Saint - Wer einmal sündigt ... - Katy Evans - E-Book

Saint - Wer einmal sündigt ... E-Book

Katy Evans

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Beschreibung

Ein Mann - so heiß wie die Sünde

Es sollte nur ein Job sein, eine Story. Für eine Kolumne hat sich die Journalistin Rachel Livingston in das Leben des geheimnisvollen Milliardärs Malcom Saint geschlichen. Dass sie ihr Herz an ihn verliert, war allerdings nicht geplant. Als Saint herausfindet, dass Rachel ihn nur benutzt hat, fürchtet sie, er wird ihr niemals verzeihen. Doch stattdessen macht er ihr ein unerwartetes Angebot ...

"Saint gehört mir!" Sylvia Day

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Seitenzahl: 481

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungPlaylist12345678910111213141516171819202122232425262728293031EpilogDanksagungDie AutorinDie Romane von Katy Evans bei LYXImpressum

KATY EVANS

Saint

Wer einmal sündigt …

Roman

Ins Deutsche übertragen von Michaela Link

Zu diesem Buch

»Bring mich zu Fall. Solange du mich nur dabei berührst. Zerbrich mich. Benutze mich. Begehre mich.«

Malcolm Saint war ein Job. Eine Story. Ein gutaussehender und komplizierter Mann, den ich für eine verwegene Kolumne hätte vorführen sollen. Ich wollte ihn, seine Geheimnisse und sein Leben ans Tageslicht zerren und vor der Welt ausbreiten. Ich wollte ihn bloßstellen – und nicht umgekehrt: Aber mein Herz hat meinen Kopf übertölpelt, und nichts konnte mich davor retten, Saint zu verfallen. Mit Leib und Seele. Malcolm Saint ist die reine Sünde, und ich bin zu einer schamlosen Sünderin geworden. Jetzt, da mein Job gelaufen ist, verlangt Saint etwas ganz Spezielles von mir. Etwas gänzlich Unerwartetes. Doch ich will nur eines von dem verführerischen Playboy: sein Herz! Wie kann ich aber einem Mann, der nichts und niemandem vertraut, beweisen, dass ich die einzig Wahre für ihn bin?

Auf den größten Sprung ins Ungewisse, den du je machen wirst.

Playlist

Grand Piano von Nicki Minaj

Out of Mind von Tove Lo

Thousand Miles von Tove Lo

Surrender von Cash Cash

Do I Want to Know von Arctic Monkeys

Begin Again von Purity Ring

Talking Body von Tove Lo

Sky Full of Stars von Coldplay

Sugar von Maroon 5

I Lived von OneRepublic

Gold Dust von Galantis

Thinking Out Loud von Ed Sheeran

My Heart is Open von Maroon 5 und Gwen Stefani

Peace von O. A. R.

Die Enthüllung des Malcolm Saint

Von R. Livingston

Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die mich völlig umgehauen hat. Eine Geschichte, die mich ins Leben zurückgeholt hat. Eine Geschichte, die mich zum Weinen, Lachen, Schreien, Lächeln und dann wieder zum Weinen gebracht hat. Eine Geschichte, die ich mir selbst wieder und wieder erzähle, bis ich mir jedes Lächeln, jedes Wort, jeden Gedanken eingeprägt habe. Eine Geschichte, die hoffentlich für immer ein Teil von mir sein wird.

Die Geschichte beginnt mit diesem Artikel. Es war ein ganz normaler Morgen bei Edge. Ein Morgen, der mir eine große Chance eröffnen sollte: eine Enthüllungsgeschichte über Malcolm Kyle Preston Logan Saint zu schreiben. Dieser Mann muss niemandem vorgestellt werden. Milliardär und Playboy, geliebter Frauenheld, Quelle zahlloser Spekulationen. Dieser Artikel sollte mir Türen öffnen, einer jungen, ehrgeizigen Reporterin eine Stimme geben.

Ich habe mich daraufgestürzt, es geschafft, ein Interview mit Malcolm Saint zu bekommen, um über Interface (seinen unglaublichen Facebook-Killer) und dessen sofortigen Erfolg zu sprechen. Weil die Stadt von diesem Menschen seit Jahren besessen ist, betrachtete ich mich als Glückspilz, in dieser Situation zu sein.

Ich war so konzentriert darauf, Malcolm Saint zu enttarnen, dass ich, was mich betraf, unachtsam wurde, und er mir im Grunde jedes Mal, wenn er sich mir öffnete, etwas über mich verriet. Dinge, die ich nie gewollt hatte, waren auf einmal alles, was ich wollte. Ich war entschlossen, mehr über diesen Mann herauszufinden. Das Geheimnis zu lüften. Warum war er so verschlossen? Warum war nichts für ihn je genug? Bald stellte ich fest, dass er kein Mann der vielen Worte war, sondern eher einer der richtigen Worte. Ein Mann der Tat. Ich sagte mir, dass jede noch so unbedeutende Information für den Artikel brauchbar war, doch das, was ich dringend wissen wollte, betraf im Grunde mich selbst.

Ich wollte alles wissen. Ich wollte ihn atmen. Ihn leben.

Und ganz unerwartet begann Saint, mir den Hof zu machen. Ehrlich. Ernsthaft. Und unnachgiebig. Ich konnte nicht glauben, dass er tatsächlich an mir interessiert war. Ich habe noch nie so viel Aufmerksamkeit bekommen, war noch nie so fasziniert. Ich hatte mich noch nie zu etwas – zu jemandem – so hingezogen gefühlt.

Ich hatte nicht erwartet, dass sich meine Story ändern würde, doch das tat sie. Storys neigen dazu; man stellt Recherchen über etwas an und kommt mit etwas völlig anderem zurück. Ich war nicht darauf aus, mich zu verlieben, ich war nicht darauf aus, meinen Verstand und gesunden Menschenverstand wegen der schönsten grünen Augen zu verlieren, die ich je gesehen hatte, ich war nicht darauf aus, mich vor Lust in den Wahnsinn treiben zu lassen. Doch ich habe ein Stück meiner Seele gefunden, ein kleines Stück, das in Wirklichkeit gar nicht so klein ist: es ist über einen Meter achtzig groß, mit breiten Schultern, Händen, die doppelt so groß sind wie meine, grünen Augen, dunklem Haar und es ist intelligent, ehrgeizig, freundlich, großzügig, mächtig, sexy und hat mich völlig in den Bann geschlagen.

Ich bereue es, sowohl ihn als auch mich selbst belogen zu haben; ich bereue es, aus Mangel an Erfahrung nicht erkannt zu haben, was ich in dem Moment empfand, als ich es empfand. Ich bereue es, nicht jede Sekunde, die ich mit ihm verbracht habe, noch mehr ausgekostet zu haben, weil ich diese Sekunden mehr als alles andere schätze.

Jedenfalls bereue ich diese Geschichte nicht. Seine Geschichte. Meine Geschichte. Unsere Geschichte.

Ich würde es wieder tun, für einen weiteren Augenblick mit ihm. Ich würde alles mit ihm wieder tun. Ich würde mich blindlings ins Leere stürzen, wenn es auch nur den Hauch einer Chance gäbe, dass er da wäre, um mich aufzufangen.

1

Vier Wochen

Ich bin so voller Hoffnung wie nie zuvor, als ich in den makellos glänzenden Aufzug im Firmengebäude von M4 trete. Einige Angestellte fahren mit mir nach oben und grüßen einander und mich flüchtig. Meine Zunge macht wohl gerade Urlaub, denn ich bringe keinen Laut über die Lippen, obwohl ich es versuche. Aber ich lächle als Antwort – ein nervöses Lächeln, aber voller Hoffnung, definitiv voller Hoffnung. Meine Mitfahrer steigen einer nach dem anderen auf ihren jeweiligen Etagen aus, bis ich allein bin und weiter nach oben fahre, zur Chefetage.

Zu ihm.

Zu dem Mann, den ich liebe.

In mir tobt es. In meinen Adern rauscht das Blut und meine Beine zittern. Mein Magen ist in Aufruhr, der nicht enden will und sich zu einer ausgewachsenen Revolte steigert, als der Aufzug mit einem Ting seine Etage erreicht.

Ein Schritt, und ich bin im Firmenhimmel. Hier ist alles aus Glas, Chrom oder Marmor. Aber ich habe nur Augen für die großen Mattglastüren am anderen Ende des Foyers.

Links und rechts davon stehen jeweils zwei seidig glänzende Designerschreibtische.

An den Schreibtischen aus poliertem dunklen Eichenholz sitzen vier Frauen in identischen schwarz-weißen Kostümen und arbeiten lautlos an ihren Flachbildschirmen.

Eine von ihnen, die vierzigjährige Catherine H. Ulysses – die rechte Hand des Mannes, dem das alles hier bis auf den letzten Stein gehört – hält inne, als sie mich sieht. Sie zieht eine Augenbraue hoch und wirkt dann angespannt und erleichtert zugleich, während sie nach dem Hörer greift und meinen Namen murmelt.

Mir stockt der Atem.

Aber Catherine zögert keine Sekunde und weist mich zu den riesigen Mattglastüren – diesen einschüchternden Türen, die in die Höhle des mächtigsten Mannes von Chicago führen.

Des menschlichen Wesens, das auf dieser Welt die größte Wirkung auf mich hat.

Darauf habe ich gewartet, seit vier Wochen. Das wollte ich mit den tausend SMS erreichen, die ich ihm geschickt habe, und auch mit den anderen tausend, die ich geschrieben, aber nicht abgeschickt habe: ihn sehen.

Dass er mich sehen will.

Aber während ich mich zwinge weiterzugehen, frage ich mich, ob ich die Kraft dazu haben werde, vor ihm zu stehen und ihm in die Augen zu sehen, nach dem, was ich ihm angetan habe.

Ich bin ein Wrack vor lauter Nervosität und gespannter Erwartung und Hoffnung – ja, ein kleiner, aber heller Funke –, obwohl ich zittere wie Espenlaub.

Catherine hält mir die Tür auf. Nur mit größter Mühe schaffe ich es, erhobenen Hauptes in sein Büro zu treten.

Nach weiteren zwei Schritten schließen sich die Glastüren hinter mir leise. Ich erstarre bei dem vertrauten Anblick des schönsten Büros, in dem ich jemals gewesen bin.

Es ist eine Landschaft aus Marmor und Chrom mit fast vier Meter hoher Decke und riesigen, wandhohen Fenstern.

Und da ist er. Der Mittelpunkt der Raumachse. Der Mittelpunkt meiner Welt.

Er geht an der Fensterfront auf und ab und spricht dabei mit leiser, tiefer Stimme in sein Headset. Mit der Stimme, die er benutzt, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Ich verstehe nur die Worte nicht zulassen, dass sie in seine Fänge gerät …

Er beendet das Gespräch und – als spüre er meine Anwesenheit – wendet sich mir zu. Seine Augen funkeln, als er mich sieht. Seine grünen Augen.

Seine mir auf schmerzhafte Weise vertrauten schönen, grünen Augen.

Er atmet sehr langsam ein, seine Brust hebt sich, und er krümmt leicht die Finger.

Ich erwidere seinen Blick.

Malcolm Kyle Preston Logan Saint.

Ich habe mich gerade in das Auge des mächtigsten Sturms meines Lebens begeben. Nein. Keines Sturms. Eines Hurrikans.

Seit vier Wochen habe ich ihn nicht gesehen. Und er sieht trotzdem noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Lebendiger als das Leben selbst und unwiderstehlicher als je zuvor.

Sein atemberaubendes Gesicht ist heute perfekt rasiert, und seine sinnlichen Lippen wirken so voll, dass ich sie fast auf meinen spüren kann. Über einen Meter zweiundneunzig perfekt kontrollierte Männlichkeit stehen vor mir im schwarzen Anzug und mit einer feinen Krawatte. Ein echter Teufel in Armani – athletisch gebaut, mit kantigem Kinn, glänzendem dunklen Haar und diesem durchdringenden Blick.

Seine Augen sind das Beste.

Sie funkeln erbarmungslos, wenn er mit mir flirtet, und auch, wenn er nicht mit mir flirtet. Sie sind mysteriös und unergründlich, abschätzig und intelligent. Sie lassen mich immer im Unklaren über das, was er denkt.

Aber ich habe vergessen, wie kalt diese Augen sein können. Grünes arktisches Eis erwidert jetzt meinen Blick. Jeder Eisfleck in diesen Augen funkelt wie ein diamantener Splitter.

Er beißt die Zähne zusammen und wirft sein Headset beiseite.

Er sieht so zugänglich aus wie eine Mauer, sein weißes Hemd spannt sich über seinen Schultern und liegt ihm so eng an, wie sich auch ein Groupie an ihn klammern würde. Aber ich weiß, dass er keine Mauer ist; ich hätte mich nie gegen eine Mauer werfen wollen.

Er kommt auf mich zu. Bei jedem seiner Schritte klopft mein Herz heftiger. Er hat den ruhigen, selbstbewussten Gang eines Mannes, der die Welt als sein Eigentum betrachtet.

Ein paar Schritte vor mir bleibt er stehen und steckt die Hände in die Hosentaschen. Er wirkt plötzlich so groß und er riecht so extrem gut. Ich senke den Blick auf seine Krawatte, während der kleine Hoffnungsschimmer, mit dem ich hereingekommen bin, schwächer wird.

»Malcolm …«, setze ich an.

»Saint tut es auch«, entgegnet er ruhig.

Darauf bleibt mir die Luft weg.

Ich warte, dass er etwas sagt – dass er mir sagt, wie scheiße ich bin –, und es schmerzt, dass er schweigt. Stattdessen höre ich eine Stimme von der Tür.

»Mr Saint«, sagt Catherine, »Stanford Merrick ist da.«

»Vielen Dank.« Saints auf unaufgeregte Weise machtvolle Stimme jagt mir unwillkürlich einen Schauer über den Rücken.

Peinlich berührt senke ich den Blick auf den glänzenden Marmorboden. Meine Schuhe – ich habe etwas angezogen, von dem ich dachte, dass ich darin gut aussähe. Gott, ich glaube, es ist ihm weder aufgefallen, noch interessiert es ihn überhaupt.

»Rachel, das ist Stanford Merrick aus der Personalabteilung.«

Meine Wangen werden heiß, als er Rachel sagt. Ich kann ihm immer noch nicht in die Augen sehen; stattdessen konzentriere ich mich darauf, Stanford Merrick die Hand zu schütteln.

Merrick ist durchschnittlich groß; sein Lächeln strahlt Freundlichkeit und Ruhe aus. Aber man nimmt ihn neben Saint kaum wahr.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Livingston«, begrüßt er mich.

Ein Sessel wird zurechtgerückt und Saint sagt leise: »Bitte.« Beim Klang seiner Stimme werden meine Knie weich.

Ich gehorche sofort, meide aber weiterhin seinen Blick, als ich mich setze.

Während Catherine uns mit Getränken versorgt und einschenkt, beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln.

Er öffnet den Knopf seines Jacketts und lässt sich mitten auf die lange, elfenbeinfarbene Ledercouch sinken. Mir direkt gegenüber.

Er sieht so finster aus in diesem schwarzen Anzug.

So finster im Kontrast zum Sonnenlicht und zur Farbe der Couch.

»Mr Saint, soll ich fortfahren oder wollen Sie selbst übernehmen?«, fragt Merrick.

Er wendet den Blick nicht von mir ab.

»Mr Saint?«

Er runzelt leicht die Stirn, als ihm bewusst wird, dass er nicht zugehört, sondern mich nur angesehen hat, und sagt: »Ja.«

Er lehnt sich zurück und legt einen Arm auf die Rückenlehne der Couch. Ich spüre seinen Blick, während Merrick Papiere aus einer Mappe nimmt und ich steif und angespannt auf meinem Platz sitze.

Saint strahlt heute eine geradezu überwältigende Energie aus und ist undurchschaubar. Ich kann nur an eines denken: Hasst du mich, Sin, meine Sünde?

»Wie lange sind Sie schon bei Edge, Miss Livingston?«, fragt sein Angestellter.

Ich zögere und bemerke, dass Saints Handy – er hat es neben sich auf der Couch liegen – langsam vibriert. Er streckt eine Hand aus und schaltet es mit einem Wisch des Daumens übers Display stumm.

Unwillkürlich zucken meine Mundwinkel.

Ich winde mich auf meinem Sessel. »Einige Jahre«, entgegne ich.

»Einzelkind, richtig?«

»Korrekt.«

»Hier steht, Sie hätten letztes Jahr den Preis der Journalistenvereinigung Chicago für eine Reportage gewonnen?«

»Ja. Ich …« Ich suche zwischen all den Tut-mir-leids und Ich-liebe-dichs, die mir durch den Kopf schwirren, nach Worten. »Es … war eine große Ehre, überhaupt nominiert zu werden.«

Saint lässt den Arm sinken, streicht sich mit dem Daumen über die Unterlippe und beugt sich ein wenig vor. Schweigend mustert er mich mit seinen intelligent leuchtenden Augen.

»Ich sehe hier, dass Sie schon bei Edge angefangen haben, bevor Sie an der Northwestern Ihren Abschluss hatten, richtig?«, fährt Merrick fort.

»Ja, in der Tat.« Ich zupfe am Ärmel meines Pullovers und versuche, mich auf seine Fragen zu konzentrieren.

Am Rande meiner Wahrnehmung bin ich mir weiterhin allem sehr bewusst, was er tut, Sin. Wie er an seinem Wasserglas nippt, wie er riecht, wie fest sich seine Finger um das Glas schließen.

Seines dunklen Haars, des schönen Schwungs seiner Wimpern, und wie sie seine Augen umrahmen. Seiner Lippen. Ohne den Anflug eines Lächelns.

Ich wende mich ihm zu; er scheint geradezu darauf gewartet zu haben.

Er sieht mich an, schaut so tief in mich hinein, wie nur er es vermag, und das Grün seiner Augen wird zu meiner ganzen Welt. Einer Welt aus arktischem, unerreichbarem, unzerstörbarem grünen Eis.

Nichts so Kühles sollte in der Lage sein, mich so heiß zu machen. Aber da ist Hitze in dem Eis. Eis brennt genauso sehr wie Feuer.

»Es tut mir leid, ich habe den Faden verloren.« Mit Gewalt reiße ich den Blick von ihm los.

Etwas verlegen wende ich mich wieder Merrick zu. Er sieht mich eigenartig und ein wenig mitleidig an. Auch Saint dreht sich zu Merrick um und bedenkt ihn mit einem unzufriedenen, aber nicht unbeherrschten Blick.

»Überspringen Sie den Mist, Merrick.«

»Natürlich, Mr Saint.«

Oh Gott. Saint hat bemerkt, dass sein Angestellter mich nervös macht. Ich laufe rot an wie eine Tomate.

»Miss Livingston«, beginnt Merrick wieder und hält inne, als käme jetzt etwas von fundamentaler Bedeutung. »Mr Saint möchte die Dienste für unsere Interface-Abonnenten ausweiten. Es wird neue Inhalte aus spezifischen Quellen geben, hauptsächlich von einer Gruppe junger Journalisten, Kolumnisten und Reportern, die wir einstellen wollen.«

Interface. Sein jüngstes Unternehmen. Wächst wie eine Lawine – eine Eigendynamik, die nicht zu unterschätzen ist – und hat auf dem Weg zu seiner heutigen Größe alle Barrieren der Technik und des Marktes überwunden. Es überrascht mich nicht, dass Saint für Interface das nächste Kapitel aufschlagen will. Es ist ein genialer Schachzug dieses bewundernswerten Geschäftsmannes. Der nächste logische Schritt für eine Firma, die gerade unter die zehn beliebtesten Arbeitgeber überhaupt aufgerückt ist.

»Das ist wunderbar, Malcolm. Ich finde die Idee super«, sage ich ihm.

Ohmeingott!

Habe ich ihn gerade Malcolm genannt?

Ich scheine ihn überrumpelt zu haben. Für den Bruchteil einer Sekunde verdunkeln sich seine Augen. Es ist, als braue sich in ihm ein Sturm zusammen … Aber einen Augenblick später hat er ihn schon wieder unterdrückt.

»Na, das hören wir doch gern«, kommentiert Merrick. »Wie Sie wissen, hat Mr Saint einen Blick für Talente, Miss Livingston. Und er möchte unmissverständlich klarmachen, dass er Sie an Bord holen will.«

Sin hat mich genau beobachtet, während Merrick sprach. Jetzt sieht er, wie das Lächeln auf meinem Gesicht erstirbt und durch einen schockierten Ausdruck ersetzt wird. »Sie bieten mir einen Job an?«

»Ja.« Merrick ist derjenige, der mir antwortet. »Allerdings, Miss Livingston. Einen Job bei M4.«

Ich bin vor Verblüffung sprachlos.

Ich senke den Blick, während ich das gerade Gehörte verdaue.

Sin möchte nicht mit mir sprechen.

Ich habe kaum eine Wirkung auf ihn.

Er hat mich nach vier Wochen hierfür herbestellt.

Ich sehe ihm in die Augen, und als unsere Blicke sich treffen, bricht etwas in mir. Es trifft mich wie ein Schlag. Ich zwinge mich, ihm weiter ins Gesicht zu sehen. Sein Ausdruck ist unergründlich. Als ich weiterspreche, gebe ich mir die größte Mühe, gefasst zu klingen. »Ein Job ist das Letzte, das ich von Ihnen erwartet habe. Ist das alles, was Sie von mir wollen?«

Er lehnt sich in einer flüssigen Bewegung vor, stützt sich mit den Ellbogen auf den Knien ab und sieht mich dabei unverwandt an. »Ich will, dass Sie das Angebot annehmen.«

Oh.

Gott.

Er klingt genauso streng wie in der Nacht, als er Besitzansprüche auf mich erhoben hatte …

Innerlich in Aufruhr wende ich meinen Blick ab und schaue für einen Moment aus dem Fenster. Ich möchte ihn Malcolm nennen, aber für mich ist er nicht mehr Malcolm. Er ist nicht einmal Saint, der mich gnadenlos heiß gemacht hat, bis ich nachgegeben habe. Er ist Malcolm Saint. Und er sieht mich an, als hätte er mich nie in den Armen gehalten.

»Sie wissen, dass ich meinen Job nicht einfach hinschmeißen kann«, antworte ich ihm und wende mich ihm wieder zu.

Meine Antwort scheint ihn nicht zu kümmern. »Wir zahlen, was Sie verlangen.«

Mit einem ungläubigen kurzen Lachen schüttle ich den Kopf und massiere mir die Schläfen.

»Merrick«, ist alles, was er sagt.

Und Merrick spricht sofort weiter.

Im Gegensatz zu Saints bequemer Haltung auf der Couch hockt Mr Merrick angespannt auf seinem Sessel und erklärt: »Wie ich bereits sagte, werden wir unseren Abonnenten Nachrichteninhalte anbieten, und Mr Saint ist schon immer sehr angetan gewesen von Ihrer Stimme. Er schätzt deren Ehrlichkeit und Ihre Standpunkte.«

Glühend heiße Röte breitet sich auf meiner Haut aus. »Vielen Dank. Ich fühle mich total geschmeichelt«, sage ich. »Aber es gibt wirklich nur eine Antwort«, füge ich atemlos hinzu, »und die habe ich Ihnen bereits gegeben.«

Mr Merrick drängt nach einem Blick von Saint weiter. »Dies ist unser Jobangebot. Binnen einer Woche brauchen wir eine Zu- oder Absage.«

Er breitet einen Satz Papiere auf dem Tisch aus.

Ich starre darauf, außerstande, zu registrieren, zu verstehen, was das zu bedeuten hat.

»Warum tun Sie das?«, frage ich.

»Weil ich’s kann.« Saint sieht mich seelenruhig an. Sein Blick ist streng. Sachlich sogar. »Ich habe Ihnen hier mehr zu bieten, als man Ihnen dort bieten kann, wo Sie jetzt sind.«

Er bewegt sich nicht, sitzt vollkommen reglos da, aber er hat meine Welt soeben total auf den Kopf gestellt.

»Nehmen Sie die Unterlagen, Rachel«, fordert er mich auf.

»Ich … will nicht.«

»Denken Sie darüber nach. Lesen Sie sie, bevor Sie mir absagen.«

Wir sehen uns einen Herzschlag zu lang an.

Er steht mit der Eleganz einer Katze auf. Malcolm Kyle Preston Logan Saint. CEO des mächtigsten Unternehmens der Stadt. Objekt der Begierde bei den Damen. So schwer fassbar wie ein Komet. Unerbittlich und skrupellos. »Meine Leute werden Sie Ende der Woche anrufen.«

Plötzlich frage ich mich, ob dieser Mann jemals aufhören wird, mich zu überraschen. Ich bewundere seine Gelassenheit zutiefst. Ich bewundere vieles an ihm. Wenn ich für einen Moment gedacht hatte, wir könnten die Sache miteinander ausfechten, hatte ich falsch gelegen. Saint wird seine Zeit nicht damit verschwenden. Er ist zu beschäftigt damit, seinen grenzenlosen Ambitionen nachzugehen und die Welt zu erobern.

Und ich? Ich versuche nur, meine Welt wieder aus den ganzen Trümmern zusammenzuflicken.

Ich atme ein und lege die Papiere wortlos zusammen. Ich nehme sie an mich, sage weder Auf Wiedersehen noch Danke noch überhaupt irgendetwas. Nur meine Absätze klacken laut, als ich gehe.

Ich öffne die Tür und kann nicht dagegen an, noch einen letzten verstohlenen Blick in sein Büro zu werfen. Ich sehe nur noch, wie er sich auf der Couch vorbeugt, sich übers Gesicht streicht und ausatmet.

»Brauchen Sie sonst noch etwas von mir, Mr Saint?«, fragt Merrick so, als bettele er geradezu um mehr Arbeit.

Als Saint den Kopf hebt, ertappt er mich dabei, dass ich ihn angucke. Wir starren uns regungslos an. Er wachsam, und ich mit all dem Bedauern, das ich empfinde. Es gibt so vieles, das ich ihm sagen will, aber nun gehe ich, ohne das zu tun, alle meine Worte in Schweigen verwandelt, als ich die Tür hinter mir zuziehe.

Seine Sekretärinnen schauen mir nach.

Leise betrete ich den Aufzug und betrachte mein Spiegelbild in den Stahltüren, während ich in die Lobby hinunterfahre. Vermutlich sehe ich hübsch aus, mit offenem Haar und Kleidern, die sich sanft und feminin an mich schmiegen. Aber als ich in meine Augen schaue, merke ich, dass ich so verloren aussehe, dass ich in mich eintauchen will, um mich selbst zu finden.

Und mir wird bewusst, dass Liebe so wechselhaft ist wie der Himmel oder das Meer: Immer da, aber nicht immer sonnig oder klar oder ruhig.

Draußen winke ich mir ein Taxi heran, und als wir losfahren, werfe ich noch einen kurzen Blick auf die schöne verspiegelte Fassade des Firmensitzes von M4. So erhaben. So undurchdringlich, denke ich, bis mein Handy summt.

WAS IST PASSIERT?

Habt ihr euch GEKÜSST UND VERTRAGEN?

VERRAT’S UNS! WYNN GEHT IN 3 MINUTEN UND WILL ES WISSEN

HAT ER DEINEN ARTIKEL GELESEN? Ist er DAHINGESCHMOLZEN?

Ich lese Ginas Nachrichten und bringe nicht mal die Energie auf, ihr zu antworten, als das Taxi sich in den Verkehr einfädelt.

»Wohin?«, fragt der Taxifahrer.

»Fahren Sie einfach ein Weilchen herum, bitte.«

Ich sehe mir Chicago an, eine Stadt, die ich liebe und die mir Angst macht, weil ich mich hier nie ganz sicher zu fühlen scheine. Alles sieht noch genauso aus wie vorher. In Chicago ist immer noch viel los. Es ist windig, dynamisch, modern, wundervoll und gefährlich. Es ist immer noch dieselbe Stadt, in der ich schon mein ganzes Leben lang wohne.

Die Stadt hat sich nicht verändert. Ich bin diejenige, die sich verändert hat.

Wie schon tausend Frauen vor mir, habe ich mich in den begehrtesten Junggesellen der Stadt verliebt, einen Milliardär und Playboy.

Jetzt werde ich nie wieder dieselbe sein.

Nach dem, was passiert ist, wird er nie mir gehören, genau, wie ich es immer befürchtet habe.

2

Vier Wochen + eine Stunde

»Ich bin nicht aus ihm schlau geworden. Keine Chance. Es war einfach zu viel, ihn zu sehen und all diese Dinge sagen zu wollen und gleichzeitig zu wissen, dass er mich bestimmt hasst und eigentlich gar nicht mit mir sprechen will.« Ich schaue weg und atme tief ein.

»Rachel.« Das scheint alles zu sein, was Gina sagen kann. Danach schweigt sie wie ein Grab.

Vor ein paar Minuten habe ich den Taxifahrer endlich gebeten, mich bei einem Starbucks rauszulassen, einfach nur, weil ich nicht nach Hause wollte. Gina ist sofort dorthin gekommen, und jetzt sitzen wir an einem der hinteren Tische in unserer eigenen kleinen Welt.

»Ich bin so traurig, Gina.« Ich verdecke meine Augen für eine Weile und stütze den Ellbogen auf den Tisch. »Jetzt ist es wirklich aus.«

»Scheiß drauf.« Gina schürzt die Lippen. Sie blickt wie üblich finster drein. »Juckt es ihn denn gar nicht, dass du dich in ihn verliebt hast, obwohl er ein Playboy ist – eine männliche Hure und was alles?«

»Gina!«, sage ich und sehe sie vorwurfsvoll an.

Sie schaut vorwurfsvoll zurück.

Ich sollte mit ihr überhaupt nicht darüber sprechen. Gina hat mich tausendmal gewarnt, dass es so kommen würde. Sie sagte, Lass die Finger von ihm, bis sie es schließlich leid wurde. Weil Saint einen Ruf hat und ich meine Arbeit zu erledigen hatte. Aber hätte ich es verhindern können, mich so hinreißen zu lassen?

Er ist ein Wirbelsturm und ich bin direkt in sein Zentrum gelaufen, als ich den Auftrag annahm, den Enthüllungsartikel zu schreiben.

Es war nicht Teil des Plans gewesen, mich in jemanden zu verlieben. Mich in einen Typen zu verlieben war überhaupt nie in meinem Leben vorgesehen gewesen. Gina und ich hätten für immer glückliche Singles bleiben sollen – Workaholics, beste Freundinnen fürs Leben und in engem Kontakt mit unseren Familien. Ihr war schon einmal das Herz gebrochen worden, und sie hatte es mir in allen Einzelheiten erzählt, damit ich so etwas nicht auch durchmachen müsste. Und so hatte ich mich dagegen gewappnet. Ich war nie so an Männern interessiert wie daran, meine Karriere voranzutreiben. Aber Saint ist nicht einfach irgendein Mann. Er hat mich nicht einfach irgendwie verführt. Und was wir hatten, war nicht bloß … irgendetwas.

Ich bin Kolumnistin und sollte deswegen auch ein prägnantes Wort kennen, um ihn zu beschreiben, aber ich habe keins außer »Sin«.

Er ist berauschend und macht süchtig. Ein Frauenheld, der sein Spiel beherrscht. Ein Milliardär, der es gewohnt ist, um Gefallen gebeten zu werden – und ja, ich hasse die Tatsache, dass er den Eindruck gehabt haben muss, dass ich genau wie jede andere Person in seinem Leben etwas von ihm wollte.

Nein, Rachel, du bist nicht wie der Rest. Du bist schlimmer.

Er schläft vier Nächte lang mit einem Groupie, oder mit vier Groupies in einer Nacht. Er gibt ihnen nichts von sich selbst. Vielleicht gibt er ihnen einen Scheck für die Wohltätigkeitsorganisationen, für die sie darum bitten. Einmal habe ich das mitbekommen. Seinem Konto macht das nichts. Er lässt sich von ihnen auf seiner Yacht mit Weintrauben füttern, wenn sie das möchten. Er wird von den Frauen zu sehr verwöhnt, um sie davon abzuhalten. Aber er würdigt sie nicht mal eines flüchtigen Blickes, wenn sie gehen. Und bei dir, Rachel? Er hat dich reingelassen. Er hat dich auf seiner Yacht mit einer Weintraube gefüttert. Als du in der Wildnis gezeltet hast, hat er dich besucht – nicht, weil er gern draußen schläft, sondern deinetwegen. Er hat dir von der Zahl vier erzählt, seiner Glückszahl. Sie ist das Symbol dafür, dass er alle Normen gesprengt hat und ganz nach oben gelangt ist. Oh Gott, mir war noch nie so sehr bewusst, wie weit er sich mir gegenüber geöffnet hat, bis ich heute vor ihm stand, ganz von dem ausgeschlossen, was mein persönliches Paradies geworden war.

»Ich hätte ihm so vieles gesagt, wenn sein Angestellter nicht das Gespräch über das Stellenangebot geführt hätte.« Ich bringe die Unterlagen zum Vorschein und reiche sie ihr. »Ich konnte mich kaum darauf konzentrieren mit Saint im selben Raum. Selbst sein Angestellter hat das gespürt.«

Sie liest flüsternd. »Stellenangebot für Rachel Livingston …« Sie lässt die Unterlagen sinken und sieht mich mit ihren dunklen, sinnlichen Augen an. Ihr Blick ist jetzt genauso ratlos, wie ich mich fühle.

»Interface wird um einen Nachrichtendienst erweitert«, erkläre ich.

Sie starrt auf die Unterlagen. »Wenn du das Angebot ausschlägst, nehme ich es.«

Ich versetze ihr unter dem Tisch einen Tritt. »Bleib ernst.«

»Ich brauche mehr Zucker.« Sie holt ihn sich von der Theke, und als sie zurückkehrt, kippt sie das kleine Päckchen Zucker in ihren Kaffee und rührt um.

»Was hat denn ein Mann wie er, der Firmenchef, überhaupt bei so einem Gespräch verloren?«, fragt sie missbilligend. »Saint ist zu clever, Rachel. Er wollte sichergehen, dass du auftauchst. Er willdich verdammt noch mal dabeihaben. Er bietet Krankenversicherung für deine nächsten Verwandten an. Deine Mutter. Weißt du, was das arbeitstechnisch für dich bedeutet?«

Meine Mutter ist meine Schwachstelle.

Ja, ich weiß, was das bedeutet.

Saint bietet mir … die ganze Welt.

Aber eine Welt ohne ihn ist momentan gar nichts.

»Rachel, obwohl Edge beträchtliche Aufmerksamkeit in der Presse hat, seit …« Sie wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, weil sie weiß, dass ich mich nicht gerne an den Artikel erinnere, und fügt hinzu: »Aber wie lange wird das anhalten? Edge hängt nach wie vor am seidenen Faden.« Sie nippt an ihrem Kaffee. »Und Interface ist Interface. Die kennen nur eine Richtung: nach oben. Rachel, M4, das ist … der Wahnsinn. Keiner von uns hat je auch nur davon geträumt, dort zu arbeiten. Die stellen nur so was wie Genies ein, aus dem ganzen Land.«

»Ich weiß«, flüstere ich.

Warum also will Saint mich ins Boot holen? Er kann haben, wen er will. In jedem Sinne.

»Ich wette, Wynn würde dir raten, Ja zu sagen. Wir brauchen ihren Rat; sie ist die Einzige, die in einer Beziehung ist.«

»Gina, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Ich liebe dich zu einem Mann gesagt. Ich würde ihn mir nie im Leben als meinen Chef aussuchen.« Gequält füge ich hinzu: »Und Saint fängt keine Beziehungen mit seinen Angestellten an.«

Sie sieht mich besorgt an. »Und du willst ihn mehr als den Job.«

Ich schäme mich so, Ja zu sagen, weil ich den Job nicht verdiene. Nicht mal, ihn zu wollen. Aber ich senke den Kopf und nicke.

In mir ist ein Loch. So groß und leer, dass alles, was in meinem Leben schön sein sollte, sich ohne ihn wie nichts anfühlt.

Gina liest das Schreiben erneut durch, schüttelt den Kopf, faltet es und gibt es mir zurück. Ich bin derweil immer noch im Firmensitz von M4, in der obersten Etage. In dem Büro aus Marmor, Chrom und Glas. Und ich habe seinen Geruch noch immer in der Nase. Meine Synapsen sind nicht zu bremsen, sie wiederholen die Szene in seinem Büro immer wieder. Jedes Wort, das er gesagt hat. Jedes Wort, von dem ich gehofft hatte, dass er es sagen würde und das er nicht gesagt hat. Alle Grüntöne, die ich je in seinen Augen gesehen habe, sind für mich verloren – außer diesem neuen kalten Grünton, den ich nie zuvor gesehen hatte.

Ich durchlebe erneut, wie er mich gemustert hat, als Merrick das Gespräch mit mir geführt hat. Die Erinnerung an seine Stimme. An das Gefühl, in seiner Nähe zu stehen.

Daran, wie er ausgeatmet hat, als ich ging, als hätte er gerade irgendeinen körperlichen Kampf ausgetragen.

Und wie sein Blick im Anschluss daran auf mir lag. Mich festhielt.

Als Gina und ich nach Hause laufen, bin ich froh darüber, meiner Mutter nichts von meinem heutigen Treffen mit ihm erzählt zu haben. Sie hätte sich für mich Hoffnungen gemacht, und ich hätte es gehasst, sie jetzt wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen zu müssen. Die Unterlagen stecken wieder in meiner Tasche, und als wir endlich in unserer kleinen, aber gemütlichen Dreizimmerwohnung angelangt sind, gehe ich in mein Zimmer, mache die Tür zu, lasse mich aufs Bett fallen und hole die Unterlagen wieder hervor.

Es ist ein ganz normales Angebot. Ich überfliege die Seiten jetzt und sehe die Zusatzleistungen, die mir geboten werden, ein Gehalt, das ich nicht verdiene und das für gewöhnlich nur preisgekrönte Kolumnisten mit viel mehr Erfahrung bekommen würden … aber dann entdecke ich etwas, das mich wirklich trifft.

Saints Unterschrift unter dem Vertrag.

Ich halte den Atem an und streichele zart darüber. Es liegt eine ganz eigene Energie in ihr, wie ein Stempel, der dem Papier ein gewisses Gewicht verleiht.

Ich krieche unter mein Bett und angele mir den Schuhkarton, in dem ich kleine Dinge aufbewahre, die mir am Herzen liegen. Eine goldene Kette mit einem R, die meine Mutter mir geschenkt hat. Instinktiv lege ich die Kette an, um mich daran zu erinnern, wer ich bin. Tochter, Frau, Mädchen, Mensch. Ich lege einige der Geburtstagskarten von Wynn und Gina beiseite. Und finde ein Kärtchen. Das Kärtchen, das einst an dem schönsten Blumenstrauß hing, der mir ins Büro geschickt wurde.

Ich nehme das beige Kärtchen und öffne es … und lese.

Es war das erste Mal, dass ich seine Handschrift sah. Seine Nachricht endet mit: von einem Mann …, der an dich denkt. M. S.

Immer noch angezogen rolle ich mich auf dem Bett zusammen und betrachte die Karte.

Mein Freund.

Nein. Mein Auftrag, die Story, von der ich dachte, dass ich sie wollte, der Playboy der Stadt, der mein Freund wurde, mein Liebhaber wurde, meine Liebe wurde.

Nun will er mein Chef werden und ich will ihn mehr denn je.

3

Mein Leben jetzt

Ich liege auf dem Bett und er verteilt eine Reihe sinnlicher Gänsehautküsschen hinter meinem Ohr. Ich spüre seine glatte Haut an meiner, seine gestählten Muskeln und sein Sixpack an meinem Bauch und vergesse darüber fast zu atmen. Oh Gott. Ich halte ihn nicht aus. Ich will ihn mit Küssen auffressen und will, dass er mich auch auffrisst, jede Faser meines Körpers. Und er soll am besten überall gleichzeitig damit anfangen.

Er nimmt meine Hände, legt sie sich auf die Schultern und bedeckt meinen Mund mit seinem. »Aufmachen, Rachel«, murmelt er und schaut mich an. Ich bilde mir ein, sogar im Dunkeln zu sehen, wie grün seine Augen sind.

»Bist du echt?«, hauche ich. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich atme schwer.

Er sieht mich so vertraut an. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Traum oder eine Erinnerung ist, als er an meinen Armen hinaufstreicht. Ich schließe die Augen. Oh Gott, Sin. Er fühlt sich so gut an. Ich flüstere seinen Namen und lasse meine Hände zittrig zu den harten Muskeln an seiner Brust hochwandern. Gott, er fühlt sich so echt an. So wunderbar echt. Er fühlt sich so an wie früher, bewegt sich wie früher, küsst wie früher, beherrscht mich wie früher.

Er drückt mich mit seinem Gewicht nieder. Ich winde mich und wölbe den Rücken um noch dichter an ihn heranzukommen, und ich bebe unter seinem langen, starken Leib.

Ich kralle mich in seine Schultern – anscheinend will er genau das. Er legt mir die Hände um die Taille und küsst mich weiter auf den Hals, langsam und prickelnd. Das Verlangen trifft meine Mitte wie ein Schlag. Meine Haut schreit, während ich brenne. Ich will es. Will seine Hände überall, seine Berührungen spüren, von Kopf bis Fuß. Seinen Mund. Oh, ja bitte.

»Malcolm, bitte jetzt, bitte jetzt … rein … jetzt«, höre ich mich betteln.

Er hat es nicht eilig. Er hat es niemals eilig. Er legt sich meine Beine um die Hüften und arbeitet sich mit Küssen nach oben zu meinem Mund vor. Es ist schon Ewigkeiten her, dass ich dieses Gefühl hatte. Das Gefühl seiner Lippen an meinem Mundwinkel. Ich spüre, wie meine Augen wässrig werden. Jeder Zoll von mir vermisst jeden Zoll von ihm. In stummem Verlangen reibe ich mein Becken an ihm, und in der nächsten Sekunde spüre ich, wie er in mich eindringt.

Der Laut reißt mich aus dem Schlaf. Ein leises Wimmern, das ich von mir gebe. Es klingt nach purer Lust, solch absoluter Lust, dass es fast schmerzt. Schweißgebadet richte ich mich im Bett auf. Ich blicke mich um und wische mir zittrig über die nasse Gesichtshälfte. Aber nein, er ist nicht in mein Bett zurückgekehrt. Ich weine nachts immer noch, ich sehne mich nachts immer noch nach ihm.

Ich ziehe die Knie an, schließe die Arme um meine Beine, bette die Wange auf die Knie und atme langsam aus. Ich muss diese Mischung aus Traum und Erinnerung aus meinen Gedanken vertreiben. Ich gehe ins Badezimmer, wasche mir das Gesicht und betrachte meine Augen im Spiegel. Ich bin immer noch das verlorene Mädchen aus dem Fahrstuhl. Wann wurde ich zu diesem Mädchen? Ich bin nicht dieses Mädchen, denke ich frustriert und stampfe in mein Zimmer.

Ich lege mich wieder ins Bett, ziehe mir die Decke bis unters Kinn, schmiege mich ins Kissen und versetze ihm einen Schlag. Dann starre ich mit leerem Blick auf das Fenster. Von der Straße her dringt etwas Licht in mein Zimmer. Wenn man ganz genau hinhört, kann man die Stadt hören. Ich frage mich, wo er in diesem Augenblick sein mag.

Verdammt, du verfolgst mich, Sin.

Verdammt, du verfolgst mich jede Sekunde.

Ich kann nicht schlafen und nur daran denken, wie ich mich in deiner Nähe fühle. Wenn du mich ansiehst. Wenn du im selben Raum bist.

So wie du dich in deinem Büro gegeben hast, … konnte ich dich nicht durchschauen. Ich konnte dich nicht durchschauen und das macht mich fertig.

Als ich das Licht anmache, habe ich den Kampf verloren, den ich seit einem ganzen Monat mit mir führe.

Ich hole mir meinen Laptop, fahre ihn hoch und tue dann etwas, das ich seit einiger Zeit nicht mehr getan habe. Gina hatte es mir verboten. Ich hatte es mir selbst verboten, um zu überleben. Und um nicht den Verstand zu verlieren. Ich habe mich dort schon so lange nicht mehr eingeloggt, dass es nicht mal mehr in meinem Browserverlauf auftaucht. Aber jetzt scrolle ich durch Saints Social Media und bereite mich auf das vor, was ich finden werde. Ich weiß nicht, wonach ich suche. Oder vielleicht doch. Ich suche nach etwas, irgendetwas, das mich und ihn verbindet.

Hey @MalcolmSaint Ich bins, Leyla, Danis Freundin;)

@MalcolmSaint Hey Bro komm zu uns ins Raze

@malcolmsaint ist ohne die Bitch, die ihn betrogen hat, besser dran

Heirate mich, @malcolmsaint!

@Malcolmsaint Ich werde deine Schlampe sein und deine verlogene Ex beim Schlammcatchen kaltmachen, wenn’s sein muss!

@MalcolmSaint wirst du deiner Freundin verzeihen? BITTE vergib ihr, ihr seid so ein schönes Pärchen!

Wo wir gerade von Schlampen sprechen, @MalcolmSaint muss es ja wissen

@Malcolmsaint Bitte sag mir, dass du deiner Exfreundin gesagt hast, dass sie dich am Arsch lecken kann. DU VERDIENST JEMANDEN VIEL BESSERES DU VERDIENST EINE PRINZESSIN

Interface-Gästebuch:

Bro! Ruf uns an, wenn du in der Stadt bist, hier ist jemand, den wir dir vorstellen wollen

Und dann ist da ein Foto von einer Frau, die ihm ein Küsschen zuwirft.

Ich betrachte finster ihre vorstehenden Nippel, die in ihrem nassen Designeroberteil gut zu erkennen sind.

Dann scrolle ich durch die Bilder, auf denen er getaggt ist, und finde eins von ihm. Er zeigt einem Reporter, der sich nach meinem Verrat erkundigt, den Stinkefinger. Seine Augen sind von einer coolen Pilotensonnenbrille verdeckt und sein Kiefer wirkt so hart wie ein Brocken Granit.

Gott steh mir bei. Nun, da ich einmal angefangen habe nachzugucken, kann ich nicht aufhören. In einem berühmten lokalen VLOG finde ich das hier:

»Natürlich ist darüber spekuliert worden, ob sein waghalsiges Benehmen in den letzten Wochen mit der erst kürzlich erfolgten Trennung von der Journalistin Rachel Livingston zusammenhängt. Gerüchten zufolge hatte er mit ihr seine erste ernsthafte Beziehung überhaupt. Livingston recherchierte über Saint, als sie ihn kennenlernte, und ihre Beziehung endete in einem riesigen Streit, als ihre Recherchen geleakt wurden und ihr Artikel über Saint kurze Zeit später auf Edgeerschien. Gerüchte, denen zufolge M4 einen Nachrichtendienst in seine Interface-Medienwebsite integrieren will, lebten wieder auf, als Livingston jüngst im Firmengebäude von M4 gesehen wurde …«

»Seither hat Saint sich die Zeit mit Fallschirmspringen vertrieben, und einem Zeugen zufolge in einem Tempo Firmen aufgekauft, das den Aufsichtsrat in Sorge versetzt …«

Und auf Facebook:

#TBT ThrowbackThursday: erinnert ihr euch noch an dieses Bild? Wir hatten Wetten abgeschlossen, wie lange es halten würde, aber niemand hatte damit gerechnet, dass es so lange halten würde! Ich weiß, dass es den Anschein hat, als habe sie dich verarscht, aber wir wissen es besser, denn niemand beherrscht dieses Spiel so gut wie du – hoffe, du hast es ihr ordentlich besorgt!

Ich starre auf den Bildschirm. Plötzlich wird mir speiübel, als ich mich frage, was auch er alles gelesen haben muss. Denkt er so von mir? Hält er mich für eine Schlampe? Eine Schlampe und Nutte, die sich für Informationen in sein Bett »gehurt« hat? Mit Entsetzen stelle ich fest, dass meine Worte gar nicht zählen. Obwohl ich diesen Artikel mit meinem Herzblut geschrieben habe – Helen sagt, es sei ein Liebesbrief an ihn gewesen –, aber meine Taten haben das alles zunichtegemacht.

Saint schätzt Ehrlichkeit und Loyalität.

Ich ertrage es nicht.

Ich öffne mein Mailprogramm und durchstöbere die Mails, die ich von ihm bekommen habe.

Auch wenn das mein Untergang ist.

Auch wenn er das Unerreichbarste auf der Welt und so weit entfernt ist, dass ich mich in den Orbit schießen müsste, damit er in greifbare Nähe rückt. Er ist mein persönlicher Mond …

Bei »Beendet die Gewalt« scheine ich immer zu warten, ob ich etwas tun könnte, um denen zu helfen, die einen schlimmen Verlust erlitten haben. Ich warte darauf, dass der Zustand meiner Mutter sich stabilisiert. Warte auf die richtige Story.

Ich will nicht mehr warten.

Ich will nicht mehr auf die Story warten, auf den richtigen Moment warten, auf die Muse warten, darauf warten, ihn zu vergessen, darauf warten, dass er mich will, warten, um zu sehen, ob die Zeit für mich arbeitet und mir hilft, alles zwischen ihm und mir wieder in Ordnung zu bringen.

So nervös wie nie, aber ebenso entschlossen, klicke ich seine E-Mail-Adresse bei M4 an. Die, die wir damals benutzt haben, als ich ihn die ersten Male interviewt habe. Ich habe keine Ahnung, wer diese E-Mail zu Gesicht bekommen wird, aber ich wahre den professionellen Umgangston und fasse mich kurz, weil ich weiß, dass das meine beste Chance ist.

Mr Saint,

ich weiß Ihr Angebot sehr zu schätzen und würde es gerne genauer mit Ihnen besprechen. Könnten Sie mich freundlicherweise wissen lassen, ob es Ihnen zu irgendeiner Zeit recht wäre, wenn ich in Ihrem Büro vorstellig würde? Ich richte mich ganz nach Ihren Terminen.

Vielen Dank

Rachel

4

Arbeit und Schreiben

Ich habe nur drei Stunden geschlafen, aber ich bin am nächsten Morgen fest entschlossen, etwas aus dem Tag zu machen. Ich lächle sogar einige Fremde an, als ich aus dem Taxi steige und auf dem Weg in die Büros von Edge in den Aufzug trete. Ich plaudere mit ein paar Kollegen, während wir uns Kaffee holen, rufe meine Mutter an, um ihr einen guten Morgen zu wünschen, und beantworte ein paar E-Mails von meinen Quellen.

Insgeheim bin ich immer noch ein bisschen aufgedreht.

Immer noch starre ich in grüne Augen, wenn ich … irgendetwas anstarre.

Ich sehe volle Lippen.

Volle Lippen, die mich so anlächeln wie damals.

Langsam atme ich aus und gebe mein Bestes, den Gedanken an gestern zu verdrängen. Mein Blick verharrt auf dem Bildschirm meines Computers.

Dem sehr leeren, sehr weißen Bildschirm.

Tastaturen klacken, Reporter tauschen sich über die Stellwände ihrer Arbeitsplätze hinweg aus. Mit Edge geht es ein wenig bergauf seit meinem Liebesbrief an Saint. Keine weiteren Stellen wurden gestrichen, zwei neue Journalisten sind angeheuert worden, und obwohl wir nur zu zwölft sind, gelingt es uns irgendwie, uns Gehör zu verschaffen. Junge, Junge, verschaffen wir uns Gehör. Wir sind Spezialisten, wenn es darum geht, jede Alltäglichkeit wichtiger wirken zu lassen, als sie ist. Schließlich ist es unsere Aufgabe, Neuigkeiten aufzuspüren. Storys daraus zu machen.

Schreib etwas, Rachel.

Ich atme ein, lege die Finger auf die Tasten und zwinge mich, ein Wort zu schreiben. Und aus einem werden zwei und dann halten meine Finger inne. Ich habe keinen Saft mehr. Keine Ideen mehr. Leer.

Ich lese, was ich geschrieben habe.

MALCOLM SAINT

Zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich eine Schreibblockade. Die ganze Freude, die mir das Geschichtenerzählen bereitet hat – sie rührte aus einer Zeit, als ich sehr jung war und Geschichten über meine Mutter zusammengebastelt habe –, ist an dem Tag verschwunden, an dem eine dieser Geschichten mir etwas Unbezahlbares genommen hat.

Etwas namens …

MALCOLM SAINT.

Ich habe Helen in letzter Zeit immer wieder angefleht, mir die guten Themen zu geben. Etwas, das mich motiviert und mir das Gefühl vermittelt, mit meinen Worten etwas zu bewirken. Aber sie hat mich hingehalten und hatte Dutzende Ausreden parat. Es sei definitiv kein guter Zeitpunkt für einen großen Artikel, wenn schon die kleinen mir Schwierigkeiten machten.

Ich tippe auf die Löschtaste und sehe zu, wie der Name verschwindet.

MALCOLM SAIN

MALCOLM SAI

MALCOLM SA

MALCOLM S

MALCOLM

Oh Gott.

Ich schließe die Augen und lösche den Rest.

Reflexartig greife ich nach meiner Tasche, die ich über meinen Stuhl gehängt habe, mit dem gefalteten Blatt Papier darin. Ich nehme es heraus, falte es auseinander und lasse meinen Blick direkt nach unten wandern. Zu der sehr kunstvollen, männlichen Unterschrift darauf.

Malcolm KPL Saint.

Der Typ, der meine Welt auf den Kopf stellt. Der Anblick der Unterschrift auf dem Blatt löst in mir alle möglichen schmerzhaften Gefühle aus.

»Rachel!«, ruft Sandy mich vom anderen Ende des Großraumbüros. Ich verstaue das Blatt Papier wieder in der Tasche, spähe aus meinem Kabuff und sehe, dass sie auf die Glasfläche zeigt, die Helen, meine Redakteurin, von uns allen trennt.

»Du bist dran!«, ruft sie.

Ich schnappe mir meine Notizen, die ich ihr auch schon per E-Mail geschickt habe, und mache mich auf den Weg. Ich bleibe an der offenen Tür ihres Büros stehen. Sie telefoniert und bedeutet mir, zu warten.

»Oh, absolut! Abendessen also. Ich werde mich von meiner besten Seite zeigen«, versichert sie ihrem Gesprächspartner und winkt mich herein, als sie auflegt. Sie strahlt.

Nun. Sie hat heute gute Laune.

»Hey Helen«, sage ich. »Hast du dir die Vorschläge angesehen, die ich dir geschickt habe?«

»Ja, und die Antwort ist nein.« Ihr Lächeln erstirbt und sie wirft mir einen Blick zu. »Davon schreibst du nichts.« Seufzend schiebt sie einige Papiere auf ihrem Schreibtisch zusammen. »Rachel, niemand will etwas über irgendwelche Unruhen hören.« Das Wort Unruhen klingt aus ihrem Mund so, als würde sie von Exkrementen sprechen. »Du hast eine lebhafte, energiegeladene Stimme!«, fährt sie fort. »Benutze sie, um die Menschen glücklich zu machen, statt dich darauf zu konzentrieren, was alles schiefläuft auf der Welt. Erzähl uns, was richtig läuft. Was ist das richtige Outfit für Dates mit einem heißen Typen? Nutze das, was du mit deinem heißen Ex erlebt hast, um den Mädels da draußen ein paar Tipps zu geben, wie man ein Date richtig angeht.«

»ICH BIN SINGLE, HELEN – hallo? Niemand will Beziehungsratschläge von jemandem lesen, der seine einzige Chance vermasselt hat …« Meine Stimme verliert sich und ich reibe mir die Schläfen. »Helen, du weißt, dass ich da ein kleines Problem habe.«

»Dass du nicht schreiben kannst?«

Ich zucke zusammen.

Es tut weh, weil ich seit über zwanzig Jahren nichts anders tun wollte als zu schreiben.

»Na los.« Helen hebt genervt die Augenbrauen und zeigt auf die Tür. »Schreib mir etwas darüber, wie man sich fürs erste Date anzieht.«

»Helen …« Stattdessen gehe ich einige Schritte auf sie zu. »Helen, wir haben darüber doch schon gesprochen. Das weißt du doch! Wie sehr ich darüber schreiben möchte, was auf der Welt und in Chicago schiefläuft. Ich möchte über die Menschen aus Problemvierteln berichten, die Gewalt auf der Straße, und obwohl du mir Chancen versprochen hast, hast du mir keine einzige gegeben. Tatsächlich dreht es sich in der Sharpest-Edge-Kolumne in letzter Zeit hauptsächlich um das Singledasein und die Partnersuche in der Stadt. Ich habe keinen Freund und gehe mit niemandem aus. Ich habe auch kein Interesse an Dates, besonders nach dem, was passiert ist. Ich frage mich immer wieder, ob meine Schreibblockade nicht verschwinden würde … wenn du mir eine Story gibst, über die ich mit Leidenschaft berichten kann. Tatsächlich bin ich mir da ganz sicher«, flehe ich sie an.

»Wir können nicht immer schreiben, worüber wir wollen. Wir müssen auch an die anderen denken, und deine Leser«, ruft sie mir ins Gedächtnis. »Die treue Leserschaft, die dich schon während deiner ganzen Karriere begleitet, ist an Beziehungsratschlägen von dir interessiert. Du hast einen körperlich sehr präsenten und berühmten Mann gedatet; wirf diese Lebenserfahrung nicht einfach weg. Es werden sich dir andere Gelegenheiten bieten, Rachel. Wir haben gerade erst mit knapper Not etwas Aufwind. Und ich brauche dich zunächst auf sicherem Boden, bevor wir dich wieder über etwas anderes schreiben lassen.«

»Aber wollten wir jetzt nicht mehr riskieren, um weiterzukommen?«

»Nein. Unsere Inhaber wollen zurzeit keine weiteren Risiken, während sich die Lage stabilisiert. Also bitte. Kannst du mich mal ein paar Wochen mit dem Gerede über Aufstände und Sicherheit verschonen? Kannst du mir den Gefallen tun?«

Ich zwinge mich zu nicken, schürze die Lippen und gehe. Ich gebe mir Mühe, nicht zornig und frustriert zu sein, aber als ich hinausgehe und all die Tastaturen klacken höre, die Kollegen ihre Storys tippen sehe – manche gelangweilt, andere glücklich oder gedankenverloren –, kann ich nicht anders als mir geradezu schmerzhaft herbeizusehnen, etwas zu schreiben, das mir so unter die Haut geht, dass man es mir ansieht.

»Hey. Du da. Mit dem goldenen Haar, der tollen Figur, aber dem total düsteren Gesichtsausdruck«, ruft Valentine von seinem Arbeitsplatz, als ich vorbeikomme.

»Danke«, sage ich.

Er winkt mich an seinen Computer und ich bleibe hinter ihm stehen, beuge mich vor und spähe auf den Bildschirm.

Und da ist Sin.

Ein Video, das zeigt, welche Macht selbst in seinen kleinsten Gesten liegt. Ich schmelze dahin, als ich ihn auf eine Frage in einer Art Interview antworten höre. Es geht um seine Meinung zum Stand der Ölpreise. Dummes,dummes schmelzendes Fleisch.

Nachdem wir beide für einen Moment zusehen, sagt Valentine: »Dein Ex.«

Er ist nicht mein Ex, denke ich traurig und wünsche mir, dass ich auch nur für einen Augenblick den Mut hätte, diesen Titel zu tragen.

»Er weiß wirklich, wie man Aufmerksamkeit bekommt. Er ist dieses Wochenende der Hauptredner im McCormick Place. Ich werde Helen vielleicht bitten, mich hinzuschicken. Es sei denn, du willst gehen?« Val wirft mir über die Schulter einen Blick zu.

Ich schüttle frustriert den Kopf, dann zucke ich mit den Schultern und dann nicke ich. »Würde ich gern, aber ich kann nicht.«

Valentines Augen trüben sich auf meine Worte hin; es liegt sicher daran, dass er sich an die Hassmails erinnert, die wir nach Victorias Artikel bekommen haben. »Du musst mehr aus dem Haus kommen. Willst du am Wochenende mit mir und meiner Derzeitigen durch die Clubs ziehen?«

»Ich gehe dieses Wochenende zelten. Aber tob dich ruhig weiter für mich mit aus. Ich werde die Kaution für deine Freilassung aus dem Knast schon irgendwo auftreiben.«

Er lacht, während ich zu meinem Schreibtisch zurückkehre und mich auf den Stuhl sinken lasse. Ich bin fest entschlossen, diesen Tiefpunkt zu überwinden. Ich will etwas wirklich Gutes zum Dating schreiben, etwas, das jedem Mädchen wie mir hilft, den zu treffen und zu ködern, auf den sie steht.

Ich atme tief durch, öffne den Browser und durchsuche die Dating-Foren. Ich möchte erst mal herausfinden, worüber sich die Mädels am meisten Gedanken machen, wenn sie zu einem ersten Date gehen. Aber bevor ich weiß, wie mir geschieht, öffne ich schon einen anderen Tab. Dann klicke ich auf den Link zu einer Pressekonferenz. Dann setze ich meinen Kopfhörer auf, drehe die Lautstärke hoch und starre Saint in dem Video an.

Er steht hinter einem Podium, das im Freien aufgebaut wurde. Hinten stehen die Menschen – alle Stühle sind besetzt. Mehrheitlich von Geschäftsmännern. Dennoch entdecke ich auch ein paar schmachtende Fangirls in der Nähe.

Seine Haare werden vom Wind etwas zerzaust. Seine Stimme ertönt aus den Kopfhörern, leise und tief. Obwohl seine Stimme aus einem Computer kommt und er nicht mit mir direkt spricht, bekomme ich eine Gänsehaut. Dumme, dumme Haut.

Die Kamera zoomt näher heran und ich betrachte seine Augen, während er das Publikum in seinen Bann zieht. Ich spüre einen Stich, weil der Blick in seinen Augen jetzt, da er zu all diesen Fremden spricht, viel persönlicher ist als gestern, als er mich voller Misstrauen angesehen hat.

Aber ich denke daran, wie heiß seine Augen glühten, als er mir sein Shirt auszog, dass ich längst zu Asche verbrannt war, als ich nackt dalag und darauf wartete, dass er mich berührte …

Und wie seine Augen voller neckender, jungenhafter Hoffnung schimmerten, wenn er mich ansah und mich immer wieder fragte, geduldig und gnadenlos, ob ich seine Freundin sein wolle.

Ich hasse es, nie, nie wieder sein »Kleines« zu sein.

Ich spiele den ganzen Tag Roulette mit dem Posteingang … und von ihm kommt nichts.

Am Ende bringe ich nur zwei Sätze für meinen Artikel über das Daten zustande. Valentine und Sandy wollen sich in der Nähe Sandwiches holen, und als wir durchs Foyer gehen, sagt Valentine: »Komm doch mit, Rachel.«

»Ich glaube, ich werde einfach …« Ich schüttle den Kopf. »Ich werde versuchen, zu Hause etwas Arbeit zu erledigen.«

»Blödsinn«, sagt er, als wir hinaus auf den Bürgersteig gehen.

Sandy unterbricht ihn. »Lass sie nach Hause gehen, Val.«

»Ich mache mir Sorgen um das Mädchen. Sie ist ziemlich niedergeschlagen in letzter Zeit.«

»Macht euch keine Sorgen um mich, mir geht’s prima«, versichere ich ihnen und winke ein Taxi herbei. »Wir sehen uns morgen.«

5

Freunde

Valentine ist nicht der Einzige, der sich »Sorgen« macht. Meine Freundinnen tun es auch. Und später am Abend bestehen sie darauf, sich mit mir zu einer Mädelsrunde zu treffen.

Wynn ist nicht davon abzubringen, über das »Jobproblem« zu diskutieren. Gina hat ihr wohl von dem Stellenangebot erzählt, das Malcolm mir gemacht hat, denn niemand sonst weiß von meinem anderen, dem Schreibproblem. Nicht mal meine Freunde. Ich mag es bloß überhaupt nicht, diejenige zu sein, die k. o. am Boden liegt, nachdem das Leben sie umgehauen hat. Ich versuche, wieder zur Normalität zurückzufinden, selbst wenn ich nicht mehr weiß, was normal ist.

Ein Fixpunkt in meinem Leben sind immerhin abends in der Woche ein paar Drinks mit Wynn und Gina. Wir sitzen an einem hohen Tisch am Fenster. Es ist gemütlich.

Und doch stehe ich unter dem Zwang, ständig meine E-Mails zu checken.

»Ich weiß nicht, warum du dachtest, dass er so schnell schon mit dir darüber sprechen will. Es ist erst vier Wochen her und war … nun ja, es könnte Jahre brauchen«, meint Wynn.

»Wow, Wynn«, ächze ich.

»Ich bin ja nur ehrlich, Rachel!«

Ich schütte den Rest meines Cocktails hinunter. Der Gedanke blitzt in meinem Kopf auf, wie er seine Hand unterm Tisch auf mein Bein legt.

Sprühende grüne Augen, die mich so erregen, dass ich es kaum noch aushalte …

Ich liebe meine Freundinnen; wir kennen uns schon ewig, sie nennen meine Mutter »Mom« und wissen alles über mich. Aber jetzt, da Wynn mich bittet von dem »Jobproblem« zu erzählen, und Gina ihr alles berichtet, kippe ich schweigend einen Cocktail nach dem anderen weg und bin viel trauriger, als ich zu erkennen gebe. Meine Freundinnen wissen alles über mich, aber gleichzeitig wissen sie es auch nicht.

Sie wissen nicht, dass ich gerade an all die Male denke, da er mich damit aufgezogen hat, dass ich auf Nummer sicher gehe. Er hat mich immer geneckt, dass ich aus dem Schneckenhaus kommen sollte, und dass er mich auffangen würde. Aber würde er mich jetzt auffangen?

»Es spielt keine Rolle, warum er vier Wochen gebraucht hat«, mische ich mich ein, als Wynn und Gina sich nicht einigen können, warum er so lange gebraucht hat, um sich bei mir zu melden. »Ich will nur, dass er sich mit mir unterhält. Ich will wissen, ob ich ihn verletzt habe, damit ich es wiedergutmachen kann. Ich möchte eine Chance haben, es zu erklären und mich zu entschuldigen.«

»Du bist unsicher, ob du ihn verletzt hast?«, fragt Wynn fassungslos. »Emmett meinte, Saint würde sich im Moment auf keinen Fall mit dir abgeben, wenn du ihm nicht unter die Haut gegangen wärst.«

»Interessant«, erwidert Gina. Dann wirft sie mir einen Blick zu. »Du bist nicht die Einzige, der Saint im Kopf herumspukt. Meinst du, du spukst auch ihm im Kopf herum?«

»Ich möchte nicht, dass wir füreinander zu Geistern werden. Ich möchte, dass wieder alles wie früher wird, als er … mir vertraut hat.«

Wynn pfeift bewundernd. »Du könntest den Mann vielleicht ins Bett kriegen, und vielleicht würde er dich auch widerwillig lieben, aber er würde dir momentan nicht vertrauen, nicht mal, wenn sein Leben davon abhinge.«

Ich zucke bei dem Gedanken zusammen. »Stimmt, Vertrauen ist ihm wichtig; wenn ich ihm nicht beweisen kann, dass ich vertrauenswürdig bin, bin ich dazu verdammt, eine seiner Vier-Nächte-Liebschaften zu sein.«

»Hattest du den Eindruck, dass er dir noch eine Chance geben würde?«, erkundigt sich Wynn.

Ich schweige.

»Rachel?«

»Nein, Wynn. Er will mich nicht mehr. Aber ich muss mich entschuldigen. Ich …« Ich schüttele den Kopf. »Ich weiß bloß einfach nicht weiter.« Ich sehe Wynn an, während mein nächster Cocktail serviert wird, und runzele die Stirn, weil mir etwas klar wird. »Also hast du mit Emmett darüber gesprochen?«

»Ähm. Na ja, ja«, sagt sie peinlich berührt. »Jeder hat sich dazu geäußert, weißt du? Es war in den Medien.«

Ich bohre weiter: »Hatte Emmett irgendeinen Rat für mich?«

Wynn zuckt die Achseln. »Er hält es für unwahrscheinlich, dass ein Mann wie Saint dir noch eine Chance geben würde. Auf der anderen Seite hat er dir einen Job angeboten, also …«

»Was weiß Emmett, der Koch,schon über einen Mann, dem buchstäblich Chicago gehört?«, sagt Gina zu Wynn und verdreht dabei die Augen. »Außerdem ist Emmett ein Mann. Er erzählt dir das, damit du, Wynn, nicht plötzlich auf Reporterin machst und aller Welt berichtest, dass er pinke Unterwäsche trägt und so.«

»Gina«, erwidert Wynn tadelnd.

Gina grinst und wendet sich an mich. »Tahoe meint …«

»Tahoe?«,platzt es aus Wynn und mir in vereintem Schock heraus.

»Tahoe ROTH?«, hakt Wynn nach. »Der Ölmagnat und Saints bester Kumpel?«

»Er ist nicht Saints einziger bester Kumpel, Callan Carmichael ist es auch«, korrigiert Gina sie und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. »Es tut mir leid, Rache. Ich sollte dir davon nichts erzählen. Aber er macht sich Sorgen und ich auch. Und … nun ja, nach dem, was Tahoe mir berichtet hat, ist Saint ein ziemliches Wrack. Kühler als sonst. Richtig verschlossen.«

Ich sitze da und höre zu. Es tut mir weh.