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"Sie ist diejenige, die Dinge in Ordnung bringt - ich bin es, der sie zerstört."
London und Abbott kennen sich seit ihrer Kindheit. Und sie haben sich schon immer geliebt. Aber da London nie das kleinste Anzeichen bemerkt hat, dass Abbott ihre Gefühle erwidert, kam sie schließlich mit seinem besten Freund Kyle zusammen. Alles hätte perfekt sein können, doch als Kyle unerwartet stirbt, bleibt London allein und schwanger zurück. In dieser dunklen Stunde ist Abbott für sie da - und die alten Gefühle kommen wieder hoch. Doch Abbott trägt tiefe Narben in seiner Seele und ist fest davon überzeugt, dass er nur Zerstörung über andere bringt. Kann die junge Frau den verschlossenen MMA-Kämpfer davon überzeugen, dass er ihre Liebe verdient hat?
Band 4, der Abschluss der Savages and Saints Reihe
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Seitenzahl: 223
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Motto
Prolog
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Epilog
Epilog II
Die Autorin
Die Romane von C. M. Seabrook bei LYX
Impressum
C. M. SEABROOK
Savages and Saints
ABBOTT
Roman
Ins Deutsche übertragen von Susanne Gerold
London und Abbott kennen sich seit ihrer Kindheit. Und sie haben sich schon immer geliebt. Aber da London nie das kleinste Anzeichen bemerkt hat, dass Abbott ihre Gefühle erwidert, kam sie schließlich mit seinem besten Freund Kyle zusammen. Alles hätte perfekt sein können, doch als Kyle unerwartet stirbt, bleibt London allein und schwanger zurück. In dieser dunklen Stunde ist Abbott für sie da – und die alten Gefühle kommen wieder hoch. Doch Abbott trägt tiefe Narben in seiner Seele und ist fest davon überzeugt, dass er nur Zerstörung über andere bringt. Kann die junge Frau den verschlossenen MMA-Kämpfer davon überzeugen, dass er ihre Liebe verdient hat?
Judy R.
Du bist eine Inspiration.
Danke für deine Unterstützung in all den Jahren.
»Der so sich zum Tier macht, befreit sich von dem Leid, ein Mensch zu sein.«
– Samuel Johnson
Tier/Monster/Ungeheuer: eine nichtswürdige Person, extrem schwierig im Umgang
Ein Schmerz, der ganz anders ist als alles, was ich jemals erlebt habe, schießt durch mich hindurch. Zerfetzt mich von innen.
Was habe ich getan?
Verletzt falle ich, ringe keuchend nach Atem. Die Nacht verschlingt mich, gebiert eine hässliche Dunkelheit im tiefsten Teil meiner Seele. Ein Monster, das alles verzehrt, was ich bin, alles, was ich war.
Ein Zerstörer, erschaffen von meinen eigenen Sünden.
Schuldgefühle drehen mir den Magen um, entstellen die Wahrheit.
Was ist die Wahrheit?
Vielleicht die größte Betrügerin überhaupt. Denn in der Dunkelheit betrügt uns sogar unser eigener Verstand.
Mein Fehler.
Mein Fehler.
Mein Fehler.
Betäubt. Zerschmettert. Allein. Ich tauche schließlich aus der Dunkelheit auf, bin nicht mehr der Junge, der ich einst war, und ich werde niemals der Mann sein, der ich hätte werden können.
Denn von diesem Tage an bin ich ein Tier, ein Ungeheuer.
»Abbott?« Eine sanfte Stimme dringt durch meine gequälten Träume, zieht mich in meine noch beschissenere Wirklichkeit zurück. »Abbott, wach auf.«
Oh Gott, diese Stimme ist so süß und rein wie die Frau, der sie gehört, aber sie erinnert mich auch an all das, was ich getan habe, an all die Scheißdinge, die ich tun wollte. Denn die Wahrheit ist: Alles dreht sich um sie.
Mein Schmerz.
Mein Verlangen.
Meine Schuld.
Alles. Wirklich alles.
»Komm schon, Abbott.« Es klopft an der Tür zu meinem Schlafzimmer, und dann höre ich, wie die Klinke sich bewegt und sehe, wie ein Lichtstrahl in den dunklen Raum fällt.
Ich blinzle und blicke in zwei große haselnussbraune Augen, die mich besorgter ansehen als ich es verdiene.
»Oh Gott, dein Gesicht.« London bleibt im Türrahmen stehen.
»Mir geht’s gut.« Meinem letzten Kampf verdanke ich ein hässliches blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe, aber dort verweilt ihr Blick nicht, als ich mich aufsetze und die Decke mir bis zu den Hüften hinunterrutscht.
Sie holt Luft und zieht ihre Oberlippe zwischen die Zähne. Der Blick ihrer Augen wird verhangen, als er auf meine Brust, meinen Bauch und meine von der dünnen Baumwolldecke kaum verborgene Morgenlatte fällt.
»Ich … äh …« Ihre Wangen werden rot, ehe sie ihre Aufmerksamkeit von mir auf etwas anderes richtet.
Scheiße.
Der warme Körper, der sich neben mir bewegt, erinnert mich daran, dass ich letzte Nacht nicht allein nach Hause gekommen bin.
In Londons Gesicht flackert etwas auf, Enttäuschung oder vielleicht auch Abscheu, aber das ist besser als die Begierde, die ich dort einen Augenblick zuvor hatte aufblitzen sehen. Denn London McClain ist und bleibt für mich verboten. Was meinen Schwanz allerdings nicht daran hindert, auf sie zu reagieren, wann immer sie einen Raum betritt.
Dabei ist sie nicht nur die Freundin meines besten Freundes, sondern auch noch im siebten Monat schwanger mit seinem Kind.
Einem Kind, das ohne Vater aufwachsen wird – meinetwegen.
»Wer ist das?«, murmelt die Blondine und starrt London wütend an, während sie sich auf die Seite dreht und dabei ihre perfekten, aber unbestreitbar künstlichen Doppel-D-Brüste enthüllt.
London verdreht die Augen, und ich sehe, wie sich ihr Kiefer anspannt, als ihr Blick auf den Nachttisch fällt. Eine leere Whiskeyflasche steht neben einem kleinen Beutel mit Gras und dem neu aufgefüllten Percocet-Fläschchen. Ich kann sehen, wie die Krankenschwester in ihr kurz davor ist, mir eine Standpauke zu halten, aber dann presst sie nur die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf.
Ich schwinge meine Beine über die Bettkante; die Bewegung bereitet mir Kopfschmerzen.
Scheiße. Ich habe letzte Nacht zu viel getrunken.
»Zeit zu gehen«, sage ich zu der Frau in meinem Bett; ich weiß nicht einmal mehr ihren Namen.
Yeah, genau so ein Arschloch bin ich.
»Aber draußen ist es noch dunkel«, sagt sie und zieht einen Flunsch. Ihre undeutliche Aussprache beweist, dass sie ungefähr so nüchtern ist wie ich. Dann wird ihre Stimme zu einem Schnurren. »Wir könnten immer noch ein bisschen Spaß haben. Deine Freundin kann mitmachen.« Ihre Hand gleitet unter die Bettdecke, aber ich packe sie am Handgelenk, bevor ihre Finger ihr Ziel erreichen.
»Nein«, knurre ich, wahrscheinlich ein bisschen energischer als notwendig.
Die Wahrscheinlichkeit, dass London in mein Bett springt, ist ungefähr so groß wie beim Papst. Nicht, dass ich irgendwelche Fantasien hätte, was den alten Knaben betrifft, aber es ist sicherer, an ihn zu denken, als sich vorzustellen, wie sich Londons kurviger kleiner Körper an meinen presst.
Selbst schwanger ist London sexy, aber ich begehre mehr als ihren Körper. Da ich ein selbstsüchtiger Bastard bin, will ich alles.
Doch dieses Recht habe ich schon vor vielen Jahren verwirkt.
Ich greife nach dem Tablettenfläschchen und öffne es, werfe mir zwei Tabletten in den Mund und spüle sie mit einem Schluck Whiskey hinunter. Die Pillen habe ich wegen der Schmerzen in meiner Schulter, die von einer Schussverletzung von vor sechs Monaten stammen. Narbengewebe und Nervenschäden, die wahrscheinlich nie mehr verschwinden werden.
Gut.
London steht immer noch im Türrahmen und sieht mich stirnrunzelnd an, spielt dabei mit den Schlüsseln herum, die sie in der Hand hält. Ein paar Monate, nachdem sie und Kyle angefangen hatten, sich zu daten, hat Kyle ihr Schlüssel für die Wohnung gegeben. Ich habe nie daran gedacht, sie zurückzufordern. Ich weiß, dass sie manchmal herkommt und in seinem Zimmer schläft, um sich ihm nahe zu fühlen.
Wie verdammt verdreht bin ich eigentlich, dass ich sie hier haben will? Dass es mich beinahe mehr nach ihrer Gegenwart verlangt als nach meinem nächsten Atemzug?
»Kannst du mir eine Minute Zeit geben?«, frage ich schroff. Mein Selbsthass sorgt dafür, dass das Monster in mir sein hässliches Haupt erhebt.
»Sicher. Ich mache uns Kaffee. Sieht so aus, als könntest du welchen brauchen«, murmelt London, ehe sie auf dem Absatz kehrtmacht und den Korridor hinunter verschwindet – aber nicht, ehe ich ihren eindeutig verletzten Blick gesehen habe.
Ich hatte ihr versprochen, dass ich sauber bleiben würde. Für Kyle. Um seiner Erinnerung willen. Und ich war ganz gut darin gewesen, zumindest nach Abbott-Savage-Maßstäben. Bis letzte Nacht, als die Schmerzen zu stark geworden waren und die Schuldgefühle die Oberhand gewonnen hatten.
Scham neigt dazu, sich um das Herz eines Mannes zu winden und langsam das Leben aus ihm herauszupressen. Und bei einem bin ich mir ziemlich sicher: falls es einen Preis für denjenigen gibt, der im Leben am häufigsten Scheiße baut, bin ich der unangefochtene Sieger.
Ich schnappe mir ein Paar Jeans vom Fußboden und zwänge die Beine hinein; meine Bewegungen sind so unsicher wie ich mich fühle. Schuld, Schuld, Schuld hämmert es gegen meinen Kopf und mein Herz.
London hat mich im Laufe der Jahre mit vielen Frauen gesehen, und dies ist nicht das erste Mal, dass sie in mein Zimmer kommt und ich eine Frau im Bett habe. Scheiße, sie hat hier praktisch gewohnt, als Kyle noch am Leben war. Normalerweise würde ich irgendeine Arschloch-Bemerkung machen, und sie würde darüber lachen, aber heute ist nicht irgendein Tag.
Heute ist der Tag.
Sein Tag. Der letzte Abschied. Genau deswegen habe ich die letzte Nacht damit verbracht, meine Dämonen in einer Flasche Jack Daniels und in der hübschen kleinen Blondine zu ertränken, die mich jetzt mit ihren Blicken durchbohrt.
»Ich dachte, du bist Single.« Sie macht einen Schmollmund, aber ihre Blicke gleiten gierig über meinen Körper, als ich mich anziehe.
»Bin ich auch.« Ein äußerst beschissener Single. Ich sammle ihre Klamotten zusammen und werfe sie aufs Bett. »Du musst gehen.«
Sie verzieht den Mund. »Aber es ist noch nicht einmal Morgen.«
Ich werfe einen Blick auf mein Handy. Es ist kurz nach fünf, bald wird die Sonne aufgehen. »Ich rufe dir ein Uber, aber du musst gehen.«
»Willst du meine Nummer?« Sie gleitet aus dem Bett; ihre Körpersprache soll verführerisch wirken, aber mir krampft sich lediglich der Magen zusammen, und das bisschen Gewissen, das ich noch habe, lässt Selbsthass in mir aufsteigen.
»Ich mache keine zweiten Runden, Schätzchen. Weder im Octagon noch im Schlafzimmer. Meine Spezialität sind Knockouts in der ersten Runde.« Ich stöhne innerlich, als ich diese Worte sage, denn ich weiß, dass ich wie ein Idiot klinge.
»Arschloch«, murmelt sie, als sie es endlich kapiert und sich anzieht.
Ich nehme mir ein sauberes T-Shirt aus einer Schublade und folge London in die Küche. Arschloch beschreibt mich noch nicht einmal ansatzweise. Aber zumindest tue ich nicht so, als wäre ich etwas, das ich nicht bin.
Ich werde nie Mr Perfect sein. Habe es auch nie versucht. Das war Kyles Job. Der All-American Boy mit einem Notendurchschnitt von vier Punkten und einem Stipendium für die beste Universität des Bundesstaates. Nicht, dass er den Freifahrtschein benutzt hätte. Stattdessen hat er das Angebot angenommen, am beschissenen medizinischen Programm der Harristown University teilzunehmen, um in der Nähe seiner kranken Mutter bleiben zu können.
Yeah, so ein Typ war er.
Der gute Sohn, der ideale Student und natürlich der verdammt perfekte Freund.
Und während Kyle medizinische Fachbücher wälzte, weil er Menschen heilen wollte, fand ich die Möglichkeit, mir den Lebensunterhalt damit zu verdienen, anderen Männern das Gesicht kaputtzuschlagen. Es war ein Running Gag bei uns, dass er nur deshalb Medizin studiert hatte, um die blutigen Körper zu versorgen, die ich hinter mir zurückließ, und mich zusammenzuflicken, wenn ich etwas abbekommen hatte.
»Du bist zu impulsiv«, hatte Kyle einmal gemurmelt, als er mich mal wieder nach einem meiner Kämpfe verbunden hatte. »Wenn du dich ein bisschen zurückhalten würdest, müsstest du weniger Schläge einstecken –«
»Die Leute wollen sehen, wie ich meine Gegner in der ersten Runde k. o. schlage – dafür bezahlen sie.«
»Und wie viele unnötige Treffer musst du dabei einstecken? Irgendwann wirst du mal richtig verletzt werden.«
»Bin mir nicht sicher, worüber du gerade meckerst; immerhin hast du mit dem Geld, das du bei Wetten auf mich gewonnen hast, die Hälfte deiner Studienschulden bezahlen können.« Und die Arztrechnungen seiner Mutter.
Es war gutes Geld. Und wenn ich als Gegenleistung für einen Adrenalinstoß und eine weitere große Auszahlung ein paar gebrochene Rippen und blaue Augen hinnehmen musste, dann war es das wert.
Nur, dass es das nicht war.
Ich war zu viele Risiken eingegangen. Viel zu viele. Und ich hatte alles verloren. Meine Karriere. Meinen besten Freund. Noch nicht einmal meine eigene verdammte Familie schafft es noch, mir in die Augen zu sehen. Weil sie wissen, wer ich wirklich bin.
Ein hoffnungsloser Fall.
Kaputt.
Ein Ungeheuer.
Sie alle haben mich aufgegeben. Alle außer London. Aus irgendeinem verrückten Grund glaubt sie immer noch, dass ich es wert bin, gerettet zu werden. Oder vielleicht klammert sie sich auch nur an mich, weil ich ihre letzte Erinnerung an Kyle bin, ihr letzter Bezug zu ihm.
Seine Mutter ist nur ein paar Wochen nach Kyles Tod ebenfalls gestorben. Noch etwas, das mein Gewissen belastet. Ihr Herz hat versagt. Sie ist buchstäblich an gebrochenem Herzen gestorben.
Mein Fehler.
Ich rolle die Schultern, bin in gewisser Weise froh über den Schmerz. Eine ständige Erinnerung an meine Sünden. Eine Strafe, die ich verdient habe. Und doch suche ich noch mehr Schmerz. Gehe in Kämpfe, die zu gewinnen ich keine Chance habe. Nicht mehr.
Ich bin beschädigt. Irreparabel. An Körper und Seele.
Aber es gibt immer noch Typen, die wollen eine Chance, gegen die Bestie von Port Clover zu kämpfen, gegen den Witwenmacher von Harristown, selbst wenn ich längst nicht mehr der bin, der ich einmal war. Also lasse ich sie, akzeptiere ihre Schläge als Buße.
Ich gehe in die Küche, lehne mich gegen den Tresen und betrachte Londons Rücken, während sie gemahlenen Kaffee in die Espressomaschine gibt.
»Hast du letzte Nacht gearbeitet?«, frage ich und lasse auf mich wirken, wie sie aussieht. Sie trägt eine dieser blauen Krankenhaushosen mit Kordelband, die ihre Hüften und ihren Hintern so umschmeicheln.
Hör auf, ihren Hintern anzustarren, Blödmann. Aber obwohl sie schwanger ist, ist es immer noch der beste Hintern in ganz Harristown, verdammt, vielleicht sogar auf der ganzen verfluchten Welt.
Ich richte meinen Blick weiter nach oben, aber auch dieser Anblick ist nicht weniger verführerisch. Dunkle Haare fallen ihr bis halb über den Rücken, sanfte Wellen, die darum betteln, dass ein Mann sie um seine Finger wickelt.
Oh Gott, ich bin so armselig.
Sie ist verdammt noch mal schwanger. Und sie ist Kyles Mädchen. Es spielt keine Rolle, dass er tot ist, sie wird immer sein Mädchen sein.
»Yeah«, antwortet sie, während sie nach einer Kaffeetasse auf dem oberen Regalbrett greift und dabei einen Streifen Haut an ihrem unteren Rücken entblößt. »Eine der Vollzeit-Schwestern ist gerade in Rente gegangen, daher konnte ich ein paar zusätzliche Schichten übernehmen.«
»Du solltest nicht so viel arbeiten.«
Sie dreht mir immer noch den Rücken zu, und ich sehe, wie ihre Schultern sich leicht heben und dann wieder senken, als würde sie irgendwelche Gefühle zurückhalten. »Hast du vergessen, was für ein Tag heute ist?«
Ich schließe die Augen, versuche nicht vor mir zu sehen, wie Kyles lebloser Körper auf dieser Stahlplatte liegt. Oder wie die Polizei mich befragt. Die langen Tage danach. Die Risiken, die ich auf mich genommen habe, um dafür zu sorgen, dass der Mann, der für Kyles Tod verantwortlich war, weder London noch sonst irgendjemanden jemals wieder verletzen würde.
Das Schlimmste von allem war Londons Kummer, ihre Verwirrung, und meine Feigheit – meine Unfähigkeit, ihr zu sagen, dass alles mein Fehler war. Dass jedes Mal, wenn etwas ihr das Herz gebrochen hat, ich schuld daran war.
Wäre ich nicht so ein selbstsüchtiges Arschloch, würde ich sie ebenfalls von mir stoßen. Aber sie ist der letzte Sonnenstrahl in der Hölle, zu der mein Leben geworden ist. Und daher streiche ich in einigem Abstand um sie herum, beobachte sie, um sie beschützen zu können, aber ich weiß, dass ich uns beide zerstöre, wenn ich ihr zu nahe komme.
London dreht sich um, und als unsere Blicke sich begegnen, sehe ich in ihren Augen so etwas wie Mitleid. »Ich kann alleine gehen, wenn du nicht mitkommen kannst –«
»Nein.« Ich muss das tun. Nicht nur für London – oder Kyle –, sondern auch für mich selbst. Zur mahnenden Erinnerung, dass es nicht meine Asche ist, die sich in dem hässlichen Metallbehälter im Nebenzimmer befindet.
»Lass mich einfach nur noch …« Ich werfe einen Blick über die Schulter in Richtung meines Schlafzimmers und verziehe das Gesicht. »Mich darum kümmern.«
Sie schüttelt den Kopf und seufzt. »Eines Tages wirst du eine Frau mit nach Hause bringen, die du nicht so leicht loswerden kannst.«
Ich brumme. »Glaub mir, keine der Frauen, die ich mit hierherbringe, macht sich irgendwelche Illusionen darüber, dass ich zum festen Freund tauge.«
Ihr leises Schmunzeln verwandelt sich in eines ihrer Lächeln, bei dem Grübchen auf ihren Wangen erscheinen – einem echten Lächeln, das ihr ganzes Gesicht erhellt. »Sie wirst du vielleicht leicht los, aber bei Chlamydien und Herpes wird das schon etwas schwieriger. Und …« Sie streicht sich über den Bauch. »Da geht dieser Neun-Monate-Bazillus um. Vielleicht hast du ja schon von ihm gehört. Und wenn die Infektion dann vorbei ist, hinterlässt sie dir dieses winzige, schreiende Menschlein, das –«
»Okay, du Schlaumeierin, ich hab’s begriffen.« Ich werfe ein Geschirrtuch nach ihr, das sie auffängt und zurückwirft. Die Spannung, die noch einen Moment vorher da war, löst sich auf. »Ich bin in fünf Minuten fertig.«
Ihre Grübchen vertiefen sich, als ihr Lächeln zunimmt. »Zehn Dollar, dass es Geschrei gibt oder etwas kaputtgeht.«
Als wäre das das Stichwort gewesen, höre ich im Korridor etwas zersplittern, und kurz darauf wird die Wohnungstür mit einem lauten Knall zugeschlagen.
Ich zucke zusammen.
Eine Braue hebt sich, und London streckt mir eine Hand entgegen. »Zehn Dollar.«
»Ich gebe dir zwanzig, wenn du dafür sorgst, dass der Kaffee schneller fertig ist.«
Sie schenkt mir einen doppelten Espresso ein, und ich trinke ihn schnell, schlucke damit auch die beiden Tylenol hinunter, die sie aus ihrer Tasche zieht.
Ich bin dankbar dafür, dass sie mir keine Strafpredigt über die leeren Schnapsflaschen auf dem Küchentresen hält, aber ich sehe ihr Stirnrunzeln, als sie anfängt, sie in einen blauen Recyclingbeutel zu werfen.
»Du musst das nicht tun«, sage ich.
Sie hält inne, eine leere Wodkaflasche in der Hand, lässt sie dann in den Beutel fallen und sagt betont: »Du auch nicht.«
Ich nehme ihr den Beutel ab, ignoriere die sengende Hitze, die meinen Arm hochrast, als unsere Hände sich berühren. Unsere Blicke kreuzen sich einen Moment lang, und ich wünsche mir, ich könnte die Gedanken in ihren ausdrucksvollen Augen nicht lesen, aber ich kann praktisch die Worte hören, mit denen sie mich anschreien will.
Du bist besser als das hier. Hör auf, deine Schmerzen mit völlig sinnlosem Handeln zu betäuben.
Wenn ich mit ihr zusammen bin, bin ich tatsächlich besser. Aber ich weiß auch, dass es nicht fair ist, sie in den dunklen Abgrund aus Elend hinunterzuziehen, der mein Leben ist. Also tue ich ihre Sorge mit einem Schulterzucken ab und versuche, nüchtern genug zu werden, um das zu tun, was an diesem Morgen getan werden muss. Jenem Mann, den wir beide geliebt haben, ein letztes Mal Lebewohl zu sagen.
Zehn Jahre alt
»London Bridge is falling down, falling down …« Kinder umringen mich, singen das schreckliche Kinderlied.
Ich versuche, sie zu ignorieren, konzentriere mich auf das Buch, das ich angeblich lese, und versuche zu verhindern, dass die Tränen fließen, die sich in meinen Augen bilden. Dies ist die fünfte Schule, die ich in drei Jahren besuche; also bin ich daran gewöhnt, die Neue zu sein, bin an die Hänseleien und die Neugier gewöhnt, sogar an die Grausamkeiten. Vor allem, wenn sie herausfinden, wer mein Vater ist.
»Meine Mom hat gesagt, ihr Dad hat einen Haufen Geld gestohlen«, sagt der Junge, der offensichtlich der Anführer ist, laut. Er hat leuchtend orangerote Haare und Ohren, die in einem merkwürdigen Winkel abstehen.
»Yeah, mein Dad sagt, dass er dieser verrückte Pastor aus dem Fernsehen ist«, flüstert ein Mädchen mit blonden Zöpfen eindringlich. »Und dass sie hierher gezogen sind, um auch unser Geld zu stehlen.«
Ich versuche, im Stillen zu summen und so ihre Worte aus meinem Kopf zu vertreiben, aber das ist unmöglich. Die dummen Tränen, die ich eine Weile zurückgehalten habe, laufen mir jetzt über die Wangen, und Scham breitet sich in mir aus wie Feuer.
Ich liebe meinen Dad, aber ich hasse ihn auch. Ich hasse es, dass wir andauernd umziehen, und dass er getan hat, was die Leute behaupten, sodass keine Kirche ihn noch haben will und wir jeden zweiten Monat unseren alten Cadillac vollladen und uns in die nächste Stadt aufmachen müssen, um nach einem neuen Ort zu suchen, an dem er seine Botschaft verbreiten kann.
»Gott wird für uns sorgen«, sagt meine Mama immer. »Dein Daddy ist dazu berufen, sein Werk zu tun. Du musst ihm einfach vertrauen. Wir sind genau da, wo wir sein sollen.«
Was bedeutet, dass wir in diesem Monat anscheinend in diesem kleinen Provinznest namens Port Clover sein sollen.
Hier hat mein Vater von unserem letzten Geld eine heruntergekommene kleine Kirche gekauft, ein Gebäude, das aussieht, als wäre es bereits vor vielen Hundert Jahren gebaut worden. Es ist kalt und unheimlich, und nach der Schule muss ich Mama dabei helfen, die Spinnweben von den alten Bankreihen zu wischen und im Keller Mausefallen aufzustellen. Ich hasse es jetzt schon, hier zu sein.
Ich schniefe, lasse die Schultern hängen und starre mit ausdruckslosem Blick auf die vergilbten Seiten meines Buches, während die Sticheleien der Kinder lauter werden. Grausames Lachen umgibt mich, und ich stoße einen kleinen Schrei aus, als etwas Scharfes mich in die Seite sticht.
»Lasst sie in Ruhe.« Aus dem Augenwinkel nehme ich verschwommen etwas Rotes wahr, und zwei der Jungen, die mich gehänselt haben, landen plötzlich rücklings auf dem Asphalt.
Die Kinder um mich herum laufen auseinander, abgesehen von dem Jungen in dem roten T-Shirt, der auf den beiden Jungen hockt, die mit den Hänseleien angefangen haben.
»Geh von mir runter, Savage«, schreit der mit den orangeroten Haaren.
»Erst, wenn du dich bei ihr entschuldigt hast.« Der Junge namens Savage hat die Faust halb erhoben, bereit zuzuschlagen.
»Tut … tut mir leid«, wimmert er zur Antwort.
»Sag es ihr.« Savage packt die beiden Jungen am Kragen ihrer Hemden, zieht sie hoch und stellt sie so hin, dass sie mich ansehen müssen. Irgendwie ist das lustig, denn er ist nicht viel größer als die anderen beiden, und trotzdem wirken sie wie Stoffpuppen, die tun, was er sagt.
»Es tut uns leid«, sagt derjenige, der der Anführer gewesen ist, schniefend.
»Ja, tut uns leid«, sagt auch der andere.
Savage flüstert ihnen etwas zu, und ich sehe, wie sich ihre Augen vor Angst weiten. Dann gibt er sie mit einem Schubs frei, und sie rennen davon, schauen über die Schulter nach hinten, als fürchteten sie, dass er hinter ihnen herkommen könnte.
Danach dreht er sich zu mir um. Der Blick seiner dunklen, fast schwarzen Augen kreuzt sich mit meinem. Und ich kann nur daran denken, dass er der schönste Junge ist, den ich jemals gesehen habe. Hellbraune Haare fallen ihm in die gebräunte Stirn, und er fährt mit den Fingern hindurch, streicht sie zurück. Dabei wird eine weiße Narbe sichtbar, die durch eine Augenbraue verläuft.
Ich weiß, dass ich Angst vor ihm haben sollte, aber ich habe keine.
»Geht es dir gut?«, fragt er und kommt etwas näher.
Ich nicke, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.
»Ich bin Abbott«, sagt er und deutet dann mit einem Nicken auf einen anderen Jungen, den ich zuvor gar nicht bemerkt habe. »Das ist Liam.«
Liam lächelt zaghaft. Eines seiner blauen Augen ist von einem vielfarbigen Bluterguss umgeben.
»Ich bin Lon-« Ich schlucke. »London.«
Abbott nickt. »Sie werden dich nicht mehr belästigen.«
»D-danke.«
»Du bist neu hier«, sagt er.
Als ich nicke, lächelt er mich an, und es fühlt sich an, als würden in meiner Brust hundert Schmetterlinge flattern.
Die scharfe Stimme einer Frau hallt über den Schulhof. »Abbott Savage, Liam St. James, kommt auf der Stelle her.«
Liam zuckt zusammen, aber Abbott verdreht nur die Augen.
»Ihr bekommt Ärger«, sage ich und fühle mich schuldig, weil sie vielleicht dafür bestraft werden, dass sie sich für mich eingesetzt haben. Das hat noch nie jemand getan. Noch nie.
Abbott lacht und zuckt mit den Schultern. »Ich bin ein Savage. Wir machen entweder Ärger, oder wir sind schuld, wenn jemand anders Ärger macht.«
Erst Jahre später sollte ich begreifen, wie wahr seine Worte waren. Aber eines wusste ich schon nach diesem Tag: Dass Abbott Savage mir mit einer einzigen Tat mein Herz gestohlen hatte.
Ich lehne mich auf dem Beifahrersitz von Londons Kia zurück, halte den kühlen Metallbehälter auf meinem Schoß fest und schließe die Augen. Das hier würde Kyle gewollt haben, ein letztes Lebewohl von den beiden Menschen, die ihm von allen auf der Welt am wichtigsten waren. Aber es fühlt sich immer noch scheiße an.
Alles das hier fühlt sich scheiße an.
Vor allem die rührselige Musik, die London unbedingt hören will, während wir nach Port Clover fahren.
»Es gibt so viele Strände auf der Welt«, murmle ich, während ich spüre, wie mein Magen sich mehr und mehr verkrampft, je näher wir meiner Heimatstadt kommen. »Warum ausgerechnet Port Clover?«
»Hier hat er …« Ihr Blick ist konzentriert auf den vereisten Highway vor uns gerichtet. »Hier hat er mich zum ersten Mal geküsst. Hier hat er mich gefragt, ob ich seine Freundin sein will …« Ihre Worte werden von einem leisen Schluchzen erstickt, das sie hinunterschluckt.
»Scheiße. Tut mir leid«, brumme ich, hasse dabei die Eifersucht, die sich in mir rührt.
Es war unser Strand. Der von London und mir. Sie war mein, lange bevor sie zu Kyle gehört hat. Das war zu einer Zeit, bevor ich sie verletzt habe, bevor ich sie von mir gestoßen habe, bevor ich das Undenkbare getan habe … bevor das Ungeheuer mich verschlungen hat.
»Es ist nicht dein Fehler«, sagt sie.
Aber das ist es. Alles ist mein Fehler.
Sie stellt das Radio lauter, und ich krümme mich innerlich zusammen, als sie anfängt, die letzte Single von Wild Irish mitzusummen.
Seit meine Cousine vor ein paar Jahren eins der Bandmitglieder geheiratet hat und nach Irland gezogen ist, hat die auch vorher schon lächerlich populäre Band hier in der Gegend eine kultähnliche Fangemeinde bekommen. Man kann das verdammte Radio nicht anstellen, ohne einen ihrer Songs zu hören.
»… I’ll be here waiting in this labyrinth of ice, until your heart melts, and you accept my price …«
»Oh Gott, diese Musik ist deprimierend«, brumme ich. Es juckt mich in den Fingern, einen anderen Sender zu suchen, aber ich weiß, dass ich nur einen Klaps auf die Hand bekommen würde. »Ich verstehe nicht, warum du dir diesen Mist anhörst.«
»Kyle hat es geliebt.«
Und das sagt alles über meinen besten Freund. Er war der Romantiker, der Typ, der seiner Freundin Blumen mitbringt und sich an Jahrestage und Geburtstage erinnert. Ich ächze leise und sage leichthin: »Ich habe schon immer gesagt, dass er einen beschissenen Geschmack hat, was Musik angeht.«
»Yeah.« Sie dreht die Lautstärke noch ein bisschen mehr auf, und ich sehe, wie ein Lächeln ihre Lippen umspielt. »Hatte er. Aber ich habe nichts gegen diese Jungs.«
»… Loving you was never a choice. We stand in a room pretending not to see, but to everyone else, you clearly belong to me …«
»Klar, wenn du etwas willst, an dem du dich festhalten kannst.«
Sie lacht leise in sich hinein, während die Erinnerung ihre Augen feucht werden lässt. »Kyle hat immer gesagt, dass es nicht nur Musik ist, sondern Poesie … dass die Texte der Songs, an denen du hängst, dir beibringen können, was wirklich in deiner Seele ist.«
»Klingt tatsächlich nach etwas, das er sagen würde.« Er hat andauernd irgendwelchen philosophischen Quatsch von sich gegeben, den ich nie so richtig verstanden habe.