Sakramente - immer gratis, nie umsonst - Ottmar Fuchs - E-Book

Sakramente - immer gratis, nie umsonst E-Book

Ottmar Fuchs

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Beschreibung

Gott liebt die Menschen bedingungslos. Was aber bedeutet dies für die Art und Weise, wie die Kirche mit ihren Sakramenten umgeht, in denen diese Liebe Gottes in besonderer Form zum Ausdruck gebracht wird? Wie kann darin erfahren werden, dass Gott die Menschen immer zuerst entlastet und stärkt? So dass sie aus diesem Geschenk heraus leben können? Ottmar Fuchs zeigt auf: Weil Gottes Liebe bedingungslos ist, dürfen auch die Sakramente, darf auch ihr Empfang nicht an Bedingungen geknüpft werden, da dies ihrem Wesen widerspricht. Sakramente sind keine Herrschaftsmittel, sie taugen nicht zur Disziplinierung. Sie sind immer gratis, aber nie umsonst, nie wertlos und wirkungslos. Sie vermitteln Gottes unerschöpfliche Gnade - nicht lax, sondern loslassend, nicht rigoros, sondern befreiend, nicht festhaltend, sondern mitgehend und mittragend. Und setzen so die Menschen frei in ihre je eigenen Lebenswege.

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Ottmar Fuchs

Sakramente – immer gratis, nie umsonst

OTTMAR FUCHS

Sakramente – immer gratis, nie umsonst

echter

In dankbarer Erinnerung an

Anita Bechmann

(† 12. September 2015)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2015

© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: gettyimages)

Satz: Hain-Team (www.hain-team.de)

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

ISBN

978-3-429-03878-6 (Print)

978-3-429-04829-7 (PDF)

978-3-429-06246-0 (ePub)

Vorwort

Immer gratis! Höre ich mich um, wie Sakramente gegeben werden, stoße ich auf eine Praxis, die alles andere als „gratis“ die Sakramente vergibt. Einerseits verstehe ich das Bedürfnis, mit den Sakramenten den Menschen Glauben und Gemeinde nahebringen zu wollen. Wo sonst, wenn nicht hier, erreicht man noch Menschen, insbesondere die, die „nur“ zu den Anlässen der Sakramente kommen.

Doch diese Bemühungen können andererseits die Gnade vernebeln, die Gott durch die Sakramente verströmt. Wenn eine Leistung erbracht werden muss, um ein Sakrament zu empfangen, dann vernichtet diese Abforderung die Grundanlage aller Sakramente, nämlich Gnade vor aller Leistung erfahren zu lassen. Es geht nicht darum, die Sakramente wie einen kostbaren Schatz abzusichern, sondern sie für die zu verteilen, für die sie gedacht sind: für alle Menschen, die die Gnade Gottes erfahren möchten. Ohne Bedingungen!

Nie umsonst! Mit diesem „nie umsonst“ will ich das Vertrauen auf die Gnade Gottes stärken, auf die unerschöpfliche Liebe Gottes zu den Menschen, deren Wirklichkeit nicht vom Menschen abhängt. Gerade weil die Sakramente vergeben werden dürfen, sind sie nie vergeblich. Diese Einsicht nimmt das Titelbild auf. Die Sakramente sind von den Kirchen zu verschenken, wie man/frau Blumen in den Himmel wirft. Wie und ob und von wem sie aufgefangen werden, ist mit einer Pastoral zu verbinden, die nicht kontrolliert, sondern überraschungsoffen begleitet. Wenn die Kirchen derart ihre Sakramente verschenken, werden sie diese „Blumen“ für das Leben der Menschen, die sie auffangen, gewinnen.

An dieser Thematik arbeite ich seit etlichen Jahren. Was davon bereits publiziert wurde, findet sich in der Liste der Vorarbeiten am Ende des Buches (sie werden in den Anmerkungen mit Kurztitel zitiert). In ihnen können auch weitere Überlegungen und Literaturbezüge nachgelesen werden. Viel Wertvolles verdanke ich Gesprächen mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, darunter besonders auch mit Kolleginnen und Kollegen.

Das Buch hat sieben Kapitel. Nach einer Hinführung zu den vielfältigen Bedeutungen und Erfahrungen von Ritualen gehe ich zunächst auf das Grundsakrament des Christentums ein, auf die Taufe. Es folgen die Eucharistie, das Bußsakrament, das Ehesakrament und die Krankensalbung. Im letzten Kapitel betrachte ich die Einbettung der Sakramente in Feste und Feiern. Einem künftigen Buch sind Gabe und Aufgabe des gemeinsamen und besonderen Priestertums, also Firmung und Weiheamt, vorbehalten.

Mit diesem Buch will ich dazu ermutigen, einen Ortswechsel in der Sakramentenpastoral anzuregen, der daraufvertraut: Gratis gegebene Sakramente sind nie umsonst!

Am Schluss bleibt, mich herzlich beim Verlagslektor des Echter Verlags, Herrn Heribert Handwerk, für das umsichtige Lektorat und sein Engagement für dieses Projekt zu bedanken.

Lichtenfels, im Juli 2015

Ottmar Fuchs

Inhalt

Gnade im Ritual

1. Kraft der Rituale

1.1. Aktuelle Wertschätzung

1.2. Wiederbelebung der Rituale

1.3. Entlastung im göttlichen Geheimnis

1.4. Spannung von Erfahrung und Symbolgeschehen

1.5. Symbolhandlung als Erfahrung der Gnade

1.6. Sakramententheologische Vertiefung

1.7. Vor-Sakramentale Symbolgabe

2. Unbedingte Vor-Gegebenheit

2.1. Überbrückende Kraft

2.2. Erfahrung jenseits der Erfahrung

2.3. Programmatische Erfahrung eines Vergessenen

2.4. Liturgie auf der Grenze

2.5. Differenz im Sakrament

2.6. Religionskritische Konsequenzen

2.7. Was nicht zu haben ist

Taufe

1. Taufe des Äthiopiers

1.1. Eine schöne Geschichte

1.2. Anfanghaftes „Ja“

1.3. Freigabe des getauften Menschen

1.4. Gott selbst erwählt

1.5. Der erhobene Eunuch

1.6. Ersehnt: Allmacht des Guten und Gutsein

2. Diaspora in der Kirche

2.1. Wahrheit für alle

2.2. Zwei Modalitäten der Taufe

2.3. Ertrag für die Praxis

Eucharistie

1. Momente der Eucharistie

1.1. Sattwerden, Vertrauen und Offenheit

1.2. Opfergedächtnis

1.3. Versöhnung vom Kreuz her

1.4. Mahl der Gnade und Einheit

1.5. Communio mit den „Heiligen“

1.6. Mahl zwischen den Zeiten

2. Gestalt der Gnade

2.1. Unblockierte Zulassung

2.2. Mit Kommunionausteilung?

2.3. Integrität oder Gestalt

Beichte und Sühne

1. Praxis des Bußsakraments

2. Sehnsucht nach Vergebung und Wiedergutmachung

3. Richterlicher Akt als Vergebungsvollzug

4. „Genugtuung“ für den Schatten des guten Lebens

5. Die „Feinde“ lieben?

6. Liebe als Gestaltprinzip der Gerechtigkeit

Sakrament für Ehe und Familie

1. Trauungsrituale

1.1. Ritual als Schwelle

1.2. Zwischen „innen“ und “außen“

1.3. Spiritualität der Gabe

2. Unauflöslichkeit der Treue Gottes

2.1. Gegenwärtige Herausforderungen

2.2. Vom Gottesplan zum Evangelium

2.3. Planlose „Familie“ in der Bibel

2.4. Ehe als Sakrament

2.5. Gott ist mitverantwortlich

2.6. Gnadenreiche Pastoral

2.7. Entfächerte Sakramentalität

Sakrament in der Not

1. An der Grenze

2. Nicht alleingelassen

3. Pastorale Kontexte

4. Vollendung der Taufe

5. Soziale Entfaltung

6. Sensibilität für die Vielfalt

7. Zeichen heiliger Welt in unheiler Welt

8. Feier des Unmöglichen

Raum des Festes

1. Überschreitung und Dank

2. Lebenssteigerung im Exzess

3. Gefahren und Chancen

4. Ein „schönes“ Fest

Anmerkungen

Eigene Vorarbeiten

Gnade im Ritual

1. Kraft der Rituale

1.1. Aktuelle Wertschätzung

„Die Kraft der Rituale“, so titelte das Magazin „emotion“ in der Dezembernummer des Jahres 2014. Da ist zu lesen: „Das beste Geschenk, das Sie sich machen können: Bauen Sie Rituale in Ihr Leben ein. Momente des Innehaltens, alte tradierte oder ganz neue, individuelle, die uns Wurzeln geben und zugleich beflügeln.“1 Rituale „verändern unsere Wahrnehmung und können uns eine neue Sicht auf die Dinge geben, die uns gerade beschäftigen“2. Ein Ritual verändert den Tag und gibt ihm ein neues Gesicht und ein Gefühl von Sicherheit. Dabei ist es gerade die Unverbindlichkeit, die das Ritual für viele attraktiv macht, unverbindlich dahingehend, dass man es feiert und dann wieder weggehen kann.

Das Ritual hilft aber auch, „spontanes Verlangen zugunsten langfristiger Ziele und der Gemeinschaft zu kontrollieren“3. Es kann z. B. einer Familie helfen, langfristig auch über Schwierigkeiten und Streitigkeiten hinweg bzw. durch sie hindurch beieinanderzubleiben und sie gemeinsam durchzustehen. Sie geben die Chance, „Gefühle zuzulassen und uns Dingen zu stellen, die wir im Alltag verdrängen.“4

Ein weiteres Plus an Ritualen ist ihre Entlastungsqualität: „Rituale sind wie ein festgeschriebenes Skript: Man hat seinen Platz und muss nicht überlegen, wie man sich zu verhalten hat, sich nicht hinterfragen und kann einen Augenblick einfach nur mitgehen. Sie vermitteln uns Sicherheit. Und dieses Gefühl braucht jeder von uns. … Ja, wir brauchen diese Anker, weil sie uns Kraft und Energie geben.“5 Rituale sind „Stopper“ im Alltag, wo man ankommt und loslassen kann. Denn „erst wer loslassen kann, kann weitergehen“6.

Menschen brauchen also Rituale, um im Leben und Zusammenleben einen Halt zu finden. Weil man Rituale wiederholen kann und nicht immer wieder neu herstellen muss, entschleunigen sie das Leben, geben Ruhe und Kraft. Diese neue Aufmerksamkeit für Rituale berührt auch die religiösen Symbolhandlungen mit entsprechenden Wünschen, Erwartungen und Hoffnungen. Rituale vollziehen das Gleiche, was Symbole leisten, allerdings so, dass es sich nicht (nur) um geprägte Wörter oder Bilder, sondern um geprägte Handlungen handelt.

Im kirchlichen Bereich gehören die Sakramente zu den wichtigsten Ritualen. Sie sind nach wie vor mehr gefragt als die Kirchen und ihre Gemeinden selbst. Die Verantwortlichen in Seelsorge und Pastoral gehen damit sehr unterschiedlich um. Manche Unsicherheit, ob man die Sakramente einfach „gratis“ spenden könne, verbindet sich mit letzten Versuchungen, zu reglementieren und wenigstens bei der Zulassung zu den Sakramenten noch Bedingungen zu stellen und so pastorale Macht auszuüben. Jenseits der Alternative zwischen „Ausverkauf und Rigorismus“7 sind Wegweisungen zu entdecken, die hier weiterhelfen. Dabei kommt es darauf an, dass die menschliche Erfahrung des Rituals als Ort der Ruhe und der Kraft sich auch in der Erfahrung der sakramentalen Rituale wiederfindet.

Werden Sakramente als Geschenk eines Gottesglaubens erlebt, der für das Leben und für das Mitleben stärkt, dann kann man erfahren, was die Kirche von ihren Sakramenten sagt, nämlich dass sie besondere Orte der Gnade, also der Anerkennung und der Wertschätzung, sind, die Gott gibt. Was bedeutet diese so verstandene Vorgegebenheit des liturgischen Rituals, die in besonderer Weise Ausdruck für die Vorgegebenheit eines Gottes ist, der Halt und Kraft gibt, für die Art und Weise, wie die Kirchen mit ihren Sakramenten umgehen? Wie kann darin erfahren werden, dass Gott die Menschen immer zuerst entlastet und beschenkt? So dass sie aus diesem Geschenk heraus leben können? In welchem Sinn sind die Sakramente gratis, aber nie umsonst, im Sinne von vergeblich, wertlos und wirkungslos?

Die Kirchen lernen ihre eigene Verantwortung neu kennen, wenn sie ihre Sakramente als Schatz betrachten und feiern. Es ist ein Schatz, den sie neu heben und weitergeben im Dienst an den Menschen, die sich nach einer guten Macht sehnen, die sie nicht selber herstellen können und müssen, sondern der sie sich verdanken und anvertrauen. Zur sozialen Verantwortung kirchlicher Diakonie und Caritas kommt die sakramentale Diakonie, in der Gottes Liebe (Caritas) für die Menschen erfahrbar ist. Weil diese Liebe bedingungslos ist, dürfen die Sakramente nicht mit Bedingungen belastet werden, die ihrem Wesen widersprechen. Sakramente sind keine Herrschaftsmittel, sondern vermitteln Gottes unerschöpfliche Gnade, nicht lax, sondern loslassend, nicht rigoros, sondern befreiend, nicht festhaltend, sondern mitgehend und mittragend.

1.2. Wiederbelebung der Rituale

Schon seit geraumer Zeit hat man die Rituale wiederentdeckt, in den Kirchen und in vielen Bereichen der Medien und der Unterhaltungsbranche: in den Ritualen des Sportes, den Versatzstücken von christlichen Ritualen in Film, Werbeindustrie und Musikclips, aber auch in den öffentlichen Veranstaltungen der Politik und der Vereine. In diesem Übergang von sichtbarer zu unsichtbarer Religion8 werden bisherige Rituale und Ritualversatzstücke ihrer angestammten religiösen Gemeinschaft entzogen und ohne deren Vermittlung und ihre Vermittlungsspezialisten (z. B. Pfarrer) unmittelbar beansprucht und verwertet:

– Je mehr unserer Gesellschaft eine tiefgreifende Unübersichtlichkeit bescheinigt und angelastet wird,

– je mehr sie Menschen auf sich selber stellt und in der Wahlfreiheit bei gleichzeitigem Ressourcenentzug überfordert,

– je mehr die Sozialformen auf der mittleren Ebene versteppen (wie etwa traditionelle Vereine),

desto mehr scheint es wieder so etwas wie eine Renaissance des persönlichen wie auch Massen-Rituals zu geben. Im Ritual kann man sich mit jener Sehnsucht nach Sicherheit und Anerkennung festmachen, die es ansonsten im beruflichen und zwischenmenschlichen Bereich zu wenig gibt.

Folgende Dynamik ist dabei feststellbar: „Wenn die Antworten nicht objektiv, durch seine Gesellschaft gegeben werden, muss er (der Mensch, O. F.) sich nach innen wenden, zu seiner Subjektivität, um von dort an Sicherheit heraufzuholen, was immer er erreichen kann.“9 Nun scheint das Stadium erreicht zu sein, wo auch die eigene Subjektivität derart als fragil und gefährdet erlebt wird, dass sie gar keine Sicherheit zu geben vermag. Menschen suchen nun von Neuem nach einer objektiven Sicherheit außerhalb ihrer selbst, sie finden sie nicht mehr in bergenden Traditionen und Gemeinschaften und entdecken deshalb die angesprochene Sicherheit zunehmend im auch von Traditionen und Gemeinschaften abgelösten Ritual (z. B. den genannten Ritualen in Sport und Medien) verschiedenster Art. Rituale in allen Bereichen von Gesellschaft und Kirche bieten sich hier als „Halterungen“ an, an denen man sich festhalten kann. Können die Kirchen auf diesem neuen zerstückelten Niveau der Ritualanfragen konstruktiv reagieren?10 Schon von daher wäre es widersinnig, innerkirchlich Rituale zu vernachlässigen oder gar abzubauen.

Schon vor mehr als 30 Jahren wurde dem Zweiten Vatikanum vorgeworfen,11 dass es das Geheimnis der Religion, wie es im Symbol aufscheint, durch Rationalisierung und Verständlichkeitswut aufgehoben habe.12 Die Verständlichkeit von Ritualen, wenn man sie glasklar durchsichtig machen will, hat ihre Ambivalenz, weil etwas, was ich gänzlich durchschaut habe, immer zugleich etwas ist, was ich durch eigene Rationalität begriffen und geleistet habe. Das widerspricht aber dem Charakter der Sakramente. Selbstverständlich sei nichts gegen die Erklärung von Symbolen gesagt. Man muss nur gewärtig haben, zu welcher Zeit dies geschieht und mit welchem dahinterliegenden Anspruch. Will man die Erfahrung des Geheimnisses der Gnade Gottes und die Erklärung der Sakramente nicht gegeneinander ausspielen, dann ist dies eine Frage der Katechese und Verkündigung, die außerhalb bzw. neben den Symbolhandlungen erklärt und die Symbolhandlung wirken lässt und nicht unmittelbar auch erklärt. So ist es nicht nur möglich, sondern auch immer wieder nötig, etwa in einer Predigt über die Bedeutung christlicher Sakramente und Symbole zu sprechen, was zugleich davor bewahrt, dies im Vollzug der Symbole tun zu müssen.

Problematisch sind jedenfalls die Glättung und Angleichung des überkommenen Rituals an jeweils gegenwärtige Verständlichkeiten, so dass es immer glatter wird und um die Kanten der Unverständlichkeit und um die Ecken des Geheimnisses gebracht wird. Was mich dann am Ritual trägt, ist mein eigenes Fassungsvermögen von ihm und die insgeheime Bedingung, dass es nur trägt, wenn es verstanden werden kann. Aber man darf auch mit einer Erlebbarkeit von Symbolhandlungen und Symbolen rechnen, die über das Verstehen hinausgeht und durch dieses nicht einholbar ist, die aber gleichwohl intensiv ist im Sinne von geschenkter Sicherheit in der Anerkennung der Existenz und im Zuspruch eines vorgängigen Getragenseins. Die Symbolhandlungen haben einen Überhang an Vorgegebenheit, der Zugriffen verschiedenster Art nicht zugänglich ist.

Was die kirchliche Sakramententheologie verdeutlicht, nämlich dass das Sakrament aus seinem Vollzug heraus wirkt und dass diese Wirkung von keiner Leistung oder Bedingung abhängig ist, kann als Einspruch gegen allzu glatte Verhältnisbestimmungen von Liturgie und Teilnahmeleistungen (des Verstehens bzw. Erfahrens) ernst genommen werden.

1.3. Entlastung im göttlichen Geheimnis

Die Sehnsucht nach Sicherheit und Wertschätzung ist tief im Menschen angelegt. Was Menschen im Laufe ihres Lebens in Bezug auf diese Sehnsucht erfahren oder nicht erfahren, bestimmt viele ihrer Entscheidungen. Im religiösen Bereich ist der Glaube an eine Transzendenz unseres Lebens, also an eine handlungsfähige Wirklichkeit uns selbst gegenüber, die zugleich unendlich mehr und größer als wir selber ist, eine wichtige Erfüllungsform dieser Sehnsucht.

Nicht umsonst heißt das hebräische Wort für Glauben „‘aman“ in seiner Grundbedeutung „sich festmachen“, also hier sich festmachen in Gott bzw. in dem, was als Gegenwart Gottes in der eigenen Geschichte erlebt wird. Glauben bedeutet nicht nur von dieser Wortbedeutung, sondern von den in der Bibel erzählten Geschichten her, dass sich Menschen in Gott festmachen, dass sie seinen Verheißungen trauen. Basis dieses Vertrauens ist ein Gott, der die Menschen in ihrem Leben, in ihrem Hoffen und Leiden nicht klein macht, sondern anerkennt, der sie für wert hält, mit ihnen zu kommunizieren, sie zu geleiten und zu retten. Eine Transzendenz also, die das menschliche Leben als eigene und zu sichernde Wirklichkeit anerkennt, die letztlich nicht vernichtet, sondern ins Leben holt. Die biblische Schöpfungstheologie ist ein Niederschlag dieses Gewolltseins von Gott her, so dass man auch die eigene Existenz in Gottes Wunsch, dass der Mensch lebt und am Leben bleibt, vertrauensvoll festmachen kann.

Nicht nur in der biblischen Religion gibt es vor allem zwei Wege, die vornehmlich die Beziehung mit Gott in den Blick nehmen: einmal die „direkt“ im Wort gefasste Begegnung mit Gott (im Gebet, in Berufungserfahrungen usw.), zum anderen den kultischen bzw. liturgischen Gottesdienst, wobei sich beide durchaus überlappen können. Der direkten Frömmigkeit von Einzelnen bzw. des ganzen Volkes steht die Welt der Feste und Rituale gegenüber, in der Bibel vor allem des entsprechenden Tempelkultes und des Sabbats.

– Ein Blick in die Psalmen zeigt, dass die Aufnahme einer direkten Gebetsbeziehung mit Gott sehr viel Kraft, Zeit und Mühe kostet. Je problematischer die eigene Situation gesehen wird, desto schwieriger ist der Formulierungsaufwand, irgendwie wieder in die Beziehung zu Gott hineinzukommen. Die Klagepsalmen machen diesen Aufwand sehr deutlich: in der eingeholten Erinnerungsarbeit an die Väter, in der ausgiebigen Schilderung der eigenen Situation, in der intensiven aktuellen Gottesbeziehung als Konflikt und am Ende als Lobpreis seiner Rettung versprechenden Nähe (vgl. besonders Psalm 22).

– Von dieser „unmittelbaren“ Beziehungsarbeit gibt es einen Vermittlungsweg in das Ritual, nämlich wenn solche Gebete eine geprägte Fassung bekommen und als mündliche und/oder schriftliche Gebetsvorlage dienen. Diese erste Ritualisierung einer ursprünglichen Beziehung zwischen Mensch und Gott hat eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich dass sie die Beziehung von dem Druck entlastet, sie permanent neu sprachlich herstellen zu müssen. Es handelt sich um eine sprachlich vorgegebene Beziehung, auf die sich die Gläubigen einlassen und die sie für sich verwenden können.

– Im Symbolhandeln des Rituals (eines Opfers im Tempel in Jerusalem, des Paschamahls bzw. des Herrenmahls) erfährt diese Vorgegebenheit ihre dramatisierteFassung. Wie sie ausgeführt wird, muss nicht neu erfunden werden, sondern sie wird in ihrer Vorgegebenheit vollzogen. Und in dem Maß, in dem sich die Gläubigen in ein solches Ritual hineinbegeben und es mit vollziehen und mitfeiern, haben sie Anteil an der darin gefeierten und zugleich vitalisierten Beziehung zur „Transzendenz“. Das Ritual beschenkt die Gläubigen mit einer Wirklichkeit, die sie nicht selbst zu gewährleisten und zu sichern haben. Vielmehr ist die Beziehung im symbolischen Geschehen selber gesichert.

– Hinzu kommt bei Ritualen ihr Vollzug in sogenannten performativen Sprechhandlungen. Was man spricht, das vollzieht sich im Sprechen selbst. „Ich taufe dich …“: Was gesagt wird, wird im Ritus vollzogen.

– Entscheidend ist auch, dass es eine Gemeinschaft bzw. Tradition gibt, die die rituelle Handlungsform begegnungsfähig hält. Sie schafft einen einbettenden Raum, in dem das Ritual die in ihm ausgesprochene lebendige Bedeutung auch tatsächlich hat und sich entsprechend auszuwirken vermag. Im Ritual kreuzen sich von daher ein kultischer Kern und eine erzählerische Deutung.

– Rituale können aus ihrer wiederholbaren Tiefe heraus immer wieder Phantasie und Kreativität anregen, weil sie letztlich nie restlos verstanden werden können. Es bleibt ein Überhang an Vor-Gegebenheit im Symbolbereich, dem nicht immer und nicht alle Erfahrungen hinreichend entsprechen (können). Gewissermaßen laufen die Symbolvollzüge auch den Erfahrungen davon, gerade weil sie aus der Vergangenheit heraus vorgegeben sind.

– Ein charakteristischer Aspekt vieler Rituale ist ihr liminaler, also grenzenberührender bis grenzenüberschreitender Charakter. Denn sie überbrücken aufbrechende Risse in Leben und Gemeinschaft, wie den Übergang von der Gesundheit zur Krankheit, vom Glück zum Unglück, vom Leben zum Tod, von der Kindheit zum Erwachsenensein usw. Diese besonderen „Rites de passage“ sind aber zu unterscheiden von dem prinzipiell schwellenüberschreitenden Charakter von Ritualen, insofern sie alle die Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit überbrücken, also in dieser Hinsicht ganz bestimmte Passagen vom Sichtbaren und Handgreiflichen in die dahinterliegende Transzendenz eröffnen.13

1.4. Spannung von Erfahrung und Symbolgeschehen

Man kann das relativ konstante, wenn auch kulturell unterschiedlich ausgeprägte prekäre Verhältnis von „unmittelbarer“ Begegnung und Ritualisierung auch mit Alltagsbeziehungen vergleichen. Wenn Beziehungen, Beziehungen der Freundschaft und der Liebe, noch im Anfangsstadium sind, ist die gegenseitige, ins Wort gebrachte Sehnsucht nach Vergewisserung noch sehr groß. Intensive und verlässliche Beziehungen der Freundschaft und der Liebe gelangen aber zu jener Reife, in der das gegenseitige Vertrauen nicht in jedem Augenblick vergewissert werden muss, sondern vorausgesetzt werden kann als etwas in der Beziehung dauerhaft Gegebenes, das man nicht in jeder Stunde neu zu machen hat. So kann man/ frau dann auch in Schweigen beieinandersitzen und dies als tiefe Beziehung erfahren. So ergeben sich Eigenrituale solcher Beziehungen in ganz bestimmten Gesten und sprachlichen Kurzformeln bzw. Symbolen, deren Bedeutung und Tiefe für die Beziehung vorausgesetzt wird und nicht eigens formuliert sein muss.

Gerade dieses Beispiel kann aber auch eindrücklich deutlich machen, wie ambivalent die Ritualisierung von Beziehung sein kann, wenn sie die Oberhand gewinnt und überhaupt nicht mehr die unmittelbare Vergewisserung der Beziehung zulässt bzw. Konfliktgespräche verdrängt. Gab es im Anfang der Beziehung einen Vergewisserungszwang, so kann es später einen Ritualzwang geben, um das Problem der beiderseitigen erneuten Vergewisserung zu meiden. Dann gibt es irgendeinmal den Augenblick, dass man/frau feststellen muss, dass der Beziehung die eigene vitale Basis abhandengekommen ist. Erich Kästner hat diesen Augenblick in einer eindrucksvollen Weise (1928) in dem Gedicht „Sachliche Romanze“ festgehalten:

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen: sie kannten sich gut)

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter

versuchten Küsse, als ob nichts sei,

und sahen sich an und wussten nicht weiter.

Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.

Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier

und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort

und rührten in ihren Tassen.

Am Abend saßen sie immer noch dort.

Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort

und konnten es einfach nicht fassen.

Ähnlich kann auch ein religiöses Ritual funktionieren: nämlich dass es nur noch funktioniert und das eigentlich damit zu verbindende Leben ersetzt. Dies kann eintreten, wenn der kultische Vollzug einen Versuch darstellt, Gott für die eigenen Belange in Anspruch zu nehmen und damit die Beziehung zu Gott zu zerstören: mit einem Wenndann, das die Beziehung unter Bedingungen stellt. Nach der Ritualforscherin Mary Douglas ist Ritualismus jener Vorgang, in der in einer Gesellschaft die manchmal verunsichernden Erscheinungen unmittelbarer Religiosität (wie etwa in der Ekstase) zugunsten einer gesteigerten Kontrolle durch Rituale unterdrückt werden, die die lebendige Gottesbeziehung, vor allem die der Klage und Anklage, die widerständig ist, durch ein regelgeleitetes Verhältnis ersetzt.14

Es gibt in der Geschichte von Religionen wie auch in Biographien von gläubigen Menschen eine Abfolge unterschiedlicher Schwerpunkte von „direkter“ Gottesbeziehung und Sakrament bzw. Liturgie, ein Pulsieren zwischen diesen beiden Formen der Transzendenzbeziehung. Und offensichtlich scheint das jeweilige Durchbrechen zur unmittelbaren und aus der eigenen Situation heraus formulierten Begegnung immer auch eine Unterbrechung und Kritik allzu selbstverständlich gewordener oder inhaltlich problematisch gewordener Symbolvorgänge bzw. Rituale zu sein. Dafür steht die biblische Prophetie, die immer wieder die Sicherheit kritisiert, die man mit Ritualen zu erwerben glaubt.

Aus dieser Perspektive kann die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums als Flexibilisierungsschub einer relativ festgefügten Liturgie angesehen werden zugunsten einer persönlichen Erfahrungsbeteiligung an Symbolvorgängen in Richtung auf eine „actuosa participatio“ (aktive Teilnahme bzw. Teilhabe) der Gläubigen. Mit der Liturgiekonstitution ist damit für das Gesamtkonzil etwas eröffnet worden, was alle Texte durchzieht, nämlich das Bestreben, kirchlichen Glauben und die Erfahrung der Gläubigen, Dogma und Pastoral, Liturgie und Leben in einer sich gegenseitig erschließenden Weise aufeinander zu beziehen.15

1.5. Symbolhandlung als Erfahrung der Gnade

Die relative Vorgegebenheit und Kontinuität des Rituals bildet die „natürliche“ Entsprechung für jene Vorgegebenheit, dass den Menschen die Liebe Gottes geschenkt ist, noch bevor sie diesbezüglich etwas leisten müssten. Diesen Glauben formuliert vornehmlich die Gnadentheologie16 und Rechtfertigungstheologie. In der Lehre der Sakramente gilt das Sakrament demnach als ein von Christus eingesetztes wirksames Gnadenzeichen.17 Zu den anderen, den erzählerischen, bekenntnis- und lehrhaften Eingaben der Tradition, verhält sich das Ritual wie die Energiemitte eines Sterns, in dessen Mitte viele Strahlen, Geschichten und Inhalte münden und aus dessen Mitte viele Strahlen kreativer Geschichten sich zu entfalten vermögen.

Selbstverständlich ist Gott die personale Bedingung und Wirkursache dieses Symbolgeschehens und nicht das Symbolgeschehen selbst. Aber das Symbolgeschehen ist es, das durch sich selbst die Sicherheit dieser Ursache vermittelt. Die „Wirksamkeit“ der Sakramente aus ihrem Vollzug heraus (ex opere operato) bewahrt die Unbedingtheit der Gnade Gottes davor, von der Tätigkeit der empfangenden bzw. spendenden Person ursächlich abhängig zu sein. Was allerdings von der Tätigkeit ursächlich abhängt, sind selbstverständlich die Erfahrung dieser Gnade im eigenen Leben, die sprachliche Formulierung dieser Beziehung und das Innewerden ihrer Wirkmacht. Die katholische Sakramententheologie macht die Gnade nicht vom Glaubenserfolg der Empfänger/innen abhängig. Analog dazu könnte man die Theologie von der Selbstbewegung des Wortes, die nicht vom Verkündigungserfolg abhängig ist, bei Karl Barth auffassen.18

Leonardo Boff formuliert den Zusammenhang so: „In der christlichen Tradition ist immer behauptet worden, dass die göttliche Gnade unfehlbar in der Realisierung des Sakraments gegenwärtig wird. … Die Gegenwart der göttlichen Gnade im Sakrament hängt nicht ab von der Heiligkeit sei es dessen, der das Sakrament spendet, sei es dessen, der es empfängt. Denn die Ursache der Gnade sind weder der Mensch noch seine Verdienste, sondern einzig Gott und Jesus Christus: … Wenn einmal der sakramentale Ritus vollzogen ist und die heiligen Symbole gesetzt sind, handelt Jesus Christus und kommt in unsere Mitte. Aber nicht kraft der Riten selbst; diese haben ja aus sich selbst nicht die geringste Kraft, sie symbolisieren nur. Sondern auf Grund des Versprechens, das Gott gegeben hat.“19 Ich würde noch ergänzen, das sich in ihnen verleiblicht, so dass sie zur Repräsentanz dieses Versprechens werden. Ein Gebrauch der Sakramente mit Bedingungen (wenn ich das und jenes tue, dann ist mir Gott gut) ist weder nötig noch möglich, weil das, was mit ihnen als Bedingung geleistet werden soll, längst und auch ohne ihren Vollzug gegeben ist.

1.6. Sakramententheologische Vertiefung

Das durchaus anzustrebende korrelative oder korrespondierende Verhältnis von Symbolhandlung und Erleben oder Verstehen darf nicht zu der Ansicht führen,20 „seine (des Auferstandenen) wirkliche, aber von uns nicht geglaubte Präsenz wäre, banal gesagt, nur die halbe Miete“21. Es ist bereits die ganze Miete, ohne die es die in der korrelativen Erfahrung beanspruchte ganze Miete gar nicht gäbe. Und Milliarden von Menschen bedürfen eben nicht der Sakramente, können gut ohne sie leben, und doch erfahren sie Gottes Gnade in ihrem Leben, und doch feiert die Kirche stellvertretend für sie die Sakramente.22

Es ist gut, nicht allzu schnell den Wechsel von Gott zum Menschen zu vollziehen: Gott bleibt Verursacher und Geber der Gnade und aller Sakramentalität. Der Glaube, was immer darunter genauerhin zu verstehen ist, ist nicht Wirkursache der Gnade, sondern disponierende Ursache für die Erfahrung der Gnade. Was das Sakrament zusagt, ist auch nicht davon abhängig, ob die Menschen das erfüllen, was im Sakrament geschenkt ist, sondern es bleibt auch dann gegeben, wenn dies nicht geschieht. Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (vgl. Mt 5,25).

So ist auch der Begriff des „unauslöschlichen Merkmals“, das grundlegend mit dem Sakrament der Taufe gegeben ist, auf diesem Niveau zu verstehen: Er sagt aus, dass die göttliche Zusage in diesem symbolischen Akt unverlierbar an ihm haften bleibt und sich beim empfangenden Menschen selbst substantiell auswirkt. Die Zusage bleibt gültig,23 auch kontrafaktisch, also im Gegensatz zur Tatsächlichkeit, sollte der Mensch diese Zusage vergessen oder ihr nicht gerecht werden. Gott selbst hat sich an dieses Garantiezeichen seiner Treue gebunden.

Auch der sog. Taufscheinchrist bleibt dann ein für allemal in der Liebe Gottes und fällt nie aus ihr heraus: „Gott ruft sakramental den Menschen ganz persönlich und zugleich als Glied der Gemeinde Jesu an, und zwar in schöpferischer Weise, damit der Mensch im Glauben darauf antwortet. Gibt der Mensch seine Antwort nicht in der geschuldeten Glaubenshingabe, so zieht Gott seinen wirksamen Anruf doch nicht zurück, die neue Chance und Aufgabe bestimmt den Menschen bleibend als unauslöschliches sakramentales Siegel.“24 Dessen dürfen die Gläubigen im Vertrauen auf dieses Versprechen Gottes sicher sein.25

Genau dies spüren die Menschen, die „nur“ zu besonderen Fällen zur Kirche kommen, vor allem zu den Sakramenten Taufe, Firmung und Eheschließung. Man nennt diese Pastoral, vom Lateinischen „casus“ für „Fall“, Kasualpastoral und deshalb diejenigen, die nur aus diesem Grund kommen, Kasualienfromme.26 Diese Menschen ahnen, dass in den Sakramenten eine Vorgegebenheit Gottes auf sie zukommt, auf die sie gewissermaßen ein „Anrecht“ haben, nicht weil sie das Recht selbst besäßen, sondern weil es ihnen von Gott geschenkt ist. Sie reagieren rechtfertigungstheologisch und ekklesiologisch „richtig“, wenn sie die Sakramente als Außenbezug der real existierenden Kirche beanspruchen, um mit ihnen in ihre Lebensräume hinein den Kirchenbegriff mit sich selbst zu erweitern. Auch wenn sie kirchensoziologisch (sozialgestaltbezogen) nicht dazugehören, gehören sie (sakramenten- und darin gnadentheologisch) zur Kirche, zum „Leib Christi“ (1 Kor 12,27).

Es wäre allerdings ein verhängnisvolles Missverständnis, die hier vorgelegte gnadentheologisch vertiefte Sakramententheologie und Ekklesiologie so zu verstehen, als käme es nicht mehr auf den Glaubensvollzug und das diakonische Handeln an. Hier wird nur in elementarer Weise ernst genommen, dass die Gnade allem Handeln vorausgeht, sowohl in den Symbolhandlungen als auch im sozialen und solidarischen Verhalten der Christen und Christinnen. Das Ganze wäre völlig missverstanden, wenn Gott uns seine Gnade schenkte, damit wir so bleiben, wie wir sind. Die Bibel unterstellt Gott, er habe im Lauf der geschichtlichen Begegnung mit den Menschen gelernt (was selbstverständlich den Lernprozess der Menschen selbst widerspiegelt), dass er mit Zwang und Forderungen nichts bei den Menschen erreichen kann. In der Perspektive des leidenden Gottesknechtes bzw. des Jesus am Kreuz verzichtet Gott völlig auf jede Art von zwingender Herrschaft, um so den Menschen etwas zu schenken, was sie zwischenmenschlich in dieser radikalen Weise nicht erfahren können, nämlich die Bedingungslosigkeit seiner Liebe und damit die Ermöglichung, aus dieser Liebe heraus entsprechend miteinander umzugehen. Gott fordert nicht, was er nicht im Übermaß geschenkt hätte. Befehle und Gesetze allein geben niemals die Kraft, sie in Freiheit zu erfüllen. Gott verzichtet darauf, zum Guten zu zwingen, sondern schenkt dafür die das Gute ermöglichende Gnade.

Es geht hier also nicht um eine billige Stabilisierung der bestehenden Praxis mit einer ebenso billig missverstandenen „Gnadentheologie“, sondern um eine Gnadenerfahrung, in der die Unendlichkeit des göttlichen Geheimnisses bis zur Hingabe unentgrenzter und damit radikalisierter Solidarität zu tragen vermag. Nicht Bestätigung ist die Wirkung, sondern eine Herausforderung, die tiefer geht als jede Aufforderung.

1.7. Vor-Sakramentale Symbolgabe