Sätze über Sätze - Markus Gabriel - E-Book

Sätze über Sätze E-Book

Markus Gabriel

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Beschreibung

Ein Guide durch unsere hyperkomplexe Gegenwart

Drei Alphabete mit einfachen Sätzen, die das Gegenteil von Meinungen sind – eine brillante Bedienungsanleitung, um die moderne Welt zu durchdringen. Das erste Abc widmet sich dem Denken der Philosophie, das zweite dem Zeitgeist, das dritte dem Alltag. Wir leben im Zeitalter der Hyperkomplexität. Das klingt komplizierter, als es ist. Der Grundgedanke ist simpel: Komplex ist nicht nur kompliziert, also nicht nur schwer zu durchschauen, weil intransparent oder vielschichtig, sondern tatsächlich unmöglich zu begreifen, vorherzusagen und zu kontrollieren. In einer hyperkomplexen Welt prägen Rückkopplungen und unbeabsichtigte Nebenwirkungen in einer Endlosschleife unser Leben. Fortschritt scheint unmöglich, wir stecken in einer Krisenlage fest, für deren einzigen Ausweg manche das Ende der Welt, der Menschheit oder gar des Lebens insgesamt halten. Dieses Buch bietet das gedankliche Handwerkszeug, auf den Grundton der Apokalyptik mit fokussierter Wachheit und Gelassenheit zu reagieren. Es umkreist die großen Themen unserer Zeit – und die kleinen, die es in sich haben.

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Seitenzahl: 83

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INHALT

» Über die Autoren

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DIE AUTOREN

Markus Gabriel, geboren 1980, ist Philosoph, Buchautor und Begründer des Neuen Realismus. Er war der jüngste deutsche Philosophieprofessor und lehrt seit 2009 als Professor an der Universität Bonn. Seit 2022 ist er zudem Academic Director an The New Institute in Hamburg. Mit Warum es die Welt nicht gibt, das 2013 herauskam, wurde er zum Bestsellerautor. Zuletzt erschien Der Mensch als Tier: Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen.

René Scheu, geboren 1974, ist Publizist, Philosoph, Übersetzer und Geschäftsführer des IWP. Von 2016 bis 2021 leitete er das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. Zuvor war er Chefredakteur und Herausgeber des Magazins Schweizer Monat.

ÜBER DAS BUCH

Drei Alphabete mit einfachen Sätzen, die das Gegenteil von Meinungen sind – eine brillante Bedienungsanleitung, um die moderne Welt zu durchdringen. Das erste Abc widmet sich dem Denken der Philosophie, das zweite dem Zeitgeist, das dritte dem Alltag.

 

Für unsere Kinder

Bedienungseinleitung

Markus Gabriel & René Scheu

Wir leben im Zeitalter der Hyperkomplexität. Das klingt komplizierter, als es ist. Der Grundgedanke ist einfach: Komplex ist nicht nur kompliziert, also nicht nur schwer zu durchschauen, weil intransparent oder vielschichtig, sondern tatsächlich unmöglich zu begreifen, vorherzusagen und zu kontrollieren. In einer hyperkomplexen Welt prägen Rückkoppelungen und unbeabsichtigte Nebenwirkungen in einer Endlosschleife unser Leben. Fortschritt scheint unmöglich, wir stecken in einer Krisenlage fest, für deren einzigen Ausweg manche die Apokalypse, das Ende der Welt, der Menschheit oder gar des Lebens insgesamt halten.

Und darum braucht es unserer Ansicht nach dieses Buch. Denn was man nicht fassen kann, das muss man erst einmal zerlegen. Wir reagieren auf die Hyperkomplexität mit der Einfachheit von Sätzen, oder besser: mit einfachen Sätzen, die wir in Form dreier ABCs gebündelt haben. Auf den Grundton der Apokalyptik bzw. Postapokalyptik antworten wir mit einer Stimmung fokussierter Wachheit und Gelassenheit.

Aber zuerst – was ist denn genau hyperkomplex an der Lage, die die unsrige ist?

Hyperkomplexität zeigt sich in einer unüberschaubaren, unregierbaren Verschachtelung von Krisen und Katastrophen. Alles wankt und wandelt sich. Die Geopolitik, die Banken, der Liberalismus, die Demokratie, die Staaten, der Mensch im Angesicht der smarten Maschinen und das Klima befinden sich in Umbrüchen, deren Dynamik wir nur ansatzweise überschauen. Wir wissen allerdings genug, um zu wissen, dass wir es mit einer nie da gewesenen Gefahrenlage zu tun haben, mit einem neuartigen Zeitalter ineinander verschachtelter Krisen. Es zählt zu den eigenen Herausforderungen dieser Zeit, nicht verrückt zu werden. Denn viele Menschen haben in der hyperkomplexen (Un-)Ordnung des 21. Jahrhunderts lieber eine Verschwörungstheorie als gar keine Theorie.

Die klassischen und sozialen Medien reagieren auf diese Hyperkomplexität in der Form digitaler Hochbeschleunigung, d.h. dadurch, dass ohne Unterlass augenblickliche Aufmerksamkeit geschaffen wird. Newsticker suggerieren, man könne dem Pandemie- oder Kriegsverlauf folgen und womöglich instantan eingreifen. Wie die Faktenlage wirklich ist, lässt sich auf diese Weise freilich nicht eruieren. Das Internet ist als Quelle seiner selbst kein guter Beleg für die wahre Lage. Wer digital versucht, die hyperkomplexe Wirklichkeit doch noch in Echtzeit zu verstehen, ähnelt in Wittgensteins Worten jemandem, der »mehrere Exemplare der heutigen Morgenzeitung [kauft], um sich zu vergewissern, daß sie die Wahrheit schreibt«.1 ChatGPT ist ein weiteres Beispiel für diese Sachlage: Da es die Wahrheit nicht kennen kann, sondern sich nur auf die Berechnung der wahrscheinlichen Fortsetzung von Satzfragmenten stützt, kann es auch keine Aussagen über die Wirklichkeit treffen. Es kann prinzipiell nicht zwischen Wahrheit und Falschheit unterscheiden, und erzeugt deswegen zunehmenden Unsinn.

Hyperkomplexität ergibt sich elementar aus einer Verschärfung des bekannten Phänomens, wonach man ein System dadurch verändert, dass man es beobachtet. Das gilt nicht nur in der Quantenmechanik, sondern auch unter ganz alltäglichen, vor allem sozialen Bedingungen. Eltern kennen die folgende Situation: Die Kinder spielen endlich in Ruhe, man kann seinen Kaffee trinken, sich unterhalten, wohl wissend, dass früher oder später »Mama« oder »Papa« gefragt sind, um die Kinder mit Aufmerksamkeit, Liebe, Zuwendung oder Snacks zu erfreuen. Wehe, man nähert sich den spielenden Kindern, um die Szene zu beobachten, während man den Kaffee genießt! Sie schlägt in Windeseile in eine Betreuungssituation um. Daher lautet ein Rat für Eltern: »Don’t disturb the system«. Das Betreuungssystem ist komplex, es entwickelt sich auf unvorhersehbare Weise, je nachdem, auf welche Weise man mit ihm interagiert. Niemand ist dabei nur Beobachter.

Die Komplexität sozialer Situationen nimmt in komplizierten sozialen Situationen rasch zu, etwa bei einer Koalitionsverhandlung oder einem Warnstreik, deren Verlauf davon abhängen, wie sich die Beteiligten zu diesem Verlauf verhalten. Der Verlauf solcher Situationen sprengt jede sinnvolle Modellierung, sobald mehr als zwei oder drei versammelt sind. Man sieht schnell, wie aberwitzig die Vorstellung ist, wir könnten die menschengemachte Erderwärmung abwenden, indem wir individuelle Konsumenten über den CO2-Abdruck ihrer Lebensform informieren. Vielmehr wissen wir aus verhaltensökonomischen Studien, dass Verantwortung in Gruppen delegiert wird, sodass Arbeitsteilung entsteht. Je mehr Individuen mit ihren Mikroentscheidungen des Alltags motiviert werden müssen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass wir das Problem wirklich lösen. Für die Lösung von Menschheitsproblemen ist dies insofern ungünstig, als am Ende immer noch viele fliegen und Verbrennungsmotoren produzieren, solange dies überhaupt möglich ist. Darauf mit einem generellen Verbot zu reagieren, führt wiederum zu neuer Komplexität, da wir nicht einfach unsere Mobilität einstellen können, was zum wirtschaftlichen Kollaps und damit wahrscheinlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen würde, die sicherlich nicht klimaneutral verlaufen werden. Daher bedarf es komplexer Kompromisse, ohne die das wünschenswerte Ziel der Klimaneutralität nicht erreicht werden kann. Gesellschaftlicher Wandel lässt sich nicht nachhaltig mit der Brechstange erreichen, ganz gleich, wie richtig das gewählte Ziel ist.

Hyperkomplexität geht allerdings noch weiter als diese Formen der komplexen Handlungskoordination von Menschen. Denn sie schließt die nicht-menschliche Wirklichkeit mit ein, die über alles hinausragt, was wir uns vorstellen können. Es gibt zu viel, was wir über die Wirklichkeit nicht wissen, um zu verstehen, wie genau die sogenannte Umwelt mit unseren Lebensprozessen verzahnt ist. Darauf antwortet zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen ein Klimaserienerfolg, die Verfilmung von Frank Schätzings Erfolgsroman Der Schwarm. Das Meer wendet sich dort gegen den Menschen. Es überflutet nicht mehr nur unsere Städte als Folge des menschengemachten Klimawandels, sondern wird ein Akteur, der sich aggressiv gegen uns wendet. Natürlich könnte dies eine besagte Verschwörungstheorie sein, die die Natur als rächende Instanz vorstellt, die sie gar nicht sein kann. Vielleicht gibt es aber tatsächlich eine Handlungskoordination natürlicher nicht-menschlicher Akteure, die die Menschheit in Bedrängnis bringen. Wir wissen es (heute) nicht.

Die Hyperkomplexität lädt dabei nicht nur zu unzulässigen Vereinfachungen ein, hyperkomplexe Gesellschaften erzeugen jederzeit mehrere davon. Eine Vielzahl vereinfachter Vorstellungen der hyperkomplexen Lage treffen aufeinander. Dies produziert einen neuen Diskurstypus, die Polarisierung. Polarisierung ist nicht mehr nur das demokratische Phänomen eines legitimen Meinungsspektrums in Anbetracht der Tatsachen und Handlungsoptionen, die uns als Mitglieder eines Gemeinwesens betreffen. Sie ist auch nicht identisch mit einer Zunahme des Extremismus an den Rändern der Gesellschaft. Vielmehr durchdringt die Polarisierung unser Denken, sobald wir uns wünschen, dass mit der einen oder anderen Krise endlich Schluss sei. Die polarisierenden Themen wie Pandemie, Klima, Migration, geschlechtliche Selbstbestimmung, Generationengerechtigkeit, Energie, Geopolitik laden dazu ein, sich eine der vielen möglichen einfachen Lösungen genauer auszumalen und dann für sie emotional einzutreten.

Doch genau diese Flucht vor der Hyperkomplexität in die Vereinfachung verschärft die Lage ein weiteres Mal. Denn die liberale Demokratie wird von innen ausgehöhlt, wenn polarisierte Parteien versuchen, ihren Lösungsvorschlag gegen den Willen der anderen endgültig durchzusetzen – wie sinnvoll er auch sein mag. Dabei trifft es gleichzeitig zu, dass unsere Krisenlage in vielen Hinsichten keinen Kompromiss duldet. Mit dem Klima verhandelt man ebenso wenig wie mit dem Virus oder einem gnadenlosen Aggressor wie Putin. Doch folgt daraus wiederum nicht, dass wir dann eben sofort den Verbrennungsmotor abschaffen sollten, weil die globalen Widerstände gegen eine solche Entscheidung viel zu gewaltig wären.

Vereinfachung ist das Gegenteil von Einfachheit – und darauf kommt es in einer hyperkomplexen Welt an. Die Einfachheit von Sätzen ist keine Lösung, aber hoffentlich der Anfang eines Nachdenkens, das sich Einfälle erlaubt, um zu sehen, wohin sie führen, ohne dass bereits ein festes Ziel feststeht. Der Anfang ist dasjenige, was bleibt, wenn man das Ziel nicht kennen kann.

Welche Rolle spielt dieses Buch in der Hyperkomplexität des 21. Jahrhunderts?

Das Buch, das Sie in Händen halten, stellt sich der Wirklichkeit in einer heutzutage ungewöhnlichen Form. Wir haben Sätze formuliert, die den Wert der Wahrheit auch im Angesicht der Hyperkomplexität nicht verwerfen. Sätze sind das Gegenteil von Meinungen, die wiederum die vorherrschende Kommunikationsform im Zeitalter der Hyperkomplexität darstellen. Meinen heißt sprechen, ohne sich darum zu kümmern, ob das Gesagte stimmt oder nicht. Klassischerweise heißt solches Sprechen in der Philosophie Gerede, oder moderner: Bullshit. Bullshit und andere Formen des Unsinns, dem es überhaupt nicht auf Wahrheit ankommt, sondern der allenfalls eine soziale Funktion im Spannungsfeld der Polarisierung einnimmt, stellen im Zeitalter der Hyperkomplexität eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Denn sie zielen auf Zugehörigkeit und richten sich damit gegen die Wahrheitsfähigkeit des Menschen, d.h. gegen unsere Wahrheitsansprüche. Wenn Wahrheitsansprüche in die Polarisierung verstrickt werden, verkommen sie zu vereinfachten Unwahrheiten, die sich bei genauer Analyse zwar in Luft auflösen, die aber dennoch sozial wirksam sind.

Einfache Sätze, in denen Wahrheitsansprüche erprobt werden, versuchen nicht, einen reinen Wert- oder gar Kampfdiskurs für eine echte oder vermeintliche gute Sache darzustellen, sondern Wahrheiten zu äußern, die im philosophischen Code als Sätze formuliert sind. Was das philosophisch betrachtet bedeutet, wird in einem eigenen Essay am Schluss des Buches erläutert.

Für den Weg wollen wir unseren Lesern hiermit eine Bedienungseinleitung geben, die keine Lektüreanleitung ist, weil dies wiederum die Hyperkomplexität des Textes unterminieren würde. Dennoch ist das Buch im Grundsatz ganz einfach gestrickt. Wir haben drei Reihen formuliert, drei Durchgänge durch jeweils ein ABC. Jede Reihe besteht aus Einträgen zu einzelnen Buchstaben, und jeder Eintrag besteht aus einfachen Sätzen. Die Einträge sind durch  Pfeile miteinander verbunden. Pfeile bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Was sich nicht zeigen lässt, wird gesagt.

(1.) Das erste ABC ist dem reinen  Denken