Russland und die Messe aller Zeiten - Thomas Huber - E-Book

Russland und die Messe aller Zeiten E-Book

Thomas Huber

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Beschreibung

Die Brüder Thomas und Gregor Huber besuchen katholische Gemeinden in Russland. Im Gepäck haben sie dabei den Tridentinischen Messritus. Viele Gläubige haben in diesem Zusammenhang ihre erste Begegnung mit der Tradition, wurde ihnen die alte Messe doch in den 1930er Jahren von den Kommunisten geraubt und heutzutage von Rom vorenthalten. Die Geschichte, die aus der Reiseerzählung der beiden Brüder entstand, schildert die Schwierigkeiten und den Gegenwind, den die alte Liturgie erfährt. Es wird klar: Der Konflikt zwischen dem Geist der überlieferten Messe und dem Geist der neuen modernen Messe ist längst auch in Russland angekommen.

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Thomas Huber

Russland und die

Messe aller Zeiten

Russland und die

Messe aller Zeiten

Eine Reiseerzählung mit Messkommentar

Patrimonium-Verlag 2019

Thomas Huber

Impressum

2., überarbeitete Auflage 2019

© Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Erschienen in der Edition »Patrimonium Theologicum«

Patrimonium-Verlag

Verlagsgruppe Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.patrimonium-verlag

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druck & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Abbildungsnachweis (Umschlag):

https://www.msmap.ru/temples/22/photos/14828#_photo

Katholische Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria, Moskau © Tanya Shkarupa

Umschlag- und Satzgestaltung:

Dietrich Betcher

Druckbuch:

ISBN-10: 3-86417-110-5

ISBN-13: 978-3-86417-110-9

E-Book:

ISBN-10: 3-86417-180-6

ISBN-13: 978-3-86417-180-2

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

dieses Buch können Sie auf mindestens drei Weisen lesen. Einmal können Sie nur die Reiseerzählung lesen, die Sie zu einem Besuch in eine katholische Gemeinde in Russland mitnimmt. Dann können Sie nur den Messkommentar lesen, der in die Reiseerzählung eingebaut ist. Er zieht einen kritischen Vergleich zwischen der überlieferten, alten Messe und der heute gängigen neuen Messe. Oder Sie können beides lesen und ich verspreche Ihnen, dass Sie meine und meines Bruders Gregor Absicht besser verstehen, die überlieferte Messe in Russland zu verbreiten.

Die Reiseerzählung ist aus vielen verschiedenen Fahrten durch Russland zusammengesetzt und verzichtet weitgehend auf die Nennung von Orten und Namen. Auch die Charaktere der Personen müssen nicht durchgängig übereinstimmen.

Der Messkommentar ist eine scharfe Auseinandersetzung mit der neuen Messe und ihrem modernen Geist. Ich selbst zelebriere nur noch die überlieferte Messe. Die Aussagen und Beurteilungen, die ich Ihnen zur neuen Messe vorstelle, legen Rechenschaft ab für meinen Weg.

Das meiste habe ich von den katholischen Priestern gelernt, die mir die Wahrheit sagten und die sich nicht scheuten, dass ich ihre Worte als anstößig, empörend oder weltfremd empfand. Zu dieser Wahrheit gehört, dass mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht nur das Äußere, sondern auch das Innere der Kirche verändert wurde. Genauer: Der größte Teil der sichtbaren Kirche hat nicht nur das Äußere umgestaltet, sondern auch den Motor dieses Gebildes ausgewechselt und sogar den Treibstoff – durch falsche theologische Prinzipien.

Wenn das stimmt, hat das neben vielen anderen Problemen dramatische Konsequenzen für Russland. Die Kirche mit ihren ökumenistischen und relativistischen Prinzipien, kann im Kampf mit den Mächten der Finsternis nicht bestehen. Das, was die Kirche ihren Gläubigen und den Menschen in Russland gibt, reicht nicht aus, damit der Kommunismus, der sich in den verschiedensten Spielarten weiter ausbreitet, ein Ende findet.

Einleitung

Die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu

Die Ausrottung der katholischen Gemeinden in den 1930er Jahren durch die Kommunisten war ein schwerer Schlag gegen den katholischen Glauben und gegen den überlieferten katholischen Ritus in Russland. Allerdings war das erst der Anfang. Jahrzehnte später sollte etwas viel Schwerwiegenderes folgen. Seit der politischen Wende 1990 und dem zähen bürokratischen Prozess der Wiedereröffnung der katholischen Kathedrale in Moskau (1991–1996), wurde die neue Messordnung, der Novus Ordo Missæ eingeführt. Somit wurde die damals unter den Sowjets vollzogene Verbannung des überlieferten Ritus auf russischem Boden besiegelt. Die von Rom eingesetzte Moskauer Kirchenleitung folgte den theologischen und liturgischen Neuerungen, die zwischenzeitlich in der Weltkirche Einzug gehalten hatten.

Der überlieferte Ritus in Russland hatte seine Unterstützer verloren. Wer sollte etwas unterstützen, was vor dem Zweiten Weltkrieg schon ausgelöscht wurde? Wer sollte etwas unterstützen, was im modernen Rom unerwünscht ist?

Rund 80 Jahre nach der kommunistischen Zerstörung und rund zwanzig Jahre nach der Einführung der neuen Messe in Russland, haben sich wieder Katholiken gefunden, die den überlieferten Ritus einfordern. Sie wollen zu dem Punkt eine Brücke schlagen, an dem Russland dieser Ritus durch atheistische Horden mit Gewalt geraubt worden war. Man sagt: Der letzte Priester, der in der Moskauer Kathedrale seinen Dienst verrichtete, wurde im Gotteshaus von den Bolschewisten erschossen. So war für die Unterstützer des überlieferten Ritus klar, dass es die Gerechtigkeit einfordert, sich nicht mit der Zerstörung durch das Böse abzufinden, sondern der Wahrheit die Ehre zu geben.

An Allerseelen 2010 taten sich daher einige Moskauer Katholiken zusammen und gründeten die Laienorganisation »Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu«. Mein Bruder Gregor leitet als deren Gründer diese Vereinigung. Die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu vertritt die traditionelle katholische Lehre, wonach die heilige Messe die unblutige Erneuerung und Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers unseres Herrn Jesus Christus auf Golgotha ist. Diese Tatsache feiert die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche seit ihrer göttlichen Gründung im überlieferten Ritus. Die Gesellschaft möchte, dass immer mehr Menschen in Russland diese Messe als das verstehen, was sie ist, ein wahres und eigentliches Opfer. Sie weiß, dass die innere Teilnahme an der überlieferten Messe zur Überwindung aller Irrtümer führt. Diese Messe ist das Licht für den Osten, das dem Land und seinen Bewohnern gegeben werden muss.

Deswegen regt die Gesellschaft Messen im überlieferten Ritus an und besucht Jahr für Jahr eine andere katholische Gemeinde in Russland, um dort diese Messen lesen zu lassen. Das ist der Dienst, das Apostolat im Zeichen des Heiligsten Herzen Jesu für Gott und für die Menschen. Ziel der Gesellschaft ist es, die katholische Tradition in ganz Russland vorzustellen und wiederzubeleben. Im Zentrum steht dabei die würdige Zelebration der überlieferten heiligen Messe nach dem alten Missale Romanum.

In Moskau organisiert die Gesellschaft seit ihrer Gründung sonntäglich und an den meisten Feiertagen die Feier der überlieferten Messe. Außerhalb Moskaus organisiert sie die Messe vor allem während ihrer Besuche und im Rahmen von geistlichen Einkehrtagen, die schon in einer stattlichen Zahl katholischer Gemeinden gehalten wurden. Fast immer ist das für die örtlichen Katholiken die erste Möglichkeit an der Messe aller Zeiten teilzunehmen.

Nur zwei Jahre später, 2012, gründeten Kursker Katholiken die erste Repräsentanz der Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu und bezeugten damit ihren Wunsch, öfter an einer Messe im überlieferten Ritus teilnehmen zu wollen. Weitere Repräsentanzen sind im Aufbau.

Der Priestermangel

Für das Apostolat der Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu braucht man Priester, die die überlieferte Messe lesen können. Diese Priester zu finden ist nicht so einfach. In Russland gibt es keine Handvoll Priester, die in Frage kommen. So müssen oft aus Weißrussland oder Europa Priester zur Aushilfe angefragt werden. Bei den aus Europa mithelfenden Priestern bleibt das Sprachproblem die größte Erschwernis.

Doch das Problem des Priestermangels ist wie in Europa ein hausgemachtes Problem. Die Ächtung der überlieferten Liturgie wurde von Europa aus nach Russland übertragen. Durch die im westlichen Denken ausgebildete Führungsebene, sind die russischen Diözesen weitgehend in den theologischen Modernismus verstrickt. So wird der modernistische Kampf gegen das Messopfer, den Sühnegedanken und den Wahrheitsanspruch der römisch-katholischen Kirche auf russischen Boden fortgesetzt. Wenn ein russischer Priester den überlieferten Ritus erlernen will, bekommt er schnell von oben gesagt, dass das nichts für ihn sei. Zeitverschwendung und elitäres Gehabe. Dann gibt es die polnischen Priester, die im Land ihren Dienst tun. Sie wurden gerufen, weil Russland zu wenige eigene Priester hervorbringt und weil Polen bis dahin zu viele hatte. In ihrem Selbstverständnis und ihrem Stolz stützen sich die meisten polnischen Priester auf Johannes Paul II. Somit werden russische Katholiken bestenfalls zu einem Nebenprodukt der Geschichte degradiert. Man hat es nicht nötig, den Russen den überlieferten Ritus vorzusetzen: Russen können nichts und brauchen nichts. Man spielt es aus, dass viele Russen obrigkeitshörig sind und oft alles glauben. Andere polnische Priester im Land nutzen die dünne russische Personaldecke, um auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. Auf diesem Weg ist der überlieferte Ritus sowieso kein Thema. Hinzu kommt die krankhafte Angst vor einer Spaltung, die die überlieferte Messe in den Gemeinden anrichten könnte. Der vermutete Machtverlust stellt eine unerträgliche psychische Belastung dar, die durch ein abwehrendes ›Nein‹ zur katholischen Tradition bekämpft wird.

Diese Motive spielen auch bei Priestern des Opus Dei eine Rolle, die sich in Moskau aufhalten. Das gespaltene Verhältnis des Opus Dei zur Tradition setzt sich in deren Priestern fort. Man könnte sich bestimmt mit dem überlieferten Ritus anfreunden, doch das würde der Einheit der Gemeinschaft schaden, zu zusätzlichen Belastungen führen und vom eigentlichen Wunsch des Gründers ablenken.

Alle diese Facetten an Ausreden, Vermutungen und Befürchtungen zeigen eine tief verwurzelte Verweigerungshaltung gegenüber der katholischen Messe. Sie stellen einen schlimmen theologischen Missgriff dar. Sind nicht alle Dinge der Welt unter dem Gesichtspunkt Gottes zu betrachten (sub ratione Dei), weil sie von Gott ausgehen und auf Gott hingeordnet sind, wie es der hl. Thomas von Aquin sagt? Das bedeutet nicht, dass alle Dinge der Welt und der Mensch automatisch in der Gnade Gottes sind, so wie es die Modernisten gerne hätten. Das bedeutet nicht, dass die Welt in ihrer Beschädigung und Sündhaftigkeit ein theologischer Erkenntnisort Gottes und des Glaubens sein kann, sodass die Kirche von dieser verdorbenen Welt etwas dazulernen müsste. Die Sünde ist kein Offenbarungsraum Gottes. Doch muss nicht gerade eine heilige Messe an allererster Stelle unter dem Gesichtspunkt Gottes betrachtet werden? Die Messe ist von Gott und kehrt zu ihm vollkommen zurück. Sie kann nicht irgendwelchen Dingen der Welt oder Ausreden geopfert werden. Wenn selbst Priester eine heilige überlieferte Messe nicht unter dem Gesichtspunkt Gottes betrachten können, fehlt es nicht nur an Weitblick, sondern überhaupt an Gnade und an Glauben. Wenn ein katholischer Bischof einem seiner Priester wegen einer öffentlichen Messe im überlieferten Ritus Messverbot erteilt, ist er kein katholischer Bischof mehr. Es fehlt die Gnade, selbst das einfachste und offensichtlichste zu erkennen, dass eine heilige Messe unter dem Gesichtspunkt Gottes betrachtet werden muss.

Der Modernismus setzt dagegen andere Akzente und behauptet, dass voreheliche Unzuchtsbeziehungen ihren Wert in der von Gott geschenkten Liebe haben, dass gleichgeschlechtliche Treue etwas von der Treue Gottes abbildet, und dass die Wiederverheiratung gültig Verheirateter im Willen Gottes liegen kann. Die Mischehenkommunion sei ein Akt der Barmherzigkeit, so heißt es. Alle diese Irrungen betrachten die Modernisten gerne unter dem gnadenhaften Gesichtspunkt Gottes, aber eine überlieferte heilige Messe fällt aus diesem Raster heraus. Solange das Heilige bekämpft wird und das Unheilige in die Sphäre Gottes erhoben wird, solange wird es keine relevanten Priesterberufungen geben, weder in Russland noch sonst wo. »O Jesus, erhöre unsere Bitten um der Bluttränen deiner heiligsten Mutter willen.«

Die Lage in Moskau

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu auf Widerstand stößt. Der Hauptsitz der Gesellschaft ist in Moskau. Dort finden zwar Messen im überlieferten Ritus satt, aber der Kampf darum entspricht genau jenem Kampf, den man in weiten Teilen Europas führen muss.

In Deutschland z. B. zeichnet sich folgendes Bild ab: Die Gemeindemitglieder berufen sich normalerweise auf das am 07. Juli 2007 gegebene Apostolische Schreiben Summorum Pontificum von Benedikt XVI. Darin heißt es in Art. 5 § 1: »In Pfarreien, wo eine Gruppe von Gläubigen, die der früheren Liturgie anhängen, dauerhaft existiert, hat der Pfarrer deren Bitten, die heilige Messe nach dem im Jahr 1962 herausgegebenen Römischen Messbuch zu feiern, bereitwillig aufzunehmen.«

Doch die Gemeindemitglieder werden zunächst nach allen Regeln der Kunst ausgebremst. Der Ortspfarrer reagiert nicht auf die Bitten und antwortet monatelang nicht auf höfliche Schreiben der Gläubigen. In dieser Zeit hört sich der Pfarrer in seiner Gemeinde um, und versucht die »Störer« in Einzelgesprächen umzustimmen und auseinanderzutreiben. Die Initiative soll im Sand verlaufen. Es kommt aber auch vor, dass sich der Pfarrer herausredet. Er will die Messe aus spirituellen Gründen nicht erlernen. Er sei überzeugt davon, dass die neue Messe und die zum Volk gewandte Zelebration ihren Wert haben. Dabei hat gerade das Abwenden des Priesters vom Hochaltar und seine Hinwendung zum Volk die größte Verwirrung im gläubigen Volk ausgelöst, neben der Stand- und Fingerkommunion.

Wenn die Gläubigen merken, dass sie mit ihren berechtigten Wünschen nicht weiterkommen, beginnen sie Unterschriften zu sammeln. Meist werden dreißig Unterschriften als Richtgröße angesehen. Diese Zahl ist aber nie verbindlich oder rechtmäßig definiert worden. In einem zweiten Brief an den Ortspfarrer, werden ihm die gesammelten Unterschriften vorgelegt. Diesem Brief liegt eine deutlich ausgesprochene Bitte bei, nach Monaten endlich an der konkreten Umsetzung der Messe mitzuwirken. Allein die Tatsache einer Unterschriftensammlung wirkt für den Pfarrer wie ein Aufstand gegen seine Autorität. Die Zahl der Unterstützer wird kleingeredet und deren Legitimität angezweifelt. Die Sammlung als solche sei eine unangemessene Weise den Dialog zu führen. Das vom Zweiten Vatikanischen Konzil geförderte Laienapostolat muss hier in die Schranken gewiesen werden.

In dieser Situation greift der Ortspfarrer ausgerechnet auf ein Laiengremium zurück, auf das er sich meist verlassen kann – den Pfarrgemeinderat. Dieses Gremium wird dann besonders hofiert und zum endgültigen Entscheidungsträger erkoren; ein Gremium, das weder theologisch noch liturgisch in irgendeiner Weise gebildet ist. Bis zu der entscheidenden Sitzung vergehen dann noch einmal sechs oder sieben Wochen. Da die Sitzung öffentlich ist, können die Unterstützer der überlieferten Messe daran teilnehmen, auch wenn sie keinen ihrer Vertreter im Gremium haben. Nach der zweistündigen Sitzung dürfen die Befürworter für gerade mal drei Minuten ihre Position vorbringen, ehe sich das Gremium der Meinung des Pfarrers anschließt und klarmacht, dass diese Messe nicht mit der pluralen und differenzierten Welt in Einklang zu bringen sei. Die alte Messe könnte das Wirken der Pfarrei in dem aktuellen gesellschaftlichen Umfeld massiv einschränken. Hier haben der Welt verfallene Katholiken einer von Gott geschenkten heiligen Messe den Riegel vorgeschoben.

Bestenfalls geht die Geschichte so aus: Die Gläubigen wenden sich an den Bischof ihrer Diözese und fordern das ihnen zustehende Recht ein. Im Art. 7 folgt: »Wo irgendeine Gruppe von Laien durch den Pfarrer nicht erhalten sollte, worum sie nach Art. 5 § 1 bittet, hat sie den Diözesanbischof davon in Kenntnis zu setzen. Der Bischof wird nachdrücklich ersucht, ihrem Wunsch zu entsprechen. Wenn er für eine Feier dieser Art nicht sorgen kann, ist die Sache der Päpstlichen Kommission ›Ecclesia Dei‹ mitzuteilen.« Nach weiteren Monaten der Blockade und zusätzlichen Erinnerungsschreiben, könnte der Bischof einen ortsfremden Priester beauftragen, alle vier Wochen eine alte Messe für die »Aufrührer« zu lesen. Der Ortspfarrer steht nun keinesfalls als geprügelter Hund da. Er sieht sich in seiner generellen Linie und pastoralen Ausrichtung bestärkt. Dass alle vier Wochen in einer unscheinbaren Kapelle seiner Pfarrei eine Messe gelesen wird, kann er verkraften.

Es gab aber schon Fälle, in denen nicht einmal der Bischof zu einer Lösung bereit war. Er stritt die Relevanz der Messe ab und forderte die Gläubigen auf, achtzig Kilometer weiter zu einer überlieferten Messe zu fahren. Hier mussten sich die Gläubigen endgültig an Rom wenden und der Päpstlichen Kommission »Ecclesia Dei« ihr Leid klagen. Dazu muss der gesamte schon stattgefundene Briefwechsel eingereicht werden. Nicht selten fand nach langen Jahren des Kampfes die Blockade diözesaner Bürokraten gegen die heilige Messe in Rom ihr Ende. Der erlösende Brief aus Rom könnte so lauten: »Sehr geehrter Herr Bischof N. N., zur Wiederherstellung des Friedens und der Einheit in ihrer Gemeinde N. N. und mit Verweis auf das Motu Proprio Summorum Pontificum bitten wir Sie, innerhalb der nächsten vier Wochen, die von den Gläubigen gewünschte Messe im überlieferten Ritus dauerhaft einzurichten. Gerne können wir Ihnen einen geeigneten Priester vermitteln.«

Ob und wie lange Rom helfen will und kann, ist mittlerweile unklar. In Rom wurde die alte Messe kürzlich zu einer Modeerscheinung erklärt. Die unter dem Mantel Roms sich gerade bildenden Nationalkirchen tragen ihr Übriges dazu bei, Rom in jedem Fall aus diesen Fragen rauszuhalten.

Alle diese Dinge finden sich in der einen oder anderen Weise in Moskau und in den übrigen russischen Gemeinden. Erfreulich ist, dass es in Moskau einen beauftragten Priester gibt, der in der Krypta der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria die Messen liest. Er ist vom Erzbischof offiziell beauftragt, für die etwa vierzig Gläubigen seelsorglich zu wirken. Diese Beauftragung ist vergleichbar mit der Beauftragung eines Cappellanus, eines Kaplans und darf nicht mit einem Pfarrvikar verwechselt werden, der an der Seite des Pfarrers in einer Pfarrei seinen Dienst als Priester versieht. Im Kirchenrecht heißt es dazu: »Cappellanus/Kaplan ist ein Priester, dem auf Dauer die Hirtensorge für irgendeine Gemeinschaft oder für einen besonderen Kreis von Gläubigen wenigstens zum Teil anvertraut wird.« Der Kaplan wird vom Ortsordinarius ernannt und wird mit allen Befugnissen ausgestattet, die eine ordnungsgemäße Hirtensorge erfordert.

Dennoch gibt es in Moskau immer wieder Angriffe gegen die Messe. Zu diesen Angriffen gehören Messverbote, die der Beauftragung des Cappellanus völlig entgegenstehen. Teils erwartet oder unerwartet darf die Messe nicht für die Gruppe gelesen werden. Der vom Erzbischof beauftragte Kaplan fügt sich leider diesen Verboten zu oft. Dabei hätte gerade er das Recht, den überlieferten Ritus, für den er sich bereit erklärt hat, zu feiern. Das »du darfst« und »du darfst doch nicht« erscheint ihm nicht als Schikane und Lieblosigkeit. Folglich steht die Gemeinde im Regen. Die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu zögerte jedoch nicht, den Widerstand gegen diese Messverbote aufzunehmen.

Zuerst ging es um die zentrale Gedenkfeier zu Ehren des hl. Don Boscos. Dessen Orden gehören viele Priester der Erzdiözese an und sie sind beauftragt, die Pfarrei der Kathedrale zu leiten. Eine für alle Moskauer Gläubigen verpflichtende neue Messe sollte die Wichtigkeit dieses Tages hervorheben. Die Konzelebration der betroffenen Priester war selbstverständlich.

Dann ging es auch um Fronleichnam. An Fronleichnam sollten alle an der gemeinsamen Prozession teilnehmen und an der im neuen Ritus gefeierten Messe. Die überlieferte Messe wurde abgesagt.

Es folgte der Kampf um das österliche Triduum, Gründonnerstag, Karfreitag und die Osternacht. Die dem überlieferten Ritus anhängenden Gläubigen mussten am Gründonnerstag an der zentralen Liturgie des Erzbischofs teilnehmen. So etwas zeugt nicht von der oft beschworenen Barmherzigkeit. Die Gemeinde solle sich um ihren Bischof scharen und die Einheit mit ihm feiern, so wurde argumentiert. Wie wenig Einfühlungsvermögen es doch in den Ordinariaten gibt … Ein traditionsverbundener Katholik soll die Einheit mit der modernen Kirche und dem modernen Bischof feiern und dazu gezwungen werden, indem man ihm raubt, was ihm zusteht. Die Gruppe fühlt sich als Katholiken zweiter Klasse. Dabei ist es gerade die Tradition, die an Gründonnerstag nicht in eine Abendmahlfeier abrutscht, sondern Opfer und Sakrament voneinander trennt. Der Blick in einen Katechismus zeigt: »Das Meßopfer ist kein Sakrament, es bringt nur ein Sakrament hervor: das allerheiligste Altarsakrament. Das Meßopfer ist so wenig ein Sakrament wie das Kreuzesopfer. Aber wie das Kreuzesopfer das Sakrament des Altares hervorgebracht hat, so auch das Meßopfer.«1 Gründonnerstag bleibt damit ein ganz normales Messopfer unter besonderer Berücksichtigung des allerheiligsten Sakraments des Altares. Die großen Geheimnisse, derer in dieser Messe gedacht werden, die Einsetzung der Eucharistie, die Einsetzung des Priestertums und das Gebot der Bruderliebe berechtigen nicht, eine Abendmahlfeier zu kreieren. Wie oft schon wurde die Messe (!) vom Letzten Abendmahl zu ökumenistischen Zwecken missbraucht.

Jedenfalls greift die Kirchenleitung mit Messverboten entscheidend in das Leben der traditionsverbundenen Katholiken ein. Man meint, die spirituelle Haltung der Gläubigen korrigieren zu müssen, und vor Einseitigkeit zu schützen. Man verlangt von ihnen Flexibilität und behauptet, dass nur in der neuen Messe die Einheit der Kirche gewährleistet sei. Man reißt sie aus ihrer seit Jahren eingeübten Praxis heraus.

Das Gute: Der Widerstand gegen das Messverbot von Gründonnerstag wurde zum ersten Mal 2017 überwunden. Dem beauftragten Kaplan für den überlieferten Ritus wurde erlaubt, die Liturgie zu feiern. Da der Karfreitag schon genehmigt war und gefeiert werden durfte, fehlte nur noch die Osternacht. Hier war der Zelebrant es selbst, der sich einen Ruck gab und gegenüber der Kirchenleitung die gesamte Feier des österlichen Triduums einforderte. So wurde nach über achtzig Jahren wieder ein österliches Triduum im überlieferten römischen Ritus in Moskau gefeiert.

Parallelen zu diesen Schwierigkeiten sind auch in Deutschland zu finden. Es ist das Anliegen mancher Kirchenleitung, dass eine zentrale Feier der Osternacht in einer Dom- oder Hauptkirche angeboten wird. Priester und Gläubige aus den umliegenden Gemeinden werden aufgefordert oder besser gesagt gezwungen, an dieser Einheitsfeier mit dem Bischof teilzunehmen. Während der Feier berauscht man sich an der Einheit und an der Gemeinschaft. Man beschwört den verbindenden Glauben. Die Presse berichtet: »Dom bis zum letzten Platz gefüllt.« Doch wie viele Feiern der heiligen Osternacht sind dafür ausgefallen? Oft haben die Pfarrgemeinderäte und der Pfarrer vorab entschieden, an der zentralen Feier der Osternacht teilzunehmen. Man habe einfach zu wenige Gläubige und der Pfarrer sei schon zu beansprucht. Der Pfarrer muss damit nichts mehr singen, nichts mehr predigen und nicht einmal zelebrieren, die Konzelebration reicht ihm aus. Derjenige Priester, der gerne selbst für seine Gläubigen eine Osternacht gefeiert hätte, wird daran gehindert. Er darf nicht mit seinem Bräutigam, dem Herrn, durch die Nacht in das Licht des Ostermorgens treten. So bleiben in dieser Nacht viele Kirchen dunkel, viele Osterkerzen werden nicht entzündet und das Halleluja wird nicht gesungen. Die Amtskirche hat sich wie so oft entschlossen, gegen die Messe zu stimmen. Sie hat sich entschlossen viele Lichter in dieser Nacht nicht zu entflammen und den Raum der Finsternis zu überlassen.

Auch der Pfarrer der Moskauer Kathedrale bestätigte, dass es zu weiteren Messverboten kommen werde. Schließlich sei er beauftragt, alle Gruppen und Riten in der einen Pfarrei zusammenzuführen. Daher werde er alle Gruppen zu seinen Fastenpredigten und der damit verbundenen neuen Messe bitten. Dass der Cappellanus für den überlieferten Ritus vom Erzbischof direkt beauftragt ist und unabhängig vom Pfarrer seine Gruppe betreuen darf, scheint den Pfarrer nicht zu interessieren. Er bildet seine eigenen Machtstrukturen aus.

Zu beobachten ist auch eine andere Strategie – eine Strategie der Einschleusung. Die Kirchenleitung versucht, immer wieder Priester in die Gruppe des überlieferten Ritus hineinzubringen. Da tauchen Priester auf, die ein Interesse an dem alten Ritus zeigen und sich darin ein paar Stunden in der Zelebration ausbilden lassen. Diese Priester verschwinden oft so schnell wieder, wie sie gekommen sind. Trotzdem will die Kirchenleitung präsent sein, um ihren Einflussbereich zu wahren. Es gibt immer wieder Priester aus der Diözese, die sich anbieten mitzuwirken und mitzuhelfen. Doch diese Tarnung fliegt schnell auf, denn aus diesen Priestern spricht der Modernismus. Sie kennen den traditionellen katholischen Glauben nicht oder relativieren ihn beständig. Das hat fatale Konsequenzen, die sich direkt auf die Gläubigen übertragen. Die Gläubigen nehmen die Sitten- und Andachtslosigkeit der Priester auf. »Diese zunehmende modernistische Sitten- und Andachtslosigkeit beruht immer wieder auf der Tatsache, dass man dem Menschlichen mehr Bedeutung beimisst als dem Göttlichen und dem Heiligen. Die tiefe und liebende Ehrerbietung gegenüber dem für uns alle gestorbenen göttlichen Erlöser, sollte in jedem Augenblick der Heiligen Messe bei den Gläubigen sichtbar sein. Dadurch sollen sie ausdrücken, dass sie hier vor dem allmächtigen Gott nur als von ihm geschaffene Wesen stehen, die mit Dankbarkeit und Ehrfurcht vor Seiner Heiligkeit dem Gottesdienst beiwohnen.«2

Die Abneigung der Moskauer Kirchenleitung gegen den überlieferten Ritus drückt sich, neben den schweren Angriffen, auch in subtiler Weise aus. Obwohl die Messen als offizielle Gemeindemessen anerkannt sind, werden immer wieder Zeichen der Ausgrenzung gesetzt. Nicht einmal Hostien und Messwein dürfen aus der Hauptsakristei der Kathedrale verwendet werden, nach dem Motto: »Wenn ihr schon so speziell seid, dann kümmert euch selbst darum.« Dabei ist unklar, ob die polnischen Schwestern, die ihren Dienst in der Sakristei tun sich so verhalten wollen, oder ob das »von oben« kommt.

Die zweimal im Jahr stattfindenden Einkehrtage dürfen nicht öffentlich beworben werden. Ein Pater aus Weißrussland hält die geistlichen Vorträge und die Messen. In den Abkündigungen des neuen Ritus wird nicht berichtet, dass die Einkehrtage samt Beichtgelegenheit gehalten werden. Im Gegenzug müssen nach der überlieferten Messe alle Verlautbarungen der dem neuen Ritus anhangenden Kirche verlesen werden. Wovor hat die Amtskirche hier eigentlich Angst? Die Angst wird darin bestehen, dass der katholische Glaube unverkürzt und unverstellt gelehrt wird.

Wenn Gläubige eine Taufe im überlieferten Ritus anfragen, werden sie auf den gemeinsamen Tauftermin im neuen Ritus vertröstet, der demnächst in der Kathedrale stattfinden soll. Man erlaube keine »Extrataufe«, denn zur Eingliederung der Familie des Täuflings in die Gemeinde sei die gemeinsame moderne Tauffeier ein wichtiger Schritt.

Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger macht in seiner »Theologischen Prinzipienlehre« keinen Hehl aus seiner Einstellung zum neuen Taufritus: »Es scheint mir bedauerlich, dass das neue Taufrituale anstelle dieser tiefgründigen Antwort – der Täufling begehre von der Kirche den Glauben und als sein Geschenk das ewige Leben – die banale Aussage gesetzt hat, der Täufling begehre die Taufe. […] Mit dieser Änderung von fidem zu baptismum ist die Transzendenz des Vorgangs aus dem Taufgespräch gestrichen; nur noch der empirische Akt der Taufspendung wird als Ziel der Handlung genannt. […] Es rührt daher an den Kern der Sache selbst, wenn im neuen Taufrituale die Idee der Stellvertretung kaum noch erkennbar ist, weil man die Eltern nicht mehr antizipativ den Glauben des Kindes bekennen lässt, sondern sie auffordert, in Erinnerung an ihre eigene Taufe ein Glaubensbekenntnis abzulegen. Damit ist der Sinn des Vorgangs bei gleichbleibenden Formeln tiefgehend verändert; die als Erinnerungsakte gekennzeichneten Aussagen stehen in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der jetzt stattfindenden Taufe des Kindes.«3

Doch gegen die Taufverbote im überlieferten Ritus hat sich schon mancher Einspruch gelohnt und die Taufe wurde doch genehmigt. Auch eine Trauung im überlieferten Ritus hat die Moskauer Kathedrale schon gesehen. An solchen Tagen geht ein übernatürliches Licht in Russland auf, das tröstet und Mut macht.

In das Bild passt: Die Moskauer Kirchenleitung gibt sich bewusst multirituell. Ein gutes Leben ohne Anfeindung und Kampf haben die Ukrainer, die Armenier und die Mahlfeier des Neokatechumenats. Auch die schon auf der ganzen Welt verbreitete Taizé Romantik mit ihrem protestantischen Geist hat Einzug in Russland gehalten. Wer aber dem überlieferten Ritus, der Messe aller Zeiten folgen will, wird zurückgesetzt.

Unter besonderer Beobachtung steht natürlich auch die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu. Längst hat es sich in Moskauer Kirchenkreisen herumgesprochen, dass die Gesellschaft Jahr für Jahr russische Gemeinden besucht, um dort die überlieferte Messe zu feiern. Dazu müssen die jeweiligen Ortspfarrer angefragt werden, ob sie denn einen Besuch mit drei heiligen Messen erlauben oder nicht. Einige Pfarrer lehnen gleich ab, anderen muss man lange nachlaufen, um sie überhaupt einmal sprechen zu können. Wieder andere zeigen vordergründig Interesse, um sich aber dann auf ein Urteil zu verlassen, das aus höchsten Kreisen der Kirchenleitung gefallen ist: »Bei diesem Apostolat handelt es sich um einen Wanderzirkus.«

Mittwoch

Die Ankunft in Moskau

Die milchige Glastüre schob sich endlich vor mir weg. Mein Blick ging über etwa hundert Menschen, bis ich Boris erkannte. Mit meinen zwei Koffern und dem Rucksack drückte ich mich durch die Menge. Ich war in Moskau Flughafen Domodedovo gelandet.

Einiges hatte sich geändert in den letzten Jahren. Das Fluggastaufkommen war explodiert, wie in anderen Ländern. Immer mehr Flughäfen waren in Russland gebaut und ausgebaut worden. Mit vielen Passagieren wartete ich bei der Einreise, der Pass- und Visumkontrolle. Eine Stunde hatte ich in der Reihe gestanden und mich über die verlorene Zeit geärgert. Dafür lief die Kontrolle schneller als früher. In der kleinen Kabine sitzt schon eine neue Generation, meist junge Beamtinnen. Die bösen und herablassenden Blicke aus der Sowjetzeit sind verschwunden. Man war als Feind begrüßt worden. Heute ist man einer von vielen Reisenden. Die extrem zähe und erniedrigende Abfertigung ist einer automatisierten Routine gewichen. Die jungen Russen reisen selbst gerne und lieben es, mit den Billigairlines nach Westen zu fliegen. Wenn beide fliegen und reisen, dann hat man schon etwas gemein. Dennoch bleibt eine gewisse Strenge in den Gesichtern der Beamten übrig.

Mein Touristenvisum war ein gutes Zeichen für sie: Der Priester kommt und er zieht wieder ab. Die Lampe schaltete auf Grün. Ich ging durch die Metallschranke, zum Gepäckband und dann zum Zoll.

Dort herrschen strengere Sitten. Die Beamten stehen zu dritt da und mit Hund. Der Durchleuchtungsapparat ist bereit. Koffer und Handgepäck einstellen! Um das zu umgehen, darf man nicht alleine, quasi isoliert, von anderen Passagieren in die Kontrolle hineinlaufen. Man würde sich die Blicke der Beamten zuziehen und die Durchleuchtung. Man muss versuchen, den eigenen Schritt zu verzögern und erst einen Schwung von anderen Passagieren vorausgehen zu lassen. Die werden dann untersucht und binden die Aufmerksamkeit der Beamten. In diesem Moment kann man an der kontrollierten Gruppe vorbeigehen, durch den grünen Kanal ins Freie.

Auch das Freie hat sich gewandelt. In der Ankunftshalle wurde man von wilden, aufdringlichen Taxisten empfangen, die einen mit »Taxi, Taxi« Rufen bearbeiteten. Heute sind diese Rufe fast verhallt. Das Geschäftsmodell hat sich gewandelt. Die, die nicht von Verwandten und Freunden abgeholt werden, haben sich bei einer bekannten Taxizentrale einen Wagen vorbestellt. Wenn der Fahrer da ist, wird man auf das Mobiltelefon angerufen und bekommt Autonummer, Marke und Farbe genannt. Eigentlich steigt keiner mehr in ein Taxi ein, von dem er nicht weiß, woher es kommt.

Boris begrüßte mich herzlich: »Vater Thomas, guten Tag.« »Boris, mein russischer Freund!« Er griff gierig nach meinen zwei Koffern und rannte los. Er hetzte durch den Ausgang, dann über die Terminalstraße in Richtung eines riesigen Parkplatzes. Ich kam kaum nach.

Von Domodedovo ging die Fahrt zwanzig Kilometer hoch nach Norden bis an den Moskauer Autobahnring. Auf dem Ring fuhren wir etwa fünfzehn Kilometer weiter nach Westen und nahmen die Ausfahrt des Rajon Jasenjevo.

Der Moskauer Autobahnring ist eine unvorstellbare Dreckschleuder. Die zehn Spuren reichen nicht mehr aus. Man fährt auf dem Standstreifen, macht aus einer Spur zwei und versucht sogar an der Böschungskante rechts weiterzukommen. Nicht wenige Geländewagen und SUVs sind hier abgerutscht, zur Häme derer, die im Stau standen. 1.000 Kilometer Stau in Moskau können es am Tag schon werden.

Ein extremer Abgasgestank lag über dem Ring und er breitete sich langsam in unserem alten Sputnik aus. Ich war froh über die zwei Flaschen Wasser, die mir Boris mitgebracht hatte, denn ein sanfter Kopfschmerz setzte sich bei mir fest. »Der Münchner Autobahnring ist ein Luftkurort dagegen«, dachte ich mir.

Boris nutzte die Gelegenheit, einige seiner Deutschkenntnisse auszutauschen und so durfte auch ich meine wenigen russischen Worte beisteuern. Trotz Stau kamen wir schnell vom Ring weg. Jetzt waren es nur noch fünf Kilometer bis zur Wohnung meines Bruders Gregor.

Vor der Wohnung wurde ich gleich von Marina, einer Nachbarin und orthodoxen Gläubigen in ein Gespräch verwickelt: »Vater, darf ich Sie fragen, was sie von der Zarenfamilie denken?« Ich konnte meinen Bruder kaum begrüßen, der aber bereit war zu übersetzen. »Es gibt das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten. Und die, die das Massaker, das Blutbad an der Zarenfamilie begangen haben, werden im Gericht zur Verantwortung gezogen.« Meine Antwort schien Marina zu beruhigen. Die nach wie vor starke Diskreditierung der Zarenfamilie durch die Neokommunisten hatte wohl einige Zweifel ausgelöst. Eigentlich hätte sie in diesem Punkt ihrer orthodoxen Kirche trauen können, die die Zarenfamilie heiliggesprochen hat und in höchsten Ehren hält. Dann verabschiedete sich Marina.

In der Küche erhoben wir zum ersten Mal die Gläser. »Herzlich willkommen in Moskau! Auf unsere Fahrt und auf die Messe!« Zwei Krüge Bier und ein Glas russischer Cola schlugen zusammen. »Es ist schön, wieder hier zu sein.«

Früher hatten wir zum Abendessen gekocht: Steaks, Kartoffeln und Bohnen oder Lachs. Mit der Zeit verlor sich das aber. Wir einigten uns auf Pizza.

Boris und mein Bruder aßen noch ein Eis und wechselten langsam aber sicher die Sprache, um sich auf Russisch über dies und das zu unterhalten. Da ich nicht viel verstand, begann ich ein wenig zu träumen, ehe mich die ersten Sorgen einholten. Werden wir überhaupt zelebrieren dürfen? Sagt man uns die Messe in der letzten Minute ab? Das hat es leider schon gegeben. Eine »pastorale Entscheidung« von »ganz oben«, die plötzlich verkündet wird? Was würden wir dagegen unternehmen? Ein Verlust für die Gemeinde, für ganz Russland. Sicher konnten wir uns erst fühlen, wenn wir am Altar stehen und wenn ich im Zeichen des Kreuzes die ersten Worte der Messe sprechen darf.

Die Vormesse – das Stufengebet

Die heilige Messe beginnt im Zeichen des heiligen Kreuzes und den Worten des Priesters: »In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen.« Alles, was auf Erden ist und alles, was auf Erden geschieht, muss im Namen des dreifaltigen Gottes geschehen.

Verwandt dazu ist eine Anrufung Gottes, wie sie in den Psalmen zu finden ist: »Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat.« Mit diesen Worten wird der Priester nachher das Schuldbekenntnis einleiten und sich dazu bekreuzigen. Die heilige Messe wird nun im Namen des dreifaltigen Gottes eröffnet, der der Schöpfer von Himmel und Erde ist, von Sichtbarem und Unsichtbarem.

Wichtig ist, dass das »Amen« vom Priester selbst gesprochen wird und nicht vom Messdiener oder dem Volk. Der Priester, der gültig geweiht ist, braucht für sein Tun am Altar keine Bestätigung durch die Gemeinde. Er allein bringt Gott das Messopfer dar. Der gültig geweihte Priester ist der Garant für die Messe, die im Einklang mit der katholischen Kirche steht und die Gott wohlgefällig dargebracht wird.

Später, beim Empfang der heiligen Kommunion wird das noch einmal deutlich. Auch dort wird der Priester das »Amen« sprechen und nicht der Empfänger. Der Priester wird bestätigen, dass es sich um Leib und Blut Jesu Christi handelt. Es bedarf keiner Bestätigung durch den Kommunikanten.

Die Lossprechungsformel zur heiligen Beichte im überlieferten Ritus sieht ebenfalls vor, dass der Priester das »Amen« sagt und nicht der Pönitent.

Doch kehren wir zurück: Mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der zweiten Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit und seinem Sühnopfer auf Golgotha, hat sich die Dreifaltigkeit selbst geoffenbart. So muss alles in diesem Namen geschehen und im Zeichen des Kreuzes. Dreifaltigkeit und Kreuz sind untrennbar verbunden.

Die heilige Messe beginnt im Zeichen des Kreuzes und sie ist gleichzeitig liturgische Hinwendung zum Kreuz. Das geschieht sofort mit dem Einzug des Priesters, der an den Stufen des Altars zum Stehen kommt. Das zum Kreuz hin gesprochene Stufengebet und das folgende Confiteor, das Schuldbekenntnis, sind als eine kleine Bußandacht zu betrachten und füllen die Hinwendung zum Kreuz mit Gebet. Wer sich dem Geheimnis Gottes nähern will, muss vorher um Verzeihung seiner Sünden bitten. Das geschieht aber vor dem Angesicht des Kreuzes und nicht, indem man sich gegenseitig ins Gesicht schaut, wie das im neuen Ritus, im Novus Ordo der Fall ist. Dort wird die Messe nicht vor dem Altar stehend, sondern von den Sitzen aus eröffnet, die entweder zum Volk gerichtet oder seitlich angebracht sind.

Der Priester und der Messdiener stehen nun an den Stufen des Altares. Mit dem Blick auf das Kreuz beginnt das Vorbereitungsgebet: »Introibo ad altare Dei.« Nicht wenige Priester, die zum ersten Mal hier stehen, haben in diesem Moment Tränen in den Augen. Oft haben die Priester, die sich in der neuen Messe verzettelten, hier das erste Mal eine geistige Heimat gefunden. Sie hatten alles getan, um der Sonntagsgemeinde zu gefallen, hatten die Mottogottesdienste der liturgischen Fachbereiche bereitwillig angenommen, in der Hoffnung eine zeitgemäße Liturgie zu feiern. Sie hatten Tanzeinlagen geduldet, Kostümierungen zugestimmt und Frauenkreise zur Gestaltung der Messe eingeladen. Doch jetzt stehen sie blank vor dem Kreuz und dem Altar. Sie müssen niemanden einladen oder einbinden. Sie müssen nicht präsentieren, organisieren und simulieren. Der Priester muss nur das Opfer darbringen und in diesem Moment ist er bei Christus, seinem Bräutigam. Er ist angekommen bei dem Gott, dem er sich geweiht hat und bei dem Geheimnis, das zu verwalten er beauftragt ist.

Dennoch überfällt ihn eine große Last der Verantwortung. Er weiß, dass er den kostbaren Leib und das kostbare Blut Jesu Christi aufopfern muss zur Sühne für unsere Sünden und für die Sünden der ganzen Welt. Er muss das Opfer darbringen in den Anliegen der heiligen Mutter Kirche und für die armen Seelen im Fegefeuer. Im Offertorium, in der Opferung, wird er später einen Tropfen Wasser in den Wein geben. Dieser Tropfen Wasser steht bildlich, neben anderem, für die Gläubigen und die Menschen der Welt. Gerne würde der Priester Ströme von Wasser in den Wein geben, damit Ströme von gläubigen Seelen sich mit dem wertvollsten aller Opfer verbinden können. Alle Menschen sollten sich in diesen Kelch hineinsenken, damit sie gewandelt werden in das Vollopfer des Sohnes Jesu Christi. Sie alle möchte der Priester einsammeln und der allerheiligsten Dreifaltigkeit aufopfern.

Das Packen

Mein Kopf war nach hinten auf die hellgrün getünchte Wand gefallen. Es war dunkel geworden und ich war eingeschlafen. Der Baulärm, die Sirenen der Polizei und die Schreie im Hinterhof hatten mich nicht abgehalten. Doch die Stimme meines Bruders riss mich heraus: »Thomas, wir müssen packen.« Wir standen auf. Boris verabschiedete sich von uns. Auf ihn wartet eine lange Fahrt über den Autobahnring bis in den Norden der Stadt. Eineinhalb Stunden wird er unterwegs sein – ein Opferdienst.