Sammelband der New Adult Romance (For-Me-Reihe) - Veronika Mauel - E-Book

Sammelband der New Adult Romance (For-Me-Reihe) E-Book

Veronika Mauel

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Beschreibung

Während Annabell ihre wahre Familiengeschichte hinter einer Designer-Sonnenbrille versteckt, verbirgt Kai sein Leben hinter einem abgewetzten Punk-Look und einer Null-Bock-Einstellung. Wie sehr sie einander brauchen, merken sie erst, als sich die ganze Welt gegen sie stellt … **Niemand darf es je erfahren** Annabell und Kai gehen auf dieselbe Schule, doch könnten unterschiedlicher nicht sein. Während für Annabells Familie Image und makelloses Auftreten nach außen das Allerwichtigste ist, verbringt Kai seine Zeit mit den kriminellen Machenschaften seiner Gang. Auf den ersten Blick haben die beiden so gar nichts gemeinsam, doch ihnen wird schnell klar: Der Schein trügt. Annabells Leben ist durchaus nicht so perfekt, wie es den Anschein hat und hinter Kais Bad-Boy-Image versteckt sich eine tragische Familiengeschichte. Dann steckt Annabell plötzlich in großen Schwierigkeiten und ausgerechnet Kai erweist sich als ihre einzige Zuflucht ... Alle Bände der Bad-Boy-Romance in einer E-Box! -- Risk For Me (Band 1) -- Lie For Me (Band 2) -- Bad For Me (Band 3)

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH, Völckersstraße 14-20, 22765 Hamburg © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2023 Text © Veronika Mauel, 2015, 2016 Coverbild: creative fabrica / © Evgeniias Art Covergestaltung der Einzelbände: 100covers4you ISBN 978-3-646-61048-2www.impressbooks.de

© privat

Veronika Mauel wuchs in einer Kleinstadt in der schönen Oberpfalz auf. Bereits als Jugendliche schrieb sie selbst erfundene Geschichten. Auch während und nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin begeisterte sie mit ihren Erzählungen ihre Schützlinge im Kindergarten. Ihre Leidenschaft gilt Jugendbüchern mit einem Touch Romantik.

Wohin soll es gehen?

Vita

For Me 1: Risk For Me

For Me 2: Lie For Me

For Me 3: Bad For Me

Veronika Mauel

Risk For Me (For-Me-Reihe 1)

**Niemand darf es je erfahren**

Annabell und Kai gehen auf dieselbe Schule, doch könnten unterschiedlicher nicht sein. Während für Annabells Familie Image und makelloses Auftreten nach außen das Allerwichtigste ist, verbringt Kai seine Zeit mit den kriminellen Machenschaften seiner Gang. Auf den ersten Blick haben die beiden so gar nichts gemeinsam, doch ihnen wird schnell klar: Der Schein trügt. Annabells Leben ist durchaus nicht so perfekt, wie es den Anschein hat und hinter Kais Bad-Boy-Image versteckt sich eine tragische Familiengeschichte. Dann steckt Annabell plötzlich in großen Schwierigkeiten und ausgerechnet Kai erweist sich als ihre einzige Zuflucht …

Wohin soll es gehen?

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Prolog

Ein Tag wie viele andere auch, ein Morgen wie Dutzend andere. Ein Haus in einer der vornehmsten Siedlungen dieser Stadt. Die Sonne scheint warm und bricht sich an dem reinen Glas der Fensterscheiben. Die Vögel zwitschern in den Bäumen und der laue Sommerwind lässt die Blätter leise rascheln wie ein sanftes Flötenspiel.Idylle pur. Wer würde hinter den Fassaden der schmucken Häuser und in den gepflegten Gärten anderes vermuten als grenzenlose Harmonie, friedliches Familienleben und glückliche Kinder?

1. Kapitel

Annabell

Es ist ein Morgen wie viele andere auch, im Haus des renommierten Allgemeinarztes Dr. Manfred Beck - der mein Vater ist.

Wie in Zeitlupe gehe ich in die Knie und ziehe den Rucksack zu mir heran. Mit zittrigen Händen öffne ich den Reißverschluss und spüre den ungeduldigen Blick meines Vaters. Groß und breitschultrig steht er neben mir, er hat sich zu seiner vollen Größe aufgebaut. Dabei kommt er mir wie ein hungriger Löwe vor, stets bereit, die Zähne in seine Beute zu schlagen. Nervös nestele ich an den einzelnen Mappen in meinem Rucksack herum und weiß doch, dass ich es nicht länger hinauszögern kann. Ich weiß ganz genau, wo das steckt, was er sehen will. Ein weißes Blatt, in einer blauen Mappe.

Die Mathearbeit. Schwer wie ein Stein liegt sie in meinem Magen.

Ich hatte auf eine Drei gehofft, eine Vier erwartet und eine Fünf befürchtet. Leider ist die Befürchtung wahr geworden.

Es ist nicht nur eine Note. Es ist wie ein Todesurteil für mich. Hingekritzelt mit signalroter Farbe. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, warum Lehrer sich ausgerechnet die Farbe Rot zur Korrektur ausgesucht haben. Wieso nicht Grün oder Lila?

Rot wie Blut, als würden sie die Klassenarbeiten mit dem Blut der Schüler korrigieren. Ich hasse Rot!

Im Zeitlupentempo ziehe ich die Schulaufgabe aus der blauen Mappe. Im gleichen Moment trifft mich die Hand meines Vaters mit voller Wucht im Gesicht. Mein Kopf fliegt zur Seite und knallt mit der Schläfe hart gegen die Tischkante. Vor meinen Augen tanzen helle Punkte, der Schmerz schießt wie ein Blitz durch meinen Kopf und mir wird augenblicklich übel. Ein Wimmern entschlüpft meinem Mund. Ich presse die Hand auf meine Schläfe und krümme mich nach vorne. Nur mit Mühe kann ich ein Aufschluchzen unterdrücken.

Die Gefahr, ihn dadurch noch mehr zu reizen, ist zu groß. Den Kopf zum Boden gewendet, die langen Haare wie einen schützenden Vorhang vor dem Gesicht, bleibe ich auf dem Boden knien. Ich kämpfe mit den Tränen und versuche krampfhaft den dicken Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Ich höre, wie er heftig atmet und mit energischen Schritten vor mir auf und ab geht. Mein Vater ist völlig außer sich.

»Wie oft muss ich dir das noch sagen! Ich dulde solche Noten nicht. Du machst mich zum Gespött der ganzen Stadt!«, brüllt er. »Sieh bloß zu, dass du das irgendwie wieder ausbügeln kannst, sonst lernst du mich erst richtig kennen.«

Als ich höre, wie die Haustür hinter ihm ins Schloss knallt, verliere ich den Kampf gegen die Tränen. Wie ein heißer Strom laufen sie über meine Wangen.

Vorsichtig hebe ich den Kopf und mein tränenverschleierter Blick sucht den meiner Mutter.

Sie lehnt mit starrer Miene an der Küchenzeile, in den Händen einen Teller und das Geschirrtuch. Sie sieht mir ins Gesicht und schlägt dann die Augen nieder, als könne sie meinem Blick nicht standhalten. Sie dreht sich um, und während sie weiter das Geschirr abtrocknet, murmelt sie leise: »Warum reizt du deinen Vater auch ständig? Du weißt doch, wie wichtig ihm gute Noten und unser Ruf sind! Wieso lernst du nicht mehr?«

Dabei habe ich diesmal so viel gelernt. Täglich mehrere Stunden, bis die Zahlen in meinem Matheheft vor meinen Augen zu tanzen begannen. Ich kapiere diese Aufgaben einfach nicht!

Ich weiß, dass meine Mutter nicht wirklich eine Antwort von mir verlangt. Sie versucht nur das Verhalten meines Vaters zu rechtfertigen.

Ich stütze mich am Stuhl ab und ziehe mich nach oben. Auf wackeligen Knien stakse ich ins Bad und drehe den Schlüssel herum. Sobald ich vor dem Spiegel stehe, verschwimmt alles vor meinen Augen. Meine Schläfe tut immer noch weh. Ich halte mich mit einer Hand am Waschbecken fest, um nicht zu taumeln. Mit der anderen streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht. Mit leerem Blick starre ich in den Spiegel. Meine Schläfe und die Wange leuchten flammend rot und vom Haaransatz bis zum Oberlid ist alles dick geschwollen. Ich kann mein Auge nur noch zur Hälfte öffnen.

Angst packt mich, als mir bewusst wird, dass ich so unmöglich in die Schule gehen kann und dass mein Vater ausflippen wird, wenn er erfährt, dass ich schwänze.

Aber wie soll ich den Lehrern mein Aussehen erklären? Niemals würde ich es wagen, ihnen von meinem Martyrium zu erzählen. Was das für Folgen hätte, will ich mir gar nicht vorstellen. Wahrscheinlich wäre ich danach Dauerpatientin auf der Intensivstation.

Ein vorsichtiges Klopfen holt mich aus meinen düsteren Gedanken. Vor der Tür steht meine Mutter und hält mir die riesige Designer-Sonnenbrille, die ich im letzten Mallorca-Urlaub bekommen habe, und eine Krankschreibung entgegen.

»Sag einfach, dass du eine schlimme Augenentzündung hast und dass du deine Augen deshalb für die nächsten Tage gegen Licht schützen musst. Sport und Schwimmen kommen natürlich nicht in Frage.« Ich sehe im Spiegel, wie ihr Blick den meinen sucht und für kurze Zeit festhält, ehe sie die Augen niederschlägt.

»Streng dich an, Annabell! Wenn du in der nächsten Arbeit eine gute Zensur bekommst, wird er unendlich stolz auf dich sein.« Sie schenkt mir ein schmales Lächeln und deutet auf die Sonnenbrille. »Um dieses Teil werden dich deine Freundinnen heute sicher beneiden.« Mit diesen Worten dreht sie sich um und verlässt den Raum.

»Und frisier dir die Haare ins Gesicht!«, ruft sie noch, ehe sie wie jeden Morgen nach oben geht, um die Betten aufzuschütteln.

Resigniert werfe ich einen Blick auf die Entschuldigung, ausgestellt von meinem Vater. Wie praktisch es doch ist, einen Arzt in der Familie zu haben, denke ich voller Bitterkeit und schnaube verächtlich. Die Formulare für eine Krankschreibung liegen im obersten Regal in der Küche und es ist nicht das erste Mal, dass ich der Schule eine vorlegen muss.

Ich hole tief Luft, stopfe die Entschuldigung in meinen Rucksack und verlasse ohne ein Wort des Abschieds das Haus. Es ist erst kurz nach sieben, als ich den Weg zur Bushaltestelle einschlage. Es bleibt mir noch über eine halbe Stunde, bis der Bus abfährt, und der Weg dorthin ist kurz. Heiß sticht die Julisonne vom Himmel, worüber ich sehr dankbar bin. Zumindest mache ich mich hier draußen mit der übergroßen Sonnenbrille nicht lächerlich.

Bei jedem Schritt pocht der Schmerz in meinem Kopf aufs Neue. Ab und an streicht mir der warme Sommerwind übers Gesicht, fast als wolle er mich trösten und meine Verletzung vorsichtig kühlen.

Nur noch wenige Meter, dann kann ich mich auf die kleine Holzbank setzen und ein wenig entspannen, durchatmen und einen einigermaßen klaren Kopf bekommen, bevor meine Freundinnen eintreffen. Ich werde ihnen fröhlich lächelnd entgegensehen, plaudern und mit ihnen Witze reißen. Ich werde das brave Arzttöchterchen sein, wie es von mir erwartet wird. Niemand wird einen Blick hinter meine sorgfältig aufgebaute Fassade erhaschen. Ich schäme mich abgrundtief für das, was mir zu Hause widerfährt. Das Einzige, was ich bei einem Geständnis von meinen Freundinnen ernten würde, wäre Bedauern, und auf das kann ich gerne verzichten. Außerdem ist die Angst, dass mein Geheimnis die Runde macht und mein Vater davon erfährt, grenzenlos. Für meine Freundinnen bin ich das adrette Arzttöchterchen, dessen Leben makellos ist, und genau so soll es auch bleiben.

Die letzten Meter, die letzte Biegung. Und ich will gerade erleichtert aufatmen, als ich wie erstarrt stehenbleibe. »Meine« Bank ist bereits besetzt. Ein Junge, den ich schon manchmal auf dem Pausenhof gesehen habe, lümmelt gemütlich darauf. Eine Kippe in der einen, eine Bierflasche in der anderen Hand - und das morgens, um Viertel nach sieben!

Ich schaue unsicher in seine Richtung und bleibe unschlüssig stehen. Der Typ wirkt düster, wie von einer dunklen Aura umgeben. Er sieht ungepflegt aus, als hätte er die letzten Nächte in seiner speckigen Lederjacke, den Springerstiefeln und der zerschlissenen Jeans verbracht. Unter seinen schwarzen langen Haaren, die ihm strähnig ins Gesicht fallen, blitzen seine grünen Augen, fast so, als wäre er auf Ärger aus.

Ich blicke scheu zu Boden und starre auf die Spitzen meiner weißen Designerschläppchen, die hervorragend mit meinem dezent ausgeschnittenen Top und der hellen Jeans harmonieren.

Mein Vater legt ungemeinen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Es soll alles perfekt in das Bild passen, das jedem sofort durch den Kopf schießt, der an eine Arztfamilie denkt. Die adrett gekleidete Tochter, die perfekt gestylte Ehefrau, die nicht nur optisch besticht, sondern auch noch einen hohen Grad an Intelligenz vorweisen kann, und ein imposantes Haus mit akribisch gepflegtem Garten. Nur meine schulischen Leistungen, seine Wutanfälle und Ausraster und meine Misshandlungen passen nicht zu der Vorzeigefamilie, die sie nach außen hin zu sein scheint.

»Na, auf der Suche nach einer Staubflocke?« Eine tiefe Stimme holt mich aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.

Zögernd hebe ich den Kopf. Der Junge auf der Bank grinst mich herausfordernd an.

»W…w…was?«, stottere ich und spüre, dass eine feine Röte meine Wangen überzieht.

»Staub! Schon mal von gehört? Sammelbezeichnung für allerfeinste feste Teilchen. Staubflocken oder Staubflusen bestehen meist aus organischem oder anorganischem Material.«

»Hä?« Ich zucke die Schultern. Worauf will der Kerl eigentlich hinaus?

Mit scheinbar geübter Lässigkeit schnippt der Junge die Kippe weg, stellt die Bierflasche zur Seite, steht auf und schlendert betont locker auf mich zu.

Direkt vor mir bleibt er stehen und mustert mich mit solch unverhohlener Offenheit, dass ich mich unter seinem Blick förmlich winde und vorsichtig zurückweiche.

»Pennst du noch oder bist du immer so schwer von Begriff? Ich habe gefragt, ob du wohl ein Staubflöckchen auf deinen Hundert-Euro-Tretern gefunden hast.«

Wenn der Kerl meint, mich dumm anmachen zu können, hat er sich geschnitten.

Ich blicke wieder nach unten, hebe einen Fuß nach dem anderen, drehe und wende ihn und sehe mir meine Schuhe ganz genau an.

»Nein, sie sind absolut sauber«, stelle ich achselzuckend fest. »Woher weißt du eigentlich, wie viel sie gekostet haben? Interessierst du dich etwa für Schuhe?«

Der Kerl vor mir presst jetzt verärgert die Lippen aufeinander und runzelt die Stirn. Er tritt noch einen Schritt näher, so dass sein Gesicht unmittelbar vor meinem schwebt.

»Sag mal, bist du dämlich, oder was?«, zischt er. Sein heißer Atem weht mir um die Nase, und ich wundere mich, warum er gar nicht nach Alkohol stinkt. Immerhin steht die Bierflasche als Indiz seines frühmorgendlichen Alkoholkonsums nach wie vor auf der Holzbank.

Seine Worte legen bei mir einen Schalter um. Es reicht schon, zu Hause niedergemacht zu werden. Wörter wie dämlich, blöd oder minderbemittelt verwendet mein Vater ständig, wenn er mit mir redet. Das muss ich mir außerhalb unseres Hauses nicht auch noch geben.

Ich balle die Hände zu Fäusten. »Ich bin nicht dämlich! Aber du anscheinend!«, stoße ich wütend hervor. Mein Herz klopft heftig.

Dem Jungen schnellen vor Verblüffung die Augenbrauen in die Höhe.

»Heißt das, du hast mich eben verarscht?«, fragt er lauernd.

Ich verdrehe die Augen. »Du glaubst doch nicht wirklich, ich hätte angenommen, dass sich jemand wie du für Schuhe interessiert!«

Die Brauen des Jungen ziehen sich zu einem einzigen bedrohlichen Balken zusammen. Mit zusammengekniffenen Augen steht er vor mir.

»Pass auf, was du sagst, Prinzesschen! Pass verdammt noch mal auf!«, zischt er schlangengleich.

Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass ich den finsteren Kerl vor mir überhaupt nicht einschätzen kann, wispere ich ein leises »Sorry«.

Der Junge nickt zufrieden, dreht sich um und geht zurück zur Bank. An Lässigkeit nicht zu überbieten, fläzt er sich wieder hin, lässt mich jedoch nicht aus den Augen.

Ich nestele nervös an der abstehenden Nagelhaut meines Zeigefingers herum. Immer wieder schiele ich unsicher in seine Richtung und wünsche mir sehnsüchtig meine plappernden Freundinnen herbei, die es heute absolut nicht eilig zu haben scheinen.

»Hast dich wohl in meine grünen Augen verliebt, weil du ständig rüberglotzt?«

Mein Blick zuckt in seine Richtung. Der Junge hat es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, mich zu provozieren. Erneut werde ich knallrot. Arschloch!

»Ich guck doch gar nicht.«

»Klar, und ich bin der heilige Nikolaus!«

Der Typ geht mir so was von auf die Nerven.

»Außerdem sind deine Augen nicht grün, sondern eher schlammfarben«, füge ich schnippisch hinzu. Aber kaum sind mir diese Worte über die Lippen gerutscht, hätte ich mich furchtbar gerne geohrfeigt. Wie doof bin ich eigentlich? Warum lasse ich ihn nicht einfach links liegen? Am liebsten hätte ich dem Kerl sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht geschlagen.

»Ach, lass mich doch in Ruhe«, murmele ich stattdessen und sehe demonstrativ zur Seite.

Aus den Augenwinkeln kann ich verfolgen, wie er erneut aufsteht und auf mich zugeht. Mein Herz beginnt augenblicklich zu galoppieren. Was will er bloß von mir?

Verunsichert nage ich an meiner Unterlippe und zucke zusammen, als sich seine Hand auf meine Schulter legt.

»Und deine, Prinzesschen?«, murmelt er. »Welche Farbe haben denn deine Augen?«

Er legt mir zwei Finger unter das Kinn und hebt es an.

»Sind sie von einem kalten Blau? Kalt und eisig wie ein Bergsee?«

Ich stehe stocksteif da. Der Kerl macht mir mittlerweile Angst.

»Du meinst wohl, du bist was Besseres, Kleine … Aber merk dir, Hochmut kommt immer vor dem Fall.«

Mein Herz rast und ich frage mich, was er eigentlich von mir will und was ich ihm getan habe, dass er mich so einschüchtert. Meine Lider flattern und ich bin froh um die Sonnenbrille, die meine Augen vor ihm abschirmt. Ich wette, dass mir jeden Moment die Tränen in die Augen schießen.

»Ja, wahrscheinlich ein kaltes Blau, wie die Augen der Schneekönigin«, sagt er leise und ich sehe erschrocken, wie sich seine andere Hand auf meine Sonnenbrille zubewegt.

Blitzschnell fährt mein Arm in die Höhe, doch der Junge ist noch schneller und zieht mir mit einem Ruck die Brille von der Nase.

Im gleichen Augenblick fällt ihm buchstäblich das arrogante Grinsen aus dem Gesicht und er keucht laut vor Überraschung. Seine Mimik ist ein einziges Fragezeichen.

Peinlich berührt schlage ich die Augen nieder und stehe wie angewurzelt da. Meine Gedanken überschlagen sich. Fieberhaft suche ich nach einer Ausrede.

Ich zucke zusammen, als ich die Hand des Jungen, leicht wie den Flügelschlag eines Schmetterlings, an meiner Wange spüre.

»Was ist passiert?«, flüstert er besorgt.

Was soll ich ihm erzählen? In welche Ausreden könnte ich mich flüchten?

In diesem Augenblick durchschneidet Gekicher und Gekreische die morgendliche Stille. Mein Kopf schnellt nach oben. Wenige Meter entfernt sehe ich meine drei Freundinnen, die kichernd und albernd auf die Bushaltestelle zukommen.

Ihre Ankunft verleiht mir Mut und die Kraft, mich aus der unangenehmen Situation zu befreien.

»Nimm deine dreckigen Pfoten von mir!«, fauche ich und reiße dem Jungen die Sonnenbrille aus der Hand, schiebe sie mir auf die Nase und renne auf das Dreiergespann zu.

»Hey, da seid ihr ja endlich!«, rufe ich in einem übertrieben gut gelaunten Tonfall und lasse mich von meinen Freundinnen umringen.

»Na, Bella, alles fit?«, begrüßt mich Luise und umarmt mich kurz.

Ich lehne mich dankbar an meine beste Freundin.

»Sag mal, was wollte der denn von dir?«, fragt Luise und nickt mit dem Kinn in Richtung des Jungen, der wieder neben der Bank steht.

Ich wende langsam den Kopf und sehe noch einmal zu ihm hin. Der Kerl mustert mich so unverschämt, dass es fast einer Belästigung nahekommt. Trotzdem bilde ich mir ein, dass die Arroganz aus seinem Blick verschwunden ist. Jetzt liegt ein anderer Ausdruck auf seinem Gesicht.

Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Mitleid! Er betrachtet mich eindeutig mitleidig.

Und genau das kann ich so gar nicht gebrauchen. Es wird mir in meiner Lage eher schaden, als nutzen. Nicht auszudenken, wenn er mich vor meinen Klassenkameradinnen auf mein entstelltes Gesicht anspricht.

Und um genau dem vorzubeugen, antworte ich Luise mit lauter Stimme: »Dieser hässliche Freak hat versucht mich anzugraben.«

Ich lache und gebe mir Mühe, es besonders gehässig klingen zu lassen. »Aber wer glaubt der denn, wer er ist?«

Luise und der Rest der Mädchen stimmen ein albernes Gelächter an und damit scheint die Sache für sie erledigt.

Evas neustes Smartphone liefert weitaus interessanteren Gesprächsstoff als ein heruntergekommener Kerl, der an der Straße steht. Ich heuchele eifriges Interesse und lasse mir von ihr die Menüführung des brandaktuellen Geräts erklären. Evas Schickimicki-Getue geht mir oft gehörig auf die Nerven. Das Anwaltstöchterchen protzt ständig mit den neuesten In-Geräten und ihren Designerklamotten. Ich vermute, dass Eva täglich mehr Zeit vor dem Spiegel verbringt als der Rest der Menschheit in einer ganzen Woche. Auch heute fällt ihr kinnlanger, brauner Bob aalglatt und perfekt frisiert. Sie hat jeder auch noch so kleinsten Locke den Garaus gemacht. Doch an diesem Morgen danke ich Eva insgeheim für ihr niemals versiegendes Plappermaul. Es lenkt meine tristen Gedanken in eine andere Richtung. Weg von meinen Eltern, von der nach wie vor pochenden Schläfe und dem aufdringlichen Frühaufsteher.

Ich hebe den Kopf. Die Haltestelle füllt sich zusehends mit verschlafenen, lachenden, großen und kleinen Schülern. Ich werfe einen Blick auf meine hellblaue Ice Watch und frage mich gerade, wo der Bus bleibt, als dieser mit quietschenden Reifen in die Haltestelle einfährt. Ich erkämpfe mir in dem völlig überfüllten Bus einen Stehplatz neben Luise, der es auf unerklärliche Weise gelungen ist, einen Sitz zu ergattern.

»Also, als hässlich würde ich den Vogel jedenfalls nicht bezeichnen«, sagt Luise und rempelt mich mit dem Ellbogen sanft in die Seite.

»Hä? Was? Welchen Vogel?«

»Na, den Vogel!« Luise nickt den Gang hinunter. Unwillkürlich blicke ich in die gleiche Richtung.

Mr. Dunkel & Gefährlich schiebt sich, auf dem Weg in den hinteren Teil des Busses, langsam durchs Gedränge.

Sein Pony fällt ihm dabei über die Augen und ich frage mich, wie er überhaupt noch etwas sehen kann.

Mit den langen, dunklen Haaren und der schwarzen Lederjacke wirkt er wie einer der gefallenen Engel aus den Fantasybüchern, die ich so gerne lese.

Mein Blick gleitet gerade von seinen Lippen über die markanten Wangenknochen, als er sich plötzlich mit einer lässigen Bewegung die Haare aus dem Gesicht wirft und mir direkt in die Augen sieht.

Ich spüre sofort, wie mir die Röte ins Gesicht schießt.

Hastig wende ich mich wieder Luise zu und sage mit fester Stimme: »Ich weiß nicht, was du meinst. Ich finde ihn jedenfalls widerlich.«

Luise zuckt mit den Schultern. »Na ja, ich würde den Bad Boy jedenfalls nicht von der Bettkante stoßen.«

In diesem Augenblick hat er unsere Sitzreihe erreicht und ich bete, dass er Luises letzten Satz nicht gehört und nicht gemerkt hat, dass er damit gemeint war.

Sachte schiebt sich sein Körper an meinem vorbei, und obwohl mehrere Lagen Kleidung seine Haut von meiner trennen, stellen sich die feinen Härchen auf meinen Armen auf und ich fröstele leicht.

Idiot, Idiot, Idiot.

»Deine Sonnenbrille ist einfach wow!«, sagt Luise da plötzlich interessiert. »Kann ich die mal aufsetzen?«

Ich schrecke auf. Unwillkürlich zuckt meine Hand zur Brille und ich weiche ein Stück zurück, soweit das in dem völlig überfüllten Bus möglich ist.

»N…n…nein«, stottere ich. »Das g…geht nicht. Meine Augen … Infektion.«

Ich suche krampfhaft nach weiteren Ausflüchten, doch Luise hebt beschwichtigend die Hände.

»Schon gut, nicht dass ich mir mit dem Teil noch Bakterien in meine Strahleaugen hole.« Luise grinst anzüglich und fährt sich betont langsam durch ihre langen, braunen Haare. »Ich brauche meine Äuglein am Samstag schließlich noch zum Flirten.«

»Am Samstag?«

Luise stößt die Luft aus.

»Sag mal, was geht denn mit dir heute? Samstag, Party, Ben … klingelt‘s?«

»Ach ja, sorry.«

Luise verdreht die Augen. »Ich glaub, du solltest erst mal richtig wach werden!« Mit diesen Worten zieht sie ihr Smartphone aus der Tasche, schießt ein grinsendes Selfie und postet es auf ihrer Facebook-Seite. Anschließend scrollt sie sich durch die aktuellen Beiträge.

Den Rest der Busfahrt begnüge ich mich damit, abwesend auf Luises Handy zu starren. Wenigstens kann ich so den Blick des Jungen hinter mir ignorieren, der sich förmlich in meinen Rücken brennt.

Kai

Warum kann ich meinen beschissenen Blick nicht von der Kleinen abwenden? Sie ist eindeutig ein reiches, schnöseliges Püppchen. Eigentlich so gar nicht mein Geschmack. Doch irgendetwas reizt mich an ihr und das ärgert mich, vor allem, da mir klar ist, dass sie mich ohnehin für einen hässlichen Freak hält. Das hat sie jedenfalls deutlich zu ihrer Freundin gesagt.

Ich starre aus dem Fenster und versuche mich auf andere Gedanken zu bringen, was leider nicht so recht klappen will. Woher hat sie diese Verletzung im Gesicht? Wenn ich sie mir so anschaue, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie in ihrer Freizeit Kickboxen betreibt oder dass sie sich mit ihren Freundinnen prügelt. Mädchen wie sie stehen eher auf … Klamotten und … Klamotten und … vielleicht noch Klamotten? Der Horizont dieser reichen Schnepfen reicht meistens nur von ihrem Kleiderschrank bis zum Badezimmerspiegel und wieder zurück. Also wer zum Geier hat sie so zugerichtet? Ich beschließe, ihr kleines, dreckiges Geheimnis aufzudecken. Natürlich nur aus dem einen Grund. Mir gefällt es, so eine Möchtegerntussi vorzuführen.

Stöhnend lehne ich meinen Kopf an eine der Haltestangen. Ich bin todmüde. Es war eine lange Nacht. Erst in den frühen Morgenstunden bin ich mit meinen Jungs zurück zum Treffpunkt gekommen. Beim Bruch in diese Bonzenvilla am Stadtrand haben wir gründlich abgesahnt. Die anschließende Party im Abbruchhaus, unserem geheimen Gangquartier, war der Hammer. Ich habe keine Ahnung mehr, wie oft ich es mit Lil getrieben habe. Die anderen haben sich volllaufen lassen. Genau das Richtige nach unserer nächtlichen Aktion. Damit ich nicht als verfickter Loser dastehe, hab ich mir auch eine Bierflasche geschnappt und den Inhalt dann heimlich gegen Wasser getauscht. Immerhin brauche ich für die Schule einen klaren Kopf. Die Schule und die Gang sind die einzige Zuflucht in meinem ansonsten so abgefuckten Leben. Ich hoffe, ich überstehe den heutigen Tag, ohne einzupennen.

Mein Blick fällt erneut auf die seidigen blonden Haare der kleinen Schickimicki-Braut. Sie sehen so weich und glänzend aus. Wie sie sich wohl in meiner Hand anfühlen würden? Fuck! Wüsste ich nicht, dass ich nur Wasser getrunken habe, würde ich denken, ich wäre besoffen und würde vor mich hin fantasieren. Aber vielleicht kann ich einfach vor lauter Müdigkeit nicht mehr klar denken.

2. Kapitel

Annabell

Kaum erreicht der Bus die Schule und lässt die Türen aufschnappen, springe ich schon aus dem Fahrzeug, rücke prüfend die Sonnenbrille zurecht und halte erwartungsvoll nach Luise Ausschau.

»Erst siehst du so aus, als ob du noch halb pennen würdest, und dann kannst du gar nicht schnell genug in die Schule kommen.«

Ich grinse. »Mir war es nur zu eng da drin.«

Und ich will aus seinem Blickfeld verschwinden, bevor er einen blöden Spruch wegen meiner Verletzung loslässt. Ungeduldig ziehe ich Luise am Ärmel.

»Komm schon. Ich will endlich rein. Hier draußen ist es viel zu heiß.«

Luise schüttelt meine Hand ab. »Jetzt lass mich doch wenigstens mein Handy noch in den Rucksack packen.«

Entnervt warte ich, bis meine Freundin den Reißverschluss wieder zuzieht, als der Bus auch schon Mr. Lederjacke vor der Schule ausspuckt.

Ich werde immer hektischer und weiß selbst nicht, warum.

»Komm jetzt! Ich krieg hier gleich ‚nen Hitzekoller!«

Luise runzelt die Brauen. »Sag mal, stehst du unter Drogen oder was? So heiß ist es jetzt auch wieder nicht.« Sie scannt mich misstrauisch von oben bis unten. »Aber wenn das Zeug, das du genommen hast, einem auch beim Denken hilft, dann kannst du mir gerne was davon abgeben. Ich weiß nämlich nicht, wie ich diese Englischarbeit heute durchstehen soll.«

Ich tippe mir an die Stirn. Eher wird ein Löwe zum Vegetarier, als dass Luise sich Drogen reinpfeift.

»Du hast doch einen Knall!«

»Mich wundert bloß, wie so einer es überhaupt aufs Gym geschafft hat«, wirft Luise ein und deutet auf den Jungen mit der schwarzen Lederjacke, der jetzt vor uns die Treppe zur Eingangstür hinaufgeht.

»Sag mal, was hast du andauernd mit diesem blöden Typen? Das nervt langsam!« Ich werfe mir den Rucksack auf die Schulter und stapfe energisch davon.

Nach wenigen Metern holt Luise mich ein.

»Ich würde echt gerne wissen, was mit dir heute abgeht. Ist doch verwunderlich, wieso jemand, der so aussieht, aufs Gym geht, oder etwa nicht?«, sagt sie kopfschüttelnd.

Ich stoße gereizt die Luft aus. »Der Kerl geht schon ewig hier zur Schule und bis jetzt hat er dich nie interessiert. Wahrscheinlich hat er am PC sein Zeugnis gefälscht oder er hat dem Rektor damit gedroht, seine schwarzen Teufelsbrüder auf ihn zu hetzen, wenn er ihn nicht aufnimmt.« Ich ernte einen verständnislosen Blick.

»Was denn? Du hast doch eben selbst gesagt, dass er nicht so aussieht, als ob er hierhergehören würde.«

»Ja, aber …«

»Mensch, Lui, können wir jetzt endlich aufhören, über diesen dämlichen Kerl zu reden?«

Es ist unübersehbar, dass Luise die nächste Frage unter den Nägeln brennt. Doch schließlich ringt sie sich ein halbes Lächeln ab und nickt.

»Danke.« Ich seufze erleichtert.

»Du, sag mal«, frage ich, als ich wenig später eingehakt am Arm meiner Freundin zum Klassenzimmer trödele. »Kann ich in Englisch bei dir abschreiben? Ich habe wirklich gelernt, aber diese blöden Vokabeln … ich kann sie mir einfach nicht merken. Und dann auch noch die Grammatik … Das ist doch alles zum Kotzen!«

Ich stecke mir den Finger in den Mund und tue so, als müsse ich würgen.

Luise zuckt die Schultern. »Von mir aus. In Grammatik bin ich auch nicht so fit, aber die Vokabeln hab ich einigermaßen drauf.«

Ich nehme meine Freundin in die Arme und drücke sie. »Was würde ich nur ohne dich machen!«

»Schon gut«, brummt Luise gutmütig.

Im Klassenzimmer lege ich dem Schmidt unaufgefordert die Entschuldigung vor. Der Lehrer akzeptiert sie wortlos, was mich fast ein wenig wundert. Die dummen Kommentare meiner Mitschüler, ob ich wohl zum Vampir mutiert sei, weil ich in geschlossenen Gebäuden eine Sonnenbrille tragen müsse, bringe ich mit der Schilderung meines vorgetäuschten Krankheitsbildes zum Verstummen.

Die ersten beiden Schulstunden verlaufen im alltäglichen Trott.

»Lass uns draußen in die Sonne setzen, ich muss noch etwas für meinen Teint tun«, schlägt Luise zu Pausenbeginn vor, und ich habe dem nichts entgegenzusetzen.

Wir lassen uns auf einer Bank nieder und Luise streckt ihr Gesicht der Sonne entgegen. Ich schlage das Englischheft auf und versuche krampfhaft, mir noch die eine oder andere Vokabel einzubläuen. Doch als kurz darauf die schwatzhafte Eva samt ihrem Anhang Charlotte hinzukommt, lasse ich das Heft kampflos sinken. Bei Evas Gegiggel ist es selbst dem größten Streber nicht möglich, sich auch nur das kleinste bisschen zu merken.

»Die Party bei Ben wird der Hammer!«, ruft Eva aufgeregt.

»Aber ich weiß noch gar nicht, was ich anziehen soll.« Charlotte zieht einen Flunsch.

»Wie wäre es mit einer Shoppingtour morgen Nachmittag?« Charlotte wendet sich an Luise und mich. »Kommt ihr auch mit?«

Während Luise begeistert nickt, schüttele ich den Kopf.

»Hä? Wieso denn nicht?«

»Ich hab eine Entzündung an den Augen. Das brennt ziemlich. Ich bin froh, wenn ich nicht in die Sonne muss.«

Wie könnte ich, ohne die Brille abzunehmen, zig Kleider anprobieren? Ein Ding der Unmöglichkeit.

»Wie ist das denn passiert?«, fragt Charlotte neugierig.

Nachdem ich die Lüge von heute Morgen noch einmal für Eva und Charlotte wiederholt habe, wird die weitere Planung des morgigen Nachmittages ohne mich besprochen.

»Ich hole mir mal eben was zu trinken«, murmele ich und stehe auf. Da ich bei der Shoppingtour sowieso nicht mit von der Partie sein kann, langweilt mich das Gespräch über Kleider, Täschchen und Schuhe plötzlich zu Tode.

Ich ziehe eine Flasche Wasser aus dem Getränkeautomaten im Schulflur und lehne mich gegen das Gerät. Das kalte Metall des Automaten kühlt meine von der Sonne aufgeheizte Haut. Meine Gedanken kreisen um die Party am Wochenende.

Mein Vater wird darauf bestehen, dass ich mit auf diese Party gehe. Immerhin ist es die Gelegenheit, seine perfekte Familie vorzuführen. Bens Vater, Chefarzt in der städtischen Klinik, gibt jedes Jahr um diese Zeit eine Sommerparty. Diese Feiern sind legendär. Alles was Rang und Namen hat, versammelt sich dort.

Dabei laufen die Partys stets nach dem gleichen Schema ab. Anfangs Smalltalk, danach das reichhaltige Buffet mit Speisen, deren Geschmack zweitrangig ist, Hauptsache teuer und edel. Und im Anschluss spielt eine Musikband und lädt die Erwachsenen zum Tanzen ein. Die Kids vergnügen sich einstweilen im hinteren Bereich des Gartens am Lagerfeuer oder im Pool.

Bens Party ist stets eines der Sommer-Highlights für mich. Doch wenn ich daran denke, mich mit Sonnenbrille im dunklen Garten amüsieren zu müssen, wird mir schlecht.

Ich werde entweder halb blind durch die Gegend torkeln oder mich darauf beschränken müssen, den Abend einsam an einem Tisch in irgendeiner finsteren Ecke zu verbringen. Tolle Aussichten! Doch es bleibt mir gar nichts anderes übrig: Ich muss mitgehen, denn mein Vater bestimmt und ich habe zu gehorchen.

Ein energisches Räuspern rüttelt mich auf.

Ich zucke zusammen und stoße mich vom Getränkeautomaten ab. Vor mir steht niemand anderes als Mr. Lederjacke.

»Was willst du?«, fahre ich ihn an und umklammere die Wasserflasche wie eine Rettungsboje.

»Willst du eigentlich den ganzen Tag mit der Sonnenbrille herumlaufen?«

»Geht’s dich was an?«, fauche ich.

Unbeeindruckt von meiner Biestigkeit fährt er fort: »Hast du die sogar im Unterricht getragen?«

»Stört‘s dich, oder was?« Ich will nicht mit ihm reden. Zu groß ist meine Angst, dass er die Wahrheit ans Licht bringt.

Er lächelt. »Nein, ich denke bloß, dass du sehr gut im Erfinden von Geschichten sein musst, wenn du damit durchgekommen bist.«

»Ich hatte ein Attest!« Im selben Moment hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen.

»Ein Attest?« Der Junge zieht die Augenbrauen in die Höhe.

»Willst du mir erzählen, dass dir ein Arzt ein Attest ausgestellt hat, damit du die Brille im Unterricht auflassen kannst und niemand sieht, dass dich jemand verdroschen hat?« Er kommt näher. Sein Gesicht schwebt gefährlich nahe vor meinem.

Ich halte unwillkürlich die Luft an.

»Sag mal, willst du mich wieder verarschen?«

Seine körperliche Nähe gibt mir das Gefühl, ersticken zu müssen. Ich stemme ihm die Hände gegen den Brustkorb und schiebe ihn von mir weg. Ich will nichts mit ihm zu tun haben.

»Mein Vater ist Arzt und er hat mir das Attest ausgestellt. Zufrieden?«

Mit diesen Worten lasse ich ihn stehen und renne zurück ins Klassenzimmer, wo die Englischschulaufgabe schon auf mich wartet wie der Henker auf einen Verurteilten.

Ich rücke den Stuhl neben Luise zurecht und schiebe unauffällig die Schultasche, die als Blickschutz dienen soll, ein Stück nach vorne, so dass eine kleine Lücke entsteht. Gerade groß genug, um einen Blick auf das Blatt meiner Freundin zu erhaschen.

»Annabell, wärst du bitte so freundlich, dich nach vorne zu setzen? Vitus ist heute krank und sein Tisch ist ganz frei. Dann haben Luise und du mehr Platz.«

Mir kommt die Galle hoch. Diese blöde Kuh! Als ob wir nicht genug Platz gehabt hätten!

»Aber gerne, Frau Lang.«

»So, die Stifte gezückt und los geht’s! Viel Glück euch allen!«

Von wegen Glück, die freut sich doch, wenn sie uns eins reinwürgen kann.

Ich schlage die erste Seite auf und lese den Text, den wir übersetzen sollen. Den kann ich mir noch mit etwas Fantasie zusammenreimen. Doch bei der nächsten Aufgabe versage ich bereits bei der Fragestellung.

»Replace the participles using an adverbial phrase!«

Participles, participles … Was zum Teufel noch mal waren participles?

Ich raufe mir die Haare, kaue den Kugelschreiber hinten kaputt und schicke meine Fingernägel ins Jenseits. Doch es hilft alles nichts. Mein Gehirn ist wie leer gefegt. Eine Wüste, eine verdammte Sahara.

Der Gong läutet zum Ende der Stunde und Frau Lang sammelt gnadenlos sämtliche Tests ein.

»Na, Annabell, ich hoffe, dieses Mal sieht es besser für dich aus«, sagt sie, während sie mir das Papier wegzieht. Um ihren Mund zuckt es.

Ich beiße die Zähne zusammen.

Irgendwann, irgendwann werde ich dich … Du doofe, hinterhältige Kuh!

Luise tritt an meinen Tisch und legt mir die Hand auf die Schulter. »Na, wie war‘s? Ich hätte Schlimmeres erwartet«, sagt sie und lächelt.

»Schlimmeres? Bist du Einstein oder was?«

Luise streicht mir beruhigend über den Rücken. »So schlecht gelaufen?«

»Lass uns bitte von was anderem reden, ja?«

Schwer wie ein Sack Zement lastet die Englischschulaufgabe auf mir, als ob sie darauf wartete, mich jeden Moment in die Tiefe zu ziehen.

Kai

Als die Schule zu Ende ist, wandern meine Augen suchend durch die Menge der Schüler, die aus dem Schulgebäude strömen. Als mir bewusst wird, nach was, oder besser gesagt, nach wem ich Ausschau halte, stoße ich lautlose Flüche aus. Ich weiß, verdammt noch mal nicht, was da auf einmal mit mir abgeht. Wahrscheinlich habe ich einfach Samenstau oder so.

Ich steige in den Bus, ziehe mein Handy aus der Tasche und texte Lil, ob sie Bock auf mich hat. Lil sendet mir umgehend das Bildchen »Daumen hoch« und ich muss grinsen. Lil hat immer Bock auf mich. Sie steht auf mich.

Ich merke, wie mich die Müdigkeit übermannt und mir immer wieder die Augen zufallen. Es war eine beschissen lange Nacht und Lil und ich haben fast durchgehend Hochleistungssport betrieben.

Nur mit größter Mühe überstehe ich diese Busfahrt in einem halbwegs wachen Zustand. Als ich an der Haltestelle aus dem Bus taumle, beschließe ich, dass Lil noch ein wenig warten muss. Ich bin so fertig, dass ich mich erst mal ein paar Stunden aufs Ohr hauen muss. Kurz überlege ich, ob ich ihr eine Nachricht schreiben soll, doch dann entscheide ich mich dagegen. Im Prinzip ist es mir scheißegal, ob sie enttäuscht ist oder nicht. Lil ist für mich einfach nur ein gelegentlicher Fick.

Unsere Haustür steht sperrangelweit offen. Wie fast immer. Aber wenn einer glaubt, bei uns gäbe es etwas zu holen, ist er entweder blind oder geistesgestört. Ein kurzer Blick in den Kühlschrank bestätigt mir, dass meine Mutter wieder nichts eingekauft hat. Den Blick in den Ofen oder in einen der herumstehenden Töpfe kann ich mir sparen. Meine Mutter hat das letzte Mal gekocht, als … verfluchte Scheiße, ich kann mich nicht daran erinnern.

Wütend knalle ich den Kühlschrank zu und versuche das bohrende Grummeln in meinem Magen zu ignorieren.

Als ich kurze Zeit später im Bett liege und die Augen schließe, tanzen Bilder von einem blonden Mädchen mit seidigen Haaren in meinem Kopf herum. Diese beschissene Verletzung hat ihr Gesicht ziemlich entstellt, doch man konnte trotzdem sehen, wie wunderschön sie ist.

Wunderschön? Das habe ich jetzt nicht wirklich gedacht, oder? Ich glaub, ich werde schizophren. Eine Braut ist heiß oder geil, aber doch nicht wunderschön. Verfickte Scheiße, warum mache ich mir nur ständig Gedanken um sie! Ich drücke die Augen fest zu und versuche zu pennen. Wenn ich wieder auf dem Damm bin, werde ich meine innere Unruhe möglichst schnell durch heißen Sex mit Lil loswerden.

3. Kapitel

Annabell

Den Freitag verbringe ich die meiste Zeit lesend in meinem Bett. Da für diesen Tag das Sportfest angesagt ist, schreibt mein Vater mir wieder eine Entschuldigung. Hochsprung, Weitsprung und Sprint bergen immerhin die Gefahr, dass meine Sonnenbrille von der Nase rutschen und die Blessur für alle sichtbar werden könnte.

Ich bin gerade an der Stelle angekommen, als der gefallene Erzengel Michael der schönen Isabella sein dunkles Geheimnis offenbaren will, als die Tür aufgerissen wird und meine Mutter hereinspaziert kommt.

»Welches Kleid ziehst du morgen an?«

Ich schiebe das Buch zur Seite.

»Ich soll also tatsächlich mit zur Party?«

Meine Mutter bedenkt mich mit einem etwas verwirrten Gesichtsausdruck. »Was hast du denn gedacht? Welchen Grund sollte es dafür geben, dass du zu Hause bleibst? Du weißt, dass dein Vater es niemals akzeptieren würde, wenn du nicht mitkommst.«

Wortlos streiche ich mir das Haar aus dem Gesicht und deute auf meine geschwollene Schläfe.

Sie blickt zur Seite, geht auf meinen Kleiderschrank zu und beginnt umständlich darin herumzuwühlen.

»Ach deswegen. Nein, es ist doch schon viel besser geworden. Wir werden dir ein gut deckendes Make-up auflegen und du kannst zusätzlich die Sonnenbrille tragen. Zu späterer Stunde wird die Dunkelheit dann den Rest erledigen.«

Meine Mutter dreht sich um, ein leichtes gelbes Sommerkleid in den Händen.

»Halte dich nur vom Pool fern. Ansonsten besteht fast kein Risiko. Bens Eltern leuchten den Garten bestimmt wie jedes Jahr nur mit Kerzen und kleinen Lampions aus.«

Nach diesen Worten rauscht sie aus dem Zimmer und die Sache scheint für sie erledigt zu sein.

***

Die Party steigt abends um acht. Bereits um fünf Uhr beginnt Mum mit einem enormen Aufwand, sich und mich in die Königinnen des Abends zu verwandeln.

Allein die Schminkprozedur mit Abdeckstift, Make-up, Rouge und sämtlichen Zutaten, die der Schminkkoffer so hergibt, dauert eine geschlagene Stunde. Die zuvor aufgedrehten Haare fallen mir in dicken blonden Locken bis weit über den Rücken. Die aufgebrezelten Barbiepuppen sind ein Witz gegen mich. Von klein auf hat man mir beigebracht, dass Reichtum, Schönheit und ein guter Ruf das Wichtigste im Leben sind.

Ein letzter Blick in den Spiegel zeigt mir, dass Mutter ganze Arbeit geleistet hat. Die dicke Schicht Make-up im Gesicht verbirgt tatsächlich einen Großteil der blaugrünen Flecken. Die Schwellung, die sowieso schon fast verschwunden ist, kann man nur bei genauem Hinsehen noch erahnen.

Vorsichtshalber schiebe ich mir trotzdem die schwarze Brille auf die Nase.

Mein Vater empfängt uns mit ausgebreiteten Armen am Fuß der Eingangstreppe.

»Das sind sie ja, meine Schönheiten!« An seinem breiten Grinsen erkenne ich, dass er fast platzt vor Stolz.

Was für eine perfekte Familie!

Er geleitet uns zu dem schwarzen Mercedes, der vor der Tür steht und im letzten Sonnenlicht des Tages glänzt wie ein kostbarer Edelstein.

Dann fährt er los und ich blicke auf die vorbeigleitende Landschaft und male gedankenverloren Kringel auf den seidigen Stoff meines Sommerkleides. Wenig später rollt unsere Limousine auf das Anwesen von Chefarzt Dr. Plank. Ich habe bereits den Türöffner in der Hand, als die Worte meines Vaters mich am Aussteigen hindern.

»Fräuleinchen, ich erwarte von dir, dass du dich benimmst«, sagt er streng. »Kein Alkohol, keine Eskapaden oder sonstige Peinlichkeiten! Hast du mich verstanden?«

»Ja, Papa«, wispere ich brav und senke den Blick.

»Ach, und Annabell«, Papa dreht sich nach hinten, »sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!«, herrscht er mich an.

Zögerlich hebe ich den Kopf.

Dann gleitet ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. »Und kümmere dich ein bisschen um Jannik. Er wird bald sein Medizinstudium beenden und bei seinen herausragenden Leistungen wird er sicher in die Fußstapfen seines Vaters treten. Eine nicht zu verachtende Partie.« Er grinst anzüglich.

Ich nicke kaum merklich. Ich finde Jannik widerlich. Er ist Bens Bruder und ganz anders als Ben. Ein schmieriger, unansehnlicher Kerl, der jedem Rock hinterherjagt und überzeugt davon ist, dass der Ruhm und das Geld seines Vaters ihm jede noch so gut verschlossene Tür auf diesem Planeten öffnen werden.

»Und, Annabell? Ich warte auf eine Antwort!«

»In Ordnung, Papa.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauch.

Mein Vater gibt ein wohliges Brummen von sich und steigt aus dem Wagen.

***

Wir werden überschwänglich in Empfang genommen. Doch die vielen Mitleidsbekundungen zu meiner vorgetäuschten Augeninfektion hängen mir schon nach kurzer Zeit zum Hals heraus.

Nach unzähligem Händeschütteln und belanglosen Smalltalks, in denen sich mein Vater in der Rolle des treu sorgenden Vaters und Ehemannes aufspielt, folgt der offizielle Teil des Abends.

Dr. Planks Rede über Karrierechancen, Geldgeber und das Krankenhaus öden mich noch mehr an als unser monotoner Englischunterricht. Zum Schluss spricht er, ganz Egomensch, einen Toast auf sich selbst und seine natürlich wundervolle Familie aus.

Ein höflicher Applaus bereitet dem Spektakel ein würdevolles Ende und der Chefarzt erklärt das Buffet für eröffnet.

Mir fällt ein Stein vom Herzen. Wie jedes Jahr löst sich die Festgesellschaft nun in verschiedene Grüppchen auf. Die Jugendlichen dürfen sich zu ihresgleichen gesellen, während die Erwachsenen sich nach einem gepflegten Essen auf der Tanzfläche tummeln oder sich gegenseitig im »Was hab ich, was bin ich« übertrumpfen.

Ich reihe mich in die Schlange am Buffet. Die Nacht tastet sich bereits voran und ich muss mir mit der dunklen Brille Mühe geben, damit ich Cocktailtomaten von Trauben unterscheiden kann.

Ich balanciere den beladenen Teller vorsichtig in den hinteren Teil des Gartens. Der Mond steht mittlerweile am Himmel und taucht das Anwesen mit den flackernden Kerzen überall in ein fahles Licht.

Auf einer hölzernen Gartenbank, die mit ihren dicken kurzen Füßen wie ein verunglückter Troll wirkt, lasse ich mich aufatmend nieder. Der Duft der wuchtigen Schmetterlingsflieder, die auf beiden Seiten der Bank stehen, liegt schwer und süß in der lauen Nachtluft. Ich sauge den berauschenden Mix aus Blütenduft und Holzkohlegeruch tief in meine Lungen. Unweit von mir amüsieren sich meine Freunde und Schulkameraden, entweder tobend im Pool oder schwatzend vor dem lodernden Lagerfeuer, das seine Flammen wie glühende Hände in den Himmel streckt, als wolle es ihm etwas entreißen.

Der Lärm der johlenden Jugendlichen dringt gedämpft an mein Ohr und ich genieße die entspannende Einsamkeit hier auf meiner Bank.

Für den Moment fühle ich mich wohl, mich nicht verstellen oder funktionieren zu müssen. Ich kann einfach ich selbst sein in dieser wunderbar lauen Sommernacht.

Ich lehne mich zurück, lasse eine Traube in meinem Mund verschwinden und schließe die Augen. Ich spüre, wie die feste Frucht in meinem Mund zerplatzt und im gleichen Moment sämtliche Geschmacksknospen explodieren.

Ich stöhne verzückt und lecke mir mit der Zunge über die Lippen.

Sie schmeckt wirklich zu köstlich!

»Gibt es auch noch andere Dinge, die dich in Ekstase versetzen oder braucht es dazu immer eine Handvoll Trauben?«

Ich fahre zusammen.

»Was?«, stoße ich erschrocken hervor und pruste dabei kleine Obststückchen aus meinem Mund.

Vor mir steht der unverschämte Kerl vom Donnerstagmorgen und grinst mich schadenfroh an.

»Spinnst du? Mich so zu erschrecken! Was machst du überhaupt hier?« Ich mustere ihn misstrauisch.

»Na, eingeladen bin ich jedenfalls nicht oder glaubst du, jemanden wie mich würde Dr. Plank auf die Gästeliste seiner Schickimicki-Party setzen?« Er zieht verächtlich die Mundwinkel nach unten.

»Und was tust du dann hier?«, frage ich erneut und kann nicht verhindern, dass ich dabei extrem genervt klinge. Ich mustere ihn von oben bis unten. »Wie siehst du überhaupt aus? Hast du endlich gecheckt, dass deine Klamotten ein Fall für die Altkleidersammlung sind?« Normalerweise bin ich nicht so ekelhaft, aber seine ständigen Einmischungen regen mich tierisch auf.

Er steckt in schwarzen Stoffhosen samt passendem Jackett und sieht darin eigentlich gar nicht so übel aus, wobei ich das niemals zugeben würde.

Dem Jungen gefriert das Lächeln im Gesicht und fast, aber auch nur fast, tut mir meine Bemerkung leid, immerhin schießt er mich auch ständig hoch.

»Ich merke schon, ich bin anscheinend weit unter deinem Niveau. Mit so jemandem wie mir gibt sich natürlich ein Töchterchen aus feinem Hause nicht ab.« Er bückt sich leicht und erst jetzt sehe ich das Tablett mit den vielen Champagnerflöten, das er in den Händen hält.

»Sorry, ich wollte mich nicht aufdrängen. Eigentlich wollte ich mich nur erkundigen, wie es dir geht.« Er pustet sich das Haar aus der Stirn und stiefelt mit dem teuren Sprudelwasser davon.

»He, warte mal!« Ich springe auf, laufe ihm hinterher und lege ihm die Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht gemein sein, aber du warst vorgestern auch alles andere als nett zu mir.«

Er dreht sich zu mir um und sieht mir tief in die Augen, mit einem Blick, den ich wieder nicht deuten kann.

Langsam hebt er die Hand, streicht mir vorsichtig eine Locke aus dem Gesicht und zieht mir die Sonnenbrille auf die Nasenspitze.

»Wenn ich es nicht besser wüsste …«, murmelt er und klemmt die Locke hinter mein Ohr. »Es ist fast nicht mehr zu sehen.«

Ich schlucke an dem Kloß, der fest in meinem Hals steckt. »Schminke«, erkläre ich achselzuckend und klemme mir die Brille an den Ausschnitt meines Kleides. Es ist Nacht geworden, darum erlaube ich mir, sie abzusetzen.

»Verrätst du mir jetzt, wie das passiert ist?«

Ich schüttle mir das Haar zurück ins Gesicht, was mir einen Augenblick Bedenkzeit verschafft. Sein prüfender Blick verunsichert mich.

»Ich … äh … also, … ich bin auf der Treppe hingefallen.«

Er schaut mich so forschend an, dass ich mich förmlich zu winden beginne.

»So, so die Treppe also. Beim Runtergehen oder beim Raufgehen?«

»B…b…beim Runtergehen«, stammele ich.

»Ich heiße Kai Kestner«, sagt er und streckt mir die Hand entgegen.

Ich bin wahnsinnig erleichtert, dass er mir mein Gestammel abnimmt, und ergreife seine Hand.

»Annabell Beck.«

Kai, sichtlich bemüht ein Grinsen zu unterdrücken, stellt das Tablett auf die Erde.

»Was ist daran so komisch?«, frage ich verärgert.

Kai steckt die Hände in die Hosentaschen und wippt auf den Füßen. Sein Schmunzeln ist schon fast ansteckend.

»Annabell. Das hört sich an wie …«

»Wie was?«

»Wie der Name einer Fee oder einer Märchenprinzessin.«

Ich kneife verärgert die Augen zusammen. »Als ob Kai besser wäre. Wie Kai Pflaume, du Pflaume!«

Plötzlich prustet der Junge los.

»Was soll das denn schon wieder?«

Kai lacht immer lauter, Tränen treten ihm in die Augen.

Ich werde immer wütender. Zornig funkele ich ihn an.

Kai krümmt sich inzwischen vor Lachen.

»Annabell wie diese Babypuppe?«, japst er.

Er kriegt sich kaum noch ein. »Baby Annabell«, stößt er prustend hervor.

Wenn Blicke töten könnten, würde dieser Kai hier und jetzt das Zeitliche segnen. Doch leider verfüge ich über keine magischen Fähigkeiten.

»Wusste gar nicht, dass du mit Puppen spielst, weil du so gut darüber informiert bist.«

Und ehe ich überhaupt begreife, was ich da tue, schnappe ich mir eines der Gläser von seinem Tablett und gieße es Kai über den Kopf.

»Idiot!«, zische ich und spaziere hoch erhobenen Hauptes davon.

Doch Kai läuft mir schon wieder hinterher.

Atemlos und noch immer nach Luft ringend geht er neben mir her.

»Sei doch nicht eingeschnappt, das ist doch lustig.«

»Ja, für dich vielleicht«, knurre ich.

»Komm schon, Annabell, lass uns noch mal von vorn anfangen.«

Beim Klang meines Namens hat er Mühe nicht schon wieder loszulachen. Er zwinkert mir übertrieben fröhlich zu.

Mir zuckt es gewaltig in den Fingern. Nur unter Aufbietung sämtlicher Willenskraft gelingt es mir, ihm jetzt keine zu scheuern.

»Warum nennst du mich nicht einfach Bella, bevor du jedes Mal kurz davor bist zu ersticken, nur weil du meinen Namen aussprechen musst.«

Ein süffisantes Lächeln huscht über Kais Gesicht.

»Bella … hmmm, die Schöne. So willst du also genannt werden.«

Er legt eine Hand vor den Mund. Am Funkeln seiner Augen erkenne ich, dass er immer noch schmunzelt.

Ich rolle mit den Augen. »Lassen wir es einfach, okay?«

»Ich muss jetzt sowieso zurück ins Getümmel«, stellt er nüchtern fest. »Herr Plank bezahlt mich sicher nicht dafür, dass ich hier den Alleinunterhalter für dich spiele. Wobei er über meinen nassen Aufzug alles andere als erfreut sein wird.«

»Selbst schuld!« Ein zufriedenes Grinsen spielt um meine Lippen.

»Falls er mich fragt, wie es dazu kam, werde ich ihm berichten, dass du es gerne feucht und schmutzig liebst.«

Mir gefriert das Lachen im Gesicht.

»Das tust du nicht wirklich, oder?«

Kai verbeugt sich feixend.

»So leid es mir tut, meine Schöne, du wirst den Rest des Abends wohl auf mich verzichten müssen.«

Ich fasse mir ans Herz und taumele zurück.

»Oh mein Gott, wie soll ich das nur überleben.«

Doch bevor Kai verschwindet, umschließt er mit sanftem Griff mein Kinn und hebt es behutsam an, so dass ich ihm direkt in die Augen sehen muss.

»Übrigens, was deine Verletzung betrifft, glaube ich dir kein Wort! Wenn du die Treppe heruntergefallen wärst, wärst du entweder auf den Hinterkopf geknallt oder auf deinem süßen Arsch gelandet. Alles andere wäre ein wenig abenteuerlich.«

Wortlos starre ich ihm hinterher und überlege, ob ich ihn wegen seines Hochmuts hassen oder wegen seines Scharfsinns bewundern soll.

Kai

Die Kleine will mich eindeutig verarschen, doch nicht mit mir! Ich hab mich noch nie an der Nase herumführen lassen. Niemals hätte ich damit gerechnet, sie heute Abend hier zu sehen. Doch wenn ich ein wenig mein Gehirn eingeschaltet hätte, hätte ich es mir denken können. Diese reichen Säcke nutzen doch jede Gelegenheit, sich unter ihresgleichen zu mischen. Ich fühle mich hier sowieso schon wie der letzte Abschaum und dann muss ich mich in diesem bescheuerten Pinguinanzug auch noch vor ihr zum Affen machen. In meinen Punkklamotten fühle ich mich sicher und cool. Ich weiß, dass viele allein von meinem Styling oder eher gesagt nicht vorhandenen Styling abgeschreckt werden. Ein böser Blick, eine hochgezogene Augenbraue und sie ziehen den Schwanz ein. Doch diesen albernen Aufzug hasse ich. Nur wie soll ich sonst an Kohle kommen? Es ist verdammt schwer, neben der Schule eine Arbeit zu finden, also bleibt mir nichts anderes übrig, als Hiwi-Jobs anzunehmen. Und einer davon ist eben, für die reichen Arschlöcher den Idioten zu spielen.

»Noch ein Glas Champagner?«, frage ich dämlich grinsend eine alte, aufgebrezelte Ziege und halte ihr das Tablett hin.

Mann, nervt mich das alles hier! Schon wieder irren meine Augen suchend durch den Garten. Am liebsten würde ich alle Gläser dieses Gesöffs selbst kippen und mir die Kante geben, nur damit die Kleine endlich aus meinem Schädel verschwindet.

4. Kapitel

Annabell

»Was stehst du hier so rum? Keine Lust auf den Pool?« Luise tänzelt in ihrem knappen Bikini vor mir hin und her und schlingt sich bibbernd die Arme um den Oberkörper. Wasser rinnt aus ihren Haaren und bildet eine kleine Pfütze auf dem Boden.

Ich schüttele den Kopf. »Ich kann nicht. Mein Dad hat mich zu Janniks persönlichem Babysitter ernannt.«

Luise zieht eine Schnute und legt mir mitfühlend die Hand auf den Arm. »Oh nein, du Arme. Ausgerechnet der!«

Sie steckt sich den Finger in den Mund und gibt Würgegeräusche von sich.

»Ich kann mir auch nichts Schöneres vorstellen.« Meine Stimme trieft vor Sarkasmus. Niedergeschlagen mache ich mich auf die Suche nach Jannik. Er empfängt mich mit einem schleimigen Lächeln und klatscht mir links und rechts ein feuchtes Begrüßungsküsschen auf die Wange.

Mit einer eisigen Miene, um die mich selbst die Schneekönigin beneidet hätte, stehe ich, inmitten der Partygäste, neben ihm und komme mir so fehl am Platz vor wie sonst nirgendwo in diesem Leben. Jannik redet auf mich ein, während ich mechanisch nicke, Begeisterung heuchle und ihm das Gefühl zu vermitteln versuche, was für ein toller Hengst er doch sei. Er sonnt sich regelrecht in meiner vorgetäuschten Bewunderung.

Aus den Augenwinkeln sehe ich meinen Vater, der mir wohlwollend zunickt.

Mir bleibt keine andere Wahl als das Spiel zu Ende zu spielen. Kai schiebt sich an uns vorbei und zwinkert mir zu, woraufhin ich ihm hinter vorgehaltener Hand die Zunge rausstrecke. Doch das lässt ihn völlig kalt, er lächelt nur schief und geht dann weiter. Jannik nimmt zwei Champagnerflöten vom Tablett und reicht mir eine davon.

»Komm, lass uns ein Stück gehen.«

Mein Vater ist ins Gespräch vertieft, doch es gelingt ihm trotzdem, mich nicht aus den Augen zu lassen. Jannik legt mir die Hand auf den Rücken und schiebt mich weg vom Getümmel in die Stille der Nacht.

Das Planksche Anwesen ist ein weitläufiger Park und erstreckt sich über einige Quadratkilometer. Wir passieren das Lagerfeuer und den Pool, wo ich Luises mitleidige Blicke auffange. Ich fühle mich nicht wohl in Janniks Gesellschaft. Mit gesenktem Blick laufe ich neben ihm her und wünsche mir sehnlichst das Ende des Festes herbei.

Die Stimmen werden dumpfer, das Plätschern der Gäste im Pool ist nur noch entfernt zu hören. Nur das Zirpen einzelner Grillen und unsere knirschenden Schritte auf dem Kiesweg unterbrechen die Stille der Sommernacht.

Ich klammere mich an mein Glas. Um der Nervosität Herr zu werden, nippe ich immer wieder hektisch an dem herben Getränk, das mir schnell zu Kopf steigt.

Hinter einer Ansammlung herrlich duftender Lavendelbüsche kommt Jannik zum Stehen. Üppig blühende Rosenstauden verdecken fast gänzlich eine riesige Hollywoodschaukel, auf der sich Unmengen von Kissen türmen. Jannik schreitet geradewegs darauf zu und lässt sich nieder. Einladend klopft er auf den Platz neben sich. Ich zögere und ein flaues Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Mich fröstelt. Unentschlossen stehe ich vor der Schaukel und reibe mir die Oberarme, um die plötzlich auftretende Gänsehaut zu vertreiben.

»Nun komm schon! Ich beiße auch nicht.« Ungeduldig klopft Jannik wieder auf die Kissen. Ich trete zaghaft näher.

Worauf um Himmels willen soll das hinauslaufen?

Ich setze mich behutsam, fast so, als wäre die Schaukel aus hauchdünnem Glas und kurz davor zu brechen. Scheu blicke ich zu Boden, als könnte ich dort etwas finden, das mich aus dieser beklemmenden Situation befreien könnte.

»Du stehst auf mich, oder?«

»Was?« Mein Kopf schnellt nach oben.

»Ich kann das durchaus nachvollziehen«, sagt Jannik selbstverliebt. »Ich meine, ich bin immerhin nicht die schlechteste Partie. Ich bin voll und ganz in der Lage, den Frauen alle Wünsche zu erfüllen.«

Wow! Ich bin beeindruckt! Viermal »ich« in drei Sätzen, schießt es mir durch den Kopf.

Bevor ich die Gelegenheit bekomme, ihm zu antworten, redet Jannik bereits weiter.

»Ich muss zugeben – was dich betrifft, bin ich auch nicht gerade abgeneigt. Du bist hübsch, hast gute Manieren und stammst aus einer angesehenen Familie. Wir wären ein richtiges Traumpaar!«

Mir wird immer mulmiger zu Mute. Meine Handflächen werden feucht, unruhig rutsche ich in den Kissen hin und her.

»Jannik, ich …«

Er legt mir den Zeigefinger auf den Mund.

»Schhh, ich weiß, du bist glücklich darüber, dass ich so denke.« Er kräuselt die Nase und schiebt mit dem Zeigefinger seine dicke Brille hoch.

Umständlich legt er den Arm um meine Schulter, zieht mich an sich und presst seine Lippen auf meine. Ich spüre nichts als pure Abneigung. Mein erster Impuls ist, ihn von mir wegzuschieben, doch ich sitze nur stocksteif da. Lasse ihn einfach gewähren. Ist es das, was mein Vater von mir erwartet? Würde er mich mit Schlägen bestrafen, wenn Jannik sich beschweren würde?

Meine Gedanken rasen. Ich spüre seine Lippen, die saugen und schmatzen, als wäre er ein Vampir, bereit, auch noch den letzten Tropfen Blut aus mir herauszusaugen.

Niemals zuvor habe ich mich so schmutzig gefühlt.

Janniks Hand rutscht von meiner Schulter fast beiläufig tiefer, streicht über meine Hüfte, wandert über den knapp bedeckten Oberschenkel zwischen meine Beine.

In meinem Kopf schrillen sämtliche Alarmglocken. Hektisch schiebe ich seine tastende Hand fort, drehe den Kopf zur Seite, versuche mich von ihm zu befreien.

Doch er lässt mich nicht gewähren. Er beugt sich über mich und hält mich mit seinem schweren Oberkörper gefangen. Schwer keuchend drückt er mich in die Kissen. Ich spüre seinen heißen Atem an meinem Hals und seine Hand erneut zwischen meinen Beinen.

Verzweifelt stemme ich mich gegen ihn. Ein hilfloser Versuch.

»Jannik! Nein!« Ich werfe den Kopf hin und her. Versuche seinen Küssen zu entkommen.

»Sei doch nicht so frigide. Ich steh nicht auf solche Spielchen!«

Jannik schiebt den Saum meines Sommerkleides in die Höhe.

Tränen laufen mir über das Gesicht. Und langsam erschlafft meine Gegenwehr. Mein Vater, Jannik … ich bin und bleibe ein Opfer.

»Du machst mich wahnsinnig geil«, stöhnt Jannik in mein Ohr. Sein feuchter Atem stiebt mir ins Gesicht. Ich spüre seine Erregung, die sich hart an meine Oberschenkel presst.

Ich schließe die Augen. Versuche an etwas anderes zu denken. Mich fort zu träumen. Doch es gelingt mir nicht. Ich bin verzweifelt. Weiß nicht, was ich tun soll. Was von mir erwartet wird.

»Darf ich stören?« Eine Stimme schiebt sich in meine Gedanken und nimmt mir die Entscheidung ab. Jannik lässt mich augenblicklich los. Lehnt sich zurück und lässt mich zu Atem kommen.

»Was willst du?«, zischt er. Man hört ihm an, dass er alles andere als glücklich über die Störung ist.

Ich rapple mich auf und schiebe mir die verzottelten Haare aus der Stirn, um einen Blick auf meinen Retter zu erhaschen.

Kai!

Mit einem unschuldigen Lächeln steht er da und übermittelt Jannik die Botschaft, dass wohl mehrere Gäste nach ihm gefragt hätten.

Ich sehe, wie Jannik stolz die Brust schwillt, und hoffe, dass sein Verlangen, sich von allen beweihräuchern zu lassen, die Lust auf mich überwiegt.

Jannik wendet sich mir zu, ich kann ihm nicht in die Augen sehen. »Bin gleich wieder da. Warte hier auf mich.« Wie ein Hund fährt er mir mit der Zunge über die Lippen, steht auf und geht. Es ist so entwürdigend.

Ich sitze auf der Schaukel wie festzementiert, unfähig mich zu bewegen. Ich schäme mich, weiß nicht, wohin ich gucken soll. Unsicher zupfe ich an den Fransen der Kissen und spüre, auch ohne in seine Richtung zu sehen, dass Kai immer noch vor mir steht. Ich vermute, dass er auf eine Erklärung wartet. Doch wieso sollte ich ihm überhaupt eine schuldig sein. Oder …

Ich halte in meiner sinnlosen Fummelei inne. Kostet er die Tatsache, mich augenscheinlich in flagranti erwischt zu haben, etwa aus? Ich könnte seinen Spott jetzt nicht ertragen und will keine Fragen beantworten. Warum verschwindet er nicht und lässt mich in Ruhe?

Ich halte den Blick weiterhin gesenkt, spüre, wie mir das Haar seidig weich wie ein kostbarer Vorhang vor die Augen fällt. Es schließt mich ein, schottet mich ab.

Die Schaukel senkt sich ein Stück. Kai hat wohl Platz genommen. Ich warte … warte auf Hohn und Sticheleien.

Doch es kommt … nichts.

Ich weiß nicht, wie lange wir so sitzen. Fünf Minuten? Zehn?

»Du wolltest das nicht wirklich, oder?« Seine Stimme klingt rau.

Ich antworte nicht. Was hätte ich auch sagen sollen?

»Komm«, raunt er mit dieser heiseren Stimme. »Oder willst du warten, bis er zurückkommt?«

»Nein!«

Endlich gelingt es mir, meine Befangenheit ein wenig abzuschütteln. Er hat Recht, ich muss hier weg! Sofort! Jannik kann jederzeit wieder auftauchen.

Kai zieht mich hoch und führt mich weg. Ich bin froh, dass er die Führung übernimmt, denn ich kann nicht klar denken.

In dem Stück des Gartens, das wir nun durchschreiten, flackern weder Kerzen noch leuchten Laternen. Nur der Mond und die Sterne, die am Himmel stehen, tauchen Bäume und Sträucher in silbriges Licht.

Kai hält noch immer meine Hand und ich bin froh, dass er mich nicht loslässt. Er vermittelt mir Sicherheit.

Auf einmal bleibt er stehen. Eine riesige Eiche breitet ihre Äste wie ein riesiges Dach über uns aus. Kai lässt sich zu Boden gleiten, schlägt die Beine übereinander und sieht mich an. In seinen Augen glitzert das Mondlicht.