Körper zusammen.

„Sie müssen keine Angst haben“, sagte der Mann, der ihren schlaffen Leib jetzt durch den Raum zerrte und dann auf einem Stuhl ablegte. Gurte an den Armlehnen und auch unten an den Stuhlbeinen wurden festgezogen, dann wurde auch der Kopf fixiert.

Ein irres Lachen brach sich Bahn aus der Kehle des Mannes. „Ich will Ihnen nichts Böses, ganz im Gegenteil. Sie nehmen teil an einem faszinierenden Experiment, in dessen Verlauf Ihr Geist ungeahnte Höhen erreichen wird. Sie werden sich verändern von einer einfachen Frau von der Straße zu einer wahren Geistesgröße. Ihre Intelligenz und Ihre Ausdauer werden sprunghaft zunehmen, und Sie werden auf jedes Wort von mir hören. Gemeinsam werden wir dann völlig neue Wege gehen.“

Ein Irrer!, schoss es Sonya durch den Kopf. Bisher hatte sie Glück gehabt mit ihren Kunden, so einer war ihr noch nicht begegnet.

Copyright

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​Blutsschwestern

von Ann Murdoch

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Träge floss das Blut aus der Wunde. Zwei erschreckte Kinderaugen starrten darauf, richteten sich dann auf das andere bleiche Gesicht, aus dem ebenfalls zwei große Augen auf einer weiteren Wunde verharrten, der auch ein dicker Tropfen Blut entwich.

„Los jetzt!", sagte Rachel Norton gespielt mutig.

Helen, ihre beste Freundin, holte tief Luft. Dann pressten die beiden zehnjährigen Mädchen ihre Hände fest aufeinander, das Blut der Kinder mischte sich. Die Menge war nicht groß genug, um eine allergische Reaktion oder einen anaphylaktischen Schock hervorzurufen, doch für die beiden Mädchen war es mehr als nur eine Symbolik.

„Jetzt sind wir Blutsschwestern“, strahlte Rachel glücklich. „Damit sind wir unser Leben lang verbunden. Auch wenn wir mal auseinandergehen, wir gehören immer zusammen. Für alle Zeiten.“

Die Kinder strahlten sich an. Es war eine verrückte Idee gewesen, doch überall las und hörte man nur etwas über „Blutsbrüderschaft“. Die beiden hatten daraufhin beschlossen, diese Domäne der Jungen zu durchbrechen, ab heute waren sie blutsverwandt, Blutsschwestern eben. Beide konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass sich dieser Einfall ihrer Kindheit einmal als verhängnisvoll für sie beide erweisen sollte.

Das alles lag jedoch noch weit in der Zukunft.

*

26 Jahre später:

Die trockene Hitze trieb Rachel Norton den Schweiß auf die Stirn. Nachlässig wischte sie mit dem Handrücken über die Schläfen, dann konzentrierte sie sich wieder auf das schwere uralte Buch, das vor ihr auf dem wackeligen Tisch lag. Wenn man es denn ein Buch nennen wollte – es handelte sich dabei um einen Kasten aus massivem Holz, in dem eine Reihe von Papyrus-Rollen lag, die sich überraschend gut erhalten hatten.

Rachel Norton befand sich mitten in der Wüste Ägyptens. Etwa fünfzig Kilometer entfernt vom Tal der Könige war eine neue Grabung überraschend fündig geworden. Ein längst vergessenes Grab war von einer Gruppe Amateurarchäologen entdeckt worden. Niemand hatte damit gerechnet, dass man hier mehr finden würde als vielleicht einen paar alte Scherben und einige Knochen. Deshalb hatte auch die Verwaltung ohne Bedenken eine Genehmigung erteilt, was sollte hier schon gefunden werden? Dabei hätte man es vielleicht doch besser wissen sollen.

Aber dieses Grab war versiegelt gewesen. Und die Kartuschen am Eingang erzählten davon, dass es sich um eine Prinzessin handelte, deren Namen jedoch aus dem Buch des Lebens systematisch gestrichen worden war. Ein Widerspruch, wie Rachel und ihr Freund Gordon Brown fanden. Bisher hatten sie die Behörden noch nicht verständigt, was eigentlich ihre Pflicht war, denn jeder Fund gehörte grundsätzlich dem Staat. So wollte man verhindern, dass unkontrollierte Funde auf dem schwarzen Markt verkauft wurden. Natürlich war auch das keine endgültige Kontrolle, doch wenn die Forscher wussten, dass man ihnen auf die Finger schaute, war die Versuchung schon nicht mehr ganz so groß.

Gordon war gar nicht begeistert davon gewesen, dieses Grab zu öffnen, seiner Meinung nach sollte man das den offiziellen Stellen überlassen. Doch Rachel und die beiden anderen, Jack Mitchell und Bryan Emerson, hatten ihn überstimmt. Widerstrebend hatte er mitgeholfen die schweren Steine beiseite zu schieben, in die eine unmissverständliche Warnung eingemeißelt war. Die Skepsis und Skrupel des jungen Mannes verschwanden jedoch rasch, als er die Grabkammer betrat. Etwas so phantastisches hatte noch keiner von ihnen je gesehen.

Alle vier fielen sich in die Arme, bejubelten ihren Fund und schmückten sich gegenseitig mit den hier vorgefundenen Schätzen. Die drei Männer flippten förmlich aus angesichts des ungeheuren Fundes.

Nur Rachel hatte etwas anderes entdeckt, was sie persönlich viel mehr interessierte. Da die Frau als Nebenfach an der Universität Ägyptologie belegt hatte, war es für sie relativ einfach gewesen zu entziffern, um was es sich handelte. Sie strich mit den Fingern zärtlich über die Verzierungen auf einem Kasten, bevor sie ihn öffnete: Ein ganz besonderes Totenbuch!

Während die anderen eifrig daran gingen, die Schätze genau zu katalogisieren, hatte Rachel sich mit dem Kasten und den Papyrus-Rollen zurückgezogen und las zunächst flüchtig die faszinierende Geschichte einer totgeschwiegenen Prinzessin. Die Männer suchten nach dem Sarkophag, der zu diesem Grab gehörte, doch in dieser Kammer befand er sich nicht, aber Rachel war urplötzlich auf der Spur einer ungeheuerlichen Geschichte. In den vier Ecken der Kammer fand sie verborgen in den Wänden die Kanopenkrüge mit den Innereien der toten Prinzessin. Und das Buch der Toten, das Rachel immer mehr in seinen Bann zog, ließ sie nicht mehr los.

Eine Reihe von Beschwörungen stand da beschrieben, es schien ein Liebesdienst zu sein, mit dem jemand die geliebte Frau wieder ins Leben zurückholen wollte.

*

Als Helen Jefferson an diesem Abend müde und erschöpft heimkehrte, fand sie in der Post ein kleines Päckchen. Eine Reihe von bunten und verwischten Stempeln wies darauf hin, dass dieses Päckchen schon einen langen Weg hinter sich hatte. Der Absender war verschmiert und unleserlich, doch die Journalistin konnte unschwer erkennen, dass der Ort der Aufgabe Kairo gewesen war. Kairo, Ägypten – Helen kannte auf Anhieb niemanden dort.

Alles Rätselraten hatte aber doch keinen Zweck, entschlossen öffnete die Frau die Verpackung. Ein Brief fiel heraus, und diese Handschrift erkannte Helen, sie gehörte ihrer Freundin, ja, ihrer Blutsschwester Rachel Norton. Natürlich nahm heute keine der beiden Frauen ihr damaliges Tun noch ernst, aber die Freundschaft hatte sich erhalten, auch wenn der Kontakt unregelmäßig war und die beiden sich nur selten sahen.

Was machte Rachel in Kairo? Ein kleiner eingewickelter Gegenstand war mit auf den Tisch gefallen. Helen wickelte das feine Papier ab und hielt dann die Luft an. Eine wunderschön gearbeitete Statue der ägyptischen Katzengöttin Bastet kam zum Vorschein, aus reinem Silber mit Smaragden als leuchtend grünen Augen. Ein wunderschönes Stück, und wahrscheinlich sehr wertvoll, wenn auch nicht echt.

„Liebste Helen, ich muss dir etwas Wundervolles berichten“, begann der Brief von Rachel. „Ein paar Freunde und ich haben eine Grabung gestartet – du glaubst ja gar nicht, wie viele Genehmigungen, Bedingungen und Auflagen dafür nötig sind. Aber, nun gut, es ist nicht zu glauben, wir sind fündig geworden. Stell dir das vor! Außer dem Ruhm wird uns davon vermutlich nicht viel bleiben, weil das Land alle Funde beansprucht. Aber wir haben ein verschlossenes Grab gefunden, ist das nicht phantastisch? Nein, diese kleine Miezekatze stammt nicht aus dem Grab, ich fand sie im Basar und glaube, dass sie dir gefallen wird. Doch das alles ist noch nicht das Beste, was mir widerfahren ist. Kaum zu glauben, aber ich habe ein besonderes Totenbuch entdeckt, und dazu Kanopenkrüge. Du wirst es vielleicht nicht verstehen, aber ich habe die Entscheidung getroffen, diese Entdeckung den Behörden zu verschweigen. Denn nun will ich auch den Sarkophag finden, der zu den Einzelteilen gehört. Ich werde hoffentlich bald wieder in London sein, dann erzähle ich dir mehr. Mach’ dich auf eine total verrückte Geschichte gefasst. Jetzt kann ich dir nur sagen, dass du exklusiv darüber berichten kannst, wenn die ganze Sache offiziell wird. Schließlich bist du immer noch meine Blutsschwester. Vorerst aber bitte ich dich, darüber zu schweigen, dass ich mich noch auf der Suche nach dem Sarkophag befinde. Ich grüße dich, Liebste, bis bald, deine Rachel.“

Das war ja nun mal eine seltsame, wenn auch erfreuliche Überraschung. Helen lächelte, wenn sie an Rachel dachte. Die Freundin besaß ein übersprudelndes Temperament, war spontan in ihren Einfällen und von einer mitreißenden Begeisterung, die allerdings oft genug nicht lange anhielt. Nach der Schule hatten sich ihre Wege getrennt. Helen hatte ihr Studium in London gemacht und bei einer kleinen, heute nicht mehr existierenden Zeitung, ihr Volontariat absolviert, Rachel hatte an wechselnden Universitäten im In- und Ausland ein Studium zur Graphikerin gemacht, dabei allerdings niemals ihren ganz persönlichen Traum Ägypten vergessen. Das war und blieb das einzig konstante in ihrem Leben.

Und nun war sie wirklich inmitten einer Ausgrabung und hatte auch noch etwas gefunden. Großartig!

Helen freute sich für Rachel. Noch viel mehr aber freute sie sich, mal wieder von der Freundin zu hören. Sie war so oft unterwegs, dass Helen es fast aufgegeben hatte, die jeweiligen Adressen ausfindig zu machen.

Jetzt betrachtete sie noch einmal die kleine Katzenfigur, ein wirklich selten schönes Stück. Vielleicht sollte man mal einen Artikel über ägyptische Kunst in der Zeitung bringen, die Schönheit der Gegenstände zog die Menschen immer wieder in ihren Bann. Und der „Weekly Mirror“, für den Helen arbeitete, gehörte zu den Blättern, in denen solche Themen geschickt aufgegriffen werden konnten. Da England maßgeblich immer wieder an den großen Funden beteiligt gewesen war, gab es auch in Museum eine ganze Abteilung, die sich allein damit beschäftigte. Helen beschloss, mal wieder einen Bummel durch das Museum zu machen, viel zu lange schon war sie nicht mehr dort gewesen.

In der Redaktion war man überrascht, dass Raymond Brody, der Chefredakteur und Helens erklärter Widersacher, nichts dagegen einzuwenden hatte, dass sie sich diesem Thema widmen wollte. Doch die sogenannte Saure-Gurken-Zeit stand vor der Tür; Parlaments- und sonstige Ferien sorgten dafür, dass Nachrichten spärlich wurden, jede Meldung war im Augenblick überhaupt eine Meldung.

Helen packte ihr notwendiges Handwerkszeug ein, meldete sich beim Kurator des Museums an, um einen Termin zu bekommen und war schon auf dem Sprung, als das Telefon klingelte.

Eine Nachricht? Eine Sensation? Was auch immer, im Augenblick war jeder Reporter dankbar für jede noch so winzige Information.

Doch es war am anderen Ende Sir Thomas Harding, der bekannte Psychologe und Helens Freund, der sich mit einem fröhlichen Gruß meldete.

„Ich wollte Sie zum Essen einladen, haben Sie Zeit und Lust?", klang die warme vertraute Stimme auf.

„Eigentlich nicht“, bedauerte Helen. „Ich bin auf dem Weg ins Nationalmuseum, um die Mumien dort einer strengen Prüfung zu unterziehen.“

„Ich bin erschüttert, Helen, Sie ziehen das Beisammensein mit toten Königen, Stieren, Schakalen und Katzen einem Essen mit mir vor?“ Seine Stimme war voller Spott.

Selbstverständlich war ihm klar, dass es sich um Arbeit handeln musste, doch zwischen ihnen beiden herrschte oft eine freundschaftliche Neckerei, manchmal aber auch ein bisschen mehr.

Die beiden hatten gemeinsam einige haarsträubende unglaubliche Abenteuer erlebt, die meist damit zusammenhingen, dass Sir Thomas einer weiteren Passion nachging – er war im Vereinten Königreich der wohl angesehenste Parapsychologe. Das bedingte offenbar, dass sich in seiner Umgebung ständig merkwürdige Kriminalfälle abspielten, die nicht immer ungefährlich waren. Harding hatte an Helen einen Narren gefressen, und es bereitete ihm Freude, sie an seiner Seite zu haben, wenn etwas Ungewöhnliches geschah. Sie waren beide wie Feuer und Wasser; war er oft gerne bereit zu glauben, dass es sich um übersinnliche Phänomene handelte, so hatte Helen einen praktischen Sinn und viel Skepsis, die allerdings auch nicht immer verhindern konnten, dass es sich wirklich um phantastische Eigenheiten handelte.

Helen lachte nun kurz auf. „Das hat gute Gründe, Sir Thomas, Mumien widersprechen mir nicht, provozieren mich nicht, und sie ziehen mich auch nicht ständig in mysteriöse Angelegenheiten hinein, bei denen dann mein Leben auf dem Spiel steht.“

Einen Moment herrschte gekränkte Stille. „Sie wollen also wirklich ein total langweiliges Leben führen, Helen? Sie wollen Ihre Tage planen von vorne bis hinten, ohne auf Überraschungen gespannt zu sein?“

„Die Überraschungen, die mein Chefredakteur für mich bereit hält, reichen mir eigentlich voll und ganz“, seufzte die Frau. „Aber wenn Sie selbst Langeweile haben sollten, rate ich Ihnen, mich zu begleiten. Vielleicht erweitert das Ihren Horizont.“

„Eine derart spitze Bemerkung hätte ich jetzt nicht von Ihnen erwartet, liebste aller Freundinnen. Aber damit Sie sehen, dass ich es gut mit Ihnen meine, treffen wir uns in einer halben Stunde vor dem Nordeingang des Museums am Montague Place. Das müssten Sie doch schaffen, oder?“

„Ich schon“, erwiderte sie trocken. „Aber glauben Sie ernsthaft, Sie kommen mit dem Auto so schnell durch den Verkehr?“

Helen spürte förmlich seine Belustigung am anderen Ende.

„Ich habe nur ein paar Schritte zu gehen, ich bin gerade beim Dekan der Uni.“

Helen seufzte erneut. „Sie haben auf alles eine Antwort. Na gut, in einer halben Stunde also.“

Aus einer Laune heraus hatte Helen die Katzengöttin eingesteckt. Sicher war es kein echtes Stück, aber vielleicht wusste der Kurator doch etwas dazu zu sagen. Sie machte sich auf den Weg. Irgendwie freute sie sich doch auf das unerwartete Wiedersehen mit Sir Thomas.

*

Mitten in dem Raum, der von dichten Vorhängen vor dem hellen Sonnenlicht geschützt wurde, entstand aus dem Nichts eine Gestalt – eine weiße Frau. Sie bewegte sich langsam, streckte die Arme aus und wollte nach dem Mann greifen, der in unmittelbarer Nähe zu ihr saß. Der wich unwillkürlich zurück, obwohl er genau wusste, dass diese Erscheinung ihm nichts anhaben konnte. Eine Stimme wie aus einem Grab hallte durch den Raum, und auch die anderen Anwesenden konnten nicht verhindern, dass ihnen eine Gänsehaut über den Körper lief.

Dann erklang eine andere, vertraute Stimme, es wurde wieder hell im Raum, und die unheimliche Atmosphäre schwand.

„Beweise, meine Damen und Herren, Beweise sind das, was wir alle brauchen. Und eine solche Geistererscheinung wie diese hier ist kein Beweis. Das lässt sich relativ einfach mit wenigen technischen Mitteln erreichen.“ Die warme, sonore Stimme von Professor Sir Thomas Harding klang durch den Vorlesungsraum der angesehenen Londoner Universität.

Der berühmte Psychologe hielt in regelmäßigen Abständen seine Vorlesungen, und wie immer war auch dieses Mal jeder Platz besetzt. Harding hatte eine besondere Art Wissen zu vermitteln, und nicht selten führte er das absurde an, um das wirkliche und mögliche aufzuzeigen.

„Mit den heutigen Methoden der modernen Wissenschaft und Technik können Sie sowohl Illusionen erzeugen, wie auch psychische Phänomene deutlich machen“, fuhr er fort. Er hütete sich, direkte Parallelen zwischen der nüchternen Psychologie und seinem Lieblingsthema, der Parapsychologie, zu ziehen, das könnten ihm weniger wohlmeinende Kollegen als Humbug ankreiden. Doch es war immerhin sein „Nebenberuf“, er beschäftigte sich immer wieder mit Grenzerscheinungen, von denen sich die meisten jedoch selbst als Schwindel entlarvten.

Hier in dieser Vorlesung ging es jedoch um die klassische Psychologie, zu deren Randgebieten aber auch Geistererscheinungen zählten.

„Wenn Sie jemals auf dieses Phänomen bei einem Patienten treffen, halten Sie ihn nicht gleich für einen pathologischen Fall. Das menschliche Gehirn ist zeitweise in der Lage eigene Welten zu erschaffen und den Menschen in dem Glauben zu lassen, dass er sich vollkommen normal benimmt, während er für seine Umwelt völlig irrational daherkommt. Dies kann geschehen durch einen Schock, Überlastung wie Trauer oder Schmerz, oder durch den Verlust eines geliebten Menschen. Dadurch kann es durchaus zu solchen Erscheinungen kommen. Diese hier im Raum war allerdings künstlich. Trotzdem kann der Wunsch, einen verlorenen geliebten Menschen wieder bei sich haben zu wollen, solche Halluzination hervorrufen. Hüten Sie sich davor, meine Damen und Herren, ein vorschnelles Urteil zu fällen. Ein guter Psychologe wird niemals einfach ein Urteil fällen, sondern er wird zunächst seinem Patienten glauben. Denn für den ist das alles real, dieses ist die erste Prämisse, von der Sie ausgehen müssen.“

Während seiner Worte, die er so oder ähnlich schon oft gesagt hatte, war die Geistererscheinung reglos stehen geblieben, ebenso wie Harding selbst. Nun, da er sich bewegte, tat es die weiße Frau auch. Ein Aufschrei ertönte, zu überraschend und erschreckend kam das für einige der Studenten.

Sir Thomas lachte kurz auf. „Ich vergaß, Ihnen zu sagen, dass es sich bei dieser weißen Frau um eine holografische Projektion handelt, die an meine Bewegungen gekoppelt ist. Eine kleine technische Spielerei. Seien Sie also niemals zu sicher. Und nun danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“

Die Projektion erlosch, noch während eine Glocke das Ende der Vorlesung verkündete. Die Studenten klopften auf ihre Pulte, danach strömten die meisten hinaus. Nur zwei blieben zurück, Alisha und Garrison, wie Harding sich erinnerte.

„Was halten Sie von diesen Geschichten um ägyptische Mumien?", fragte Alisha.

„Der Fluch des Pharao hat sich als eine Infektion von Staphylokokken herausgestellt“, erwiderte der Professor.

„Aber es soll doch auch Mumien gegeben haben, die herumgewandert sind und getötet haben“, warf Garrison ein.

Der Professor lachte. „Sie haben zu viele Filme gesehen“, sagte er dann, obwohl er über dieses Thema durchaus etwas mehr wusste. Aber das gehörte nicht hierher und ging schon gar keinen Studenten etwas an.

Garrison blieb aber hartnäckig. Er holte aus seiner Mappe einen Bericht eines angesehenen Wissenschaftsmagazins, und Harding verfluchte sich selbst. Warum hatte er damals nur...?

„Ich sehe, Sie haben da eine alte, längst überholte Geschichte wieder hervorgeholt“, sagte er also, stellte aber selbst fest, dass seine Worte etwas lahm klangen.

„Sie wollen dazu nichts sagen, Professor?", hakte Alisha nach.

„Ich sehe keinen Sinn darin, über Vorgänge zu reden, die nicht mehr aktuell sind. Auch ich bin lernfähig, und deswegen werde ich diesen Artikel nicht kommentieren.“

Harding spürte die Enttäuschung in den beiden, doch er atmete auf, als sie jetzt unzufrieden davongingen. In ihm kamen Erinnerungen auf, doch er unterdrückte sie fast gewaltsam. Das Experiment damals war ein Fiasko gewesen, und noch heute verspürte er Verzweiflung und Wut darüber, dass er nicht mehr hatte tun können. Es war auch kein Trost zu wissen, dass er in keinem Fall hätte mehr tun können. Es war ganz einfach noch immer die Hilflosigkeit, die an ihm zehrte und ihn selbst jetzt noch wünschen ließ, er hätte etwas an den Vorgängen ändern können.

Harding drängte die Erinnerungen zurück in den Winkel seines Gehirns, wo er die Gedanken sorgfältig wieder verschloss – bis zum nächsten Ausbruch.

Er fand seine Beherrschung und dann auch sein sympathisches Lächeln wieder, als er dem Dekan der Uni begegnete. Jetzt war nicht die Zeit verlorenen Chancen nachzutrauern. Und er hatte mehr als genug zu tun, um sich von trüben Bildern abzulenken. Er baute die technischen Vorrichtungen ab, mit denen er seine Studenten immer wieder gern verblüffte, und nahm sich vor, seine Freundin Helen mal wieder auf eine Partie Schach einzuladen. Ihre herzerfrischende Art würde ihm bestimmt guttun. Gleich darauf hatte er sie am Telefon, und wenig später machte er sich auf den Weg ins Museum.

*

Keiner der vier Hobby-Archäologen hatte bemerkt, dass seit Tagen schon wachsame Augen jeden ihrer Schritte verfolgten. Es war an sich schon eine Katastrophe, dass dieses verschollene Grab gefunden worden war, doch man hätte sich vielleicht damit abfinden können, dass alle diese Fundstücke ins Museum gebracht wurden. Dort besaß man ausreichende Möglichkeiten, das Ganze mehr oder weniger totzuschweigen. Doch diese Frau da unten hatte eine weitere Entdeckung gemacht und die Tragweite falsch erkannt. Der Mann, der die Gruppe beobachtete, würde im weiteren Verlauf um seine Lebensaufgabe gebracht, wie auch seine Freunde, wenn Rachels Norton sich nicht damit begnügte, die Entdeckung ans Museum zu melden. Natürlich wusste sie nichts davon, dass es einige Leute gab, die seit ewigen Zeiten ein Auge darauf hatten, dass gewisse Gräber besser nicht gefunden werden durften. Hier hatten die Wächter versagt, denn trotz der ersten Freude hatten die Forscher doch endlich die Behörden verständigt – nur Rachel hatte sich für einen anderen Weg entschieden. Man konnte jetzt nur noch versuchen den Schaden zu begrenzen; dazu würde diese Frau sterben müssen. Sie hatte als einzige erkannt, was sich wirklich in diesem Grab befand. Die Wahrscheinlichkeit war zwar relativ gering, dass sie das Geheimnis in seiner vollen Tragweite aufdecken würde, doch allein die Möglichkeit war schon fatal.

Es gab keinen anderen Ausweg.

Einer der Wächter hockte gut verborgen in einer Düne aus Sand, geduldig und wachsam. Er wartete auf eine günstige Gelegenheit zum Schuss, rasch und unauffällig würde er anschließend verschwinden. Der Verdacht für den Mord würde auf die Beduinen fallen, oder eine unzufriedene politische Gruppe, wen auch immer – das interessierte den Mann auch nicht weiter. Wichtig war nur, dass diese Frau nicht weiter forschte.

Er ignorierte die brennenden Schmerzen, die durch die heiße Sonne verursacht wurden. Sie hatte ihm trotz der schützenden Kleidung den Rücken verbrannt.

Jetzt – die Frau stand allein unter dem Sonnendach. Wie konnte sie es wagen, ihre ungläubigen Augen in die Heiligen Schriften der alten Priester zu versenken?

Der Lauf des Gewehres zitterte nicht. Der Schuss knallte – und die Kugel traf Jack Mitchell, der just in diesem Augenblick aus dem Zelt getreten war, um mit Rachel zu reden.

Zur gleichen Zeit fuhr der Beauftragte der ägyptischen Regierung mit seinem Wagen in das Camp. Er hörte noch den Schuss und gleich darauf den gellenden Schrei einer Frau. Sein Griff ging zur eigenen Waffe, und die Augen von Farad el Kabir suchten aufmerksam die Umgebung ab. Erst dann lief er mit raschen Schritten zu den Zelten.

Auf dem Boden lag ein Mann, aus einer Wunde in der Brust sickerte Blut, ebenso wie aus einem Mundwinkel. Über ihn gebeugt war eine Frau. Das Gesicht war kreidebleich, und sie schluchzte. Doch wenigstens war sie nicht hysterisch.

Nun kamen auch noch zwei andere Männer aus einem Loch im Boden, offensichtlich war das der Zugang zu dem verborgenen Grab.

Farad nahm die ganze Szene blitzschnell auf, dann aber kümmerte er sich um den am Boden liegenden Mann, hatte jedoch nicht damit gerechnet, im nächsten Augenblick selbst in die Mündung einer Waffe zu schauen.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Und warum schießen Sie auf uns?“ Rachel hatte ihre klare Überlegung wiedergefunden und bedrohte den Fremden jetzt.

„Mein Name ist Farad el Kabir, wenn Sie gestatten, zeige ich Ihnen meinen Ausweis von der Staatlichen Gräberverwaltung. Ich habe nicht auf Sie geschossen, meine Waffe ist ungebraucht. Hier, sehen Sie.“

Er ließ seinen Revolver zu Boden fallen und angelte vorsichtig, unter dem skeptischen Blick der drei Leute, nach seinem Ausweis. Schließlich glaubte man ihm.

Für Mitchell wäre von vornherein jede Hilfe zu spät gekommen. In kurzen Worten erzählte Rachel, was sie über den Vorfall sagen konnte, aber viel war das nicht.

Farad informierte über Handy seine Vorgesetzten und die Polizei, doch er hatte keine große Hoffnung, dass sich der Täter ermitteln ließ. Die Wüste konservierte keine Spuren, der ewige Wind verwehte alles.

Erst am Abend, als Jack unter Tüchern aufgebahrt war und alle verstört beieinander saßen, wurde Rachel in voller Bedeutung klar, was heute geschehen war.

Aber warum sollte jemand ein Interesse daran haben, die Grabung nicht nur zu stören, sondern deren Mitglieder zu töten? Sie hatten doch nichts unrechtes getan. Obwohl – Rachel war sich sehr wohl klar darüber, dass sie bisher die Existenz des Totenbuchs verschwiegen hatte, ebenso wie die Kanopenkrüge. Und sie hatte, aus einem unbestimmten Gefühl heraus, das Buch ganz schnell verschwinden lassen, als Farad el Kabir aufgetaucht war. Sie hoffte, dass er es nicht bemerkt hatte, denn bei seiner Ankunft hatte sie ja darin gelesen. In dem ganzen Durcheinander nach dem Tod von Jack hatte sie das Buch in ihrem Zelt verborgen und hoffte, dass el Kabir nichts davon gesehen hatte.

Rachel hatte in dem Buch mittlerweile derart viele Hinweise gefunden, die unter Umständen die faszinierende Möglichkeit boten, mehr über die vergessene Prinzessin zu erfahren und außerdem – nein, nicht einmal daran denken, welche Informationen dort noch verborgen waren. Der Ägypter durfte es einfach nicht bekommen, sie wollte, sie musste es behalten. Und sie musste den Sarkophag der Prinzessin finden.

„Rachel, träumst du?“ Die Worte von Gordon rissen sie aus tiefen Gedanken. Sie lächelte nervös und suchte eine unverfängliche Ausrede.

„Ich glaube, ich habe den Schock noch nicht ganz verdaut. Tut mir leid. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich mich zurückziehe. Was hattest du gesagt?“

„Wir haben gerade darüber diskutiert, ob es Sinn macht, wenn wir die Grabung weiterführen. Es wäre vielleicht besser, wenn jetzt die Spezialisten vom Museum alles weitere übernehmen.“

„Auf gar keinen Fall“, fuhr sie auf. Das würde ihr ja jede Möglichkeit nehmen, den Sarkophag zu suchen. „Nein!“ Rachel schüttelte wild den Kopf. „Wir haben angefangen, etwas gefunden – und wir machen weiter. Das sind wir Jack schon schuldig. Diese Aufgabe bringen wir zuende. Natürlich nehmen wir dabei gerne die Hilfe von Mister el Kabir an. Das ist gleich schon deshalb wichtig, weil uns hier noch jemand auflauern könnte. Aber wir geben nicht auf.“

Sie sah das Lächeln im Gesicht des sympathischen Ägypters. Er mochte Mitte dreißig sein, hatte eine warme braune Hautfarbe, schwarze Haare und Augen und schimmernde Zähne. Sein Englisch hatte einen weichen sanften Akzent, und seine ganze Art war freundlich und gewinnend. Doch Rachel hatte bemerkt, dass er knallhart sein konnte, wenn es darauf ankam. Er hätte bedenkenlos auf die oder den Angreifer geschossen, wäre es nötig gewesen. Und so ahnte Rachel, dass es zu großen Problemen kommen konnte, sollte er von der Existenz der Papyrus-Rollen erfahren.

Farad konzentrierte seine Aufmerksamkeit voll auf sie. „Sie scheinen mir eine mutige beherzte Frau zu sein, Miss Norton, und ich achte Ihre Entscheidung. Im Augenblick sehe ich auch keinen Grund von Amts wegen Ihre Grabung aufzulösen. Sie zeigen sich alle sehr kooperativ. Allerdings muss ich auf der Anwesenheit der Polizei und eines Kollegen bestehen.“

Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden. Die kleine Gesellschaft zog sich zur Nachtruhe zurück, zwei Polizisten übernahmen rund um das Lager die Wache.

*

Irgendwann später wälzte sich Rachel aus dem Schlafsack, sie konnte nicht schlafen. Draußen stand der Mond zum Greifen nahe am Himmel, und die junge Frau setzte sich auf eine Sanddüne und starrte in die Nacht hinaus. Warum sollte jemand sie und ihre Freunde töten wollen? Die Frage beschäftigte sie auch weiterhin, doch dann glitten ihre Gedanken wieder ab zum Totenbuch. Es gab ein Kapitel, in dem eine mögliche Erweckung angesprochen wurde. Eine total verrückte Geschichte, natürlich, und doch war Rachel von dieser Idee mittlerweile wie besessen. Wenn sie doch nur den Sarkophag finden könnte. Das war notwendig, um die Kanopenkrüge mit dem Körper zu vereinen.

Das leise Rieseln von Sand machte sie darauf aufmerksam, dass sich ihr jemand näherte. Instinktiv griff Rachel nach ihrer Pistole, die sie bisher noch nie gebraucht hatte. Nach dem Vorfall heute sah sie ein, dass es notwendig war, stets die Waffe griffbereit bei sich zu tragen.

Doch ein leises Lachen und einige Worte machten ihr klar, dass keine Gefahr drohte.

„Darf ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten?", fragte Farad el Kabir. Er ließ sich neben Rachel nieder und deutete in die Nacht hinaus. „Es ist immer wieder faszinierend und hat seinen eigenen Zauber, nicht wahr?“

„Da haben Sie recht. Eine Nacht in der Wüste zeigt, wie klein die Menschen sind. Alles wirkt so unendlich und – erhaben. Es ist ein Stück Ewigkeit, unfassbar, und unglaublich schön.“

„Das erkennen nur Menschen, die eine gewisse geistige Größe besitzen“, stellte Farad fest.

„Danke.“ Ihre Antwort kam leise und überrascht.

„Ich hatte heute Abend das Gefühl, als wäre da noch etwas, über das Sie vielleicht mit mir reden wollten.“

Rachel blickte ihn erstaunt an, im bleichen Mondlicht wirkten die Konturen in seinem Gesicht selbst wie aus Stein gemeißelt, ein Gesicht, der Ewigkeit Ägyptens angepasst. Rachel fühlte sich plötzlich wie ein Fremdkörper. Dieser Mann gehörte hierher, und wahrscheinlich war es seine Aufgabe, wenn überhaupt, die tote Prinzessin zu erwecken.

Die Frau riss sich selbst fast gewaltsam aus diesen Gedanken. Was geschah hier mit ihr? Wie kam sie dazu, an etwas so absurdes zu denken? War Farad mehr, als er zugab? Konnte er vielleicht ihre Gedanken lesen? War er vielleicht auch in der Lage sie zu hypnotisieren? Oder lag das alles nur an dieser seltsamen Stimmung in einer sternenklaren Nacht?

Rachel verbarg ihre Gedanken und zwang sich zu einem Lächeln.

„Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, Mr. el Kabir. Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch sagen sollte. Ganz bestimmt habe ich nicht die geringste Ahnung, wer es hier auf uns abgesehen hat.“

„Davon bin ich sogar überzeugt“, stimmte er höflich zu. „Es war auch nur so ein Gefühl, dass da noch etwas anderes sein könnte. Aber vielleicht liegt es auch am Mond, der solche Gedanken weckt. – Es wird in den Nächten hier empfindlich kalt. Sie sollten besser wieder ins Zelt gehen. Jetzt sind Sie auf jeden Fall sicher. Unsere Polizei kann in ihrer Arbeit sehr effektiv sein.“

„Da bin ich sicher“, erwiderte Rachel ohne Spott.

Die Silhouetten der beiden Männer, die das Camp bewachten, hatte sie sehr wohl gesehen. Sie schienen wirklich aufmerksam.

Farad el Kabir stand auf. Rachel spürte seine Blicke, aber auch sein Lächeln wie ein Streicheln auf ihrer Haut.

„Scheuen sieh sich nicht, das Gespräch mit mir zu suchen, egal, über welches Thema Sie reden möchten. Ich werde Ihnen stets ein aufmerksamer Zuhörer sein. Gute Nacht, Miss Rachel.“

„Gute Nacht, Mr. el Kabir.“

Lautlos entfernte sich der Mann, und sie strich sich plötzlich wirklich fröstelnd über die Arme.

*

Im Obergeschoss des britischen National-Museums erstrecken sich mehrere Räume fast über den gesamten nördlichen Flügel, sie bilden den Hauptteil der Ausstellung mit dem Schwerpunktthema Ägypten. Eine beeindruckende Ausstellung, wie Helen Jefferson feststellte. Ein Tempel war in einem der Räume komplett wieder aufgebaut worden, davor stand eine Sitzbank, um den Anblick und die Erhabenheit auf den Betrachter wirken zu lassen. Auf dieser Bank saß Thomas Harding. Er lächelte, als er Helen erblickte.

„Schön, dass Sie pünktlich sind. Eigentlich muss ich Ihnen dankbar sein, dass wir uns hier treffen, ich bin schon viel zu lange nicht mehr hier gewesen. Sehen Sie nur die wundervolle Arbeit an den Steinen. Dieser Tempel wurde vierhundert Jahre vor Christus erbaut, und er hat bis heute nichts davon verloren, wie imposant und beeindruckend er ist. Auch wenn er jetzt an einem Ort steht, der ihm gar nicht zugedacht war.“

„Auch Ihnen einen schönen guten Tag, Sir Thomas. Danke der Nachfrage, es geht mir gut.“ Die kleine spitze Bemerkung hatte Helen sich nicht verkneifen können, obwohl sie mit der etwas eigensinnigen Art des Wissenschaftlers sehr wohl vertraut war.

Er lachte amüsiert auf, verneigte sich dann ein wenig spöttisch und funkelte sie mit seinen warmen braunen Augen an. „Ich habe die gesellschaftlichen Konventionen völlig außer Acht gelassen, Mylady. Ich bitte untertänigst um Vergebung. Wird Mylady sich jemals wieder für den armen Ritter erwärmen können?“

Helen stutzte, dann lachte auch sie. „Mein armer ergebener Ritter wird mich zur Strafe jetzt zum Kurator begleiten, um den Wert einer vermutlich nichtsnutzigen Figurine schätzen zu lassen. Außerdem muss Mylady den Mann mit Fragen löchern. Und anschließend ist Mylady bereit, sich von dem armen Ritter zum Essen einladen zu lassen.“

Schalk blitzte in den Augen von Harding auf. „Der Wunsch der ehrenwerten Lady ist dem armen Ritter Befehl.“ Spontan und überraschend zog er Helen an sich und umarmte sie. „Was meinen Sie mit einer Figurine?", fragte er dann, nun wieder im ganz normalen Gesprächston.

Helen setzte sich neben ihn, holte die kleine Katzenstatue hervor und erzählte ihm von Rachel.

„Wundervoll. Ihre Freundin fährt einfach nach Ägypten und findet ein verschlossenes Grab? Glück muss der Mensch haben. Aber trotzdem, diese kleine Miezekatze sieht sehr wertvoll aus.“

„Ach, das täuscht bestimmt. Aber sicher bin ich mir eben nicht.“

„Nun, dann wollen wir mal. Kommen Sie, Helen.“

„He, langsam, ich habe einen Termin mit dem Kurator...“

„Nicolas Gershwin ist ein alter Freund von mir. Wir können ihn jederzeit aufsuchen.“

Wieder einmal war Helen verblüfft, Harding kannte wirklich Gott und die Welt. Kopfschüttelnd ließ sie sich von ihm wegziehen.

Nicolas Gershwin war Ende vierzig, ein schlanker Mann mit dunklen Haaren, die an den Schläfen grau wurden. Er besaß eine leise Stimme und ein zurückhaltendes Wesen. Er begrüßte Sir Thomas erfreut, und Helen wurde ganz anders aufgenommen, als wäre sie allein in ihrer Eigenschaft als Journalistin gekommen. Gershwin berichtete ausführlich und anschaulich über die Exponate, die sich in den umfangreichen Abteilungen des Museums befanden, angefangen vom Stein von Rosetta, dem wohl bekanntesten aller Ausstellungsstücke, bis hin zu den neu restaurierten Statuen. Er schien die Daten über jeden Archäologen, wie auch über die verschiedenen Dynastien im alten Ägypten auswendig zu kennen. Helen konnte oft gar nicht so schnell mitschreiben, wie er erzählte.

Schließlich aber unterbrach Sir Thomas seinen alten Freund. „Gewähre Helen mal eine kleine Verschnaufpause, wenn du so weitermachst, wird sie in fünf Minuten ihren eigenen Namen nicht mehr kennen. Schau dir mal lieber diese kleine Bastet-Figur an.“

Gershwin nahm die Statue in die Hand, betrachtete sie aufmerksam und blickte Helen schließlich erregt an. „Woher haben Sie die?“

Sie berichtete noch einmal von Rachel und dem Päckchen, doch der Kurator schüttelte heftig den Kopf.

„Tut mir leid, aber das kann ich nicht glauben. Diese Bastet ist zirka dreitausend Jahre alt und war mit ziemlicher Sicherheit eine der Grabbeigaben für eine Verstorbene.“

„Ach ja, steht das vielleicht irgendwo eingraviert? Made in Theben by Ramses dem Zweiten?” erkundigte sich Helen bissig, weil sie die Wahrheit nicht glauben wollte.

Gershwin hielt inne und stutzte. „Oh, verzeihen Sie mir, ich wollte Sie nicht als Lügnerin hinstellen. Aber eine solche Figur kann Ihre Freundin nicht irgendwo auf dem Basar gekauft haben, glauben Sie mir, ich beschäftige mich seit vielen Jahren damit und kann den Wert sehr wohl einschätzen, wie auch das Alter. Die Beamten vom Ministerium für Altertum in Kairo würden das nicht zulassen.“

„Es könnte doch trotzdem eine geschickte Fälschung sein“, wandte Sir Thomas ein. „Nicolas, ich habe nicht genug Ahnung, um auf Anhieb sagen zu können, ob es sich um ein Original handelt. Doch wenn du recht hast, würde es bedeuten, dass Helens Freundin lügt und unter Umständen das Grab geplündert hat, das sie mit ihrem Freunden gefunden zu haben scheint.“

Gershwin nickte langsam und ernst. „So sieht es aus. Mir ist klar, dass ihr beide nicht sagen könnt, ob dies hier echt ist. Aber ich arbeite lange genug in diesem Bereich, und ich bin mir absolut sicher. Mrs. Jefferson, ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten machen. Sie sind ohne eigenes Zutun an einen regelrechten Schatz gelangt, und wahrscheinlich hat Ihre Freundin auch nicht damit gerechnet, dass Sie einen Fachmann um eine Expertise fragen. Ich möchte Sie allerdings bitten, uns die Statue zu überlassen, wenigstens für eine genauere Untersuchung.“ Er lächelte schief. „Vielleicht habe ich mich ja auch wirklich geirrt, dann hat in jedem Fall die Qualität der Fälschungen zugenommen.“

Helen zögerte. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, hätte sie die kleine Bastet daheim gelassen und sich allein daran erfreut. Jetzt konnte sie diesen verständlichen Wunsch nicht einfach abschlagen, sie wusste nicht einmal, ob sie sich unter Umständen strafbar gemacht hatte.

Sir Thomas rettete die Situation. „Nicolas, du kannst sicher gerne deine Untersuchungen vornehmen, ich möchte dich aber bitten, die Figur anschließend zurückzugeben und auch Stillschweigen darüber zu bewahren.“

Der Kurator überlegte. „Das wird wohl zu machen sein. Es ist ausgesprochen selten in meinem Beruf, dass man von einem Fundstück regelrecht überfallen wird. Aber ich verstehe natürlich, dass Sie das Teil gerne zurück haben möchten. Geben Sie mir eine Woche Zeit, dann weiß ich schon mehr.“

Helen willigte ein. Später saß sie mit Harding in einem kleinen Lokal, doch das Essen wollte ihr nicht so recht schmecken.

„Erzählen Sie mir mehr über ihre Freundin“, bat er. „Sie muss eine ungewöhnliche Frau sein.“

Helen lächelte plötzlich aus der Erinnerung heraus. „Wir sind Blutsschwestern“, klärte sie den verblüfften Wissenschaftler dann auf.

„Eine Jugendsünde? Wie interessant. Ich bin ganz Ohr.“

*

Das so unverhofft aufgefundene Totenbuch ließ Rachel selbst in ihren Träumen nicht ruhen. Als sie hinüberglitt in die Traumwelt begleitete sie der Gedanke an die Prinzessin, für die all dieser Aufwand getrieben worden war, um sie letztendlich doch dem Vergessen zu überlassen.

Eine bildschöne Frau stand plötzlich vor dem geistigen Auge der Forscherin. Sie war entsprechend der Mode der vierten Dynastie Ägyptens gekleidet, eine Art Rock oder Lendenschurz aus weißem Leinen, ein Oberteil aus dem gleichen Material mit verschiedenen Ornamenten bemalt, darüber trug sie einen Kragen aus Metall und Edelsteinen, kunstvoll bearbeitet und sehr wertvoll. Die Haare waren in einer Art Pagenschnitt mit Perlen und einem Netz aus feinem unbekanntem Material geschmückt. Dunkle brennende Augen richteten sich auf Rachel, Verzweiflung und eine flehende Bitte standen darin zu lesen.

„Hilf mir“, bat die Erscheinung. „Ich werde nicht ruhen können, bevor ich nicht neu belebt wurde und mich rehabilitieren kann. Man hat mich um meiner Liebe Willen verbannt. Hilf mir.“

„Wie kann ich das tun?", fragte Rachel im Traum. Es kam ihr gar nicht merkwürdig vor, dass sie hier mit einer Frau sprach, die seit mehr als dreitausend Jahren tot war. Schließlich war dies nur ein Traum, und darin war bekanntlich alles möglich.

„Du musst das Totenbuch benutzen, um mich zu erwecken. Dann musst du mich zu meinem Vater bringen, nur er kann das Urteil aufheben. Mein Geliebter hat alles vorbereitet, so dass du keine Schwierigkeiten haben solltest. Er hat bereits gebüßt für unsere Liebe. Aber hüte dich vor den Wächtern der Totenruhe, sie werden versuchen, dich zu hindern.“

„Das ist doch alles Unsinn“, widersprach Rachel jetzt, der selbst im Traum bewusst war, dass das, was die Prinzessin von ihr verlangte, eine Unmöglichkeit war. „Niemand kann eine Tote zum Leben erwecken. Du bist nur ein Trugbild, und ich mache mich wohl gerade selbst verrückt. Verschwinde aus meinem Traum.“

Doch die Erscheinung machte keine Anstalten Rachel in Ruhe zu lassen. „Du musst es tun“, forderte sie. „Ich bin Prinzessin Enehy, und du hast mein Totenbuch, das ist deine Verpflichtung.“

„Quatsch, ich werde dieses Buch nun doch endlich an ein Museum geben, dort wird man hoch erfreut sein. Dann habe ich endlich meine Ruhe.“

„Damit zerstörst du auch dein eigenes Leben“, warnte die Erscheinung. „Du musst dafür sorgen, dass ich mit meinem Vater vereint werde, sonst veränderst du den Lauf der Geschichte.“

„Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.“

„O doch. Ich habe ja gerade dafür gesorgt, dass ausgerechnet du meine Grabkammer finden musstest. Denn zwischen mir und dir gibt es ein Bindeglied. Eine deiner Vorfahren stammt hier aus meinem Land. Du kannst es nachprüfen. Und wenn du nichts tust, um mein Schicksal zu ändern, wird deine Existenz nichtig.“

„Ich verstehe kein Wort, lass mich einfach in Ruhe“, beschwerte sich Rachel.

„Wenn ich auch weiterhin die vergessene Prinzessin bleibe, wird es dich nicht geben.“

„Oh, Himmel, dieser Alptraum ist wirklich das letzte.“ Rachel wusste jedoch plötzlich, dass dies kein Alptraum war. Es handelte sich vielmehr um eine Art Vision. Sie musste auch nichts überprüfen, sie wusste sehr gut, dass in der Reihe ihrer Ahnen eine wunderschöne Ägypterin zu finden war. Während der Zeit der napoleonischen Kriege war sie dem Mann ihres Herzens nach England gefolgt. Und die sollte jetzt indirekt etwas mit der Toten zu tun haben?

Alles verrückt, behauptete Rachel jetzt vor sich selbst. Doch ein letzter Rest von Zweifel blieb. Und außerdem war da natürlich auch noch der Forscherdrang.

„Vorausgesetzt, ich glaube dir, was soll ich dann tun?", erkundigte sie sich sachlich.

„Du fügst als erstes die Kanopenkrüge in meinen Sarkophag ein. Dann vollendest du alle Beschwörungen, die mich ins Leben zurückrufen. Schließlich führst du mich zu meinem Vater, den Rest schaffe ich dann allein.“

„Na, wie großartig“, stellte Rachel sarkastisch fest. „Das alles ist ja fast gar nichts. Aber vielleicht erzählst du mir auch noch, wer dein Vater ist. Dann kann ich gleich darüber nachdenken, wie das vor sich gehen soll. Obwohl – der ist ja schließlich auch tot.“

„Natürlich ist er tot, du Mensch. Ich werde mit seiner Seele Kontakt aufnehmen und mein Leben rehabilitieren. Und dann endlich wird auch für mich die Totenbarke des Re kommen und mich in das ewige Reich bringen.“

Rachel kam plötzlich ein Gedanke. „Du sagst, dein Geliebter hat bereits für eure Liebe gebüßt. Was und wer war er? Was ist geschehen?“

„Spielt das eine Rolle?", fragte Enehy mürrisch.

„Für mich schon, wenn ich dir helfen soll.“

„Rassul Ahriman war der Hohepriester im Tempel der Hapi. Wir haben uns wirklich geliebt, doch mein Vater hatte andere Pläne mit mir. Ich widersetzte mich und nahm Rassul zum Mann. Nun, es war dann gar nicht so einfach, denn er verlor natürlich sein Amt und ich mein Zuhause. Nun wollte ich zurück in meine Familie, mein Vater hatte wohl recht damit, dass eine Prinzessin nicht mit einem Sterblichen zusammenleben kann. So musste ich mich von Rassul trennen. Er wurde natürlich zum Tode verurteilt, aber dann kam das Urteil meines Vaters auch über mich. Er ließ es mich büßen, dass ich ihm getrotzt hatte. Rassul musste mich töten und meine Beisetzung selbst vollziehen. Doch er war wütend über meinen Verrat, wie er es nannte und ordnete meine Beerdigung so an, dass nicht irgendwann jemand mich finden würde, um mich wieder mit meiner Familie zu vereinen. Außerdem setzte er Tempelpriester als Wächter ein, die über alle Zeiten hinweg dafür sorgen müssen, dass mein Grab nicht durch Zufall gefunden wird. Du siehst also, dass mein Vater mir längst verziehen hat, er wartet nur auf mich.“

„Und Rassul?", fragte Rachel erschüttert.

Enehy winkte nachlässig ab. „Das spielt doch keine Rolle mehr. Er war ein Irrtum. Hätte er Mut bewiesen und wäre er meiner würdig gewesen, hätte er meinen Vater vom Thron gestoßen. Doch er unterwarf sich und hat damit bewiesen, dass er nur ein Versager war. Also spielt er keine Rolle.“

„Das glaube ich doch, denn da gibt es ja schließlich die Wächter der Totenruhe, die mich daran hindern wollen, dich wieder zu erwecken.“

„Du willst dich doch nicht etwa davon aufhalten lassen? Ich bin immerhin Prinzessin Enehy.“

„Und ziemlich skrupellos.“

„Du wirst mir helfen, denn sonst werde ich auch noch aus dem Grab heraus dafür sorgen, dass du nicht nur aus dem Leben verschwindest, sondern auch deine Freunde und Verwandten nicht mehr ihres Lebens froh werden können. Keiner von ihnen wird jemals wieder zu Ruhe kommen. Wenn du das auf dein Gewissen laden kannst, dann versuche es. Aber ich warne dich, ich besitze diese Macht.“

Vor Rachels geistigem Auge, welch eine Verrücktheit in einem Traum, erschien sie selbst. In einem Zeitraffer sah sie Verwandte, und schließlich auch ihre spezielle Freundin Helen, geplagt von Krankheiten, gequält von Visionen, schließlich im Irrenhaus landend, stets mit dem Bild der Prinzessin vor Augen.

„Eher töte ich mich selbst“, drohte Rachel.

Ein leises Lachen erklang. „Das wird dir nicht möglich sein, ich werde es zu verhindern wissen. Mach’ dir also nichts vor, du wirst mir helfen.“

Rachel fühlte sich wie in einer tödlichen Falle, aus der es keinen Ausgang gab. „Dann muss ich es wohl tun“, gab sie leise nach, doch sie war sicher, sie würde versuchen, noch einen anderen Ausweg zu finden.

„Dann wünsche ich dir und mir viel Glück. Pass auf, dass du nicht vorher von den Wächtern getötet wirst. Ich habe fast das Gefühl, dass Rassul sehr nachtragend ist, denn er hat diese Wächter mit besonderen Vollmachten ausgestattet. Dabei habe ich doch nur getan, was richtig war.“

Die Erscheinung verschwand, und Rachel kam zu sich. Sie saß nassgeschwitzt in ihrem Schlafsack. Welch eine Geschichte! Und sie steckte plötzlich mittendrin, ohne eine Möglichkeit sich aus dieser Zwickmühle zu befreien. Denn Rachel Norton zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass jedes Wort der Prinzessin Enehy der Wahrheit entsprach.

*

Gut eine Woche später hatte Helen ihren Bericht abgeliefert, der Artikel hatte großen Anklang gefunden, und die Reporterin zermarterte sich den Kopf über ein neues spannendes Thema, mit dem in der Saure-Gurken-Zeit die Leser unterhalten werden konnten. Nach einem langweiligen Tag in der Redaktion fuhr sie nach Hause und freute sich darauf, endlich die Füße hochlegen zu können. Ein Tee entspannte, und Helen schaltete vollkommen ab, so dass ihr schon wenige Minuten später die Augen zufielen. Das Buch fiel ihr aus der Hand, und sie träumte.

Ein lang anhaltendes Schrillen bohrte sich quälend in ihren Traum, störte den Ablauf, und schließlich saß sie kerzengerade auf dem Sofa. Das Schrillen hielt auch weiterhin an, und endlich begriff die Frau, dass es die Türklingel war, die hartnäckig weiter Lärm machte.

Himmel, wer wollte denn so dringend um diese Zeit etwas von ihr? Halb zehn am Abend? Brannte es vielleicht irgendwo?

Sie rappelte sich auf und ging zur Sprechanlage. Gleich darauf war sie hellwach.

„Helen, du Penntüte, du hast doch nicht etwa schon geschlafen? Komm, lass mich hinein, ich habe dir soviel zu erzählen.“

Unten vor der Tür stand Rachel, und ihre Stimme klang aufgeregt und fast atemlos. Wenig später fielen sich die beiden Frauen in die Arme, redeten wild durcheinander und sprudelten über in dem Bemühen sich gegenseitig alle Neuigkeiten zu berichten.

Dann aber zog Helen ihre Freundin neben sich auf das Sofa. „Jetzt aber Schluss mit dem Durcheinander. Erzähl, hast du deine Grabung in Ägypten abgeschlossen? Was habt ihr alles gefunden? Wird es eine Ausstellung dazu geben?“

Das Gesicht von Rachel verdüsterte sich plötzlich. „Ach, das kannst du ja alles noch gar nicht wissen. Und es ist ja auch so furchtbar viel passiert. – Helen, ich werde deine Hilfe brauchen. Aber du musst mir versprechen, mit niemandem ein Wort darüber zu reden, dass ich überhaupt hier gewesen bin.“

Erstaunen malte sich in Helens Gesicht. „Was hat das zu bedeuten? Bist du etwa in krumme Sachen verwickelt? Dann will ich dir gerne helfen, da wieder heraus...“

„Nein, keine krummen Sachen“, unterbrach Rachel. „Aber ich fürchte fast, es könnte viel schlimmer sein. Helen, ich fürchte, es geht um Leben und Tod. Bitte, du musst mir einfach helfen.“

„Ich denke, du solltest mir erst einmal ganz genau alles erzählen. Vorher kann ich nichts dazu sagen.“ Seit sie mit Sir Thomas bekannt war, hatte sie so viele unglaubliche Dinge erlebt, dass sie mittlerweile von einer gesunden Vorsicht erfüllt war, wenn sich etwas nicht ganz klar und deutlich darstellte. Nicht einmal ihrer besten Freundin gegenüber wagte Helen voreilig ein Versprechen abzugeben, das sie unter Umständen nicht würde halten können.

Rachel setzte sich eng zusammengerollt in eine Ecke. Langsam begann sie zu berichten, über die Freude des wunderbaren Fundes, über den Tod von Jack Mitchell, über Farad el Kabir – und über das Totenbuch einer vergessenen Prinzessin.

*

Zwei Tage lang passierte gar nichts. Die Grabkammer war von allen Seiten und aus allen Winkeln gründlich vermessen und fotografiert worden, alle Gegenstände – oder fast alle – hatte man in ein Verzeichnis aufgenommen, nun waren zusätzliche Helfer gekommen und verpackten alle Teile sorgfältig in Kästen, um sie dann nach Kairo zu transportieren.

Rachel hatte sich bei all diesen Arbeiten ziemlich im Hintergrund gehalten. Unauffällig, wie sie hoffte, hatte sie sich weiter mit dem Totenbuch beschäftigt. Doch oft genug fühlte sie sich von Farad el Kabir beobachtet. Hatte der Mann Verdacht geschöpft? Oder hegte er private Absichten, die er hier draußen nicht öffentlich machen wollte?

Rachel wäre es lieb gewesen, hätte auch er sich schon wieder auf den Weg nach Kairo gemacht. Der Zufall wollte es aber, dass sie am Nachmittag ganz allein in der Grabkammer war. Sie wusste, dass ihre Zeit hier ablief. Sanft strich sie mit den Fingerspitzen über einen Fries mit Malereien. Rachel setzte sich auf den Boden und starrte die Wand an. Wie gerne hätte sie die eigentliche Grabkammer mit dem Sarkophag gefunden. Das wäre die Krönung ihres Lebens gewesen.

Irgendetwas an der Wand irritierte sie dann aber. Eine Unebenheit, etwas, das nicht dazu passte – sie wusste es nicht, starrte aber weiter gebannt auf die Wand.

Ganz langsam bewegte sie sich auf Knien darauf zu, stets diese Unebenheit im Blick behaltend. Dann glitten ihre Finger suchend über die Wand. Nichts!

Enttäuscht hockte Rachel sich wieder hin. Nur ein Irrtum, eine optische Täuschung. Sie schlug zornig über sich selbst die Hände auf den Boden – und hielt plötzlich inne. Das klang hohl!

Rachel schüttelte den Kopf. Das war doch unmöglich. Tagelang hatten sie alle hier jeden Zentimeter abgesucht und nichts gefunden. Warum klang ausgerechnet diese eine Stelle jetzt hohl?

Eifrig klopfte die Frau auf dem Boden herum, es schien sich um eine Art Viereck zu handeln, vielleicht doch noch ein Eingang in den Boden? Rachel zitterte vor Aufregung, und als ihre Fingerspitzen jetzt einen schmalen Spalt ertasteten, fragte sie sich, was sie alle eigentlich die ganzen letzten Tage hier getan und übersehen hatten.

Eine Öffnung im Boden, mit bloßem Auge nicht zu erkennen!

Schon wollte sie aufspringen und die anderen holen, doch dann fiel ihr ein, dass sich ja auch Farad el Kabir noch hier aufhielt. Sollte sich das Grab der Prinzessin Enehy wirklich hier unten befinden, wäre alles vorbei. Dann würde er auch das Buch und die Kanopenkrüge verlangen – jedenfalls dann, wenn er weitergehende Schlüsse zog. Und ohne den Sarkophag waren Buch und Krüge für sie selbst wertlos. Nein, sie musste heute Nacht noch einmal allein hierher kommen und selbst nach dem Öffnungsmechanismus suchen.

Kaum hielt Rachel es aus, sich im Kreise der anderen unbefangen zu unterhalten. Die Zeit verging nur quälend langsam. Und doch waren irgendwann endlich alle in den Zelten verschwunden und hoffentlich am schlafen.

Rachel war noch angezogen, um den Leib hatte sie ein Seil geschlungen, Taschenlampe, Batterien und eine Notration für alle Fälle steckten in den Taschen des praktischen Overalls. Unbemerkt schlich sie sich in die Grabkammer. Mit der Taschenlampe leuchtete sie herum, die Logik sagte ihr, dass es einen Mechanismus geben musste, einen Auslöser, durch den sich der Zugang öffnen würde. Natürlich konnte im Lauf der langen Zeit dieser Hebel, oder was auch immer es sein mochte, eingerostet, abgebrochen oder zerstört worden sein. Doch Rachel hatte so ein Gefühl, und dem vertraute sie.

Es dauerte eine ganze Weile, und fast wollte sie schon wieder aufgeben, als sie doch den Mechanismus fand. Ein einzelner Stein in der Wand zeigte den hundeköpfigen Anubis, den Gott der Unterwelt. Als Rachel mit einem gewissen Druck auf die Augen Kraft ausübte, erklang ein seltsames Geräusch, und die Frau musste plötzlich über sich selbst lächeln. Irgendwie erschien es logisch, dass ausgerechnet dieser Gott der Hüter der vergessenen Prinzessin sein sollte.

Lautlos schob sich nun eine Steinplatte beiseite, ein modriger Geruch stieg auf, und Rachel tastete nach dem Mundschutz, den jeder Archäologe bei sich trug. Der einst so gefürchtete Fluch der Pharaonen war eine Art Bakterium gewesen, Sporen, die sich in hermetisch verschlossenen Räumen bildeten und schwere Krankheiten hervorrufen konnten. In deren Folge war es stets zu Lungenkrankheiten, Halluzination und Koordinationsschwierigkeiten gekommen, die oftmals tödliche Unfälle nach sich zogen.

Rachel atmete jetzt durch das schützende Vlies und ging einige unglaublich glatte Treppenstufen hinunter. Hier wirkte nichts so, als wären mehr als dreitausend Jahre vergangen, seit jemand zum letzten Mal diese Stufen betreten hatte.

Vor der Frau tat sich plötzlich eine neue Kammer auf. Ein Sarkophag aus Stein stand allein mitten im Raum. Wie Rachel feststellte, gab es auch hier Malereien an den Wänden, doch diese unterschieden sich sehr von denen, die man oben und in anderen Gräbern gefunden hatte.

Staunend verfolgte Rachel eine fast unglaubliche Geschichte, die in Verbindung mit den Angaben im Totenbuch und der Erzählung der geisterhaften Prinzessin ein neues Licht auf die ägyptische Historie warf. Das alles wollte Rachel allerdings selbst später in eine ordentliche Reihenfolge setzen.

Jetzt jedoch hämmerte ihr Herz vor Aufregung und Neugier heftig in ihrem Brustkorb. Sanft fuhren ihre Finger über die Reliefs im Stein. Hier lag nun wirklich die Prinzessin Enehy, die Rachel so intensiv gesucht hatte. Mit beiden Händen fasste die Frau den schweren Deckel und drückte, er glitt ein Stück zur Seite, als habe er nur darauf gewartet, dass endlich jemand käme und den Sarkophag öffnete.

Die Mumie im Innern war am Kopf mit einer goldenen Maske bedeckt. Diese Frau war so prachtvoll bestattet worden wie eine regierende Königin. Wer auch immer das getan hatte, musste ganz besondere Gründe dafür gehabt haben. Es drängte Rachel, und sie gab ihrer inneren Stimme nach. Eilig lief sie nach oben in ihr Zelt, grub die Kanopenkrüge aus dem Loch unter ihrem Schlafsack und rannte damit wieder hinunter. Auf den Krügen waren die Gottheiten, die anzeigten, welcher Inhalt sich darin befand – auf dem Sarkophag selbst waren die entsprechenden Gegenstücke. Ohne nachzudenken packte Rachel die Krüge an die richtigen Stellen, dann schob sie den Deckel wieder zu. Sie war sicher, wenn der rechte Augenblick gekommen war, würde die Prinzessin wissen, was sie zu tun hatte.

Sorgfältig verschloss Rachel alles wieder und ging nach oben. In ihrem Zelt setzte sie sich vor das Totenbuch. Doch es sollte nicht soweit kommen, dass sie beginnen konnte, die Beschwörungen auszusprechen.

Das Camp wurde plötzlich überfallen!

Eine ganze Horde von lästigen Beduinen, jedenfalls nahmen Rachel und ihre Freunde an, dass es sich um Beduinen handelte, kam wild aus Gewehren schießend von den Dünen herunter. Eine Kugel traf Gordon Brown, der ächzend und blutend zusammenbrach. Rachel schrie auf, dann wurde sie plötzlich von zwei harten Händen gefasst, und eine Stimme zischte an ihrem Ohr.

„Fassen Sie das Buch niemals wieder an. Sie würden damit nur Unheil anrichten. Lassen Sie die Toten zufrieden. Ich wünschte, ich könnte Ihnen das Buch wegnehmen.“

Gleich darauf brach jedoch auch dieser Mann zusammen. Farad el Kabir hatte keine Hemmungen, die Angreifer auf die gleiche Art zu bekämpfen.

Und dann war der Spuk plötzlich vorbei. Die Beduinen nahmen ihre Verwundeten mit sich – zurück blieben ein verwüstetes Camp, und eine Leiche.

Gordon war zum Glück nicht schwer verletzt. Rachel erholte sich rasch von ihrem Schock und versorgte ihn.

„Ab sofort ist diese Ausgrabung beendet“, ordnete el Kabir an. Es regte sich kein Widerspruch, nicht einmal von Rachel. Dies hier war aus einer fröhlichen Fundstelle zu einer tödlichen Bedrohung geworden.

Die Frau schaffte es, das Totenbuch unbemerkt mitzunehmen und sogar nach England einzuschmuggeln. Doch sie wurde verfolgt, wie sie bald darauf feststellte. Aus welchem Grund man sie verfolgte, und vor allen Dingen, wieso jemand wissen konnte, dass Rachel sich überhaupt noch im Besitz des Buches befand, wusste sie nicht zu sagen. Doch ihr Verfolger, vielleicht waren es aber auch mehrere, mied die Öffentlichkeit und auch die offiziellen Stellen, sonst hätte sie bestimmt schon Besuch von der Polizei gehabt.

Als Rachel, von einem unbestimmten Zwang getrieben, begonnen hatte, erste Schritte für das Ritual zu unternehmen, hatte sie furchtbare Halluzinationen bekommen; Visionen, die ihr schreckliche Dinge vorgaukelten, wenn sie nicht auf der Stelle innehielt. Und doch musste sie den Versuch machen die Prinzessin wieder zu erwecken – oder zu sterben.

Um jedoch alle diese Beschwörungen vorzunehmen würde sie die Hilfe ihrer Blutsschwester brauchen, Helens Hilfe. Allein konnte sie niemals die Kraft aufbringen, die dazu notwendig war. Und nur eine Blutsverwandte war in der Lage, die geistige Verbindung aufrechtzuerhalten.

*

„Du bist ja nicht gescheit“, stellte Helen praktisch und trocken fest, nachdem ihre Freundin den ausführlichen Bericht beendet hatte. „Rachel, ist dir eigentlich klar, auf was du dich da einlassen hast? Du spielst mit Mächten und Kräften, die du nicht beherrschen kannst.“

„Das habe ich mittlerweile auch erkannt“, sagte sie leise und traurig. „Aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Und deswegen musst du mir helfen, Helen. Um da wieder heraus zu kommen, brauche ich die Kraft einer Blutsverwandten, um nicht völlig unterzugehen. Nun kann ich meine Eltern nicht fragen, sie sind schon tot, wie du weißt. Und Geschwister habe ich keine. Da wäre sonst nur noch mein Onkel, aber der würde mir bestimmt nicht helfen, er würde mir nicht einmal glauben, außerdem ist die Verwandtschaft ja nicht sehr eng. So bleibst nur du als meine Blutsschwester.“

„Ach, du meine Güte.“ Helen lachte nervös auf. „Rachel, das war doch nur ein Kinderscherz, ich bitte dich, du nimmst das doch heute nicht mehr ernst?“

„Oh, doch.“ Rachel war es todernst. „Helen, für uns damals mag das nicht mehr als ein Scherz gewesen sein, doch es ist eine Tatsache, dass wir uns zu Blutsschwestern gemacht haben. Und diese Verbindung ist stärker als selbst die zwischen Geschwistern. Das kann man nicht leugnen.“

„Nun noch mal ganz langsam.“ Helen Jefferson schenkte sich einen Kaffee ein und überlegte fieberhaft. „Ich bin gerne bereit dir zu helfen, wir sind schon so lange Freundinnen, dass es für mich eine Selbstverständlichkeit ist, auch wenn ich diesen Unsinn mal außer Acht lasse. Glaube mir, ich muss das tun, ich würde dich niemals in Stich lassen. Aber, Rachel, du musst dich aus diesem Bann lösen.“

Die lachte trocken und verzweifelt auf. „Ich kann nicht, Helen, ich finde keine Möglichkeit diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Glaube mir, ich muss das jetzt tun, sonst bin ich tot. Punktum.“

„Davon bin ich noch längst nicht überzeugt. Hör zu, ich habe einen Freund, der dir vielleicht auch helfen kann, Professor Harding.“

Rachel machte große Augen. „Der Harding? Du kennst ja richtig berühmte Leute. Aber der ist Psychologe, der kann mir auch nicht helfen.“

„Parapsychologe ist er auch. Und ich bin sicher, er wird die ganze Sache faszinierend finden.“

Rachel überlegte kurz, dann nickte sie langsam. „Vielleicht ist es doch einen Versuch wert. Aber dann will ich das Buch dabei haben. Ihr werdet alles verstehen, wenn ihr selbst sehen könnt, was...“ Sie brach ab.

„Wo hast du es denn jetzt?", fragte Helen.

„Das musst du nicht wissen, es ist besser so. Sag mir, wann du einen Termin mit Harding ausmachen kannst.“

„Morgen schon“, behauptete Helen.

„Ihr scheint euch gut zu kennen, wenn du so kurzfristig...“

Helen lachte auf. „Er ist der schwierigste Schachpartner, den ich je hatte. Du wirst schon sehen, er ist sehr nett.“

„In Ordnung, ich werde bis morgen das Buch besorgen. Und – danke Helen.“

Rachel verabschiedete sich rasch, aber Helen saß noch eine ganze Weile allein da und dachte über das gehörte nach. Einiges an der ganzen Geschichte war ihr noch unklar, doch sie würde abwarten müssen, bis Rachel bereit war auch darüber zu reden. Aber welch eine verrückte Idee, eine seit mehr als dreitausend Jahren tote Prinzessin zum Leben erwecken zu wollen. Entweder war Rachel leicht verrückt geworden, oder die Sache war wirklich real und damit ebenso unglaublich. In jedem Fall war es klüger, sich der Hilfe Professor Hardings zu versichern, er war klug genug, um ein klares Bild zu schaffen – so hoffte die Journalistin.

Sie griff zum Telefon und rief den Wissenschaftler an. Schon nach den ersten Andeutungen von Helen horchte der Mann auf.

„Das ist mir alles etwas zu konfus, Helen“, behauptete er. „Ich bin in einer Stunde bei Ihnen, und dann möchte ich mehr wissen.“

Sie hatte keine Gelegenheit mehr ihn abzuwehren, er hatte aufgelegt. Aus Erfahrung wusste sie, dass er jetzt auch nicht mehr loslassen würde. Nun, vielleicht war es klug, bei einem Schachspiel die Gedanken zu konzentrieren.

Helen lächelte und stellte die Figuren auf.

*

Rachel war sich ziemlich sicher, dass sie auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Sie konnte keinen Grund dafür nennen, warum es jemandem möglich war, sie überall hin zu verfolgen, doch sie wusste genau, dass sich stets jemand in ihrer Nähe befand. Dieser Jemand überwachte wirklich alles, was sie tat. Deshalb war es so wichtig, dass sie bei dem anstehenden Ritual nicht allein war. Sie brauchte jemanden an ihrer Seite, der mit starken mentalen Kräften die Störungen, die von dem Verfolger ausgingen, ablenkte. Helen war eine nüchterne sachliche Frau, was sie im Gespräch mal wieder bewiesen hatte. Sie glaubte vor allen Dingen selbst nicht daran, dass sie persönlich über Kräfte verfügte, die nicht jeder besaß. Ganz bestimmt würde sie auch nicht irgendwelchen Ängsten unterliegen. Und da sich die beiden Frauen noch immer stark zueinander hingezogen fühlten, gab es für Rachel kaum eine andere Möglichkeit. Die Tatsache, dass sie beide Blutsschwestern waren, spielte vielleicht auch noch eine größere Rolle, als die Reporterin es wahr haben wollte. In alten Zeiten hatte man einer solchen Tatsache viel mehr Bedeutung beigemessen, da war eine solche Verbindung bis zum Tode auch eine Verpflichtung. Die Einstellung dazu mochte heutzutage anders sein, doch für jemand, der sich so ausgiebig mit der Historie alter Völker beschäftigt hatte wie Rachel, galt diese Blutsbrüderschaft ebenfalls für alle Zeiten.

Sie schaute sich jetzt wieder um, während sie in einem Taxi auf dem Weg zum Flughafen war, wo sie das Totenbuch in einem Schließfach deponiert hatte. Bisher konnte sie niemanden im dichten Verkehr entdecken, der sie verfolgte, natürlich nicht. Inmitten all der Menschen, die sich auf den Straßen befanden, war es absolut unmöglich, einen anderen herauszufinden. Und doch wusste die Frau mit absoluter Sicherheit, dass da jemand war, der sie nicht aus den Augen ließ.

Das war gar nicht gut. Bisher war es Rachel stets gelungen den Aufenthaltsort des Buches vor ihren Verfolgern geheim zu halten. Wahrscheinlich war sie auch nur deswegen noch am Leben. Sie gab sich keinen Illusionen hin. Nach allem, was sie mittlerweile wusste, gab es diese Wächter, deren Mitglieder über einen unglaublich langen Zeitraum hinweg noch immer verpflichtet waren, eine Wiederauferstehung zu verhindern. Warum das so war, und warum Rachel trotzdem von unbekannten Mächten dazu getrieben wurde, diesen Versuch zu wagen, hätte sie nicht sagen können. Die Frau war zum Spielball übernatürlicher schrecklicher Kräfte geworden, und sie hatte keine Möglichkeit sich dagegen zu wehren.

Im Gewimmel der Menschen auf dem Flughafen tauchte Rachel unter, jedenfalls ließ das Gefühl der Beobachtung etwas nach. Sie fand es jedoch gefährlich das Buch und auch ihre Aufzeichnungen bei sich zu tragen. Es war so einfach überfallen zu werden, kein Mensch würde sich darum kümmern, falls es überhaupt jemand bemerkte.

Rachel sah nur eine Möglichkeit, sie ging mit dem doch recht schweren Paket zum Schalter eines Transportunternehmens. Dort gab sie es per Express und persönlicher Übergabe an Helen auf. Gleich darauf fühlte sie sich wohler, jetzt würde sie in ein Hotel gehen und versuchen in aller Ruhe bis morgen abzuwarten.

Rachel besaß zwar eine hübsche Wohnung, ein wenig außerhalb von London, doch die wollte sie an diesem Tag nicht mehr aufsuchen.

Aber soweit sollte es nicht kommen. Rachel schaute sich suchend um, wo war der Ausgang, der sie direkt zu einem der großen Hotels bringen würde? Sie achtete nicht mehr auf ihre Umgebung, war im Grunde etwas leichtsinnig geworden, weil sie glaubte, ihr könnte jetzt nichts geschehen.

Da rempelte sie jemand an und murmelte etwas. Rachel schaute auf, dann wurde sie kreidebleich, und ein Schrei bildete sich in ihrer Kehle, der allerdings erstarb, bevor er laut werden konnte. Nur weg von hier!, war der einzige klare Gedanke, der sich in ihrem Kopf noch bildete. Dann rannte sie auch schon los, jetzt auf die Straße hinaus.

Der Mann, mit dem sie zusammengestoßen war, hatte sich bei ihr nicht etwa entschuldigt, er hatte eine Drohung ausgestoßen. Es war jemand, den Rachel bereits in der Wüste Ägyptens gesehen hatte, dessen war sie sicher. Das konnte nur bedeuten, dass man sie auch hier im Getümmel nicht aus den Augen verloren hatte. Wussten diese Leute also jetzt auch, dass sie das Buch per Express aufgegeben hatte? Hoffentlich nicht.

Im Augenblick verschwendete Rachel auch keinen weiteren Gedanken daran, sie befand sich auf der Flucht. Jede noch so kleine Lücke nutzte sie, bog um Ecken, rannte auch mal quer durch ein Geschäft und aus der anderen Tür wieder hinaus. Das Herz hämmerte schmerzhaft bis zum Kopf, das Blut rauschte in den Ohren wie ein Wasserfall, und Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Keuchend blieb sie stehen, nur langsam kam ihr zu Bewusstsein, das jemand, der eilig rennt, auffälliger ist, als ein Mensch, der sich normal bewegt. Jetzt hatte sie bereits die Aufmerksamkeit aller möglichen Leute auf sich gezogen, man starrte sie an, und sie rang mühsam um ihre Fassung. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie im Augenblick wohl nicht beobachtet wurde, doch die Frau wusste, dass es sich um einen vorübergehenden Zustand handelte. Man würde sie immer wieder aufspüren.

Rachel ging jetzt ganz ruhig weiter, zunächst musste sie den Flughafen verlassen, vielleicht konnte Helen – nein, besser nicht, sie hatte schon zuviel gesagt, es konnte auch für die Freundin gefährlich werden.

Rachel befand sich jetzt in der unteren Ebene, hier gab es Restaurants und Geschäfte, die Ausgänge, aber auch die Zugänge zum Flugfeld, die Wetterstationen für die Piloten und vieles andere mehr.