Sagen und Mährchen der Deutschen - Friedrich Gottschalck - E-Book

Sagen und Mährchen der Deutschen E-Book

Friedrich Gottschalck

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Vorrede. Was sind Volkssagen? Woher stammen die Volkssagen? und wo sind sie zu Hause? Wie lassen sich die Volkssagen ordnen und eintheilen? Welchen Nutzen haben die Volkssagen? Der Hexentanz auf dem Brocken. Die drei Schwestern aus dem See. Die goldenen Kohlen. Die Tanzwiese. Das Oldenburgsche Wunderhorn. Die Seelöcher. Die verwünschte Jungfrau. Die Glocke im Opferteiche. Graf Helias von Cleve und Jungfer Beatricia. Der Ausgang der Hamelnschen Kinder. Das Himmelreich. Mährchen von Questenberg. Die Erzminen Annaberg's und Goslar's. Der Wunderfisch. Der Wolfsbrunnen. Die Gegensteine. Die Zauber- oder Berggeister-Kirche. Das versunkene Kloster. Die blutende Hostie. Teufelssteine. Der Fichtelberger in Venedig. Das weiße Reh. Jungfer Ilse. Notburga. Die Teufelsmauern. Die Schloßjungfer. Der Löwenkampf. Die sieben Trappen. Die drei Schwäne. Der Ottiliensberg bei Freiberg. Der Burggeist auf Scharzfeld. Der Schwan im Frauenberge. Der Klingel. Die Teufelsschlacht im Goslar'schen Dom. Der Mäusethurm. Herr Nickert und der Saaltanz bei Großwirschleben. Das Kloster Allerheiligen. Der Mummelsee. Prinzessin Mathilde. Der Thomaspfennig, der Kuttenzins. Die Entstehung des Klosters zum Elende. Goldner. Die kluge Prinzessin. Die Bläsjungfer. Die Teufelsmühle. Der Hautsee. Die Goldgruben im Fichtelgebirge. Der Liebesring. Die Tanzenden. Der Ring der ehelichen Treue.

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Seitenzahl: 248

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen

Friedrich Gottschalck

Inhalt:

Bibliographie der Sage

Geschichte des Märchens

Vorrede.

Was sind Volkssagen?

Woher stammen die Volkssagen? und wo sind sie zu Hause?

Wie lassen sich die Volkssagen ordnen und eintheilen?

Welchen Nutzen haben die Volkssagen?

Der Hexentanz auf dem Brocken.

Die drei Schwestern aus dem See.

Die goldenen Kohlen.

Die Tanzwiese.

Das Oldenburgsche Wunderhorn.

Die Seelöcher.

Die verwünschte Jungfrau.

Die Glocke im Opferteiche.

Graf Helias von Cleve und Jungfer Beatricia.

Der Ausgang der Hamelnschen Kinder.

Das Himmelreich.

Mährchen von Questenberg.

Die Erzminen Annaberg's und Goslar's.

Der Wunderfisch.

Der Wolfsbrunnen.

Die Gegensteine.

Die Zauber- oder Berggeister-Kirche.

Das versunkene Kloster.

Die blutende Hostie.

Teufelssteine.

Der Fichtelberger in Venedig.

Das weiße Reh.

Jungfer Ilse.

Notburga.

Die Teufelsmauern.

Die Schloßjungfer.

Der Löwenkampf.

Die sieben Trappen.

Die drei Schwäne.

Der Ottiliensberg bei Freiberg.

Der Burggeist auf Scharzfeld.

Der Schwan im Frauenberge.

Der Klingel.

Die Teufelsschlacht im Goslar'schen Dom.

Der Mäusethurm.

Herr Nickert und der Saaltanz bei Großwirschleben.

Das Kloster Allerheiligen.

Der Mummelsee.

Prinzessin Mathilde.

Der Thomaspfennig, der Kuttenzins.

Die Entstehung des Klosters zum Elende.

Goldner.

Die kluge Prinzessin.

Die Bläsjungfer.

Die Teufelsmühle.

Der Hautsee.

Die Goldgruben im Fichtelgebirge.

Der Liebesring.

Die Tanzenden.

Der Ring der ehelichen Treue.

Bibliographie der Sage

Eine Sage istim allgemeinen alles, was gesagt und von Mund zu Mund weiter erzählt wird, also soviel wie Gerücht; im engeren Sinn eine im Volke mündlich fortgepflanzte Erzählung von irgendeiner Begebenheit. Knüpft sich die S. an geschichtliche Personen und Handlungen, indem sie die im Volke fortlebenden Erinnerungen an geschichtliche Zustände, Persönlichkeiten, dunkel gewordene Taten zu vollständigen Erzählungen ausbildet, so entsteht die geschichtliche S. und, sofern sie sich auf die alten Helden des Volkes erstreckt, die Heldensage; sind aber die Götter mit ihren Zuständen, Handlungen und Erlebnissen Gegenstand der S., so entsteht die Göttersage oder der Mythus (s. Mythologie) und auf dem Gebiet monotheistischer dogmatischer Religion die Legende (s. d.). Hastet die Erzählung an bestimmten Örtlichkeiten, so spricht man von örtlichen Sagen. Noch eine Sagengattung bildet endlich die Tiersage, die von dem Leben und Treiben der Tiere, und zwar fast ausschließlich der ungezähmten, berichtet, die man sich mit Sprache und Denkkraft ausgerüstet vorstellt. Ost hat sich um eine besonders bevorzugte Persönlichkeit, wie z. B. König Artus, Dietrich von Bern, Attila, Karl d. Gr. etc., und deren Umgebung eine ganze Menge von Sagen gelagert, die nach Ursprung und Inhalt sehr verschieden sein können, aber doch unter sich in Zusammenhang stehen, und es bilden sich dadurch Sagenkreise, wie deren im Mittelalter in germanischen wie romanischen Ländern mehrere bestanden und zahlreiche Epen hervorgerufen haben (vgl. Heldensage). Die echte S. erscheint somit als aus dem Drang des dichterischen Volksgeistes entsprungen. Wie alle Volkspoesie blüht sie am prächtigsten in der ältern Zeit, aber auch bei höherer Kultur verstummt sie nicht ganz; vielmehr ist der Volksgeist noch heute tätig, bedeutende Vorgänge und Persönlichkeiten mit dem Schmuck der S. zu umkleiden. Die Anknüpfung an ein gewisses Wirkliches ist hauptsächlich das Merkmal, das die S. vom Märchen (s. d.) unterscheidet. Wie das Märchen, liebt sie das Wunderbare und Übernatürliche, obwohl es ihr nicht unentbehrlich ist. Am häufigsten heftet sie sich an Burg- und Klosterruinen, an Quellen, Seen, an Klüfte, an Kreuzwege etc., und zwar findet sich ein und dieselbe S. nicht selten an mehreren Orten wieder. Um die Erhaltung der deutschen S. haben sich zuerst die Brüder Grimm verdient gemacht durch ihre reiche Sammlung: »Deutsche Sagen« (Berl. 1816–18, 2 Bde.; 3. Aufl. 1891). Nächst diesen sind die Sammlungen von A. Kuhn und Schwartz (»Norddeutsche Sagen«, Leipz. 1848), J. W. Wolf (»Deutsche Märchen und Sagen«, das. 1845), Panzer (»Bayrische Sagen«, Münch. 1848, 2 Bde.), Grässe (»Sagenbuch des preußischen Staats«, Glogau 1871) und Klee (Gütersloh 1885) als besonders reichhaltige Quellen zu nennen. Als Sammler von Sagen einzelner Länder, Gegenden und Örtlichkeiten waren außerdem zahlreiche Forscher tätig, so für Mecklenburg: Studemund (1851), Niederhöffer (1857) und Bartsch (1879); für Pommern und Rügen: U. Jahn (2. Aufl. 1890), Haas (Rügen 1899, Usedom u. Wollin 1903); für Schleswig-Holst ein: Müllenhoff (1845); für Niedersachsen: Harrys (1840), Schambach und Müller (1855); für Hamburg: Beneke (1854); für Lübeck: Deecke (1852); für Oldenburg: Strackerjan (1868); für den Harz: Pröhle (2. Aufl. 1886); für Mansfeld: Giebel hausen (1850); für Westfalen: Kuhn (1859) und Krüger (1845), Weddigen und Hartmann (1884); für die Altmark: Temme (1839); für Brandenburg: Kuhn (1843) und W. Schwartz (4. Aufl. 1903); für Sachsen: Grässe (1874) und A. Meiche (1903); für das Vogtland: Köhler (1867) und Eifel (1871); für das Erzgebirge: J. A. Köhler (1886); für die Lausitz: Haupt (1862) und Gander (1894); für Thüringen: Bechstein (1835, 1898), Börner (Orlagau, 1838), Sommer (1846), Wucke (Werragegend, 1864), Witzschel (1866), Richter (1877); für Schlesien. Kern (1867), Philo vom Walde (1333); für Ostpreußen etc.: Tettau (183f) und Reusch (Samland, 1863); für Posen: Knoop (1894); für den Rhein: Simrock (9. Aufl. 1883), Geib (3. Aufl. 1858), Kiefer (4. Aufl. 1876), Kurs (1881), Schell (Bergische S., 1897), Hessel (1904); für Luxemburg: Steffen (1853) und Warker (1894); für die Eifel: P. Stolz (1888); für Franken etc.: Bechstein (1842), Janssen (1852), Heerlein (Spessart, 2. Aufl. 1885), Enslin (Frankfurt 1856), Kaufmann (Mainz 1853); für Hessen: Kant (1846), Wolf (1853), Lynker (1854), Bindewald (1873), Hessler (1889); für Bayern: Maßmann (1831), Schöppner (1851–1853), v. Leoprechting (Lechrain, 1855), Schönwerth (Oberpfalz, 1858), Sepp (1876), Haushofer (1890); für Schwaben: Meier (1852) und Birlinger (1861–1862), Reiser (Algäu, 1895); für Baden: Baader (1851), Schönhut (1861–65), Waibel und Flamm (1899); für das Elsaß: August St ob er (1852, 1895), Lawert (1861), Hertz (1872); für die Niederlande: Wolf (1843), Welters (1875–76); für Rumänien: Schuller (1857); für die Schweiz: Rochholz (1856), Lütolf (1862), Herzog (1871, 1882); für Tirol. [417] Meyer (2. Aufl. 1884), Zingerle (1859), Schneller (1867), Gleirscher (1878), Heyl (1897); für Vorarlberg: Vonbun (1847 u. 1890); für Österreich: Bechstein (1846), Gebhart (1862), Dreisauff (1879), Leed (Niederösterreich, 1892); für Mähren: Schüller (1888); für Kärnten: Rappold (1887); für Steiermark: Krainz (1880), Schlossar (1881); für Böhmen: Grohmann (1863), Gradl (Egerland, 1893); für die Alpen: Vernaleken (1858), Alpenburg (1861) und Zillner (Untersberg, 1861); für Siebenbürgen: Müller (2. Aufl. 1885), Haltrich (1885). Die Sagen Islands sammelten Maurer (1860) und Poestion (1884), der Norweger: Asbjörnson (deutsch 1881), der Südslawen: Krauß (1884), der Litauer: Langkusch (1879) und Veckenstedt (1883), der Esten: Jannsen (1888), der Lappländer: Poestion (1885), der Russen: Goldschmidt (1882), der Armenier: Chalatianz (1887), die der Indianer Amerikas: Amara George (1856), Knortz (1871), Boas (1895); indische Sagen Beyer (1871), japanische Brauns (1884), altfranzösische A. v. Keller (2. Aufl. 1876); deutsche Pflanzensagen Perger (1864), die deutschen Kaisersagen Falkenstein (1847), Nebelsagen Laistner (1879) etc. Die Sagen bilden mit den im Volk umlaufenden Märchen, Legenden, Sprichwörtern etc. den Inhalt der Volkskunde (s. d.), die seit neuerer Zeit Gegenstand reger wissenschaftlicher Forschung ist. Vgl. L. Bechstein, Mythe, S., Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes (Leipz. 1854, 3 Tle.); J. Braun, Die Naturgeschichte der S. (Münch. 1864–65, 2 Bde.); Uhland, Schriften zur Geschichte und S., Bd. 1 u. 7 (Stuttg. 1865–68); Henne am Rhyn, Die deutsche Volkssage im Verhältnis zu den Mythen aller Völker (2. Aufl., Wien 1879); v. Bayder, Die deutsche Philologie im Grundriß (Paderb. 1883); Paul, Grundriß der germanischen Philologie, Bd. 2, 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901) und die Bibliographie in der »Zeitschrift des Vereins für Volkskunde«; Grünbaum, Gesammelte Aufsätze zur Sprach- und Sagenkunde (Berl. 1901).

Sagen und Mährchen der Deutschen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849602932

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Erstes-Bändchen.

Vorrede.

Keiner europäischen Nation fehlt es an fabelhaften Erzählungen aus der Geschichte ihrer Vorzeit, welche unterm Volke einheimisch sind, ihm angehören, und daher mit Recht Volkssagen, Volksmährchen genannt werden. Die Vorliebe für das Alterthümliche war es, welche sie aufbewahrte, vom Vater dem Sohne, und von diesem dem Enkel bis auf unsere Tage forterzählen ließ. Daß sie nicht bloß Spiele einer lebhaften Einbildungskraft sind, sondern gewöhnlich irgend einer Veranlassung ihre Entstehung danken, leidet keinen Zweifel. Spürt man dieser nach, so findet man sie oft in dieser oder jener historischen Handlung der ältesten Zeit. Greifen sie mit dem Geiste der Vorzeit, oder mit den Handlungen mehrerer oder auch nur einzelner Menschen, in einander, so erhalten sie schon mehr Wichtigkeit. Finden sich aber auch historische Hinweisungen oder örtliche Ueberbleibsel, die damit zusammentreffen, und wo vielleicht eine sich auf die andere stützt, dann treten sie gewisser Maßen an die Stelle der Geschichte, und können dem Alterthumsforscher vielleicht zur Erläuterung und Aufhellung von Urkunden dienen.

Wer sie aber auch, da sie freilich immer die trübsten und ärmsten aller Quellen der Geschichte bleiben werden, als solche verwerfen wollte, der würde doch die in ihnen lebende reine Poesie, die natürliche, sie schmückende Einfalt, den treuen kindlichen Sinn, der überall aus ihnen hervorblickt, die in vielen verborgen liegende schöne Moral und eine religiöse Neigung für das Wunderbare als anziehend anerkennen und auch zugeben müssen, daß ihnen das Verdienst, Belege zur Charakteristik unserer Voreltern zu seyn, nicht abgesprochen werden könne.

Ist es daher keinem Zweifel unterworfen, daß Volksmährchen ihren Werth haben, so lohnt es auch wohl der Mühe, sie zu sammeln und sie als Erbstücke aus einer längst verschwundenen Ahnenzeit unsern Enkeln aufzubewahren. Dieß muß jedoch bald, es muß jetzt geschehen; denn die zugenommene Bildung eben der Klasse von Menschen, von der sie hauptsächlich festgehalten und fortgenommen wurden, hat leider schon bei ihnen eine Lauheit gegen diese lieblichen, einheimischen Mythen erzeugt, welche deren endliches Vergessen zur Folge haben wird. Es achtet nicht mehr so darauf, das Volk; und mit dem Heimgange des alten Mütterchens, das sie jetzt noch weiß, wird wohl die Kunde dahin seyn. Die Jugend hat jetzt andere Vergnügungen, und kehrt sich nicht mehr an die fabelhaften Erzählungen der Mütter; ja es hält schwer, selbst das Alter zur Erzählung solcher Sagen zu bringen, und nur durch Treuherzigkeit, nur durch eine unverstellte ernste Aufmerksamkeit darauf, vermag man es zur Mittheilung zu bewegen.

Zu den Nationen, welche solche Volksmährchen im Ueberflusse besitzen, gehört auch die deutsche. An ihren Burg- und Kloster-Ruinen, an den Gipfeln ihrer Berge, an ihren Flüssen, Quellen, Hainen, Felsen, Höhlen und Untiefen haften ihrer in Menge; und wem unter uns wäre wohl die Erinnerung des Zaubers erloschen, mit welchem diese Mährchen unser kindliches Gemüth ergriffen, wenn wir mit lauschendem Ohre und hingegebenem Staunen vor der Pflegerin standen, und jedes Wort auffaßten, daß ja keins verloren ginge, bis das grausende oder liebliche Ende der Sage uns ausrufen ließ: Noch ein Mal, noch ein Mal!

Diese unsere vaterländischen Mythen nun aufzubewahren, sie vor dem gänzlichen Vergessen zu sichern, beabsichtige ich durch die Herausgabe dieser Sammlung. Mein Plan ist, sie zu einer möglichst vollständigen zu erheben, und ich gedenke ihn durchzuführen, wenn ich, außer der Benutzung schon vorhandener ähnlicher Sammlungen und sonstiger mir zu Gebote stehender Hülfsmittel, so glücklich bin, Freunde für mein Unternehmen zu gewinnen, die mir vorzüglich solche Mährchen mittheilen, welche noch nirgends aufgefaßt wurden, und nur im Munde des Volks fortlebten. Finde ich diese, dann überlasse ich mich sehr gern der Hoffnung, eine Bibliothek der deutschen Volksmährchen entstehen zu sehen, die vielleicht für Deutschland dasselbe werden könnte, was Legrand's Sammlung für Frankreich ist: eine Sammlung von historisch-romantischen Erzählungen nicht bloß zur Unterhaltung in den Stunden der Muße, sondern auch für den Menschenbeobachter und den philosophischen Geschichtsforscher. Daß hierbei manche Sage mit unterlaufen wird, die eben kein Dichtergeist belebt, die sich nicht durch charakteristische Züge auszeichnet, ist gewiß, aber bei dem mir vorgesteckten Ziele nicht wohl zu vermeiden.

Da jede Volkssage an Eigenthümlichkeit verlöre, und die wenigen historischen Goldkörner, die sie vielleicht besitzt, rein verflüchtigt würden, wenn man sie nicht in der Sprache des Volks, mit Vermeidung aller fremdartigen Zusätze und ohne eine willkürliche Ausdehnung, geben wollte, so müssen auch diese Rücksichten durchaus beachtet, und niemals verlassen werden. Sie sollen daher in der ihnen eignen schmucklosen Sprache und möglichst so, wie sie unterm Volke lauten, erzählt werden, und wer mir einen dankenswerthen Beitrag liefern will, den bitte ich, dieß nicht zu vernachlässigen. Durch fremdartige Zusätze, durch weiteres Ausdehnen, durch eine romantische Bearbeitung, würde die Erzählung vielleicht an Unterhaltung, aber nur auf Kosten der Originalität, gewinnen, und das wäre meiner Absicht und der guten Sache ganz entgegen.

Wie sehr ich auch überzeugt bin, daß echte Volkssagen, durch eine zweckmäßige Anordnung – sie sey nun auf die Zeitfolge oder auf die Oertlichkeit gegründet – für den Forscher an Werth gewinnen würde, und so gern ich diesen Forderungen entsprochen haben möchte, so stellen sich jedoch eine Menge von Hindernissen der Ausführung entgegen, die schwerlich ganz zu beseitigen seyn dürften. Die Entstehungsperiode eines Mährchens aufzufinden, gelingt höchst selten, und auch dann nur in so weit, daß man ungefähr das Jahrhundert, aus dem es hervorging, anzugeben vermag. Nur von denen, worin eine historisch bekannte Person auftritt, z.B. Kaiser Friedrich II., der in den Mährchen vom Kiffhäuser die Hauptrolle spielt, läßt sich mit etwas mehr Wahrscheinlichkeit dem Ursprunge näher kommen. Bei dem bei weitem größten Theile ist jede Nachforschung durchaus vergebens, und die Idee einer chronologischen Anordnung bleibt daher ein unausführbares Beginnen.

Mit weniger Hindernissen würde eine Anordnung nach Gegenden, nach Ländern verknüpft seyn, und wem es vergönnt wäre, alle die Gegenden, wo Volkssagen vorzüglich zu Haus sind, selbst, und in der Absicht zu ihrer Aufsammlung genau durchstreichen zu können, dem dürfte es vielleicht gelingen, sie alle aufzufinden; allein, wer kann das? Und wenn es Jemand könnte, so würde ihm doch wohl, selbst bei der größten Sorgfalt, manches Mährchen entschlüpfen. Wenn es nun auf diese Art nicht möglich ist, den Zweck der Vollständigkeit zu erreichen, so wird es auch durchaus auf keine andere möglich seyn. Für mich geht hieraus die Ueberzeugung hervor, daß eine chronologisch oder nach Länderbezirken geordnete vollständige Sammlung der deutschen Volksmährchen so lange noch ein unerreichbarer Wunsch bleiben wird, bis von vielen Seiten her zusammengetragen ist, und alsdann der künftige Freund unserer vaterländischen Volksdichtungen sie in chronologischer oder geographischer Form aufzustellen vermag.

Ueberhaupt scheint es mir, als ob man den Volksmährchen einen größern historischen Werth beilege, als sie wirklich besitzen. Wer mit mir dieselbe Ansicht hat, und sie mehr von Seiten der Unterhaltung nimmt, der wird es daher weniger mißbilligen, wenn ich hier Mährchen, Sagen und Legenden gebe, ohne eine besondere Ordnung zu beobachten, und so wie ich sie auffinde und erhalte. Am Schlusse der Sammlung kann immer noch durch verschiedene Classificationen dem Wunsche derer entsprochen werden, welche mit dieser regellosen Aufstellung nicht zufrieden seyn möchten.

Woher ich jedes Mährchen nahm, woher ich es erhielt, das werde ich immer eben so genau angeben, als wo es sonst schon erzählt, wo es vielleicht schon poetisch oder romantisch bearbeitet wurde.

Wer über die Bedeutung, über den Werth, über die Quellen und über die Veranlassung zur Entstehung der Volkssagen Aufschlüsse verlangt, den kann man mit Recht auf die gehaltvollen und durchdachten Abhandlungen verweisen, welche Nachtigal in Halberstadt seinen »Volkssagen, nacherzählt von Otmar« (Bremen 1800. 8.) vorangeschickt hat, und welche diese Gegenstände in ihrer Art ausführlich und ernsthaft behandeln. Zugleich aber kann ich mir nicht versagen, hier auch den folgenden Bemerkungen noch einen Platz anzuweisen, welche mein geschätzter Freund, der Hofrath Beckedorff, als eine, hoffentlich nicht unwillkommene, Zugabe zu diesem ersten Bändchen, mir mitzutheilen die Güte gehabt hat.

Ballenstedt, den 18ten Oct. 1814.

F. Gottschalck.

Gesetzt, es gäbe Jemanden, welcher Volksmährchen zu hören oder zu lesen ein besonderes Vergnügen fände, – worin er denn allerdings sehr Recht haben würde – welcher aber sich nicht begnügen wollte, dem bald heitern, bald ernsten, bald muthwilligen, bald schauderhaften, immer aber anziehenden Eindrucke dieser wunderbaren Erzählungen sich ohne weiteres zu überlassen, sondern verlangte, auch noch darüber hinaus Etwas zu wissen und von den Sagen selbst allerhand zu erfahren, so etwa, wie man von einem Menschen, der uns gefällt, gern noch mancherlei persönliche Dinge zu wissen begehrt, als da sind: wie er heiße, woher er komme, was er wolle, wohin er gehe, und dergleichen mehr; ein solcher würde wahrscheinlich eine Menge Fragen thun, die ihm denn doch beantwortet werden müßten.

Ich will eine solche Antwort auf die natürlichsten von diesen Fragen hier, so gut es gehn will, versuchen. Vielleicht, daß einige Leser dadurch befriedigt werden. Andersdenkende aber mögen ihre abweichenden Ansichten daran prüfen, befestigen, oder auch berichtigen.

Erste Frage:

Was sind Volkssagen?

Im Grunde könnte man darunter alle jene Erzählungen von verschiedenartigstem Inhalte verstehen, die im Munde des Volks leben, und sich dort von der Großmutter zum Enkel getreu fortpflanzen. Indessen möchte alsdann manches dazu gerechnet werden, was diesen Namen eigentlich nicht verdient, als z.B. wirkliche historische Anekdoten, eigentliche Mährchen, die das Gepräge absichtlicher Erfindung an sich tragen, und und endlich, falls sie sich unter dem Volke erhalten sollten, jene erdichteten Erzählungen mit moralischer Richtung, die man in der neuern Zeit ihm geflissentlich in Kalendern, Aufklärungsschriften, Volksbüchern und dergleichen, hat in die Hände spielen wollen. Echte Volkssagen aber, lassen sich vielleicht an folgenden Unterscheidungszeichen erkennen:

1) sie ruhen auf einem geschichtlichen oder örtlichen Grunde; sie beziehen sich entweder auf wirkliche historische Personen, Familien und Begebenheiten, oder auf bekannte Gegenden und Orte, und bekommen eben dadurch einen Schein und Anstrich von Wahrheit;

2) sie enthalten aber auch einen wunderbaren oder wenigstens abenteuerlichen Bestandtheil, durch welchen jener Anschein von Wahrheit immer wieder zunichte gemacht, und ein zweifelhaftes und eben dadurch anziehendes Halbdunkel über das Ganze verbreitet wird; und endlich

3) sie haben keine anderen Quellen, als sich selbst; sie sind da, sie werden erzählt, sie gefallen, sie reizen, aber wer sie erdacht, wer sie zuerst erzählt habe, ist unbekannt.

Und durch dieses alles werden sie nun dasjenige, wofür sie eigentlich gehalten werden müssen, nämlich der Kreis und Inbegriff der gesammten Volks-Dichtung: sie enthalten den Stoff der ganzen National-Poesie, und was von dieser überhaupt gilt, das findet auf sie ebenfalls Anwendung.

Wenn wir annehmen, daß wohl jeder Mensch von Zeit zu Zeit das Stückwerk seines Daseyns lebhaft empfindet, daß er sich bald durch die Noth des Augenblicks, bald durch das Dunkel der Zukunft, hier durch die eigene Kurzsichtigkeit, dort durch fremde Verkehrtheit, immer aber durch ein räthselhaftes Geschick, und durch eine unübersehbare und unerforschliche Weltordnung gedrückt, gehemmt und beschränkt fühlt; so werden wir es sehr begreiflich finden, daß er sich auch dann und wann hinaus sehnt aus der Enge und Verwirrung dieses Lebens in eine Welt voll erkannten Zusammenhanges, wo alle billigen Wünsche erfüllt, jede Sehnsucht befriedigt, der Schmerz versöhnt, und die Thränen getrocknet werden. Da aber in der weiten Wirklichkeit eine solche Welt nicht vorgefunden wird, so ist es ebenfalls natürlich, daß der Mensch sie sich selbst auferbaut in Träumen, Wünschen, Hoffnungen und Ahndungen. Und so entsteht ihm dann jene wunderbare Welt der Dichtungen, wohin der Geist so gern sich flüchtet aus den kleinlichen und drückenden Verwicklungen des alltäglichen Lebens, und worin er nicht sowohl wirklichen Ersatz für den Druck des Lebens, als vielmehr nur ein tröstliches Bild und eine Bürgschaft finden will von einer zusammenhängenden, weisen und gerechten Ordnung der Dinge. Damit aber die solchergestalt erschaffene Welt nicht bloß als ein Reich phantastischer Gebilde erscheine, so knüpft er sie gern mit festen Banden an die Wirklichkeit fest. Bekannte Gegenden und Orte müssen den Hintergrund bilden, geschichtliche Personen geben ihre Namen her, oder wahre Begebenheiten werden auf irgend eine Weise hinein verflochten; und wie die meisten Menschen gerne ihrer Jugend gedenken, sie als eine Zeit des Glückes und der Zufriedenheit sich vorzustellen pflegen, und so aus der Erinnerung einer besseren Vergangenheit Erheiterung und Trost in der Gegenwart hernehmen mögen, so werden auch jene Dichtungen am liebsten in eine frühere, oft dunkle, aber immer als glücklicher gepriesene Vorzeit verlegt. Endlich aber werden ungewöhnliche und abenteuerliche Verhältnisse und wunderbare Wesen und Gestalten hineingewebt, theils als Reiz und Spiel der Einbildungskraft, theils als Zeugniß von dem in der menschlichen Seele tief gegründeten Glauben an einen unergründlichen Weltzusammenhang, theils endlich als immerwährende Erinnerung, daß das Ganze doch nur menschliche Erfindung und Spiel sey.

Und auf diese Weise bildet sich die Poesie überall und zu allen Zeiten. Ihre Quelle ist die im menschlichen Gemüthe gegründete unverwüstliche Sehnsucht nach einem glücklichen, vollkommenen und befriedigenden Zustande, und sie selbst erscheint zugleich als Spiegel und als Gegensatz der Wirklichkeit, als bedeutsames Bild einer wünschenswerthen Weltordnung und als Inbegriff der unerfüllten Ansprüche an das Leben. –

Da indessen nach der Verschiedenheit der Zeiten sowohl als der einzelnen Charactere und selbst der augenblicklichen Stimmungen auch die Ansichten vom Leben und die Ansprüche an dasselbe höchst verschieden sind, so müssen auch die einzelnen Dichtungen darnach eine sehr ungleiche Gestalt zeigen. Bald nämlich sind sie heiter scherzend, bald bitter spottend und strafend, dann schmerzlich klagend, und dann wieder tröstlich beruhigend, bald vollständig beglückend, bald tragisch versöhnend, immer aber doch auf die eine oder die andere Weise besänftigend und befriedigend.

Und auf gleiche Weise verhalten sich nun auch die Volkssagen. Alles, was von der Poesie hier im Allgemeinen gesagt worden ist, gilt von ihnen; ja, es bewährt sich an ihnen gerade recht auffallend, und ihr Inhalt, so verschiedenartig er auch seyn mag, beweiset dieses. Wenn ein verzauberter Kaiser auf seiner verfallnen Burg sich bald einem alten Bergmann, bald einem armen Hirten wohlthätig offenbart; wenn ein fleißiger Köhler in seinem Meiler plötzlich einen reichen Schatz ausgeschmolzen findet, der ihm zur Herzogswürde verhilft; wenn wunderbare Bergfräulein Kleinodien verschenken; wenn ein armer Schäfer Goldhöhlen entdeckt, und wenn wohlthätige Zwerge zu Hochzeiten dienstfertig das Tischgeschirr herleihen: wer erkennt nicht in allen diesen freundlichen Mährchen die erlaubten und nicht hoffnungslosen Wünsche bedrängter, um den Unterhalt des Lebens oftmals besorgter Menschen? Wenn aber die Burg eines grausamen Raubrittes von der Erde verschlungen; wenn ein unersättlicher Jäger bis zum jüngsten Gericht fortzujagen verdammt wird; wenn ein habsüchtiger Edelmann, der Schätze heben will, die ihm nicht bestimmt sind, dabei elendiglich zu Schaden kommt; wenn verbrecherische Mönche mit ewiger Unruhe bestraft werden; und selbst wenn ein schelmischer Berggeist die kleineren Unbilden des Lebens scherzhaft, aber derb berichtigt oder bestraft: zeigt sich dann in diesen ernsteren oder heiteren Sagen nicht neben dem stillen Unmuth über die ungerechten Ungleichheiten des Lebens auch das tröstende Vertrauen auf eine höhere ausgleichende Gerechtigkeit? Oder wenn ein kluger und mächtiger, aber übermüthiger König endlich in Ketten und Banden geschlagen wird; wenn in den Pallästen der Fürsten und Großen eine weißverschleierte Ahnfrau Jahrhunderte hindurch Unglück weissagend umherwandelt; wenn eine Riesentochter, mit ihrer goldenen Krone auf dem Haupt, den drei Mal wiederholten frevelhaften Sprung über die grause Felsenschluft mit ihrem Leben bezahlt, und eine arme Jungfrau dagegen, die, von einem frechen Jäger verfolgt, sich den Felsen hinabstürzt, unbeschädigt von den Engeln in die Tiefe getragen wird: scheinen solche Erzählungen nicht auf das Mißliche und Gefahrvolle der irdischen Hoheit hinzudeuten, und das Lob der unbekannten Niedrigkeit mit dem Troste der überall verbreiteten göttlichen Hülfe zu enthalten? Und wenn endlich wohlbekannte nahgelegene Felsen, Wälder, Hügel, Thäler und Quellen mit wunderbaren Bewohnern bevölkert, oder durch seltsame Begebenheiten und Abenteuer aus lange verflossenen Zeiten merkwürdig erscheinen, strahlt dann nicht ein Theil ihres Rufes auch auf die Anwohner zurück, und giebt ihnen selbst einen wundersamen Anstrich, oder setzt sie wenigstens mit einer geheimnißvollen Vorzeit in ehrenvolle Verbindung?

Und so wandeln dann alle diese seltsamen Sagen und Mährchen neben dem mühseligen und einförmigen Leben des beschränkten, gedrückten und belasteten Volks freundlich, tröstend, hülfreich und oftmals erhebend einher, und helfen die wenigen Stunden verkürzen und erheitern, welche dem harten Dienste der Nothdurft abgewonnen worden sind. Gutmüthige Mütter aber übernehmen das dankbare Geschäft der Dichter, indem sie entweder den überlieferten Stoff nach ihrer Art bald mehr bald weniger ausführlich und lebendig darstellen und ausschmücken, auch wohl verändern und umgestalten, oder aus eigener Erfindung und gelegentlicher Veranlassung neue Erzählungen hinzufügen. Und diese Bewandniß nun scheint es überall mit den Volkssagen anjetzt zu haben. Ich sage: anjetzt, wo ein so auffallendes Mißverhältniß in Bildung, Ansichten und Sitten unter den einzelnen Theilen derselben Nation Statt findet. In alter Zeit freilich, als das sogenannte Wiederaufleben der antiken Kultur noch nicht dem einen Theile der Nation den bevorzugten Namen des gebildeten beigelegt hatte; mag auch kein großer Unterschied zwischen Volksdichtungen und der Poesie der höheren Stände gewesen seyn. Dieselben Sagen und Erzählungen, von welchen sich Fürsten und Ritter angezogen und erfreut fühlten, ergötzten auch den Knappen und den Knecht, und die Lieder und Gesänge, welche in Schlössern und Burgen ertönten, hallten in Häusern und Hütten wieder, so, daß in jener vollständigern Zeit Volkssagen schwerlich in dem Sinne angetroffen werden möchten, worin hier versucht worden ist, ihr Wesen und ihre Bedeutung zu beschreiben und zu erklären.

Volkssagen also machen die Poesie des Volkes aus, und, indem dieses hier hat sollen gezeigt werden, ist auch die mögliche

Zweite Frage:

Woher stammen die Volkssagen? und wo sind sie zu Hause?

schon vorläufig mit beantwortet worden.