Savages and Saints - Kade - C. M. Seabrook - E-Book

Savages and Saints - Kade E-Book

C. M. Seabrook

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Beschreibung

Nur wenn er sein Herz öffnet, können die Wunden seiner Seele heilen

Kade Savage will nur eines: seiner kleinen Tochter das Beste bieten, was ihm irgendwie möglich ist und sein Herz vor weiterem Schmerz zu bewahren. Seine verstorbene Frau hatte ihn mit seinem besten Freund betrogen und rutschte ins Drogenmilieu ab. Doch als er eines Tages in einer Bar die wunderschöne Sängerin Sophie trifft, wird sein Leben erneut auf den Kopf gestellt. Nach einer unvergesslichen Nacht verschwindet sie einfach - nur um fünf Monate später in seiner eigenen Bard, dem "Savages and Saints" wieder aufzutauchen. Fünf Monate, in der Kade sie nicht eine Sekunde vergessen konnte. Und auch wenn er noch nicht bereit ist, sein Herz zu öffnen, so bietet er Sophie, die auf der Flucht vor ihrem Ex-Freund ist, einen Job und einen Platz zum Schlafen an. Ihre Vereinbarung, ihre Beziehung strikt geschäftlich zu halten, wird schon bald zur größten Herausforderung seines Lebens ...

"Ich liebe, liebe, liebe dieses Buch, es hat mich von der ersten bis zur letzten Seite hineingesogen in die Story." EPIC ROMANCE REVIEWS

Band 2 der SAVAGES-AND-SAINTS-Reihe

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Die Autorin

Die Romane von C. M. Seabrook bei LYX

Leseprobe

Impressum

C. M. SEABROOK

Savages and Saints

KADE

Roman

Ins Deutsche übertragen von Michaela Link

Zu diesem Buch

Nur wenn er sein Herz öffnet, können die Wunden seiner Seele heilen

Kade Savage will nur eines: seiner kleinen Tochter das Beste bieten, was ihm irgendwie möglich ist und sein Herz vor weiterem Schmerz zu bewahren. Seine verstorbene Frau hatte ihn mit seinem besten Freund betrogen und rutschte ins Drogenmilieu ab. Doch als er eines Tages in einer Bar die wunderschöne Sängerin Sophie trifft, wird sein Leben erneut auf den Kopf gestellt. Nach einer unvergesslichen Nacht verschwindet sie einfach – nur um fünf Monate später in seiner eigenen Bard, dem »Savages and Saints« wieder aufzutauchen. Fünf Monate, in der Kade sie nicht eine Sekunde vergessen konnte. Und auch wenn er noch nicht bereit ist, sein Herz zu öffnen, so bietet er Sophie, die auf der Flucht vor ihrem Ex-Freund ist, einen Job und einen Platz zum Schlafen an. Ihre Vereinbarung, ihre Beziehung strikt geschäftlich zu halten, wird schon bald zur größten Herausforderung seines Lebens …

Schwerkraft: Die Kraft, die zwei Körper aufgrund ihrer Masse sich gegenseitig anziehen lässt beziehungsweise Körper auf der Erde Richtung Erdmittelpunkt zieht.

1

KADE

Die abgestandene Luft in der Bar stinkt nach billigem Parfüm und Bier, und mein Magen wird etwas unruhig, als ich mir den siebten Bourbon hinter die Binde kippe.

Von der Bühne hinter mir erklingt die weiche, raue Stimme einer Frau, ein unbekanntes Lied, dessen tragischer Text sich mir wie ein Messer in das bereits blutende Herz bohrt.

»Noch einen?« Der Barkeeper sieht mich fragend an, eine Augenbraue hochgezogen.

Ich nicke, obwohl ich weiß, dass es heute Abend mehr als Alkohol braucht, um meine Dämonen zu vertreiben. Und irgendwann muss ich mir auch einen Platz zum Schlafen suchen. Ich bin hier nicht in Port Clover, wo das nächste Hotel gut vierzig Minuten entfernt ist. In welcher beschissenen Kleinstadt ich auch immer gelandet bin, ein Fünf-Sterne-Hotel wird es nicht geben.

»Kann ich hier irgendwo übernachten?«, frage ich.

Der Barkeeper nickt und sagt über die Musik hinweg: »Wenn Sie zehn Minuten Richtung Osten fahren, kommt ein Motel an der I-90.«

Das muss reichen, denn ich bin auf keinen Fall nüchtern genug, um heute Abend nach Hause zu fahren. Auch wenn keiner erwartet, dass ich noch ein paar Tage länger bleibe. Alle wussten, warum ich nach Chicago gefahren bin. Und sie ahnten, was ich vorfinden würde.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als das Bild des leblosen Gesichts meiner Frau wie ein unerwünschtes Gespenst vor meinem inneren Auge schwebt. Scheiße, vielleicht habe ich schon zu viel getrunken. Ich blinzle heftig und fahre mir mit den Fingern durch die Haare. Dann starre ich in mein leeres Glas.

Nichts, nicht einmal vier Jahre, in denen ich die Frau nicht gesehen hatte, aber wusste, dass sie ständig mit Drogen vollgepumpt sein würde, hätte mich auf den Moment vorbereiten können, als der Gerichtsmediziner das weiße Laken zurückzog.

Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen, und ich drücke die Handballen auf meine Augen und wünsche mir, es gäbe einen Weg, die Erinnerung zu löschen.

Ich kippe den neuen Drink, den mir der Barkeeper vorsetzt, und stiere auf mein Handy, als es klingelt. Die Nummer von Zee St. James erscheint zum sechsten Mal heute Abend auf dem Display. Von allen Menschen auf der Welt ist er der letzte, mit dem ich jetzt sprechen möchte. Ich habe ihm verziehen, was er getan hat, ihm sogar meinen verdammten Segen gegeben, meine kleine Schwester zu heiraten, aber mit manchen Albträumen muss man allein fertigwerden, ohne auch noch an die Schuld eines anderen Mannes zu denken, die einen noch tiefer sinken lässt.

Das Lied endet, und es gibt einen kleinen Applaus, bevor Wild Irishs Gravity aus den Lautsprechern schallt. Ich grunze angesichts der Ironie, dass ausgerechnet dieses Lied erklingt.

Ich habe versucht wegzugehen, versucht, das Richtige zu tun, aber seit dem Tag, an dem du in mein Leben getreten bist, bist du meine Schwerkraft. Deine Liebe ist wie die Gravitation. Du hältst mich auf dem Boden, damit wir fliegen können.

Ich reibe mir den Nacken und kann nicht umhin, meine Gedanken zu den Anfangsjahren zurückschweifen zu lassen. Ich weiß jetzt, dass Anas Beziehung zu mir schon damals verlogen war. Sie hatte mich nie gewollt. Sie war die ganze Zeit hinter Zee her gewesen und hatte sich mit dem Zweitbesten begnügt, bis sie irgendwann gemerkt hatte, dass ich ihr nie genug sein würde. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass die natürliche Ordnung der Dinge durcheinandergeraten ist. Als würde ich in einer veränderten Realität schweben, die keinen Sinn ergibt.

Ich sollte Anas Anker sein, aber ich habe sie im Stich gelassen. Es gab keine Schwerkraft, die uns zusammenhielt. Wenn überhaupt, war ich wie die falsche Seite eines Magneten. Ich stieß sie jedes Mal ab, wenn ich versuchte, ihr nahezukommen.

Ich bin nicht so hirnverbrannt zu glauben, dass die Liebe nun mal so ist, aber ich weiß, dass ich mein Herz nie wieder dieser Qual aussetzen werde.

»Ist die Bestellung für Tisch fünf fertig?«, fragt eine Frau, die sich dem Tresen nähert und ein Tablett neben mir abstellt. Es ist ihre Stimme, die meine Aufmerksamkeit erregt. Es ist dieselbe sanfte Stimme, die kurz zuvor noch gesungen hat.

Sie ist gut.

Viel besser als die Talente, die ich Freitag- und Samstagabend im Savages and Saints zu hören bekomme.

Sie ist nur ein paar Zentimeter von mir entfernt und berührt mich nicht, aber bei der Hitze, die von ihrem Körper ausgeht, könnte es genauso gut so sein. Und ihr Duft – er umweht mich, eine Mischung aus Apfelblüten und Vanille. Ein völliger Widerspruch zu diesem Ort und meiner derzeitigen Stimmung.

Ich neige den Kopf und betrachte sie aus dem Augenwinkel. Ein dicker blonder Pony bedeckt ihre Stirn, der Rest ihres Haares ist zu einem unordentlichen Knoten aufgesteckt, und ein paar lila Strähnen fallen locker über ihre Wangen.

Das schwarze Tanktop mit dem Schriftzug Cat & Fiddle Pub über ihren Brüsten und die zerrissenen Jeans, die sich an ihre Hüften und ihren Hintern schmiegen, bringen ihre weiblichen Kurven zur Geltung. Als ich zu ihr aufschaue, blicke ich in haselnussbraune Augen, die mich mit einer Mischung aus Neugierde und Lust betrachten. Ein leichtes Lächeln erzeugt ein Grübchen in ihrer rechten Wange.

Sie hat diesen Mädchen-von-nebenan-Look, aber sie riecht geradezu nach Ärger. Und obwohl sie unbestreitbar heiß ist, ist das Letzte, woran ich denken sollte, wie verdammt weich sich ihre sonnenverwöhnte Haut an meinem Körper anfühlen würde.

Scheiße. Ich hatte definitiv einen Shot zu viel, denn ich habe schon vor einer Ewigkeit gelernt, dass es gefährlich ist, mit dem Schwanz zu denken. Und doch erinnert sie mich schmerzlich daran, dass ich schon sehr lange keine Action mehr hatte.

»Sind Sie neu hier?«, fragt sie.

Mein Gott, diese Stimme. Sanft, samtig. Ich kann mir vorstellen, wie sie meinen Namen haucht, während ich tief in ihr vergraben bin.

Ich versuche, meinen Blick abzuwenden, aber nach acht Drinks – oder waren es neun? – fällt es mir schwer, mich nicht von dem warmen Lächeln dieser Frau anstecken zu lassen. Es erhellt die ganze verdammte Bar wie ein Streichholz einen dunklen Raum.

Werd verdammt noch mal nüchtern, Arschloch.

Schon vor Ana war bedeutungsloser Sex nie mein Ding. Aber im Moment bin ich auch nicht in der Lage, eine Beziehung einzugehen, zumindest nicht, bis meine Tochter erwachsen ist. Ich will ihr nicht zumuten, dass eine Reihe von Frauen bei uns ein und aus geht. Sie hatte schon genug Ungewissheit in ihrem Leben.

»Ich bin nur auf der Durchreise«, sage ich, rutsche auf meinem Sitz hin und her und richte meine Aufmerksamkeit auf die Wand mit dem Schnaps vor mir.

»Da haben Sie Glück«, murmelt sie, während sie die Getränke, die der Barkeeper ihr hinstellt, auf ihr Tablett lädt und dann weggeht.

Als der Barkeeper mich ansieht, zeige ich auf mein Glas und verlange einen weiteren Drink. Scheiß auf das Motel, ich schlafe in meinem Pick-up, wenn es sein muss. Meine Eltern passen auf Lola auf, und ich werde genug Zeit haben, nach Hause zu gehen und zu duschen, bevor ich sie abhole.

Was ich heute Abend brauche, ist zu vergessen. Mittels Alkohol, nicht mittels Sex, warnt mein Verstand trotz der Erektion, die schmerzhaft gegen meine Jeans drückt, während ich im Spiegel über der Bar beobachte, wie die Blondine ihre Runde macht. Als sie sich vorbeugt, um Getränke auf einen Tisch zu stellen, und ich dabei einen perfekten Blick auf ihren Hintern habe, entringt sich mir ein leises Stöhnen.

Einer der Typen am Tisch legt einen Arm um ihre Taille, zieht sie an seine Seite und sagt etwas, woraufhin seine beiden bulligen Freunde sich vor Lachen biegen. Sie schlägt seine Hand weg, aber ihr gezwungenes Lächeln bleibt ungebrochen. Zumindest, bis sie meinem Blick im Spiegel begegnet.

Ich schaue nicht weg, obwohl ich weiß, dass ich es sollte. Ihre Brust hebt sich, als würde sie tief einatmen, und ich schwöre bei Gott, dass wir in diesen wenigen Sekunden eine stumme Unterhaltung führen. Verlangen. Lust. Bedürftigkeit. Sie erstrecken sich über die gesamte Distanz zwischen uns, necken und verführen wie ein verruchtes Spiel, das nur auf eine Weise enden kann – mit ihr in meinem Bett.

Hitze brodelt.

Versengt uns.

Und mich überkommt das heftige Verlangen, sie zu besitzen, und sei es nur für eine Nacht. Ich weiß, dass es nur der Alkohol ist, dazu unzählige Jahre der Abstinenz, aber das macht meine Erregung nicht weniger schmerzhaft.

Ich weiß nicht, wie lange sie so dasteht wie erstarrt, oder eher entflammt, weil sich ihre Wangen rot färben, aber immerhin so lange, dass einer der Freunde des Arschlochs ihr einen Klaps auf den Hintern gibt. Sie macht einen Satz, und unsere Zwiesprache wird unterbrochen.

Ich bin kurz davor, vom Barhocker zu springen, ihre Ehre zu verteidigen und all diesen Scheiß, aber sie wendet sich so schnell zu dem Typen um, dass er auf seinem Stuhl zurückzuckt. Beinahe wäre er umgekippt. Ich kann nicht verstehen, was sie sagt, aber das Gesicht des Kerls färbt sich in tausend Schattierungen rot, und sogar seine Kumpels sehen verdutzt aus.

Als sie sich wieder umdreht, erwidert sie meinen Blick nicht mehr. Sie hält den Kopf gesenkt und geht weiter zum nächsten Tisch, aus meinem Blickfeld.

Wenn es meine Bar wäre, würde ich alle drei rausschmeißen, weil sie handgreiflich geworden sind. Aber das ist nicht mein Problem, und das ist nicht meine Bar.

Mein Handy klingelt, und wieder erscheint Zees Name. Seufzend gehe ich dran, denn ich weiß, dass er nicht aufhören wird anzurufen, bis ich mich melde. Besser, ich bringe es hinter mich.

»Du brauchst mich nicht zu überwachen«, murmle ich ins Telefon und kneife mir in die Nase. »Mir geht’s gut.«

Das ist eine Lüge, und ich weiß, dass er das weiß.

Ich kann fast die Schuld in seinem schweren Atem am anderen Ende der Leitung hören. Schuldgefühle, die er nicht zu haben braucht. Er mag es versaut und mit meiner Frau geschlafen haben, als er zu high war, um den Himmel vom gottverdammten Boden der Tatsachen zu unterscheiden, aber ich war derjenige, der wusste, dass sie beide völlig abdrifteten – und ich habe nichts dagegen unternommen. Ich habe es vorgezogen, in meiner eigenen Realität zu leben, in der meine geliebte Frau und mein bester Freund keine Junkies waren, die ihr nächster Schuss mehr kümmerte als ich.

Der Unterschied zwischen Zee und Ana besteht darin, dass er es an seinem Tiefpunkt geschafft hat, sich aus der von ihm selbst geschaufelten Grube zu befreien.

Zee räuspert sich. »Und? War es …?«

Ich weiß, wonach er fragt. Was ich ihm nicht rückgemeldet habe. »Ja. Sie war es.«

Nicht dass ich die zerbrechliche, skelettartige Gestalt der Frau, die auf dem kalten Stahltisch lag, erkannt hätte. Ihr eigentlich dunkelblondes Haar war aufgehellt und umgab strohig und kurz geschnitten ihr ausgemergeltes, lebloses Gesicht. Sie schien in der Zeit, in der sie verschwunden war, um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Wäre da nicht die kleine Tätowierung gewesen, die sie sich nach der Geburt von Lola auf die Innenseite ihres linken Handgelenks hatte stechen lassen, die mit dem Geburtstag unserer Tochter in dunkelvioletter Tinte, hätte ich geleugnet, dass sie es war.

Scheiße. Ich ziehe die Schultern hoch und kneife die Augen zu. Was zum Teufel soll ich Lola sagen? Sie ist jetzt fast sechs, alt genug, um Fragen über ihre Mutter zu stellen. Alt genug, um zu verstehen, dass die Frau uns beide auf der Suche nach ihrem nächsten Rausch verlassen hat.

»Ich sollte sie hassen.« Meine Worte sind undeutlich, sogar ich kann es hören. »Kann ich aber nicht. Sie tut mir einfach verdammt leid.«

Es ist nicht einmal der Verlust, den ich fühle. Es ist etwas Tieferes, etwas, das mich zu ersticken droht. Als hätte man mir die Hoffnung aus der Seele gesaugt. Ich bin einfach leer.

Mein Gott, ich muss aufhören zu trinken, bevor ich noch ganz hysterisch werde.

Zee zögert einen Augenblick, bevor er sagt: »Du hast getrunken.« In seiner Stimme liegt kein Urteil, nur Besorgnis. Aber im Gegensatz zu ihm bin ich nicht süchtig. Ich besitze zwar eine Bar, aber ich trinke so gut wie nie, und wenn, dann nicht, bis ich betrunken bin. Zumindest nicht seit Lola. Nicht bis heute Abend.

»Ich finde definitiv, dass ich heute eine kleine Auszeit vom Erwachsensein verdient habe. Einen Abend lang. Den kannst du mir zugestehen.«

Er stößt zittrig einen tiefen Atemzug aus. »Ich wünschte nur, du hättest mich mit dir fahren lassen.«

»Ich sagte, es geht mir gut.«

Schweigen.

Die hübsche kleine Blondine ist an die Bar zurückgekehrt, aber ihre tiefen, seelenvollen, haselnussbraunen Augen bleiben auf die Aufgabe vor ihr gerichtet, Getränke auf ihr Tablett zu stellen. Sexy ist nicht einmal ansatzweise eine Beschreibung dieser Frau. Sie hat eine Anziehungskraft, das gewisse Etwas, das zweifellos jeden Hetero-Mann im Raum dazu bringt, seinen Blick nicht abzuwenden.

Oder vielleicht ist es einfach zu viele Jahre her, seit ich das letzte Mal Sex hatte. Verdammt, seit Ana weg ist, habe ich keine Frau mehr angefasst. Konnte es nicht. Nicht solange ich auf dem Papier noch verheiratet war. Vielleicht macht mich das zu einem Trottel oder einem erbärmlichen Loser, aber ganz ehrlich, ich war zu sehr damit beschäftigt, mich um Lola und meine Bar zu kümmern, um daran zu denken, eine andere Frau zu vögeln. Okay, das ist nicht ganz wahr. Sicher, ich habe mehrmals darüber nachgedacht, aber ich habe es nie durchgezogen. Ich brauche nicht noch mehr Komplikationen in meinem Leben.

Keine Ahnung, warum mein Schwanz ausgerechnet heute Abend so einen Scheiß baut.

»Wo übernachtest du?«, fragt Zee und durchbricht damit meine Gedanken.

»Ich finde schon was.«

Noch mehr Schweigen und Seufzen. Dann sagt er: »Fahr einfach nicht, wenn du getrunken hast …«

»Ich bin nicht blöd«, sage ich ein wenig zu laut, woraufhin die Blondine mir einen Seitenblick zuwirft und die Stirn runzelt. Ich erwidere den Blick, sie rollt mit den Augen und geht mit ihrem vollen Tablett wieder weg.

Normalerweise bin ich kein Arschloch. Aber heute Abend habe ich einen Freifahrschein.

Auch wenn sie das nicht weiß.

Nicht dass ich ihr eine Erklärung schulde. Aber aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass es so ist. Eine Erklärung zusammen mit tausend anderen Dingen, die ich ihr gern angedeihen lassen würde.

Alkoholbedingter Wahnsinn, sagt mir der klägliche Rest meines Verstandes.

»Kade?« Jetzt ist meine Schwester am anderen Ende, und ich fluche leise vor mich hin. Nur weil ich Zees Anruf angenommen habe. »Wie kommst du zurecht?«

»Verdammt perfekt«, murmle ich.

»Okay«, sagt sie leise, was in der Quinn-Sprache bedeutet, dass sie Fragen stellen wird, wenn ich nach Hause komme. »Du weißt, dass wir dich lieben.«

Ja, ich weiß. Wahrscheinlich ist es das Einzige, was mich in den letzten Tagen durchgebracht hat. Meine Familie. Und Lola. Sie verdient wenigstens einen Elternteil, der sich zusammenreißen kann. Worin ich im Moment gerade voll versage.

»Morgen bin ich wieder da«, sage ich.

»Wo bist du?«

»In einer kleinen Provinzstadt in Pennsylvania.« Zumindest glaube ich, dass ich dort bin. Seit ich Chicago verlassen habe, bin ich nicht unbedingt zurechnungsfähig.

Sie seufzt. »Sei einfach … vorsichtig.«

Ich hole bebend Luft, und nachdem ich noch einige Minuten versucht habe, sie davon zu überzeugen, dass ich nicht kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe, lege ich auf und sage dem Barkeeper, dass er mir die Rechnung bringen soll. Gegen meinen Willen wandert mein Blick auf der Suche nach der Blondine durch die Bar. Mein Körper schreit danach, sich ihrer süßen Anziehungskraft hinzugeben.

»Sie ist weg«, sagt der Mann, als er mir die Rechnung vorlegt. Er lehnt sich mit verschränkten Armen auf den Tresen. Sein Kiefer zuckt leicht. »Du hast Glück, dass Charlie dich nicht dabei erwischt hat, wie du sie so angeschaut hast. Er hätte deine Eier am Spieß gebraten.«

Ich weiß nicht, wer zum Teufel Charlie ist, aber ich weiß, was er mit sich bringt – Ärger. Ich bin vielleicht völlig breit, aber selbst wenn ich besoffen bin und meine Eier nach Erlösung schreien, bin ich kein Masochist. Es ist Zeit, zurück zu meinem Pick-up zu gehen und zu hoffen, dass ich genug getrunken habe, um die Albträume zu betäuben, von denen ich weiß, dass sie kommen werden.

2

SOPHIE

»Gott, der Mann ist köstlich«, sagt Kristiann, während sie sich an die andere Seite der Bar lehnt, ein leeres Tablett auf ihre Hüfte gestützt.

»Wer?«, frage ich und tue so, als hätte ich den grüblerischen, umwerfenden Mann mit der intensiven Ausstrahlung nicht bemerkt, dessen Präsenz die ganze andere Seite des Raums einnimmt.

Noch bevor ich sein Gesicht gesehen hatte, habe ich die Anziehungskraft gespürt. Breite Schultern mit Muskeln, die sich unter dem dünnen Baumwollstoff seines Shirts wölbten. Ich habe den dunkelhaarigen Fremden während meines Auftritts von der Bühne aus beobachtet.

Dass ich hier jeden Freitag- und Samstagabend eine Stunde lang performen darf, ist der einzige Grund, warum ich diesen Job mache. Trotz der Betrunkenen, die meinen, ein lausiges Trinkgeld von einem Dollar gäbe ihnen das Recht, mir an den Hintern zu fassen.

Arschlöcher.

»Du willst mir weismachen, dass du den wahnsinnig schönen Mann, der dich den ganzen Abend angestarrt hat, nicht bemerkt hast«, sagt Kristiann kichernd und tritt zurück, damit ich mein Tablett mit leeren Bierflaschen und schmutzigen Gläsern auf ihre Seite der Bar stellen kann. Ein wissendes Grinsen umspielt ihre Lippen.

Ich schüttle den Kopf. Doch aus dem Augenwinkel erhasche ich einen Blick auf den dunkelhaarigen Fremden am Tresen. Ich gehöre nicht zu den romantischen Narren, die an Liebe auf den ersten Blick glauben, aber dieser Mann hat etwas an sich, das mich zu ihm hinzieht. Als würde sich meine eigene gequälte Seele in seinem Blick widerspiegeln.

Kristiann grinst mich weiter an. »Ich habe gesehen, wie du ihn angeschaut hast.«

Und wie er mich angesehen hat. Bei der Erinnerung durchläuft mich ein wohliger Schauer. Diese intensiven dunklen Augen, die mich im Spiegel beobachteten, haben mich festgenagelt.

Aber der Blick war nicht raubtierhaft, wie ich es gewohnt bin. Sicher, er war heiß, voller Begierde und Lust, aber es lag auch etwas Tieferes, etwas fast Trauriges darin.

Etwas Gebrochenes.

Etwas, das mein Herz ein wenig zu schnell schlagen und eine Million Schmetterlinge in meinem Bauch aufsteigen ließ. Denn ich verstand den Schmerz, der in diesen dunklen Augen aufblitzte, besser als jede andere.

Ich hatte den Verlust erkannt, den ich dort gesehen hatte.

Noah. Mein Herz klopft immer noch beim Klang seines Namens. Noah. Noah. Noah.

Meine Brust zieht sich vor Schmerz zusammen, und ich atme durch die Angst, die in meiner Kehle aufsteigt und mir die Luft raubt. Vier Jahre haben nicht dazu beigetragen, den Schmerz zu lindern, der mich ergreift, wenn ich mir erlaube, aus der Erstarrung herauszutreten, mit der ich mich umgeben habe.

Zum Glück ist Kristiann so in ihre Betrachtung des Fremden an der Bar vertieft, dass sie meinen Zustand nicht zu bemerken scheint.

»Du brauchst jemanden, der dir hilft, aus diesem Loch herauszukommen. Wie lange ist das eigentlich schon so?«

Viel zu lange. Und mein Körper hat vor aufgestauter sexueller Frustration gewimmert, nachdem der Blick des grüblerischen Kerls an mir hinuntergewandert war wie eine harte, fordernde Berührung, die direkt in mein Innerstes ging.

Aber der letzte Typ, mit dem ich ausgegangen bin, ist mit zwei blauen Augen und mehreren gebrochenen Rippen in der Notaufnahme gelandet. Das war eine Warnung, nicht für den armen Kerl, der die Konsequenzen zu tragen hatte, sondern für mich.

»Sex ist im Moment nicht auf meinem Radar«, murmle ich und stelle das Leergut in die Kisten, aber ich kann nicht umhin, meinen Blick wieder zum Profil des Fremden schweifen und den kleinen Seufzer entweichen zu lassen, der sich in mir angestaut hat.

»Schon klar.« Kristiann gluckst und schüttelt den Kopf.

»Ich meine es ernst. Ich habe genug um die Ohren.« Zum Beispiel, aus dieser Stadt zu verschwinden. »Ich brauche keinen Mann, der alles verkompliziert.«

Mein Leben ist schon kompliziert genug.

»Ich sage ja nicht, dass du den Kerl heiraten musst, aber du verdienst ein bisschen Spaß. Warum also nicht mit einem völlig Fremden, der sich morgen nicht einmal mehr an deinen Namen erinnern wird?«

Mein Innerstes krampft sich bei dem Gedanken zusammen. Es ist so verdammt lange her, dass ich einem Mann erlaubt habe, mich zu berühren. Und obwohl die Männer in dieser Stadt keine Skrupel haben, mit mir zu flirten, wenn ich hier arbeite, schenken mir die meisten außerhalb der Bar keinen zweiten Blick.

Und das aus gutem Grund. Ich bin als beschädigte Ware abgestempelt, mit einem verrückten Ex-Ehemann, der lieber eine Nacht im Gefängnis verbringt, als irgendjemanden in meine Nähe zu lassen.

Wenn ich jemals wieder Sex haben will, muss ich entweder dieses Drecksloch von Stadt verlassen oder einen Fremden finden, der mein Bett mit mir teilt.

»Komm schon, Sophie.« Kristiann legt ihre Hände auf meine Schultern und dreht mich so, dass ich einen perfekten Blick auf den Mann habe. »Sieh ihn dir an. Sag, würde dieser Kerl nicht mit einer einzigen Berührung einen Orgasmus aus dir herauslocken?«

Ich kichere und schüttle den Kopf über sie. »Du bist schrecklich.«

»Aber ich habe recht.« Ihr Grinsen ist ansteckend. »Du brauchst das.«

Nein. Was ich brauche, sind noch achthundert Dollar, um den alten Honda Civic zu bezahlen, für den ich spare. Sobald ich das Geld habe, werde ich diesen Ort ohne einen Blick zurück verlassen.

Ich habe Kristiann nichts von meinen Plänen erzählt. Ich habe sie niemandem erzählt. Nicht dass ich glaube, sie würde Charlie etwas sagen, aber ich will vermeiden, dass er sie oder jemand anderen verfolgt, wenn er merkt, dass ich weg bin.

»Deine Schicht ist zu Ende«, sagt sie. »Aber wenn du ihn nicht willst, könnte ich es ja mal bei ihm versuchen.«

Ich rolle mit den Augen. »Hör mal, kannst du mich vielleicht heute Abend nach Hause bringen?«

»Wenn du hier warten willst, bitte sehr. Aber ich kann mir andere Möglichkeiten vorstellen, wie du deine Zeit verbringen könntest.« Sie nickt dem schönen Mann auf der anderen Seite des Raumes zu.

»Das wird nicht passieren«, sage ich.

Sie zuckt mit den Schultern, dann werden ihre Lippen schmal, als sie über meine Schulter zum Eingang schaut.

»Scheiße. Charlie kommt«, sagt sie.

Als ich spüre, wie sich sein Blick in meinen Hinterkopf bohrt, drehe ich mich langsam um. Seine Anwesenheit erfüllt die Bar wie ein heißer, klebriger Nebel, der mir ein warnendes Kribbeln über die Haut jagt. Sobald sich unsere Blicke treffen, nickt er barsch in Richtung Tür, damit ich ihm hinaus folge.

Scheiße.

Ich schnappe mir meine Handtasche, schlängle mich durch die Tische und drücke den Rücken durch, als ich aus der Tür trete.

»Ignorierst du mich?«, knurrt er, packt mich grob am Arm und zieht mich in den Schatten.

Mir stockt der Atem bei der Vertraulichkeit, die er ausstrahlt. Angesichts seines massigen Körpers vor mir drücke ich mich an die Wand. Langes dunkelblondes Haar umrahmt sein Kinn, das wochenlang nicht rasiert worden ist.

»Mit uns ist es vorbei, Charlie. Du kannst nicht ständig auf meiner Arbeit auftauchen.«

»Ich habe zwar diese verdammten Scheidungspapiere unterschrieben, aber du gehörst immer noch zu mir. Oder hast du das vergessen?«

Ich hole noch einmal zittrig Luft, weil ich weiß, was für eine Macht er über mich hat. Die Erinnerungsstücke, die er mir gestohlen hat. Wut schießt durch mich hindurch.

»Lass mich gehen.«

»Niemals, kleiner Vogel.« Er lehnt sich zu mir, seine andere Hand packt mein Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen. Seine blauen Augen sind so wild und verzehrend, dass mir unwillkürlich eine Gänsehaut über die Arme läuft.

Wenn ich daran denke, dass ich diesen Mann einmal geliebt habe. Dass ich glaubte, er würde mich beschützen.

»Du tust mir weh«, sage ich und rühre mich nicht, weil ich weiß, dass Gegenwehr nur dazu führen würde, dass er noch fester zudrückt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass ich auch so schon blaue Flecke von seiner Umklammerung bekomme.

Ich habe oft gehört, dass Männer nur Sex wollen, aber das stimmt nicht. Sicher, sie denken ständig daran, aber es ist die Dominanz, die sie wirklich wollen. Macht und Besitz über eine andere Person.

Kontrolle.

Ich beiße die Zähne zusammen und verhärte meinen Blick. Ich weiß, es geht um mehr als nur um Geld, das ich ihm seiner Meinung nach schulde. Aber ich kann und will ihm nicht geben, was er will.

Mit einem rasselnden Atemzug lässt er mein Kinn los und streicht mit seinen rauen Fingerknöcheln über meine Wange. Einen Augenblick lang ist sein Ausdruck fast zärtlich.

Fast.

Denn der Mann hat nichts Zärtliches an sich. Nicht mehr. Schon sehr lange nicht mehr.

»Du schuldest mir etwas, Liebling.« Seine Worte klingen bedeutungsschwanger, und seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, das tatsächlich eins sein könnte, wenn nicht so viel Grausamkeit in seinen Augen wäre. »Ich bin gekommen, um zu kassieren.«

Letzten Monat habe ich mir zwölfhundert Dollar geliehen, um Kristiann zu unterstützen, damit sie die Insulin- und Arztrechnungen für ihren Sohn bezahlen kann. Von Charlie Geld anzunehmen war nicht die klügste Entscheidung, die ich je getroffen habe, aber ich musste helfen.

Noah. Mein Herz klopft.

»Ich kann dir das Geld in Raten zurückzahlen …«

Charlie beugt sich wieder zu mir, sein heißer Atem streicht über meine Wange. »Du weißt, dass ich kein Geld will.«

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wenn ich ihn jetzt anschaue, sehe ich keine Spur mehr von dem Mann, den ich einst kannte.

Wut und Bitterkeit beherrschen ihn jetzt.

Er ist gefährlich.

Besitzergreifend.

Und ich weiß, was er will – mich mit Haut und Haar.

Deshalb muss ich aus dieser Stadt verschwinden, bevor er mich ganz auffrisst.

3

KADE

Mühsam tippe ich meine PIN in das Kreditkartenlesegerät. Nachdem ich meine unverschämte Rechnung bezahlt und festgestellt habe, dass ich im Savages and Saints deutlich zu wenig verlange, stolpere ich aus der Bar.

Die kühle Luft, die mein Gesicht trifft, ist ernüchternd. Das und die streitenden Stimmen, die hinter dem Müllcontainer um die Ecke zu mir dringen.

»Wegen dir werde ich noch gefeuert.« Der Klang der Frauenstimme ist vertraut, aber statt sanft und melodisch wie vorhin ist sie voller Angst.

Und da ist er – der Ärger. Ich hätte wissen müssen, dass er kommt. Das ist der Grund, warum ich nicht trinke. Zumindest nicht so viel, dass mein Selbsterhaltungstrieb ausgeschaltet ist. Denn Ärger lauert hinter jeder Ecke. Das ist eine dieser allgemeingültigen Regeln – zumindest in der Welt, in der ich lebe –, und ich weiß nicht, warum es mich immer wieder überrascht, wenn er sein hässliches Haupt erhebt.

»Du müsstest diesen Scheißjob nicht machen, wenn du tun würdest, was ich will.« Die breiten Schultern des Mannes geben mir nur einen flüchtigen Blick auf die kleine Gestalt der Frau, aber es reicht, um zu sehen, dass er sie an die Wand drängt. »Ich kann mich um dich kümmern …«

»Lass mich los.« Als sie versucht, sich um ihn herumzudrücken, schlingt er seine große Hand um ihren Oberarm und reißt sie zurück. Sie gibt keinen Laut von sich, aber ich sehe ihr Gesicht jetzt deutlich, und was ich sehe, ist Angst.

»Hey, du Arschloch!«, rufe ich und wünsche mir bei Gott, dass ich nüchtern wäre, denn ich weiß, dass ein Kampf bevorsteht.

Aber verdammt, vielleicht ist ein Kampf genau das, was ich brauche.

Ich kann meine Frustration nicht an der einzigen Person auslassen, die es verdient hat; sie ist tot, weg. Und es juckt mich, etwas zu brechen, irgendetwas, warum also nicht die Knochen im Gesicht dieses Arschlochs? Ich würde der Frau einen Gefallen tun, während ich meine Wut an einem Opfer auslasse, das es verdient hat.

»Verschwinde, wenn du weißt, was gut für dich ist.« Der Mann dreht sich nicht einmal um, aber ich sehe, wie sich die Muskeln in seinem Rücken spannen. Ich bin ein großer Kerl, aber er ist noch etwas größer als ich und hat gut zehn Kilo Muskeln in den Armen.

Scheiße, warum zum Teufel habe ich das letzte halbe Dutzend Schnäpse getrunken?

Das wird nicht gut ausgehen. Aber so betrunken ich auch bin, ich werde nicht weglaufen. Die Savages schrecken nicht vor einem Kampf zurück, und sie sehen gewiss nicht tatenlos zu, wenn jemand in Schwierigkeiten ist.

»Warum suchst du dir nicht jemanden in deiner Größe aus?« Ich muss beinahe lachen, als ich das sage, weil es so ein verdammtes Klischee ist. Aber bei der großen Menge Alkohol, die durch meinen Körper fließt, kann ich von Glück sagen, dass noch genug Gehirnzellen funktionieren, um mich in der Senkrechten zu halten.

Dann dreht sich der Mann um, und mir wird klar, dass ich wahrscheinlich nicht mehr lange aufrecht stehen werde.

»Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Mann«, sagt er, während er seine tätowierten Hände zu Fäusten ballt und die Adern in seinen ebenfalls tätowierten Unterarmen hervortreten.

Als er auf mich zukommt, sehe ich zwei bis drei Typen, die aussehen wie Charlie Hunnam. Oder besser gesagt: Charlie Hunnam auf Steroiden in der dritten Staffel von Sons of Anarchy.

»Lass ihn in Ruhe, Charlie«, sagt die Frau, und ich muss unwillkürlich kichern. Er heißt tatsächlich Charlie.

Ja, ich bin betrunken.

Er überwindet die verbleibenden paar Meter zwischen uns und packt mich am Kragen. »Was ist so lustig, du Trottel?«

Oh ja, ich kenne diese Momente, in denen ich mich selbst etwas sagen höre und weiß, dass mir gleich eine Faust ins Gesicht geschlagen wird. Tja, genau dieses Gefühl habe ich, kurz bevor ich »Nur deine hässliche Visage« murmle.

Ich bin zwar dreißig Jahre alt, aber in diesem Moment kommt es mir immer noch lustig vor – bis er ausholt, um zuzuschlagen.

Doch man wächst nicht mit drei Brüdern und Zee St. James als bestem Freund auf, ohne Ninja-ähnliche Reflexe zu entwickeln. Okay, das ist vielleicht etwas übertrieben, aber ich bin schnell genug, um mich zu ducken. Was ihn dazu verleitet, weit auszuholen.

Sein zweiter Schlag trifft mich am Kiefer, aber ich schaffe es, stehen zu bleiben, obwohl die Welt kurzzeitig verschwimmt.

»Hör auf!«, schreit die Frau, bevor sie etwas unglaublich Dummes tut. Sie stellt sich zwischen uns und stößt gegen die tonnenschwere Brust des Mannes. Ich versuche, sie hinter mich zu ziehen, aber sie schüttelt mich ab und schubst ihn erneut. »Verschwinde, bevor ich die Polizei rufe.«

Sein rechtes Auge zuckt, und er bleckt die Zähne, als er mich anschaut. Dann richtet sich seine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau, und er knurrt: »Besorg mir das Geld. In einer Woche. Sonst kassiere ich auf andere Weise.«

Die Drohung ist unüberhörbar, und ich kann mir vorstellen, auf welche Weise er die Schulden eintreiben würde. Es juckt mich, ihn zu schlagen. Ihm den selbstgefälligen Ausdruck beim Blick auf mich aus dem Gesicht zu wischen.

Er zeigt auf mich. »Wenn du noch einmal zwischen uns kommst, unterschreibe ich persönlich deinen Totenschein.«

»Charlie«, sagt sie. »Geh jetzt.«

Ich merke, dass es ihn all seine Kraft kostet, zu gehen und sich nicht mit mir anzulegen, aber nach einem Weilchen, in dem er aller Wahrscheinlichkeit nach überlegt hat, wie er meinen kaputtgedroschenen Körper beiseiteschaffen kann, dreht sich der Mann schließlich um und schlendert davon. Und mir wird klar, dass ich mich in dem Kerl getäuscht habe. Er macht mehr als nur Ärger – er ist gefährlich.

Die Frau lässt die Schultern sinken und seufzt tief, als das Motorrad des Mannes aufheult und in der Dunkelheit verschwindet.

Als sie sich wieder zu mir umdreht, sehe ich nicht die erwartete Dankbarkeit in ihren Augen. Sondern Ungläubigkeit. »Sind Sie verrückt?«

»Anscheinend.« Ich reibe mir den schmerzenden Kiefer. »Verrückt genug, um zu denken, ich würde eine Art Dankeschön dafür bekommen, dass ich meinen Arsch riskiert habe.«

Sie blinzelt zu mir auf und schüttelt dann den Kopf. »Er hätte Sie umbringen können.«

»Soll ich Sie lieber von ihm bedrohen lassen?«

»Mir ging es gut. Er hätte nicht …« Sie schaut weg. »Er hätte mir nicht wehgetan.«

Ich schaue auf die roten Spuren, die er auf ihrem Arm hinterlassen hat, und hebe eine Braue. »Sieht aus, als wäre das schon passiert.«

Instinktiv legt sie ihre Hand auf die Stelle, und ich habe keinen Zweifel daran, dass er, was immer er mit ihr zu tun hat, nicht zum ersten Mal blaue Flecke hinterlassen hat.

Ich schüttle ein wenig den Kopf. Dieser verdammte Ritter-auf-dem-weißen-Pferd-Komplex, der normalerweise meinem Bruder Damon vorbehalten ist, hat mir heute Abend schon genug Ärger eingebracht.

Und doch ist es für mich fast unmöglich, mich davon zu lösen.

»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«, fragt sie und zittert, als ein kühler Windstoß uns umweht.

»Ich habe meinen Pick-up.«

»Sie sollten nicht fahren«, sagt sie und sieht mich stirnrunzelnd an.

Echt jetzt?, hätte ich am liebsten gemurmelt. Stattdessen drehe ich mich um und sage über meine Schulter, während ich zu meinem Ford Pick-up gehe: »Ich fahre nicht. Ich werde hier schlafen, bis ich nüchtern bin.«

»Sie dürfen hier nicht schlafen.« In ihrer Stimme liegt ein Hauch von Panik, und ich kann ihre Schritte auf dem Kies hinter mir hören.

Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich zu ihr um, aber sie folgt mir zu dicht auf den Fersen und ist auf meine plötzliche Bewegung nicht gefasst. Sie stößt gegen meine Brust. Instinktiv strecke ich meine Hände aus, um ihr Halt zu geben, und lege sie ihr auf die Schultern. Ihre Haut ist warm und einladend unter meinen Händen.

Viel zu viel Nähe.

Bei der Berührung entringt sich mir ein Stöhnen.

Das Adrenalin von meinem Beinahe-Zusammenstoß mit dem Sons-of-Anarchy-Double hat meinen Rausch total zerstört. Ja, ich bin immer noch betrunken, aber ich bin nüchtern genug, um zu wissen, dass ich mich vor den hübschen haselnussbraunen Augen in Sicherheit bringen muss, die mich ansehen, als würden sie sich in die tiefsten Tiefen meiner Seele graben.

In Sicherheit bringen.

Aber ich tue es nicht.

»Warum nicht?«, frage ich und halte sie weiter fest. Es ist, als würden meine verdammten Hände an ihren Schultern kleben, als würde eine magnetische Kraft sie dort festhalten, und sie tut nichts, um sich zu lösen.

Sie schluckt sichtbar, ihr Blick ist auf meinen Mund gerichtet. »W-was?«

»Warum darf ich nicht hier schlafen?«, sage ich trotz des Ziehens in meinen Eiern und der Tatsache, dass mein Schwanz jetzt schmerzhaft gegen meine Jeans drückt.

»Ich glaube nicht, dass Charlie zurückkommt«, sagt sie schließlich. »Aber wenn doch, sollten Sie nicht hier sein.«

»Ich habe keine Angst vor Ihrem Freund.«

»Er ist nicht mein Freund.«

»Gut.«

Sie hält meinen Blick fest. Und wieder einmal werde ich in eine stille Unterhaltung hineingezogen, in der Realität und Regeln keine Rolle zu spielen scheinen. Sie ist sinnlich und intensiv …

Vielleicht bin ich doch nicht so nüchtern, wie ich dachte.

Ich reibe mir den Nacken und schaue weg, um die Verbindung zu unterbrechen.

»Die Straße runter gibt es ein Motel. Wenn Sie mir Ihre Schlüssel geben, kann ich Sie hinfahren«, bietet sie leise an, ihre Worte voller Unsicherheit. »Da will ich auch hin.«

Keine Ahnung, was sie anbietet. Verdammt, ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie es selbst weiß. Aber der Gedanke an uns beide in einem verdammten Motelzimmer ist eine Verlockung, der ich nicht widerstehen kann. Nicht an diesem Abend.

Und warum auch nicht? Es ist ja nicht so, dass ich die Frau jemals wiedersehen werde.

Verdammt schlechte Idee. Und doch ist es wahrscheinlich die beste, die ich seit langer Zeit hatte.

Ich lasse meine Hände langsam an ihren Armen hinuntergleiten, genieße die Weichheit ihrer Haut an meinen schwieligen Handflächen, und sie gibt einen leisen Laut von sich.

Ihr Blick fällt wieder auf meinen Mund, und diese verdammte Anziehung, die ich vorhin schon gespürt habe, ist wieder da. Ich beuge mich zu ihr und möchte diese süßen Lippen schmecken.

»Haben Sie ein Zimmer im Motel?«, frage ich, neugierig, was sie dort will.

Die Röte kriecht ihr den Hals hinauf. »Die Miete dort ist billig.«

Ich urteile nicht. Es gab ein paar Jahre, in denen ich versucht habe, Savages and Saints zu führen und gleichzeitig ein Kleinkind großzuziehen. Damals wusste ich oft nicht, ob ich die nächste Hypothekenrechnung bezahlen könnte.

Sie muss mein Schweigen als Ablehnung deuten, denn sie tritt einen Schritt zurück. »Sie müssen nicht mit reinkommen. Ich … ich dachte nur, es wäre sicherer, als hierzubleiben.« Die Worte purzeln aus ihrem Mund, als wolle sie einen Rückzieher machen. »Und ich schulde Ihnen etwas, weil Sie mir geholfen haben. Es ist bestimmt ein Zimmer zu bekommen, falls Bobby die Rezeption nicht schon geschlossen hat. Aber wenn Sie lieber hierbleiben wollen, dann …«

»Nein.« Ich ziehe meine Schlüssel heraus und reiche sie ihr. »Ein Bett klingt viel besser, als in meinem Pick-up zu schlafen.«

»Oh. Okay.« Sie hat ihre Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und kaut darauf, als ob sie genauso nervös und unsicher wäre wie ich.

Weil es eine wirklich schlechte Idee ist.

Aber ich bin nicht mehr in der Lage, mit dem Kopf zu denken. Ich will nicht mehr das Richtige tun.

Ich steige in den Wagen und beobachte, wie sie den Sitz einstellt und den Schlüssel ins Zündschloss steckt. Ihre Hände zittern, als sie den ersten Gang einlegt und der Wagen ruckhaft anfährt.

»Sind Sie schon einmal mit einem Auto mit Gangschaltung gefahren?«

Selbst in der Dunkelheit kann ich sehen, wie sich ihre Wangen rot färben. »Natürlich.«

Als sie auf den zweispurigen Highway auffährt, sind ihre Bewegungen geschmeidiger, aber nur ein wenig.

Wir fahren schweigend, wofür ich dankbar bin, denn so sehr der gute Kerl in mir sie auch ausfragen möchte, ich weiß, je weniger wir voneinander wissen, desto besser.

Zehn Minuten später hält sie vor einem baufälligen Motel mit Flachdach an.

»Das ist es.« Sie geht in den Leerlauf, stellt den Motor ab und gibt mir die Schlüssel, die verdammte Lippe wieder zwischen den Zähnen. Sie erwidert meinen Blick nicht, nickt nur zu den dunklen Fenstern des Büros und dem Schild Kein Zimmer frei. »Sieht aus, als hätten Sie kein Glück.«

»Ich kann hier schlafen.«

Sie atmet nervös aus. Ich merke, dass sie ihre Entscheidung, mich hierherzubringen, noch einmal überdenkt, und ihre Stimme stockt, als sie sagt: »Wenn Sie reinkommen wollen …« Sie verschluckt den Rest und blickt aus dem Fenster. »Ich bin nicht sehr gut in so etwas.«

Ich gluckse leicht. »Ich auch nicht.«

Sie sieht mich an, und ich merke, dass sie mir nicht glaubt.

Aber was zum Teufel soll ich denn sagen? Hey, ich hatte seit fast sechs Jahren keinen Sex mehr, ist nicht gerade der beste Anmachspruch.

Ich nehme ihre Hand in meine und schiebe ihre kleinen, zarten Finger zwischen meine viel größeren. Es ist intim. Wahrscheinlich zu intim für das, was ich mit ihr vorhabe.

»Du kannst reinkommen«, sagt sie leise.

»Sicher?«

Sie kaut auf ihrer Unterlippe und nickt, mein eigenes Verlangen spiegelt sich in ihren Augen. »Nicht so ganz. Aber … ich brauche das.«

Das verstehe ich. Das Bedürfnis, sich in etwas zu verlieren, in jemandem, um zu vergessen, wie beschissen das Leben ist.

Ich weiß, was für eine verdammt schlechte Entscheidung das ist. Wenn sie wüsste, woher ich komme, dass ich gerade die Leiche meiner Frau identifizieren musste, würde sie mich wohl kaum so ansehen, wie sie es jetzt tut.