Romy und der Weg nach Paris - Michelle Marly - E-Book
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Romy und der Weg nach Paris E-Book

Michelle Marly

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Beschreibung

Romy Schneider – die größte Schauspielerin ihrer Zeit. 1958: Die junge Romy fühlt sich in einer Sackgasse gefangen. Als Sissi ist sie zum Weltstar geworden, doch sie ist es leid, immer nur das süße Mädel zu geben. Sie träumt von einer Laufbahn als Charakterdarstellerin. Dann lernt die wohlbehütete Romy bei Dreharbeiten den noch unbekannten Alain Delon kennen – und verliebt sich in den rebellischen jungen Mann. Gegen den Willen ihrer Familie folgt sie ihm nach Paris. Doch Romys Karriere gerät ins Stocken, und schon bald erlebt auch ihre Liebe zu Alain eine Krise … Ein großer Roman über die Suche einer einmalig faszinierenden Frau nach ihrem Weg als Künstlerin, als Liebende – und nach sich selbst

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Über das Buch

Romy Schneider – die größte Schauspielerin ihrer Zeit.

1958: Die junge Romy fühlt sich in einer Sackgasse gefangen. Als Sissi ist sie zum Weltstar geworden, doch sie ist es leid, immer nur das süße Mädel zu geben. Sie träumt von einer Laufbahn als Charakterdarstellerin. Dann lernt die wohlbehütete Romy bei Dreharbeiten den noch unbekannten Alain Delon kennen – und verliebt sich in den rebellischen jungen Mann. Gegen den Willen ihrer Familie folgt sie ihm nach Paris. Doch Romys Karriere gerät ins Stocken, und schon bald erlebt auch ihre Liebe zu Alain eine Krise …

Ein großer Roman über die Suche einer einmalig faszinierenden Frau nach ihrem Weg als Künstlerin, als Liebende – und nach sich selbst

Über Michelle Marly

Hinter Michelle Marly verbirgt sich die in Hamburg geborene deutsche Bestsellerautorin Micaela Jary, die in München und Lugano aufwuchs. Durch ihren Vater, den Filmkomponisten Michael Jary, begegnete sie vielen Künstlern und Filmschaffenden der fünfziger und sechziger Jahre, später berichtete sie als Reporterin über das Showbiz, bis sie nach Paris zog und Romane zu schreiben begann. Heute lebt sie mit Mann und Hund in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.

Ihre Romane bei atb »Mademoiselle Coco und der Duft der Liebe«, »Madame Piaf und das Lied der Liebe« und »Die Diva. Maria Callas – die größte Sängerin ihrer Zeit und das Drama ihrer Liebe« sind internationale Bestseller.

Zuletzt erschien von ihr bei Rütten & Loening »White Christmas – Das Lied der weißen Weihnacht«.

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Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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I. Alain Delon

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

II. Luchino Visconti

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

III. Coco Chanel

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Nachwort

Danksagung

Impressum

Michelle Marly

Romy und der Weg nach Paris

Roman

Drei Menschen haben mein Leben verändert:

Alain Delon, Luchino Visconti und Coco Chanel.

ROMY SCHNEIDER

I. Alain Delon

Kapitel 1

PARIS 10. April 1958

Die Air-France-Maschine aus München durchbrach die Wolkendecke über der Île-de-France und gab durch das kleine, runde Fenster den Blick auf Wiesen und Ackerflächen frei. Die Dörfer mit den erstaunlich dicht aneinanderlehnenden Gehöften wirkten aus dieser Höhe so winzig wie die Häuschen in einer Spielzeuglandschaft. Eine steile Kurve, und schon kam die Metropole in Sicht, imposante, helle Gebäude mit Schieferdächern, gelegentlich umgeben von Grün, das Stadtbild durchschnitten von einem dunkel schimmernden Wasserband. Selbst aus dieser Entfernung und trotz des trüben Wetters ließ sich die besondere Atmosphäre erahnen, die seit Jahrzehnten in dem amerikanischen Song »April in Paris« besungen wurde. Der Charme des Frühlings schien nur auf die Reisenden zu warten, und wie fast alle Fluggäste träumte auch Rosemarie Albach von einem Kaffee unter blühenden Bäumen, dem süßen Duft dieses Monats und einer lauen Brise, die sie wie eine Umarmung umfing.

Das Lied auf den Lippen, löste sie sich von der Aussicht und betrachtete sich in dem Spiegel der kleinen Puderdose, die sie in Händen hielt. Sie war zur Arbeit unterwegs, die Schönheit der französischen Hauptstadt und die Verheißungen der Jahreszeit würden nur Beiwerk sein. Nicht mehr als die Kulisse für eine junge Frau, mit ihren neunzehn Jahren eigentlich noch ein Mädchen, das überall im Mittelpunkt stand. Dafür wurde verlangt, dass sie perfekt aussah. Tatsächlich saß ihr dichtes braunes Haar dank einer großen Portion Fixierspray immer noch genauso wie nach dem Friseurtermin vor ihrem Abflug, die Wimperntusche war nicht verlaufen, und den Lippenstift hatte sie bereits nach dem Service in der Luft nachgezogen. Sie strich mit der Puderquaste kurz über ihre Nase, dann verstaute sie die Schönheitsutensilien in ihrer Handtasche. Leise summend sah sie wieder durch das Bullauge, hinter dem die Luftbilder der Großstadt gerade von der idyllischen Umgebung des Flughafens Orly abgelöst wurden. Die unbebauten Flächen wurden weitläufiger, und schließlich erschien die Betonpiste zum Greifen nah. Wenn sie nicht an Flugreisen gewöhnt gewesen wäre, hätte sie spätestens jetzt fürchterliche Angst vor einer Bruchlandung, fuhr es Romy durch den Sinn.

Mit einem heftigen Ruck setzte das Flugzeug auf. Trotz des festgezogenen Anschnallgurtes wurde ihr Oberkörper von der Bremswirkung nach vorn geworfen, dann wieder nach hinten gegen die weich gepolsterte Lehne. Romy spürte, wie in ihrem Magen die Kohlensäurebläschen sprudelten, und sie wünschte, sie hätte auf das zweite Glas des Champagners verzichtet, der in der ersten Klasse gereicht wurde. Immerhin sorgte der Alkohol bei ihr trotz allem für eine gewisse Entspannung, die sie auch dringend brauchte. Direkt nach ihrem Eintreffen in Orly sollte sie öffentlichkeitswirksam ihren neuen Filmpartner kennenlernen. Die wichtigsten Vertreter der französischen Presse würden anwesend sein, sie müsste lächeln und so tun, als wäre ihr die Landung in Frankreich um vieles besser bekommen, als es tatsächlich der Fall war. In der Regel war Champagner vor solchen Anlässen ebenso hilfreich wie ein Glas hier und da in der Garderobe eines Ateliers oder hinter den Kulissen des jeweiligen Drehorts, aber ein Zuviel führte leider zum Gegenteil. Ach, hätte sie sich doch zurückgehalten!

Jetzt war ihr nicht mehr nach Singen zumute, und die Melodie erstarb auf ihren Lippen.

»Der Pilot hätte ein bisserl weniger forsch landen können«, meinte ihre Mutter neben ihr.

»Bienvenue à Paris«, erklang die Stimme einer Stewardess durch die Lautsprecher an Bord. »Willkommen in Paris. Leider ist es heute sehr kalt, der Tower hat uns übermittelt, dass keine sechs Grad herrschen. Bitte vergessen Sie Ihre Mäntel nicht.«

Also keine zarten Frühlingsgefühle, fuhr es Romy durch den Kopf. Wie gut, dass es sich bei ihrer Reise nach Paris nur um eine Stippvisite handelte und sie morgen in die Ferien nach Ibiza weiterflöge. Dort sollte es sonnig und die Temperaturen angenehmer sein, sie würde das neue Drehbuch lesen und sich gelegentlich auf ihre Rolle vorbereiten, aber ansonsten würde sie ihre Arbeit – und was damit verbunden war – ausblenden. Der Gedanke daran wärmte sie fast noch mehr als ihr silbergrauer Persianerpelz, den die Flugbegleiterin von der Garderobe genommen hatte und ihr nun reichte.

»Lächle, mein Kind«, erinnerte sie ihre Mutter, die bereits aufgestanden war, während sie sich ihre Nerzstola um die Kostümjacke schlang. »Immer lächeln.«

Der unglückliche Flunsch, den Romy eben noch gezogen hatte, verwandelte sich fast automatisch in ihr professionelles Strahlen. Dennoch murmelte sie: »Ich habe keine Lust auf diese Show.« Genau genommen hasste sie diese für die Presse arrangierten Empfänge an Flughäfen, bei denen sie so tun musste, als mache ihr das Reisen nichts aus, oder – noch schlimmer – sie so aussehen sollte, als sei sie gemeinsam mit einem Engel auf einer Wolke eingeflogen, der die himmlische Version einer irdischen Maskenbildnerin war.

»Natürlich freust du dich darauf. Wegen dieses Termins sind wir in Paris, sonst hätten wir auch daheim bleiben können.«

»Ja, Mammi.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Antwort wie ein einziger tiefer Seufzer klang.

*

Die Szene, die sich Romy beim Verlassen der Maschine bot, taugte bedauerlicherweise nicht, ihre Laune zu verbessern. Das Wetter war alles andere als frühlingshaft, sondern so grau und so kalt, wie die Stewardess vorhergesagt hatte. Statt den niedrigen Temperaturen in aller Eile entfliehen und in eine der Limousinen flüchten zu können, die in einigem Abstand zu dem Flugzeug mitten auf dem Rollfeld standen, wurde von ihr erwartet, dass sie sich bewegte, als wären ihr solch eisige Temperaturen gleichgültig. Langsam. Strahlend. Charmant. Gleichzeitig unantastbar. Wie ein Mannequin auf dem Laufsteg. Oder wie eine Kaiserin auf dem Weg zu ihrem Thron. Und das konnte sie tatsächlich besonders gut.

Am Fuße der Gangway wartete eine Gruppe von Fotografen, die ihre Kameras hoben und wild drauflosknipsten, kaum dass Romy durch die Kabinentür trat. Auf der anderen Seite der Treppe, keinen Meter von den Reportern entfernt, hatten vier Männer Aufstellung bezogen, zwei davon hielten Blumen in Händen, die vermutlich als dekorativer Willkommensgruß für sie und ihre Mutter gedacht waren. Produzent Michel Safra und den Regisseur Pierre Gaspard-Huit hatte Romy bereits kennengelernt, die beiden jungen Männer daneben hatte sie jedoch noch nie gesehen. Dabei handelte es sich zweifellos um ihre Partner in dem geplanten Spielfilm, für den dieser Presserummel veranstaltet wurde. Der eine Unbekannte war Mitte zwanzig, mit dunklem Haar und einer freundlichen Miene. Er wirkte in seiner geschäftsmäßigen Aufmachung selbstbewusst und attraktiv und vor allem viel weniger verkleidet als der Typ daneben.

»Mein Gott, was für eine Knallcharge«, entfuhr es ihr.

Der Typ, dem ihr Kommentar galt, war für einen Franzosen recht groß und offensichtlich nicht viel älter als sie selbst. Sein Gesicht war so schön wie das lebendig gewordene Antlitz einer antiken Büste des Eros, seine Augen leuchteten bei dem grauen Tageslicht tiefblau wie Veilchen, sein Haar war so schwarz und glänzend wie chinesischer Lack. Die angespannte Haltung zeugte von einem durchtrainierten Körper, der schwarze Anzug saß ebenso tadellos wie der offen getragene Mantel darüber, das weiße Hemd und die dunkle Krawatte. Dennoch war seine Kleidung für einen Mann seines Alters affektiert, auf jeden Fall viel zu elegant für den Anlass. Er hielt einen Strauß Rosen, die langstielig und rot waren. Alles an diesem Menschen war von allem zu viel, zu schön, um wahr zu sein. Er wirkte wie die überzeichnete Kopie von irgendjemandem, wie die zu perfekt inszenierte Attrappe eines Originals, das Romy wahrscheinlich ebenso uninteressant finden würde wie den Kerl, der da auf sie wartete.

Anscheinend sah man ihr die Bestürzung angesichts des Empfangskomitees an, denn ihre Mutter wisperte wieder: »Lächle! Vergiss nicht zu lächeln, egal, was passiert.«

»Das ist alles so peinlich«, zischte Romy zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück.

Ganz Kavalier der alten Schule, begrüßte Michel Safra zuerst die Mama. Er überreichte Magda seinen Blumenstrauß: »Bonjour, Madame, bienvenue à Paris!« Nach einer kurzen Pause, in der alle in der jeweiligen Pose verharrten, um den Pressevertretern Gelegenheit zu geben, Fotos zu schießen, wandte er sich an Romy und überließ ihre Mutter dem Regisseur: »Willkommen in Paris, Mademoiselle. Darf ich Ihnen Ihren Filmpartner vorstellen? Das ist Alain Delon.«

»Bonjour«, nuschelte dieser und platzierte mit einer großartigen Geste, die ein wenig zu theatralisch ausfiel, die Rosen in Romys Arm.

Kameraauslöser klickten in der Geschwindigkeit mehrerer Maschinengewehre.

Romy drückte die Blumen an sich, dankbar, einen Pelzmantel zu tragen, durch den sie die Dornen nicht spürte.

»Mademoiselle …«, rief ihr ein Reporter zu, so dass sie ihm einen Blick in sein Objektiv schenkte.

»Souriez s’il vous plaît!«, kam es aus einem anderen Mund.

Und wieder lächelte Romy auf Geheiß. Wie ein Hund, der artig »Sitz« und »Platz« macht, dachte sie.

»Mademoiselle Schneider, Monsieur Delon, merci de vous rapprocher …«, rief ein anderer Fotograf. Diesmal verstand Romy kein Wort. Ihr Schulfranzösisch reichte für differenzierte Kommandos nicht aus.

Alain Delon neigte sich zu ihr. Im ersten Moment registrierte Romy, dass er gut eine Handbreit größer als sie war. Aber, nun ja, sie war nur einen Meter zweiundsechzig groß und trug Pumps mit hohen Absätzen. Einen Atemzug später empfand sie diese plötzliche Nähe zu dem fremden jungen Mann unangenehm. Sein Aftershave stieg ihr in die Nase. Auch davon hatte er zu viel benutzt.

Sie wollte gerade von ihm abrücken, doch da sagte der andere Mann, der sie erwartet hatte, auf Deutsch mit französischem Akzent: »Die Fotografen wollen, dass Sie dichter zusammenstehen. Bitte tun Sie ihnen den Gefallen, Mademoiselle. Ich bin Jean-Claude Brialy, ein Freund von Alain, und ich wirke in einer Nebenrolle in Ihrem neuen Film mit.«

Warum konnte dieser sympathische Schauspieler nicht ihr neuer Filmpartner sein? Außerdem würde sie sich mit dem verständigen können, während Alain Delon den Mund nicht aufbekam.

»Do you speak English?«, erkundigte sie sich bei dem Schönling, während sie in die Kameras strahlte, als wäre sie auf der Stelle verliebt in den Kerl.

»A little bit«, erwiderte er in einem Ton, der eher nach Französisch als nach der Sprache klang, von der Romy hoffte, sich mit ihm darin unterhalten zu können. Dabei wirkte er in einer Art überheblich, die sie abstieß.

Wahrscheinlich konnte sie sich glücklich schätzen, dass er sich dazu herabließ, überhaupt ein Wort an sie zu richten. Dennoch war er ein Niemand. Kein Mensch kannte Alain Delon. Gerade deshalb war er als Partner für sie engagiert worden. Ihr Name war der Magnet, nicht seiner. Aber warum – um alles in der Welt – war die Produktion ausgerechnet auf diesen Typen verfallen? Warum hatte ihre Mutter, die bislang jeden ihrer Filmpartner unter die Lupe genommen hatte, diesem Engagement zugestimmt? Warum hatte sie, Romy, sich überhaupt überreden lassen, eine Rolle anzunehmen, die Magda Schneider vor fünfundzwanzig Jahren brillant gespielt hatte? Eine Verkettung von Fehlentscheidungen hatte sie auf dieses Rollfeld nach Orly an die Seite eines Schönlings geführt, den sie mehr als überflüssig fand. Sie konnte nur verlieren. Es war einfach furchtbar.

Der Produzent richtete einige Worte an die Presse, aber Romy hörte nicht zu, gefangen in ihrem Unglück und gleichzeitig von dem Wunsch geleitet, die beste Figur abzugeben. Offensichtlich bat Safra die Reporter um Verständnis, dass der Fototermin hiermit beendet sei, weil die Damen nun in ihr Hotel gebracht würden. Wenn auch murrend, zogen sich die Vertreter der französischen Medien tatsächlich zurück. Romy registrierte, dass ihre Mutter, die sich mit Pierre Gaspard-Huit unterhalten hatte, in Richtung des ersten Citroën schritt. Im Gehen warf sie einen kurzen Blick über die Schulter und nickte ihr auffordernd zu. Alain Delon begriff ebenfalls und trat endlich von Romys Seite fort. Der Presseempfang war also vorbei. Die schlimmsten Minuten der Ankunft überstanden.

Romy atmete tief durch. Überrascht stellte sie fest, dass die nach Regen duftende Luft trotz der herrschenden Kälte ein bisschen wie der besungene April in Paris roch. Es tat gut, ihre Lungen damit zu füllen.

Wenigstens dufteten die Rosen um diese Jahreszeit noch nicht so intensiv wie im Sommer. Der geschmacklose Strauß lag schwer in ihrem Arm. Sie sah sich nach jemandem um, der ihn ihr abnehmen könnte. Doch eine aufmerksame Requisiteurin wie im Studio gab es am Fuße der Gangway nicht.

Da sie niemanden sonst dafür fand und er noch immer in ihrer Nähe stand, reichte sie Alain Delon die Blumen. Der war viel zu verblüfft, um nicht zuzugreifen.

Als sie zu dem wartenden Wagen schritt, hörte sie ihn in ihrem Rücken sagen: »Was glaubt sie, wer sie ist? Ein Weltstar soll das sein? Brigitte Bardot ist ein Weltstar – wer ist Romy Schneider!«

Unglücklicherweise wählte er für seinen verbalen Ausbruch Vokabeln, die sie im Internat der Augustiner-Chorfrauen auf Schloss Goldenstein im Salzburger Land gepaukt hatte.

Kapitel 2

Ohne Zweifel irrte Monsieur Delon: Romy Schneider war ein Weltstar. In Spanien etwa war ihr Film »Mädchenjahre einer Königin« fast ein Jahr lang in den größten Kinos gelaufen, erst vorigen Januar war sie für die Geschichte über die junge Königin Victoria auf Promotion-Tour durch die USA gereist und hatte erlebt, wie es war, auch in Übersee berühmt zu sein. In New York und Los Angeles trat sie in acht Livesendungen im Fernsehen auf, sprach fünfmal im Radio, gab unzähligen Kolumnisten und Journalisten der Printmedien Interviews und absolvierte Fototermine, bis sie Muskelschmerzen vom dauernden Lächeln bekam, sie besuchte den Opernball in Manhattan und machte Probeaufnahmen für Metro-Goldwyn-Mayer in Hollywood. Nicht zuletzt wegen der Zeitverschiebung war sie ständig müde, doch die Aufregung hielt sie auf Trab. Es war alles unfassbar großartig.

Obwohl ihre Eltern Filmschauspieler waren, kannte Romy bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr weder die Welt vor noch die hinter der Kamera. Der von ihr tief verehrte Vater, der meist abwesende Wolf Albach-Retty, verließ die Mammi, sie selbst und ihren erst zwei Jahre alten Bruder, als sie fünf war. Danach sah sie ihn noch seltener. Magda Schneider bemühte sich zwar sehr um die kleine Familie, war aber gezwungen zu arbeiten und konnte deshalb nur in den Ferien für Rosemarie und Wolf-Dieter da sein. Ihre Bezugspersonen waren die Großeltern Schneider, bürgerliche Leute aus Augsburg, der Großvater Installateur, die Oma Hausfrau, die zur Kinderbetreuung in Magda Schneiders Landhaus Mariengrund in Schönau bei Berchtesgaden gezogen waren. Durch sie erlebte Romy eine Kindheit fern der Arbeitswelt ihrer Eltern. Das Kino kannte sie als Backfisch nur durch die Besuche eines Lichtspieltheaters in Salzburg, von den Nonnen im Internat gelegentlich gestattet, und sie war begeistertes Mitglied der Theatergruppe. Auf der Schulbühne zu stehen bedeutete Romy viel, und Schauspielerin zu werden war ihr heimlicher Berufswunsch. Aber sie dachte auch darüber nach, ein Kunsthandwerk zu erlernen, da sie so gern – und gut – Teller bemalte und diese selbst gemachten Stücke ständig an ihre Familienmitglieder verschenkte.

Ihr Leben änderte sich zwei Tage nach ebenjenem vierzehnten Geburtstag von Grund auf, als sie mit der Mammi für einen Einkaufsbummel in München war. Zunächst war da die Heirat ihrer Mutter mit dem wohlhabenden Kölner Gastronomen Hans Herbert Blatzheim, wodurch ein fremder Mann in der Familie das Sagen hatte. Romy akzeptierte den Stiefvater durchaus pragmatisch und nannte ihn Daddy, obwohl sie eigentlich die ohnehin begrenzte Aufmerksamkeit, die Mammi ihr schenken konnte, von nun an würde teilen müssen. Doch dann begann die intensivste gemeinsame Zeit zwischen Mutter und Tochter, die sich Romy nicht einmal zu erträumen gewagt hätte – angefangen mit einer an sich schon ungewöhnlichen Teestunde in der Halle des noblen Hotels Bayerischer Hof.

Zum ersten Mal ging sie mit ihrer Mammi so fein aus – und das auch noch zu einem Treffen mit dem Regisseur Hans Deppe, mit dem Magda Schneider für ein neues Projekt zusammenarbeitete. Es war auch das erste Mal, dass Romy einen Mann aus dem künstlerischen Umfeld ihrer Eltern kennenlernte, was für sie natürlich ausgesprochen aufregend war. Doch während sich die Erwachsenen über die Besetzung von Magdas Filmtochter in »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« unterhielten, kreisten Romys Gedanken um die Aufnahme in eine Kunstgewerbeschule. Erst als ihr Name fiel, begriff sie, wen ihre Mutter für die Rolle ins Gespräch gebracht hatte. Probeaufnahmen in Geiselgasteig folgten, dann weitere Probeaufnahmen in Westberlin. Und ohne jemals eine Schauspielschule besucht zu haben, wurde Romy Filmschauspielerin. Das war anfangs erstaunlich leicht, denn sie besaß ein gutes Gedächtnis und konnte sich die Texte hervorragend merken, befolgte diszipliniert die Anweisungen von Regisseur, Kameramann und Beleuchter und spielte ansonsten sich selbst – ein hübsches junges Mädchen voller Natürlichkeit und mit einer herzlichen, warmen Ausstrahlung.

Niemand hatte mit ihrem Erfolg gerechnet, am wenigsten Romy selbst. Vor allem hatte kaum einer der Beteiligten jenen Sturm der Begeisterung vorhergesehen, den sie dann als junge englische Königin Victoria auslöste, ihre erste Hauptrolle. Im Jahr darauf folgte der Kassenschlager »Sissi«, da war Romy Schneider in Deutschland und Österreich bereits ein großer Star, in vielen anderen Ländern sollte sie es bald darauf werden. Als sie an der Seite ihrer Mutter vom Flughafen Orly zum Hotel George V. im 8.Arrondissement von Paris fuhr, war sie weltweit eine der populärsten jungen Filmschauspielerinnen. Genau deshalb hatte Michel Safra sie engagiert, auch wenn ihr französischer Kollege das anders sah.

»Wie seid ihr eigentlich auf diesen Alain Delon gekommen?« Romy seufzte beim Gedanken an diesen Flegel, der wohl in einem anderen Wagen in die Stadt fuhr. Oder mit der Métro. Sie wusste es nicht.

»Dein Regisseur hat ihn ausgesucht«, erwiderte ihre Mutter geduldig. »Und ich habe mich nach der Begutachtung der Probeaufnahmen Pierre Gaspard-Huits Meinung angeschlossen. Alain Delon ist völlig unbekannt, was ich als Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit dir sehe, aber er macht eine sehr gute Figur, vor allem in der Uniform, die er in seiner Rolle als Leutnant Lobheimer trägt. Außerdem scheint er ziemlich talentiert zu sein.«

»Talentiert?«, wiederholte Romy trocken. »Worin besteht denn bitte sein Talent?«

Magda strich liebevoll über ihre Hand. »Als Schauspieler natürlich. Echauffiere dich nicht, und warte nur ab.«

Geduld gehörte nicht unbedingt zu Romys Stärken. Sie wusste aber auch, dass sie an der Entscheidung nichts mehr ändern konnte. Dennoch klagte sie: »Was hat man davon, ein Filmstar zu sein, wenn man bei der Verteilung der anderen Rollen kein Mitspracherecht hat?«

»Dieses Recht wurde mir vertraglich eingeräumt«, warf Magda ein, doch Romy hörte nicht zu, sondern lamentierte weiter: »Ich wünschte, ich hätte mich durchgesetzt, und Horst Buchholz wäre wieder mein Partner. Du weißt, wie gern ich mit ihm gedreht habe.«

In dem Moment, in dem sie ihren letzten Satz abschloss, wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war, den jungen deutschen Star anzusprechen.

Horst Buchholz war für sie ein Lichtblick im Atelieralltag gewesen. So wie zu Beginn ihrer Karriere der junge Wiener Regieassistent Hermann Leitner, in den sie sich bei den Dreharbeiten zu »Mädchenjahre einer Königin« verknallt hatte. Mehr als eine harmlose Schwärmerei war natürlich nicht daraus geworden, da sie keinen Schritt ohne Mammi tat. Dann hatte sie bei einem Filmball in München den österreichischen Skirennläufer Toni Sailer kennengelernt. Obwohl schon mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger, hatte der sich reichlich unbeholfen in der feinen und berühmten Gesellschaft bewegt, die für Romy selbstverständlich war. Glücklicherweise verstand sie seinen derben Tiroler Akzent, was dazu führte, dass sie den ganzen Abend miteinander verbracht, geredet, gelacht und viel Spaß gehabt hatten. Am nächsten Tag trafen sie sich zu einem Mittagessen – mit der Mammi –, und damit war der Flirt auch schon vorbei.

Mit Horst Buchholz verhielt es sich anders. Sie drehten zwei gemeinsame Filme, dadurch waren sie viel zusammen und konnten – trotz der Anwesenheit ihrer Mutter – Freunde werden. Der Berliner beeindruckte sie mit seiner Herkunft aus dem Arbeitermilieu in Neukölln, einer für sie fremden Welt, weshalb er auch nicht so angepasst und wohlerzogen war wie sie selbst. Er sah blendend aus, war in jeder Hinsicht aufregend und in Romys Augen ein Revolutionär, der forsch und selbstbewusst das Ziel verfolgte, ein internationaler Star zu werden. In Deutschland kannte ihn nach seiner Hauptrolle in »Die Halbstarken« praktisch jeder, und die meisten verehrten ihn als deutschen James Dean. Die Attitüde seiner unterschwelligen Wildheit faszinierte Romy deutlich mehr als das geschliffene Äußere eines eingebildeten Schönlings wie Alain Delon. Am Ende wurde das allerding auch zum Problem zwischen ihnen: Hotte, wie er von seiner Familie und seinen Freunden genannt wurde, warf ihr vor, ihn nicht zu verstehen, weil sie einen völlig anderen Hintergrund besaß …

»Horst Buchholz kam nicht infrage«, unterbrach Magda ihre Gedanken, und dabei war nicht klar, welche Rolle für ihn sie meinte.

So oder so wusste Romy darauf keine Antwort. Deshalb blickte sie still aus dem Fenster. Die bürgerlichen, hohen, kalkweißen Häuserfronten des 14.Arrondissements wechselten sich mit den nobleren Gebäuden des 7.Bezirks ab. In der Ferne überragte die goldene Kuppel des Invalidendoms die Szenerie, und Romy wusste, dass sie auf der anderen Seite gleich den Eiffelturm sehen und an diesem vorbeifahren würde. Sie kannte die Route vom Flughafen in Richtung Champs-Élysées und genoss sie jedes Mal seit ihrem ersten Besuch in Paris vor zwei Jahren …

»Im Gespräch war noch ein junger Engländer namens Roger Moore. Aber der ist zu alt für dich. Er ist schon über dreißig. Alain Delon ist nicht nur attraktiv, er ist drei Jahre älter als du, und das passt sehr gut.«

Wahrscheinlich ist Delon der Liebling jeder Schwiegermutter, fuhr es Romy durch den Kopf. Ein Langweiler.

Laut erwiderte sie, wenn auch nicht weniger mürrisch: »Mit dem Engländer hätte ich mich wenigstens unterhalten können.«

»Dein Englisch ist viel besser – ja. Aber dein Schulfranzösisch ist gar nicht so schlecht.«

»Ja, Mammi«, stimmte Romy ergeben zu. Was sollte sie auch sonst sagen?

Sie presste ihre Nase gegen die Scheibe und blickte hinaus, als der Chauffeur den Wagen an den Ehrfurcht einflößenden Mauern der École militaire entlanglenkte, um dann am Eiffelturm vorbei zu fahren und über den Pont d’Iéna die Seine zu überqueren. Es begann zu regnen, so dass feine Schlieren an dem Glas hinunterliefen, während Romy von Frühlingsgefühlen in Paris träumte.

Die hatte sie hier vor einem Jahr bei Dreharbeiten mit Horst Buchholz erlebt und sich nicht nur in diese Stadt verliebt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Rückkehr so trist ausfallen würde.

Kapitel 3

Pressetermin, Regiebesprechung, Proben – Romy kannte das Prozedere bei den Vorbereitungen für einen Spielfilm. Die Dreharbeiten waren – wie meist – auf zwei Monate begrenzt und mussten später in Paris und Wien auf den Tag genau erledigt sein, um den vorgegebenen Zeitrahmen zu erfüllen. Jegliche Komplikationen und zusätzliche Kosten sollten vermieden werden. Deshalb die minutiöse Planung. Auch das war Romy bewusst. An ihr sollte es nicht liegen, wenn überzogen werden musste. Sie arbeitete im Atelier und bei den Außenaufnahmen so präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, ihretwegen würde nichts schiefgehen.

Bei ihrem Filmpartner war sie sich da freilich nicht so sicher. Ihr war klar, dass sie ihm ebensowenig sympathisch war wie er ihr.

Wenigstens in diesem Punkt sind wir uns einig, dachte sie mit einer Spur Erleichterung. Nicht auszudenken, wenn dieser Schönling ihr nachstellen würde.

»Alain und ich würden Sie gern einladen.« Der sanfte, hinreißend französisch gefärbte Ton von Jean-Claude Brialy erreichte Romy durch das unverständliche Geplauder der anderen Beteiligten nach der Regiebesprechung am Nachmittag in ihrem Hotel. »Wenn Sie heute Abend noch nichts vorhaben, möchten wir Sie ins Lido ausführen.«

Die Überraschung machte sie sprachlos.

»Selbstverständlich gilt die Einladung auch für die Frau Maman«, fügte er eifrig hinzu.

»Ja«, antwortete sie gedehnt. Es klang wie eine Frage und nicht wie eine Zustimmung. Genau genommen wusste Romy in diesem Moment selbst nicht genau, was sie wollte.

»Nach dem Diner wird im Lido eine sehenswerte Revue gezeigt«, fuhr Brialy fort, der ihre Unsicherheit offenbar spürte. »Die Stars sind zwei junge Frauen aus Deutschland. Sie wollen die Kessler-Zwillinge bestimmt auch sehen, Mademoiselle Schneider. Oder sind die beiden bei Ihnen nicht so berühmt wie hier?«

»Doch, doch«, versicherte sie rasch. Und dann lächelte sie. »Ich würde mir die Show im Lido tatsächlich gern anschauen.«

Er strahlte sie an. »Voilà, dann haben wir ein Rendezvous.«

»Ich werde es meiner Mutter sagen.«

*

Als sie am Abend neben der Mammi durch die von zahllosen Scheinwerfern erhellte Ladenpassage zum Eingang des weltberühmten Varietétheaters an den Champs-Élysées schritt, fragte sich Romy, welcher Teufel sie geritten hatte, die Einladung anzunehmen.

Natürlich ging sie gern aus. Sie war neunzehn Jahre alt, da liebten es alle Mädchen, auszugehen. Formelle Abendveranstaltungen an der Seite ihrer Mutter und häufig zudem in Begleitung ihres Stiefvaters kannte sie zur Genüge. Hans Herbert Blatzheim besaß zig Restaurants, Bars, Nachtclubs, die sie fast alle besucht hatte oder vielmehr besuchen musste, weil ein Foto mit Romy Schneider in dem jeweiligen Etablissement Werbung bedeutete. Von einem Diner im Lido erwartete sie wenig anderes als das bereits Bekannte. Außerdem würde die Filmgesellschaft für die nötige Anzahl an Presseleuten sorgen, die das künftige Film-Liebespaar bei dem von Jean-Claude Brialy eingefädelten »Rendezvous« ablichteten. Es würde also ein Abend wie alle anderen sein. Doch das hatte nichts mit dem zu tun, was Romys Altersgenossinnen – und inzwischen auch sie selbst – unter ausgehen verstanden.

Seit geraumer Zeit schlich sich die Überlegung, dass sie ihr Leben ändern musste, immer häufiger in ihre Gedanken. Sie war neunzehn Jahre alt – da hieß es doch, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, selbstständig zu sein. Sie konnte nicht für immer die Marionette ihrer Mutter und ihres Stiefvaters bleiben. Andererseits wollte sie die Fürsorge ihrer Familie unter gar keinen Umständen verlieren. Die Vorstellung, für die eigene Freiheit auf die Liebe ihrer Mutter zu verzichten, war grauenvoll. Deshalb fügte sie sich immer wieder den Wünschen ihrer Eltern, doch inzwischen war sie nicht mehr so glücklich damit wie in den vergangenen Jahren.

Allerdings traf sie sich heute Abend nicht mit Alain Delon und Jean-Claude Brialy, um zu rebellieren. Vielmehr nahm sie an, es werde vom Produzenten und vom Regisseur gern gesehen, dass sie zusammen ausgingen, und sie werde damit wieder einmal alle Erwartungen erfüllen. Auch hoffte sie, ihren Filmpartner besser kennenzulernen und ein harmonisch-kollegiales Verhältnis aufbauen zu können. Das würde die Zusammenarbeit erleichtern und darüber hinaus sogar verbessern. Eine derart starke Ablehnung durch einen anderen Schauspieler hatte Romy bislang noch nicht erlebt, für sie war es immer selbstverständlich gewesen, gut Freund mit den Männern und Frauen zu sein, mit denen sie vor der Kamera stand. Das erhoffte sie sich auch von den Mitwirkenden bei den bevorstehenden Dreharbeiten. Und wenn sie für den Beginn einer neuen Freundschaft mit einem Schnösel wie Alain Delon ins Lido gehen musste, tat sie das eben.

Das Lido war sehr elegant im Stil eines altmodischen Revuetheaters eingerichtet: Tische mit bequemen Polsterstühlen und kleine Sofas gruppierten sich mit einigem Abstand im Halbkreis vor einer Bühne, es gab Nischen und Tischlampen, die für eine gedämpfte Beleuchtung im ansonsten halbdunklen Theatersaal sorgten. Und dafür, dass man das Essen auf dem Teller fand, fügte Romy ihrer Betrachtung für sich hinzu.

Eine Kapelle spielte zum Tanz, französische Chansons und melodischen Swing, kein Jazz oder gar Rock ’n’ Roll. Die Paare, die sich auf der Tanzfläche unterhalb der Bühne zu einem langsamen Walzer drehten, waren elegant gekleidet, die Damen trugen durchweg Cocktailkleider, die Herren Smoking. Kellner im Frack und mit langen, weißen Schürzen schleppten riesige Platten mit Meeresfrüchten und Champagner aus der Restaurantküche heran. Alles wirkte so unglaublich exquisit, dass sich Romy insgeheim fragte, wie sich zwei unbekannte Schauspieler dieses Ambiente leisten konnten. Sicher bezahlte der Produzent ihre Zeche.

Als der Geschäftsführer Romy und Magda an den reservierten Tisch führte, erwarteten Delon und Brialy sie bereits. Beide natürlich im Abendanzug, und Delon wirkte wieder so geschniegelt wie am Flughafen. Wenn dieser Typ ein bisschen mehr wie ein junger Mann seiner Zeit aussehen und nicht ständig mit dieser bierernsten Miene herumlaufen würde, fände ich ihn wahrscheinlich gar nicht so unangenehm, dachte Romy, als sie ihm die Hand reichte und höflich »Bonsoir« wünschte.

»Isch liebe disch«, erwiderte Alain Delon ernst.

Romy zog ihre Hand irritiert zurück. »Wie bitte?«

»Er ist sehr forsch, Ihr Freund«, kommentierte Magda die Szene lächelnd und mit der bravourösen Nachsicht einer Königinmutter.

Brialy grinste verlegen. »Ich habe Alain diesen deutschen Satz beigebracht – er muss ihn missverstanden haben …«

Ein rascher halblauter und nuschelnd klingender französischer Dialog folgte, von dem Romy nicht einmal einen Bruchteil verstand.

»Wir freuen uns sehr, dass Sie beide kommen konnten«, behauptete Brialy schließlich charmant. »Mehr wollte Alain nicht zu Ihnen sagen, Mademoiselle.«

»Ja …« Romy biss sich auf die Unterlippe. Ihre Stimmung war im Keller. Kein besonders gelungener Auftakt für ein Essen unter Kollegen, die Freunde werden sollten. Mit einem Seitenblick auf Delon fügte sie deshalb hinzu: »Ich habe auch nicht geglaubt, dass Monsieur Delon mehr sagen wollte.«

Ihre Mutter versuchte die Situation zu retten, indem sie freundlich fragte: »Wollen wir uns nicht setzen?« Da es jedoch eine rhetorisch gemeinte Frage war, ließ sie sich, ohne eine Antwort abzuwarten, auf dem nächstbesten Stuhl nieder. Der Oberkellner hatte ihn ihr ohnehin schon zurechtgeschoben.

Die Anspannung ließ nicht nach. Delon bestellte Champagner, hatte jedoch wohl nicht damit gerechnet, wie trinkfest Romy unter den gegebenen Umständen war. In der Hoffnung, dem Abend noch etwas Positives abzugewinnen, leerte sie das erste Glas, als befände sich Limonade darin. Das zweite trank sie langsamer, aber da auch Magda und Brialy zugriffen, musste bald eine zweite Flasche geöffnet werden – und danach eine dritte. Zwei der riesigen Platten mit Meeresfrüchten wurden auf Delons Geheiß aufgetragen, und Romy aß mit großem Appetit, woraufhin ihr neuer Filmpartner eine Extraportion Kaviar bestellte.

Romy bemerkte den kritischen Blick ihrer Mutter, aber sie ignorierte Magdas Vorbehalte, aß und trank und versuchte, sich zu amüsieren, obwohl es dafür weit mehr als kulinarischer Köstlichkeiten und alkoholischer Getränke bedurfte. Die Unterhaltung gestaltete sich schwierig, weil sie nur über Brialy geführt werden konnte und Delon sich offensichtlich langweilte, aber selbst den Eindruck vermittelte, der größte Langweiler zu sein. Ihr fiel auf, dass Brialy seinen Freund mehrmals in die Seite stieß. Als das nicht wirkte, erreichte er Delons Aufmerksamkeit durch einen Tritt, woraufhin Delon wie elektrisiert aufsprang und dabei fast den Tisch umstieß.

Er stand vor Romy, verneigte sich formvollendet. »Dansez avec moi!«, forderte er schroff und fügte in seinem komischen Englisch hinzu, das nicht freundlicher klang: »Dance with me!«

Mit einem zurückhaltenden Nicken erhob sie sich. Wie eine Marionette, dachte sie.

Prompt wurde sie von einem Blitzlicht geblendet. Auf den gemeinsamen Tanz mit ihrem Filmpartner hatten die anwesenden Reporter anscheinend gewartet. Nun ja, es war eines der beliebtesten Motive im Vorfeld von Dreharbeiten. Romy kannte das.

Die Kapelle spielte »La vie en rose« von Édith Piaf, und sie wünschte, sie läge bei diesem wunderschönen Chanson über die Liebe in den Armen eines anderen. Zwischen ihr und Horst Buchholz war es vor den Dreharbeiten ihres ersten gemeinsamen Films fast zur selben Szene gekommen. Doch wie anders war es damals gewesen …

Passend zum jugendlichen Alter seiner achtzehnjährigen Stieftochter und deren zweiundzwanzigjährigem künftigem Partner in dem Streifen »Robinson soll nicht sterben« lud Hans Herbert Blatzheim am Nachmittag zur Pressekonferenz. Er wählte als Kulisse seine »Tabu-Bar« an der Münchner Leopoldstraße, ein Nachtlokal, das auchals Existenzialistenkeller bekannt war. Abends trug man hier einen schwarzen Rollkragenpullover, hörte Jazz und tanzte Jitterbug. Für zwei junge Leute, die – jeder auf seine Weise – gerade die beliebtesten Filmstars in Deutschland waren, schien das eine geeignete Kulisse zu sein, wenn auch die falsche Uhrzeit. Romy fühlte sich zu einem kleinen Mädchen degradiert, das nicht mit den Erwachsenen zusammen sein durfte, aber sie fügte sich – und wurde für ihre Langmut belohnt.

Sie kannte Fotografien von Horst Buchholz – welches Mädchen ihres Alters kannte die nicht? –, und sie wusste, wie blendend er aussah. Ebenso hatte sie wie alle anderen Teenager über seinen Werdegang gelesen, dass er als uneheliches Kind in Berlin geboren worden und bei Pflegeeltern aufgewachsen war. Er war ein Arbeiterkind, das seine Herkunft nicht verleugnete, und ein brillanter Schauspieler. Romy hatte ihn in »Die Halbstarken« bewundert und sah ihrer ersten Begegnung mit einem etwas flauen Gefühl im Magen entgegen.

Und dann tauchte er in der Tabu-Bar zur Pressekonferenz auf – ganz der unangepasste junge Mann in Jeans, weißem Shirt und Lederjacke, als wolle er unter Beweis stellen, dass er tatsächlich »der deutsche James Dean« war. Seine blauen Augen funkelten wie ein ganzer Sternenhimmel.

»Kein Walzer«, erklärte er. »Ich tanze keinen Walzer mit dir.«

Romy verwirrte, dass er gleich das freundschaftliche Du benutzte, seine Ablehnung machte sie zudem ratlos, aber sein Selbstbewusstsein gefiel ihr. »Dann tanzen wir eben keinen Walzer«, antwortete sie leichthin.

»Ich dachte, du könntest nur Walzer. Kannst du auch Boogie-Woogie?«

Vermutlich war es eine Fangfrage. Bei einem Typen mit derart provokantem Auftreten war das durchaus möglich. Andererseitswirkte er aufrichtig – und nett. Deshalb antwortete sie ohne Umschweife: »Ich denke schon.«

Er grinste. »Na, dann lass uns den Presseleuten zeigen, was die Jugend von heute draufhat.«

Und plötzlich spürte Romy etwas ganz Neues. Die Musik ging ihr in die Beine und zog von dort durch ihre Glieder bis in ihren Kopf. Es war ein völlig neues Lebensgefühl. Sich von Hotte über die Tanzfläche wirbeln zu lassen war unglaublich befreiend. Sie strahlte und dankte still dem Herrgott, dass sie trotz ihrer Körpergröße von nur einem Meter und zweiundsechzig Zentimetern keine Pumps mit hohen Absätzen, sondern flache Ballerinas trug.

Atemlos folgte sie seinen Bewegungen, verließ sich auf ihn, drehte sich, gab sich ganz dem Rock ’n’ Roll hin. Ihr schien es, als wären Königin Victoria und Kaiserin Sissi mit einem Mal verschwunden, als habe sie nun die Rolle ihres Lebens gefunden. Endlich durfte sie wie ein ganz normales junges Mädchen agieren, musste nicht mehr nur das niedliche, wohlerzogene, ein wenig mollige Wiener Madel geben. Es fühlte sich an wie eine kleine Revolution.

Anschließend zog Hotte sie zur Band. Inmitten der Musiker spielten sie ausgelassen Luftgitarre.

Das Spektakel, das sie eigentlich nur für die Öffentlichkeit aufführten, brachte eine Saite in Romys Innerstem zum Klingen, von deren Existenz sie zwar irgendwie wusste, der sie bisher jedoch noch nicht gelauscht hatte. Vor allem aber war ihr von diesem Nachmittag an klar, dass sie und Horst Buchholz Freunde werden würden.

Freunde, fuhr es Romy durch den Kopf, werden Alain Delon und ich ganz gewiss nicht.

Sie war dankbar, dass der erste Tanz relativ rasch beendet war. Es würde auch der einzige bleiben, das Schicksal kam ihr zu Hilfe. Weil der Kapellmeister mit einem Tusch den Beginn der Revue ankündigte, führte Delon sie an den Tisch zurück.

Bis dahin hatten sich Romy und ihr Partner steif wie schüchterne Fünfzehnjährige in einer altmodischen, unglaublich anständigen Tanzschule bewegt. Nicht wie zwei moderne junge Leute. Dennoch hatte Romy in die Fotokameras gelächelt. Den Wunsch, diese Show so schnell wie möglich zu beenden, sah man ihr glücklicherweise nicht an. Sie kam sich wieder einmal wie ein dressierter Hund vor – nun musste der zu allem Übel auch noch Männchen machen.

Delon bestellte noch mehr Champagner, und Romy beschloss, sich dem angenehmen Teil des Abends zuzuwenden. Die gedimmte Beleuchtung im Zuschauerraum ermöglichte es ihr, zu entspannen und sich ein wenig gehen zu lassen, da sie nun nicht mehr ständig damit rechnen musste, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. Sie brauchte nicht mehr kerzengerade zu sitzen und durfte den Ellenbogen auf dem Tisch und den Kopf auf die Hand aufstützen. Neugierig beobachtete sie die Vorgänge auf der Bühne, wo in gleißendem Licht ein Feuerwerk an Glitzer, Glanz und Gold zu explodieren begann.

Die Bluebell Girls, das berühmte Ballett des Lido, trugen atemberaubend wenig auf ihren wunderschönen Körpern, und dennoch waren ihre Kostüme mindestens ebenso pompös wie jedes einzelne Ballkleid der Kaiserin Sissi im Film. Die hautfarbenen Trikots der Mädchen schienen vorn nur aus Strasssteinen zu bestehen, am Rücken und auf dem Kopf balancierten sie riesige Gebinde aus Straußenfedern, Arme, die unfassbar langen Beine und auch die Brüste der Tänzerinnen waren indes unbedeckt und schimmerten matt wie Alabaster.

Romy war wie geblendet. Sie fand die Freizügigkeit des Auftritts zwar sensationell, aber sie war ihr auch unangenehm. Diese üppige Nacktheit, gepaart mit Frivolität und Eleganz, in Gegenwart ihrer Mammi und in Begleitung zweier junger Männer anzuschauen, war definitiv peinlich. Um das auszuhalten, hatte sie noch längst nicht genug Champagner getrunken. Verlegen senkte sie den Blick in ihr Glas.

Dann traten die Kessler-Zwillinge auf: groß gewachsen, langbeinig, blond, wunderschön. In absolut synchronen Tanzschritten bewegten sich die beiden jungen Frauen und forderten in ihrer Perfektion immer wieder den Applaus ihres Publikums heraus. Was wäre, wenn ich eine Schwester hätte, die mein Spiegelbild wäre?, fuhr es Romy durch den Kopf. Sicher wäre sie in ihrer Kindheit nicht so einsam gewesen. Was für ein lustiger Gedanke, dass sie sich die Rolle der Sissi hätten teilen können – jede von ihnen spielte in zwei Filmen mit, dann bräuchte Romy auch nicht so vehement einen vierten Streifen abzulehnen, weil den dann die andere drehen würde. Was für eine schöne Idee! Alice und Ellen Kessler müssen sehr glücklich sein, dass sie einander haben, resümierte Romy still.

Es war weit nach Mitternacht, als Magda schließlich zum Aufbruch drängte. Nach einer kurzen Diskussion zwischen Brialy und Delon, von der Romy wieder kein Wort verstand, winkte Delon dem Kellner und bat um die Rechnung. Die allgemeine Unterhaltung war längst eingeschlafen, Romy blickte zu der nun dunklen Bühne, betrachtete die eleganten Paare, die sich zur Musik der Kapelle auf der Tanzfläche drehten. Letztlich war es doch ein ganz schöner Abend geworden, zumindest hatte sie etwas Neues kennengelernt, das beeindruckend war. Sicher würde das nicht ihr letzter Besuch im Lido gewesen sein.

Der Oberkellner brachte die Rechnung auf einem Silbertablett, eingehüllt in eine weiße Leinenserviette, und legte das Ensemble vor Delon.

Während Delon die Serviette aufklappte wie ein Kuvert, blickte ihm Brialy über die Schulter. Ein leises, wenn auch deutliches Aufstöhnen war die Folge.

Alain Delon hob seinen Blick. Zum ersten Mal sah er Romy direkt in die Augen. Intensiv. Eindringlich. Dann schmunzelte er.

Verwirrt erwiderte sie sein Lächeln. Es war wie ein Automatismus und kam nicht aus ihrem Herzen.

Mit einer nonchalanten Bewegung schob er das Tablett an den Gläsern auf dem Tisch vorbei zu ihr hin. Das tat er so geschickt, dass Romy die Rechnung nicht umzudrehen brauchte, um den Betrag zu lesen. Es war die eindeutige Aufforderung an sie, zu bezahlen.

»Also wirklich!«, entfuhr es Magda.

Über die Bezahlung des Gelages hatte sich Romy keine Gedanken gemacht. Brialy und Delon hatten sie eingeladen, also war sie davon ausgegangen, dass die beiden für das aufkommen würden, was sie bestellten. Es war ja auch üblich, dass Damen ihre Zeche nicht selbst trugen. Zudem hatte Romy von Anfang an angenommen, dass letztlich die Filmproduktionsfirma für Speisen und Getränke aufkäme, zumal der Protagonist gerade nicht gut bei Kasse zu sein schien. Dass sich Alain Delon nun gänzlich gegen jede Konvention verhielt, fasste Romy als kleine Revolution eines ansonsten konturlosen, geschmeidigen Schönlings auf. Nicht unbedingt die feine Art, aber gerade deshalb imponierte ihr seine Geste.

»Lass nur, Mammi, es ist schon gut«, beschwichtigte sie ihre Mutter.

Der Oberkellner war neben ihren Stuhl getreten und reichte ihr einen Kugelschreiber. »Wenn Sie unterschreiben würden, Mademoiselle Schneider«, sagte er in einwandfreiem Englisch, »Ihnen werden wir die Rechnung selbstverständlich zusenden.«

So behandelt man einen Star, fuhr es ihr durch den Kopf. Und sie war der Star. Unbestreitbar.

Sie warf einen Seitenblick zu Delon, um sich davon zu überzeugen, dass er das begriffen hatte. Doch Delon schien an dem Bezahlvorgang nicht mehr interessiert, trank gerade sein Glas leer und blickte woandershin. Vielleicht interessierte es ihn gar nicht, mit wem er es zu tun hatte, da er ohnehin eine vorgefasste Meinung vertrat. Offenbar war er zu allen unangenehmen Eigenschaften ein Rechthaber. Was für ein Idiot!

Romy lächelte den Oberkellner unverbindlich an. Dann setzte sie ihre runde Namenszeile, die noch immer ein wenig wie die Unterschrift der Internatsschülerin wirkte, mit der größten Selbstverständlichkeit unter die Rechnung.

Kapitel 4

IBIZA April 1958

Auf dem schmiedeeisernen Tischchen lagen ein paar Briefe und ein Stapel geklammerter Hefte, Drehbücher, die Romy zur Prüfung zugeschickt worden waren. Die Umschläge waren mit dem Postboot vom Festland auf die Insel transportiert und dort verteilt worden, so dass die Sendungen nicht tagesaktuell waren. Aber das machte nichts, Rechnungen wurden vom Kölner Büro ihres Stiefvaters erledigt, und die Fanpost wurde ihr nicht nachgeschickt. Die meisten Eingänge waren deshalb nicht dazu geeignet, Romys Urlaub in ihrer weißen Finca in Playa d’en Bossa zu stören.

Sie streckte sich auf dem Liegestuhl in dem ummauerten Innenhof aus und blinzelte, weil sich durch den Fächer der Dattelpalmen ein paar Sonnenstrahlen stahlen. Um diese Jahreszeit war es angenehm warm auf den Balearen, die Sonne brannte noch nicht so heiß wie im Sommer. Dennoch durfte sie sich nicht lange im Garten aufhalten, hier wurde man auch im Schatten braun, und eine goldene Hautfarbe gehörte nicht zum äußeren Erscheinungsbild der Musikertochter Christine Weiring, in deren Rolle Romy nächsten Monat vor der Kamera stehen sollte. Die Verfilmung von Schnitzlers Stück »Liebelei« erzählte die Geschichte eines jungen Leutnants, der eine Affäre mit einer älteren Baronin unterhält und diese beenden will, als er Christine trifft und sich verliebt. Der gehörnte Baron fordert den Liebhaber seiner Frau dennoch zum Duell und tötet ihn. Für Christine ein furchtbarer Verlust, der sie schließlich in den Selbstmord treibt. Das Melodram spielte zu Zeiten Kaiser Franz Josephs, ein bekanntes Szenario, nur dass Romy diesmal nicht als Kaiserin besetzt worden war, sondern als süßes Wiener Mädel aus dem Bürgertum. Aber auch das war nicht braun gebrannt.

Christine ist die bürgerliche Version der Sissi, fuhr es Romy durch den Kopf, und eigentlich wird mir auch nichts anderes als die eine oder andere Variante mehr angeboten.

Mürrisch legte sie das Heft, in dem sie gerade geblättert hatte, zu den anderen auf dem Tischchen. Die Skripts, die sie erhielt, enthielten stets irgendwelche Geschichten, die wie Adaptionen der Sissi-Filme klangen oder zumindest im entsprechenden Milieu im 19.Jahrhundert und am besten in Wien angesiedelt waren. Die Produzenten, unter Druck gesetzt von den Filmverleihern und Kinobesitzern, wollten auf Nummer sicher gehen und immer wieder dasselbe Thema auf die Leinwand bringen, um damit so viel Geld wie möglich zu verdienen. Das war ja an sich nicht schlecht, Romy wusste ihr gutes Leben durchaus zu schätzen, aber ein bisserl mehr schauspielerische Kreativität sollte ihr halt auch zuzutrauen sein. Manchmal kam sie sich vor wie eine Kuh, die so lange gemolken wurde, bis sie zusammenbrach. Und dann war es aus. Ganz aus. Sie, Romy, würde zwar nicht gleich geschlachtet werden, aber mit der schönen Filmkarriere wäre es fraglos vorbei. Vielleicht würde die Premiere ihres zuletzt gedrehten Streifens »Mädchen in Uniform« im kommenden August eine Veränderung bringen. Die Geschichte spielte zwar im deutschen Kaiserreich, war aber doch etwas ganz anderes. Falls nicht, blieb ihr als Alternative, den Rest ihres Lebens Teller zu bemalen …

»Romy?« Die Stimme ihrer Mutter beendete ihre trübsinnige Grübelei.

»Ja, Mammi.«

Ihre Mutter, eingehüllt in ein buntes Strandkleid, trat von der Terrasse in den Garten, wo Romy unter einer der Palmen lag. Kopfschüttelnd setzte sich Magda auf das Fußteil des Liegestuhls und ließ prompt den Tadel folgen: »Du sollst doch nicht so lange in der Sonne bleiben.«

»Ich bin im Schatten«, behauptete sie, obwohl sie gerade in diesem Augenblick von einem Sonnenstrahl geblendet wurde.

Magda seufzte tief, ließ die Angelegenheit jedoch auf sich beruhen. Nach einer Weile fügte sie aufgeräumt hinzu: »Daddy hat angerufen, er lässt dich schön grüßen.«

»Danke. Geht es ihm gut?« Romy schloss die Augen gegen das grelle Licht.

»Ja, das tut es, er freut sich auf uns. Übermorgen kommt er her.«

»Das ist schön.«

»Wenn er hier ist, möchte er noch einmal mit dir über das Angebot eines vierten Teils der Sissi-Filme reden …«

»Nein.« Romy schlug die Augen wieder auf, funkelte ihre Mutter an. »Mammi, ich habe gesagt, dass ich das nicht mache. Dabei bleibt es. Entschuldige bitte«, fügte sie leise hinzu, erstaunt über die eigene Entschlossenheit. Es kam fast nie vor, dass sie ihren Eltern dermaßen vehement widersprach. Aber in diesem Punkt wollte – musste – sie sich endlich durchsetzen.

»Eine Gage von einer Million D-Mark ist nicht zu verachten«, bemerkte Magda. »Schau, du bist derzeit die bestbezahlte Filmschauspielerin in Deutschland. Es wäre nur vernünftig, dieses Angebot anzunehmen.«

»Ich will aber keine Sissi mehr sein«, sagte Romy, und ihr Ton wurde schärfer. Sie war es leid, sich ständig für ihren Wunsch rechtfertigen zu müssen. Die Diskussion war ja nicht neu, aber je öfter sie von ihrer Mutter oder deren Mann angeschnitten wurde, desto größer wurde Romys Widerspruch. Inzwischen beharrte sie fast starrsinnig auf ihrem Standpunkt. Selbst wenn sie davon nicht überzeugt gewesen wäre, hätte sie ihre Position nicht verlassen, um ihren Eltern nicht recht geben zu müssen. Obwohl sie es schon so oft gesagt hatte, wiederholte sie: »Ich will mich künstlerisch weiterentwickeln.«

»Ach Romylein …«

Wenn ihre Mutter doch endlich mit dieser Seufzerei aufhören würde!

»Niemand Geringerer als Willy Fritsch hat mir einmal geraten, mich niemals zum Sklaven einer Serie zu machen, weil das zu einem Alpdruck führen kann. Heute weiß ich, was er meinte.«

»Willy Fritsch ist ein großer Star und seit Ewigkeiten im Geschäft – er kann sich derartige Vorbehalte leisten.«

Romy sah ihre Mutter scharf an. »Und ich etwa nicht?«

»Schlag die Zeitungen auf, dann weißt du es«, erwiderte Magda trocken. »Seit durchgesickert ist, dass du einen vierten Sissi-Film ablehnst, hast du die Presse gegen dich aufgebracht. Eine Schauspielerin, die nicht dem Wunsch des Publikums folgt, ist nicht gewollt. Du musst dich fügen, mein Kind, um deine großartige Position zu behalten.«

Mit ihrer Antwort berührte Magda ein Thema, das Romy am liebsten verdrängte. Bislang war sie der Liebling der Journalisten gewesen. Das junge, unschuldige, süße Mädel eben, wohlbehütet, immer freundlich, herzensgut. Doch mit einem Mal drehte sich die Sympathie. Als bekannt wurde, dass mit »Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin« Schluss mit der zartbitteren, kitschigen Lebensgeschichte der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn sein würde, wurde Romy in den Medien prompt angegriffen. Undankbar sei sie, ohnehin nur ein Protegé und bar jeden schauspielerischen Talents. Ihr wurde vorgeworfen, ihre Fans absichtlich zu enttäuschen. So entstand in der Öffentlichkeit das Bild eines zickigen, ja mitunter größenwahnsinnigen Görs.

»Warum versteht mich denn keiner?« Diesmal war es Romy, die leise aufstöhnte.

»Ach Romylein …«, hob Magda wieder an, unterbrach sich jedoch.

Einen Moment lang schien sie ratlos, was sie antworten sollte. Dann wechselte sie abrupt das Thema: »Was ist denn für Post gekommen?«, wollte sie wissen, während sie sich vorbeugte, um nach den Briefen zu greifen. Sie betrachtete eingehend die Absender auf den Umschlägen.

»Nach ›Christine‹ ist Schluss mit dem Wiener Mädel«, insistierte Romy.

»Danach drehst du ›Katja, die ungekrönte Kaiserin‹«, murmelte ihre Mutter, weiter mit Romys Post beschäftigt. »Da bist du Russin. Wie du weißt, spielt die Geschichte nicht in der K.-u.-k.-Monarchie in Wien, sondern im Zarenreich in Sankt Petersburg. Der Film wird sicher ein großer Erfolg und die Dreharbeiten … Oh, schau!« Sie wedelte mit einem Kuvert herum. »Hier ist ein Brief aus Paris. Von Alain Delon.«

»Ja.« Es klang eher wie ein Maulen als wie eine Zustimmung.

Magda legte alle anderen Schreiben zurück auf den Tisch, behielt nur das eine in der Hand. »Was will er denn?«

»Nichts.« Stirnrunzelnd richtete sich Romy auf. Der wachsende Unmut stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Die Erinnerung an die Zeilen ihres künftigen Filmpartners machte es nicht besser. »Offensichtlich hat ihm jemand den Text vorgeschrieben …«

»Woher willst du das wissen?«

»Er ist in fließendem Englisch verfasst, und das kann nicht von ihm sein, wie wir beide wissen.«

»Oh!« Endlich schien Magda das Interesse an Delons Brief verloren zu haben, sie schob ihn unter die andere Post. »Du hast mir aber noch nicht verraten, was er will.«

Wenn ich es nicht sage, wirst du es sicher gleich selbst lesen, fuhr es Romy durch den Kopf. Sie erwiderte: »Nichts. Das sagte ich doch schon.« Sie schwang die Beine herum und erhob sich von ihrer Sonnenliege. Dann: »Dieser Alain Delon ist fad, Mammi, und das teilt er mir jetzt halt auch schriftlich mit. Er habe sich gefreut, mich kennenzulernen, freue sich zudem auf die Zusammenarbeit und so weiter … Blabla eben … Absolut witzlos.«

»Trotzdem solltest du nicht vergessen, ihm zu antworten. Zeige Größe. Das gehört sich so.«

Wofür hielt ihre Mutter sie? Selbstverständlich würde sie Delon antworten. Vor allem, da sie annahm, dass sein Schreiben von einem Mitarbeiter der Presseabteilung der Produktionsgesellschaft verfasst worden war. Der Filmpartner war ihr gleichgültig, aber Michel Safra wollte sie keinesfalls verärgern, der sollte sie als zuverlässig wahrnehmen.

»Ich schwöre, dass ich einen ebenso langweiligen Brief schreiben werde«, erklärte sie. Um ihre Worte zu unterstreichen, hob Romy die rechte Hand wie zu einem Schwur.

Magda lächelte zärtlich. »Ach Romylein …«

Kapitel 5

Hans Herbert Blatzheim war ein typischer Rheinländer, jovial, fröhlich, zugewandt. Mit diesen Eigenschaften hatte er Romy und ihren jüngeren Bruder für sich eingenommen; ihre Mutter verliebte sich zuvor in seine Zuverlässigkeit und Fürsorge. Als er Magda Schneider heiratete, war der Kölner Gastronom ein wohlhabender Mann, geschäftstüchtig in jeder Beziehung – und deshalb auch der wichtigste Berater für Romy: Ihr Daddy kümmerte sich um ihre Verträge und Gagen, Geldanlagen und sonstigen finanziellen Belange. Sie vertraute ihm und akzeptierte seine Entscheidungen, als wäre er ihr leiblicher Vater. Doch dummerweise entwickelten sich ihre Vorstellungen von ihrer Karriere seit einer Weile in entgegengesetzte Richtungen. Romy begann gegen den Stiefvater aufzubegehren. Für ein Mädchen ihres Alters war das natürlich nicht ungewöhnlich, und sie hätte sich wahrscheinlich ebenso ihrem leiblichen Vater gegenüber verhalten, wenn sie einen engeren Kontakt zu Wolf Albach-Retty gehabt und der sich mehr für sie interessiert hätte.

Obwohl sie eine Fortsetzung der Diskussion über einen neuen Sissi-Film fürchtete, freute Romy sich, als Blatzheim auf Ibiza eintraf. Er schien in Urlaubsstimmung und verhielt sich ausgesprochen leutselig, brachte für jedes Familienmitglied ein kleines Geschenk mit, wie er es immer tat, und machte die Mammi auf wunderbare Weise glücklich. Er schlug den Besuch eines Restaurants für den Abend vor und setzte sich mit der mitgebrachten Zeitungslektüre erst einmal entspannt auf die Terrasse. Unwillkürlich hoffte Romy, einem Gespräch über die Zukunft entgehen zu können. Zumindest fürs Erste. Sie hatten schließlich Zeit bis zu ihrer Abreise. Umso überraschter war sie, wie rasch ihr Stiefvater auf das ungeliebte Thema zurückkam.

Da sie den Nachmittag mit der Lektüre des Drehbuchs von »Christine« verbracht hatte, war sie zu einem Spaziergang am Meer aufgebrochen, um ihre Gedanken zu sammeln. Sie besaß ein fotografisches Gedächtnis und eine rasche Auffassungsgabe, die Dialoge saßen im Grunde schon in dem Moment, in dem sie sie las. Aber sie nahm sich auch die Zeit, über die einzelnen Szenen und deren Umsetzung nachzudenken. Dabei half es ihr immer, sich zu bewegen. Deshalb stapfte sie durch den Sand, blickte über die im matten Licht der untergehenden Sonne saphirblau schimmernde Bucht und malte sich im Inneren einen hübschen, kleinen See aus. Statt der Trawler der spanischen Fischer, die langsam in den Hafen zurückkehrten, erschien vor ihrem geistigen Auge das kleine Ruderboot, in dem Leutnant Lobheimer und Christine sich näherkamen …

»Romy, warte auf mich!« Die Stimme ihres Stiefvaters übertönte das leise Rauschen des Meeres.

Sie wandte sich um und beobachtete, wie er ihr entgegenkam. Ein Mann Anfang fünfzig, mit lichtem Haar und einem runden, freundlichen Gesicht. Seine übliche Garderobe, Anzug und Krawatte, hatte er gegen eine Sporthose und ein Poloshirt, das er bis zum obersten Knopf geschlossen hielt, getauscht. Ihr Stiefvater wirkte wie ein gemütlicher Tourist aus dem Rheinland, der eine ursprüngliche Baleareninsel erkunden wollte, selbst wenn es hier keine feierfreudigen Einheimischen wie in den Kneipen seiner Heimatstadt gab. Sie hatte einmal gehört, dass sich Rheinländer am wohlsten in großen Gruppen fühlten und nichts lieber taten als feiern. Dieses Klischee mochte auf Blatzheim zutreffen, passte jedoch nicht zu dieser Insel.

»Daddy, was machst du denn hier?«

Er beschleunigte seine Schritte und stand schließlich ein wenig atemlos vor ihr. »Ich dachte, ein Spaziergang täte mir gut. Zu zweit ist er angenehmer. Deshalb habe ich dich gesucht.«

»Und am längsten Strand der Insel hast du mich gefunden.« Romy lächelte.

»Das war doch nicht schwierig, Kind. An dieser Stelle gibt es am meisten zu sehen.«

Tatsächlich bot sich ihnen ein wundervolles Bild: Der goldene Ball der untergehenden Sonne färbte den Himmel in einen matten Orangeton, der zu Violett und dann zu einem weichen Grau zerlief. Davor hoben sich die Fischer mit ihren Booten, die die Netze über das seichte Wasser schleppten, wie schwarze Scherenschnitte ab. Es war eine Kulisse, die ein Regisseur im Film wahrscheinlich als zu kitschig verworfen hätte. Doch Romy liebte diesen Blick auf eine Welt, die so ganz anders war als ihre persönliche Realität und ihr sogar mehr Ruhe und Frieden vermittelte, als es seinerzeit die Pfarrkirche zur heiligen Elisabeth in der Nähe des Internats Schloss Goldenstein vermocht hatte. Hier fühlte sie sich der Natur nahe und konnte zu sich selbst finden.

»Ich bin gern hier«, sagte sie mehr zu sich als zu ihrem Stiefvater.

»Das hast du dir alles redlich verdient«, erwiderte er.

Sie sah ihn scharf an. »Wie meinst du das?«

»Wie ich es gesagt habe, Romy.« Sein Ton blieb versöhnlich, ja liebevoll, obwohl seine Worte überaus sachlich waren: »Du hast jahrelang hart gearbeitet und damit viel Geld verdient. Das ist gut so. Du darfst nur nicht vergessen, dass dein Marktwert darüber entscheidet, wie es weitergeht. Dein Preis wird immer durch deinen letzten Film bestimmt. Nicht durch deinen vorletzten und nicht durch den nächsten.«

Der dritte Sissi-Streifen war ihr vorletzter Film in den Lichtspielhäusern gewesen, im vorigen Februar feierte »Scampolo« Premiere – wenn Daddy recht hatte, konnte sie sich glücklich schätzen, dass die romantische Komödie bei Kritik und Zuschauern gut angekommen war.

Doch Romy sparte sich einen Kommentar dazu. Verträumt blickte sie über das Meer, kniff die Augen zusammen gegen das noch immer blendende Sonnenlicht. Obwohl sie fürchtete, dass es sinnlos war, versuchte sie tapfer, Blatzheim zu erklären, was sie seit geraumer Zeit umtrieb: »Am liebsten würde ich jedes Jahr nur einen potenziellen Kassenerfolg drehen, danach etwas Lustiges zur Entspannung, aber eine Geschichte, in der ich nicht immer nur nett und lieb, sondern auch einmal frech sein darf. Und dann würde ich gern einen realistischen Stoff machen …«

»Ach Romylein«, warf er prompt ein.

Sie brach ab, weil er ihr bewies, dass sie kein Verständnis für ihre Wünsche erwarten konnte. Still presste sie die Lippen aufeinander.

Eine Weile lang standen sie schweigend nebeneinander. Schließlich legte er den Arm um ihre Schultern. »Deine Fans lieben dich, weil du das Ideal eines jeden jungen Mädchens verkörperst. Alle wollen sein wie du: natürlich, hübsch, entzückend. Bleib auch in deinen Rollen so, und der Erfolg wird dir weiterhin gewiss sein.«

»Aber ich kann doch nicht mein Leben lang immer nur das nette, freundliche Mädel spielen!«, protestierte sie mit schwacher Stimme, fast schon resigniert.

»Darüber kannst du dir Gedanken machen, wenn du alt genug dafür bist.«