Royal Horses (3). Kronennacht - Jana Hoch - E-Book

Royal Horses (3). Kronennacht E-Book

Jana Hoch

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Beschreibung

Sie hat sich entschieden. Für ihn. Doch nun steht ihre Liebe vor der alles entscheidenden Zerreißprobe … Prinzessin werden - das wollte Greta nie. Doch nun sind sämtliche Kameras auf sie gerichtet, und jeder Schritt, den sie an Edwards Seite macht, wird genau beobachtet. Schnell merkt sie, dass das glamouröse Leben der Royals alles verändert: ihre Beziehung zu Edward, aber auch sie selbst. Inmitten aller Skandale und Intrigen kann Greta nur noch bei den Pferden Zuflucht finden. Und während Edward immer weiter in seine Rolle als Prinz gedrängt wird, kommen Greta Zweifel. Ist sie wirklich bereit, ihre eigenen Träume für ihre Liebe aufzugeben?   Witzig und romantisch, glamourös und spannend: "Royal Horses" ist die perfekte Liebesgeschichte für alle Leser von 12 bis 99 Jahren und für Fans von Mona Kasten, Bianca Iosivoni und Colleen Hoover. Weitere Infos zur Autorin unter www.jana-hoch.de oder auf Instagram unter @janahoch.autorin.   Die "Royal Horses"-Trilogie: Royal Horses (1). Kronenherz Royal Horses (2). Kronentraum Royal Horses (3). Kronennacht Die "Ruby Circle"-Trilogie: The Ruby Circle (1). All unsere Geheimnisse (18.08.2023) The Ruby Circle (2). All unsere Lügen (Frühjahr 2024) The Ruby Circle (3). All unsere Wahrheiten (Herbst 2024) Weitere Titel von Jana Hoch bei Arena: Dancing with Raven. Unser wildes Herz Pressestimmen: "Eine magische Geschichte zwischen Menschen und Tieren, die mich so berührt hat, dass ich am Ende ein paar Tränen in den Augen hatte." Lilly Marleen, 12, im BuchMarkt "Ein wunderschönes Pferdebuch zum Wegträumen ab zwölf Jahren. Toll geschrieben!" Neue Presse Hannover "Witzig und romantisch!" Westfälische Rundschau

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Seitenzahl: 464

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© Tanja Saturno

Jana Hoch wurde 1992 in Hannover geboren und lebt heute immer noch in der Nähe der Stadt. Seit frühester Kindheit hat es sie begeistert, eigene Welten und Charaktere zu entwickeln und diese auf dem Papier festzuhalten. Die Pferdetrainerin nutzt jede freie Minute zum Schreiben – der perfekte Tag beginnt für sie bei Sonnenaufgang, mit dem Laptop auf dem Schoß und einer Tasse Kakao, und endet auf dem Rücken ihres Pferdes Jamie.

Mehr Infos unter www.jana-hoch.deund auf Instagram unter @janahoch.autorin

Für Tanita und Nora.Danke, dass ihr meine Cheerleader seid!

1. Auflage 2021

© 2021 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Text: Jana Hoch

Cover und Innenillustrationen: Clara Vath, unter Verwendung

von Motiven von Shutterstock.com: © Cattallina, © Ann Baker

Lektorat: Anna Wörner

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

E-Book ISBN 978-3-401-80944-1

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

Die Aufzugtüren schlossen sich. Zitternd lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand und presste beide Hände an meine Schläfen. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Die Stimmen wurden leiser. Dann war es still. Doch die Bilder der letzten Minuten ließen sich nicht so leicht verdrängen. Wieder und wieder sah ich sie vor mir. Flackernde Lichter, die unzähligen Menschen und Edward …

Schwindel stieg in mir auf und ich klammerte mich fest an eine der goldenen Haltestangen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass das gerade wirklich passiert war, und wartete auf den Moment, in dem ich schweißgebadet aufwachte und feststellte, dass all das nichts weiter als ein Streich meines Unterbewusstseins gewesen war. Doch der Moment kam nicht. Stattdessen stoppte der Fahrstuhl und ich stolperte nach draußen in die Tiefgarage. Sofort schlug mir eine Welle eisiger Luft entgegen. Ich schlang die Arme um mich, aber es half nichts. Wo musste ich lang? Verdammt noch einmal, wo war der Ausgang? Dahinten! Ich rannte los. Vorbei an Securityleuten, die mir fragende Blicke zuwarfen, und weiter auf die Straße.

Er hat sie geküsst, dachte ich. Ihre Lippen hatten sich berührt, direkt vor meinen Augen. Edward hatte nichts gesagt, sie nicht abgewiesen. Er hatte sie einfach geküsst.

In der Ferne erklangen Stimmen, die Rufe wurden lauter. Ohne mich noch einmal umzudrehen, setzte ich einen Fuß auf die Fahrbahn und eilte darüber. Ein Taxi hupte. Der Fahrer kurbelte sein Fenster herunter und schimpfte, aber ich wandte ihm nicht einmal den Kopf zu. Hauptsache, weg von hier! Ich wollte alleine sein, durchatmen, wieder klare Gedanken fassen. Und dann … dann wollte ich Edward und alles, was jemals zwischen uns gewesen war, für immer vergessen.

Acht Wochen zuvor

Zu spät bemerkte ich die Schritte hinter mir. Jemand baute sich in meinem Rücken auf und beugte sich vor, bis ich seinen Atem fast an meinem Ohr spüren konnte. »Hvor er bryllupskagen?«, flüsterte eine tiefe Stimme.

»Was?« Überrascht fuhr ich herum und blickte direkt in Sixtons bärtiges Gesicht. Ein kindliches Lächeln tanzte auf seinen Lippen. »Nach vorne gucken, Schultern zurück, gerade stehen«, ermahnte er mich und sein Grinsen wurde breiter. »Und eine Dame sagt niemals Was?, sondern höchstens Wie bitte? oder Entschuldigung?. Nur Hä? ist noch schlimmer als Was?.«

Ich vergewisserte mich, dass niemand zu uns herübersah, verdrehte die Augen und pikste Sixton in den Bauch.

»Hey, hey, hey«, lachte er, jedoch ohne mir auszuweichen. »Hast du im Unterricht bei Nicholas nicht aufgepasst? Kämpfe werden nur mit den Augen ausgefochten.« Kurzerhand drehte er mich an den Schultern herum, sodass ich wieder in den gigantischen Saal schaute. Der Raum war mindestens so groß wie ein Fußballfeld, mit umlaufender Galerie und einer zehn Meter hohen Decke. Obwohl wir bereits seit Stunden hier waren und es langsam schwer wurde, in meinen hohen Schuhen zu stehen, hatte ich immer noch nicht alle Details erfasst. Der Anblick raubte mir nach wie vor den Atem. Unter der Decke hingen Hunderte Gebilde aus feinen Stäben, jeder mit einem Lichtpunkt am unteren Ende. Dadurch dass sie in unterschiedlichen Höhen angebracht waren, sahen sie aus wie leuchtende Eiszapfen. Außen herum verteilt, standen Tische und durchsichtige Stühle, die den Eindruck erweckten, als kämen sie direkt aus dem Palast der Schneekönigin. Und nicht zu vergessen: die drei riesigen Eisskulpturen neben der Tanzfläche. Drei brüllende Löwen – passend zum Staatswappen Dänemarks.

Unter den tanzenden Paaren entdeckte ich James und Lianna, die gerade an einem der weit aufgerissenen Mäuler vorbeischwebten und sich dabei so elegant drehten, als kostete es sie keinerlei Anstrengung. Aber das war kein Wunder. Lianna hatte als Prinzessin seit Kindheitstagen das Tanzen beigebracht bekommen und James, der als Edwards bester Freund schon immer mit dem Adel zu tun hatte, ebenso. Er war erst seit Anfang des Monats zurück aus Kalifornien und mir war aufgefallen, dass er sich zurückhaltender als früher verhielt und bemüht war, nicht in den Vordergrund zu treten. Nach der negativen Presse, die es für ihn gehagelt hatte, weil er als falscher Prinz aufgetreten war, konnte ich es ihm nicht verübeln. Doch dass er sich jetzt an Liannas Seite wieder auf den Veranstaltungen der Royals zeigte, bewies, dass die königliche Familie weiterhin zu ihm stand. Und zumindest, was das Tanzen betraf, schien er sich nach wie vor gerne zu präsentieren.

Ganz im Gegensatz zu Edward, der nur dann tanzte, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. So wie jetzt gerade. Ich hielt nach ihm Ausschau und entdeckte ihn mit der Gräfin im Arm, die so lange auf ihn eingeredet hatte, bis er keine höfliche Ausrede mehr gefunden und sie auf die Tanzfläche begleitet hatte. Die Frau war klein und reichte Edward gerade einmal bis zur Brust, aber die geringe Körpergröße wusste sie gekonnt durch eine herrische Stimme und einen Berg aufgetürmter Locken wettzumachen. Ihr lachsfarbenes Kleid war so eng, dass es sie komplett einschnürte und es ihr schwer machte, die Schritte zu setzen.

»Der mit dem Shrimp tanzt«, kommentierte Sixton und mir entwich ein so helles Lachen, dass ich mir schnell die Hand vor den Mund schlug. Edward schien es trotzdem zu bemerken, denn er lächelte kurz in unsere Richtung. Als die Musik verstummte, deutete er eine Verbeugung an, begleitete die Frau an den Rand der Tanzfläche und steuerte auf uns zu.

»Das reicht jetzt an Höflichkeitstänzen«, stöhnte er und legte den Arm um mich. »Den Rest des Abends gehöre ich nur dir.« Er zog mich noch näher zu sich heran und ließ seine Lippen sanft über meine Wange streichen. Sofort schoss mir die Hitze ins Gesicht und es war schwer zu sagen, ob es von seiner Berührung kam oder aber davon, dass wir uns inmitten einer Hochzeitsgesellschaft von fast vierhundert Leuten befanden. Nicht gerade der perfekte Ort für einen privaten Moment. Das fand wohl auch Sixton.

»Das wird mir jetzt echt zu romantisch mit euch«, brummte er und tippte Edward so lange auf die Schulter, bis er ihn ansah.

»Hvor er bryllupskagen?«

»Hä?«, fragte Edward und ich konnte mir das Grinsen nur schwer verkneifen.

Sixton schüttelte gespielt tadelnd den Kopf. »Da seid ihr zwei auf der Hochzeit einer dänischen Prinzessin eingeladen und habt nicht einmal die wichtigsten Sätze gelernt. Hvor er bryllupskagen? – Wo bleibt die Hochzeitstorte?«

Edward zog die Augenbrauen hoch. »Du kannst Dänisch?«

»Nur ein paar Anmachsprüche.« Sixton richtete seine Fliege und straffte die Schultern. »Das Wichtigste halt. Und wie ich korrekt nach Essen frage, schaue ich immer nach, bevor ich in ein Flugzeug steige, weil …« Er brach mitten im Satz ab und warf einen Blick hoch zur Galerie. Sein Grinsen verlor an Form. Doch gleich darauf war es wieder da und Sixton sprach weiter, als wäre nichts geschehen. »Na, wie dem auch sei. Amüsiert euch ein bisschen, ihr verliebten Mäuse. Aber übertreibt es nicht, klar? Am besten geht ihr tanzen und du …«, er klopfte Edward auf die Schulter, »… tu vielleicht zur Abwechslung mal so, als ob es dir Spaß macht.«

Edward setzte an, etwas zu sagen, aber Sixton schüttelte kaum merklich den Kopf und deutete mit einem Nicken an seiner Schulter vorbei. »Ich werde mich jetzt wieder unauffällig verhalten und mit der nächsten Wand verschmelzen. Aber denkt an meinen Kuchen, ja? Ich will ein großes Stück.« Und damit drehte er sich um und stellte sich an den Rand des Saals.

Vorsichtig spähte ich an Edward vorbei, um zu sehen, was Sixton so aus dem Konzept gebracht hatte. Ich musste nicht lange suchen. Prinz Lucius, Edwards Großvater, stand oben auf der Galerie, an der Seite seiner Frau, der Königin von England. Er trug seine rote Militäruniform, deren goldener Stehkragen ihn noch verkniffener aussehen ließ. Und er beobachtete uns.

Rasch wandte ich mich zu Edward und griff nach seiner Hand. »Sixton hat recht, lass uns tanzen.«

Edward runzelte die Stirn. »Ist es das, was du möchtest? Oder denkst du, dass es von uns erwartet wird?«

Ich seufzte. Natürlich durchschaute er mich sofort. Edward wusste schließlich, dass ich genauso wenig scharf darauf war wie er, mich vor all den Gästen über das Parkett zu bewegen. Ganz davon abgesehen, dass ich mich unter den vielen anmutigen Tänzern fühlte wie der Pelikan unter den Schwänen. Aber vielleicht würden wir Lucius so milde stimmen und dafür sorgen, dass er uns nicht permanent mit seinen Blicken verfolgte. Gerade war das alles, was ich wollte: den Abend ohne peinliche Zwischenfälle überstehen, kein Aufsehen erregen und Lucius nicht weiter gegen mich aufbringen.

»Ich … würde gerne tanzen«, sagte ich deshalb.

Edward sah mich an. Lange und forschend. Dann nickte er, doch seine Augen verrieten, dass er genau wusste, was in mir vor sich ging.

»Einverstanden. Wenn es das ist, was du willst, dann tanzen wir.«

Edward führte mich auf die Tanzfläche und ich stellte erleichtert fest, dass sich so viele Paare im Takt des langsamen Walzers bewegten, dass wir gar nicht auffielen. Zumindest hoffte ich das. Er griff nach meiner Hand und hob sie an. Die andere Hand legte er auf meinen Rücken. Dann begann er, sich mit mir im Arm zu drehen, und ich hielt mich an ihm fest und konzentrierte mich darauf, die Schritte richtig zu setzen. Eins, zwei, drei … eins, zwei, drei …

Edward grinste. »Nicht mitzählen. Fühlen.«

»Hab ich gar nicht«, entgegnete ich, sicher, dass ich nicht laut gezählt hatte.

»Also hast du einfach nur so die Lippen bewegt, ja?« Er schmunzelte und manövrierte uns geschickt in die Mitte der Fläche, wo wir kleinere Schritte machen konnten und weniger Aufmerksamkeit auf uns zogen. Ich atmete tief durch und nach zwei weiteren unbeholfenen Runden gelang es mir, mich etwas zu entspannen. Mit Edward zu tanzen, fühlte sich … anders an als mit James oder Nicholas. Vertraut, aber gleichzeitig auch aufregend. Seine Nähe, jede Berührung, jeder Blick. Bisher hatten wir nur in meinen Unterrichtsstunden miteinander getanzt und insgeheim hatte ich mir gewünscht, dass unser erster richtiger Tanz nicht vor so großem Publikum stattfinden würde, sondern auf Caverley Hall im Kreise unserer Freunde oder aber auch ganz alleine. Nur er und ich. Vielleicht hätte ich den Moment dann sogar genießen können. Neben Prinzessin Birga und ihrem frischgebackenen Ehemann und Millionär Jesper Svendson, dem König und der Königin von Spanien und zahlreichen Gästen, die unter Garantie alle entsetzlich wichtige Persönlichkeiten waren, kam ich mir allerdings vor, als hätte ich zwei linke Füße. Besonders nachdem ich Edwards Schuhspitzen zum wiederholten Mal unter meinen Zehen fühlte.

»Alles okay?« Er löste unsere Tanzhaltung und sah mich prüfend an.

»Halbwegs«, antwortete ich ehrlich. »Das alles ist … ziemlich überwältigend und ich möchte nichts falsch machen.«

»Ich weiß.« Edward lächelte gezwungen und suchte nach den richtigen Worten. »Glaub mir, du machst das großartig. Aber du musst weder tanzen noch irgendetwas anderes tun, wenn du es nicht möchtest.« Er drückte meine Hand. »Wir müssen das jetzt noch eine Weile aushalten. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns deswegen verbiegen lassen, okay? Wir machen das auf unsere Art.«

Auf unsere Art. Das klang gut. Ich schenkte Edward ein kleines Lächeln, und als ob er ahnte, wie sehr ich mir gerade wünschte, ihm trotz Hochzeitsfeier und Etikette nahe sein zu können, legte er die Arme um mich und zog mich enger zu sich heran. Zögerlich ließ ich meinen Kopf an seine Schulter sinken und Edward hauchte einen Kuss auf meinen Haaransatz.

»Ich glaube, Nicholas würde jetzt entsetzt nach Luft schnappen«, bemerkte ich halbherzig und schloss die Lider. Vor meinem inneren Auge erschien mein Prinzessinnen-Coach, wie ich ihn insgeheim nannte, wie üblich im makellosen Anzug und mit strenger Miene. »Keine Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit«, imitierte ich seine Stimme und Edwards Brust vibrierte leicht vom Lachen.

»Nur gegenüber Pferden und Hunden«, ergänzte er, ließ seine Lippen aber gleich darauf wieder über meine Stirn streicheln. »Weißt du, was? Interessiert mich nicht, was Nicholas, mein Grandpa oder irgendwer von dieser Party hier sagt. Die sind mir alle ziemlich egal. Aber du nicht.« Er fuhr mir zärtlich über die Haare und seine Worte brachten die letzten Zweifel in mir zum Schmelzen. Ich schlang die Arme um seinen Hals und lehnte mich an ihn. In diesem Moment gab es nur uns zwei. Keine Hochzeit, keine Royals und vor allem keinen Lucius. So tanzten wir weiter, eng umschlungen auf der Stelle, selbst dann noch, als die Musik wechselte und unsere langsamen Bewegungen rein gar nicht mehr zum Takt passten. Und obwohl wir, was unsere Schrittfolge betraf, vollkommen gegen den Strom schwammen, fühlte ich mich so leicht und gedankenlos wie noch nie an diesem Abend.

Nach einigen Minuten ließ Edward seine Finger an meinem Rücken nach oben wandern und umfasste mein Gesicht. Seine Augen verrieten mir, dass er mich küssen wollte. Doch gerade, als er sich vorbeugte, hatte ich das unangenehme Gefühl, wieder beobachtet zu werden. Ich suchte die Galerie nach Lucius ab, aber weder er noch die Königin standen länger an dem goldenen Geländer. Vielleicht hatte ich mich auch geirrt. Aber nein, da war er, neben der Treppe, zusammen mit Edwards Cousin Benedict, dem Thronfolger. Die Art, wie er uns mit zusammengekniffenen Augen fixierte, schickte eine Gänsehaut an meiner Wirbelsäule entlang. Schnell drehte ich den Kopf weg und Edwards Lippen streiften nur noch über meine Wange.

Überrascht hielt er inne. »Was hast du?« Ein Blick über die Schulter genügte, dann zeichnete sich die Erkenntnis auf seinem Gesicht ab. Zuerst glaubte ich, er wolle sich abwenden und mit mir in der Menge verschwinden. Aber dann drehte er sich wieder um, legte die Arme um mich und küsste mich so leidenschaftlich, wie er es sonst nur tat, wenn wir alleine waren. Einen Moment lang reagierte ich nicht, weil ich so überrumpelt war.

»Glaubst du, dass es eine gute Idee ist, deinen Grandpa zu provo…« Die letzten Silben schafften es nicht mehr aus meinem Mund. Wieder legten sich Edwards Lippen auf meine. Mein Herzschlag beschleunigte und ein plötzliches Gefühl von Wärme durchströmte mich. Ich konnte kaum sagen, wie häufig ich ihn schon geküsst hatte, seit ich vor wenigen Wochen im Palast eingezogen war. Bestimmt Hunderttausende Male. Und obwohl er mir so vertraut war, wurden meine Knie immer noch weich und ein aufgeregtes Flattern tanzte durch meinen Bauch. Selbst jetzt, da unzählige Menschen um uns herumstanden und ich Lucius’ Blick deutlich auf uns spürte.

Ganz sanft löste Edward sich wieder von mir, hob den Kopf und nickte seinem Großvater zu. Lucius’ Miene verdunkelte sich noch weiter und er fixierte uns, als wolle er damit die Eislöwen neben der Tanzfläche zum Zerspringen bringen.

Die Löwen. Oder aber mich. Das Mädchen, das ihm ein Dorn im Auge war und das er um jeden Preis von seinem Enkel hatte fernhalten wollen.

Wir sahen uns an, wenige Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Dann wandte Lucius sich wieder Benedict zu und Edward griff nach meiner Hand. Er zog mich behutsam hinter sich her, bis wir von dem bunten Meer aus tanzenden und feiernden Gästen verschluckt wurden.

Komm schon, du hast es versprochen.«

Edward stöhnte, vergrub sein Gesicht in einem Kissen und wollte mich wieder an sich ziehen. Doch ich war bereits hellwach, wand mich aus seinem Griff und sprang aus dem Bett.

Er murmelte irgendetwas Unverständliches und erst glaubte ich, er wolle wirklich weiterschlafen, aber dann setzte er sich doch auf und blinzelte. Auf nackten Füßen tapste ich zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Wie ich es erwartet hatte: Draußen war es noch dunkel, aber ich konnte vereinzelte Nebelschwaden auf dem Boden erkennen und hinter den weit entfernten Mauern von Grantham Hill schimmerte ein schmaler Lichtstreifen. Das würde einen fantastischen Sonnenaufgang geben, noch schöner, als er in Dänemark gewesen war.

Wir hatten noch einen weiteren Tag in Kopenhagen verbracht und waren erst gestern Abend zurückgekommen. Heute Morgen wollten alle, sogar die Königin höchstpersönlich, ausschlafen, und da es kein gemeinsames Frühstück geben würde, hatte ich Edward überredet, mit mir in den Stall zu gehen. Um das perfekte Licht einzufangen, mussten wir uns allerdings beeilen. Mit schnellen Schritten lief ich zum Schrank und tauschte mein Schlafshirt gegen Jeans und Pullover. Edward folgte mir etwas langsamer und schien immer noch nicht richtig wach zu sein. »Ich muss verrückt sein«, murmelte er und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

»Es wird sich lohnen, glaub mir.« Ich flitzte ins Bad, putzte meine Zähne in Rekordgeschwindigkeit und band meine Haare zu einem Knoten. Anschließend schlüpfte ich in den Designermantel, den Mum mir aus Deutschland geschickt hatte. Damit ja niemand aus Edwards Familie glaubte, dass sie sich das nicht leisten konnten oder – noch schlimmer – sie für schlechte Eltern hielt, die mich nicht genug liebten. Um Letzterem entgegenzuwirken, hatte sie mir noch einen extralangen Winterschal aus dunkelblauer Wolle gestrickt, und um ehrlich zu sein, mochte ich den viel lieber als das teure Stück von Vinolo-Irgendwas. In Windeseile wickelte ich ihn mir um den Hals und schnappte mir die Kamera, die Edward mir beim Einzug in den Palast geschenkt hatte.

»Dass du morgens schon derart aktiv sein kannst.« Er gähnte, schüttelte den Kopf und band die Schnürsenkel seiner Boots zu.

»Na, bei dem Licht gibt das einfach geniale Aufnahmen«, sagte ich und legte schon einmal meine Hand auf die Türklinke. »Ich meine, stell es dir vor: Es ist draußen noch leicht nebelig, die Sonnenstrahlen fallen durch die Bäume und davor dann die Pferde. Fliegende Mähnen, Sand wirbelt umher und …« Ich brach ab, weil mir auffiel, dass ich viel zu schnell geredet hatte.

Edward grinste bloß. Er stand auf, kam zu mir herüber und nahm meine Hand. »Ich liebe es, dich so zu sehen.«

»Mich wie zu sehen?«

Er öffnete mir die Tür und führte mich auf den Flur. Erst draußen drehte er sich um und sagte: »Dich so glücklich zu sehen. Ich liebe es, dich so glücklich zu sehen. Und selbst wenn ich dafür mitten in der Nacht aufstehen muss, würde ich das sogar jeden Tag machen.« Er lächelte und schloss seine Finger fester um meine. »Dafür würde ich nämlich alles tun.«

Die königlichen Stallungen waren deutlich kleiner als die Trainingsanlage auf Caverley Green. Es gab nur einen Boxentrakt, einen Reitplatz und eine kleine Halle, die sich allesamt innerhalb der Mauern im Park befanden und für Besucher unzugänglich waren. Doch obwohl insgesamt nur zehn Pferde untergebracht waren – neben Sparky, Tira und Mariscal noch fünf Warmblüter und die zwei Ponys der Königin –, mangelte es weder an Personal noch an royalem Flair. Überall gab es Stuck an den Decken, die Wände waren mit marmoriertem Stein bedeckt und die Reithalle verfügte sogar über eine eigene Loge, von der aus die königliche Familie bei der täglichen Arbeit zusehen konnte.

Als Edward und ich die Anlage erreichten, blitzte die Sonne bereits am Horizont hervor und Behati und Jenson, die Bereiter, führten zwei Schimmel nach draußen. Hufe klapperten über den Pflasterboden und Behati kicherte leise. Doch kaum, dass sie uns bemerkte, hielt sie inne und verbeugte sich. Jenson tat es ihr gleich. »Eure Hoheit.«

»Guten Morgen«, antwortete Edward und lächelte. »Lassen Sie sich durch uns nicht stören.«

Sie nickten, ein wenig zu eifrig, und ich bemerkte deutlich, wie sie sich noch gerader aufrichteten. Mit einem Schnalzen trieben sie ihre Pferde an, uns den Weg frei zu machen. Edward schüttelte leicht den Kopf und seufzte. »Mir fehlen Jeff und Leo«, sagte er, während wir nebeneinander an den Boxen entlangliefen. »Die zwei haben mich noch nie mit Eure Hoheit begrüßt und wahrscheinlich hätte Jeff eher noch einen Spruch gebracht, warum ich mich so fein herausgeputzt habe.«

Er zog eine Grimasse und ich räusperte mich und versuchte, wie der Stallbursche zu klingen: »Ist man nicht wenigstens ein bisschen dreckig, hat man im Stall nichts verloren.«

Edward legte den Arm um mich. »Nicht mehr lange, dann können wir wieder zurück. Versprochen.«

Ich lehnte mich an ihn und wiederholte seine Worte in meinem Inneren. Nicht mehr lange. Wie lange mochte das sein? Ein paar Wochen? Monate? Ein Jahr? Wie viel gute Presse brauchte man, um Gras über die Skandalmeldungen und die Gerüchte wachsen zu lassen, die Edward mit seiner wilden Verfolgungsjagd und seinem Motorradunfall hervorgebracht hatte? Und wie lange würde es dauern, bis die Presse gänzlich von uns abließ, wenn Edwards Eltern, Lianna und er den Schritt wagten und der Monarchie den Rücken kehrten? Bis wir ein annähernd normales Leben führen konnten? Fernab der Öffentlichkeit. Nur unsere Pferde, unsere Freunde und wir.

»Ja, nicht mehr lange«, sagte ich und schenkte ihm ein Lächeln. »Und in der Zwischenzeit genieße ich es einfach, dass jeden Tag für mich gekocht und geputzt wird. Wenn ich wieder zu Hause einziehe, bin ich bestimmt richtig verzogen.« Ich kicherte. »Jordans Blick will ich sehen, wenn ich zu ihm sage, dass meine Wäsche mal wieder gewaschen werden müsste oder dass ich gerne noch ein Törtchen zum Nachtisch hätte. Ich glaube, dann schmeißt er mich raus.«

Das entlockte sogar Edward ein Lachen. Wir erreichten den Stall und er öffnete das Tor. Hand in Hand liefen wir an den Boxen vorbei bis zu Sparky und Mariscal, die ganz am Ende des Ganges auf uns warteten. Mister Davis, der Stallchef, war gerade dabei, Mariscal ein Halfter überzuziehen. »Eure Hoheit«, sagte er knapp und Edward nickte ihm zu.

»Sparkling und Mariscal können Sie mir geben. Wir bringen sie nach draußen.«

Davis zögerte eine Sekunde. Doch dann sagte er: »Ganz wie Sie wünschen.« Er händigte Edward den Führstrick aus und halfterte auch Sparky auf, der sich vor lauter Vorfreude schon gegen die Boxenwand drückte, aufgeregt brummelte und seine Nüstern darüber reckte. Nur zu gerne wollte ich ihn kraulen und ihm um den Hals fallen. Aber solange Davis bei uns war, traute ich mich nicht. Der dürre Mann mit dem grauen Haar und dem durchdringenden Befehlston war mir von Anfang an unsympathisch gewesen. Wenn ich alleine im Stall war, gab er mir stets das Gefühl zu stören und jedes Mal, wenn ich etwas mit den Pferden machen wollte, erkundigte er sich, ob Seine Hoheit es auch erlaubt hatte. Lediglich von Edward ließ er sich etwas sagen, wenn auch nicht gerne, und wenn wir zusammen im Stall waren, redete er generell nur mit ihm und nie mit mir. Auch jetzt hielt er mir wortlos das dünne Lederband entgegen und wandte sich an Edward. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nein danke«, antwortete Edward höflich, aber ebenso kühl. Dann griff er wieder nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger. Ohne ein weiteres Wort liefen wir an ihm vorbei ins Freie.

Mariscal galoppierte über seinen Auslauf und im ersten Licht des Tages leuchtete sein silbergraues Fell in warmen Gelb- und Goldtönen. Edward machte auch Sparky los und ich drückte den Auslöser meiner Kamera und verfolgte über das Display, wie er Mariscal hinterherstürmte. Die Pferde prusteten, warfen spielerisch die Köpfe zu beiden Seiten und rundeten die Hälse, als wüssten sie genau, wie schön sie waren. Sand flog durch die Luft, wenn ihre Hufe über den Boden donnerten, und der aufwirbelnde Staub gab den Aufnahmen eine beinahe magische Stimmung. Mariscal blieb stehen, weitete die Nüstern und schnaubte laut. In der Kälte bildeten sich feine Wölkchen in der Luft. Der dunkle Schimmel scharrte mit dem Huf auf dem Boden und Sparky ließ sich in einiger Entfernung fallen und wälzte sich. Ich lief ein Stück am Zaun entlang, wechselte meine Position und stellte die Kamera so ein, dass ich eine Nahaufnahme von Mariscals Gesicht schießen konnte. Seine Augen, das Zucken seiner Ohren … ich wollte seine Mimik einfangen, die Art und Weise, wie er kommunizierte. Ohne darüber nachzudenken, legte ich mich flach auf den Boden, um den Winkel zu ändern. Das würde garantiert Flecken auf meiner Kleidung geben, aber gerade war es mir egal. Ich wollte diese eine Aufnahme unbedingt. Edward sah einen Moment lang verwundert zu mir herunter, doch dann grinste er nur und legte sich stumm neben mich. Obwohl ich ihn nicht ansah, spürte ich seinen Blick auf meinem Gesicht und ein warmes Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus.

»Lenk mich jetzt ja nicht ab.«

»Ich mache doch gar nichts«, verteidigte sich Edward und ich schwenkte die Kamera in seine Richtung. Er lachte leise und lächelte dann zufrieden, als wüsste er ganz genau, wie schnell er mein Herz zum Schlagen brachte. In Zeitlupe streckte er seine Hand aus, nahm mir die Kamera ab und legte sie zur Seite. Seine Finger streichelten über mein Gesicht und im nächsten Moment war er ganz nah bei mir und drückte seine Lippen auf meine. Schlagartig wurde mir warm und ich legte die Arme um seinen Hals und zog ihn enger an mich.

»Wenn Nicholas uns jetzt sehen könnte, würde er garantiert wieder schimpfen. Unschickliches Verhalten in der Öffentlichkeit. Skandalös!« Ich kicherte und ließ meine Lippen über seine streichen. »Und dein Grandpa würde einen Herzinfarkt bekommen.«

»Sollen sie doch. Interessiert mich nicht.« Edward schloss mich noch fester in die Arme und ich verlor jedes Zeitgefühl. Erst als die Sonne längst über die Baumkronen gestiegen war, fischte er sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display.

»Ich muss los. Sonst komme ich zu spät zu meinem Termin. Heute muss ich mit Piper die Eröffnungsrede für die Sonderausstellung im Museum durchgehen. Immerhin ist das schon nächstes Wochenende.« Er verdrehte die Augen. »Manchmal bin ich mir wirklich nicht mehr sicher, warum ich mich dafür freiwillig gemeldet habe.«

»Weil es ein echt cooles Projekt ist«, erinnerte ich ihn. Helden des Alltags – Besondere Menschen aus London war eine Ausstellung, die bis Weihnachten gehen würde und mit der Menschen geehrt werden sollten, die sich ehrenamtlich engagierten und jeden Tag einen Beitrag dazu leisteten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ganz London fieberte der Ausstellungseröffnung entgegen und sogar internationale Presse würde vor Ort sein, weil einige Länder im Laufe des Jahres ähnliche Ausstellungen durchführen wollten. Als Edward mir zum ersten Mal davon berichtet hatte, war er Feuer und Flamme gewesen. Doch je näher der Termin rückte, an dem er auf einer großen Bühne vor Hunderten von Menschen sprechen sollte, desto mehr zweifelte er daran, dass es eine gute Idee gewesen war, die Aufgabe zu übernehmen.

»Du wirst großartig sein«, sagte ich deshalb noch einmal und Edward zuckte mit den Schultern.

»Im Prinzip muss ich auch nur ein paar Worte sagen, mich mit den Leuten unterhalten und die Preise verteilen. Das wird schon gut gehen.«

»Na klar wird es das«, versicherte ich ihm. »Und ich bin bei dir und feuere dich von der Seitenlinie an. Zumindest innerlich.«

Edward lächelte. Dann beugte er sich zu mir, hauchte einen Kuss auf meine Wange und rappelte sich auf.

»Ist es okay, wenn ich noch etwas hierbleibe?«, fragte ich und er antwortete: »Klar, aber vergiss nicht, dass du nachher noch ein Date mit Nicholas hast. Interviewtraining.« Er schnitt eine Grimasse und ich grinste.

»Ich stelle mir einen Wecker.« Um meine Worte zu bekräftigen, zauberte ich mein Handy hervor, tippte die Uhrzeit ein und hielt es hoch. »Wenn ich nicht pünktlich bin, schickt Nicholas sonst garantiert die Security, um mich zu suchen.«

»Das oder gleich die königliche Garde.«

Die Vorstellung brachte mich zum Lachen. Ich stand ebenfalls auf und setzte ich mich auf den Zaun. Von dort aus beobachtete ich, wie Edward quer durch den riesigen Park zurück zum Palast lief. Erst als er nur noch als kleiner dunkler Punkt zu erkennen war, knipste ich ein paar weitere Aufnahmen von den Pferden, klickte sie durch und packte die Kamera zufrieden zurück in ihre Tasche. Ich legte sie neben einen der Pfosten und ging zu Sparky, der freudig die Ohren spitzte und ein leises Brummeln ausstieß. Es tat gut, beide Hände in seiner dicken Mähne vergraben zu können. Meine Finger waren schon ganz steif, weil ich beim Filmen keine Handschuhe getragen hatte und der Wind heute besonders kalt war. Aber die Aufnahmen waren so gut geworden, dass es sich gelohnt hatte. Ich konnte es kaum erwarten, sie später an dem ultraschnellen Computer zu bearbeiten, den der Palast mir bei meiner Ankunft zur Verfügung gestellt hatte. Der Laptop wog fast gar nichts und konnte selbst lange Videos innerhalb von wenigen Sekunden verarbeiten. Ich liebte ihn und wollte mir gar nicht vorstellen, wie es sein würde, mich später wieder auf Jordans alten Laptop umstellen zu müssen.

Jordan! Mir fiel auf, dass ich mich schon seit der Abreise nach Dänemark nicht mehr bei meinem Bruder gemeldet hatte. Gestern Abend hatte ich ihm lediglich ein knappes Sind zurück geschickt, aber das zählte nicht. Kurz entschlossen zog ich mein Handy aus der Tasche, wählte die Kamera aus und stellte sie so ein, dass ich mich selbst mit Sparky fotografieren konnte. Zuerst lehnte ich mich an ihn, doch das kam mir bereits nach wenigen Aufnahmen zu langweilig vor. Wenn ich Jordan schon ein Bild schickte, dann ein lustiges. Er sollte wissen, dass es im Palast nicht halb so schlimm war, wie ich erwartet hatte, und dass ich mich wohlfühlte. Zumindest, solange Lucius nicht in der Nähe war.

Ich überlegte, dann fiel mir etwas ein, was Edward mir vor Kurzem gezeigt hatte, und ich tippte Sparky ans Kinn. Das schwarze Pony schmatzte und streckte die Zunge heraus. Perfekt! Ich wiederholte es noch einmal, lachte in die Kamera und betrachtete das Bild zufrieden. Zugegeben, ich war nur zur Hälfte drauf, dafür aber Sparkys Zunge in all ihrer Pracht. Zufrieden öffnete ich die Nachrichten-App und lud das Foto in Jordans und meinen Chat-Verlauf.

Sparky zeigt mir, wie man sich als echter Royal verhält. Werde es jetzt genauso machen wie er.

Danach schickte ich die Aufnahme noch an meine Eltern und an Livy. Meine beste Freundin war online. Kaum dass ich das Bild hochgeladen hatte, erschienen zwei Haken daneben und sie antwortete mit einem Bild, auf dem sie ebenfalls die Zunge herausstreckte. Perfekt gestylt und geschminkt natürlich, nicht wie ich.

So? Werde das heute gleich mal in der Schule ausprobieren. :-D Frag Sparky mal bitte, ob man als Royal auch jemandem den Mittelfinger zeigen darf, wenn er einem blöd kommt.

Ich grinste. Einer Idee folgend, schickte ich ihr ein Video von Sparky, der den Kopf hoch und runter bewegte, als würde er Ja sagen. Dabei brummelte er aufgeregt.

Livys Antwort kam prompt.

Sehr gut! Danke für die Expertentipps!!! :-*

Du fehlst mir!

Wir texteten noch ein bisschen hin und her und ich versicherte ihr, dass es mir genauso ging. Dann musste Livy los und ich steckte das Handy wieder in meine Jackentasche. Sparky stupste mich an und seine Augen funkelten. Er wollte noch mehr Tricks vorführen.

»Na schön, kleiner Frechdachs.« Bis ich zum Unterricht musste, blieb mir noch etwas Zeit und warum sollte ich die nicht damit verbringen, mit ihm zu spielen? Also lief ich los, ließ ihn in Kreisen um mich herumtraben und wechselte dann blitzschnell die Richtung. Jedes Mal, wenn ich das tat, stieg Sparky auf die Hinterbeine und sprang herum. Sein Eifer und der freudige Ausdruck in seinem Gesicht ließen den Palast und alles um mich herum verblassen. Wir liefen Achten und Schlangenlinien, gingen ein paar Schritte rückwärts und rannten zusammen los. Die Sonne stieg immer höher und irgendwann hielt ich außer Atem, aber glücklich, an und vergrub meine Nase in seiner Mähne. Er roch nach zu Hause, nach Caverley Green, und ich stellte mir vor, dass wir uns nicht inmitten der Palastmauern, sondern auf einer der scheinbar endlosen Wiesen des Trainingszentrums befanden. Vor meinem inneren Auge erschienen Yorick und Quinn, die sich vor dem Stall unterhielten, und aus der Ferne hörte ich Jeffs Lachen. Die Blätter an den Bäumen raschelten leise, die Sonnenstrahlen tanzten über mein Gesicht und ein seichter Wind trug den Geruch von Heu und taufrischem Gras zu mir herüber.

Mit einem Seufzen öffnete ich die Augen, brachte mich unsanft zurück in die Wirklichkeit und kraulte Sparky unter dem Schopf. Ob er sein Zuhause ebenso so vermisste wie ich? Es war nicht übel im Palast, keine Frage. Ab und an ertappte ich mich sogar dabei, dass ich mein Leben als angehende Prinzessin richtig genoss. Dann zum Beispiel, wenn ich in der riesigen Badewanne in einem Berg aus Schaum versank oder wenn einer der Angestellten mir meine Wünsche regelrecht von den Augen ablas. Trotzdem. Müsste ich mich entscheiden, wäre meine Wahl sofort auf Caverley Green gefallen. Ich schmiegte mein Gesicht an Sparkys, streichelte ihm über das dichte Fell und schloss die Augen.

Nicht mehr lange, sagte ich mir.

Wieder und wieder hämmerte ich mit dem Daumen auf den Button, aber das Display meines Handys blieb schwarz. Unnützes Teil! Es hatte wohl wegen der Kälte einfach den Geist aufgegeben. Dabei hatte ich mich noch gefreut, dass der Wecker nicht klingelte und die Zeit so langsam verstrich. Mist!

Ich konnte nur hoffen, dass mein Unterricht noch nicht angefangen hatte. Oder noch schlimmer, dass Nicholas aus einer der Türen im Korridor spaziert kam und mich in meinem Aufzug sah: dunkle Ränder unter den Fingernägeln, zerzauste Haare. Wahrscheinlich hatte ich sogar noch Pferdesabber auf der Wange, nachdem Sparky mir seine Nüstern ins Gesicht gedrückt hatte. Außerdem war die Vorderseite meines Mantels voller Erdflecken. Nein, so konnte ich Nicholas unmöglich unter die Augen treten, wenn ich mir nicht einen Vortrag darüber einfangen wollte, dass eine Dame sich niemals auf den Boden legte, schon gar nicht die Freundin von Prinz Tristan. Ich sah schon bildlich vor mir, wie er den Kopf in den Nacken legte, sich die Haare raufte und irgendeinen Gott fragte, womit er mich verdient hatte. Wir hatten schon so einige durch: Zeus, Gaia, Ganesha und noch ein paar andere, von denen ich zuvor nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten.

Ich lief schneller. Noch drei Türen bis zu Edwards Zimmer – das nun auch mein Zimmer war. Geschafft! Erleichtert drückte ich die Klinke herunter und schlüpfte hindurch. Jetzt nichts wie duschen und das Handyladekabel suchen. Aber zuerst tippte ich mit dem Finger auf den Spiegel neben der Tür. Sofort verdunkelte er sich und es erschien ein Menü, über das ich so ziemlich alle Angestellten des Palasts herbeizitieren oder etwas zu essen bestellen konnte.

Ganz oben leuchtete mir die Uhrzeit entgegen. Shit!

Mir blieben noch nicht einmal fünfzehn Minuten, ehe ich im Grünen Salon erscheinen musste. Und zwar mit ordentlich gekämmten Haaren und sauberer Kleidung. Noch im Laufen pellte ich mich aus meinen Klamotten. Ich warf sie von mir und zog eine Spur durch den Wohnbereich und einmal quer durch das Schlafzimmer bis ins Bad. Rasch fischte ich das Haargummi aus meinen Haaren, band mir einen ordentlichen Zopf und trug einen Spritzer Parfüm auf. Anschließend rannte ich zu Edwards begehbarem Kleiderschrank, wobei eigentlich war es eher ein Kleidersaal. Jedenfalls war er deutlich größer als mein eigenes Zimmer in Clapham, und wenn man wollte, konnte man bestimmt eine Party mit mehr als zehn Leuten darin feiern. Ich steuerte auf die Kleiderstangen zu, an denen die Sachen hingen, die Francis, mein Stylist, für mich ausgesucht hatte, und wählte ein schlichtes petrolfarbenes Kleid mit rundem Ausschnitt und langen Ärmeln. Es reichte mir bis zu den Knien und würde Nicholas hoffentlich besänftigen, falls ich doch ein, zwei Minuten zu spät kam. Immerhin wusste ich, wie sehr er Jeans verabscheute. Er nannte sie die Mode der Unkultivierten, und das, obwohl selbst Edward und Lianna regelmäßig Jeanshosen trugen.

Im Schnelldurchlauf scannte ich alle Schuhe, die mir zur Auswahl standen – es waren bestimmt über zwanzig Paar –, und entschied mich für blaue Pumps mit niedrigem Absatz. Ja, so konnte ich gehen. Und jetzt nichts wie los! Ich stürmte aus dem Ankleidezimmer und eilte zum Schreibtisch, auf dem meine Unterlagen zusammen mit meinen Schulsachen verteilt lagen. Wo waren bloß die verdammten Unterrichtsnotizen? Ach da, vergraben unter einem Stapel mit Matheaufgaben und einer Tüte Weingummi. Ich klemmte sie mir unter den Arm, lief zurück in den Wohnbereich und auf direktem Weg weiter auf den Flur. Eine Sekunde hielt ich inne und lauschte. Nichts. Ein Blick nach links und rechts. Ebenfalls nichts. Das genügte mir. Der Gang war leer und ich begann zu rennen.

Eine Dame rennt niemals, hörte ich Nicholas’ Stimme in meinem Kopf. Sie schreitet in gehobenem Tempo. Allerdings würde er noch ganz andere Sachen sagen, wenn ich zu spät kam, und ganz davon abgesehen, galt diese Regel bestimmt nur für normale Situationen und das hier war eindeutig ein Notfall! Schnell rauschte ich weiter und erreichte den Grünen Salon mit klopfendem Herzen. Vor der Tür blieb ich stehen, straffte die Schultern und wartete darauf, dass meine Atmung sich beruhigte. Von drinnen hörte ich bereits Stimmen. Komisch. Ob James zu meinem Unterricht gekommen war? Aber für gewöhnlich tat er das nur zu den Tanzstunden. Um Edward ein wenig eifersüchtig zu machen, hatte er mit einem Augenzwinkern verkündet. Und weil es ihm Spaß machte.

Noch einmal lauschte ich, aber jetzt war da nichts als Stille. Also schön! Ich strich mir über den Rock und stellte mich noch gerader hin. Erst letzte Woche hatte Nicholas zu mir gesagt, alle Hunde der Königin hätten eine bessere Haltung als ich. Selbst der kleine pummlige mit den Stummelbeinen, der immer nur schwerfällig hinter den anderen herdackelte. Diese Aussage nahm ich immer noch persönlich und ich wollte ihm keine Gelegenheit für einen weiteren Spruch bieten.

Entschlossen reckte ich das Kinn, streckte meine Hand nach der Türklinke aus und … sprang zurück, als die Tür plötzlich von innen geöffnet wurde.

Keine Sekunde später erschien Lucius auf dem Flur, die Lippen zu einer blutleeren Linie gepresst und das Gesicht so blass, dass seine Haut fast nahtlos in seinen weißen Anzug überging. Er sah aus wie ein Geist. Ein Geist, der entweder außer Atem oder aber ziemlich wütend war. Unsere Blicke trafen sich und ich wappnete mich innerlich gegen eine Schimpftirade, weil ich zu spät zum Unterricht kam. Ich setzte zu einem Knicks an, aber Lucius blickte nur auf seine Uhr, warf mir ein kühles »Guten Tag, Miss Hayes« zu und eilte den Korridor entlang. Für einen Moment stand ich wie angewurzelt da. Erst als er um die Ecke verschwunden war, wagte ich es, mich zu bewegen. Ich trat durch die Tür zum Salon und schloss sie leise hinter mir.

Nicholas saß, die Beine übergeschlagen, auf einem der grünen Sofas und tat, als wäre er in einen Hefter mit Unterlagen vertieft. Mit seinem beigefarbenen Anzug und den hochglänzenden Lederschuhen gab er wie immer das perfekte Bild eines Upper-Class-Gentlemans ab. Heute jedoch das Bild eines ziemlich angepissten Gentlemans. Er rührte sich nicht einmal, als ich auf ihn zutrat und unsicher vor der Sitzgruppe stehen blieb. Ein Blick auf die hölzerne Standuhr hinter ihm verriet mir, dass ich zu spät war. Ich räusperte mich leise, doch Nicholas blätterte nur seelenruhig die nächste Seite um und las weiter.

»Komm schon, es sind doch nur ein paar Minuten«, versuchte ich, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. »Und außerdem wäre ich pünktlich gewesen, wenn mein Handy nicht …« Ich brach ab, weil er seinen Hefter zur Seite legte. Zuerst dachte ich, er wolle etwas sagen, doch er griff nur nach dem Glas, das auf dem Tisch stand, trank einen Schluck und widmete sich dann wieder seiner Lektüre, als wäre ich gar nicht im Raum. Okay, jetzt kam ich mir endgültig vor wie die letzte Idiotin.

»Es tut mir leid«, startete ich einen neuen Anlauf. »Ich bin schon seit Stunden wach, ehrlich. Aber bei der Kälte ist mein Handy ausgegangen und …«

»Bitte erspar mir diese Ausreden.« Nicholas sah auf und in seinem Blick spiegelten sich gleichermaßen Enttäuschung und Verärgerung. »Wir beide wissen, wie sehr ich Unpünktlichkeit hasse, und dafür gibt es keine Entschuldigung, außer du musstest auf dem Weg von deinem Zimmer hierher noch irgendjemandes Leben retten. Musstest du das?«

»Ähm … nein.«

»Eben. Und alles andere interessiert mich nicht.«

Ich schluckte. Was sollte ich jetzt tun? Mich einfach hinsetzen und abwarten? Oder besser stehen bleiben und hoffen, dass ich durch irgendeinen Zufall gerettet wurde? Vielleicht ging ja der Feueralarm los oder Loki, Liannas Frettchen, kam hereingeschossen und zerfetzte die Sofakissen. Aber wie wahrscheinlich war das? Mit einem tiefen Atemzug wagte ich einen letzten Versuch. »Nicholas, bitte … ich …«

Wieder brach ich ab, weil er mich ansah wie einen Welpen, der es nicht rechtzeitig in den Garten geschafft hatte.

Er legte seine Unterlagen auf den Tisch und stand auf. »Athene, warum bestrafst du mich mit so einer Schülerin?«, murmelte er, lief einige Schritte auf und ab und drehte sich schließlich zu mir um. »Alleine dass du auch noch versuchst, dich rauszureden, zeigt mir nur, dass du das alles hier überhaupt nichts ernst nimmst. Ich hoffe wirklich inständig, dass dies mein erstes und letztes Quereinsteigerseminar für Prinzessinnen ist.«

Ich schluckte und überlegte, was ich sagen konnte. Tut mir leid? Nein, eigentlich wollte ich mich nicht entschuldigen, nur weil er gerade aus einer Mücke einen Elefanten machte. Es waren immerhin nur ein paar Minuten gewesen. Nicholas tat aber gerade so, als hätte ich die komplette erste Stunde verschlafen. Und was sollte das Gerede davon, dass ich unseren Unterricht nicht ernst nahm? Er wusste, dass dies nicht stimmte.

Warum sonst sollte ich so verrückt sein, mir neben meinem normalen Schulunterricht, den ich täglich online absolvierte, auch noch Zusatzstunden in Tanz, Kunst, Geschichte, und Höflichkeitsformen der verschiedensten Länder aufzuladen? Bei all den Royals, die ich auswendig lernen musste, rauchte mir bereits der Kopf, und wenn ich abends ins Bett ging, zählte ich längst keine Schafe mehr, sondern Thronfolger. Prinz Benedict – England, Prinzessin Birga – Dänemark, Prinz Hildor – Schweden … Ich ließ mich in Kleider stecken, in denen ich kaum Luft bekam, und vom vielen Laufen in hochhackigen Schuhen taten mir andauernd die Füße weh.

»Ich nehme das alles sogar sehr ernst«, antwortete ich, wenn auch etwas leiser als gewollt.

»Ach ja?« Nicholas zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann solltest du vielleicht anfangen, das auch zu zeigen. Am besten damit, dass du ab heute mindestens zehn Minuten vor der Zeit zum Unterricht erscheinst, damit ich seiner Hoheit nicht noch einmal erklären muss, warum meine Schülerin noch nicht da ist. Ich habe nämlich keine Lust, ihn wieder zu belügen.«

Ihn zu belügen?

Nicholas schnaubte. »Ich habe ihm gesagt, du wärst längst da gewesen, aber ich hätte dich in die Bibliothek geschickt, um Unterlagen zu holen, die ich dort vergessen habe.«

Sein Ausdruck wurde eine Spur weicher und ich sah ihn noch eine Sekunde lang verwirrt an, ehe ich begriff, was er gesagt hatte.

»O … danke.« Ich senkte den Kopf und jetzt tat es mir plötzlich doch leid, weil er für mich den Kopf hingehalten hatte. »Morgen bin ich eher da. Versprochen. Und übermorgen und am Wochenende. Jeden Tag.«

»Das hoffe ich.« Nicholas nickte mir zu und ich spürte, wie die Anspannung zwischen uns abflachte. Er seufzte und fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das silbergrau melierte Haar.

Dann setzte er sich wieder, deutete mir an, auf dem Sofa gegenüber Platz zu nehmen, und tippte auf den Hefter, den er auf den Tisch gelegt hatte.

»Seine Hoheit hat einige Änderungen in unserem Stundenplan und auch hinsichtlich deiner Sicherheit vorgenommen. Deswegen war er eben hier und wollte uns sprechen.«

Ich tat, als hätte ich den immer noch leicht angefressenen Tonfall nicht gehört. »Hinsichtlich meiner Sicherheit?«

Nicholas nickte, jedoch nicht zu mir, sondern seitlich an mir vorbei.

»Miss Cole, setzen Sie sich doch bitte zu uns.«

Miss was? Sofort fuhr ich herum und tatsächlich: Eine Frau war gerade zur Tür hereingekommen. Absolut lautlos. Sie mochte so alt sein wie mein Bruder, Mitte zwanzig, und war komplett in Schwarz gekleidet. Stiefel, Hose, Rollkragenpullover. Alles schwarz. Die blonden Haare hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Sie sah tough aus, aber auch auffallend hübsch. James würde es bestimmt bereuen, dass er meiner heutigen Unterrichtsstunde keinen Besuch abgestattet hatte.

Ich sah zurück zu Nicholas und hoffte, dass er meine stille Frage verstand. Was um alles in der Welt hatte dieses Supermodel in meinem Unterricht zu suchen? War sie jetzt so etwas wie meine neue Catwalktrainerin? So wie bei dieser Modelsendung, die Livy so liebte?

»Greta, das ist Octavia Cole«, sagte Nicholas und Missletzte-Woche-war-ich-noch-auf-dem-Cover-der-Vogue ließ sich mit der Geschmeidigkeit eines Panthers neben mir auf das Sofa sinken. Sie überschlug die Beine und drapierte einen Arm auf der Lehne, als wäre sie jetzt gerade ebenfalls bei einem Fotoshooting. Alles, ohne auch nur ein einziges Mal zu lächeln. O Gott, eine wie die hatte mir gerade noch gefehlt. So wie die sich gab, war sie mindestens so übellaunig und divenhaft wie Cy, die durchgeknallte Katze meines Bruders. Und mit der konnte ich es keine Stunde alleine im selben Raum aushalten, ohne dass Kissen flogen.

Nicholas räusperte sich. »Seine Hoheit wünscht, dass du ab sofort deinen eigenen Personenschutz bekommst, der dich überallhin begleitet und dafür sorgt, dass die Sicherheitsregeln eingehalten werden.«

Beinahe hätte ich gelacht. Lucius wollte, dass jemand für meine Sicherheit garantierte? Wohl kaum! Wie ich ihn einschätzte, konnte ich von dem nächstbesten Bus überfahren werden und er würde keine Träne vergießen. Er wollte mich immer noch loswerden, je eher desto besser. Das spürte ich, auch wenn er so gut wie nie mit mir redete. Seine Blicke genügten, um mich wissen zu lassen, dass er nur auf den richtigen Moment wartete, um mich aus dem Palast zu verbannen. So wie vor ein paar Wochen, als er mir doch tatsächlich eine riesige Summe Bestechungsgeld angeboten hatte, damit ich Edward verließ. Eine Entschädigung für meine Unannehmlichkeiten hatte er es genannt. Bei der Erinnerung daran spürte ich sofort, wie ich innerlich hochfuhr. Ich musterte Kitty-Cole mit zusammengekniffenen Augen. Wie eine Personenschützerin sah sie nun wirklich nicht aus.

»Ich brauche keinen eigenen Personenschutz«, sagte ich und wechselte einen schnellen Blick zwischen Octavia und Nicholas. »Wenn ich mit Edward unterwegs bin, ist Sixton ja eh immer bei uns.« Zumindest meistens.

Nicholas gab ein zischendes Geräusch von sich. »Und was war letzte Woche, als du dich heimlich mit deiner Freundin Olivia Campbell getroffen hast?«

Woher wusste er das? Ich biss mir auf die Lippe. Blöde Frage. In diesem Palast gab es überall Kameras und irgendein Superstreber aus dem Sicherheitsteam, der mich beim Rausschleichen auf seinen Monitoren entdeckt hatte, war bestimmt sofort zu Lucius gewatschelt und hatte mich verpetzt. Großartig!

»Ja, ich bin zu Livy gefahren. Na und?« Meine Stimme klang trotziger als beabsichtigt, aber die Vorstellung, dass Lucius mich überwachen ließ, gefiel mir ganz und gar nicht. »Ich bin freiwillig im Palast und ich kann jederzeit gehen. Seine Hoheit kann mich hier nicht einsperren, auch wenn es für ihn wahrscheinlich komplett unverständlich ist, dass ich noch ein Leben außerhalb dieser Mauern habe.«

Nicholas schnalzte mit der Zunge. Falscher Ton, schon klar.

»Darum geht es nicht«, sagte er. »Du bist jetzt eine Person des öffentlichen Lebens. Nein, noch viel mehr als das. Du bist die Freundin eines Prinzen. Die ganze Welt interessiert sich für dich und alles, was du sagst und tust, kann im Bruchteil von Sekunden gegen dich oder die Krone ausgelegt werden. Jegliche Alleingänge stellen in diesen Kreisen ein unkalkulierbares Risiko dar.«

Risiko? Jetzt übertrieb er wirklich. Ja, ich war mit dem Bus nach Belgravia gefahren, um Livy zu besuchen. Aber es war nichts passiert und ich hatte mich sicherheitshalber sogar total promimäßig getarnt: mit großer Nerdbrille und Pudelmütze, unter der ich meine auffälligen roten Haare versteckt hatte. Niemand auf dem Weg hatte mich auch nur schief angesehen oder mir einen zweiten Blick gewidmet. Ich wollte einatmen und ihm genau das sagen, doch Nicholas hob den Finger.

»Greta, ich habe keine Lust, mit dir weiter darüber zu diskutieren. Miss Cole ist ab heute deine Personenschützerin. Das ist beschlossene Sache. Also gehen wir besser direkt zum nächsten Punkt über. Das hier …« Er beugte sich vor und schob den Hefter auf dem Tisch weiter zu mir herüber. »… sind unsere Stundenpläne für die kommenden Wochen. Seine Hoheit hat zusätzliche Einheiten für Tanz-, und Haltungs- und Pressetraining hinzugefügt. Er glaubt, dass wir diese brauchen, damit du Anfang des neuen Jahres am Winterball teilnehmen kannst. Wie du weißt, ist das eine der bedeutsamsten Veranstaltungen, die der Palast ausrichtet, und es werden die einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes anwesend sein, ebenso wie die Presse. Es ist ausgesprochen wichtig, dass du an diesem Tag …«

Ja, schon klar. Nicholas redete weiter, aber ich hörte ihm nicht mehr richtig zu, weil ich schon wusste, was noch kam. Er sprach fast täglich vom Winterball, der hier, im Grantham Hill Palace, stattfinden würde. Zwar erst im Januar, aber es waren schon jetzt alle ganz aufgeregt. Zunächst hatte ich gedacht, dass es sich lediglich um eine Tanzveranstaltung handelte, bei der alles, was Rang und Namen hatte, aufmarschierte, seine besten Kleider trug und das präsentierte, was es zu bieten hatte: die zauberhaften Sprösslinge, Samt und Seide, die brandheiße Diamantenkollektion … oder in Lucius’ Fall auch die verhasste neue Freundin des Enkelsohnes. Tatsächlich war es aber eher eine Art riesige Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der Reden gehalten wurden und die königliche Familie ihre neuen Projekte vorstellte. Im Gegensatz zu der dänischen Hochzeit, zu der ich ohne Weiteres hatte mitkommen können, wurde der Winterball sogar live im Fernsehen übertragen. Und offenbar traute mir niemand zu, diesen Abend zu überstehen, ohne mich und die britische Monarchie vor den Augen der gesamten Welt zu blamieren.

Da ich keine Lust hatte, mir das erneut von Nicholas unter die Nase reiben zu lassen, griff ich nach den Stundenplänen und überflog die einzelnen Spalten.

»Ähm, das kann nicht stimmen«, sagte ich dann. »Hier sind noch Einheiten nach 17 Uhr eingetragen. Aber da habe ich doch Reitunterricht. Und hier …« Ich drehte den Zettel so, dass Nicholas ihn sehen konnte, und deutete auf ein Zeitfenster am frühen Nachmittag. »… erledige ich die Hausaufgaben, die Mister Romero mir über den Schulserver schickt. Wenn ich das nicht mache und meine Prüfungen vergeige, muss ich das Schuljahr wiederholen.«

Was das betraf, war der Direktor meiner Schule ausgesprochen deutlich gewesen. Seit Robert, Edwards Vater, persönlich bei ihm angerufen und ihn um diesen Gefallen gebeten hatte, erlaubte er mir zwar, dass ich den Schulstoff online abarbeitete und mich zu bestimmten Stunden per Livecam dazuschaltete, aber wenn ich die Klausuren in den Sand setzte, würde es keine Sonderbehandlung geben.

»Mit dem Schulstoff kann ich dir bestimmt helfen. Das kriegen wir danach noch unter.« Nicholas klang zuversichtlich, aber ich schüttelte den Kopf. Er konnte mir sicherlich bei vielem helfen – Laufen auf gruselig hohen Absätzen, Sprachen, Etikette –, aber garantiert nicht bei der Berechnung von Nullstellen einer Sinusfunktion oder der Frage, was Elastomere von Thermoplasten unterscheidet.

»Und was ist mit meinen Reitstunden?«, hakte ich weiter nach. Nicholas seufzte und das war mir Antwort genug.

»Verstehe. Ist wohl gerade nicht so wichtig für Seine Hoheit.«

Nicholas lehnte sich zurück und bedachte mich mit einem tadelnden Blick. »Hör zu, Greta. Niemand kann dich zu etwas zwingen. Und ich werde das ganz gewiss nicht tun. Wenn du also gehen willst, bitte.« Er deutete auf die Tür und mir entwich ein Schnauben.

»Ich will doch einfach nur, dass ihr akzeptiert, dass ich noch ein eigenes, komplett normales Leben habe. Und in diesem würde ich mich eben gerne frei bewegen, ohne das royale Klimbim, die übertriebenen Regeln und die ganze Aufmerksamkeit.«

Nicholas seufzte tief. »Nun, das mit der Aufmerksamkeit hättest du dir vielleicht überlegen sollen, bevor du den Prinzen in oscarverdächtiger Manier mitten auf den Straßen Londons geküsst hast. Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Und solange du mit ihm zusammenbleibst, wird sich daran auch nichts mehr ändern.«

Es sei denn, wir steigen aus der Monarchie aus, flüsterte mir meine innere Stimme zu und ich presste die Lippen fest aufeinander, damit es mir ja nicht rausrutschte. Nicholas wusste nichts davon. Das war ein Geheimnis, das ich ausschließlich mit Yorick und Edwards Familie teilte. Mein kleiner Lichtblick und der einzige Grund, warum ich mich auf all das hier eingelassen hatte. Nicht mehr lange und sie alle würden ihre royalen Titel ablegen und ein normales Leben führen. Robert würde sich seinen Forschungen widmen, Yorick und Isabelle würden sich nicht länger verstecken müssen und nach ihrer jahrelangen heimlichen Beziehung endlich offiziell zusammen sein können. Was Lianna genau vorhatte, wusste ich noch nicht. Aber Edward und ich würden zurück nach Caverley Green gehen. Keine Auftritte mehr, keine Interviews, keine Schlagzeilen in den Boulevardblättern.

Nicholas’ Gesicht wurde weicher. »Vergiss nicht, dass ich nicht dein Feind bin, ja? Ich habe mich für diese utopische Aufgabe, aus dir eine Dame zu machen, nämlich weiß Gott nicht freiwillig gemeldet. Und umso schneller wir in unserem Plan vorankommen, desto eher lässt Justitia vielleicht Gnade walten. Was auch immer ich ihr getan habe.« Er breitete die Arme aus und sah zu dem Deckengemälde herauf, als könne die Göttin der Gerechtigkeit persönlich herabschweben und ihn von mir befreien.

Normalerweise hätte mich der Anblick wohl zum Lachen gebracht, doch mit der neuen Babysitterin an meiner Seite und den Stundenplänen vor meiner Nase fühlte es sich an, als würde der Raum mit jeder Minute enger werden. Ich fixierte den Hefter mit den Stundenplänen so hypnotisch, als könne ich ihn mit meinem Blick in Flammen aufgehen lassen. Allmählich wurde mir klar, dass ich gar keine Wahl hatte. Wenn es für Lucius auch nur das kleinste Anzeichen dafür gab, dass mir die Situation zu viel wurde, würde er wissen, dass er auf dem richtigen Weg war. Er würde immer weitermachen, in der Hoffnung, dass ich irgendwann einknickte. Aber diese Genugtuung würde ich ihm nicht bieten. Er mochte vielleicht der Prinzgemahl sein, aber Edward und mich konnte er nicht auseinanderbringen, egal, was er auch versuchte.

Ich erhob mich. Mit zusammengepressten Zähnen sagte ich: »Also schön, fangen wir an.«

Octavia folgte mir, egal, wohin ich ging. Dabei schien sie sich möglichst unauffällig verhalten zu wollen und sagte kein Wort. Erst als ich nach einer weiteren Unterrichtseinheit auf das Foyer und die Tür zum Innenhof zusteuerte, meldete sie sich so plötzlich, dass ich vor Schreck zusammenzuckte.

»Nehmen Sie einen anderen Weg, nicht über den großen Platz. Die Kollegen aus der Sicherheitszentrale sagen, wir haben gerade eine große Touristengruppe vor dem Tor.«

Langsam drehte ich mich um und wartete, ob sie noch irgendetwas sagte. Doch Octavia nickte nur stumm in den angrenzenden Korridor, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Das Ganze verwirrte mich so sehr, dass ich nicht darüber diskutierte. Im Laufe des Nachmittags gewöhnte ich mich an ihre monotonen Aussagen, die dann und wann von hinten kamen und mich an etwas erinnerten oder mich darauf aufmerksam machten, dass ich im Begriff war, etwas falsch zu machen.

Ihre Pause dauert noch exakt dreizehn Minuten. Als Nächstes steht Tanzunterricht auf dem Stundenplan … Das Gelände darf nur verlassen werden, wenn das Sicherheitsteam vorab über den Aufenthaltsort und den Zeitpunkt der Rückkehr informiert wurde. Und auf keinen Fall ohne Personenschutz … Sie hätten links abbiegen müssen. Das ist die falsche Richtung … Haben Sie das mit dem Prinzen besprochen? Ich werde kurz nachfragen, ob das erlaubt ist …

Alleine wenn ich daran dachte, musste ich schon die Augen verdrehen. Alexa, halt die Klappe!

Nach dem Abendessen mit Edwards Familie, heute überraschend ohne Lucius, nahm Edward meine Hand und wollte mich mit auf unser Zimmer nehmen. Doch schon nach wenigen Metern erklangen leise Schritte hinter uns. Auch Edward bemerkte sie, blieb stehen und drehte sich um. Octavia. Ich stöhnte. Sie hielt ebenfalls, in einigem Abstand zu uns. Wahrscheinlich um uns Privatsphäre zu gönnen.