Savers - Letzte Hoffnung - Rabea Blue - E-Book

Savers - Letzte Hoffnung E-Book

Rabea Blue

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Beschreibung

Trotz Leopolds Rückkehr hat sich der Alltag in Euphoria für David und seine Freunde drastisch geändert. Das ständige Misstrauen untereinander und die andauernde Alarmbereitschaft drücken die Stimmung erheblich und machen es den Unverstandenen leicht, ihre Sabotagen auszuweiten. Doch als sich auch andere Schutzengel-Regionen einschalten und Euphorias Ur-Saver seine Erfindungen in Umlauf bringt, tun sich ganz neue Chancen auf. Außerdem gibt es da noch Davids ehemaligen Saver und eine Menschen-Frau, die eine außergewöhnliche Gabe zu haben scheint. Als Nathanel und seine Anhänger jedoch andere Sphären betreten, scheint es immer auswegloser, die alten Verhältnisse wiederherzustellen …

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Seitenzahl: 355

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Impressum
Prolog
– 1 –
‒ 2 ‒
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‒ 39 ‒
‒ 40 ‒
‒ 41 ‒
‒ 42 ‒
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Wenn Sterne sich berühren
Schwesternmacht
Es war einmal ... ... davor und danach: Anthologie

Impressum neobooks

Savers - Letzte Hoffnung

Akademie der Engel III

Ein Roman von Rabea Blue

Impressum

Texte: © Copyright by Rabea Blue

Umschlag: Herzkontur – www.herzkontur.de

Bildmaterial: mcarrel/depositphotos.com; Goodluz/depositphotos.com; slonme/shutterstock.

com; Vita Vladimirovna/shutterstock.com

Verlag: Rabea Blue

Ringstraße 13b

64839 Altheim

[email protected]

Für Beatrix und Werner.

Ihr fehlt.

Ich hoffe, dass ihr uns jeden Tag von oben beobachtet.

Never believe the f***ing lies they tell themselves

aus

»Nobody«

von

Stick to your guns

Prolog

Geschäftiges Tastenklappern hallte durch den kleinen Raum, abgesehen davon waren nur die Schritte von Nathanel zu hören. Fünf Unverstandene saßen an Schreibtischen und blickten gebannt auf die Displays ihrer Computer.

»Wie weit seid ihr? Die Berechnungen müssen doch endlich abgeschlossen sein.« Prüfend schaut der ehemalige älteste Euphorias einem der Unverstandenen über die Schulter und versuchte, auf dem Monitor etwas zu erkennen. »Was bedeutet das alles?«

»Wir müssen uns erst in die Datenbank der Behörde hacken. Doch gleich habe ich es.«

»Datum und Uhrzeit sind berechnet«, rief eine junge Frau der Unverstandenen derweil. Es war Violet, die erst vor kurzem offiziell zu den Todesengeln übergelaufen war. Sofort eilte Nathanel zu ihr herüber und starrte auf ihren Bildschirm. »Und? Wann ist es so weit?«

Violet deutete wortlos auf die betreffende Zeile.

»Das dauert ja noch eine Ewigkeit.« Missmutig schnaufte Nathanel und wandte sich wieder ab. »Bis dahin können sich die Savers neu formieren.«

»Geduld, Nathanel.« Aus dem Schatten der Ecke trat eine weitere Person hervor. »Wir haben Jahrhunderte lang gewartet, die restliche Zeit überstehen wir auch noch.«

Nathanel hob den Kopf. Sein Gesicht glich nun einer Maske und er schob die Hände in die Hosentaschen. »Du hast recht, Großvater.«

Eleazar ging ebenfalls zu den Unverstandenen an den Computern herüber. »Wir sind gut vorbereitet, haben unser eigenes Technik-Team.« Dann drehte er sich um und sah seinen Enkel an. »Wie sieht es mit dem Sprengstoff aus?«

»Das Team ist gerade auf Besorgungstour. Zündschnur und Auslöser haben wir bereits.«

»Sehr gut. Wir müssen auf Nummer sicher gehen.«

»Ich hab es«, rief einer der Unverstandenen. »Die Koordinaten sind jetzt bekannt.«

Schnell schritten Nathanel und sein Großvater zu dem entsprechenden Schreibtisch herüber. Wortlos deutete der Mann auf eine Anzeige, klickte dann etwas, woraufhin sich eine Kartenansicht öffnete. Ein roter Punkt markiere einen bestimmten Ort.

Langsam breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf Nathanels Gesicht aus. Er richtete sich auf und rieb sich die Hände.

»Endlich ist es soweit. Das Ende der Welt ist nahe.«

– 1 –

Ohne Vorwarnung durchbrach ein dumpfes Grollen die angenehme Stille. Die Mitglieder einer Wandergruppe, die auf der zuvor unberührten Ebene des verschneiten Bergs unterwegs waren, sahen erschrocken zum höchsten Punkt des Gebirges hinauf, verharrten gebannt auf der Stelle. Das Geräusch wurde lauter, Schnee wirbelte auf.

»Eine Lawine!«, schrie ein Mann und rannte los, in der Hoffnung, eine Nische in dem Felsen zu finden. Seine Kameraden taten es ihm gleich. Einen Wimpernschlag später tauchten mehrere Savers auf. Einige umkreisten die Bergspitze, um die Situation zu prüfen, andere positionierten sich schützend neben den Flüchtenden.

»Die Schneemasse kommt!«, rief einer der Savers und stürzte sich ebenfalls in Richtung der in Gefahr schwebenden Personen. Unaufhaltsam rollte die Lawine vom Gipfel herunter, geradewegs auf die Gruppe der Wanderer zu. Wie aus einem Instinkt heraus kauerten sie sich wie ein Päckchen zusammen. Alle, bis auf einen.

Jeder von ihnen war nun von einem Saver umringt. Über diejenigen, die sich klein machten und hofften, dass der Schnee einfach vorbeirutschen würde, ohne sie zu verschütten, breiteten die Schutzengel ihre gewaltigen Schwingen aus und stützten sich zur Stabilisierung mit den Händen an der Felswand ab. Der stehende Mann wurde von seinem Saver mit dessen Flügeln umarmt. Abwartend sah der Engel nach oben. Sobald die Lawine unmittelbar vor ihnen war, gab er seinem Schützling einen Schubs und brachte ihn in die richtige Position, dass sie wie auf einer Welle darauf surfen konnten – nur nicht auf den Füßen, sondern auf dem Rücken. Die übrigen Wanderer bekamen kaum etwas von der Naturgewalt ab, so gut waren sie durch die Flügel ihrer Savers geschützt.

»Sehr gut gemacht«, ertönte auf einmal die Stimme von Lazarus und die Schneemasse stoppte mitten in der Bewegung. Das Rats-Mitglied erschien über der Szenerie und nickte zufrieden. »Besonders die Extra-Challenge mit dem stehenden Schützling war interessant – echt klasse!«

Die vermeintlichen Wanderer richteten sich auf und breiteten nun ebenfalls ihre Schwingen aus. Zufrieden sahen sie sich um, einige klopften sich gegenseitig auf die Schultern.

»Weiter so«, ermutigte Lazarus sie und reckte den Daumen nach oben. »Auf geht’s zur nächsten Phase des Trainings. Die Zeit kann weiterlaufen.«

Alle Anwesenden sahen sich erwartungsvoll um, gespannt, was als Nächstes passieren würde. Dann endete die Zeitmanipulation und die weiße Masse wälzte sich weiter.

»Da unten, im Tal«, rief plötzlich jemand und sofort erschienen weitere Savers. Die Lawine rollte geradewegs auf ein kleines Dorf zu, das sich am Hang befand. Auf der Durchgangsstraße herrschte reger Betrieb, ein kleiner Markt war dort aufgebaut. Bei dem sich nähernden Geräusch gerieten die Bewohner in Panik, liefen in verschiedene Richtungen davon.

Mit unheimlicher Geschwindigkeit walzte der Schnee alles unter sich platt, was ihm im Weg stand. Die neu erschienenen Savers flogen über den Dorfbewohnern, sahen sich nach geeigneten Verstecken um. Wann immer eines zu sehen war, schubsten sie ihre Schützlinge sanft in die Richtung, bis auch sie es wahrnahmen und sich in Sicherheit brachten.

Für eine Handvoll Menschen war es allerdings zu spät, die alles mit sich reißende Masse erfasste sie. Im letzten Moment, bevor die Personen begraben wurden, breiteten die zuständigen Savers ihre Flügel über ihnen aus und ließen sich mit ihnen verschütten.

Schließlich kam der Schnee zur Ruhe. Rufe wurden unter der Schneedecke laut, Geräusche von Grabenden. An einer Stelle tauchte bereits der Kopf eines Savers auf, der mit der Kraft seiner Flügel das gewaltige Gewicht des Schnees nach oben drückte. Männer und Frauen, die ein Versteck gefunden hatten, kamen angerannt und versuchten, die Verschütteten zu finden. Auch der Wanderer, der mit seinem Saver bis ins Tal gerutscht war, ohne begraben zu werden, rappelte sich auf, klopfte sich den Schnee von der Kleidung und sah sich um, wo er helfen konnte. Als ein erneutes Grummeln einsetzte, blieben für einen Moment alle wie erstarrt stehen.

»Dritte Phase!«, hörte man wieder Lazarus‘ Stimme.

Ehrfürchtig sahen die Savers gen Berggipfel. Schon löste sich der erste Gesteinsbrocken und begann, das Gefälle herunterzurollen. Eine weitere Lawine kam ins Rollen, nur diesmal aus Steinen.

Einige Savers flogen an den Hang heran, platzierten sich nebeneinander und versuchten, mit gezieltem Schubsen die Felsen abzulenken, sodass sie am Dorf vorbeirollten. Da es sich um vermehrt kleine Exemplare handelte, klappte es tatsächlich in vielen Fällen. Bei den etwas größeren halfen vereinzelte Schutzengel mit Zeitmanipulation nach.

Nur einige wenige Brocken rollten bis ins Dorf hinab und wurden dort gekonnt aufgehalten oder so abgelenkt, dass keine Menschen zu Schaden gekommen wären.

Als sich alles beruhigt hatte, schwoll geschäftiges Gemurmel an. Die vielen Savers tauschten sich über ihre Erfolge aus und gaben sich gegenseitig Verbesserungsvorschläge. Auch David, Louis und Adrian kamen hinzu.

»Die dritte Phase war eine gute Idee von dir gewesen, Adrian«, sagte David anerkennend. »Gut, dass du das Planungsteam so hartnäckig überzeugt hast – ich hätte ja echt nicht dran geglaubt, dass das mit den Steinen klappt.«

Sein Freund lachte auf. »Jetzt, wo ich es in der Praxis gesehen habe, kam es mir etwas unrealistisch vor.«

»Als Übung ist es super«, bekräftigte ihn Louis. »Wenn die anderen fertig sind, möchte ich es auch mal selbst probieren. Das sah fast schon spaßig aus.«

Während Louis und Adrian Feedback von den Teilnehmenden einholten, flog David eine Runde über den Übungshang. Er wollte seine Schwester Sally suchen, sie musste irgendwo zwischen den aufgeregt plappernden Savers sein.

»Achtung!«, hörte David auf einmal eine Stimme in der Nähe rufen. Sein Blick schnellte hinauf. Ohne zu zögern schwang er seine Flügel und wich dem Stein aus, der wie ein überdimensionaler Hagelkorn von oben kam und nur den Bruchteil einer Sekunde später an ihm vorbeirauschte. Er zog einen eleganten Bogen und prüfte die gesamte Umgebung, ob es noch mehr Felsbrocken regnete. Tatsächlich hatten mehrere Savers mit riesigen Steinen zu kämpfen. Mit Mühe und Not flogen sie um sie herum, einige wurden von den Felsblöcken touchiert oder sogar stärker getroffen.

Dann bemerkte David seinen Freund Louis unmittelbar neben sich. »Zeit!«, rief er mit konzentrierter Miene und im nächsten Augenblick fielen die Gesteinsbrocken um ein Vielfaches langsamer. Die versammelten Savers begannen damit, den ungewöhnlichen Niederschlag zur Seite zu schieben.

»An eine Stelle, die unauffällig ist, merkt euch das!« David konnte nicht zuordnen, zu wem die Stimme gehörte, aber das war in diesem Moment ohnehin egal. Er musste den anderen helfen. Obwohl, oder gerade weil es sich nur um Training handelte.

Mit vereinten Kräften gelang es den Savers, eine steinfreie Schneise zu schaffen, sodass das Dorf wenig bis gar nicht beschädigt wurde.

»Zeit normal«, wurde das Kommando zur Beendigung der Zeitmanipulation gerufen und sofort nahm das Falltempo die ursprüngliche Geschwindigkeit an. Donnernd landeten sie auf dem Boden.

»Und Stopp!«, dröhnte anschließend eine Stimme. »Das war es für heute.«

Lazarus kam von seinem Beobachtungsposten herübergeflogen und drehte eine Schleife über den Köpfen der Savers. »Sehr gut gemacht, tolles Training!«

»Was war denn das noch für ein Nachtrag?«, fragte Louis und flog auf den Ältesten zu.

Dieser lächelte breit. »Ich wollte euch noch ein wenig fordern.« Die Schutzengel, die für das Werfen der Steinattrappen zuständig gewesen waren, gesellten sich zu ihnen, um das errichtete Chaos zu beseitigen. »Es muss auch mal etwas Unerwartetes kommen. Vor allem, wenn wir nun vermehrt mit Manipulationen durch die Unverstandenen zu tun haben. Seht es als ein Zusatz-Kapitel dieser Trainings-Einheit an.« Verschmitzt blinzelte er Louis zu. »Und wenn es sogar das Trainings-Team verunsichert, habe ich mein Ziel erreicht.«

‒ 2 ‒

»David!«, rief eine vertraute Stimme, noch bevor der junge Saver sich den Aufräumarbeiten anschließen konnte. Immerhin gehörte er zu der Special Task Force und hatte keinen Zeitdruck, wie die meisten anderen Savers, die sich nur ein wenig Small Talk gönnten, sich dann jedoch wieder um ihre Schützlinge kümmern mussten.

»Sally«, entgegnete David. Freudig lächelnd kam seine Schwester auf ihn zugeflogen, landete und musterte ihn demonstrativ.

»Sieh mal einer an, unser Musterschüler. Du bist den Steinen wie ein junger Gott ausgewichen. Gib es zu: Du wusstest vorher, was heute dran kommt, und hast heimlich geübt, oder?«

David lachte auf. »Schön wär’s. Aber leider habe ich schon zwei Mal mit richtigen Steinschlägen zu tun gehabt. Ein Mal neulich bei diesem Schlafmittelunfall und dann noch bei Cathys Unfall mit ihrem Betreuer.«

»Cathy? Das war doch ein Unverstandener.« Irritiert sah Sally ihn an.

»Ja, das schon.«

»Und es war auch kein Steinschlag«, fügte Louis hinzu, der ebenfalls neben David gelandet war und die letzten Sätze mitbekommen hatte. »Der Abtrünnige hat sich gegen den Bus geworfen.«

Nachdenklich sah David seinen ehemaligen Sichtungs-Partner an. Sie waren damals gemeinsam am Ort des Geschehens gewesen und hatten Schlimmeres verhindern können. »Na gut – genau genommen war es nur unnatürliche Gewalt gewesen.«

»Aber die Menschen hatten es auf einen heruntergefallenen Felsen geschoben, da hat er recht«, verteidigte Louis David. »Timothy wurde getestet und hatte keinerlei Drogen im Blut gehabt. Da war ein Einfluss durch einen Felsrutsch offenbar die logische Konsequenz.«

»Wie dem auch sei«, schloss Sally die Diskussion. »Du warst überragend eben bei dem Training. Ich glaube, andere Savers haben dich als Vorbild genommen und sich deiner Art zu Fliegen angepasst.«

»Aber genau so soll es doch auch sein.« Adrian kam auf sie zugelaufen, nachdem er einige der zu Trainingszwecken gepolsterten Felsen aus dem Weg gerollt hatte. »Die Erfahrenen geben ihr Wissen weiter und die junioren Savers lernen neue Methoden.« Als er bei ihnen angekommen war, strahlte er in die Runde. »Ich finde es super, dass das alles so gut klappt. Die Stunden, die wir während der Ausbildung in der Arena hatten, waren nicht ansatzweise so lehrreich.«

»Finde ich auch«, bestätigte Sally. »Ich musste zwar erst in den Praxisteil reinwachsen, aber mittlerweile ist es wirklich spannend. Da finde ich es fast schon schade, dass man keine fremden Schützlinge retten darf. Hin und wieder bekommt man etwas auf der Sichtwiese mit, da würde ich am liebsten mitfliegen und zusätzlich unterstützen.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob diese Regel noch lange bestehen bleibt«, sagte David. »Vor allem bei den Anschlägen der Unverstandenen hat sich doch das Teamwork bewährt.«

Mit einem heftigen Schlag seiner Flügel landete nun auch Adam bei seinen Freunden und komplettierte die Clique. »Über was redet ihr?«, fragte er und sah lächelnd in die Runde.

»Dass ich endlich einen Schützling ohne dich will«, zog ihn Sally auf und knuffte ihn in die Seite.

Gespielt empört verschränkte Adam die Arme und hob das Kinn. »So, so. Ich bin dir also nicht gut genug?«

»Eher zu gut« zwinkerte David. »Aber ganz ehrlich - was haltet ihr von dem zusätzlichen Trainingsbereich und dem neuen Spezial-Team, dass sich auf Sonder-Trainings wie diese spezialisieren will? Zumindest wir als Beta-Tester hatten absolut unseren Spaß bei der Sache.«

»Das stimmt«, bestätigte Adrian. »Hin und wieder haben wir als Dummy zum Retten fungiert. Echt interessant, mal die andere Seite zu erleben.«

Adam nickte. »Ich habe eben noch mal eine Runde gedreht. Der Aufbau ist wirklich gut durchdacht. Auf jeder Seite des Bergs gibt es ein anderes Szenario, das geübt werden kann. Und auch die Gefahren waren gut geplant. Das Team macht sich richtig Gedanken und trifft genau die Situationen, die wir tagtäglich brauchen.«

Sally runzelte die Stirn. »Na, ich will doch nicht hoffen, dass wir jeden Tag Lawinen und Steinschläge abwehren müssen. Das war ganz schön anstrengend!«

»Da fällt mir etwas ein«, setzte David an und wandte den Blick an seine Schwester. »Hast du einen Moment, Sally?«

»Klar« nickte sie, warf den anderen ein entschuldigendes Lächeln zu und erhob sich mit David in die Luft. Wortlos flogen sie über das Chaos, dass die Savers während ihres Trainings hinterlassen hatten.

»Sehr detailgetreu«, lobte Sally. »Ihr habt wirklich tolle Arbeit geleistet.«

David zuckte mit den Schultern. »Na, wenn wir schon keinen Schützling haben, dann müssen wir uns ja sonst irgendwie nützlich machen. Ich komme mir teilweise nur wie ein halber Schutzengel vor, ohne einen fest zugeordneten Menschen, auf den ich aufpassen kann.«

Sally winkte ab. »Ach Quatsch, das brauchst du nicht. Es ist eine besondere Zeit und da brauchen wir auch interne Teams, die mit Leib und Seele dabei sind. Aber was wolltest du mir denn sagen? Oder war das nur ein Vorwand, um mal ein wenig Geschwister-Talk abzuhalten?«

»Nein, nein. Ich habe dich ein wenig beobachtet vorhin beim Training. Natürlich weiß ich, dass es schwierig ist, wenn man weiß, dass es nicht echt ist. Aber teilweise wehrst du noch nicht entschlossen genug ab. Du kannst dich ruhig beherzt gegen die Steine werfen. Die sind bei uns doch sogar gepolstert.«

Sie hatten den Teil des Bergs erreicht, an dem gerade noch Schnee lag, direkt am Übergang zu einer anderen Szenario-Seite des Gebirges. Sie setzten sich darauf, zogen die Knie an und betrachteten das Gesamtbild von oben.

»Ich weiß«, antwortete Sally. »Vielleicht ist gerade das das Problem. Ich rechne gar nicht damit, dass es schwer wird, sie wegzustoßen. Wenn ich dann auf der Erde eine solche Situation habe, werde ich vermutlich Schwierigkeiten bekommen.«

»Du bist ein Schutzengel. Selbst echte Steine können dir nichts anhaben. Unsere Aufgabe ist es, zu funktionieren, sodass wir Menschen retten können. Wenn es hart auf hart kommt, hast du vielleicht am nächsten Morgen ein paar Federn weniger – na und?«

Sally sah ihren Bruder an. »Hey, das weiß ich mittlerweile selbst. Trotzdem ist es reine Kopfsache. Es kann sich eben nicht jeder so gedankenlos in die Gefahr stürzen wie du.«

»Ist doch okay«, gab David lächelnd zurück. Dann wurde seine Miene ernst. »Wie geht es dir denn so? Generell meine ich.«

Seine Schwester zuckte mit den Schultern. »Ganz gut. Wieso?«

»Ich denke, du weißt ganz genau, was ich meine. Es ist nicht einmal drei Wochen her, dass Violet als Maulwurf aufgeflogen ist.«

»Verräterin«, zischte Sally durch ihre Zähne und mied Davids Blick. »Warum sollte es mir wegen ihr schlecht gehen? Wir werden die Unverstandenen besiegen, das ist für mich völlig klar.«

»Ernsthaft? Du bist sauer auf sie?«

»Natürlich«, gab Sally bissig zurück. »Du doch auch, das weiß ich ganz genau! Sie hat uns all die Zeit an der Nase herumgeführt. Wer weiß, ob sie nicht von Anfang an nur ein Spiel gespielt hat und Nathanel und seine Jünger genau richtig kamen.«

»Das wissen wir nicht, das stimmt.« David sah nachdenklich in die Ferne. Im Tal waren die Aufräumarbeiten noch immer in vollem Gange. »Aber du vermisst sie, oder? Du kannst mir nicht erzählen, dass du keine freundschaftliche Beziehung zu ihr aufgebaut hattest. Ihr habt euch gut verstanden, das hat man gesehen. Wieso sonst hättest du mich bei jedem ihrer Flirts, die ich abgeblockt habe, anmeckern sollen?«

»Na ja, sie hat mir eben Leid getan und du hast immer so unfreundlich –«

»Ist ja auch in Ordnung!« David hob abwehrend die Hände. »Ihr wart ungefähr im gleichen Alter, wart euch sympathisch und ihr seid hier in Euphoria so etwas wie beste Freundinnen geworden. Es nimmt dir keiner übel, wenn du sie vermisst. Sogar ich denke oft an sie und finde es schade, wie sich alles entwickelt hat.«

»Aber aus einem anderen Grund. Bei dir bezieht es sich auf die generelle Situation mit den Unverstandenen.«

»Nein«, gab David kopfschüttelnd zu. »Auch ich habe Violet für ein aufrichtiges Mädchen gehalten und hätte niemals damit gerechnet, dass sie uns in den Rücken fällt.«

Ohne Vorwarnung fing Sally an zu schluchzen. Sie ließ ihren Kopf auf die Schulter ihres Bruders sinken, während die ersten Tränen begannen, über ihr Gesicht zu laufen. Tröstend legte David einen Arm um sie und strich mit der anderen Hand über ihren Kopf.

»Wie konnte sie nur?«, krächzte Sally zwischen zwei Schluchzern. »Wir waren so gut zu ihr gewesen. Haben ihr immer geholfen, auf sie Acht gegeben. Sie hätte mit allem zu uns kommen können, hätte uns alles anvertrauen können. Aber nein – sie schließt sich dem schwarzen Schaf des Ältestenrats an und hat dann nicht mal genug Mumm, um einfach abzuhauen. Stattdessen spioniert sie uns aus, sammelt Informationen und schwächt uns somit noch zusätzlich.«

Liebevoll streichelte David seiner Schwester über den Oberarm. »Ich weiß. Man kann es sich nicht erklären. Und der Schmerz des Vertrauensbruchs ist schrecklich.«

Sally wischte sich die Tränen von den Wangen. »Je länger ich darüber nachdenke, desto schlimmer wird dieses Gefühl. Ich weiß wirklich nicht, wie ich reagieren soll, wenn ich sie eines Tages auf der Erde treffe. Werde ich ihr an die Gurgel springen? Oder kann ich sie ignorieren? Werde ich das Bedürfnis haben, ihr noch mal meine Meinung zu sagen? Allein, was sie das letzte Mal gesagt hat, war für mich so verletzend, dass ich ihre Worte wahrscheinlich niemals vergessen kann.«

So saßen die Zwillinge eine Weile nebeneinander und redeten, so wie sie es in Euphoria kaum noch taten. Erst als Adam auf sie zuflog, löste David seinen Arm von Sallys Schulter. Langsam richtete er sich auf.

»Die Pflicht ruft, Schwesterherz«, sagte er und zeigte auf ihren Sichtungs-Partner.

Mit einem letzten, tiefen Seufzer erhob sich Sally und klopfte sich Schnee von der Kleidung.

»Danke, David«, raunte sie ihrem Bruder zu. »Das hat gut getan.«

David lächelte und umarmte sie. »Fand ich auch. Alles wird gut!« Die beiden lösten sich voneinander. »Und wie du vorhin gesagt hast: Wir werden die Unverstandenen besiegen!«

»Ja«, erwiderte Sally und lachte auf. »Jetzt fehlt uns nur noch die Information, wie uns das gelingt.«

‒ 3 ‒

Bei Adam angekommen, verabschiedete sich Sally von ihrem Bruder und machte sich auf den Weg zu der Nebelwand, um zur Sichtwiese zu gelangen. David hingegen sah sich um und suchte nach Adrian und Louis. Allerdings waren sie diejenigen, die ihn zuerst entdeckten.

»David«, rief Adrian bereits von weitem. »Denkst du noch daran, dass Jeremy gerade sein Abschluss-Gespräch mit dem Ältestenrat hat? Du wolltest ihn doch vorher noch kurz sprechen.«

Jeremy. Adrian hatte vollkommen recht. Davids ehemaliger Schutzengel hatte erst kürzlich verkündet, dass er auf der Erde mit Nathanel verwandt gewesen war. Nach einigem Hin und Her und viel Überzeugungsarbeit hatte der Rat zugestimmt, ihn als verdeckten Ermittler zu den Unverstandenen zu schicken. In Anbetracht des erneuten Verlusts seines Schützlings wäre er ohnehin im Therapiebereich Euphorias zur Erholung geblieben und hätte sich nicht aktiv an dem Kampf gegen Nathanel und seine Anhänger beteiligen können. Auf diese Weise hatte er wenigstens eine Aufgabe.

»Bist du dir wirklich sicher, dass er stabil genug für solch eine Aufgabe ist«, fragte ihn Louis mit ernstem Blick. »Er hat viel durchgemacht, scheint sehr emotional zu sein. Bei dieser Mission muss er gut schauspielern können, einen Plan befolgen und diesen auch strikt durchziehen. Noch dazu vollkommen unauffällig.«

David nickte. »Das weiß ich. Und ihm ist es auch bewusst. Ihr habt ihn erlebt, als er in dem Tunnel seinen Schützling betrauert hat. Er will den Menschen helfen und das kann er nicht, wenn er nur seine eigenen Dämonen bekämpfen soll. Nicht alleine in diesem abgeschotteten Bereich, der so steril und leblos wie der Tod ist, vor dem er die Menschen bewahren will. Er will helfen und brennt dafür, einen Beitrag zu leisten.«

»Ich hoffe nur, dass er nicht auffliegt. Oder schlimmer noch: Sich dort wohl fühlt und uns hintergeht wie Violet.« Mit leerem Blick sah Adrian an seinen Freunden vorbei.

»Diese Gefahr besteht immer«, gab David zu. »Umso mehr sollten wir ihm einen netten Abschied bereiten. Kommt ihr mit?«

Louis schüttelte den Kopf. »Ich nicht. Ich will noch mit Lazarus reden. Vielleicht kann ich aushandeln, dass wir auch bei der Vorbereitung für die nächste Trainingssession wieder dabei sind.«

»Gute Idee.« Dann wandte David den Blick an Adrian. »Was ist mit dir?«

»Ich komme mit.«

»Hoffentlich ist er nicht schon weg«, gab Adrian zu bedenken, als sie vor der Nebelwand erschienen, die den Blick auf das pompöse Ratsgebäude freigab.

»Das werden wir gleich herausfinden.« Eilig ging David die breite Treppe zu dem Eingangsportal hinauf. Es war seltsam, nicht mehr laufen zu müssen. Aus diesem Grund und auch, um auf der Erde beim Wandeln nicht durch unbeholfenes Gehen aufzufallen, ging er selbst nach all den Monaten in Euphoria noch immer regelmäßig zu Fuß. Und soweit er das beurteilen konnte, handhabten es viele erfahrene Savers ebenfalls so.

David drückte die schwere Flügeltür nach innen auf und trat ein. Seine Schritte hallten an den Wänden der Eingangshalle wider.

Kaum waren sie eingetreten, sah ihnen Peggy, die Empfangsdame, bereits missmutig über den Rand ihrer Brille entgegen.

»Wie kann ich euch helfen?«, ratterte sie ihre Standard-Frage herunter.

»Wir wollen gerne zum Ältestenrat«, platzte es aus Adrian hervor.

Peggy versuchte, ein Seufzen zu unterdrücken, und murmelte etwas, dass sich wie ‚Ich dachte, das wäre allmählich vorbei‘ anhörte. Dann setzte sie ein wenig überzeugendes Lächeln auf.

»Der Rat ist leider gerade in einer Konferenz. Kann ich etwas ausrichten?«

»Ja, wir wissen, dass die Ältesten einen Termin haben«, beeilte sich David, zu sagen. »Wir wollen eigentlich auch nur wissen, ob ihr Gast schon weg ist.«

Peggy sah die beiden für einen Moment an. »Ihr Gast? Ihr wollt euch gar nicht beim Rat beschweren?«

Adrian lachte und stupste David in die Seite. »Beschweren? So einen Ruf haben wir also mittlerweile …«

David versuchte, sein Grinsen zu unterdrücken. »Ja, diesmal wollen wir keine große Diskussion führen und wir haben auch nichts Ungewöhnliches entdeckt. Wir wollen einfach nur wissen, ob das Treffen mit Jeremy schon vorbei ist.«

»Ach, das ist aber nett«, schallte es auf einmal von oben auf sie herab. »Ihr kommt extra wegen mir vorbei?«

Sowohl David, Adrian, als auch Peggy sahen nach oben. Am Geländer der Galerie zwei Ebenen über ihnen, stand Jeremy und winkte.

»Wartet, ich komme runter.« Er machte Anstalten, sich über den Handlauf zu schwingen, hielt dann jedoch inne und eilte zu der Wendeltreppe, die in das Foyer hinab führte. David und Adrian gingen ihm entgegen, weg von Peggy.

Grinsend kam Jeremy vor ihnen zum Stehen. »Habe ganz vergessen, dass ich gerade keine Flügel habe. Hätte bestimmt weh getan, wenn ich hier unten aufgekommen wäre, selbst als Saver.«

»Das denke ich auch«, erwiderte David lachend. Dann sah er ihn prüfend an. »Wie geht es dir?«

Jeremy deutete hinter sich. »Na ja, die Flügelstummel schmerzen ein wenig. Sind gerade am Durchbrechen, wo doch die Stelle so schön verheilt war. Aber das kenne ich ja leider schon.«

»Und rein mental?«, hakte Adrian nach. »Bist du schon aufgeregt?«

»Nicht mehr«, gab Jeremy zurück. »Aber ich war es heute Morgen. Es kam mir so vor, als würde ich vor einer Prüfung stehen, die über mein ganzes Leben entscheidet. Und wahrscheinlich wird das die vor mir liegende Aufgabe sogar tun. Der Ältestenrat hatte mir aufgetragen, einen Schritt-für-Schritt-Plan aufzustellen. Den musste ich heute vor ihnen verteidigen. Es wurden viele Fragen zu Details gestellt und wir haben sogar eine Art Rollenspiel gemacht.«

»Wow«, machte David. »Klingt, als hätten auch sie sich gut vorbereitet. Wie lief es?«

Jeremy warf einen kurzen Blick nach oben an die Stelle der Galerie, an der er eben noch gestanden hatte. »Glücklicherweise ganz gut. Die Fragen waren echt herausfordernd, besonders die von den Zwillingen. Das hatte ich gar nicht erwartet. Ich war froh, dass Lazarus anderweitig beschäftigt war und nicht mit von der Partie war. Eigentlich dachte ich, dass Leopold als Ur-Saver die ganze Sache moderiert, aber er hielt sich vornehm im Hintergrund und überließ Jakob als Rats-Vorsitzendem den Vortritt.«

Staunend sah ihn Adrian an. »Das heißt, du machst dich jetzt direkt auf den Weg?«

»Recht bald, ja«, bestätigte Jeremy nickend. »Die Ältesten haben mir noch ein paar Denkanstöße mitgegeben, darüber will ich mir bei einem kleinen Spaziergang Gedanken machen. Aber den kann ich genau genommen auch auf der Erde machen.«

Er deutete in Richtung Tür und gemeinsam schritten sie in Richtung Eingang.

»Darfst du deinem Plan verraten?«, fragte Adrian. »Das interessiert mich ehrlich gesagt am meisten, wie diese Schritte aussahen, die du eben vorgestellt hast.«

»Ich weiß nicht, ob es ein Geheimnis ist«, setzte Jeremy an. »Aber ich will nicht darüber reden. Nicht, dass mir doch Zweifel kommen, wenn noch mehr Savers ihre Meinung dazu abgeben. Ich will das jetzt durchziehen, habe das ‚OK‘ von dem Rat und werde mich deswegen erst wieder melden, wenn die Mission erfolgreich war.«

»Das heißt, wir können uns gar nicht sehen? Nicht austauschen? Nicht einmal getarnt?«

»Leider Nein, David. Obwohl es sicherlich möglich wäre, vor allem mit einem guten Schein. Aber ich will es gar nicht erst versuchen, um weder euch, noch meine Aufgabe in Gefahr zu bringen. Ich muss komplett fokussiert sein und darf auf keinen Fall auffliegen. Wer weiß, welche Beschattungsmethoden sie bei mir anwenden werden.«

Adrian sah ihn durchdringend an. »Denkst du wirklich, die Unverstandenen werden dich verfolgen? Du willst ihnen doch helfen.«

»Das schon. Aber umgekehrt würden wir es auch so machen, oder? Wenn einer der Unverstandenen hier auf einmal mit den Worten ‚Hey, ich habe es mir anders überlegt, ich bin doch wieder ein Saver‘ auftauchen würde, dann würde der Rat vermutlich sofort ein Sicherheitsteam um denjenigen scharen.«

»Stimmt auch wieder«, gab Adrian klein bei.

»Dann also …«, setzte David an, brach jedoch ab. Er hatte seinen eigenen Saver erst vor wenigen Wochen kennengelernt und doch kam es ihm so vor, als würde er ihn schon ewig kennen. »Dann sehen wir uns die nächste Zeit wohl nicht mehr. Viel Erfolg da draußen! Du schaffst das, wir glauben fest an dich!«

Adrian nickte bestätigend, während Jeremy zu strahlen begann.

»Vielen Dank, ihr beiden. Das bedeutet mir echt viel. Ich gebe mein Bestes und freue mich, dass ich einen wertvollen Beitrag leisten kann.« Er zwinkerte und wandte sich der Nebelwand zu. »Bleibt stark! Ich denke, es wird für uns alle eine harte Zeit werden.«

Und mit diesen Worten war er im Nebel verschwunden.

‒ 4 ‒

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Adrian. »Wandeln?«

»Ich möchte gerne auf der Sichtwiese checken, ob es irgendwo Vorfälle gibt«, entgegnete David. »Die letzten Tage waren verdächtig ruhig.«

»In Ordnung.« Adrian nickte und nur wenige Sekunden später traten sie auf der riesigen Wiese aus der Nebelwand heraus. Aufmerksam sahen sie sich um.

»Auf den ersten Blick ist alles ruhig, oder?«

David brummte zustimmend und begann in Richtung See zu schlendern. »Wir sollten trotzdem eine Runde drehen.«

Nachdem sie ein paar Meter gegangen waren, beugte sich Adrian ein Stück zu David herüber, damit niemand sonst ihn hören konnte.

»Als wir eben am Ratsgebäude standen, hätten wir mal prüfen können, ob Leopold noch immer auf dem Dach wohnt.«

»Er war doch bei dem Gespräch mit Jeremy dabei. Da hätten wir nur vor seiner leeren Hütte gestanden.«

Adrian zuckte mit den Schultern. »Na und? Ich wüsste gerne, ob das Teleportieren dorthin noch klappt. Und ob Leopold nach wie vor dort seine Freizeit verbringt.«

»Es war doch ganz nett da. Ich an seiner Stelle würde nicht von dort wegziehen. Er hat sich dort häuslich eingerichtet, ich könnte mir vorstellen, dass er bleibt.«

»Wahrscheinlich, ja. Ich hätte mich trotzdem gerne noch mal in Ruhe und ungestört dort umgesehen. Wirklich nur umsehen, nichts anfassen.«

David nickte. »Irgendwo dort müssen die Erfindungen sein, von denen er erzählt hat. Ich wüsste zu gerne, wann sie so weit ausgereift sind, dass wir sie testen können. Ein Kommunikator mit Jeremy wäre super gewesen.«

»Damit die Unverstandenen ihn finden und ihn somit enttarnen können? Nein, Danke.«

»Stimmt auch wieder. Auf jeden Fall setze ich große Hoffnung auf die neue Technik.«

»Ich auch. Dieses Herumschlendern auf gut Glück ist höchst ineffektiv.«

Sie gingen weiter die Wiese entlang. Noch immer entdeckten sie keine Unregelmäßigkeiten, niemand rief panisch nach Unterstützung und es verschwanden auch nicht etliche Savers auf einmal. Doch David fiel ein männlicher Engel auf, der ziellos am Ufer umherstreifte. Betont unauffällig schaute er auf die projizierten Bilder, sah sich verstohlen um und flog nach einer Weile wieder zur Nebelwand herüber. Mit einem letzten Schulterblick verschwand er.

»Hast du das gesehen?«, fragte David und blieb stehen.

»Was denn?«

»Der Typ eben. So ein Dunkelhaariger. Den habe ich noch nie gesehen, hat sich hier ganz interessiert umgesehen und ist dann von jetzt auf gleich verschwunden.«

»Meinst du, das war ein Unverstandener?«

»Gut möglich«, entgegnete David schulterzuckend. »Aber ich dachte, wir haben Wachen aufgestellt, um Verdächtige sofort festzuhalten.«

»Seit ein paar Tagen nicht mehr. Es gab keine Vorkommnisse mehr und somit wurden die Wachen anderweitig eingesetzt. Vielleicht war es nur jemand von der neuen Ausbildungsklasse. Oder jemand, der sonst in eher der Behausung sichtet, kann ja auch sein. Man kennt einfach nicht jeden und die Region ist riesig.«

»Da hast du auch wieder recht.« David ging weiter, Adrian ebenfalls. Als sie den See ein Mal umrundet hatten, blieben sie stehen.

»Tja, geben wir auf? Oder noch eine Runde.« Fragend sah Adrian seinen Freund an.

»Ich bin mir nicht sicher, ob …«

»David! Adrian!« Louis kam aus Richtung der Nebelwand auf sie zugeflogen.

»Louis ‒ ist etwas passiert?« David sah sich um, nach Unruhe unter den Schutzengeln suchend. »Wir wollten gerade runter auf die Erde und dort Ausschau halten.«

Louis landete vor ihnen und schnappte nach Luft. »Wir wurden gerade eben informiert, dass es verdächtige Vorkommnisse gibt. Es findet aktuell ein großer Triathlon statt, bei dem sich viele der Savers runterteleportiert haben.«

Aufgeregt sah Adrian ihn an. »Ein Anschlag?«

Louis wiegte den Kopf hin und her. »Nicht wirklich. Es scheinen Steine aus verschiedenen Richtungen geschleudert zu werden, jedoch mehr Kiesel als größere Brocken. Keine schweren Verletzungen, sondern mehr nervige Störungen. Aber es ist so seltsam, dass es geradezu nach Nathanel und seinem Team schreit.«

»Allerdings«, bestätigte David. »Dann los?«

Louis war bereits wieder auf dem Weg zur Nebelwand. »Folgt mir, ich weiß wo der Lauf ist.«

Eilig flogen sie zu der wabernden Wand, legten sich die Hände auf die Schultern und befanden sich wenige Sekunden später auf der Erde. Sie schwebten etwa fünf Meter über einer mehrspurigen Straße, auf der weit und breit keine Autos standen, sondern Rennradfahrer in gehörigem Tempo entlangfuhren. An einer Stelle wurde ein Wettkämpfer gerade von Sanitätern verarztet, seine gesamte linke Seite war abgeschürft. Auch etwa hundert Meter weiter schien es einen Unfall gegeben zu haben, bei dem sich sogar drei der Fahrer verletzt hatten. Über die komplette Strecke verteilt schwebten Schutzengel.

»Vorhin beim Schwimmen war angeblich noch nichts«, berichtete Louis. »Jetzt bei der Radstrecke bekommen die Fahrer hin und wieder Steine direkt vor die Räder geschleudert. Die Savers können bestätigen, dass zuvor nichts zu sehen war, und auf einmal lagen sie auf dem Asphalt.«

Argwöhnisch blickte David die Strecke entlang. »Wirklich ungewöhnlich. Aber einen Unverstandenen hat niemand gesehen?« Als Louis nur mit den Schultern zuckte, flog David los. »Komm, da haken wir nach.«

Nacheinander flogen sie zu jedem der Schutzengel. Doch keiner schien etwas bemerkt zu haben.

»Das dürfen wir so nicht akzeptieren«, murmelte David vor sich hin, schlug dann ein paar Mal kräftig mit den Flügeln, um höher zu steigen. Als er in etwa zehn Meter über der Straße schwebte, formte er die Hände zu einem Trichter.

»Liebe Unverstandenen, wir wissen genau, dass ihr hier seid. Es macht keinen Sinn, euch zu verstecken. Habt wenigstens den Mut und stellt euch!«

Im ersten Moment passierte nichts, bis auf dass Louis und Adrian zu ihm herüberflogen. Doch dann sah David eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Es war ein schnelles Huschen, dass sich auf dem Mittelstreifen zwischen den beiden entgegengesetzten Richtungsbahnen bewegte.«

»Da!«, schrie Adrian und schoss los.

»Den kriegen wir!«, rief auch David und eilte hinterher. »Und dann bringen wir ihn zu Leopold.«

Als David näher an den Flüchtenden herankam, konnte er erkennen, dass es ich um eine Frau handelte. Sie merkte schnell, dass sie zwischen den Büschen zu Fuß schlecht vorankam und schwang sich in die Lüfte. Nur etwa zwei Meter über der Straße zischte sie über Zuschauer, Ordner und Teilnehmer. Einer der Radfahrer touchierte sie und kam ins Straucheln, doch sein Saver war zur Stelle und half ihm, wieder auf die Bahn zu kommen.

»Gib auf«, keuchte Adrian. »Wir sind zu viele.«

Tatsächlich kamen weitere Savers zur Hilfe und versuchten, der Unverstandenen den Weg abzuschneiden. Doch sie war schnell und flog im wilden Zick-Zack immer weiter davon.

Schließlich wurde sie von einem kräftigen männlichen Saver an einem ihrer Flügel gepackt. Mit wütendem Gesichtsausdruck flog er mit ihr im Schlepptau höher, schleuderte sie im Kreis und ließ dann los, sodass sie unkontrolliert davonwirbelte. Ein anderer Saver fing sie auf und hielt ihr hinter dem Rücken die Arme fest.

»Und jetzt?«, fragte er und sah seine sich in der Nähe befindenden Kollegen an.

»Wir übernehmen sie«, rief Louis, der gemeinsam mit David und Adrian herangeschossen kam.

Die Unverstandene wandt sich mit aller Kraft, wollte um jeden Preis wieder freikommen. Der Saver konnte sie gut in Schach halten, doch als sie den Anschein machte, als würde sie aufgeben wollen, warf sie ihren Kopf zurück und traf den Schutzengel mitten auf die Nase. Dieser war für einen Moment so perplex, dass sich die Frau befreien konnte. Sie schoss hoch in die Luft, verharrte für einen kurzen Augenblick an Ort und Stelle, und verschwand schließlich mit einem diabolischen Grinsen auf dem Gesicht.

David schloss die Augen und ließ resignierend den Kopf in den Nacken fallen. »Mist!«

»Die war leider echt schnell«, stellte Adrian außer Atem fest. »Schade, dass so jemand die Seite gewechselt hat ‒ sie war bestimmt ein toller Schutzengel.«

»Immerhin wird es jetzt keine absichtlich herbeigeführten Unfälle mehr geben«, gab der hünenhafte Savers-Mann zu bedenken. »Falls sie nicht alleine war, haben die anderen das garantiert mitbekommen und werden jetzt das Weite suchen.«

‒ 5 ‒

David flog mit Louis und Adrian eine Kontrollrunde über den gesamten Bereich des Triathlons. Als sie etwa die Hälfte des finalen Laufabschnitts geprüft hatten und keine verdächtige Person entdeckt hatten, meldeten sich die Warner der drei Savers mit einem eindringlichen Piepen.

»Nur wir bekommen eine Meldung?«, wunderte sich Louis, als er das kleine Gerät aus seiner Hosentasche herauskramte und dabei den Blick schweifen ließ.

»Sieht so aus.« Adrian war schneller und las bereits die Nachricht. »Ist von Lazarus.«

»Ein spontanes Treffen.« David hatte seinen Warner ebenfalls aufgeklappt.

Stirnrunzelnd überflog Louis den Text. »Dann muss es etwas Dringendes sein. Wir haben ihn doch vorhin erst gesehen. Und ich habe sogar noch mit ihm gesprochen, da hat er nichts von einem außerplanmäßigen Termin gesagt.«

»Dann nichts wie hin«, sagte David und war bereits im nächsten Moment verschwunden.

Einen Augenblick später fand er sich vor dem Ratsgebäude wieder, Adrian und Louis folgten sofort. Ohne weitere Worte zu verlieren, eilten sie in die Eingangshalle und hasteten in den ihnen bereits bekannten Raum in der hinteren Ecke des Erdgeschosses. Schon durch die Tür drang lautes Gemurmel zu ihnen nach draußen, als Adrian sie aufstieß, schwoll der Geräuschpegel mit einem Schlag noch mehr an.

Vorne, an dem fest installierten Rednerpult, stand Lazarus und war von den anderen Mitgliedern der Special Task Force umringt. Einige redeten lautstark auf ihn ein, während er versuchte, sie zu beruhigen.

»Meine Freunde«, dröhnte seine laute Stimme durch den Raum. »Wir warten noch, bis alle da sind. Dann fangen wir gemeinsam mit der Diskussion an.«

»Wer fehlt denn noch?«, zischte eine Savers-Frau und verschränkte die Arme.

Ohne auf die Frage zu antworten, erhob Lazarus die Stimme.

»Wie wäre es, wenn ihr euch alle schon mal einen Sitzplatz sucht? Wie mir scheint, kann das eine Weile dauern, bis all eure Anliegen geklärt sind.«

Unter aufgebrachtem Gemurmel nahmen die Anwesenden ihre Plätze ein. Ein paar wenige trudelten noch ein, doch dann trat Lazarus an das Pult und räusperte sich.

»Vielen Dank, dass ihr alle so spontan hierher gekommen seid. Vor allem, weil wir uns heute bereits beim Training gesehen haben. Im Anschluss daran haben mich einige unserer Mitglieder angesprochen, dass sie eine Häufung von Manipulationen bemerkt haben, dies jedoch kaum berücksichtigt zu sein scheint.«

»Darf ich dazu etwas sagen?«, meldete sich ein männlicher Saver zu Wort. Er hob zwar geduldig den Arm, sein Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass er kurz vorm Platzen war.

Lazarus nickte. »In Ordnung, James.«

Der Mann stand auf und drehte sich so, dass jeder ihn möglichst frontal sehen konnte. »Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber so langsam bekomme ich Panik. Ja, ich bin hier in der Special Force und bin stresserprobt. Aber allmählich zerrt es an den Nerven. Immer mehr unserer Kollegen haben vor lauter Angst Euphoria verlassen. Wir sind enorm dezimiert, müssen unseren Nachwuchs und traumatisierte Saver aktivieren, um einigermaßen gut aufgestellt zu sein. Die neuen Teams, wie die Wächter oder die Trainingsingenieure, sind wichtig und machen ihren Job gut, dagegen möchte ich nichts sagen. Aber anstatt das Retten zu üben, sollten wir meiner Meinung nach endlich damit anfangen, richtiges Kampftraining durchzuführen.«

Eine Frau meldete sich, stand jedoch ohne Aufforderung durch Lazarus auf und nickte heftig.

»Dem kann ich mich nur anschließen. Auf der Erde finde ich ohne großes Suchen immer mehr Ereignisse, bei denen sich Unglücke aufgrund von Manipulationen ereignen. Meist nichts Schlimmes, kaum der Rede wert. Manchmal muss man sogar ein wenig nachforschen, bis man eine Fremdeinwirkung feststellen kann. Aber tausend Nadelstiche können einen irgendwann auch ans Ende bringen.«

Adrian beugte sich zu Louis und David. »Komisch. Wir haben vorhin gerade darüber gesprochen, dass es verhältnismäßig ruhig ist. Haben wir einfach nicht aufgepasst, oder haben die anderen nur ein gutes Gespür dafür, wo man suchen muss?«

Mittlerweile war ein weiterer männlicher Saver aufgestanden.

»Die Unverstandenen hatten nun schon so lange Zeit, sich zu sammeln. Wir wissen nicht, wie viele von uns noch zu ihnen übergewandert sind. Oder wie viele verstorbene Menschen sie auf ihre Seite ziehen konnten.« Daraufhin schwoll ein Raunen an und der Mann fuhr fort. »Ja, das glaube ich wirklich. Wenn sie ihre eigenen Welt als Rückzugsort erstellen konnten, dann werden sie auch einen Weg gefunden haben, das Auswahlverfahren von Euphoria abzukupfern und Verstorbene zu sich holen zu können. Ich denke da an die richtig schweren Jungs. Mörder, Gewaltverbrecher, Warloards, Bandenchefs – solche Leute eben. Und wenn die mal in Fahrt kommen, dann haben wir verloren, das kann ich euch sagen.«

Wie erstarrt saßen David, Louis und Adrian auf ihren Plätzen. Auf Lazarus‘ Stirn bildete sich eine tiefe Furche. »So weit würde selbst Nathanel nicht gehen«, sagte er langsam. Doch offensichtlich schien ihn dieser Gedanke zu beunruhigen.

Adrian hob den Arm und Lazarus deutete auf ihn. »Ja, Bitte.«

Tief Luft holend erhob sich der junge Saver und ließ seinen Blick schweifen. »Es wundert mich ein wenig, dass ihr von solch häufigen Vorfällen berichtet. Wir drei haben auch Unverstandene gesehen, gerade eben erst. Und doch kam es mir persönlich so vor, als wäre seit dem Drama in dem Tunnel ein wenig Ruhe eingekehrt. Die Rückkehr Leopolds, die Erkenntnis, dass Eleazar im Hintergrund die Fäden mit in der Hand hält, und all die ehemaligen Freunde aus Euphoria, die uns mitunter sogar willentlich hintergangen haben. Mir kam es so vor, als würden beide Seiten erst einmal Luft holen müssen, bevor es zu den großen Aktionen kommt.«

James, der Saver, der zuerst gesprochen hatte, hob wieder die Hand.

»Wenn ich darauf kurz antworten darf: Bis vor einer Woche war ich ebenfalls dieser Meinung. Gerade, weil es andauernd nur Kleinigkeiten sind, die vor sich gehen. Nicht mehr diese Aktionen wie mit dem Schlafmittel und dem anschließenden Steinhagel. Aber ich vermute, sie holen aktuell zu einem großen Rundumschlag aus. Und wenn wir uns nicht endlich darauf vorbereiten, wird es uns mehr als hart treffen.«