Rostflecken, Pyrolyse und unnötige Operationen | Ein humorvoller Fantasy Roman - Thomas Riedel - E-Book

Rostflecken, Pyrolyse und unnötige Operationen | Ein humorvoller Fantasy Roman E-Book

Thomas Riedel

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Beschreibung

Rostflecken, Pyrolyse und unnötige Operationen Ein chaotisches Abenteuer voller Humor, Magie und skurriler Charaktere! Die Stadt Brom steckt voller Geschichten – und Mathilda will ihre eigene schreiben. Statt im "Roten Eber" ihrer Tante Bierkrüge zu stapeln, sehnt sie sich nach Abenteuer. Begleitet wird sie von Amon, magisch unbegabt, aber stets loyal. Als der zwielichtige Händler Beutelschneider sie auf eine riskante Mission in den Hexensumpf schickt, beginnt eine Reise voller Räuber, Hexen und düsterer Geheimnisse. Mathilda sucht nicht nur ihren nächsten Gegner, sondern auch Antworten über ihre verschwundenen Eltern – und den Mut, ihre Bestimmung zu finden. Ein witziges Fantasy-Abenteuer für alle, die unperfekte Helden lieben und Klischees auf den Kopf gestellt sehen wollen. Perfekt für Fans von Terry Pratchett, Douglas Adams und Walter Moers. Bist du bereit, Mathilda und Amon auf ihrer verrückten Reise zu begleiten?

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Seitenzahl: 216

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Rostflecken, Pyrolyse und unnötige Operationen

Thomas Riedel

Copyright 2024 Thomas Riedel

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Der freie Abend

Ein ganz normaler Auftritt

Kater des Todes

Die Reise beginnt

Die Mittagsfrau

Abgeräumt

Im Hexensumpf

Eine schmerzhafte Verwandlung

Die Kathedrale der Kessel

In den Fängen des Kesselmeisters

Experimente, Kuriositäten und unnötige Operationen

Verhängnisvolle Gedanken

Vom Regen in die Traufe

Ein sprechender Turmfalke und ein Strähnchen Glück

Feuer, es brennt!

Wunsch mit Folgen

Erkenntnisse

Rostflecken und Stadtbüttel

Ich habe tierischen Hunger!

Der freie Abend

Mathilda lag wach in ihrem Bett. Unruhig drehte sie sich erst zur linken, dann zur rechten Seite. Wieder einmal gelang es ihr nicht, einzuschlafen. Genervt starrte sie die hölzerne Decke ihrer Schlafkammer an. Durch das Giebelfenster ihres Zimmers warf der unwirklich wirkende, riesige Vollmond silberfahles Licht in den Raum.

„Du bist mehr Werwolf als Mensch!“, stöhnte sie, während sie sich auf den Bauch drehte.

Wenn sie gewollt hätte, so wäre es ihr durchaus möglich gewesen, eines ihrer vielen Abenteuerbücher zu lesen, die im gesamten Zimmer herumlagen. Taghell leuchtete der Mond ihr Zimmer aus. Doch ausnahmsweise wollte Mathilda einmal nicht lesen. Sie war müde von der harten Arbeit in der Schänke ihrer Tante Ruth. Sie sehnte sich in diesem Augenblick nach nichts anderem, als endlich in den Schlaf zu finden. Zu allem Überfluss hörte sie von unten das laute Gelächter der Gäste. Das Gegröle und der Gesang von Betrunkenen, aber auch das Klappern von Geschirr drangen an ihre Ohren. Untermalt wurde dieses Sammelsurium an Geräuschen von den Melodien der Hausband des Roten Ebers, den Prügelknaben. Die mehr schlecht als recht harmonierende Gruppe, bestehend aus einem Zwerg, einem behinderten Zentauren mit Pferdekopf und Menschentorso sowie einem runzeligen, alten Weib, deren Antlitz dem einer Gewitterhexe glich, war schon seit Jahren fester Bestandteil des Roten Ebers. Nach wie vor war es Mathilda unerklärlich, wie sich diese Musikanten im Geschäft halten, geschweige denn ihren Lebensunterhalt mit ihrem Handwerk bestreiten konnten. Doch irgendetwas hatte diese kleine Gruppe an sich, was viele Bürger der Stadt Brom anzusprechen schien. Die Prügelknaben hatten es mit ihrer Kunst über die Jahre geschafft, sich eine große Anhängerschaft an treuen Fans zu erspielen. Viele von ihnen suchten den Roten Eber nur ihretwegen auf, was Tante Ruth durchaus bewusst war. Für sie war es ein äußerst lukratives Geschäft, die Gruppe in ihrer Schänke regelmäßig auftreten zu lassen. Auch wenn das für sie bedeutete, dass sie jedes Mal aufs Neue schwere Schäden in ihrer Kneipe in Kauf nehmen musste. Denn die Gruppe hatte ihren Namen nicht ohne Grund gewählt. Wie ihr es vielleicht bereits erahnen könnt, so gehörte es bei den Prügelknaben zum guten Ton, ihre Konzerte mit einer zünftigen Kneipenprügelei ausklingen zu lassen. Am Ende lag dann meistens das Inventar der Schenke in Trümmern am Boden, genau wie die meisten der anwesenden Gäste. Häufig mussten dann die Büttel der Stadt eingreifen und für Ruhe sorgen. Doch trotz dieser Widrigkeiten war es für Tante Ruth immer noch ein gewinnbringendes Geschäft. Und da die Prügelknaben, ob ihres Rufes, nur äußerst selten die Gelegenheit bekamen, an anderen Orten auftreten zu dürfen, waren sie froh, im Roten Eber eine Art Stammsitz gefunden zu haben, der mittlerweile auch überörtlich bekannt oder besser gesagt berüchtigt geworden war. Mit einem lauten Stöhnen drückte sich Mathilda ihr Kissen auf beide Ohren, in dem Versuch, die immer lauter werdenden Geräusche aus der Schänke zu unterdrücken. Doch es hatte keinen Sinn, es klappte einfach nicht. Mathilda wusste, dass es bald soweit sein würde. Nicht mehr lange und die Situation würde wieder einmal eskalieren. Die Gespräche in der Schänke wurden lauter und zunehmend aggressiver. Mathilda drehte sich wieder auf den Rücken und starrte erneut die Decke ihrer Schlafkammer an. Sie fragte sich, ob das wirklich schon alles für sie gewesen sein sollte? Sah so der Alltag ihres restlichen Lebens aus? Die harte Arbeit in der Schänke ihrer Tante, gefolgt von den regelmäßigen Reparaturarbeiten am Inventar. Sie war es leid, hier zu versauern und darauf zu warten, dass ihre Eltern vielleicht doch eines Tages wieder zu ihr zurückkehren würden. Beide waren namhafte Abenteurer in Brom gewesen. Gemeinsam hatten sie unzählige Quests bestritten. Wann immer es eine Aufgabe zu lösen galt, die für andere zu schwierig war, so bemühten sich die Leute gerne der Dienste von Mathildas Eltern. Doch von ihrem letzten Abenteuer waren sie dann einfach nicht wieder zurück nach Hause gekommen. Tante Ruth hatte ihr bisher nie erzählen wollen, zu was für einer Art Quest ihre Eltern damals aufgebrochen waren, als sie 8 Jahre alt war. Sie kannte ihre Nichte. Hätte sie es ihr erzählt, dann hätte sie nichts unversucht gelassen, um ihren Eltern nachzueilen. Doch die Aufgabe, bei der ihre Eltern einst gescheitert waren, war viel zu gefährlich und schlichtweg unmöglich zu erfüllen. Anderenfalls hätten ihre Eltern, mit all ihrer Erfahrung, nicht versagt. Darüber hinaus hätte Ruth es ihrer Nichte auch gar nicht erzählen dürfen, schließlich gab es da diesen Handel mit dem Schnitter Tod. Ein Bestandteil dieses ominösen Handels lag darin, dass Ruth absolutes Stillschweigen darüber bewahren musste, zu was für einer Art Abenteuer Mathildas Eltern damals aufgebrochen waren. Aber diese Geschichte will ich euch vielleicht an anderer Stelle erzählen. Mathilda hasste ihre Tante jedenfalls dafür, dass sie ihr nicht verraten wollte, an was für einer Sache ihre Eltern gearbeitet hatten. Auch, wenn sie ihre Tante über alles liebte und dankbar dafür war, dass diese sie aufgenommen hatte. Das hatte sie zumindest davor bewahrt, im Waisenhaus der Stadt zu enden. Auch wenn es für sie bedeutete, dass sie Tag für Tag Speisen und Getränke servieren, Geschirr abwaschen, sich mit zwielichtigen Gestalten herumplagen, mieser Musik lauschen und schließlich mit aller Gewalt das Hab und Gut ihrer Tante verteidigen musste. Eines hatte sie während ihres Aufenthaltes bei Ruth auf jeden Fall gelernt. So war sie durchaus fähig im Umgang mit der Bearbeitung von Holz sowie ihrem Knüppel geworden. Mathilda wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie die heroische Melodie der Ballade von Karl dem Kriegerkönig vernahm. Diese Ballade, in der die größten Heldentaten des einzigartigen Karl besungen wurden, war das traditionelle Abschlusslied der Prügelknaben. Mathilda seufzte. Gleich würde es wieder anfangen. Die Gäste in der Schänke grölten das Lied nach Leibeskräften mit. Die Stimmung wurde immer ausgelassener. Wohl wissend, was nun auf sie zukommen würde, setzte sich Mathilda an den Rand ihres Bettes. Der gemeinschaftliche Gesang in der Schänke wandelte sich langsam in Geschrei. Mit raschen Handbewegungen machte sich Mathilda einen Pferdeschwanz in ihre schulterlangen, braun-blonden Haare. Dann stand sie auf und ging zu ihrem Kleiderschrank. Dieser stand direkt gegenüber ihrem Bett, gleich neben dem mit Büchern überfüllten Schreibtisch. Mathilda öffnete den Schrank und griff hinein. Aus der hintersten Ecke holte sie einen sonderbar aussehenden Knüppel. Dieser war fast einen Meter lang und sah aus wie der Teil eines, auf unnatürliche Art verdrehten, Astes. Das Stück Holz war eher schwarz als braun und glänzte leicht im Licht des Mondes. So, als sei es mit einer sonderbaren Farbe lackiert worden. Doch dem war nicht so. Bei ihrem Knüppel handelte es sich um das Bruchstück einer Blutulme. Diesen äußerst seltenen und sehr wertvollen Bäumen wohnte ein natürlicher Zauber inne. Sie waren extrem widerstandsfähig, im Grunde unzerstörbar und wurden ohne Probleme tausende von Jahren alt. Sie waren von Natur aus in der Lage, Magie in sich aufzunehmen. Man sagte diesen Bäumen nach, dass sie ein Eigenleben führten. So konnte man sich nie sicher sein, wo man auf sie traf. Hatte man gestern noch, an einer ganz bestimmten Stelle im Wald, einen dieser Bäume gefunden, so konnte es sein, dass er schon am nächsten Tag nicht mehr dort war. Aus diesem Grund wurde das Holz der Blutulme seit jeher für die Erschaffung von Zauberstäben jedweder Art verwendet. Ein Bestandteil der Ausbildung junger Magierinnen und Magier lag auch darin, in die Welt hinauszuziehen, um eine Blutulme zu finden, von der sie ein geeignetes Stück Holz für ihren Zauberstab beschaffen mussten. Mathilda hatte ihren Knüppel einst von ihren Eltern zum Geburtstag geschenkt bekommen. Diese hatten das sonderbar aussehende Stück Holz auf ihren Reisen gefunden und es ihrer Tochter mitgebracht. Es war ihr wertvollster Besitz. Ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht, als sie an jenen Tag erinnerte.

„Ihr seid Scheiße!“, hörte sie plötzlich einen Gast

grölen.

Mit einem Mal verstummten sämtliches Gegröle und der Gesang in der Schänke. Die Prügelknaben hörten abrupt auf, ihre Instrumente zu spielen. Für einen Moment war es mucksmäuschenstill. Nach einer gefühlten Ewigkeit der Stille konnte Mathilda dann etwas surren hören, ganz so, als würde etwas Schweres durch den Raum fliegen. Dann, mit lautem Bersten und Platschen, zerschellte etwas an der Wand.

„Das wird wohl ein voller Bierkrug gewesen sein“,

vermutete Mathilda.

Im nächsten Augenblick überschlugen sich dann die Ereignisse unten in der Schänke. Ein ohrenbetäubender Lärm entbrannte, bei dem nur schwerlich einige Wortfetzen aufgenommen werden konnten. Wüste Beschimpfungen folgten auf Beleidigungen und Geschrei. Dann begann es zu scheppern und zu knallen. Offenbar flogen jetzt die ersten Gegenstände durch die Gegend. Der Kampf hatte begonnen. Es dauerte nicht lange, da hörte Mathilda die Stimme ihrer Tante Ruth.

„Mathilda! Ich könnte hier deine Hilfe gebrauchen!“

Mathilda seufzte wieder. Sie schulterte ihren Knüppel und begab sich zur Tür ihres Zimmers. Als sie diese öffnete, wurde der zuvor vernommene Lärm noch um einiges lauter. Von ihrer Tür aus konnte sie direkt nach unten in den Schankraum sehen. Dort herrschte bereits unübersichtliches Gewusel. Tante Ruth stand hinter dem Tresen und zerschlug gerade einen Tonkrug auf dem Kopf eines Gastes, der versucht hatte, zu ihr hinter den Tresen zu gelangen. Unterhalb des Tresens, vor den Füßen ihrer Tante kauernd, konnte sie auch Amon sehen. Amon war ihr gleichaltriger Freund, den sie schon von Kindertagen her kannte. Er war der Sohn der zwei mächtigsten und begnadetsten Zauberer, welche die Stadt Brom jemals hervorgebracht hatte. Amons Eltern waren mittlerweile sogar die persönlichen Hofmagier des Königs geworden und lebten in dessen Schloss. Bedauerlicherweise war es den beiden nicht gelungen, ihre Begabung an ihren Sohn weiterzugeben. Zwar war Amon, ob seiner Herkunft, zwar theoretisch auch ein Magier und hätte ein naturgegebenes Talent für die Zauberei haben müssen, doch dem war nicht so. Er gehörte wohl zu jenen Kuriositäten, die Mutter Natur manchmal hervorbringt, wenn sie besonders lustig sein will. Amon war der wohl untalentierteste Zauberer, den es je gegeben hatte. Nur wenige, einfache Zauber wollten ihm gelingen. Aber das meistens auch nur an außerordentlich guten Tagen und unter Anleitung eines erfahrenen Zauberers. Auch seine hochbegabten Eltern vermochten es nicht, ihrem Sohn die Künste der Zauberei zu lehren. So hatte es Amon auch nach mehreren Versuchen bisher nicht geschafft, die Zulassungsprüfung für die ortsansässige Magierakademie in Brom zu bestehen. Zudem war er ein Angsthase, stets mit Selbstzweifeln geplagt und geriet schnell in Panik. Gerade wenn er vor größeren Menschenmengen sprechen sollte. Amons Eltern hatten irgendwann die Hoffnung für ihren Sohn aufgegeben und vermuteten, dass man ihn, nach seiner Geburt, im Hospital vertauscht haben musste. Sie wandten sich schließlich enttäuscht von ihm ab und überließen ihn seiner selbst. Und da war er nun, ganz auf sich allein gestellt, ohne jegliche Begabung und die Hilfe seiner reichen Eltern. Amon kauerte zu Tante Ruths Füßen und klopfte sich die Tonscherben des Kruges aus seinem braunroten Magierhut. Dabei entdeckte er Mathilda in der Tür ihres Zimmers stehen und lächelte sie zaghaft an.

„Wohl an denn!“, sagte Mathilda zu sich selbst.

Entschlossen stürmte sie die Leiter in den Schankraum hinunter.

Ein ganz normaler Auftritt

Als Mathilda in das Geschehen eingriff, herrschte in der gesamten Schänke schon ein unübersichtliches Chaos. Amon kauerte noch immer bibbernd unterhalb des Tresens. Ruth schubste indes den nunmehr bewusstlosen Gast zurück über die Theke in den Schankraum. Mit einem dumpfen Knall schlug der leblose Körper des übergewichtigen Mannes auf die Holzdielen.

„Da bist du ja endlich!“, sagte Tante Ruth zu Mathilda, als sie ihrer im Augenwinkel gewahr wurde.

„Es ist mein freier Abend!“, erwiderte Mathilda zornig.

Mit einem beherzten Hieb schwang sie ihren Knüppel gegen die Schulter einer Piratin, die gerade dabei war, Tante Ruth hinter dem Tresen hervor zu zerren. Durch den wuchtigen Schlag ließ diese Ruth los und taumelte ein paar Schritte zurück. Die Piratin geriet jäh ins Straucheln, da sich ein kleiner, grüner Gnom direkt hinter ihr wie ein Stein auf dem Boden zusammengekauert hatte, um ihr die Beine zu stellen. Der kleine Gnom lachte zufrieden und hämisch, als die Piratin schließlich stürzte und mit dem Rücken auf einen üppig eingedeckten Tisch fiel. Genau in diesem Moment flog eine Fee in rosafarbenem Kleid direkt über den Tisch. Benommen konnte die Piratin lediglich wahrnehmen, dass direkt über ihrem Kopf ein Tonkrug schwebte. Mit diesem hatte sich die Fee, die wesentlich kleiner als der Krug war, bewaffnet und war damit losgeflogen. Sie witterte nun eine gute Gelegenheit, ihre Fracht loszuwerden, als sie die Piratin, mit allen Gliedmaßen von sich gestreckt, auf dem runden Tisch liegen sah. Aus dem Flug heraus ließ sie den Krug fallen.

„Oh nein!“, sagte die Piratin zu sich selbst, unfähig,

das Unvermeidliche noch irgendwie abzuwenden.

Schallend traf der Krug den Kopf der Piratin und zerbarst dabei in tausend Teile. Die Piratin hob noch einmal leicht ihren Oberkörper und Kopf. Dann verdrehten sich ihre Augen auf unnatürliche Weise und sie sank bewusstlos zurück auf den Tisch.

„Komm schon, Amon! Hier gibt es eine Menge zu tun!“,

versuchte Mathilda ihren verängstigten Freund zu animieren, endlich in das Geschehen einzugreifen.

Im nächsten Augenblick sauste ein Barhocker über den Tresen und prallte mit lautem Scheppern in das dahinter befindliche Regal. Dutzende Flaschen zerbarsten unmittelbar. Wein, Schnaps und anderes Gebräu ergossen sich wie ein Wasserfall von der Wand in den Bereich hinter der Theke. Einige Regalbretter zerbrachen ebenfalls und krachten in sich zusammen. Amon wurde in diesem Augenblick gewahr, dass er hinter dem Tresen auch nicht länger sicher war. Seine knöchellange Robe saugte sich direkt mit dem Gemisch der verschiedenen Flüssigkeiten voll. Auf allen Vieren kroch er hinter dem Tresen hervor und lugte vorsichtig in den Schankraum. In der hinteren Ecke des Raumes, dort, wo sich die Prügelknaben für ihr Konzert niedergelassen hatten, konnte er die Gewitterhexe Gundula sehen, die gerade heftige Prügel mit ihrem hölzernen Kochlöffel austeilte, den sie normalerweise als Drumstick für ihre Trommel, einen umgedrehten Kupferkessel, nutzte. Direkt daneben sah er auch den fettleibigen Zwerg Gobi,der, wie im Rausch, sein Akkordeon von hinten um den Hals eines Holzfällers geschlungen hatte. Mit all seiner Kraft zog er dieses zusammen, während er zur Unterstützung seinen rechten Fuß in das Kreuz des keuchenden Mannes drückte. Dieser versuchte verzweifelt, sich das Akkordeon mit beiden Händen vom Hals zu reißen, während er auf die Knie sank. Sowohl Gobi als auch der Holzfäller bekamen ziemlich schnell eine unnatürlich rote Gesichtsfarbe. Der eine, weil er sich so anstrengte. Der andere, weil er nicht mehr atmen konnte. Untermalt wurde diese an sich schon äußerst bizarre Szenerie durch die dumpfen, mechanischen Töne, die das Akkordeon während der gesamten Aktion von sich gab.

„Das könnte ein Abend nach meinem Geschmack werden!“, hörte Amon einen Mann sagen, der gerade vor ihm vorbeischritt.

Die Stimme des Mannes klang dunkel und grauenhaft, so, als sei sie nicht von dieser Welt. Ein kalter Schauer lief Amon den Rücken herunter, als er seinen Blick nach oben richtete. Es war der Schnitter Tod. Der schwarze Kapuzenmantel des übernatürlich groß wirkenden Mannes reichte bis zum Boden. Er hatte seine Kapuze stets weit über sein Gesicht gezogen, sodass man dieses niemals zu sehen bekam. Bis heute wussten weder Mathilda noch Amon, warum ihre Tante Ruth es dem Schnitter gestattete, im Roten Eber zu gastieren, wann immer er wollte. In keinem anderen Etablissement der Stadt war er willkommen. Vermutlich galt das auch über die Stadtgrenzen hinaus. Doch das konnten weder Amon noch Mathilda beurteilen, waren sie bislang noch nie über die Stadtgrenzen hinausgelangt. Eines war jedoch bereits jedem Kind von früh auf bekannt: die alte Redewendung „Herein, wenn es kein Schnitter ist!“, die man für gewöhnlich laut ausrief, wann immer es an der Tür klopfte. Doch die galt nicht für den Roten Eber. Mathilda vermutete, dass ihre Tante irgendeine Art von Handel mit dem Schnitter abgeschlossen haben musste. Anders konnte sie es sich nicht erklären, dass sie und ihre Tante noch immer in der Welt der Lebenden weilten, obwohl sie beide permanenten Umgang mit dem personalisierten Tod hatten. Doch abgesehen von seiner diabolischen Stimme, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, sowie den gelegentlichen Stammtischen mit den Erntehelfern der Stadt, die man für gewöhnlich auch einfach „Schnitter“ nannte und deren Gewerkschaftsvorsitzender kein anderer als der Schnitter Tod persönlich war, konnte Mathilda nichts Negatives über diesen Stammgast sagen. Er redete nicht viel, machte keinen Lärm, trank nie mehr, als er vertragen konnte, und pflegte stets, seine Zeche zu zahlen, wenn auch für gewöhnlich mit sonderbar anmutenden Münzen. Aber das störte Tante Ruth nicht im Geringsten. Amon jedenfalls schaute dem Schnitter mit weit aufgerissenen Augen nach. Bevor dieser den Thekenbereich passierte, hielt er kurz inne und richtete seinen Blick auf Ruth. Jedenfalls konnte man das anhand der Bewegung seiner Kapuze erahnen.

„Wo ist Marvin?“, zischte es unter der Kapuze hervor.

„Woher soll ich das wissen? Ich kenne überhaupt keinen

Marvin!“, erwiderte Ruth.

Unzufrieden und mit einem zischenden Schnauben wandte der Schnitter seinen Blick von Ruth ab. Dann steuerte er zielstrebig auf die Mitte des Schankraumes zu. Amon konnte ihn noch einige Zeilen des allseits bekannten Schnitterliedes vor sich hin trillern hören.

„Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,Hat Gewalt vom höchsten Gott,Heut wetzt er das Messer,Es schneidt schon viel besser …“

Schließlich verschwand er in der Menschenmenge und sein Getriller bettete sich nahtlos ein in dem Wirrwarr an Geräuschen der noch immer kämpfenden Meute. Amon nahm all seinen Mut zusammen und richtete sich auf. Zu seiner Linken sah er Mathilda und ihre Tante Ruth, die gemeinsam stoisch ihre Stellung hinter der Theke verteidigten. Der Gnom, der vor einiger Zeit die Piratin ins Stolpern gebracht hatte, trat plötzlich aus der Menschenmenge heraus. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er Amon neben der Theke stehen sah. Mit lautem Gebrüll sprintete er unvermittelt auf den zutiefst erschrockenen Amon zu. Panisch versuchte dieser, seinen Zauberstab aus dem Ärmel seiner Robe zu ziehen. Ungeschickt zerrte er an dem knorrigen Ast, den er stets in seinem linken Ärmel verborgen hielt. Doch so stark er auch daran zog, ihn drehte und wendete, es wollte ihm einfach nicht gelingen, ihn aus seinem Versteck hervorzuholen. Es geschah, was geschehen musste. Der Gnom erreichte sein angesteuertes Ziel und stieß sich, eine knappe Armlänge davor, mit beiden Beinen heftig vom Boden ab. Amon, dessen rechte Hand noch immer im Ärmel seiner Robe steckte, versuchte noch auszuweichen. Doch dafür war es längst zu spät. Der Gnom hob vom Boden ab und sprang, mit seinem Kopf voraus, auf Amon zu. Schließlich traf er diesen direkt in der Magengegend. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sank Amon wieder auf seine Knie. Die Wucht des Aufpralls trieb ihm sämtliche Luft aus den Lungen. Er war für geraume Zeit nicht in der Lage, richtig zu atmen. Es verlangte Amon all seine Körperbeherrschung ab, nicht direkt sein Abendessen zu erbrechen. Ihm wurde schwarz vor Augen und er begann kreisende Sterne um sich herum zu sehen. Dem Gnom hingegen schien es außerordentlich gut zu gehen, obwohl er seinen Kopf gerade als Rammbock eingesetzt hatte.

„Ich dachte schon, ich würde dich dieses Mal nicht antreffen!“, lachte der Gnom, der Amon offenbar zu kennen schien.

Amon versuchte noch, dem Gnom eine passende Antwort zu geben, konnte aber, außer einem jämmerlichen Fiepen, keinen Laut mehr hervorbringen. Mit sich selbst zufrieden ließ der Gnom schließlich von Amon ab und zog von dannen. Mit lautem Getöse sprang plötzlich die Tür des Roten Ebers auf. Eine Fanfare, die sämtliche Geräusche in der Schenke übertönte, erklang. Unmittelbar danach strömten dutzende in dunkelgrüne Lederrüstungen gekleidete Männer und Frauen in den Schankraum. Die Dorfbüttel waren gekommen, um dem Treiben in der Schänke ein Ende zu setzen. In diesem Moment wurde allen anwesenden Gästen der Grund dafür gewahr, warum Mathilda und Ruth ihre Stellung hinter dem Tresen so vehement verteidigt hatten. Die Dorfbüttel drangen unaufhaltsam in die Kneipe ein und begannen sofort damit, mit ihren Knüppeln auf alles und jeden einzudreschen, das oder der ihnen vor die Füße kam. Amon spürte plötzlich zwei Hände auf seinen Schultern. Diese zogen ihn mit einem Ruck kraftvoll auf die Beine und schleiften ihn in den Bereich hinter dem Tresen. Es waren Mathildas Hände, die ihren Freund in Sicherheit brachten, bevor dieser unter die Räder geriet. Bevor sich beide schließlich dem Blickfeld der Büttel entzogen, konnten sie den mächtigen Minotaurus sehen, der dem behinderten Zentauren Krotusgerade einen heftigen Faustschlag in den Magen verpasste. Krotus krümmte sich vor Schmerzen und wirrte laut auf. Gerade, als der Minotaurus zu einem zweiten Schlag ausholte, droschen gleich drei Dorfbüttel von hinten mit ihren Knüppeln auf das Ungetüm ein. Ruth, Mathilda und Amon kauerten sich für einige Zeit unter dem Tresen zusammen. So plötzlich, wie alles begonnen hatte, so plötzlich war es auch schon wieder vorbei. Die Stimmen verklangen und die Kampfgeräusche verebbten. Mit einem Mal kehrte Ruhe ein.

„Ist es vorbei?“, fragte Amon mit zittriger Stimme.

Mathilda und Ruth zuckten mit ihren Schultern. Gemeinsam gingen sie auf die Knie und wagten einen Blick über die Arbeitsfläche des Tresens. Sie konnten sehen, wie die Dorfbüttel einen Gast nach dem anderen aus der Schenke zerrten. Zwei Büttel schulterten Krotus, der sich gerade heftig übergeben hatte. Bevor er jedoch aus der Schänke geschleift wurde, drehte er seinen Kopf und rief laut:

„Prügelknaben! Yeha!“

Während der Schankraum immer leerer wurde, konnte Mathilda den Schnitter Tod am Nebeneingang des Roten Ebers sehen. Er hatte den Arm eines Mannes um seine Schulter gelegt, der mit ihm zu diskutieren schien. Der Schnitter öffnete, unbemerkt von den restlichen Bütteln, die Hintertür der Kneipe.

„Werden wir denn wenigstens morgen früh für die Demonstration der Schnitter wieder in der Stadt sein?“, konnte man Marvin fragen hören.

„Ich für meinen Teil schon!“, zischte der Schnitter Tod.

Mathilda konnte die Enttäuschung und Resignation in Marvins Gesicht sehen, während er vom Schnitter durch den Hintereingang ins Dunkel der Nacht gestoßen wurde.

„Ruth!“, durchbrach der Schrei des Hauptmannes der

Dorfbüttel die eingekehrte Ruhe.

„Hier!“, erwiderte Ruth und sprang hinter dem Tresen

hervor.

„Wir sind hier erst mal wieder fertig. Ich hoffe, du

bist zufrieden mit dem Verlauf des Abends!“, sagte der

Hauptmann.

Unmittelbar danach machte er auf dem Absatz kehrt und verließ, als letzter seiner Truppe, die Schänke. Mit einem Mal waren Ruth, Mathilda und Amon wieder ganz allein im Roten Eber. Erschöpft und lädiert ließen sie sich an einem noch halbwegs intakt gebliebenen Tisch nieder. Sie sahen sich schweigend in der Schänke um. Mathilda musste zu ihrem Bedauern feststellen, dass nun wieder reichlich Arbeit auf sie wartete. Alles lag in Trümmern da, kaum ein Gegenstand befand sich noch dort, wo er vorher gestanden hatte.

„Es wird Wochen dauern, bis wir das wieder in Ordnung

gebracht haben!“, flüsterte Mathilda niedergeschlagen.

Weder Ruth noch Amon reagierten auf Mathildas Feststellung. Beide wussten, dass sie Recht hatte. Ohne etwas zu sagen, stand Ruth auf und kramte etwas hinter dem Tresen der Schänke hervor. Sie kam mit drei halbwegs intakten Krügen und einer großen Steinflasche wieder zum Tisch zurück. Noch immer schweigend entkorkte sie die Flasche, auf der lediglich ein großes rotes X gemalt war. Sie goss allen großzügig ein und schob jedem einen Krug zu. Einander wechselweise ansehend, um sich darüber zu vergewissern, dass auch wirklich jeder einen Schluck aus dem ihm gereichten Krug nahm, führten die drei ihren Krug an die Lippen. Jeder nahm einen großen Schluck des fürchterlich schmeckenden Gebräus. Sie verzogen ihre Gesichter zu grotesken Fratzen und schüttelten sich unmittelbar. Noch Minuten später fühlte es sich für die drei so an, als hätte das Getränk ihre Speiseröhren verätzt und diese würden gerade in ihre Mägen schmelzen.

„Ahh, es geht doch nichts über einen anständigen Schluck Ogerblut!“, sagte Tante Ruth lachend, die als erste ihre Fassung wiedererlangt hatte.

„Das schmeckt einfach nur verboten. Und riechen tut es

genauso!“, jammerte Amon.

Schweigend saßen die drei eine Weile einfach so da. Ruth merkte, dass Mathilda etwas zu bedrücken schien.

„Was ist los meine Kleine?“, durchbrach Ruth schließlich die Stille.

„War es das? Ist das wirklich für mich vorgesehen?

Ständig die betrunkenen Gäste ertragen? Das Chaos nach

diesen Veranstaltungen? Die Arbeit mit den Reparaturen? Der immer gleiche Rhythmus und Ablauf des Tagesgeschäftes?“, fragte Mathilda resigniert.

So verzweifelt hatte Ruth ihre Nichte noch nie erlebt. Sie hatte befürchtet, dass dieser Tag irgendwann einmal kommen würde. Mathildas Eltern waren Abenteurer, oder sind es vielleicht noch. Das etwas von ihren Genen auch auf deren Tochter übergegangen sein musste, das war ihr klar. Ihr war auch bewusst, dass Mathilda vollkommen Recht mit ihren Zweifeln hatte. Das Leben, was sie aktuell führte, war vielleicht gut für sie selbst, aber nicht für ihre Nichte. Alles daran war viel zu sehr von immer wiederkehrenden und immer gleichen Abläufen geprägt. Ruth wusste, dass es früher oder später so kommen musste. Die Welt hier wurde für Mathilda langsam einfach zu klein.

„Ich möchte dir eine Frage stellen, mein liebes Kind. Warum bist du noch immer hier bei mir?“, richtete Ruth schließlich das Wort an Mathilda.

Mathilda hatte mit einer solchen Frage nicht gerechnet und war für einen Moment ziemlich perplex. Sie überlegte und antwortete dann:

„Was ist das für eine blöde Frage? Wo sollte ich denn

sonst sein? Du hast mich doch aufgenommen, als Mama und Papa verschwunden sind!“