Sameena - Hans-Georg Lanzendorfer - E-Book

Sameena E-Book

Hans-Georg Lanzendorfer

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Beschreibung

Den 35-jährigen Schweizer, Nils Hardenberg zieht es an die Sandstrände der Bermudas. Durch die Begegnung mit Jsabelle Crowford überschlagen sich mysteriöse Ereignisse. Das Teufelsdreieck schleudert ihre Maschine in fremde Dimensionen. Zwischen Wahnsinn und Verzweiflung kämpft er allein gegen Urzeit-Riesen. Abenteuerliche Umstände führen ihn auf ein fremdirdisches Raumschiff und durch verschiedene Epochen der Menschheit. Er trifft seine grosse Liebe. Gemeinsam mit Sameena entdecken sie Tir-nan-Og, Uruk Gart, Atlantis, die Suren am Zürichsee, lernen die Päpstin Johanna Jutta Gilberta Anglicus kennen. Eine mögliche Heimkehr rückt in greifbare Nähe – ebenso grosse Zweifel über den Sinn derselben. Das Leben bekommt eine völlig neue Perspektive – wirft essenzielle Fragen auf; Wo liegen die Grenzen zwischen Fiktion, Wahrheit und Realität.

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Seitenzahl: 858

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hans-Georg Lanzendorfer

Sameena

Neue Überarbeitung der Ausgabe 1992

E-Book 2025

Hans-Georg Lanzendorfer

Sameena

Ein fantastisches Abenteuer

durch Zeit und Dimension

Futuristischer Historien Roman

Roman

Impressum

Texte:

© 1992/2021 Copyright by Hans-Georg Lanzendorfer

Umschlaggestaltung:

© 2021 Copyright by Hans-Georg Lanzendorfer

Original Bild: Gerhard Gellinger freie Lizenz Pixabay

(Bewilligung v. G.Gellinger am 2.7.2021)

Verantwortlich

für den Inhalt:Hans-Georg Lanzendorfer, Schweiz

[email protected]

Druck:epubli ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Personen- und Sachverzeichnis

Kapitel 1

Fasziniert blieb Nils vor dem imposanten Schaufenster stehen. Ein bemerkenswertes Bild zog ihn in seinen Bann. Die Scheibe spiegelte seine Silhouette – dunkel und nebulös. Dahinter die Bermudas - in prächtig schimmernden Farben. Karibische Sonne, Palmen, Strand und Meer. Verführerisch forderten grosse Lettern: ‚Entdecken Sie das Geheimnis der Bermudas‘.‚Hier befindet sich mit Hamilton auch die Hauptstadt. Die Stadt an der Westküste hat viel zu bieten. Touristisch interessant ist aber auf jeden Fall ein Besuch im Museum of Bermuda History. Die Hauptstadt eignet sich sehr gut als Ausgangspunkt für Ziele in der näheren Umgebung‘.

Jugendliche Erinnerungen, an mysteriöse Berichte von verschwundenen Schiffen und Flugzeugen in dem sogenannten Teufelsdreieck zwischen Florida, Puerto Rico und Bermuda erwachten. Interessiert las er vor Jahren die sagenhaften Beschreibungen. Aufmerksam verfolgte er in den Magazinen die Artikel über geheimnisvolle und unerklärliche Phänomene. Die Jugend - sie ist lange her. Unschlüssig und kritisch, tat er bis anhin die Berichte als unglaubwürdige Spinnerei und journalistische Zeitungsenten ab. Einer gewissen Faszination für die Thematik konnte er sich dennoch bis heute nicht entziehen.

«Vielleicht ist die Idee mit den Bermudas gar nicht so schlecht.» Eigentlich schien der Gedanke durchaus faszinierend. Zu lange schon, liess er sich vom stetigen Alltagstrott in Ketten legen. Seit längerem fühlte er sich wie ein Gefangener im Hamsterrad. Zeit aus der Eintönigkeit zu flüchten. Angetan von diesem Gedanken verweilte er vor den eindrücklichen Photographien. Rosarote Strände und glasklare Buchten, zerklüftete Felsformationen und majestätische Villen, nährten seinen Entschluss.

Es musste etwas geschehen gegen die alltägliche Gleichförmigkeit, Langeweile und Monotonie. Seit seiner letzten Reise in einem Flugzeug verging viel Zeit. Irland, Griechenland oder Spanien? Die Erinnerung verblasste. Das Chaos an überfüllten Flughäfen gehörte nicht zu seinen Leidenschaften - hielt ihn lange von einer solchen Unternehmung ab. Er suchte die Ruhe auf besinnlichen Wanderungen in seinen geliebten Schweizer Bergen. Die Flucht vor Menschenmassen. Oft auch vor dem Unbekannten und der plötzlichen Bedrohung durch das Ungewohnte. Schleichende Veränderungen und Bequemlichkeiten belasteten ihn merklich immer mehr.

In den letzten Jahren geschah einiges in seinem Denken. Die Trägheit nahm überhand. Die jugendliche Abenteuerlust verblasste, wie ein welkes Blatt und getrocknete Rosen. Das System hatte ihn assimiliert. Wo blieb der einstige Draufgänger, Nils Hardenberg?

«Mann, schau dich an», dachte er und fühlte sich wie der Fisch im Wasserglas. Gefangen im Berufsalltag, Vorsorgeplan, Altersguthaben und Alltagstrott. Die bedrohliche Spinne wusste ihre Netze über ihn auszuwerfen. Der giftige Köder verfehlte seine Wirkung nicht, ihn mit den Süssigkeiten des bequemen Lebens umfangreich gelähmt zu haben. Der Cocoon wickelte ihn ein - eng aber ungemein gemütlich.

Die Magie der Bilder wirkte Wunder, fühlten sich an wie eine Befreiung. Kraftvoll zwängte sich sein eigentliches Wesen aus der dunklen Versenkung der engen Grube an die Oberfläche. Verschüttete Wünsche und vergessene Ziele, Vorstellungen und Visionen quälten sich durch den Gewohnheitsmüll. Die Welt lag ihm zu Füssen, um sie zu erobern. Das Credo jugendlicher Ideale.

«Wohin sind all die Jahre verschwunden?»

Entschlossen schlenzte er durch die Häuserschluchten seiner Heimatstadt - Winterthur. Gedankenverloren folgten seine Blicke den Schatten in den engen Gassen. Erste Zweifel konspirierten im nächtlichen Strassenlärm. Die Widersacher zogen ihr scharfes Schwert und stellten sich kämpferisch dem neu erlangten Mut entgegen. Veränderungen sind der Gewohnheit kein geliebter Gast.

Stoisch schloss er hinter sich die Tür. Jeder Fleck und jeder Nagel an den Wänden, jede Ritze in den Holzdielen und jeder Riss in der Tapete buhlten glanzvoll um seine Gunst. Das gewohnte Knarren seiner Schritte und nachbarliche Geräusche blieben mittlerweile gänzlich unbeachtet - Gehörverweigerung als Rebellion. Einzig der Duft von Räucherstäbchen und die melodiösen Klänge von Rush‘s Bravado liessen ihn entschwinden - in ferne Welten und Regionen.

Unschlüssig schleuderte er seine Jacke an die Garderobe, schlenderte durch den Korridor. Zerknittert lag im Wohnzimmer noch immer die Decke auf dem Sofa. Stöhnend liess er sich auf das Polster fallen.

«Wo zum Henker ist schon wieder die Fernbedienung?»

Träge griff er wie an so manchem Abend, nach schnöder Unterhaltung. Zappend blieb er an einer spannenden Szene hängen. Der alte Film schien vielversprechend. Er würde wohl den Rest des Abends füllen. Noch immer schossen die Bilder aus dem Schaufenster durch seinen Kopf, sie verdrängten Frust und Müdigkeit. Das spannende Geschehen der unterhaltenden Schauspielkunst verschwand im Hintergrund. Zwischen Pistolenrauch und Galgenstricken, Werbeblöcken und romantischer Verklärung erzwang sich das nahende Tagesende im Dämmerschlaf nach seiner Aufmerksamkeit. Skurrile und schnelle Bilderfolgen raubten ihm den Schlaf. Dunkle Ritter zogen in den Kampf gegen die Helden der Müdigkeit und des nächtlichen Erwachens. Das laute Donnern galoppierender Hufe, warf seinen müden Körper ruhelos umher. Schatten durcheilten das Zimmer. Helle Lichter blitzten von Motorenlärm begleitet durch die Fenster. Aufdringlich zählten die Kirchturmglocken die Viertelstunden. Schlaflos zerrann die Nacht wie Sand in seinen Händen – Stunde um Stunde. Allmählich dämmerte er in den Schlaf. Eine weiche, wohlklingende und wunderschöne Stimme drang aus der Ferne in sein Bewusstsein. Leise rief sie ihn liebevoll bei seinem Namen. Ein helles, blendend weisses Licht, wuchs im tiefblauen Weltenall zu einem leuchtend hellen Stern. Von zarten Flügeln getragen, näherte sich ein wunderschönes Elfenwesen. Mit einem sanften Lächeln reichte sie ihm die Hand. Unsichtbare Kräfte hinderten ihn gewaltsam daran, nach ihr zu greifen. Ein schneeweisses Gewand aus feinsten Stoffen umhüllte ihren Körper. Spielerisch umschmeichelte der Wind ihre goldglänzenden und langen Haare. Niemals zuvor sah er ein derart berührendes Lächeln.

«Wer bist du?» Mit der Stimme des Verzweifelten rief er nach ihrem Namen. Schweigend hüllte sie sich in Unerreichbarkeit. So schnell sie aus dem hellen Licht entstieg, entschwand die geheimnisvolle Unbekannte wieder in den Schleiern leuchtender Nebelschwaden. Von einem Augenblick zum anderen im Nirgendwo.

«Mein Name ist Sino...» Eine sanfte Stimme in der Ferne verstummte in der Endlichkeit. Das Gefühl unsäglicher Traurigkeit schoss durch seine Brust.

Ohrenbetäubender Lärm riss ihn aus dem Schlaf. Der alte Wecker schepperte unerträglich. Erschrocken fuhr er hoch. Schweissgebadet setzte er sich auf. Gähnend reckte er seine verspannten Glieder. Die Muskeln schmerzten. Er glaubte alle seine Knochen zu bersten. Erneut zollte der Alltag seinen Tribut. Erste Sonnenstrahlen blendeten durch die Ritzen der Jalousie. Taumelnd schleppte er sich durch die Wohnung. Der nächtliche Traum erwachte aus der Versenkung. Er mochte sie nicht, die frühen Morgenstunden.

«Mist! Wie zum Teufel sagte sie nochmal sei ihr Name? Was sagte sie? Sino …?» Das abrupte Ende ärgerte ihn noch immer. Bedächtig musterte er im Spiegel seinen männlichen und muskulösen Körper. Beiläufig schmierte er etwas Zahnpaste auf die Bürste und steckte sie in den Mund.

«Die Falten sind wieder mehr.» Sachte fuhr er mit den Fingern über die Schläfe.

«Die paar grauen Haare sind auch nicht weniger.» Nachdenklich spuckte er in das Waschbecken. Mit grossen Augen betrachtete er die Pupillen und ihre grau-blaue Farbe.

«Im Grunde genommen sieht man sich das ganze Leben lediglich spiegelverkehrt. Das Spiegelbild zeigt immer nur eine verkehrte Wahrheit. Die Pickel sind in der Realität immer auf der falschen Seite.» - Morgenphilosophie.

Die Kaffeemaschine dröhnte. Grüne und rote Lämpchen blinkten. Surrend lief die braune Brühe in die schwarze Tasse. Der Duft verbreitete sich in der Wohnung. Gedankenversunken nippte er am Tassenrand.

Während Jahren betrat er nur noch selten ein Flugzeug. Bis anhin gab es keine Gründe das zu ändern. Manchmal ging das Leben eben zweifellos seltsame und höchst unerwartete Wege. Vor allem dann, wenn der Leidensdruck nach Veränderungen verlangt und förmlich nach Kompromissen schreit. Er fühlte sich bereit den alltäglichen Regeln und Vorschriften seines geordneten Lebens für einige Wochen den Rücken zu kehren.

Er mied standhaft jeglichen Aberglauben. Unerklärliche Phänomene auf den Bermudas gehörten zur Vergangenheit der 1970er - nicht in die Gegenwart. Zweifellos gewann das Thema in seiner Gegenwart an wissenschaftlicher Aktualität. Die Wiederbelebung durch das Internet lag auf der Hand. Weltbewegendes geschieht mit fremden Menschen - irgendwo und irgendwann. Die Möglichkeit dabei zu sein erweise sich laut Statistik verschwindend klein.

Sein Vorhaben verlangte nach Diskussionen. Sie blieben im Kollegenkreis nicht aus. Die bevorstehende Reise sollte Spass und Ablenkung, Vergnügen, Erholung und Abwechslung bringen. Der Rest blieb reine Spekulation. Vielleicht eine ordentliche Affäre. Selbst das Thema Frauen stagnierte, blieb festgefahren. Aussergewöhnliche Phänomene, das Bermudadreieck oder die japanische Teufelssee sollten in seiner Planung nichts verloren haben. Die nächsten Wochen gab es besseres zu tun, als sich mit negierenden Gedanken über UFO-Spinnerei und wilden Phantastereien verrückt zu machen. Entgegen seiner herkömmlichen Meinung und seinen kritischen Ansichten fühlte er sich plötzlich von der Thematik verfolgt. Die selbsterfüllende Prophezeiung tat offensichtlich ihr Bestes, um ihre Existenz unter Beweis zu stellen. Massenweise trug das Umfeld Reiseberichte an ihn heran. Begegnungen mit fremden Wesen, verschwundene Schiffe und unheimliche Geschehen im Dreieck erweckten die Phantasien.

‚Es ist besser ordentlich informiert als in Unwissenheit zu sterben‘. Humor erwies sich oft als Mutter der Nichtbeachtung. Warum also nicht auch in diesem Fall? Freunde und Bekannten zeigten sich plötzlich interessiert. Oberflächliches Bücherwissen dominierte jede Diskussion. Die Kinos lockten mit abenteuerlichen Filmen. Spannende Reisen in fremde Dimensionen, durch Zeit und Raum sind offensichtlich nicht aus der Mode. Wilde Spekulationen und eigene Phantasien reichten sich an Stammtischrunden die Hände.

Wenige Wochen bis zur Abreise. Abendlicher Rundgang beim Zappen. Die nicht mehr ganz aktuelle Doku erweckte seine Neugier. Eine erlesene Runde von Rang und Namen diskutierte über die Existenz von Atlantis. Gespannt verfolgte er die Argumente von Wissenschaft, Philosophie und Kultreligion. Die Werke namhafter Autoren und Forschung boten Raum für Spekulationen. Laut Platon lag es im Atlantik. Die genaue Position blieb bis heute Streitpunkt von Generationen.

Das plötzliche Verschwinden des sagenhaften Landes sorgte für Uneinigkeit. Fasziniert verfolgte er die Dokumentation. Anfängliche Nüchternheit wich dem Feuer erwachter Neugier.

Der Reisetag kam näher. Neue Welten zeigten sich am Horizont. Die Kreise jugendlichen Forschens schlossen sich. Schleppend zogen sich die Tage bis zum Abflug dahin. Alltägliches wandelte sich zur Langeweile und Herausforderungen wichen der Routine und Eintönigkeit. Allmählich wurde es Zeit und das Warten unerträglich.

Die wärmende Sonne erstrahlte durch die Spalten der Jalousie. Kleinste Staubpartikel tanzten wie flimmernder Sternenglanz auf ihren Strahlen. Zaghaft öffnete er die Augen und genoss im erwachenden Schlummer die letzten Minuten. Schlaftrunken stiess er die Decke beiseite, wälzte sich stöhnend aus dem Bett und torkelte im hellen Flur zum Badezimmer. Mit lautem Rumpeln schlug er den Ellenbogen gegen das Bücherregal.

«So ein Mist.» Ein stechend elektrisierender Schmerz schoss in seine Hand. Gerade so, als ob er in einen mit Strom geladenen Weidezaun gegriffen hätte. Unter rumpelndem Getöse fielen einige Bücher zu Boden. Wie von Geisterhand geleitet blieb eines offen auf dem glänzenden Parkett liegen. Langsam kamen die Seiten zur Ruhe. Staunend schaute er auf die leuchtende Illustration - Atlantis, kreisrund - mysteriös.

‚Na toll. Ein echter Grund abergläubisch zu werden.‘ Das Missgeschick verärgerte. In aller Eile ordnete er die Bücher und stellte sie zurück.

Er verabscheute Unpünktlichkeit. Es gab nichts schlimmeres als Hektik und Aufregung am Flughafen. Eile konnte nicht schaden. Am Check-In auf keinen Fall länger als nötig Schlange stehen.

Mit einem freundlichen Lächeln quittierte die junge Dame seine Buchung, überreichte ihm die Bordingcard. Zufrieden musterte er das Papier. Abflug Delta Air Lines (DL 408) 13:35 ab Zürich (ZRH). Ankunft Terminal: 4 John F Kennedy Intl Airport (JFK) New York – USA. Weiterflug. Delta Air Lines (DL 437). Ankunft Kindley Airfield/Civil Air Terminal (BDA) Bermudas Hamilton – Bermuda.

«Das wird nicht unbedingt ein Kurztrip.»

Umsichtig steckte er das Papier in die Jackentasche. Kein Piepsen beim Sicherheitscheck. Also doch kein Metall in der Gürtelschnalle. Bis zum Abflug blieb noch etwas Zeit. Ein kleines Café mit Ausblick auf die Terminals lud zum Verweilen. Die Swissair warb mit ihrer Geschichte im Weltformat - nostalgisch. Entgegen seiner Gewohnheiten bestellte er einen Schwarztee. Für ein Guinness zu früh. Nachdenklich kippte er den Rahm und etwas Zucker in die dunkle Brühe und rührte den Löffel. Dröhnender Lärm drang durch die Scheibenfront. EasyJet auf dem Weg zur Piste. Angetan folgte er einer Gruppe junger Frauen. Sie eilten vorbei - kichernd, stylisch, uniform. Glänzende Taschen edler Boutiquen am Handgelenk.

«Vor zwei Wochen ahnte ich nicht im geringsten, dass es euch überhaupt gibt.» Er nippte am Tassenrand, schaute staunend hinterher.

«Das Leben geht manchmal seltsame Wege.» Zeit zum Nachdenken, Philosophieren.

«Ohne es zu wollen werden wir von Fügung und Zufall manipuliert.» Nebenan wurde bezahlt, geflirtet und gegangen. Dampf zischte aus der Kaffeemaschine.

«Ohne das Schaufenster sässe ich jetzt nicht hier!» Eine wohlgefällige Manipulation. Zumindest in diesem Augenblick. Zufrieden stellte er die Tasse zurück auf die Bar.

‚Nun denn...!‘ Diese Beeinflussung kam nicht ungelegen. Zeit für Veränderungen. Die Folge eigener Entscheidung oder Frustration, Freiheitsliebe oder Selbstbestimmung? Die Bar ein Ort philosophischer Begegnung mit dem persönlichen Geschick und Karma? Ursache und Wirkung, Kausalität und Katastrophe. Eine Antwort blieb seit jeher aus. Zumindest an diesem Ort. Heute würde das Mysterium des Lebens kaum gelöst. Etwas Zucker im Kaffee. A380 im Landeanflug.

«Besten Dank und einen angenehmen Flug.» Die Zollbeamtin reichte ihm den roten Pass. Das weisse Kreuz glänzte - sie lächelte freundlich.

«Danke!» Angespannt erwiderte er die Geste und steckte das Dokument in seine Jackentasche. Die Boeing 767-400 stand blendend weiss im Sonnenlicht. Es roch nach Flughafen. Eine Mischung aus Parfüm und Kerosin lag in der Luft. Das Dröhnen der startenden Flugzeuge mischte sich im Hintergrund mit zahllosen Stimmen. Die gigantische Heckflosse erheischte nach Bewunderung. Das markante rote Delta auf blauem Untergrund glänzte in der Sonne. Ein mulmiges Gefühl blieb nicht aus. Plötzliche Unsicherheit gegenüber der Fliegerei. 300 Tonnen fliegendes Metall. Es wurde plötzlich eng in seiner Brust – wider alle Statistik und Vernunft. Ein dumpfer Gong. Die Konzentration stieg. Eine freundliche Aufforderung. Delta Airlines stand bereit zum Bording. Es kam Bewegung in die Menschenmasse. 300 Tonnen Kunststoff und Metall - gehören einfach nicht in die Luft.

,Nur keine Eile!, Gelassen stellte er sich in die Reihe. Die Glastür schloss sich hinter seinem Rücken. Der letzte Augenblick zum Rückzug. Stau am Eingang. Zeit für ein Lächeln und legere Leichtigkeit. Zumindest für die Besatzung. Er übte sich in Ruhe und Gleichmut. 300 Tonnen Bedrohlichkeit oder unsinnige Phobie. Er schwankte zwischen Faszination und Unbehagen, Misstrauen und Optimismus. Zweifellos bewunderte er die metallenen Ungetüme aus Aluminium, Drähten, Glas und Kunststoffen, als Wunderwerke der Fortbewegung. Kaum eine Technik spiegelte den materiellen und technischen Fortschritt mehr. Seit Otto Lilienthal, 1891 am Spitzen Berg ist unglaublich viel passiert. Letztendlich blieben es Millionen Teile – zweckdienlich und wohlgeordnet, verleimt, genietet, gelötet und verschweisst. Mathematisch und statistisch problemlos in die Luft gehoben. Der Aviatik zum Dank. 0,8 abgestürzte Flugzeuge auf eine Million. Von über 1,2 Millionen Flügen wäre faktisch dieser Flug betroffen. Angeblich liesse sich die Chance das Leben im Flugzeug zu verlieren kaum noch in Zahlen darstellen. Statistisch gesehen bei 0,00001 Prozent.

‚Scheiss Berechnung. Sag das den Betroffenen‘, dachte er und schloss auf. Es ging wieder vorwärts. Die Wahrscheinlichkeit auf einen Sechser im Lotto lag hingegen bei 0,0000715 Prozent. Kein wirklicher Trost. Die Faszination der menschlichen Leistung überwog. Aufgeregt betrat er den Schlund des metallenen Riesenvogels.

Kapitel 2

Abflug 3.Juli 2020

Es ging langsam voran. Die Besatzung lächelte und grüsste freundlich die wartenden Passagiere. Man trat sich gegenseitig auf die Füsse. Handgepäck verstauen und den Durchgang versperren. Ärger stieg allmählich hoch. Er hasste Kompliziertheit. Kindergeschrei, freudiges Gelächter, markante Gesichter, Quasimodos und fremdartige Düfte. Es herrschte Jahrmarktstimmung und Ferientaumel. Professionelle Freundlichkeit der Cabine Crew. Die Dimensionen beeindruckten.

‚Unglaublich!‘ dachte er und versuchte sich zu orientieren. Neugierig musterte er das Wunderwerk der Technik. Die Geräuschkulisse verschwand im Hintergrund. Die Umschau überwog. Menschen aus aller Welt und Sprachenvielfalt auf der Suche nach ihren Plätzen. Geduldig drängte sich die Besatzung durch die Masse. Ein klärender Blick auf die Bording Karte.

‚Okay‘, schritt er geduldig durch die Reihen. Irgendwo. Es herrschte Zuversicht. Die Fluggäste richteten sich allmählich ein, las Zeitung oder machte es sich bequem. Persönliche Strategien im Kulturzentrum Flugmaschine. New York lag weit weg. Die Suche ging weiter, der Platz noch nicht in Sicht. Erzwungene Anteilnahme am Unbekannten und Fremden aus aller Herren Länder. 400 verschiedene Schicksale. Für einen Bruchteil in der Ewigkeit konzentriert - willkürlich zusammen gewürfelt. In einer Röhre aus Kunststoffen und Metall. Umsichtig suchte er weiter nach der Sitznummer.

‚Wo zum Henker ist eigentlich vorne und wo ist hinten?‘ Er fühlte Konsternierung. Die Grösse blieb verwirrend. Kurze Augenblicke reichten aus, um die Orientierung zu verlieren.

«Haben Sie Ihren Platz gefunden?» Rettung nahte mit einer sympathischen Stimme.

«Ja ähm. Eigentlich nicht.» Verlegen schaute er in das junge Gesicht.

«Entschuldigen Sie!» Mit einer freundlichen Geste griff die uniformierte Schöne nach seiner Karte.

«Bitte folgen Sie mir.» Zielsicher ging sie ihm voran. Gespannt folgte er den zügigen Schritten. Unauffällig musterte er ihre weiblichen Bewegungen. Die sinnliche Distanz faszinierte – unnahbar und diskret.

«Hier ist Ihr Platz, mein Herr.» Mit einer freundlichen Handbewegung drehte sie sich um. Lächelnd drückte sie ihm die Karte in die Hand.

«Einen angenehmen Flug.» So schnell sie aus dem Nichts erschien, verschwand sie wieder zwischen den Reihen. Bei den Ingenieuren von Boeing herrschte es offensichtlich eine klare Vorstellung von Platzverschwendung. Der kleinste Zwischenraum schien zweckmässig verplant und Beinfreiheit ein Luxus. Wer zu spät kommt bestraft das Leben. Die schweigenden Gesichter der Nachbarn sprach Bände.

«Entschuldigung.» Vorsichtig zwängte er sich auf seinen Platz.

‚Am Fenster. Auch recht. Hoffe die Aussicht lohnt sich‘, dachte er zufrieden und schaute sich um. Erleichtert liess er sich in den Sitz fallen und machte es sich erst einmal bequem. Von nun an fühlte er sich der Willkür und dem Können der Piloten ausgeliefert. Sein Leben lag in den Händen fremder Menschen, die er überhaupt nicht kannte und von denen er zuversichtlich hoffte, dass sie keine neurologischen Probleme kannten. Über deren Qualifikation zu fliegen, entschieden andere. Hoffentlich erwies es sich als gute Wahl. Im Grunde genommen gefiel ihm dieser Gedanke überhaupt nicht. 300 Tonnen Material und Menschen. Ausgeliefert an zwei menschliche Gehirne und in bester Zuversicht, dass diese wussten, was sie taten. Das Fenster offenbarte die Ansicht auf Wunderwerke neuzeitlicher Technik. Tragfläche und Triebwerke. Dennoch beruhigt, freute er sich über den Beginn der Reise. Der Anfang schien schon mal geschafft. Zumindest sass er im Flugzeug - und das war um einiges besser als im Büro.

«Bringen wir die nächsten Stunden hinter uns. Ich bin richtig gespannt was mich erwartet.‘

Das rege Treiben legte sich mittlerweile. Von den Stewardessen begleitet, irrten die letzten Nachzügler durch die Reihen. Er fühlte sich auf den engen Sitzen eingepfercht. Kaum Beinfreiheit aber dennoch erstaunlich bequem. Fremde Menschen in nächster Nähe – unfreiwillig. Die kleinste Bewegung umgehend nachbarschaftlich quittiert. Geduldig schaute er aus dem Fenster, studierte die Umrandung. Aufmerksam verfolgte er die Betriebsamkeit des Bodenpersonals. Im Chaos herrschte unverkennbar ein System und Ordnung.

‚Hoffentlich habt ihr eure Arbeit gut gemacht!‘ Vertrauen gehörte nicht zu seinen Stärken. Vor allem in Situationen ohne einen direkten Einfluss auf die Geschehen. Selbstredend bemerkte er längst die attraktive Nachbarin zu seiner Rechten. Das Fliegen und Reisen schienen ihr nicht fremd. Mit besonnener Gelassenheit verstaute sie ihr Handgepäck und richtete sich gemütlich ein. Gerade so, als ob sie zur Arbeit pendeln würde. Sichtlich unberührt vom geschäftigen Treiben der Passagiere griff sie mit ruhiger Hand in eine kleine Tasche. Vorsichtig zog sie einen Laptop und ein Bündel Unterlagen hervor. Routiniert begann sie zu arbeiten. Mit einem Klappern rutschte ihr der Kugelschreiber aus der Hand. Direkt vor seine Füsse.

«Oh, Entschuldigung.» Sie lächelte verlegen. Mit schnellem Griff hob er das Schreibgerät vom Boden.

«Das ist in Ordnung. Es ist ziemlich eng hier.» Freundlich lächelnd reichte er ihr den Stift.

«Danke.» Die ideale Gelegenheit für einen ersten Kontakt. Ihre volle Stimme klang sanft und irgendwie betörend. In ihrer natürlichen Schönheit legte sie offensichtlich keinen grossen Wert auf Make-up und künstliche Fassade. Er mochte ihr auffallend volles und schulterlanges Haar. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. Zumindest brachte der kleine Zwischenfall eine willkommene Abwechslung. Das Flugzeug stand noch immer am Dock. Das Unwohlsein gegenüber dem Fliegen legte sich noch immer nicht. Eine Blösse die er sich in ihrer Gegenwart niemals eingestehen würde. Er, der mit beiden Beinen fest im Leben stand, auf alles eine Lösung fand und sich in gewisser Weise dennoch vor dem Fliegen fürchtete. Schnell nahm sie den Stift wieder an sich, vertiefte sich erneut in ihre Arbeit. Offensichtlich mied sie den direkten Kontakt. Auf mehr als ihren Dank konnte er wohl nicht hoffen und schon gar nicht auf ihren Namen. Erwartungsvoll schaute er sich um. Unweit entfernt blätterte ein englischer Melonenträger konzentriert in einer Zeitung. Zwei Kinder spielten unbeschwert mit ihren Stofftieren, während sich ihre Mutter mit einer Sitznachbarin unterhielt. Eine ältere, südländische Nonne klammerte sich krampfhaft an einen Rosenkranz. Aufgeregt drehte sie ihn zwischen ihren Fingern. Ein junges Pärchen versank auf intime Art und Weise im Spiel ihrer Lippen in fremde Sphären. Das Bordpersonal begann die Türen zu schliessen. Eine sympathische Stimme bat die Passagiere um ihre Aufmerksamkeit - in drei verschiedenen Sprachen. An den Sitzen flimmerten die Bildschirme. Eindrücklich erläuterte ein kurzer Film die Rettungsmassnahmen für den Notfall. Nervös verfolgte er die abschliessenden Tätigkeiten des technischen Personals unter den Tragflächen. Eiligst entfernten diese Schläuche und Kabel und verliessen den Gefahrenbereich. Fast unmerklich setzte sich das Flugzeug rückwärts in Bewegung. Fasziniert beobachtete er das imposante Zugfahrzeug. Kurz darauf verriet ein kurzes Vibrieren den Start der Strahltriebwerke. An der Tragfläche fuhren die verschiedenen Klappen ein und aus.

‚Irgendwie wirken die echt altmodisch. Im Verhältnis zur restlichen Technik‘. Mit kritischen Blicken verfolgte er die Funktionskontrollen an der Tragfläche. Mit dem Aufheulen der Düsentriebwerke kam die schwerfällige Maschine in Bewegung. Gemächlich rollte der Riesenvogel in Richtung Startbahn. In der Ferne zogen die Gebäude des Flughafens langsam vorbei. Die Spannung stieg. Das Licht der mittäglichen Sonne erhellte die Kabine. Gebannt beobachtete er die Struktur des rollenden Flugzeugs. Etwas beunruhigt glaubte er minimale Bewegungen im Rumpf zu erkennen. Angespannt krallte er sich unbewusst an der Sitzlehne fest. Scheinbar unberührt sass seine Sitznachbarin über dem Bildschirm ihres Computers. In langsamer Fahrt überquerte das Flugzeug verschiedene Bahnen und kam erneut zu Stehen. Die Triebwerke heulten auf. Von einem Moment auf den anderen gewann es rasant an Geschwindigkeit, presste ihn in den Sitz. Zu seiner grossen Verwunderung, gewann der Anblick des vorbei rasenden Asphalts und die donnernden Geräusche der berauschenden Beschleunigung seine Bewunderung. Lächelnd legte seine Nachbarin den Computer aus der Hand und verstaute ihn in der Tasche. Schweigend schaute sie mit nachdenklichem Blick aus dem Fenster. Fasziniert beobachtete er ihr Profil.

‚Sie ist wohl in meinem Alter‘. Gebannt fixierte er den kleinen Bildschirm an der Rückenlehne. ‚… und sie hat eine wundervolle Ausstrahlung. Ihre Augen sind unglaublich‘. Er geriet ins Schwärmen. In jeder anderen Situation hätte er wohl umgehend das Gespräch mit ihr gesucht. Bis jetzt reagierte sie jedoch noch nicht. Den ersten Schritt zu wagen wäre ihm zu peinlich. Diese Blösse wollte er sich nicht geben. Ein langer Flug stand bevor und es würden sich noch viele Gelegenheiten bieten.

‚Welche Verschwendung. Warum zum Teufel trifft man eine derart interessante Frau ausgerechnet hier im Flugzeug. Sie könnte wer weiss wohin fliegen auf dieser Kugel‘.

Sekunden später hob das Flugzeug ab. In einer grossen Schleife nahm es Kurs in Richtung Westen und stieg einer 8-stündigen Reise entgegen. Schnell gewann die Maschine an Höhe, verschwand Zürich in der Ferne. Kurz darauf durchbrach sie die Wolkendecke. Auf der Tragfläche lösten sich die Dunstschwaden. Die Triebwerke dröhnten merklich leiser. Bald darauf erreichte es seine Flughöhe. Der Pilot meldete sich mit freundlichen Worten an die Passagiere und gab einige Informationen zur Position, Wetterlage und Reisegeschwindigkeit. Er warf einen kurzen Blick nach draussen. Die Klappen an der Tragfläche brachten sich in Position. Erwartungsvoll verfolgte er den Vorgang. Das klare Blau des Himmels eröffnete einen unbeschreiblichen Ausblick auf den Horizont. Der leuchtende Bildschirm informierte über die Route. Entspannt legte er sich zurück und stülpte die Kopfhörer über. Mit den melodiösen Klängen von Alan Parsons Luzifer und dem erquicklichen Anblick auf den Horizont, entschwanden jegliche Bedenken. Seltsame Träume und Bilder führten ihn durch einen kurzen Dämmerschlaf.

Das leise Summen der Triebwerke warf ihn zurück in die Realität. Benommen schaute er sich um.

‚Erst mal die Kopfhörer und den Player versorgen‘. In der Kabine lag eine angenehme Stille. Viele Passagiere schliefen, andere machten es sich bei einer Lektüre gemütlich. Man wusste sich zu beschäftigen.

‚Keine schlechte Idee! Ich kann sowieso nicht richtig schlafen‘. Er kramte nach dem Buch über das verschollene Atlantis. Seine sympathische Nachbarin hatte die Augen geschlossen und sich unter einer Jacke verkrochen. Er schaute auf die Uhr und warf einen Blick auf den Bildschirm. Seit dem Start legte die Maschine erst ein knappes Drittel der Flugroute zurück. Gelassen blätterte er durch die Seiten. Fasziniert folgte er den Darstellungen, wissenschaftlichen Spekulationen und philosophischen Interpretationen.

Mit einem freundlichen Lächeln gingen die Stewardessen durch die Reihen und reichten Erfrischungstücher.

«Was lesen Sie denn da?» Unerwartet erwachte seine Sitznachbarin. Lächelnd streckte sie ihre Glieder und setzte sich bequem in den Sitz.

«Es hat einen aussergewöhnlichen Einband! Ich mag schöne Buchumschläge.» Völlig unerwartet änderte sich ihr Verhalten.

«Das stimmt, der hat mir auch gleich gefallen.» Verlegen schloss er das Buch und musterte den Umschlag. Eigentlich studierte er ihn noch nie zuvor im Detail.

«Das Buch ist mir erst kürzlich unter die Augen gekommen.» Der Moment für einen ausführlichen Dialog schien reif.

«Ehrlich gesagt habe ich erst im Zusammenhang mit dieser Reise begonnen, mich für das Bermuda Dreieck und das verschollene Atlantis zu interessieren.» Sie hörte ihm schweigend zu, schaute ihn mit geheimnisvollen Augen an. Er vermutete sie in einem akademischen Beruf. Obschon er Prahlerei und Aufschneiderei verpönte, würde in diesem Fall eine kleine intellektuelle Bemerkung nicht schaden. Sie reagierte mit einem geheimnisvollen und irritierenden Lächeln. Er fühlte sich ertappt.

«Ich bin übrigens Jsabelle Crowford.» Sie reichte ihm freundlich die Hand. Eine überraschende Geste. Warum schien sie plötzlich so offen und zutraulich?

«Freut mich – Nils Hardenberg. Ich weiss, meine Eltern mochten die Nordsee.» Sie lachte. Das Eis schien gebrochen und die Fronten geklärt.

«Wohin reisen Sie, wenn ich fragen darf?» Auf keinen Fall wollte er diesen Anfang ungenutzt lassen.

«Mein Vater lebt gegenwärtig in Florida. Er arbeitet an einem Forschungsauftrag und hat mich gebeten ihn für einige Zeit zu unterstützen.»

«Florida? Das liegt nicht gerade auf dem Weg!» Nils stutzte.

«Das stimmt.» Sie lächelte.

«Ich bin auf einem kleinen Umweg über die Bermudas zu meiner älteren Schwester. Sie lebt und arbeitet in Hamilton.»

‚Ein kleiner Umweg‘. Er staunte über ihre Äusserung. Offensichtlich ist sie gewohnt, durch die halbe Welt zu reisen.

«Ihre Familie scheint weltbewandert. Was macht Ihr Vater in Florida?»

«Wir sind überall verteilt. Er ist Archäologe.»

«Das klingt spannend.»

«Was zieht Sie nach New York?» Sichtlich reserviert wechselte sie diplomatisch das Thema.

«New York ist für mich nur Zwischenhalt. Eigentlich geht’s nach Hamilton auf die Bermudas», antwortete er.

«Ach wirklich?»

«Ja genau. Bei mir ist es eine völlig unspektakuläre Ferienreise.» Seine Antwort hörte sich in den eigenen Ohren peinlich an. Erwies er sich doch als dämlicher Tourist. Er räusperte sich verlegen. Das Buch lag noch immer auf seinen Knien. Ein Gedankenaustausch bot sich förmlich an. Angespannt klammerten sich seine Finger in das Werk. Ohne den Inhalt wirklich zu verstehen, las er oberflächlich irgendwelche Zeilen.

«Was denken Sie über die Thesen zum Untergang von Atlantis?» Gespannt reichte er ihr das Buch. Mit einem lächelnden Blick blätterte sie durch die Seiten.

«Wollen Sie eine ehrliche Antwort?»

«Klar. Eigentlich schon!»

«Der Autor und seine Thesen sind mir bekannt. Mein Grossvater hatte sogar beruflich mit ihm zu schaffen.» Lächelnd gab sie ihm das Buch zurück.

«Ehrlich. Manchmal ist die Welt wirklich klein.» Nils staunte.

«Ich denke, dass einiges was über MU, Lemuria und Atlantis geschrieben wird tatsächlich stimmt. Mit Sicherheit haben diese Zivilisationen in der Vergangenheit existiert. Dieser Planet existiert seit Jahrmilliarden. Die Behauptung, dass wir in all der Zeit die erste hochentwickelte Zivilisation sein sollen ist doch absolut vermessen.»

«Denken Sie wirklich?»

«Klar.»

«Das ist für mich ein fremder Gedanke.»

«Sie wollten eine ehrliche Antwort. Meine Erfahrungen haben mich in den letzten Jahren einfach zum Schluss gebracht, dass hinter den Sagen und Legenden sehr viel mehr Wahrheit steckt.» Ihre Klarheit glänzte einzigartig. Nachdenklich schaute er auf das Buch. Offensichtlich verbarg sich hinter ihrem Wesen eine ungeahnte Welt. Ihre Ausdrucksweise klang nicht nach Spontaneität und Unüberlegtheit. Vielmehr schwang in ihrer Sprache die klare Überzeugung einer wissenschaftlichen Sachlichkeit.

«Sie sind sich ihrer Sache offensichtlich sehr sicher. Ich gebe zu, dass ich mich wie gesagt, erst seit kurzem mit diesem Thema befasse. Bis jetzt habe ich aber noch niemanden getroffen, der mir mit solcher Überzeugung und Klarheit geantwortet hat.» Schweigend lächelte sie ihn an.

«Sie haben einen Begriff verwendet, der mir nicht geläufig ist. Wie sagten Sie Le…?»

«Ich dachte mir schon, dass diese Frage kommt. Sie meinen Lemuria.»

«Genau. Lemuria. Was ist das?»

«Es heisst, dass neben Atlantis eine weitere Stadt existierte. Man nannte sie MU oder eben Lemuria.»

«Klingt spannend. Und wo hat sie gelegen?»

«Laut den Überlieferungen wurde sie von dem einflussreichen Patriarchen Muras gegründet. Angeblich liegt sie heute noch unentdeckt unter der chinesisch-mongolischen Wüste Gobi.»

«… und das bei all der gigantischen Satellitenüberwachung unserer Geheimdienste?»

«Das ist wirklich erstaunlich, oder?» Sie schaute an die Decke des Flugzeuges.

«Weiss man denn genauer wo dieses Lemuria liegt?»

«Dieses Gebiet erstreckt sich über den gesamten wüstenhaften Bereich Zentralasiens. Das ist der lange Streifen aus Wüsten und Halbwüsten vom Pamir bis zum Hinggan-Gebirge an der Grenze zur Mandschurei. Das sind 1,6 Millionen km² nichts als Wüstensand.»

«Die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen?»

«So ungefähr.»

«Ich verstehe aber noch nicht den Zusammenhang. Was hat Atlantis mit Lemuria zu tun? Soviel ich weiss liegen zwischen den Azoren und der Mongolei Tausende von Kilometern.»

«Es ging natürlich um Krieg – was sonst. Es heisst in den Legenden, dass Atlantis während kriegerischen Handlungen gegen Lemuria von dessen Bewohnern im Meer versenkt wurde.»

«Sie meinen durch Bomben oder dergleichen?»

«Das ist anzunehmen.» Obschon er sich zeitlebens noch nie sonderlich für derartige Dinge begeisterte fand er sich plötzlich wieder in einer unbekannten und fantastischen Welt, wie er sie lediglich aus den Romanen von Jules Verne kannte.

«Was ist aus MU geworden?» Plötzlich fühlte er sich vom Feuer des Wissensdrangs getrieben. Warum befasste er sich nicht längstens mit diesen Dingen? Ganz offensichtlich schaffte es diese Frau mehr als nur sein Testosteron anzusprechen.

«Das würde mich natürlich ebenfalls brennend interessieren.» Sie lachte.

«Es heisst, dass Lemuria ein plötzliches Ende gefunden habe. Das ganze ist offensichtlich sehr komplex. Vieles liegt im Dunkeln. In all den Jahren seiner eigenen Nachforschungen ist auch mein Vater immer wieder an Grenzen gestossen.»

Kaum beendete Jsabelle ihren Satz, zog sie ein kleines Buch aus der Tasche. 'Lexikon des Geheimwissens'. Konzentriert blätterte sie durch die Seiten. Eine gelbe Broschüre fiel ihr zu Boden. Reaktionsschnell hob er sie auf. Die Päpstin Johanna Jutta Gilberta Anglicus genannt Papst JOHANNES VIII. oder BENEDIKT III (Regierungszeit 855 bis 857 während 2 Jahren 5 Monaten und 4 Tagen) Wissenswertes aus der Geschichte. Zusammengetragen vom 11. bis 23.Juli 1990 von Hans-Georg Lanzendorfer, las Nils interessiert den Titel.

«Entschuldige. Das klingt interessant. Darf ich kurz einen Blick hineinwerfen? Über die Päpstin gibt es doch einen Roman von Donna Woolfolk Cross.»

«Korrekt. Der Roman wurde 1996 veröffentlicht. Die kleine Broschüre meines Freundes, Hans-Georg jedoch bereits sechs Jahre zuvor. Er fand damit aber kaum Beachtung. Das Thema ist sehr spannend. Vor allem, wenn man sich für Religionsgeschichte und die Rolle der Frauen interessiert. Bis zum Erscheinen des Romans war das Thema über die Päpstin so gut wie in keinem Munde.»

«Verstehe», begann er interessiert die Einführung zu lesen: ‚Bei meinen minutiösen Nachforschungen stiess ich in der Klosterbibliothek Allerheiligen in Schaffhausen auf ein kleines, sehr altes Schriftwerk aus dem Jahre 1598, einen Codex, wie die Bücher des Mittelalters genannt wurden. Dieses alte Buchwerk enthält eine Ansammlung von Berichten, die in einer schier unverständlichen, alten deutschen Sprache verfasst waren und religiöse Themen aus dieser damaligen Zeit behandelten. Unter diesen Berichten befand sich ein Kapitel mit dem aufschlussreichen Titel: Jesuiter des päpstlichen Stuhls. Zu dieser Zeit vornehmste Stütze, fälschlich fürgeben und vergebstreiten. PAPST JOHANNES VIII. sei kein Weib gewesen. Geschrieben im Jahre 1598 von Herman Witekind. In Buchform wurde dieser Bericht herausgegeben durch die reformierte Kirche Hollands am 6. Mai des Jahres 1619 unter dem Titel: 'Urteil des Synodi nationalis'.

«Aber zurück zum Thema Lemuria. Lesen Sie diesen Abschnitt, das könnte Sie interessieren.» Sie reichte ihm das kleine Werk und legte den Finger auf die Namen, Agharti und Agharta. Alles unbekannte Namen. Gespannt las er die Beschreibung:

‚Verbunden mit den Mythen von Sambala ist der Glaube, dass alle Kontinente durch einen Irrgarten unterirdischer Wege verbunden sind, die von einer riesigen Welt mit dem Namen Agharti oder Agharta ausgehen, die sich irgendwo unter Tibet oder an einem anderen Ort Asiens befindet. Laut alter Erzählungen ist Agharti die Heimat einer alten «Überrasse», die von unserer eigenen Welt auf der Erdoberfläche verborgen lebt‘.

Nachdenklich betrachtete er den weissen Umschlag und gab ihr die beiden Schriften zurück. Lächelnd verstaute sie diese in ihrer Tasche.

«Reicht Ihnen das als Erklärung?»

«Ich glaub das reicht danke.» Jsabelle legte sich zurück und schloss die Augen. Bis zum Ende der ersten Etappe lagen noch ein paar Stunden vor ihnen. Für die nächste Zeit blieben seine neuronalen Reserven mit genügend Stoff versorgt. Das Thema nahm ihn gefangen. Er spürte, dass diese Geschichte ihr Ende noch lange nicht fand, ahnte, dass ihn die Sache noch eine Weile beschäftigen würde. Nils schloss die Augen.

Der Flug verlief ruhig. Ein Zucken schoss durch seinen Körper. Verwirrt schaute er sich um. Von einer Sekunde auf die andere räumte der Schlaf das Feld. Vereinzelt spazierten die Passagiere zwischen den Reihen oder vertieften sich in leisen Gesprächen. Jsabelle hüllte sich in eine Decke, ihre Augen geschlossen.

Das schwache Licht der untergehenden Sonne legte den blau leuchtenden Horizont in einen glimmenden Feuerschein.

Schlaftrunken rieb er sich die Augen. Offensichtlich übermannte ihn vorhin nochmals der Schlaf. Der Sitz engte ihn ein und seine Glieder schmerzten. Vorsichtig reckte er seine Arme und Beine.

«Hallo.» Jsabelle hantierte an ihrem Computer.

«Wo sind wir eigentlich?» Entgeistert versuchte er sich zu orientieren.

«Noch eine Stunde bis New York.» Sie lächelte freundlich. Er fühlte sich von ihrer Ausstrahlung hingerissen, versetzt in fremde Welten.

«Schon so bald. Dann habe ich voll geschlafen - hoffentlich nicht geschnarcht.» Nils machte es sich bequem.

«Wie fliegen Sie eigentlich weiter nach Hamilton?» Neugierig suchte er nach den Möglichkeiten sie nicht aus den Augen zu verlieren.

«Ich habe noch kurz etwas zu erledigen. Leider habe ich nicht sehr viel Zeit.»

«Ach wirklich? Vielleicht treffen wir uns später nochmal im Flieger nach Hamilton.» Angestrengt versuchte er seine Absichten zu verbergen.

«Das wäre doch nett. Ich fliege mit Delta Air Lines weiter. DL 437.»

«DL 437? Das ist genau mein Flug.» Verkrampft versuchte er seine Begeisterung zu verbergen. Offensichtlich liess sich das Schicksal gnädig stimmen.

Ein kurzer Handschlag zur Verabschiedung. Schnell verschwand Jsabelle Crowford lächelnd in der Menschenmasse. Fasziniert schritt er durch die riesige Halle. Unübersehbar befand er sich auf amerikanischem Boden. Zahlreiche Flaggen der USA liessen diesbezüglich keine Zweifel offen. Bis zum Weiterflug dauerte es noch ein paar Stunden. In einem Restaurant wunderte er sich nicht über das typische kohlehydratreiche Angebot. Hamburger und Pommes, Chicken Nuggets, Bagels. In leuchtenden Farben warben die verschiedenen Ketten für ihre Auswahl. Fleisch dominierte auf zahlreichen Karten. Barbecue, Spareribs und Chickenwings. Lobster-Roll, California-Wrap, Red Snapper, Rumpsteak mit Avocado-Salsa und süsse California-Rolls. Zufrieden kaufte er sich eine Zeitung, setzte sich auf eine Bank und verfolgte für eine Weile das geschäftige Treiben. Die Toiletten erwiesen sich als erstaunlich sauber und die Infotafeln übersichtlich. Das Handy zeigte seit längerem keine neuen Nachrichten. Aufmerksam hielt er Ausschau nach seinem Flug - und nach Jsabelle. Keine Spur von ihr - weit und breit. Endlich - sein Flug wurde ausgerufen. Terminal 4, Gate B37. Erleichtert begab er sich zum Gate. Allmählich füllte sich der Raum. Wartende Passagiere aus allen Herren Länder. Kurz darauf öffneten die Terminals zum Boarding. Umsichtig griff er seine Tasche und stellte sich in den Menschenstrom. Delta Air Lines DL 437. In grossen leuchtenden Lettern. Noch immer keine Spur von Jsabelle. Die Möglichkeit wieder neben ihr zu sitzen schien ihm so gering wie ein Sechser im Lotto. Die Kolonne bewegte sich vorwärts. Schnell fand er in dem Riesenvogel seinen Platz. Airbus A319. In diesem gewaltigen Vogel die Übersicht zu behalten, erwies sich nicht als einfach.

Im Gegensatz zum ersten Flug fanden sichtlich weniger Menschen Platz. Mit 160 Nasen noch immerhin genug. Vielleicht, so hoffte er würde er sie während des Fluges sehen und begann sich einzurichten.

‚Warum habe ich ihr nicht einfach meine Handy Nummer gegeben?‘ Diese Nachlässigkeit ärgerte ihn. Im Zeitalter der multimedialen Technik hätte sie das vielleicht nicht unbedingt als Aufdringlichkeit verstanden - möglicherweise. Dennoch konnte er sich dessen auch nicht sicher sein. Enttäuscht darüber sie nirgends zu finden, sorgte er sich über ihren Verbleib. Kurz darauf erhob sich der Riesenvogel in den Himmel.

Verwirrt schreckte er auf. Sein Schädel brummte. Umgehend schaute er auf die Uhr. Zwei Stunden Flug seit New York.

‚Nochmal zwei Stunden. Jetzt siehst du dir den Riesenvogel etwas genauer an.‘ Er wollte sich endlich einmal die Füsse vertreten. Stöhnend stand er auf. Der Sitz beengte. Vorsichtig quetschte er sich zwischen fremden Knien auf den Korridor. Umsichtig hielt er Ausschau nach Jsabelle. Sie gab ihm klar und deutlich zu verstehen, dass sie sich auf dem Flug DL 437 befinden werde. Durst machte sich bemerkbar. Ein fader Geschmack lag im Mund. Dämmriges Licht erhellte schwach die geräumige Kabine. Ein alter Wild-West-Streifen flimmerte auf der Leinwand. Einmal mehr ritt Gary Cooper für Recht und Ordnung, für die Witwen und Enterbten. Beeindruckt von der Grösse dieses technischen Wunderwerks menschlicher Schaffenskraft, ging er langsam durch die Reihen. Der Gedanke mit dieser Röhre in Zehntausend Meter Höhe zu fliegen beeindruckte. Kurz darauf betrat er den vorderen Bereich des imposanten Flugzeuges.

Seine Abneigung gegen das Fliegen nagte. Dennoch wunderte er sich über die eigenen Gefühle. Zweifellos forderte die Faszination für diese Technik ihren Tribut.

«Haben Sie einen Wunsch, mein Herr?» Unerwartet stand eine Flugbegleiterin neben ihm. In der Bordküche herrschte emsiges Treiben.

«Eigentlich möchte ich mir nur etwas die Beine vertreten», murmelte er verlegen.

«Ein kleines Getränk wäre aber gar nicht schlecht. Dann gerne einen Tomatensaft mit etwas Salz bitte!»

«Selbstverständlich, bitte sehr.» Offensichtlich erkannte sie bereits vor ihm selbst seinen Wunsch.

«Die Toiletten finden sie übrigens gleich da vorne.» Dankend nahm er den kühlen Saft. Vorsichtig nippte er daran und ging weiter. Noch immer keine Spur von Jsabelle. Aufmerksam durchsuchte er die Reihen.

‚Entweder verpasste sie den Anschluss oder nahm letztendlich ein anderes Flugzeug‘, kam er zum Schluss.

‚Das rote Zeug ist echt erfrischend!‘ Zweifellos erwies sich der Hinweis seiner Kumpels mit dem gesalzenen Tomatensaft als Rettung. Wozu hat man Freunde.

Begierig musterte er den vorderen Bereich. Eine halb geöffnete Tür erweckte seine Neugier - ‚Business Class‘. Das Abteil der Wirtschaftskönige. Lächelnd trat eine Flugbegleiterin heraus. Sie grüsste freundlich, zwängte sich vorbei und ging weiter. Helles Licht flutete den Raum. Bequeme, graue Ledersitze entlockten ihm dezentes Staunen. Die Reihen boten reichlich Platz. Unweit des Durchgangs dominierte eine gemütliche Bar. Es traf ihn wie ein Donnerschlag. Seine Brust vibrierte. Jsabelle – zweifellos. Offensichtlich mit einem dunkelhäutigen, elegant gekleideten Mann in einem angeregten Gespräch. Sichtlich aufgebracht gestikulierte sie mit ihren Händen. In ihrem Gesicht zeigte sich Wut und Abneigung. In der Business Class hätte er sie nicht vermutet. Wie angewurzelt blieb er stehen und beobachtete diskret das Geschehen. Der Unbekannte trug auffällig unzeitgemässe Kleidung. Mit seiner seltsamen Sonnenbrille gehörte er in einen Film mit Humphrey Bogart.

‚Der ist wohl in der Zeit hängen geblieben‘, sinnierte er fasziniert von dessen Gestalt. Er wirkte sehr fremdartig - irgendwie nicht ganz von dieser Welt. Nils verharrte ratlos. Sollte er sich bemerkbar machen? Besser zurückziehen und sich nicht anbiedern? Die Peinlichkeit einer Entdeckung wollte er tunlichst vermeiden - zumindest in dieser Situation. Entschlossen liess er es bleiben. Ihre Anwesenheit in der Maschine klärte sich somit zumindest. Alles weitere würde sich ergeben. Er blieb zuversichtlich. Zumindest blieb die Chance auf ein Wiedersehen. Enttäuscht über die unpersönliche Begegnung, stellte er den leeren Becher neben die Bordküche.

Nach einem kurzen Umweg zur Toilette zwängte er sich auf seinen Platz. Die Flugbegleiterinnen stiessen Rollwagen durch die Gänge. Passagiere pressten sich vorbei. Unerwartet näherte sich Jsabelle. Konzentriert blickte sie sich um.

‚Sieht aus, als ob sie nach etwas sucht‘. Die Gelegenheit schien günstig. Angespannt nutzte er die Gunst ihrer Nähe.

«Entschuldigen sie bitte nochmals.» Aufgeregt quetsche er sich an seinen Nachbarn vorbei. Die Begegnung sollte spontan und locker wirken.

«Hallo Frau Crowford. Das nenn ich eine angenehme Fügung. Freut mich sie zu sehen. Ich dachte schon sie sind verschollen.»

«Hallo, Herr Hardenberg. Schön sie zu treffen. Ich habe sie gesucht.» Sie schien erleichtert. Umsichtig reichte sie ihm verhalten die Hand, lächelte. Verunsichert zog er die Augenbrauen zusammen. Ihr Verhalten veränderte sich. Wo blieb das taffe und unerschütterliche Wesen von vorhin.

«Mich gesucht? Wie komme ich zu der Ehre?» Etwas Geheimnisvolles lag in der Luft. Er spürte ihre Unruhe.

‚Warum schaut sie mir nicht in die Augen?‘ Sie blickte umher als würde sie verfolgt. Ihre Frage klang nebensächlich. Sie hakte sich an seinem Arm und zog ihn langsam weiter. Er verstand und folgte.

«Ich wollte vorhin ihre Unterhaltung mit dem älteren Herrn nicht stören. Ich hatte den Eindruck Sie waren ziemlich aufgebracht.»

«Hat man mir das angesehen?» Ihr Minenspiel äusserte Verwunderung.

«Irgendwie schon, Ja.»

«Haben Sie kurz Zeit?» Sichtlich angestrengt, suchte sie nach Gelassenheit. Sie vermochte ihre Nervosität nur schwerlich zu verbergen.

«Klar. Worum geht es?» Er folgte gespannt. Was hatte sich so plötzlich geändert? Im Gegensatz zur ersten Begegnung wirkte sie unerwartet zutraulich.

«Ich brauche jemandem, dem ich vertrauen kann. Nennen wir uns doch beim DU. Ich bin Jsabelle.» Erwartungsvoll schaute sie ihm tief in die Augen. Er fühlte sich leicht überrumpelt.

«Ähm. Ja, klar. Ich bin Nils. Worum geht es denn?» Es ist erst Stunden her, seit diese Frau in sein Leben trat. Sie vermittelte ihm bis anhin den Eindruck von weiblicher Standhaftigkeit, Couragiertheit und Unerschrockenheit. Dennoch schien sie plötzlich eingeschüchtert und von latenter Ängstlichkeit befangen.

«Ich bin etwas überrascht. Das gebe ich zu.» Er räusperte sich verlegen.

«Ich meine, also grundsätzlich kannst du mir sicher vertrauen - klar. Bist du sicher, dass ich der Richtige bin, für was auch immer?»

«Ich bin mir sicher. Du bist es.»

«Okay. Ich bin gespannt.»

«Es geht um das Gespräch vorhin.»

«Du sprichst von dem schwarz gekleideten Mann in der Business Class?»

«Genau von dem. Er war längere Zeit ein enger Vertrauter meines Vaters.»

«Ich verstehe.»

«Leider war er alles andere als einfach. Eine schillernde Figur. Ich habe diesem ungemütlichen Menschen immer misstraut.»

«Klingt nicht sehr vertrauensvoll.»

«Genau. Leider wusste ich nicht, dass er ebenfalls nach Hamilton fliegt. Ich hätte umgehend einen anderen Flug genommen.»

«Okay das kann ich verstehen. Aber in dem grossen Flieger kann man sich doch einfach aus dem Weg gehen.»

«Das ist eben das Problem. Ich vermute, dass er mir zu meinem Vater folgt. Leider kann ich dir nicht alle Hintergründe nennen. Das wäre zu kompliziert!»

«Das ist in Ordnung. Was heisst das nun? Was erwartest du konkret von meiner Vertrauenswürdigkeit? Ich stehe noch auf der Leitung.»

«Kann ich dich um einen Gefallen bitten? Es wäre sehr wichtig.»

«Einen Gefallen? Ähm. Grundsätzlich ja.» Die Antwort kam nur langsam über seine Lippen. Er wurde nachdenklich. Entgegen aller Sympathie und Zuneigung blieb sie erst mal eine Fremde. Er verspürte keine Lust irgendeiner arglistigen Machenschaft auf den Leim zu kriechen. Zu oft schon las er darüber, dass irgendwelche Reisende als Kuriere missbraucht und sich in des Teufels Hölle fanden ohne nur im Geringsten zu ahnen worauf sie sich einliessen.

«Solange du mir keine Drogen unter jubelst», versuchte er humorvoll seine Bedenken darzulegen.

«Keine Sorge. Du kannst mir ebenfalls vertrauen.» Sie blieb kühl, wurde spürbar ernster. Mit einem Augenschein vergewisserte sie sich keiner unliebsamen Zuhörer.

«Vor geraumer Zeit übergab mir mein Vater einen Gegenstand. Ich habe ihn bis heute bei mir. Er bat mich, diesen nur im äussersten Notfall aus der Hand zu geben.»

«Okay. Ich ahne was kommt. Was für ein Gegenstand?»

«Das ist das Problem. Für eine Erklärung blieb uns keine Zeit.»

«Keine Zeit?»

«Ja leider. Es muss ihm aber sehr wichtig sein. Ich weiss nur, dass er ihn bei mir in Sicherheit wähnte und bei nächster Gelegenheit zurück erhalten muss. Ich habe ihm mein Wort gegeben unter allen Umständen darauf zu achten.»

«Das klingt für mich alles irgendwie unheimlich. Das ist dir schon bewusst.»

«Das ist dir nicht zu verübeln - klar.»

«Du fühlst dich nicht mehr sicher wegen dem Typ - stimmts?» Umsichtig wühlte sie in ihrer Tasche. Aufgeregt zog sie einen unscheinbaren und speckigen Lederbeutel hervor.

«Du sagst also, es ist nichts Gefährliches oder Illegales?» Konsterniert nahm er den Beutel in die Hand, musterte das lederne Objekt. Ein goldener Faden verschloss die Öffnung.

«Würdest du ihn bitte eine Weile an dich nehmen? Meine Verfolger kennen dich nicht.»

«Deine Verfolger? Das klingt echt beruhigend!» Er fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken.

«Es ist wirklich sehr wichtig, dass sie den Beutel nicht bei mir finden.»

«Wie sollten sie?»

«Falls mir etwas zustossen sollte.»

«Zustossen? Das klingt immer besser.»

'Wo bin ich hier nur hineingeraten?' Zweifel und Ratlosigkeit marterten seinen Gedanken. Von einem Moment auf den anderen fühlte er sich wie in einem mysteriösen Krimi. Entgeistert schaute er auf das Objekt in seiner Hand.

«Was gibt dir die Sicherheit, dass sie uns nicht beobachten? Dann stehe ich jetzt auch auf ihrer Liste?»

«Ich bin mir sicher, dass er uns nicht sieht. Eine Garantie kann ich dir aber nicht geben. Du musst dich entscheiden.» Aus ihren Augen sprach der Hilferuf. Sein Vertrauen wuchs. Zweifellos verstand sie seine Bedenken und seine Unsicherheit.

«Ich gebe dir mein Wort darauf. Mein Vater hat weder mit Drogen noch mit anderen illegalen Geschäften zu schaffen. Ich vertraue ihm. Bitte vertrau mir ebenfalls.»

«Für wie lang? Was mache ich damit am Zoll oder bei Kontrollen? Ich kenne nicht mal den Inhalt. Was ist, wenn ihn die Sicherheitsleute einfach öffnen?»

«Dieses Risiko müssen wir eingehen – musst du eingehen.»

«Durch das Leder fühlt es sich an wie Steine. Mehr kann ich dir beim besten Willen nicht sagen.» Er überlegte. Er rang nach einer Entscheidung.

«Lass ihn im Handgepäck. Es gab noch nie Probleme damit. Ich will dich nicht gefährden. Du bist der Einzige, den ich in der Maschine um diesen Gefallen bitten kann.» Schweigend schaute er tief in ihre Augen. Er spürte ihre Angst und Not - aber auch ihre Vertrauenswürdigkeit. Seine Menschenkenntnis und Lebenserfahrung wurden auf eine harte Probe gestellt. Offensichtlich befand sie sich in ernsthafter Gefahr.

«Okay. Du hast mein volles Vertrauen.» Umgehend verschwand der Beutel in seiner Hosentasche.

«Ich bin zuversichtlich, dass du mir irgendwann alles erklärst.»

«Du kannst dich auf mich verlassen. Danke.« Jsabelle wirkte erleichtert.

«Wo finde ich dich wegen der Rückgabe?»

«Ich werde dich finden, Nils. Gib mir bitte deine Nummer.»

«Okay. Wo ist eigentlich dein Platz? Ich suchte dich schon überall.»

«Ich bin in der Reihe F. Das ist sehr weit vorn, Sitzreihe 8. Du bist weiter hinten. Reihe A.»

«Genau, Sitzreihe 30.»

«Das ist gut. Dann vermutet man uns sowieso nicht zusammen.»

«Denk daran. In zwei Wochen geht’s für mich zurück in die Schweiz.»

«Kein Problem. Danke für deine Hilfe.» Erleichtert umarmte sie ihn, küsste ihn auf die Wange.

«Ich freue mich von dir zu hören.»

«Das wirst du.» Sie legte ihre Hand an seine Schultern, schenkte ihm das schönste Lächeln seines Lebens.

Sekunden später verschwand sie zwischen den Passagieren.

Der Flug verlief ruhig. Über der Maschine leuchtete der klare Sternenhimmel. Nils orientierte sich auf dem Bildschirm, warf einen Blick auf die Uhr. Die Maschine überquerte den Atlantik - irgendwo im blauen Nirgendwo. Noch etwas mehr als eine Stunde. Beruhigt konzentrierte er sich auf das gleichmässige Summen der Triebwerke. Mittlerweile ein vertrautes Geräusch – leise und im Hintergrund. Nachdenklich blickte er durch das ovale Fenster. Handelte er mit dem Beutel richtig? Zweifel, Unsicherheit kamen auf. Der Mond spiegelte sein schmales Band auf den Wellen des weiten Meeres. Selten sah er ein derart schönes Bild. Selbst der Ausblick von seinen Schweizer Bergen hinunter in die Täler hielt diesem Moment mit keinerlei Vergleichen stand. Die anstrengende Reise kostete Kraft und Geduld. Stundenlanges Fliegen – eigentlich eine sinnlose Warterei und Zeitverschwendung. Zeitüberbrückung, um von A nach B zu kommen. Angestrengt versuchte er bis zur Landung die Augen zu schliessen. Dösen zum Zeitvertreib bewährte sich immer.

Ein starkes Vibrieren schreckte ihn auf.

‚Was war das?‘ Verunsichert schaute er sich um, suchte nach Orientierung - Traum oder Wirklichkeit? Erschütterte eben tatsächlich ein Vibrieren die Maschine? Er hasste dieses Gefühl von Unklarheit und Orientierungslosigkeit. Offensichtlich erging es anderen Passagieren ähnlich. Einige wirkten nervös, blickten umher, tuschelten miteinander. Aufgeschreckt warf er einen Blick durch das Fenster. Das Licht am Horizont schimmerte in eigenartigen Farben. Die Daten auf dem Display verwirrten – plötzlich schwarzer Bildschirm.

Unverändert summten die Triebwerke – leise, regelmässig, beruhigend. Nach Flugplan stand die Landung unmittelbar bevor. Wurde das Display darum abgestellt? Der Himmel schimmerte eigenartig – irgendwie unrealistisch kitschig. Weit und breit kein Land am Horizont. Das morgendliche Licht glänzte im Meer - tausendfach. Das tiefe Blau am Horizont änderte zu einem grauen Grün.

'Bitte keinen Sturm'. Offensichtlich baute sich eine Wetterfront auf. Das Flugzeug schaukelte, schwankte hin und her. Unheimliche Vibrationen gingen ihm durch Mark und Bein. Aufgeregt wartete er auf eine Durchsage. Nichts dergleichen geschah.

‚Die werden schon wissen, was sie tun dort vorne!‘ Nervös krallte er sich an die Armlehnen. Grelle Blitze zischten über den Himmel, blendeten seine Augen. Von einem Augenblick zum anderen tauchte die Maschine in ein wanderndes Lichtermeer. Zahllose Farbspiralen von aussergewöhnlicher Intensität umkreisten das Fluggerät, als ob es sich in einen Regenbogen stürzen würde. Erneut begann das Flugzeug intensiv zu vibrieren und zu rütteln. Die Menschen verstummten. Eine seltsame - gar unheimliche Ruhe lag in der Kabine. Nach wie vor keine Durchsage aus dem Cockpit. Das Blut schoss ihm durch die Adern, sein Herz raste vor Aufregung. An eine Sturmwarnung vermochte er sich nicht zu erinnern. Seines Wissens verkündeten die Wetterfrösche keine. Eine solche hätte ihm während des gesamten Fluges keine Ruhe gelassen. Beunruhigt verfolgte er die unheimliche Erscheinung. In diesen Momenten lehrten ihn die gewaltigen Kräfte der Natur das Fürchten. Flimmernde Energiebänder schlängelten sich in allen Farben über die Tragfläche. In der Ferne türmten sich in rasender Geschwindigkeit dunkle Wolkentürme auf. Gebannt starrte er auf die bedrohliche Erscheinung. Entgegen seiner Erwartung prasselte kein Regen an das Fenster. Augenblicklich verdunkelte sich der Himmel. Ein greller Blitz züngelte in einem klaren Blau an der Peripherie der Tragfläche. Sie schien dadurch förmlich zu brennen. Schreckensbleich wich er zurück. Das Rütteln verschwand, ebenso das Kabinenpersonal. Es gab niemanden, den er hätte über dieses Phänomen befragen können.

'Möglicherweise eine Art Nordlicht', suchte er aufgeregt nach einer Antwort.

'Was ist mit der Landung?' Nach Flugplan sollte sie längst eingeleitet werden. Offensichtlich kämpfte die Maschine mit anderen Problemen.

‚Nordlichter bewegen sich wie Schleier oder schwingende Gardinen', erinnerte er sich an seine jugendlichen Reisen in den Norden. Der Vergleich mit den Nordlichtern hielt nicht stand.

'Wir fliegen über dem Atlantik in südöstlicher Richtung - Scheisse. Nichts mit Nordlichtern'. Das Licht der Kabine begann zu flackern. Die Hälfte der Lampen erloschen. Ein gigantischer Blitz zischte über die Maschine, gefolgt von einem lauten Knall und furchterfüllten Schreien in der Kabine. Beängstigende Vibrationen stiessen durch den Rumpf. Vereinzelt liefen aufgebrachte Passagiere durch die Gänge und riefen nach den Flugbegleitern. Sichtlich nervös versuchten diese die beunruhigten Passagiere zu besänftigen. Dennoch vermochten sie ihre eigene Unsicherheit und Ratlosigkeit nicht zu verbergen.

Mittlerweile bildeten sich am Horizont gewaltige Farbstreifen. Sprachlos verfolgte er das blaue und beängstigende Gebilde eines in sich kreisenden Spiralnebels. Dieser lag in der unmittelbaren Flugrichtung der Maschine. Gebannt schaute er auf das imposante Lichtspektakel. Wie gigantische Wasserfälle strömten gleissende Lichtschwaden in leuchtenden Fluten ineinander. Spiralförmig wirbelten zahlreiche Blitze um die dahin rasende Maschine. Das Flugzeug schwankte wie ein Schiff auf den stürmischen Wellen des tosenden Ozeans. Die Kabinencrew hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Mit aller Kraft suchten sie an den Sitzen nach Halt. Spätestens in diesem Augenblick wurde allen klar, dass etwas sehr Aussergewöhnliches geschah. Vermehrt riefen und schrien die Passagiere in Panik durcheinander. Allmählich bekam er es ebenfalls mit der Angst zu tun.

'Warum bin ich in dieses Scheiss Flugzeug gestiegen?' Mit jeder Minute zweifelte er am Sinn dieser Ferienreise. Sie entwickelte sich plötzlich zum Alptraum. Noch immer keinerlei Ankündigung der bevorstehenden Landung. Aufgeregt suchte er auf dem Meeresspiegel nach den hakenförmigen Bermuda Inseln. Weit und breit fehlte von diesen jede Spur. Selbst das Meer zeigte plötzlich eine seltsame Verfärbung. Das gewohnte Blau wandelte sich gänzlich. Die Wellen schimmerten und glitzerten in einem hellen, grünlichen Licht.

‚Was zum Teufel passiert hier? Das ist alles andere als ein gewöhnliches Gewitter.‘ Die plötzliche Verfärbung des Meeres konnte zweifellos nichts gutes bedeuten. Obschon beängstigend hin und her geworfen, befand sich die Maschine noch immer in beachtlicher Höhe. Im Sturm unbekannter Gefühle und gefangen zwischen Neugier, Faszination und Angst verfolgte er das unglaubliche Ereignis. Entgegen aller Realität versuchte er sich weiterhin in der Zuversicht der Normalität eines unbekannten Wetterphänomens. Unerwartet schoss plötzlich unter der Tragfläche der Maschine ein silberner und ovaler Gegenstand vorbei.

'Was war das?' Erschrocken zuckte er zusammen. Urplötzlich erschien das Objekt aus dem Nichts, kreuzte in einem hellen Schweif und in gefährlicher Nähe die Flugbahn der Maschine. Ein lautes Donnergrollen folgte der Begegnung. Erneut erfasste eine unheimliche Vibration den Flieger. Das vertraute Summen der Triebwerke änderte zu einem dröhnenden Pfeifen. Die Schreie in der Kabine verstummten. Eine plötzliche Ruhe lag im Raum. Die Menschen krallten sich in die Sitze oder umklammerten aneinander. Ein beklemmendes Gefühl blockierte ihm den Atem, erdrückte seine Brust. In regelmässigen Abständen erschütterten starke Stosswellen die Maschine. Mehrere Gepäckstücke fielen aus den Ablagen auf die Passagiere. Endlich erklang die Stimme des Piloten. Mit erstaunlich ruhigen Worten bat er die Passagiere, die Gurte anzulegen. Er sprach von Turbulenzen und unerwarteten Strömungen. Plötzlich verstummten die Lautsprecher. Erneut erhellte das Licht blauer Blitze durch die Kabine. Die Turbulenzen verstärkten sich massiv. Die Triebwerke heulten. Offensichtlich versuchten die Piloten mit ungewöhnlichen Flugmanövern die Maschine zu stabilisieren. Ohne die Gurte wäre er an die Decke geschleudert worden. Gefolgt von einem ohrenbetäubenden Grollen zischten gleissende Blitze durch die verdunkelte Kabine. Glänzende Bänder züngelten sich in allen Farben spiralförmig durch die Sitzreihen. Plötzlich erhoben sich lose Gegenstände von Boden und schwebten wie von Geisterhand gehoben durch die Kabine. Mit einem dumpfen Knallen zerbarsten mehrere Lampen. Angst und Panik lagen in der Luft. Erstarrt und schicksalergeben harrten die Menschen auf den Plätzen. Die Notbeleuchtung flackerte. Zahllos schossen ihm panische Gedanken durch den Kopf. Die Situation konnte unrealistischer nicht sein. Warum stellte er entgegen aller Befürchtungen überhaupt seinen Fuss in diese Maschine? Der gefürchtete Alptraum holte ihn ein. Er sass weder im Kino noch vor dem Fernseher. Diese Szene gehörte in einen Film. Niemals jedoch in sein eigenes Leben. Umsichtig suchte er nach Jsabelle. Sie sass zu weit entfernt. Offensichtlich kämpfte sie ebenfalls mit sich selbst in dieser unglaublichen Situation. Das Pfeifen der Triebwerke schmerzte in seinen Ohren. Angespannt schaute er hinaus. Direkt vor der Maschine öffnete sich in den Wolken ein breites Band. Erleichtert starrte er auf die helle Front. Goldenes Licht drang durch die düstere Wolkenbank. Allmählich kehrte die Schwerkraft zurück, drückte ihn wieder in den Sitz. Lose Gegenstände fielen zurück auf den Boden. Die Fluglage der Maschine stabilisierte sich merklich.

Das Dröhnen wurde leiser. Vor der Maschine riss das Wolkenband gänzlich auf. Die Triebwerke heulten. Ein Rütteln ging durch den Rumpf. Das Meer schimmerte wieder in seiner gewohnten Farbe. Offensichtlich lag die bedrohliche Wolkenformation hinter ihnen. Von einer Sekunde auf die andere schoss das Flugzeug aus der unheimlichen Dunkelheit in einen hellen Horizont. Erleichtert beobachtete er das eindrückliche Phänomen und lehnte sich zurück.

‚Hoffentlich haben wir das endlich geschafft.‘ Aufgeregt suchte er nach Anhaltspunkten der Bermudas, wie er sie von den Bildern kannte. Plötzlich lag es direkt unter der Maschine - Land. Zwischen Wolkenbänder erkannte er klar und deutlich tiefe Felsentäler. Erneut begann die Maschine zu schwanken.

‚Nicht schon wieder!‘ Nils erschrak. Unweit schossen hohe Berggipfel vorbei. Gewaltige Felsmassive lagen plötzlich in bedrohlicher Nähe. Die Maschine neigte sich zur Seite. Offensichtlich flogen die Piloten ein Ausweichmanöver.

‚Wo sind wir?‘ Zweifellos gab es Probleme die Maschine auf Kurs zu halten. Auf der Tragfläche spiegelte das grelle Sonnenlicht, blendete seine Augen. Eine unheimliche Ruhe lag plötzlich in der Kabine. Konzentriert folgte Nils dem Dröhnen der heulenden Triebwerke. Sie änderten permanent ihren Klang. Mit einem Mal schoss ein greller, rötlicher Blitz durch die Kabine. Schreie folgten. Erschrocken schaute er durch das Fenster. Das glitzernde Meer verschwand unter der Maschine, ebenso über ihr der azurblaue Horizont. Er schimmerte in einem eindrücklichen und klaren Rot. Die Maschine verlor an Höhe. Er hoffte auf die Landung. Gigantische Felsentürme kamen der Tragflächen bedrohlich nahe. Nils erkannte die Gefahr. Erneut rissen die Piloten die heulende Maschine in die Höhe.

‚Das sind keine Landemanöver‘. Beunruhigt und zitternd vor Aufregung verfolgte er das Geschehen. Allmählich gewann das Flugzeug wieder an Höhe. Der sichere Abstand zu den felsigen Gipfeln beruhigte ihn. Die Ungewissheit blieb dennoch beängstigend.

Klärende Durchsagen der Besatzung blieben weiterhin aus.

‚Was geschieht hier?‘ Zahllose Fragen. Gab es technische Probleme, einen Anschlag? Die Landung hätte längst erfolgen müssen. Ist das Land die Bermudas? Zumindest stabilisierte sich die Maschine.

«Hier spricht Ihr Kapitän.» Endlich die Stimme des Piloten. Er schien aufgewühlt, wirkte sehr nervös. Er versuchte hörbar Sachlichkeit zu wahren.

«Wir bitten Sie Ruhe zu bewahren. Halten sie sich an die Anweisungen der Cabine Crew. Sonneneruptionen haben unsere Instrumente gestört. Wir sind beachtlich vom Kurs abgekommen. Es ist alles unter Kontrolle. Bitte bereiten Sie sich auf eine mögliche Notlandung vor.» Die Worte des Piloten trafen wie Pfeile in die Brust. Zweifellos entwickelte sich die Situation schlimmer als angenommen – Notlandung. Dieses Wort klang alles andere als beruhigend. Kurz vor dem Phänomen flog die Maschine auf der vorgesehenen Reisehöhe. Von einem Moment auf den anderen streifte es fast die felsigen Gipfel. Was geschah hier? Sonneneruptionen? Der Flieger musste mit einer gewaltigen Geschwindigkeit gesunken sein. Das Kabinenpersonal eilte aufgeregt durch die Reihen. Passagiere schnallten sich an. Betroffen folgten sie den Anweisungen, legten ihren Oberkörper nach vorn. Eine Notlandung stand unmittelbar bevor. Keine ‚mögliche‘ sondern realistisch. Neugierig warf er einen Blick aus dem Fenster, schaute auf eine weite und flache Landschaft. Sie wirkte aus der Höhe zerklüftet und schien von spärlicher Vegetation. Nichts deutete auf eine Stadt oder einen Flughafen. Ratlos verfolgte er das Ausfahren der Landeklappen. Die Piloten machten ernst. Sie begannen mit dem Sinkflug.

‚Wo wollt ihr hier landen?‘

Hin und her geworfen zwischen professioneller Ruhe und ratloser Verzweiflung verfolgten sie die widersprüchlichen Daten ihrer Instrumente und Anzeigen. Die Treibstoffvorräte lagen im kritischen Bereich. Akustische Alarme folgten einander. Das erste Triebwerk stotterte. Erfolglos suchten die Männer den Kontakt zu einem Flughafen. Instrumente versagten, verhinderten die Bestimmung ihrer Position. Notsignale und Hilferufe blieben unbeantwortet. Aufgebracht konzentrierten sie sich auf den bevorstehenden Aufschlag. Mit heulenden Triebwerken donnerte die Maschine über das unwirtliche Gebiet. Baumgruppen und Wasserläufe näherten sich bedrohlich.

‚Wo sind wir‘? Wir gehen tatsächlich runter.‘ Nils bekam es mit der Angst zu tun – Notlandung. Alles wovor er sich fürchtete wurde Realität. Unweit platzierte sich eine Stewardess. Sichtlich mitgenommen zurrte sie an den Gurten und beugte sich vornüber. Schützend legte sie ihre Arme über den Kopf. Ein untrügliches Zeichen. Eine unsanfte und gefährliche Landung stand unmittelbar bevor. Das gehörte nicht zur gebuchten Ferienreise. Sie lief plötzlich gewaltig aus dem Ruder. Die Landschaft raste vorbei. Erneut wagte er einen Blick nach draussen, glaubte zu halluzinieren. Entsetzt fuhr er zusammen. Aufgeschreckt von den dröhnenden Triebwerken flüchteten in einiger Entfernung urzeitliche Tiere davon. Aufgebracht stieben die Horden auseinander.

‚Saurier‘? Nils stockte der Atem.

‚Was geschieht hier zum Teufel?‘ Im selben Augenblick warfen gewaltige Kräfte die Maschine herum. Ein Rumpeln und Knarren ging ihm durch Mark und Bein. Seltsam ruhig harrten die Menschen ihrem Schicksal. Der Boden und die fremdartige Vegetation kamen immer näher. Zweifellos landete die Maschine nicht auf einer Piste. Ungläubig folgten seine Blicke einer flüchtenden Herde. Seine Finger krallten sich in die Lehne. Bleich vor Schreck rang er nach Fassung.