Royal Game - Violet Black - E-Book
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Royal Game E-Book

Violet Black

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Beschreibung

Wenn du dich entscheiden musst: Folgst du deiner Pflicht oder deinem Herzen? Nachdem Mayla ihren geliebten Vater an die Königsfamilie verloren hat, wünscht sie sich seitdem nichts sehnlicher als Rache an dem ersten Stand zu nehmen. Gemeinsam mit einer Organisation, die sich die Rebellen nennen, will sie die Königsfamilie stürzen. Um den Plan umzusetzen, soll sie als Teilnehmerin an einem königlichen Wettkampf, den sogenannten Royal Games teilnehmen. Die Gewinnerin dieser Spiele wird anschließend den Thronfolger des Königreiches Luniox heiraten und zur Königin gekrönt. Doch während ihrer Zeit im Palast beginnt sie langsam an den Plänen und Idealen der Rebellen zu zweifeln. Besonders ihr Mentor Kirian, welcher sie auf die Royal Games vorbereitet, treibt sie geradezu in den Wahnsinn mit seinem herablassenden Lächeln...

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Widmung:

Dieses Buch ist der Beweis, dass Träume wahr werden können.

Violet Black

© 2024 Violet Black

Coverdesign von: Magic Book Cover Design,

www.magicbookcoverdesign.com

Covergrafik von: Magic Book Cover Design

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

ISBN

 

Paperback

978-3-384-12461-6

Hardcover

978-3-384-12462-3

e-Book

978-3-384-12463-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Widmung

Titelblatt

Urheberrechte

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Danksagung

Über die Autorin

Royal Game

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Prolog

Über die Autorin

Royal Game

Cover

1

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Sie kamen! – Man hörte sie schon von Weitem. Die Hufschläge und das Wiehern ihrer Pferde hallten laut auf dem Asphalt der Straße wider. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie unser Haus erreicht hatten und dann würde alles verloren sein. Die Geräusche jagten mir Angst ein und obwohl ich erst acht Jahre alt war, wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Selbst mein Vater, der immer die Ruhe selbst war, schien von Furcht getrieben zu sein.

»Schnell, packt alles ein, was zum Leben notwendig ist! Beeilt euch, wir haben nicht mehr viel Zeit, bis sie da sind!«

Normalerweise hätte ich ihn zuerst nach dem Grund gefragt, doch die Panik, die in seiner Stimme mitschwang, war nicht zu überhören. Ohne an seinen Worten zu zweifeln, rannte ich gemeinsam mit meiner Mutter in die Küche und packte alle notwendigen Lebensmittel in einen Stoffbeutel. Die Hufschläge kamen immer näher und schienen uns zu verspotten, dass uns nicht mehr viel Zeit bliebe. Ein Schauer jagte mir über meinen Rücken. Reflexartig versuchte ich noch schneller die Sachen einzupacken, doch meine Hand zitterte zu stark und das Brot fiel zu Boden. Ich hatte keine Zeit mehr es aufzuheben, denn in diesem Moment verstummten die donnernden Hufschläge. Sie waren da und damit war alles verloren! Die Tür wurde mit Gewalt aufgebrochen und bevor mir ein Schrei entgleiten konnte, packten mich zwei kalte Hände brutal an der Hüfte und zogen mich mit sich aus dem Haus. Ich wollte mich wehren. Ich schlug um mich, strampelte und versuchte den Angreifer zu treten und zu beißen, doch mein Entführer war zu stark. Ich verstand nicht, was gerade um mich herum passierte, und hielt das alles nur für einen schlechten Traum.

Vor dem Haus ließ der Angreifer mich auf den harten und vom Winter gefrorenen Boden fallen. Panisch schaute ich mich um. Meine Mutter, meine kleine Schwester fest umklammernd, wurde genau wie ich nur ein paar Meter weiter fallen gelassen. Die Verwirrung und die Angst waren ihr ins Gesicht geschrieben. Trotzdem war ich froh, denn ich konnte keine Verletzungen an ihr sehen. Mein Vater wurde in diesem Moment auch von einem komplett in schwarz gekleideten Mann brutal aus dem Haus herausgezerrt. Das Gesicht des Mannes wurde von einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze verdeckt. Mir fiel sofort der Halbmond mit den drei Sternen ins Auge, der auf die Kleidungsstücke gestickt war. Das Zeichen der Königsfamilie.

Ich erwartete, dass mein Vater wie wir fallen gelassen würde, doch sie fesselten ihn und zogen ihn mit sich. Er blickte mir in die Augen, in denen sich keine Angst mehr widerspiegelte, sondern reine Entschlossenheit.

»May, verlass die Welt ein bisschen besser, als du sie betreten hast! Nichts ist umsonst, wenn man das Beste daraus macht. Schwör mir das!«

Bei diesen Worten meines Vaters zündeten die Fremden unser Haus mit Fackeln an und nahmen ihn mit sich.

Eine einzelne Träne rollte mir über die Wange.

»Ich schwöre es dir«, flüsterte ich zu mir selbst.

Verschwitzt schreckte ich aus dem Schlaf auf. Diesen Traum hatte ich jetzt schon seit einiger Zeit nicht mehr gehabt. Als ich kleiner war, hatte ich ihn fast jede Nacht durchlitten, doch über die vergangenen zehn Jahre wurde er immer seltener, bis ich dachte, dass er für immer verschwunden wäre. Leider hatte ich mich wohl getäuscht. Jetzt – hellwach – drehte ich mich auf die andere Seite. Meine 11-jährige Schwester Evina lag friedlich und ruhig neben mir. In den Armen meiner Mutter, wie an jenem Tag. Ich dankte Gott noch immer dafür, dass meine Schwester damals zu klein gewesen war, um sich an alles zu erinnern. Ganz im Gegenteil zu meiner Mutter. Sie hatte die Ereignisse nie ganz über-wunden und war seitdem eine ganz andere Person. Früher hatte sie es geliebt zu lachen und zu tanzen. Heute redete sie kaum noch und war die meiste Zeit in sich gekehrt. Manchmal vermisse ich ihr altes Ich fast genauso sehr wie meinen Vater, den ich seitdem nicht mehr gesehen hatte – und seit vielen Jahren hatte ich die Hoffnung aufgegeben, dass ich ihn jemals wiedersehen würde. An diesem Tag vor zehn Jahren hatte sich für meine Familie alles geändert und nicht zum Guten.

Der ruhige und gleichmäßige Atem meiner kleinen Schwester vermischte sich mit dem meiner Mutter. Draußen dämmerte es langsam, doch an Schlaf war für mich nicht mehr zu denken. Ich versuchte, so leise wie möglich von unserer Matratze, die auf dem Boden lag, aufzustehen. Auf keinen Fall wollte ich die beiden wecken, denn meine Mutter hatte schon seit langem nicht mehr richtig geschlafen. Meistens, wenn Evina und ich abends ins Bett gingen, saß sie noch auf dem Boden und stickte vor sich hin. Wenn ich dann anschließend am Morgen wieder aufwachte, saß sie noch in der gleichen Stellung da, wie am Abend zuvor. Am Anfang hatte ich noch oft versucht sie zur Vernunft zu bringen und zu Bett zu gehen, doch statt nach vorne zu schauen, steckte meine Mutter mit ihren Gedanken immer noch in der Vergangenheit fest. Zuerst hatte ich gehofft, dass ihre Trauer irgendwann verblassen würde, doch nach mehreren Jahren war ich mir ziemlich sicher, dass ich sie für immer verloren hatte.

Ich seufzte leise. Hastig schnallte ich mir meinen Jagdgürtel mit meinen Jagdmessern um die Hüfte und schlüpfte in meine alten Lederschuhe, die schon drohten, auseinander zu fallen. Mit einem letzten Blick auf meine Schwester und meine Mutter kehrte ich ihnen den Rücken zu und öffnete die alte Holztür. Sogleich strömte mir die kalte, aber zugleich auch erfrischende Morgenluft entgegen.

Immer, wenn ich nicht mehr schlafen konnte, ging ich in den nahegelegenen Wald. Meistens jagte ich Wild, um meine Familie mit Nahrung versorgen zu können. Manchmal jedoch versuchte ich es auch in der Stadt zu verkaufen. Doch an manchen Tagen gönnte ich mir auch eine Pause. Dann kletterte ich nur auf einen Baum, schloss meine Augen und hörte dem Flüstern des Waldes zu.

Mit zügigen Schritten lief ich durch unser Dorf. Die meisten Bewohner des Hüttenviertels schienen noch zu schlafen, denn nirgendwo rührte sich etwas. Nur ab und zu hörte man vereinzelt das Murmeln einer leisen Unterhaltung. Ich genoss die Zeit, wenn das ganze Dorf noch still und ruhig vor mir lag. Wir lebten alle in selbstgebauten Holzhütten mit nur einem Zimmer, da wir uns mehr nicht leisten konnten. Die Menschen, die hier wohnten, waren genauso arm wie meine Familie, denn wir gehörtem alle dem vierten Stand an und waren somit der niedrigste Stand in der Gesellschaft. Da es uns, im Gegensatz zu den anderen Ständen, nicht erlaubt war in einer Stadt zu leben, bauten wir unsere Häuser außerhalb der Stadtmauer an den Waldrand. Nah genug, um zu Fuß die Stadt erreichen zu können, wenn wir etwas tauschen oder verkaufen wollten.

Ich hatte jetzt den Waldrand erreicht und folgte dem Trampelpfad, der über die Jahre entstanden war. Von da an schlich ich auf Zehenspitzen wie ein Schatten durch den Wald und horchte auf jedes noch so kleine Geräusch. Die Bäume standen dicht beieinander, sodass kaum Tageslicht durch die Baumkronen hindurchdringen konnte. Die Blätter der Bäume wogen sich sachte im Wind und die Vögel zwitscherten fröhlich. Überall waren Anzeichen von Leben zu erkennen. In den Baumwipfeln tobten die Eichhörnchen, eine Maus flüchtete ins Gebüsch, sobald sie meine Anwesenheit bemerkte. Ich atmete tief ein und genoss die Ruhe, die sich sogleich in meinem Inneren ausbreitete. Der Wald lag friedlich vor mir, doch wie so vieles andere in unserem Land war auch dies oft eine Täuschung und man musste immer von Gefahr ausgehen. Oft sehnte ich mich nach einem Ort, an dem man keine Angst erleiden musste und seine Meinung offen äußern konnte, doch das war nur ein Traum. In der Realität sahen die Dinge ganz anders aus. Unser Königreich Luniox war schon seit Hunderten von Jahren in Stände unterteilt, welche von dem ersten Stand, der Königsfamilie, regiert wurden. Diese Ordnung würde sich so schnell nicht ändern.

»Leider!«, murmelte ich leise zur mir selbst.

Endlich hatte ich die Lichtung erreicht, die ich meistens aufsuchte, um Jagen zu gehen. Das Gras reichte mir jetzt schon bis zu den Kniekehlen und würde über den Sommer noch höher wachsen. Dies würde mir noch Probleme bereiten, da mich das Rascheln des Grases bei den Tieren des Waldes verraten würde. Doch in diesem Moment war es mir egal. Die ersten Sonnenstrahlen erhellten die Lichtung und tauchten sie in ein warmes Morgenlicht. Die Gräser und Blumen leuchteten magisch und der Tau, von der Sonne berührt, schillerte in den verschiedensten Tönen. Alles schien verzaubert, und einer anderen friedlicheren und glücklicheren Welt entsprungen zu sein. Am liebsten hätte ich mir gewünscht, dass dieser Moment nie enden würde, doch ich wusste, dass ich für solche Träumereien jetzt keine Zeit hatte. Schweren Herzens löste ich mich von diesem Anblick und suchte mir eine Stelle, an der ich dem Wild auflauern konnte. Schließlich fand ich eine und duckte mich ins Gestrüpp. Bereit jederzeit eines meiner Messer aus meinem Gürtel zu ziehen. Das Warten konnte Stunden dauern.

Jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, dass meine Beine von der unbequemen Sitzposition schon ganz taub waren oder vor Kälte zitterte, musste ich an meine hungernde Familie denken, die zuhause mit knurrenden Mägen auf mich warteten und ohne mich nicht überleben konnte. Oft war dies der einzige Grund, weswegen ich noch am Leben hing. Außerdem hatte ich immer das Gefühl bei der Jagd meinem Vater wieder ein Stückchen näher zu sein. Früher war er derjenige gewesen, der für unsere Familie das Essen auf den Tisch gebracht hatte, doch als er fort war, musste ich diese Aufgabe übernehmen. Zu meinem Glück hatte mein Vater mir von klein an alles Wichtige über die Jagd gelernt. Er hatte mir die besten Wurftechniken und Verstecke gezeigt. Von ihm wusste ich, wie man ein Tier erlegte. Auch die ersten Schritte zur Selbstverteidigung hatte er mir beigebracht. Schon damals hatte ich mich oft gefragt, wo er dies alles gelernt hatte. Denn einem Bürger des dritten Standes stand ein solches Wissen eigentlich nicht zu.

Oft gingen wir gemeinsam in den Wald, da wie er meinte, es sich hierbei um den besten Ort zum Trainieren handelte. Es war schon immer sein Lieblingsort gewesen. Oft kämpften wir auch als Übung gegeneinander. Meistens gewann mein Vater, doch ab und zu hatte er auch mich gewinnen lassen. In diesem Fall war mein junges Ich vor Stolz fast geplatzt. Ich hatte die Zeit mit meinem Vater geliebt, wenn es nur uns beide gab. Denn er war schon damals meine Hauptbezugsperson gewesen. Natürlich liebte ich auch meine Mutter, aber unsere Beziehung war nie so eng wie die zu meinem Vater gewesen. Mein Vater wusste sofort, wenn es mir nicht gut ging, welche Worte ich hören musste. Er gab mir immer Weisheiten und Ratschläge auf den Weg, die mir in so vielen Situationen geholfen hatten. Und als er schließlich weg war, hatte ich das Gefühl ein Stück meines Herzens verloren zu haben. Der einzige Gedanke, der mich damals getröstet hatte, war der, dass es keinem möglich war, mir meine Erinnerungen an ihn oder an seine Weisheiten zu nehmen. Also war immer noch ein kleiner Teil meines Vaters bei mir und diesen würde ich niemals loslassen.

Erst jetzt nahm ich das Rascheln gegenüber im Gestrüpp wahr. Sogleich fixierte ich das Geräusch. Ein wunderschöner Hirsch schritt auf die Lichtung und sah sich vorsichtig nach Gefahr um. Mit mir jedoch konnte er nicht rechnen. Ohne darüber nachzudenken, holte ich mit dem Messer in der Hand aus, zielte auf die Stelle zwischen den Augen des Hirsches und ließ den Griff des Messers los. Ich wusste sofort, dass dieser Wurf den Tod für ihn bedeuten würde. Der Hirsch hörte das Messer durch die Luft zischen und starrte ihm mit angsterfüllten Augen entgegen, doch bevor er reagieren konnte, fand das Messer schon sein Ziel. Das Leben erlosch aus den Augen des Tieres und es verlor all seine Erhabenheit, als er in sich zusammenfiel.

Als ich die ersten Male ein Tier erlegt hatte, hatte ich immer noch über den Verlust des Tieres geweint, doch mit der Zeit hatte ich mich an den Anblick gewöhnt und das war das Schlimmste. Man gewöhnte sich daran zu töten. Leben auszulöschen, bis es einem irgendwann nicht einmal mehr etwas ausmachte. Das war Grund genug das Jagen zu hassen. Langsam näherte ich mich dem toten Leib. Die Augen des Hirsches waren vor Angst weit aufgerissen und hatten all ihren Glanz verloren. Geradezu stumpf starrten sie ins Leere. Ich nahm den Messergriff in die Hand und zog ihn mit einem Ruck aus dem Kopf des Hirsches. Frisches rotes Blut quoll aus der tödlichen Wunde und ich konnte nur schwer den Blick davon abwenden. Ich beschloss meine Beute gleich vor Ort zu häuten, da ich sie unmöglich im Ganzen ins Dorf bringen konnte. Also verstaute ich so viel Fleisch wie möglich in meinen Leinensack. Außerdem wollte ich auch das Geweih mitnehmen, in der Hoffnung, dass ich es vielleicht später in der Stadt verkaufen konnte. Die Überreste des Hirsches vergrub ich anschließend, damit von dem Geruch der Verwesung keine anderen wilden Tiere angelockt wurden.

***

Als ich im Dorf ankam, war die Sonne schon vollständig aufgegangen und es herrschte reger Betrieb. Ein paar Männer halfen anderen Leuten aus dem vierten Stand, neue Hütten zu bauen und die alten Hütten zu reparieren. Die Frauen saßen zusammen, kochten, putzten die Häuser oder machten Feuer. Ich folgte dem Weg durch das Dorf. Unsere Hütte war mit eine der ältesten. Das konnte man daran sehen, dass manche Bretter vor Moos kaum mehr zu erkennen waren.

»Wir müssen sie dringend diesen Sommer mal renovieren!«, schoss es mir durch den Kopf.

Als ich die quietschende Tür öffnete und über die Schwelle trat, fiel mir meine Schwester mit einem breiten Grinsen im Gesicht um den Hals. Ihr glockenhelles Lachen vibrierte gegen meine Schulter. Evina war der fröhlichste und optimistischste Mensch, den ich kannte. Sie gab die Hoffnung nie auf und dafür liebte ich sie von ganzem Herzen. Ich würde alles für meine kleine Schwester tun, nur damit sie eine schönere Kindheit hätte, doch leider hatte sie das Pech, die braunen Augen unserer Mutter geerbt zu haben. Allgemein kam sie ganz nach unserer Mutter. Sie beide hatten das gleiche zierliche Gesicht mit karamellfarbenen Haaren. Im Gegenteil zu mir. Ich kam von meinem Aussehen her ganz nach unserem Vater und hatte seine strahlenden blauen Augen geerbt. Auch mein dunkelbraunes, manchmal fast schwarz wirkendes Haar hatte ich von ihm. Somit hätte ich eigentlich die Möglichkeit gehabt in den dritten Stand aufzusteigen, doch ich könnte niemals meine Familie einfach so im Stich lassen. Es würde ihr Todesurteil bedeuten.

In unserem Land glaubt man, dass die Haar- und Augenfarbe die Farben der Seele ausdrücken. Mein Vater hatte dem dritten Stand angehört und war somit Bauer gewesen. Wie alle Menschen im dritten Stand der Gesellschaft hatte er blaue Augen und braune Haare. Ihm war es nur erlaubt sich eine Frau des gleichen Standes zu suchen, doch er verliebte sich, als er jung war, in meine Mutter, die von Geburt dem vierten Stand angehörte und somit braune Haare und braune Augen hatte. Früher hatte er mir immer erzählt es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie heirateten, obwohl es eigentlich verboten war. Doch das schlimmere Verbrechen war, dass sie meine Schwester und mich bekamen. Es war eine Tat, die in diesem Land unverzeihlich war.

Wir hatten alle glücklich in einem Haus als eine Familie gelebt, doch das hatte sich vor zehn Jahren schlagartig von einem Tag auf den anderen geändert. Die Königsfamilie fand es auf irgendeine Weise heraus und wir bekamen alle eine Strafe für Hochverrat. Meine Mutter und wir wurden verstoßen und mein Vater wurde wahrscheinlich umgebracht. Ich hasste die Königsfamilie so sehr für das, was sie meiner Familie angetan hatte, und wollte mich in irgendeiner Weise an ihr rächen. Doch wie konnte ein 18-jähriges Mädchen aus dem vierten Stand jemals Rache an dem ersten Stand nehmen?

»Hast du uns etwas mitgebracht?«, riss mich Evina aus meinen Gedanken. Sie strahlte mich hoffnungsvoll an.

»Natürlich, denkst du etwa ich wäre eine schlechte Jägerin?«, neckte ich sie.

Glücklich zeigte ich ihr das frisch erlegte Fleisch. Ich konnte den Hunger förmlich in ihren Augen aufblitzen sehen, obwohl sie versuchte sich zusammenzureißen. Doch ihr Magen verriet sie.

»Wie wäre es, wenn du Mama hilfst eine Mahlzeit für heute Abend zuzubereiten? Ich finde wir sollten den Anfang des Frühlings mit einer anständigen Mahlzeit feiern. Was hältst du davon?«

Ihre Augen fingen an zu leuchten und sie fiel mir abermals um den Hals. Mit ihren skelettdünnen Armen drückte sie mich überraschend kräftig an sich heran. Trotzdem erwiderte ich ihre Umarmung. Evina war viel zu dünn für ihr Alter. Man konnte ihre Knochen deutlich unter ihrem Kleid sehen, welches sie schon seit Jahren trug und dementsprechend ausgeleiert und schmutzig aussah. Ich nahm noch einmal einen tiefen Atemzug von ihrem so vertrauten Geruch nach Gänseblümchen, bevor ich sie wieder losließ. Suchend schaute ich mich in der Hütte um.

»Wo ist Mama?«

»Ich glaube, sie ist draußen und hilft den Nachbarn, aber sie müsste bald wieder zurückkehren. Sie meinte, sie würde zum Mittagessen wieder da sein.«

»Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich noch die Stadt besuche? Da heute Sonntag und somit auch Markttag ist, stehen die Chancen gut, dass ich das Geweih vielleicht verkaufen oder gegen etwas Brauchbares eintauschen kann. Zum Abendessen sollte ich aber eigentlich wieder pünktlich da sein und dann feiern wir den Beginn des Frühlings.«

Ein glückliches Lächeln breitete sich auf Evinas Lippen aus.

»Klar, aber bitte beeil dich! Ich besuche so lange noch Amalia.«

Amalia war ein Jahr älter als Evina und ihre beste Freundin. Sie und ihre Familie wohnten nur ein paar Hütten weiter und hatten uns nach dem Verlust unseres Vaters unterstützt. Seitdem waren unsere beiden Familien miteinander befreundet. Man könnte fast schon behaupten, dass wir alle zu einer Familie gehörten. Herr Harrison war ein großer schlanker Mann mit einem breiten freundlichen Lächeln. Er half, wo immer er nur konnte. Frau Harrison war eine kleine, zierliche Frau und behandelte mich wie ihre eigene Tochter. Sie brachte mich oft zum Lachen und sie und meine Mutter waren sozusagen beste Freundinnen. In ihrer Anwesenheit blühte meine Mutter manchmal wieder richtig auf und war ganz die Alte. Oft wünschte ich mir, dass sie auch in meiner Anwesenheit wieder aufblühen würde, doch wenn sie mich ansah, bekam sie oft diesen verbitterten Ausdruck und sagte dann:

»Du siehst deinem Vater so verblüffend ähnlich!«

Leider musste ich ihr da zustimmen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es allein eine Qual für sie war mich auch nur anzusehen, dann versuchte ich mir immer einzureden, dass ich mir dies wahrscheinlich nur einbildete.

Wie jeden Sonntag herrschte reger Betrieb auf den Wegen nach Miestas, der Hauptstadt von Luniox. Da viele Menschen auf den Markt wollten, um Einkäufe zu tätigen oder selbst etwas zu verkaufen, hatte sich vor der Stadtmauer schon eine lange Schlange gebildet. Ich stellte mich hinten an. Es dauerte nicht lange, dann war ich an der Reihe. Die Wachen beäugten mich misstrauisch und ließen ihre Augen angewidert über meine zerschlissene Kleidung wandern. Wie jedes Mal fröstelte ich bei ihrem Anblick. Trotzdem versuchte ich einen möglichst freundlichen und unschuldigen Gesichtsausdruck aufzusetzen und hoffte inständig, dass sie mich einfach durchwinken würden. Zu meinem Glück ließen sie mich passieren und beachteten mich nicht weiter, denn sie hatten ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Mann hinter mir gelenkt und kontrollierten diesen gerade ausführlich. Hastigen Schrittes ging ich weiter.

Jedes Mal, wenn ich die Stadt betrat, war ich fasziniert von der Größe der Häuser und den vornehmen Gewändern der anderen Stände. Für uns Menschen aus dem vierten Stand war dies nur ein Traum, der unglaublich und Welten entfernt war. Die Reichen schmissen Geld aus dem Fenster, während wir es mühsam wieder aufklaubten. Ich hatte diese Welt noch nie verstanden. Auf den Weg zur Stadtmitte begegnete ich ab und zu verächtlichen oder missmutigen Blicken. Doch diese waren schon längst nichts Neues mehr für mich, weshalb ich sie gekonnt ignorierte.

Am Marktplatz herrschte schon tüchtiges Gewusel. Ich versuchte mir erstmal einen Überblick zu verschaffen, doch das war gar nicht so leicht. Überall tummelten sich Menschen, sodass man kaum etwas erkennen konnte. Verzweifelt hielt ich Ausschau nach dem Verkaufsstand meiner besten Freundin Layana. Sie war die Einzige meiner früheren Freundinnen, die noch mit mir redete, seitdem ich dem vierten Stand angehörte. Layana und ihre Familie gehörten, so wie ich vor dem Tag der Vertreibung, dem dritten Stand an und waren somit Bauern. An jedem Sonntag verkauften sie hier auf dem Marktplatz ihre Erträge und kamen damit gerade so über die Runden. Netterweise erlaubten sie mir, meine eigenen Sachen an ihrem Stand zu verkaufen.

»May, hier sind wir!«

Schnell suchte ich die Menge ab und konnte Layana ein paar Meter entfernt entdecken. Genau wie ich hatte sie blaue Augen und braune Haare, die typischen Erkennungszeichen für den dritten Stand. Doch im Gegensatz zu mir war ihre Haut braun gebrannt, was ein schöner Kontrast zu ihren blassen, fast grauen Augen und ihren schokobraunen Haaren war. Ich beneidete meine Freundin schon von klein auf um ihr Erscheinungsbild. Jede ihrer Bewegungen, war elegant und bewusst ausgeführt. Ich war mir sicher, dass aus ihr einmal etwas ganz Besonderes werden konnte! Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, besonders darauf bedacht mit niemandem zusammenzustoßen. Einige gut gekleideten Frauen rümpften angewidert ihre Nase, als ich an ihnen vorbeilief. Wut schäumte in meinem Inneren. Doch ich versuchte ihre Blicke einfach gekonnt zu ignorieren, denn diese Damen waren es nicht wert sich über sie aufzuregen. Ich senkte meine Augen und versuchte so weiterem Aufsehen zu entkommen. Als ich bei Layana ankam, schloss sie mich in eine feste Umarmung und drückte mir einen Kuss auf meine Wange.

»Schön dich mal wieder zu sehen! Wie geht es dir?«

»Ach, eigentlich wie immer! Und was gibt es bei euch Neues?«

»Es ist bald wieder so weit!«

»Was ist bald wieder so weit?«, fragte ich sie sichtlich verwirrt.

»Die Royal Games finden bald wieder statt! Das ist schon seit Tagen das einzige Gesprächsthema im ganzen Land. Alle sind in Aufruhr! Die Königsfamilie möchte für ihren ersten Sohn Leonid eine Frau suchen. Kannst du es fassen?«, fragte sie mich.

Ihre blassblauen Augen schimmerten aufgeregt. Früher hatte mir mein Vater oft über diese sogenannten Royal Games etwas erzählt. Diese Spiele waren Tradition und fanden schon seit vielen hundert Jahren statt, um eine würdige Gattin für den zukünftigen König zu finden. Jedem Mädchen ab dem dritten Stand, das über 16 Jahre alt war, war es erlaubt, sich für diese Wettkämpfe zu bewerben. Am Ende wurden 20 Namen gezogen. Diese Mädchen durften dann anschließend an den Spielen teilnehmen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass man schlussendlich gewann, war gering. Denn ohne eine gute Kampfausbildung hatte man keine Chance. Nur der zweite Stand konnte sich eine derartige Ausbildung leisten. So wurden die meisten adeligen Mädchen von klein an auf dieses Ereignis hintrainiert. In der Hoffnung, dass sie später an die Krone der Königin gelangten und somit auch den jetzigen Thronfolgen zum Mann nahmen.

Die Royal Games waren meiner Meinung nach eine reine Machtdemonstration der Königsfamilie. Denn es war von vornherein klar, dass der dritte Stand keine Chance hatte, und das wurde in jeder Generation von Neuem bewiesen. Sie schafften es, dass wir uns minderwertig fühlten, schwach, unwichtig! Ich konnte nicht verhindern, dass Hass für die Königsfamilie in mir aufloderte. Bevor ich meiner Freundin antwortete, zügelte ich mein Temperament.

»Layana, du kommst aber nicht auf die Idee, dich selbst zu bewerben, oder?«

Schon bevor sie mir antwortete, wusste ich ihre Antwort auf meine Frage bereits. Layana war schon immer die Romantischere von uns beiden gewesen. Auch wenn ich sie über alles liebte, war sie manchmal etwas naiv. Sie sah immer nur das Gute in einem Menschen. Und gerade eben konnte ich mir nur zu gut vorstellen, wie sie sich ausmalte, den Prinzen zu heiraten, im Palast zu leben und nie mehr Geldprobleme zu haben. Ich musste selbst zugeben, dass diese Fantasie äußerst verlockend war, doch dies lag außerhalb des Vorstellbaren. Meiner Freundin entging meine Reaktion nicht.

»Ach, komm schon, bewerben kann man sich doch einfach einmal. Das heißt noch lange nicht, dass man, letztendlich an den Royal Games teilnehmen wird.«

Da musste ich ihr zustimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man am Ende auch wirklich gezogen wurde, war gering. Denn man konnte davon ausgehen, dass sich fast jedes Mädchen des Landes bewerben würde. Layana ließ nicht locker.

»Stell dir doch vor, wie es wäre gemeinsam für ein paar Wochen im Palast zu leben. Selbst, wenn man nicht gewinnt, hat man bestimmt viel Spaß! Komm schon, bewerben können wir uns beide doch einfach einmal.«

Ich hätte mich zwar für die Royal Games als dritter Stand ausgeben können, da ich nach meinem Aussehen diesem Stand entsprach. Doch ich konnte meine Familie für eine solch lange Zeit nicht einfach im Stich lassen. Außerdem fühlte es sich nicht richtig an, die Königsfamilie über meine wahre Identität zu täuschen. Am Ende würden sie es noch herausfinden und mir bangte vor einer Strafe. Trotzdem wusste ich, dass Layana nicht lockerlassen würde, bis ich ihrem Vorschlag zustimmte. Also sagte ich schlichtweg:

»Ich werde darüber nachdenken.«

Ein breites Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht und ein aufgeregtes Quietschen entfuhr ihr. Die Leute um uns herum schauten uns verwirrt an, doch Layana schien davon nichts zu bemerken. Im Gegenteil, sie hüpfte zappelig vor mir auf und ab und zog mich anschließend in eine feste Umarmung. Ich hatte schon Angst, dass sie mich gar nicht mehr loslassen würde. Endlich ließ sie wieder locker und löste sich von mir. Als sie mich jetzt wieder betrachtete, schaute sie mir ernst in die Augen.

»Wie wäre es, wenn wir am Tag unserer Bewerbung gemeinsam zum Rathaus gehen würden. Das wäre bestimmt lustig!«

»Ich muss erst noch einmal darüber nachdenken!«

Sie nickte mir verständnisvoll zu. Doch an ihrer Mimik konnte ich erkennen, dass sie fester Überzeugung war, dass ich, letztendlich doch noch zustimmen würde.

Ich wollte sie nicht enttäuschen, also lenkte ich vom Thema ab und erzählte ihr von dem Hirsch, den ich heute Morgen erlegt hatte. Gemeinsam suchten wir einen freien Platz auf dem Markttisch, wo ich das Geweih platzieren konnte. Wir redeten noch ein bisschen über die letzten Tage, als Layana auf einmal einen weißen Umschlag aus ihrer Umhängetasche hervorholte.

»Bevor ich es vergesse! Der wurde für dich gestern bei unserem Haus abgegeben. Leider weiß ich nicht, wer es war. Meine Mutter meinte nur, es wäre ein großer dünner Mann gewesen, doch da gibt es hier in der Stadt viele.«

Dankbar nahm ich den Brief entgegen. In einer geschlungenen sauberen Schrift stand mein Name als Empfänger darauf. Auf der Rückseite war der Brief mit einem Siegel verschlossen. Auf dem Siegel, kaum wahrnehmbar, war der Großbuchstabe R in geschlungener Schrift geschrieben. Obwohl ich neugierig war, sagte mir mein Gefühl, dass ich den Brief besser allein öffnen sollte. Beiläufig ließ ich ihn in den Taschen meines Umhanges verschwinden, damit ich ihn später ungestört in unserer Hütte lesen konnte.

Bevor es anfing zu dämmern, machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Ich hatte das Geweih zu einem zufriedenstellenden Geldbetrag verkaufen können, der meine Familie und mich für eine Woche mit Lebensmitteln versorgen würde. Am liebsten hätte ich noch ein bisschen mehr Zeit mit meiner besten Freundin verbracht, doch abends waren die Straßen nicht mehr sicher. Oft waren dann nur noch Diebe oder betrunkene Männer auf den Wegen Miestas unterwegs.

Die Gassen leerten sich langsam, weshalb ich mich noch ein bisschen mehr beeilte. Erst jetzt fielen mir die vielen Plakate an den Hausmauern auf. Überall wurden die Royal Games angekündigt. Ich blieb stehen und schaute mir eines der Plakate genauer an. In der Mitte prangte ein großes Bild von der letzten Runde der Royal Games. Darauf war unsere jetzige Königin Zora abgebildet. Auf dem Bild wurde ihr gerade die königliche Krone übergeben. Ich schätzte sie ungefähr auf mein jetziges Alter. Ihre blonden, engelsgleichen Haare fielen ihr leicht gelockt über die Schulter. Ihre Augen leuchteten vor Freude und auf ihrem Mund zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab. Ich musste zugeben, dass sie eine wahre Schönheit war. Und nur schwer konnte ich mir vorstellen, wieso sie trotzdem in all meinen Erinnerungen kaltherzig gehandelt hatte. Angefangen mit der Festnahme meines Vaters. Bestimmt war der Königsfamilie nicht bewusst gewesen, wie viel Leid dies meiner Familie schlussendlich gebracht hatte. Oder es war ihnen schlichtweg gleichgültig gewesen. Doch dies wäre noch viel schlimmer.

Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich fast schon ganz allein auf der Straße unterwegs war. Jetzt musste ich mich aber wirklich beeilen, sonst würde ich nicht mehr aus der Stadt herauskommen. Schnellen Schrittes eilte ich weiter zum Stadttor. Die Wachen wollten das Tor gerade schließen, als ich ankam.

»Wartet, ich muss noch schnell raus!«

Man konnte ihren Gesichtern ablesen, dass dies gegen ihren Willen ging, doch bevor sie etwas erwidern konnten, schlüpfte ich hastig durch den schmalen Spalt hinaus in die Dunkelheit. Der Weg war nur noch schemenhaft zu erkennen und meine dünnen Kleider waren langsam schon klamm vor Kälte. Trotzdem war ich zufrieden mit dem heutigen Tag und freute mich auf die erste anständige Mahlzeit seit langem. Angetrieben von Hunger wurden meine Schritte noch ein bisschen schneller, bis ich fast schon rannte.

Als ich in unserer Hütte ankam, duftete es schon himmlisch. Ich nahm einen tiefen Atemzug und das Wasser lief mir im Mund zusammen. Auch mein Bauch meldete sich jetzt knurrend zu Wort.

»Du kommst gerade zur richtigen Zeit!«, empfing mich Evina begeistert.

Ihre Wangen waren rosig und ihr Gesicht wurde von einem breiten Grinsen geziert. Sie so glücklich zu sehen, erwärmte mir mein Herz. Sogar meine Mutter schien an diesem Abend ausgelassener als sonst zu sein. Sie beide so glücklich zu sehen, steckte auch mich an. Mit einem Mal waren all meine Sorgen wie weggeblasen.

Es schmeckte himmlisch! Ich versuchte langsam zu essen und jeden Bissen zu genießen, trotzdem war mein Teller viel zu schnell leer. Am liebsten hätte ich mir noch Nachschub geholt, doch ich musste mich zusammenreißen, damit das Essen noch für die nächsten Tage reichte. Satt und zufrieden legten wir uns in unser Bett. Schon bald ging der Atem meiner Schwester und meiner Mutter gleichmäßig. Darauf hatte ich gewartet. Leise holte ich den Brief aus meinem Umhang hervor und öffnete vorsichtig das Siegel. Gespannt faltete ich den Bogen Papier auseinander.

»Liebe Mayla Dashwood, ich hätte etwas Wichtiges mit Dir zu besprechen. Lass uns doch am Montag um die Mittagszeit bei der Schenke Blumenesche treffen. Es ist wichtig! Ich bitte dich inständig darum niemandem etwas von unserem Treffen zu erzählen! Liebe Grüße R.«

Sofort war ich wieder hellwach. Das Initial R stand für eine Organisation, die heimlich gegen die Königsfamilie rebellierte. Das R war das Erkennungszeichen und stand für Rebellion oder Rebellen. Schon seit längerer Zeit war ich dieser Organisation beigetreten und unterstützte ihre Ziele. Bis jetzt hatten diese noch nicht den Mut gehabt sich zu wehren und wirklich etwas zu bewirken, weshalb ich umso neugieriger war, was sie morgen von mir wollen würden.

Obwohl ich eigentlich noch nicht schlafen wollte, übermannte mich allmählich meine Müdigkeit. Gegen meinen Willen schlossen sich meine Augenlider und ich fiel in einen unruhigen Schlaf.

Der nächste Tag verging schleppend. Ich konnte es kaum erwarten, mehr über diesen geheimnisvollen Brief zu erfahren und gleichzeitig verspürte ich Angst, nicht wissend, was auf mich zukommen würde. Nur schwer konnte ich meine Nervosität vor meiner Schwester und meiner Mutter verbergen. Ab und zu erwischten sie mich dennoch, wie ich nervös auf meinen Lippen herumkaute oder gedankenversunken ihren Gesprächen keine Aufmerksamkeit schenkte.

Doch endlich war es Zeit aufzubrechen. Ich erzählte meiner Mutter, dass ich mich mit Layana in der Stadt verabredet hätte und spätestens am frühen Abend zurückkäme, damit sie sich keine Sorgen machen würde. Wie immer nickte sie mir nur stumm zu und erkundigte sich nicht einmal, was wir beide in der Stadt unternehmen würden. Normalerweise wäre ich wegen ihrer Reaktion gekränkt gewesen, doch heute war ich einfach nur dankbar, dass ich sie so nicht weiter anlügen musste. Da ich nicht wusste, was mich am Gasthaus erwarten würde, versteckte ich zur Sicherheit zwei meiner Jagdmesser unter meinem abgewetzten Kleid und hoffte inständig, dass ich sie heute nicht benötigen würde.

Der Weg zur Stadt war wie ausgestorben. Normalerweise besuchte ich immer nur sonntags die Stadt und war es gewöhnt von einer Menschenmasse umgeben zu sein. Diese Ruhe war selbst für mich ungewohnt und unheimlich. Als ich dieses Mal das Tor der Stadt erreichte, erwartete mich dort keine lange Schlange wartender Menschen, sondern nur ein armer Bettler, der das Tor gerade passierte. Die Wachen hielten ihn nicht auf, sondern warfen ihm nur angewiderte und hochmütige Blicke zu. Scheinbar waren sie davon überzeugt, dass dieser Mann es nicht wert sei, kontrolliert zu werden. Und das hasste ich an dieser Welt am meisten! Alle hier hielten sich für etwas Besseres, nur weil man eine andere Augen- oder Haarfarbe hatte. Ich hoffte inständig, dass die Rebellen bald für Veränderungen sorgen würden. Als ich mich den Wachen näherte, konnte ich erkennen, dass es sich um andere Männer wie bei meinem letzten Besuch handelte. Sie beäugten mich skeptisch. Ich spürte ihre durchdringenden Blicke auf mir ruhen, trotzdem versuchte ich meine Aufregung zu überspielen und selbstsicher an ihnen vorbeizugehen. Als ich sie schon fast passiert hatte, hörte ich die dunkle Stimme einer der Wächter.

»Halt, Miss! Wir müssen sie erst kontrollieren!«

Innerlich fluchte ich.

Grob packte mich eine Hand an meinem Oberarm und ich wurde mit einem Ruck zurückgerissen. Ich verlor mein Gleichgewicht und stürzte. Im letzten Moment fing ich mit meinen Armen den Sturz auf und zog mich anschließend wieder auf die Beine. Sofort kamen mir wieder die Erinnerungen an den Abend, an dem die Wachen des Königshauses bei uns eingedrungen waren. Wie sie uns gepackt, unser Haus in Brand gesteckt und mir meinen Vater, meine Vergangenheit, aber auch gleichzeitig meine Zukunft genommen hatten!

»Nicht so hastig, Kleine! Wir müssen dich erst durchsuchen.«

Bei diesen Worten hob er zweideutig seine Augenbrauen. Meine Angst verwandelte sich in Wut und in Hass. Trotzdem wusste ich, dass ich allein keine Chance gegen zwei erwachsene Männer hatte, die dazu noch zu perfekten Kämpfern ausgebildet waren. Außerdem durfte ich ihnen keinen Grund geben mich nicht in die Stadt zu lassen, da das heutige Treffen mit den Rebellen besonders wichtig für mich war. Also wehrte ich mich nicht, als einer der Wächter anfing mich nach Waffen zu durchsuchen und ich wusste leider ganz genau, was er finden würde. Seine Hände glitten den Umhang meines Stoffes entlang. Mir stockte mein Atem, als ich seine rauen Finger auf meinem Hals spürte. Ich musste gegen den Drang ankämpfen seine Hände wegzuschlagen. Nur allzu deutlich nahm ich wahr, wie seine Hände immer weiter über meine Schultern hinunter tasteten. Seine Hände glitten über die Wölbung meiner Brust. Galle stieg in mir auf. Wie von selbst krümmten sich meine Hände zu Fäusten. In diesem Moment wollte ich diesem Mann nur noch Schmerzen bereiten. Er schien es zu merken, denn ein kleines selbstgefälliges Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Er lehnte sich ein Stückchen vor und sein kalter Atem streifte meine Halsbeuge.

»Ich an deiner Stelle würde darüber erst gar nicht nachdenken.«

Zittrig atmete ich meine angestaute Luft aus. Ich musste mein Temperament zügeln. Seine Hände glitten weiter meine Hüfte entlang, bis er bei meinen Schuhen angekommen war. Ein triumphierendes Glucksen von ihm versicherte nur, was ich bereits während der ganzen Zeit befürchtet hatte. Er hatte eines meiner Messer gefunden. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass er mich für ein naives kleines Mädchen hielt und nicht nach einem weiterem Messer Ausschau halten würde.

»Dachten sie wirklich Miss, dass sie damit durchkommen würden?«

Arrogant blickte er von oben auf mich herab und nahm mir das Messer ab.

»Was ist das denn für ein Schrott? Leg es zu den anderen Sachen, die weggeschmissen werden sollen.«

Mit diesen Worten überreichte der Wachmann seinem Komplizen mein wertvolles Messer. Es tat mir im Herzen weh zu sehen, wie eines meiner Lieblingsmesser für immer verloren war. Ich verfluchte mich innerlich dafür, dass ich so leichtsinnig gewesen war, zu glauben, dass ich auch dieses Mal ohne eine Kontrolle in die Stadt kommen würde. Jetzt durfte ich ein halbes Jahr warten, bis ich wieder genügend Geld zusammen hatte, um ein neues Messer zu kaufen. Scheinbar konnten die beiden Wachmänner von meinem Gesichtsausdruck her meinen Verlust ablesen, denn sie grinsten mich nur schadenfroh an und ließen mich das Tor passieren.

Ich atmete erleichtert auf und tastete mit schwitzigen Händen nach dem anderen versteckten Messer, um sicherzugehen, dass es noch da war. Nachdem ich mich von dessen Anwesenheit überzeugt hatte, schaute ich mich genauer um. Die Stadt lag friedlich vor mir. Ein paar fein gekleidete Menschen waren auf den Straßen unterwegs, doch keiner schenkte mir Beachtung. Ich schlenderte durch die Straßen, da ich noch etwas Zeit bis zu meinem Treffen mit den Rebellen hatte. Ich war davon ausgegangen, dass an einem Montag reger Betrieb herrschen würde und ich lange Zeit vor der Stadtmauer warten müsste, bis ich eingelassen werden würde. Doch da hatte ich mich geirrt. Also ging ich durch die Stadt und ließ ihren Anblick auf mich wirken.

Zu beiden Seiten der mit Kopfstein gepflasterten Straße ragten riesige prunkvolle Häuser in die Höhe. Ein jedes von ihnen musste Unmengen an Geld gekostet haben. Dementsprechend lebten dort auch reichere Menschen. Trotzdem konnte keines der Häuser mit dem Palast mithalten, welcher sich auf einer Anhöhe außerhalb der Stadtmauern befand. Fast von überall in der Stadt konnte man ihn erblicken. Mit seinen vielen weißen Türmen, die in die Höhe ragten und das Hauptgebäude umrahmten. Als ich ein kleines Kind war, besuchte ich oft mit meinem Vater die Stadt. Und jedes Mal von Neuem war ich von der Schönheit des Palastes beeindruckt gewesen. Manchmal hatte ich sogar davon geträumt in ihm zu leben. Doch seitdem mein Vater fort war, hatte ich jedes Mal das Gefühl von seiner Pracht verspottet zu werden. Der Palast schien einfach perfekt zu sein. Ganz im Gegenteil zu meinem Leben. Auch wenn der Palast weit entfernt war, konnte man seine Größe erahnen. Und jedes Mal von Neuem hatte ich das Gefühl, dass er auf mich hinunterblickte. Nur damit ich mich klein und unbedeutend fühlte. Schmerzhaft löste ich mich von dem faszinierenden Anblick und ging raschen Schrittes immer weiter in das Stadtinnere.

Die Schenke befand sich in dem etwas schäbigeren Teil der Stadt. Ich zog mir die Kapuze meines Umhangs tief ins Gesicht, damit keiner einen Blick auf mein Gesicht erhaschen konnte. Für andere Leute musste ich wie ein heruntergekommener Bettler aussehen. In diesem Teil der Stadt hatte das Vergnügen höchste Priorität. Ich lief an mehreren Bordellen und anderen schäbigen Läden vorbei. Diesen Stadtteil versuchte ich meist zu meiden. Auf den Straßen tummelten sich fragwürdige Gestalten und für Frauen war es hier eindeutig zu gefährlich. Auch, wenn ich es nicht gerne zugab, stieg ein kleiner Funken Angst in mir auf. Ich konnte es kaum erwarten, dieses Viertel wieder hinter mir zu lassen.

Ein paar Minuten vor der vereinbarten Zeit kam ich an der Schenke an. Als ich den Raum betrat, stieg mir sofort der Gestank von Schweiß und Bier in die Nase. Ich musste kurz warten, bis sich meine Augen an die Dunkelheit des Schankraumes gewöhnt hatten. Ein paar Männer saßen an der Bar und nuschelten unverständliches Zeug vor sich hin. Nach ihrem Gestank zu urteilen, hatten sie schon einiges an Alkohol intus. Am liebsten hätte ich aus Angst auf der Stelle kehrtgemacht, doch ich musste um jeden Preis wissen, was die Rebellen von mir wollten. Also gab ich mir einen Ruck und zog mir meine Kapuze noch etwas tiefer ins Gesicht. Zielsicher steuerte ich einen leeren Tisch in der hintersten Ecke der Schenke an.

Leider stieß ich plötzlich gegen eine Gestalt, die ruckartig aufgestanden war, sodass ich ins Taumeln geriet. Ich konnte gerade noch meinen Fall mit meinen beiden Händen auffangen, wobei meine Kapuze verrutschte. Ich versuchte noch schnell mein Gesicht zu verbergen, doch es war bereits zu spät. Der Mann, gegen den ich gestoßen war, schaute mich gierig mit seinen rot unterlaufenen Augen an. Er stank fürchterlich nach Alkohol, was darauf hindeutete, dass er sich schon seit längerer Zeit hier aufhielt.

»Wen haben wir denn da? Du solltest doch längst wissen, dass ein Mädchen in deinem Alter in so einem Laden nichts zu suchen hat!«

Er ließ seinen Blick unverschämt über meinen ganzen Körper gleiten. Die Art, wie er mich ohne jegliche Hemmung und Anstand betrachtete, ließ mich vor Zorn erröten. Genauso sehr wie ich das Königshaus hasste, hasste ich Männer, die glaubten sich einfach alles nehmen zu können, was sie begehrten. Ich musste mein Temperament zügeln, damit ich mich nicht auf ihn stürzen würde. Denn eines hatte ich bei meinen jahrelangen Erfahrungen bei der Jagd gelernt. Man musste immer auf den richtigen Zeitpunkt warten. Ist man zu voreilig, kann man die Situation unterschätzen und wird am Ende selbst zur Beute. Wartet man zu lange, so wird sich irgendwann der Wind drehen und die Beute wittert dich, bevor du irgendeinen Zug machen konntest. Ich würde also nur auf den richtigen Zeitpunkt warten müssen. Der Mann hatte langsam die ganze Aufmerksamkeit der anderen Gäste der Schenke auf sich gelenkt. Doch ihn schien es nicht zu stören, im Gegenteil, fast wirkte es so, als würde er es genießen, im Mittelpunkt dieses Spektakels zu stehen. Ich versuchte ihm auszuweichen, doch die anderen Männer, die bis gerade eben noch an der Bar gesessen hatten, versperrten mir den Ausgang. Ein gieriges, aber auch schadenfrohes Lächeln war auf ihren Gesichtern zu erkennen und ihre Augen funkelten vor Wahnsinn. Angewidert erschauderte ich. In aller Ruhe versuchte ich mein Messer aus meinem Kleid hervorzuziehen, doch meine Hand griff nur in den leeren Stoff meines Kleides. Jetzt wurde ich doch panisch, denn wie sollte ich eine Chance gegen dutzende Männer haben, die weiß Gott was mit mir vorhatte, wenn ich nichts dabeihatte, um mich zu wehren? Mit einem Mann konnte ich es noch ohne Waffen aufnehmen. Doch gegen so viele hatte ich keine Chance. Das Einzige, was ich versuchen konnte, war durch den Ausgang aus der Schenke zu fliehen. Wie von selbst glitt mein Blick zu der Tür. Ein paar Männer hatten sich davor aufgebaut, doch vielleicht würde ich es schaffen können. Ich nahm Anlauf und wollte gerade lossprinten. Kräftige Männerhände packten mich plötzlich und hielten mich an Ort und Stelle. Ich versuchte mich zu wehren. Reflexartig wendete ich eine Kampftechnik meines Vaters an und schaffte es so die Hände von meinem Körper zu lösen. Mit einem letzten Schlag in sein Gesicht wurde mein Angreifer zurückgeschleudert. Doch auch die anderen Männer kamen mir jetzt drohend immer näher. Ein anderer Mann wollte mir einen Fausthieb in mein Gesicht verpassen. Mit all meiner Kraft wehrte ich seinen Faustschlag ab und versuchte ihm mit meinen Füßen gegen das Schienbein zu treten. Vergeblich jedoch, denn immer mehr Männer kamen und hielten mich fest. Ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in mein Fleisch. Aber ich spürte es in diesem Moment kaum. Ich trat und schlug um mich, doch das führte nur dazu, dass mich immer mehr Hände festhielten. Schließlich gab ich es auf, ich musste mir etwas anderes einfallen lassen.

Der Mann, gegen den ich gerannt war, hatte sich von dem Schlag ins Gesicht erholt und rappelte sich langsam wieder vom Boden auf. Aus seiner Nase quoll Blut. Scheinbar hatte ich ihm seine Nase gebrochen, denn schon jetzt war eine Schwellung sichtbar. Mit wutverzerrtem Gesicht trat er auf mich zu. Er kam immer näher, bis wir nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.

»Du hast auf jeden Fall Temperament. Das gefällt mir schon einmal! Aber denkst du wirklich, dass wir dich einfach entkommen lassen? Dafür bist du doch viel zu hübsch!«

Seine Alkoholfahne war kaum zu ertragen, weshalb ich den Atem anhielt. Er strich mir mit seinem rauen und von Dreck verschmierten Daumen eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wollte seine Hand schon weiter wandern lassen, da spuckte ich ihm in sein Gesicht. Sein zuerst ungläubiger Gesichtsausdruck wich einem zornverzerrtem und er schlug mir, ohne zu zögern, mit seiner Faust in mein Gesicht. Mein Kopf wurde von der Wucht des Aufpralls nach hinten geschleudert und ich wurde zu Boden gerissen. Der Schmerz explodierte in meinem Inneren. Ich krümmte mich vor Schmerzen. Tränen schossen mir in meine Augen. Der Schlag war so hart gewesen, dass ich kämpfte, um nicht mein Bewusstsein zu verlieren. Die Dunkelheit versuchte mich zu übermannen, doch das konnte ich nicht zulassen. Ich zwang mich, meine Augen wieder zu öffnen und mich auf meine verschwommene Umgebung zu konzentrieren. Nur schwer und langsam konnte ich alles wieder klar wahrnehmen.

»Na, wie gefällt dir das? Bist du jetzt zufrieden?«

Mit geweiteten Augen starrte ich ihm entgegen, als er seine Hand ein weiteres Mal zu einer Faust ballte und zu einem weiteren Schlag ausholte. Noch einen solchen Hieb würde ich nicht überstehen, ohne mein Bewusstsein zu verlieren. Da war ich mir sicher. Ich wollte gerade meine Augen schließen und auf die verlockende Dunkelheit warten, als plötzlich eine tiefe Stimme erklang.

»Lasst sie sofort los!«

Sogleich ließ der Mann, ganz offensichtlich gegen seinen Willen, wie ich in seinem Gesicht ablesen konnte, seine Faust sinken und wich von mir zurück. Die anderen Männer taten es ihm gleich und strömten hektisch auseinander, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Ich versuchte meinen Körper langsam wieder aufzurichten. Verzweifelt versuchte ich gegen das Pochen hinter meiner Schläfe anzukämpfen.

Ein kurzes Schwindelgefühl ergriff mich, weshalb ich kurz in dieser Position verharrte, darauf wartend, dass sich mein Blick wieder klärte. Feste Schritte kamen auf mich zu, die, wie ich vermutete, meinem Retter gehörten. Als ich aufblickte, schaute ich geradewegs in das Gesicht eines Mannes. Nur schwer konnte ich sagen, wie alt er war. Tiefe Falten überzogen sein Gesicht und deuteten darauf hin, dass er schon Mitte vierzig war. Doch was mich wirklich verunsicherte, waren seine Augen. Stechende eisblaue Augen musterten mich aufmerksam. Seine Haare waren grau, fast schon silbern und einige Strähnen fielen ihm in die Stirn. Ich verstand, wieso die Männer ihm sofort gehorchten. Er strahlte eine Autorität aus, der keiner Widerstand leisten wollte. Skeptisch musterte er mich mit seinem stechenden Blick von oben.

Ich musste sicher ein trauriger Anblick sein, wie ich jetzt so hilflos und zusammengeschlagen auf dem Boden saß. Ich konnte spüren, dass die Stelle, an der mich die Faust des Mannes erwischt hatte, schon anfing anzuschwellen. Morgen würde ich ein großes blaues Veilchen haben und ich wusste noch nicht, welche Lüge ich meiner Schwester und meiner Mutter auftischen sollte, die man mir auch wirklich abkaufen konnte. Aber, das, was mich am meisten beschämte, war, dass ich versagt hatte. Ich war übermütig gewesen und hatte die Situation nicht richtig einschätzen können. Ohne meinen Retter wäre ich jetzt längst ohnmächtig gewesen und die Männer hätten sonst etwas mit mir angestellt. Bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht und die Galle stieg mir den Rachen hinauf.

Die eisblauen Augen fixierten mich immer noch und brannten sich erbarmungslos in meine Haut. Ich musste meine ganze Willenskraft aufbringen, um seinem Blick nicht beschämt auszuweichen. Schließlich hatte er mich gerade in einem meiner schwächsten Augenblicke gesehen. Trotzdem wollte ich Stärke beweisen, weshalb ich meine Schultern straffte und erbarmungslos seinen Blick erwiderte. Kurz hätte ich schwören können, so etwas wie Respekt in seinen Augen aufblitzen zu sehen, doch der Moment verging so schnell, dass ich nicht wusste, ob ich mir dies doch nur eingebildet hatte. Wortlos reichte er mir seine Hand, die ich am liebsten aus Stolz abgelehnt hätte. Doch schon wurde ich wieder von einer Welle des Schwindels ergriffen, weshalb ich sie schließlich dankbar ergriff und mir auf die Beine helfen ließ. Verlegen nuschelte ich ein Dankeschön. Erst jetzt fiel mir auf, wie groß dieser Mann war. Er überragte mich fast um ganze zwei Köpfe. Mein Blick heftete sich auf seinen schwarzen Umhang, in den, wie ich erkennen konnte, ein geschwungenes R mit silbernen Faden eingestickt worden war. Bei diesem Anblick flatterte mein Herz, zugleich von Nervosität und Hoffnung ergriffen.

Wie lange hatte ich mir schon erhofft, dass die Rebellen in Kontakt mit mir treten würden. Immerzu hörte ich die Worte meines Vaters in meinen Gedanken:

»May, verlass die Welt ein bisschen besser, als du sie betreten hast. Nichts ist umsonst, wenn man das Beste daraus macht. Schwör mir das.«

Damals hatte ich es ihm geschworen und ich war fest entschlossen mein Versprechen zu halten. So war ich vor einigen Jahren mit den Rebellen in Kontakt getreten, denn nur mit ihrer Hilfe und Unterstützung könnte ich meinen Vater rächen. Davon war ich fest überzeugt.

Ich riss mich von dem Anblick der Initiale R los und schaute dem Mann wieder in die Augen. Er hatte natürlich meinen Blick auf seinen Umhang wahrgenommen und ich hätte schwören können, dass er in meinem Gesicht all meine Unsicherheit ablesen konnte. Ich versuchte schnell wieder meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen und sie hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen. Schließlich wusste ich noch nicht, was die Rebellen genau von mir wollten. Er hatte mich zwar gerade vor den Männern gerettet, aber das hieß noch lange nicht, dass ich ihm auch vertrauen konnte.

»Was wollt ihr von mir?«, fragte ich ihn geradeaus.

Ich hatte keine Lust mir Hoffnungen zu machen, die schlussendlich einfach wieder zerplatzten. Der Mann schien sich nicht daran zu stören, sondern schaute mich geradezu zufrieden an.

»Ich heiße Arne und ich gehöre zu den Rebellen. Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen, Miss Dashwood.«

Er zeigte auf den leeren Tisch in der Ecke der Schenke, den ich zuvor angesteuert hatte. Dieser war weit genug von den anderen Gästen entfernt, sodass unser Gespräch nicht belauscht werden konnte. Erschöpft ließ ich mich ihm gegenüber auf die Sitzbank fallen und schaute ihn erwartungsvoll an. Arne schien dies gar nicht zu bemerken, denn er ließ seine Adleraugen durch den Raum gleiten und musterte jeden der Umstehenden. Doch scheinbar glaubte er, dass keine Gefahr von ihnen ausging, da sich seine Schultern und seine Haltung schnell wieder entspannten. Das ließ mich vermuten, dass sich hinter seiner ruhigen und selbstbewussten Fassade doch mehr verbarg, als er mir zeigen wollte. Sobald er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich lenkte, blickte ich ihn noch einmal erwartungsvoll an und wartete darauf, dass er endlich anfing zu erzählen.

»Wie Sie wissen, gibt es unsere Organisation schon seit mehreren Jahren. Im Untergrund haben wir mittlerweile viele Mitglieder für einen Angriff auf die Königsfamilie rekrutiert und jetzt ist endlich die richtige Zeit, um tätig zu werden.«

Verwirrt runzelte ich meine Stirn, da ich Arne nicht ganz folgen konnte.

»Und wieso ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt?«

»Die Royal Games!«

Allein bei dem Gedanken an die für mich sinnlosen Spiele stieg Hass in mir auf.

»Wir wollen ein Mädchen in diesen Wettkampf einschleusen. Der Teilnehmerin ist es erlaubt, sich im Palast frei zu bewegen und somit könnte sie uns hilfreiche Informationen liefern, die wir gegen die Königsfamilie nutzen könnten. Außerdem hoffen wir, dass unser eingeschleustes Mädchen an die Krone der Königin gelangt. So hätten die Rebellen uneingeschränkte Macht, um ihre Ziele zu verfolgen.«

Dies sagte er mit einer so sachlichen Stimme, als würde es kaum eine große Bedeutung haben.

»Und was habe ich mit diesem Plan zu tun?«, fragte ich ihn.

Nicht wissend, ob ich die Antwort wirklich hören wollte, denn mich beschlich ein leiser Verdacht, dass ich eine große Rolle darin spielen sollte.

»Du wurdest für die Rolle des Mädchens von den Rebellen ausgewählt.«

Ich wusste nicht, ob ich mich jetzt geschmeichelt fühlen oder diese Aussage für einen Witz halten sollte, deshalb stieß ich nur ein kurzes Schnauben aus. Jeder, der mich auch nur ein wenig kannte, wusste, dass ich genau das falsche Mädchen für eine solche Aufgabe war. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch nur eines der Spiele meistern würde, stände gleich null. Und wieso überhaupt sollte ich in den Palast reisen, während meine Familie mich dringend zum Überleben brauchte? Wer sollte sie während meiner Abwesenheit mit Essen und anderen Lebensmitteln versorgen.

Arne konnte scheinbar meine Gedanken in meinem Gesicht ablesen, denn er meinte unverwandt:

»Dafür, dass du an den Royal Games teilnimmst, werden dir die Rebellen eine großzügige Summe als Entschädigung anbieten, damit deine Familie für ihr restliches Leben gut über die Runden kommt.«

Das war ein verlockendes Angebot für mich und das wusste er. Denn ich würde alles für meine Familie tun. Zu wissen, dass meine Schwester Evina ihr restliches Leben sicher war und niemals wieder Hunger leiden würde, erwärmte mein Herz. Die Vorstellung allein war es wert, an den Royal Games teilzunehmen. Gleichzeitig konnte ich den Rebellen helfen die Königsfamilie zu stürzen. Sie sollten die gleichen Schmerzen spüren, die ich damals erlitten hatte. Sie sollten das Gefühl erfahren, wie es war, wenn einem alles genommen wurde. Sie waren schuld an der jahrelangen Unterdrückung unseres Volkes und jetzt sollten sie dafür bezahlen. Ich blickte Arne fest in die Augen.

»Ich bin bereit, an dem Wettkampf teilzunehmen, sobald ich das Geld bekommen habe.«

Er schaute mich zufrieden an.

»Nicht so schnell. Zuerst wirst du übermorgen auf den Marktplatz kommen. An diesem Tag dürfen sich alle Mädchen dieser Stadt für die Royal Games bewerben. Du wirst genau wie jedes andere Mädchen den Fragebogen ausfüllen. Anschließend wirst du deine Bewerbung einem Soldaten mit unserem Erkennungszeichen übergeben, der dafür sorgen wird, dass du unter den auserwählten Mädchen sein wirst. Im Tausch dafür wird er dir einen Umschlag mit dem ersten Teil des versprochenen Geldbetrags zustecken. Wenn nichts schiefläuft, wird dich nach einigen Wochen eine Einladung in den Palast erreichen und wenige Tage später wird dich eine königliche Kutsche abholen. Dort wirst du dann weitere Anweisungen bekommen. Mit jedem Spiel, das du bewältigst, wirst du einen weiteren Teil des Geldes bekommen.«

Ich nickte ihm zustimmend zu, als Zeichen, dass ich all seine Anweisungen verstanden hatte und befolgen würde. Die Sache mit der Ratenzahlung fand ich etwas hinderlich. Trotzdem verstand ich das Handeln der Rebellen. Sie wollten nur sichergehen, dass ich auch wirklich mein Bestes gab. Also würde ich mich zusammenreißen und an den Royal Games teilnehmen, damit meine Familie ihr restliches Leben versorgt war. Kurz darauf erhob er sich. Scheinbar war damit unser Gespräch für heute beendet. Als er gerade gehen wollte, wandte er sich mir noch einmal zu.

»Enttäusch uns nicht!«

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ mit festem Schritt die Schenke.

Nachdenklich schaute ich ihm hinterher. Sein letzter Satz wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.

»Enttäusch uns nicht!«