Saure Milch - Jutta Mehler - E-Book

Saure Milch E-Book

Jutta Mehler

4,4

Beschreibung

Kochen, putzen, Müll trennen: So verbringt Fanni Rot seit dreißig Jahren ihre Tage und ist zufrieden. Auch als sie in ihrem Garten eine Leiche findet, hackt Fanni zunächst weiter Zwiebeln, rührt Hefeteig und bügelt die Hemden ihres Mannes. Doch immer aufdringlicher meldet sich der Gedanke, dass die Polizei womöglich den Falschen verhaften könnte. Fanni beginnt nachzugrübeln. Und dann zu ermitteln ...

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Jutta Mehler, Jahrgang 1949, lebt und arbeitet in Niederbayern. Sie schreibt Romane und Erzählungen, die vorwiegend auf authentischen Lebensgeschichten basieren. Im Emons Verlag erschienen ihre Romane »Moldaukind«, »Am seidenen Faden« und »Schadenfeuer« sowie die Niederbayern Krimis »Saure Milch«, »Honigmilch«, »Milchschaum« und »Magermilch«.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2012 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-197-8 Niederbayern Krimi Originalausgabe

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Teil I

1.

Fanni war einzig und allein selbst schuld daran, dass ausgerechnet sie die Leiche finden musste.

Dabei lag die Tote auf dem Grundstück des Nachbarn, jedenfalls zum größten Teil.

Fanni war selbst schuld, weil sie diesen Mülltrennungstick hatte. Jedes Döschen, jedes Fläschchen musste irgendeiner grotesken Wiederverwertung zugeführt werden.

An diesem unglückseligen Vormittag ging Fanni mit einer Handvoll Zwiebelschalen zum Komposthaufen hinter ihrem Haus. Auf dem Rückweg sah sie es rosafarben aus den Johannisbeerstauden leuchten. »Aha, sie färben sich schon«, freute sie sich, »früh dran heuer.«

Sie war schon fast an der Haustür, als ihr einfiel, dass Johannisbeeren in keinem Reifestadium ein derart künstliches Pink annehmen.

Fanni ging zu den Stauden zurück, und das war falsch.

Sie linste durch die Blätter und Zweige auf den rosa Fleck. Dermaßen zudringlich angestarrt löste sich der Fleck in viele kleine Pixel auf und setzte sich dann zu einem Muster überkreuzter rosa Bänder wieder zusammen.

Fanni blinzelte: Das Gesamtbild ergab eine Sandale, eine, die sie kannte. Im ganzen Ort zerriss man sich seit Wochen das Maul über sie.

Die Sandale gehörte zu Mirza Klein.

Mirza war Bäuerin, allerdings noch nicht lange. Sie hatte vor einem knappen Jahr auf den Hof oberhalb von Fannis Häuschen eingeheiratet. Sie kam aus Tschechien – direkt vom Straßenstrich. Das wussten alle hier in Erlenweiler.

Seit dem Tag, an dem Mirza mit Benedikt Klein vom Standesamt zurückgekommen war, hatte das Gerede über sie, je nach aktuellem Anlass, mehr oder minder hohe Wellen geschlagen.

»Eine Bäuerin mit Stöckelpantolette und lila Zehennägel im Stall bei den Rindviechern«, so und ähnlich konnte man es im vergangenen August mäkeln hören, die ganze Erlenweiler Straße hinauf und hinunter. Das heftige Getuschel verwehte über den Winter, begann aber Anfang Mai von Neuem, und das Echo hallte den halben Juni wider.

»Lila Zehennägel.« Fanni blinzelte noch mal. Richtig, da waren sie, unverkennbar.

Es war zu spät für Fanni, ungeschoren durch ihre Haustür zu verschwinden, Fund und Erkenntnis abzustreiten.

Sie bog ein paar Ästchen zur Seite, sog scharf die Luft ein und ließ ihren Blick entlang den Sandalenriemchen aufwärts wandern.

Fanni identifizierte gelborangefarbene Plastikblüten, glänzend wie Glas, weidlich bekannt bis hin zu den hellgelben Splittern im Blütenkörbchen.

Das Riemchen-Blütengewirr endete in einer Metallschließe über Mirzas Knöchel.

Es gab kein Zurück. Fannis Blick fand Mirzas Knie und etwas weiter oben den Saum des roten Minirocks.

Fanni stoppte beim schwarzen Lackgürtel: Und wenn sie doch einfach durch die Tür …? Sollte doch ein anderer finden, was Fanni schreckte.

Bis jetzt hatte sie niemanden hier draußen gesehen. Gewissermaßen war sie gar nicht aus dem Haus gekommen an diesem Morgen.

Und überhaupt, Mirzas Knie hingen einträchtig angewinkelt über dem Grenzmäuerchen. Der Minirock leuchtete wie eine Mohnblüte aus dem Rasen der flachen Böschung, die ins benachbarte Grundstück überleitete. Mehr als zwei Drittel von Mirza lagen demnach im Nachbargarten.

Eben, was ging Fanni der Garten ihrer Nachbarn an? Sollte doch Frau Praml Polizei und Ambulanz … Fanni stockte. »Notarzt, meine Güte.« Ihr Blick schoss von Mirzas Taille zu Mirzas Kopf und blieb in einer Blutlache stecken.

Mirzas Gesicht konnte Fanni nicht sehen, es war zwischen den rotbraun gefärbten Grashalmen verborgen. Insgesamt sah Mirza tot aus.

Also schleunigst weg.

Mirza war nicht mehr zu helfen, und was immer sie vom Hof über die Wiese herunter und hinter Fannis Stauden getrieben hatte, um dort zu sterben, spielte jetzt keine Rolle.

Andererseits: Man konnte sie doch nicht so blutig und einsam auf dem Grenzstreifen liegen lassen.

Das kann bloß der Alte angerichtet haben, schoss es Fanni durch den Kopf. Er wollte sie ums Verrecken nicht auf dem Hof haben, hat ihr das Leben jeden Tag zur Hölle gemacht.

Das Thema Mirza und der Alte wurde schier stündlich durchgehechelt in Erlenweiler.

Der »Alte« war Benedikts Vater, er hatte sich von Anfang an mit Klauen und Zähnen gegen die Schwiegertochter gesträubt. Die Leute von Erlenweiler gaben mit der Zeit widerwillig zu, dass Mirza fleißig und geschickt war und eine gute Frau für den Benedikt. Bloß der Alte, der trieb es von Woche zu Woche schlimmer mit seiner Niedertracht.

»Heilfroh soll der sein«, hatte Fanni wiederholt zu ihrem Vis-à-vis-Nachbar Meiser gesagt, »dass er so eine Tüchtige ins Haus bekommen hat, auch wenn Bene die Mirza im Tschechischen drüben von der Straße aufgelesen hat – na und.«

Seit Benedikts Mutter vor fünf Jahren gestorben war, hatten Bene und der Alte in ihren Zimmern gehaust, ohne ein einziges Mal sauber zu machen, das wusste Fanni genau.

Mirza war noch keine Woche auf dem Hof, da hatte sie schon Küche und Wohnstube komplett in Schuss gebracht. Einen Monat später waren die Schlafräume frisch geweißelt und das Badezimmer hübsch aufgeputzt.

Mirza hatte Bene fest im Griff. Der spurte, wenn sie sagte: »Bene, müssen wir machen das sofort.« Mirza erklärte Bene, wie sie ihre Pläne ausgeführt haben wollte, und Bene befolgte alles exakt.

Dabei galt Bene in Erlenweiler als Trottel.

Zugegeben, schon in den ersten Monaten auf der Grundschule hatte sich gezeigt, dass Bene mit abstrakten Begriffen nichts anzufangen wusste. Eine Zahl, frei in der Luft schwebend, weder als Paar Schuhe noch als Dutzend Drahtstifte manifestiert, sagte ihm gar nichts. Damals gab es einigen Ärger, weil der alte Klein seinen eigenen Kopf hatte und die Lehrerin ein überspanntes, unfähiges Trumm nannte, ein ganzes Eck dümmer als die Kinder, die sie unterrichten sollte.

Dem Tierarzt, der regelmäßig zum Klein-Hof kam, die Kühe besamte und ihnen Antibiotika spritzte, schenkte der Alte mehr Vertrauen. Der Doktor brauchte allerdings vier Wochen, bis er den alten Klein dazu überredet hatte, Bene auf die Sonderschule zu schicken.

»Der Bene«, hatte der Tierarzt damals listig zum alten Klein gesagt, »der ist nicht dumm, der Bene, der ist schlauer als wir alle zusammen, und dreimal so schlau wie seine Lehrerin ist er, der Bene.«

Das gefiel dem Alten.

»Aber bestimmte Hirnzentren vom Bene«, machte der Tierarzt weiter, »solche, die für das Sprachgefühl, für abstraktes Denken, für Gedächtnisleistung und so was zuständig sind, die sind halt ein bisschen überwuchert von seiner Begabung auf dem Gebiet der Mechanik. Der Bene lebt in der Welt der Schrauben und Rädchen, der Vergaser und Verteilerfinger. In seiner Maschinenwelt, da ist der Bene ein richtiges Ass. Und deshalb muss er besonders gefördert werden, der Bene, in einer besonderen Sonderschule.«

Das hatte dem alten Klein eingeleuchtet.

Etliche Erlenweiler Mäuler behaupteten, Benes Manie für all diesen technischen Kram hätte seine Mutter so früh ins Grab gebracht. Fanni war da anderer Meinung:

Bene war beschränkt, keine Frage, aber er war immer ein lieber Bub gewesen, und er war seiner Mutter nie eine Plage, denn die störte es nicht im Mindesten, wenn Bene von früh bis spät am Traktor oder am Mähwerk herumbastelte.

»Der widerliche Alte hat Benes Mutter auf dem Gewissen«, hielt Fanni immer dagegen, sobald die Sprache auf den Tod der Klein-Bäuerin kam. »Der Alte, der hat seine Frau Tag und Nacht herumgescheucht, und ständig abgekanzelt hat er sie, die Klein-Bäuerin hatte keine erträgliche Stunde bei ihm.«

»Es ist halt alles zusammengekommen«, lenkten dann die von Erlenweiler ein, »der zurückgebliebene Bub und der unleidliche Alte und das Knausern, weil der Milchpreis schlecht ist und der Besamer teuer.«

Seit nun Mirza ins Haus gekommen war, legte sich der Alte gewaltig ins Zeug, um sie zu sekkieren.

»Grundlos«, sagte Fanni immer wieder, »aus reiner Bosheit.«

»Einer vom Strich muss man energisch kommen«, antwortete dann Nachbar Meiser, musste aber eingestehen, was immer offensichtlicher wurde:

Mirza war fleißig und ordentlich.

Sie hielt auch die Milchbehälter keimfrei sauber. Seit Mirza auf dem Hof war, gab es keine Beanstandungen mehr vom Gesundheitsamt.

Mirza konnte überall anpacken. Sie konnte sogar die Kühe melken, per Hand. Seit drei Wochen molk sie allerdings mit einer Melkmaschine, die Bene für den Gegenwert von zwei gut gefütterten Kälbern beschafft hatte.

Der Alte war die Wände hochgegangen, als Mirza die Ansaugzylinder bei der ersten Kuh in der Reihe der zwölf Rindviecher ansetzte. »Ein Apparat muss jetzt her zum Melken wegen dem Frauenzimmer, dem vermaledeiten. Damit bloß kein Dreckfleckerl draufkommt auf die rot lackierten Fingernägel.«

Zur Bekräftigung hatte er treffsicher auf den Klarsichtschlauch der Melkmaschine gespuckt, in dem bereits die Milch schäumte.

Er hatte es mit dem Spucken, der Alte.

»Da kann man halt nicht selber Hand anlegen, mit drei Ringen an jedem Finger – in Minirock und Riemchensandalen«, redeten ihm die Leute aus Erlenweiler das Wort.

Was sie auch sagten, Fanni wusste es besser, weil Fanni von ihrem Badezimmerfenster aus ganz genau sehen konnte, was Mirza im Stall anhatte: alte Turnschuhe vom Bene und eine Latzhose, auch vom Bene, aus der er schon seit seiner Firmung herausgewachsen war.

Die rosa Sandalen mit den orangegelben Plastikblüten, den Minirock, das schwarze Spitzentop – ihre feinen Sachen also – zog Mirza nur sonntags an oder wenn sie in die Stadt zum Einkaufen fuhr. Gut, hin und wieder, wenn Mirza einfach hübsch aussehen wollte (Bene gefiel sie sicher sehr in ihrem faszinierenden Ensemble) und wenn sie keine Dreckarbeit zu machen hatte auf dem Hof, dann putzte sie sich auch zu Hause manchmal so auf. Sie machte sich zurecht wie Fannis Töchter vor fünfundzwanzig Jahren ihre Barbiepuppen.

»Gestern hat sie wieder den Nuttenfummel angehabt, beim Krapfenbacken«, mauschelten dann die ehrbaren Bürger von Erlenweiler.

Als Fanni mit der Zeit Mirzas böhmische Mehlspeisen kennenlernte, kam ihr einmal ein verwegener Gedanke: Vielleicht gelingen sie eben deshalb so gut, die Hefekringel, sagte sich Fanni, weil sich Mirza so chic herrichtet zum Backen. Der Teig fühlt sich geehrt und geschmeichelt, und deshalb geht er auf, kommt hoch wie … Werd nicht ordinär, Fanni!

Fanni leckte sich jedes Mal zu Hause noch die Finger, wenn ihr Mirza beim Milchholen eine ihrer unvergleichlichen Liwanzen angeboten hatte, die Fanni schon auf halbem Weg über die Wiese komplett verspeiste.

Schon allein wegen der köstlichen Liwanzen sollte der Alte vor Mirza auf den Knien liegen, rund um die Uhr, fand Fanni.

Stattdessen hatte er sie erschlagen! Anders war das Bild, das sich Fanni bot, nicht zu interpretieren.

»Erschlagen! Mord! Polizei!« Wie Signallämpchen leuchtete es auf in Fannis Hirn.

»Polizei«, flüsterte Fanni. Ihr Wispern rief niemanden auf den Plan.

»Anrufen«, signalisierte Fannis Hirn, »Telefon, Nummer wählen.«

»110«, steuerte der Verstand bei, als sich Fanni noch immer nicht bewegte.

»Ihr Name ist Fanni Rot«, fasste die Stimme am Telefon Fannis Vortrag zusammen. »Sie melden einen Leichenfund in Erlenweiler. Die Identität der toten Person ist Ihnen bekannt. Gut, Frau Rot. Eine Polizeistreife ist unterwegs. Betreten Sie den Fundort nicht und sorgen Sie dafür, dass auch sonst niemand in die Nähe des Fundortes kommt.«

Fanni legte auf.

»Bin ich der Sheriff von Erlenweiler?«, maulte sie und bezog Stellung vor den Johannisbeerstauden. Sie drehte der toten Mirza den Rücken zu, sah zur Straße hinunter und wartete.

»Sind Sie da herumgetrampelt?«, blaffte der Streifenpolizist gut fünfzehn Minuten später.

»Nein«, beteuerte Fanni, »ich bin nur bis hierher getreten, hier auf diese Stelle«, und sie deutete auf einen platt gedrückten Rasenflecken, fünfzig Zentimeter von Mirzas Sandale entfernt.

»Was angefasst?«, knurrte der Beamte.

»Nein.«

»Kripo!«, bellte er.

Fanni fuhr zusammen und glotzte ihn verständnislos an, bis ihr aufging, dass er in Richtung Streifenwagen gekläfft hatte.

Fanni hatte genug jetzt, und wenn sie genug hatte, dann wurde sie patzig. »Ich bin im Haus, die Klingel ist links von der Tür, ich hoffe, Sie drücken nicht drauf.«

Am liebsten hätte Fanni komplett verdrängt, was sie gesehen hatte. Aber während sie die Zwiebeln schnitt, deren Schalen an all den Widrigkeiten dieses Vormittags schuld waren, fiel ihr Blick sporadisch aus dem Küchenfenster auf die Straße vor dem Haus. Und das, was dort draußen vorging, erinnerte Fanni aufdringlich daran, dass Mirza tot unter den Beerensträuchern lag.

Fanni beobachtete, wie drei Polizeifahrzeuge nacheinander ankamen. Sie reihten sich vor Fannis Garage auf, Autotüren schlugen zu, Funkgeräte rauschten.

Später, die Zwiebeln rösteten schon in der Pfanne, sah Fanni den Leichenwagen einbiegen. Sie wollte keinesfalls zusehen, wie Mirza in einem Blechsarg verpackt in den schwarzen Wagenfond geschoben wurde, deshalb ging sie in den Keller, um Karotten zu holen. Auf dem Rückweg machte sie sich noch eine Weile an den Marmeladegläsern zu schaffen. Sie sortierte Pflaume neben Kirsche und Aprikose vor Erdbeere, und als sie wieder in die Küche kam, rollte der Leichenwagen aus der Einfahrt.

»Da liegt jetzt Mirza drin«, schluchzte Fanni, »tot und erschlagen, das hat sie nicht verdient, überhaupt nicht. Die Mirza war anständig, sehr anständig, Straßenstrich hin oder her.«

Im Garten wuselten die Polizeibeamten herum.

Nachbar Meiser war auch herübergekommen. Er rammte knapp zwei Meter vor den Johannisbeerstauden einen Holzpflock in die Erde und hämmerte drauf.

Herr Meiser wohnte mit seiner Frau auf der anderen Straßenseite, genau vis-à-vis von Fanni. Frau Meiser konnte von ihrem Küchenfenster aus in Fannis Spülbecken und in Fannis Kühlschrank sehen.

Herr Meiser war nicht so ein Drückeberger wie Fanni. Ganz im Gegenteil! Kaum waren die Beamten aus den Polizeiwagen gestiegen, hatte Herr Meiser bereits die Straße gekreuzt und seine Hilfe angeboten.

Herr Meiser wusste eben, was sich gehörte.

Er hatte den Holzpflock aus seinem eigenen Keller geholt, auch Hammer und Nägel mitgebracht, weil ein Absperrband um den Tatort gespannt werden musste, und er legte gleich selbst Hand an.

Fanni deckte gerade den Tisch im Esszimmer, als Herr Meiser für die Polizeibeamten etliche Flaschen Orangensaft über die Straße trug. Frau Meiser kam mit einem Tablett voller Gläser hinter ihm her.

Meisers sind halt so, dachte Fanni, immer parat, immer hilfsbereit und überall mittendrin mit der Nase.

Vor ein paar Wochen erst hatte Meiser bei seinem links angrenzenden Nachbarn Böckl den Rasen gelüftet, weil Böckl selbst einfach nicht dazu kam und Böckls Frau deswegen dauernd meuterte. Es musste allerdings etwas schiefgelaufen sein dabei. Fanni hatte keine Ahnung, was, aber sie hatte bemerkt, dass sich Böckl und Meiser seither aus dem Weg gingen und nicht mehr miteinander sprachen.

Umso mehr redete Meiser jetzt mit den Polizisten. Sie wussten wohl inzwischen, wen sie zu verhaften hatten. Meiser hatte ihnen sicher schon brühwarm erzählt, wie garstig der alte Klein immer mit seiner Schwiegertochter umgesprungen war.

Als Fanni den Braten aufschnitt, bekam sie mit, wie Meiser der Nachbarin rechts von Fanni, Frau Stuck, Bericht erstattete.

Hat sich selber zum Pressesprecher befördert, der Meiser, dachte Fanni und sah zu, wie Meiser Herrn und Frau Beutel (sie wohnten drei Häuser weiter gegenüber) auf der Straße abfing und ins Bild setzte. Meiser informierte noch diesen und jenen, den die Polizeiautos herangelockt hatten, über das spektakuläre Ereignis, und Frau Meiser stand nickend und beipflichtend dabei.

»Selber schuld, dass du über die tote Mirza gestolpert bist«, nörgelte Fannis Mann, als er zu Mittag die gerösteten Zwiebeln auf seine Bratenscheibe häufte. »Was rennst du auch mit jedem einzelnen Zwetschgenkern zum Kompost? Hundertmal hab ich dir schon gesagt, du sollst das Zeug in einem Eimer sammeln.«

»Schimmelt und stinkt«, redete ihm Fanni dagegen.

»Himmelherrgott«, mampfte Fannis Mann, »du sollst den Eimer doch nicht vierzehn Tage lang auf dem Ofen stehen lassen!«

»Blödmann.« Fannis Mann hörte es nicht, denn Fanni zerbiss das Wort und schluckte es mit einer Spirelli-Nudel hinunter.

»Haben die den Alten gleich mitgenommen?«, kaute Fannis Mann.

»Nichts gesehen.« Fanni begann den Tisch abzuräumen.

Es ging auf halb vier zu.

Fannis Mann hockte längst wieder in seinem Büro in der Stadt. Seit mehr als dreißig Jahren besetzte er einen Angestelltenposten beim Kreiswehrersatzamt, und Fanni hatte keine Ahnung, was er in letzter Zeit dort machte. Bis vor zwölf Monaten hatte er haufenweise Einberufungsbefehle und Musterungsbescheide – nun was?, verschickt?, ausgefüllt?, unterschrieben? Fanni gab ungern zu, dass sie sich nie dafür interessiert hatte.

Mitte der Neunziger begann sich bei der Bundeswehr unter dem Motto »Einsparungen« einiges drastisch zu verändern. Die Kostendämpfung schritt munter fort und gipfelte eines Tages darin, dass der Bundeswehrstandort Birkdorf aufgegeben wurde. Von heute auf morgen war die Kaserne geschlossen, sämtliche Soldaten verschwanden, das Munitionsdepot wurde mir nichts, dir nichts ausgeräumt. Und das Kreiswehrersatzamt? Eben.

Wie zuvor ging Fannis Mann jeden Morgen aus dem Haus, kam mittags für eine gute halbe Stunde heim, kehrte dann an seinen Arbeitsplatz zurück und tauchte zwischen fünf und sechs Uhr abends wieder auf. Einmal ließ er eine Bemerkung darüber fallen, dass der gesamte Betrieb seit der Reform mit nur drei Mann aufrechterhalten werden musste.

Welcher Betrieb?, dachte Fanni, hütete sich aber, eine derart subversive Frage zu stellen, und versuchte, ein besorgtes Gesicht zu machen. Das gelang ihr etwas zu gut, denn ihr Mann wurde auf einmal mitteilsam und regte sich des Langen und Breiten darüber auf, dass sein Kollege Senftl mindestens eine Woche pro Monat krank feiere, um seinem Sohn beim Hausbau zu helfen.

Verrat an Volk und Vaterland?, fragte sich Fanni, heroisch das Grinsen unterdrückend, Sabotage, Wehrkraftzersetzung, Guerillakrieg?

Selbst wenn Fanni plötzlich von purer Neugier angepackt worden wäre und wissen hätte wollen, wie die verbliebenen Angestellten des ehemaligen Kreiswehrersatzamtes ihre Tage letzthin zubrachten, sie hätte nicht zu fragen gewagt. Denn eines war ihr klar: Seit einem guten Jahr waren die Arbeitsstunden des Herrn Rot, der sich einst als Herrscher über die Wehrpflichtigen des gesamten Landkreises fühlte, ebenso sinnentleert wie der Name des Amtes, in dem er saß.

2.

Die Polizisten verschwanden nach und nach aus Fannis Garten und schwärmten durch Erlenweiler. Ein paar von ihnen klopften an die Türen der Nachbarhäuser und wurden hineingebeten, andere tummelten sich auf der Wiese, die zwischen Fannis Garten und dem Klein-Hof lag.

Herr Meiser steckte seinen Fäustel in die dafür vorgesehene Ausbuchtung seiner Latzhose und sammelte die leeren Saftgläser auf dem Tablett. Mit einem kräftigen Rütteln überprüfte er noch, ob die in Fannis Rasen eingeschlagenen Holzpflöcke auch gut hielten. Dann stand er da und sah sich ratlos um. Keine Aufgabe mehr für Meister Meiser?

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