Schatten des Erfolges - Petra Picard - E-Book

Schatten des Erfolges E-Book

Petra Picard

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Beschreibung

Immer noch ein Tabuthema "Homosexualität" bei Fußballern. Nur wenige haben den Mut sich zu outen. Welchen Lauf das Leben nehmen kann, wenn man nicht den Mut hat, erzählt dieses Buch.

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Seitenzahl: 357

Veröffentlichungsjahr: 2023

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„Der Mensch ist frei geboren und liegt doch überall in Ketten.“

(J. J. Rousseau) 

Petra Picard

Schatten des Erfolges

Geheimnisse in der 1. Liga

Der Roman ist frei erfunden, eventuelle Ähnlichkeiten oder Parallelen zu Personen des wahren Lebens sind reiner Zufall.

© 2023 Petra Picard

ISBN Softcover: 978-3-347-86720-8

ISBN Hardcover: 978-3-347-86721-5

ISBN E-Book: 978-3-347-86722-2

ISBN Großschrift: 978-3-347-86723-9

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Volker Weiß hat sich auf die Interessenvertretung von Sportlern, vorwiegend Fußballern, spezialisiert und ist in diesem Business sehr erfolgreich. Ganz besonders freut es ihn, einen hochtalentierten Jungen des 1. Liga-Clubs unter Vertrag zu haben. Ulf Louis zählt zu den neuen Sternen am Fußballhimmel.

„Junge, ich bring Dich ganz groß raus. Du musst nur Fußball spielen und Top-Leistungen bringen, den Rest mache ich. Du wirst der Beste, das spüre ich“, versichert der Manager ihm. Er klopft Ulf auf die Schulter und verlässt die Kabine. So eindrucksvoll die Erscheinung von Volker Weiß ist, groß, kräftig, graues Haar, Dreitagebart und immer mit Handy, er versteht es, auf eine väterliche Art, seine Schützlinge an sich zu binden und ihr Vertrauen zu gewinnen.

Ulf glaubt es kaum. Bis vor kurzem noch, kickte er bei einem drittklassigen Verein und nun hat er den Sprung in die 1. Liga geschafft. Er spielt bei DEM Topp-Club und sie sind Tabellenführer. Bisher konnte er in jedem Spiel einen Einsatz verbuchen. Zwar nicht von Anfang an, aber, der Trainer wechselte ihn meist zum Beginn der zweiten Hälfte ein.

Ulf weiß, dass er gut ist. Fußball ist seine Leidenschaft. Es fällt ihm leicht, Leistung zu bringen, weil es unendlich viel Spaß macht, Tore zu schießen. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

Schnell verlässt er die Kabine, um keine Sekunde zu verpassen.

Das Training ist wie immer hart. Der Trainer verlangt den Jungs einiges ab. Aber, sie sindProfis und zählen zu den Besten, also Zähne zusammenbeißen und durch.

Nach der harten körperlichen Ertüchtigung herrscht in der Kabine jedes Mal ausgelassene Stimmung. Sie albern herum, wie kleine Jungs.

Ulf vergisst in diesen Momenten sein Problem und fühlt sich pudelwohl bei der Mannschaft. Das Geheimnis, das er mit sich herumträgt, belastet ihn Tag aus Tag ein und darf unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen. Selbst sein Manager ahnt nichts.

Das ist der Preis, den er bereit ist, für eine Karriere als Fußballprofi zu bezahlen. Sein Privatleben wird niemals so sein, wie er es sich wünscht. Egal wie viel Geld er verdient.

Auf das Spiel am Samstag freut er sich schon seit langem. Der Gegner ist einer der Top-Vereine in der spanischen Liga. Wenn er sich bei dieser Partie beweisen kann und es ihm gelingt, ein Tor zu schießen, dann stellt der Trainer ihn beim nächsten Spiel von Beginn an auf, da ist er sich sicher.

Der Manager hat für Ulf einen lukrativen Werbevertrag an Land gezogen. Volker Weiß macht seinen Job wirklich gut. Er versteht es, Ulf außerhalb des Spielfeldes in Szene zu setzen. Heute stehen Werbeaufnahmen für einen Männerduft auf dem Programm. Bei diesem Spot soll Ulf nichts tragen als den Slip und den Duft einer bekannten Marke.

Es ist der erste Werbespot, bei dem Ulf seinen Körper so zur Schau stellt und er ist daher megaaufgeregt.

Am Set angekommen nimmt ihn der Visagist sofort unter seine Fittiche.

Als Ulf nur mit diesem Slip bekleidet vor ihm steht, entgeht es ihm keineswegs, dass er ihn auffallend lange und intensiv einschmiert. Regelrecht mulmig wird Ulf zu Mute. Er findet diesenVisagisten vom ersten Augenblick an sympathisch. „Ich bin der Timo“, stellt er sich vor und nimmt Ulf mit ein paar lockeren Sprüchen die Verkrampftheit. Schnell spüren beide, die gleiche Wellenlänge. Timo fasst sich ein Herz und fragt Ulf frech heraus, ob er am Abend schon etwas vorhat. Falls nicht, würde er ihn gerne zu einem Drink einladen.

Perplex und etwas überrumpelt von der direkten Art willigt Ulf ein.

„Okay, treffen wir uns im Palais.“

„Super, 20 Uhr?“, lächelt Timo.

„Ja, 20 Uhr ist ok“, bestätigt Ulf.

An der Tür räuspert sich Manager Weiß.

„Wie weit seid ihr? Kommt Jungs, die Leute draußen warten.“

Weiß wirft Ulf einen grimmigen Blick zu. Was er da eben gehört hat, gefällt ihm absolut nicht.

Die Aufnahmen machen Spaß und kommen gut voran. Ulf bewegt sich vor der Kamera sehr professionell.

„Ein richtiges Naturtalent“, meint der Fotograf.

Weiß entgeht nicht, dass dieser Visagist im Hintergrund steht und Ulf ungeniert anhimmelt.

Schwuchtel, denkt er. Der soll bloß die Finger von seinem Goldjungen lassen!

„So, noch ein paar Aufnahmen im Profil und die Bilder sind im Kasten“, ruft der Fotograf begeistert.

Die Session hat fast zwei Stunden gedauert. Ulf kommt gutgelaunt in die Garderobe, um sich umzuziehen. Dort erwartet Volker Weiß ihn schon ungeduldig und funkelt ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

„Sag mal Junge, ich habe zwar nicht gelauscht, aber ich habe mitbekommen, dass Du Dich heute Abend mit diesem Visagisten treffen willst.“

„Ja, wir gehen etwas trinken.“

„Das kannst Du nicht bringen, das ist ne Schwuchtel.“

Ulf fühlt sich ertappt, wird rot und weicht dem Blick des Managers aus.

„Hey Junge, wenn Dich jemand mit dem sieht, der zählt eins und eins zusammen und schon hast Du einen Namen weg. Das geht nicht! Du sagst ihm ab! Jetzt gleich! Denk an Deine Karriere und Deinen Ruf.“

Weiß ist megawütend und macht Ulf deutlich, dass er keine Widerrede duldet. Trotzdem versucht Ulf, zu beschwichtigen:

„Wir gehen doch nur etwas trinken.“ Ihm wird in diesem Moment klar, dass das Leben, so wie er es bisher gelebt hat, vorbei ist. Es herrschen jetzt andere Regeln. Regeln, die sein Manager ihm aufstellt und die dazu dienen, ihn in der Öffentlichkeit so zu präsentieren, wie die Fans ihn gerne sehen.

„Sag mir jetzt bitte nicht, dass Du auch vom anderen Ufer bist.“ Weiß wird blass, als Ulf sich nicht gleich verteidigt. Stattdessen sagt er kleinlaut: „Ach komm, lassen wir das.“

Aus irgendeinem Grund möchte Ulf Timo nicht absagen. Es wird nichts passieren. Vielleicht ist es die Sturheit gegenüber dem Manager. Es kann doch nicht sein, dass dieser Mann in Zukunft über sein komplettes Privatleben wacht und verfügt.

Weiß verlässt kopfschüttelnd und ohne weitere Worte die Garderobe.

Deprimiert von dem Vorfall fährt Ulf nach Hause und springt sofort unter die Dusche, um sich dieses ölige Zeug abzuwaschen. Anschließend packt er ein paar Kisten und schlägt die Zeit tot, bis es endlich so weit ist, und er sich auf den Weg ins Palais machen kann.

Volker Weiß hat ihm eine neue Wohnung besorgt, genauer gesagt, ein Haus. Standesgemäß, wie er sich auszudrücken pflegt.

„Junge, Du kannst jetzt nicht mehr in so einer Gegend wohnen, Du musst dahin, wo Leute mit Geld sind. Du bist jetzt einer von denen“, hat er zu ihm gesagt.

Ulf gefällt die Gegend, in der er momentan wohnt recht gut. Es gibt nichts daran auszusetzen. Es ist eine Wohnsiedlung mit schönen, gepflegten Einfamilienhäusern. „Es wohnen nur normale Leute dort“, hat Weiß im eingebläut.

Da Ulf gewillt ist alles, was der Karriere förderlich ist zu tun, packt er sein Hab und Gut in Kisten und ist bereit umzuziehen. Nur diese eine Sache mit Timo heute, die zieht er durch. Es kann nicht sein, dass er sich Vorschriften machen lässt, mit wem er sich wann trifft. Obwohl er über die Worte des Managers nachdenkt und sich so etwas wie Einsicht breitmacht, will er sich dieses eine Mal mit Timo treffen.

Der sitzt bereits an der Bar und wartet auf ihn, als Ulf das Palais betritt. Er steht sofort auf und winkt Ulf zu.

Es entsteht ein nettes, lockeres Gespräch und der Abend verläuft harmonisch.

Ulf entgehen die Blicke der weiblichen Gäste keineswegs. Sie schmachten ihn regelrecht an. Das Palais ist eines der beliebtesten Clubs der Stadt. Hier wimmelt es nur so von Frauen. Er ist der Newcomer am Fußballhimmel und die Damenwelt hat ihn mittlerweile durchaus wahrgenommen und liegt ihm zu Füßen. Ulf gibt ein paar Autogramme. Frauen gehören schließlich auch zu seinen Fans und Fans kann man nie genug haben. Als die Mädchentraube immer größer wird, schlägt Timo genervt vor, zu gehen und noch ein Glas Wein bei ihm zu Hause zu trinken.

Ulf ist sofort damit einverstanden. Er befreit sich vorsichtig von seinen weiblichen Fans und verabschiedet sich höflich. Im Palais ist heute Abend an Privatsphäre nicht mehr zu denken. Die Worte seines Managers huschen ihm durch den Kopf.

Wenn sie hierbleiben, wird es unmöglich sein, sich ungestört zu unterhalten. Und das ist es doch, was beide wollen. Ulf ist bereit, diesen Visagisten näher kennenzulernen. Also ist es sowieso besser, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

Es bleibt bei einem Glas Wein. Timo ist sich der Situation, in der Ulf sind befindet bewusst. Er steht unter Beobachtung. Egal, was er tut, bekommt ein Reporter Wind davon, kann man es am nächsten Tag in der Zeitung lesen. Timo hat nicht vor ihn in Schwierigkeiten zu bringen und überlässt es Ulf, wie weit er bereit ist zu gehen. Wenn es an diesem Abend bei einem Glas Wein bleibt, dann ist das ok für Timo. Er wird ihn nicht drängen. Er ist sich ja nicht mal sicher, ob Ulf überhaupt bereit für mehr ist.

Timo ist glücklich, als Ulf ihm beim Verabschieden seine Handynummer gibt.

***

Verschlafen schaut Ulf auf sein Handy. 8 Uhr morgens, verdammt, wer klingelt ihn um diese Zeit aus dem Bett?

Schlaftrunken stapft er zur Tür und erblickt Volker Weiß, seinen Manager.

Bevor Ulf die Tür ganz öffnen kann, ist der schon in der Wohnung und stürmt an ihm vorbei ins Wohnzimmer.

„Guten Morgen“, ruft Ulf gereizt.

„Guten Morgen“, erwidert Weiß barsch. Fast ohne Luft zu holen, spricht er im gleichen Tonfall weiter: „Ich habe Dir doch gesagt, Du sollst das Date mit dieser Schwuchtel absagen. Hättest Du es mal besser gemacht. Du bist gesehen worden. Das alleine wäre ja nicht schlimm, aber derjenige, der Dich gesehen hat, weiß zufälligerweise, dass dieser Typ mit, dem Du zusammen an der Bar gesessen hast, ein Homo ist. Mensch Ulf, was hast Du Dir dabei gedacht? Du kannst von Glück sagen, dass diese ganzen Mädels um Dich herumgeschwirrt sind, sonst hätten wir ein fettes Problem. Ich sage es Dir jetzt zum letzten Mal, lass die Finger von diesem Kerl.“

„Ja, ist ja schon gut.“ Ulf kommt sich hilflos vor. Die Situation ist ihm peinlich und insgeheim weiß er, dass Volker Weiß recht hat.

„Junge versteh doch, Du kannst keinen Schritt mehr machen, ohne zu überlegen. Du bist eine öffentliche Person. Dein Leben wird von denen durchleuchtet und kommentiert, Du hast kein richtiges Privatleben mehr. Das ist der Preis für Deine Karriere. Wenn Du nicht bereit bist, den zu zahlen, dann kannst Du gleich alles an den Nagel hängen. Dann vergessen wir alles und du kickst wieder in einem Drittligaverein.“

„Ist ja schon gut, hör auf. Ich habs kapiert. Aber sag mir bitte mal, was ich machen soll?“, schreit Ulf ihn verzweifelt an.

„Wie meinst Du das?“ Weiß guckt ihn fragend an.

„Na ja, Du hast mich gestern gefragt, ob ich….“, Ulf druckst herum. Er muss bei Weiß mit offenen Karten spielen. Es nutzt nichts, sich zu verstellen.

„Ich habe Recht“, ruft Weiß fassungslos und schlägt seine Hände vors Gesicht.

„Ich habe tatsächlich Recht“, ruft er wieder.

„Ja“, antwortet Ulf kleinlaut, „was soll ich machen?“

„Was Du machen sollst? Junge, wir müssen sofort handeln und eine Frau für Dich finden. Eine, die diesen ganzen Mist mitmacht, sonst kannst Du alles vergessen.“

Weiß ist außer sich, was denkt dieser Emporkömmling sich nur? Nicht auszudenken, wenn die Presse davon Wind bekommt.

„Also pass auf! Es ist nun mal, wie es ist. Du hast es mir mehr oder weniger gebeichtet. Gelangt jedoch etwas an die Öffentlichkeit, weiß ich offiziell von nichts, dass das klar ist. Verdammt noch mal, reiß Dich zusammen. Die Fans wollen einen sportlichen, attraktiven, erfolgreichen jungen heterosexuellen Mann sehen und keine Schwuchtel.“

„Ja ich, hab verstanden.“, antwortet Ulf auf diese krasse Ansage.

„Ich bastle Dir ein lupenreines Privatleben zusammen, aber Du musst mitmachen und mir versprechen, dass Du Dich an sämtliche Abmachungen hältst. Verstanden?“

„Ja ich verspreche es.“

„Ich höre Dich nicht.“

Etwas lauter ruft Ulf: „Ich verspreche es.“

„Ok. Ich kümmere mich. Ich habe da schon so eine Idee.“

Weiß bewegt sich zur Tür. Ulf bekommt ihn am Ärmel zu fassen und hält ihn fest: „Sagst Du mir vielleicht, was Du vorhast, immerhin geht es hier um mein Leben.“

„Das erfährst Du noch früh genug. Schau, dass Du den Kopf frei hast für das Spiel am Samstag. Du weißt, dass Du einen großen Sprung nach oben machen kannst, wenn Du in diesem Spiel punktest?“

„Klar weiß ich das.“

Weiß ist weg und Ulf hat sich wieder gefangen. Es ist ihm egal, was der Manager vorhat. Was immer er von ihm verlangt, er wird es tun. Er träumt von einer großen Karriere und er wird es nicht zulassen, dass die Neigung zu Männern ihm diesen Traum verbaut. Er hat sich vorgenommen, einer der Besten zu werden. Mehr, er will DER Beste werden.

Hoffentlich hat der Junge den Ernst der Lage verstanden, sinniert Volker Weiß unterdessen genervt. In Gedanken geht er einige Optionen durch, mit denen er Ulf ein perfektes Privatleben verschaffen kann.

***

Das Stadion ist voll besetzt rund 70.000 Zuschauer, eine Kulisse, wie man sie sich wünscht. Schon vor dem Spiel fegt die La-Ola-Welle über die Tribünen und die Sprechchöre hallen durch die Arena. Die Stimmung ist überwältigend.

Ulf ist nervös, denkt an die Worte des Managers. Er wird nichts unternehmen, was der Karriere schadet.

Die spanische Mannschaft gewinnt die Seitenwahl und der Schiedsrichter pfeift wenige Minuten später die Partie an.

Ulf sitzt, wie erwartet, auf der Bank. Der Trainer hat ihm gestern im Training signalisiert, dass er spielen wird, also hofft Ulf auf einen Einsatz in der zweiten Hälfte. Er rutscht ungeduldig hin und her. Stillsitzen ist heute unmöglich, nicht in diesem Stadion bei dieser Stimmung. Er fühlt sich wie in einem Hexenkessel. Selbst beim Zuschauen spürt er, wie sein Adrenalinspiegel steigt.

Der Trainer gibt kurz vor dem Spiel, in der Kabine, die Anweisung, von Anfang an auf Angriff zu gehen. Totale Offensive, direktes Nachgehen, kein Zurückziehen.

Und so spielen sie auch. Dann in der 20. Minute ein böses Foul eines spanischen Verteidigers. Lucas liegt im Strafraum und krümmt sich vor Schmerzen. Ein greller Pfiff des Schiedsrichters, der unmittelbar die Rote Karte zückt und auf den Elfmeterpunkt zeigt. Wenige Sekunden später eilen die Sanitäter mit der Trage auf den Platz, um Lucas medizinisch zu versorgen.

„Ulf mach Dich fertig. Du gehst rein“, ruft der Trainer.

Der Schiedsrichter steht bei den Helfern, die Lucas notdürftig verarzten. Es ist offensichtlich, dass er nicht mehr weiterspielen kann.

So früh wurde Ulf noch nie eingewechselt. Und dann als einzige Sturmspitze gegen so einen starken Gegner. Er schaltet die Gedanken aus und den Tunnelblick ein. Diese Fähigkeit beherrscht er. Er kann bei einem Spiel alles ausblenden, was von außen an ihn herankommt. Er spielt wie in einer großen Blase. Nichts lenkt ihn dann ab. Er sieht nur noch das Grün des Rasens, den Ball und das gegnerische Tor.

Marco, sein Mannschaftskollege, verwandelt den Elfer souverän in die linke obere Ecke. Unhaltbar. In der 25. Minute steht es 1:0.

Sie bauen weiter Druck auf und stürmen nach vorne. Dann folgt Ulfs erster Ballkontakt, bei dem er eine Flanke zu Marco schlägt, der den Ball an die Latte knallt.

„Weiter, weiter, kommt Jungs, nicht nachlassen“, ruft der Trainer von der Außenlinie.

Sie kämpfen wie die Löwen, alles spielt sich vor dem gegnerischen Tor ab. Diesmal bekommt Ulf eine Flanke von Marco, die er zum 2:0 verwandelt.

Die Mannschaftskameraden laufen zu Ulf und gratulieren ihm überschwänglich. Ein Traumtor, unhaltbar. Das Stadion droht auseinanderzubrechen und auf den Tribünen tobt die La-Ola-Welle. Der Stadionsprecher verkündet den Schützen und Ulf genießt es, wie die Zuschauer seinen Namen laut herausschreien: „Ulf Louis“.

Kurze Zeit später erhält der Gegner eine Torchance. Er nutzt die überschwängliche Euphorie der Jungs, den Moment, in dem die Konzentration nachlässt, gnadenlos aus und schießt ein Tor.

Fast gelingt es Ulf, vor dem Halbzeitpfiff ein weiteres Tor zu erzielen, doch der Ball wird vor dem Tor abgefälscht und fliegt nur an den Pfosten.

Kurz darauf kündigt der schrille Pfiff des Schiedsrichters die Halbzeitpause an.

Auf dem Weg in die Kabine sickert durch, dass Lucas einen Wadenbeinbruch erlitten hat. Die Chance auf einen Einsatz hat Ulf sich eigentlich anders vorgestellt. Er will Lucas weder vertreten noch ersetzen. Viel lieber würde er an seiner Seite stürmen und Tore schießen.

Der Trainer gibt ihm einige taktische Anweisungen und lässt ihn wissen, dass er sehr zufrieden mit seinem Spiel ist.

In der zweiten Halbzeit läuft die Mannschaft unverändert auf. Die Gegner hingegen haben zwei Auswechslungen vorgenommen. Sie mussten reagieren, denn sie liegen 2:0 zurück, was mehr als gerechtfertigt ist.

Der Schiedsrichter pfeift die zweite Spielhälfte an. Die Gäste machen Druck. In der Kabine gab es heftige Worte der Kritik von ihrem Trainer.

Ulf und die Mannschaft legen noch einen Zahn zu. Sie spielen wie von einem anderen Stern. Trotz des hohen Tempos, das die Jungs der spanischen Liga vorgeben, dominieren Ulf und sein Team das Geschehen auf dem Platz.

Bis zur 75. Minute bleibt es beim 2:0. Dann verwandelt Ulf einen Eckball von Marco. Er springt hoch und köpft den Ball unhaltbar ins linke obere Eck. Wieder ertönt der Stadionsprecher und die Menge schreit: „Ulf Louis“.

Er genießt diesen Augenblick, in dem fast 70.000 Menschen seinen Namen laut in die Nacht schreien.

3:0 mit diesem Traumergebnis endet die Partie und der Trainer ist zufrieden mit seinen Jungs.

Kurz bevor Ulf in der Kabine verschwindet, gibt er sein erstes Interview als Torschütze.

Obwohl die Reporter immer die gleichen Fragen stellen und er diese Interviews einfach nur nervig findet, macht es ihm heute überhaupt nichts aus. Er saugt jede einzelne Silbe, die er oder sein Interviewpartner von sich geben, in sich auf. Zum Abschluss bedankt er sich bei den Fans für die Superstimmung und läuft ihnen zuwinkend vom Platz in die Kabine. Die Mannschaft ist bereits ausgelassen am Feiern.

Beim Eintreten wird Ulf mit einer Bierdusche empfangen. Sogar der Trainer hat sein Jackett ausgezogen und wird mit Bier abgeduscht. Sein sonst so tadelloses, weißes Hemd ist komplett durchnässt.

Wenig später bricht die Mannschaft auf, um in ihrem Stamm-Club in der Stadt, den sensationellen Sieg zu feiern. Jeder hat seine Frau oder Freundin im Schlepptau. Ulf dagegen ist alleine. Er ist erst 21 Jahre und konzentriert sich auf seine Karriere, diese Erklärung wird er abgeben, falls ihn jemand darauf anspricht, warum er kein Mädchen hat.

Das Team sitzt in der Ecke des Clubs beisammen, die immer für die Mannschaft reserviert ist. Es fällt schnell auf, dass da jemand steht, der so gar nicht dazugehört.

Ulf dreht sich um und sieht sich Timo gegenüber.

„Was machst Du denn hier?“, herrscht er ihn an.

„Keine Angst, ich bin zufällig hier, hab Dich gesehen und gedacht, ich gratuliere Dir zu Deinem Superspiel heute.“ Timo lächelt ihn gequält an. Ulfs barscher Ton ist ihm keineswegs entgangen.

„Danke.“, sagt Ulf verhalten und wendet sich sofort von ihm ab.

Timo kapiert schnell, dass Ulf die Situation peinlich ist, und verzieht sich schmollend.

„Was war das denn für einer?“, fragt Marco, der die Szene beobachtet hat.

„Ach dieser Visagist von der Werbekampagne letzte Woche.“ Ulf plagt sein Gewissen, er fühlt sich regelrecht ertappt.

„Er wollte mir nur gratulieren, hat das Spiel gesehen“, fügt er schnell hinzu und denkt wieder an die mahnenden Worte von Volker Weiß.

„Na, wenn der nichts von Dir will, dann weiß ich es nicht. Wie der Dich angesehen hat“, prustet Marco so laut heraus, dass es fast die ganze Meute mitbekommt. Ulf verdreht theatralisch die Augen und lacht lauthals mit.

Timo ist zutiefst gekränkt. Ulf hat sich ihm gegenüber unmöglich benommen, dabei wollte er ihm nur gratulieren. Und dann hat er sich mit den anderen über ihn lustig gemacht.

***

Ulf wacht am nächsten Morgen schweißgebadet auf. Er hat schlecht geschlafen. Trotz seines souveränen Spiels kann er sich nicht so recht freuen. Die Begegnung mit Timo gestern Abend im Club empfand er als absolut unangenehm. Nicht auszudenken, wie die Jungs reagieren, wenn sie erfahren würden…. Nein, diesen Gedanken schiebt er sofort von sich. Er wird sich eine Freundin suchen. Es muss möglich sein mit einer Frau….

Vielleicht eine Fernbeziehung oder ein Mädchen, das beruflich eingespannt ist und wenig Zeit hat. Irgendetwas, was er in der Öffentlichkeit als eine Art Beziehung präsentieren kann.

Gleich heute Abend wird er es angehen. Die Mannschaft ist zum Geburtstag des Co-Trainers eingeladen. Dort trifft er hoffentlich auf eine Frau, die nicht kreischend auf ihn zugelaufen kommt und scharf auf ein Autogramm ist.

Ulf erschreckt, als das Telefon klingelt und ihn aus seinen Gedanken reißt.

„Ja?“

Am anderen Ende meldet sich Manager Weiß, der nach Ulfs Geständnis ziemlich beunruhigt ist.

„Hallo Ulf, die Aufnahmen sind super geworden, in der Stadt hängen die ersten Plakate und in einigen Zeitschriften ist die Werbung die kommende Woche auch schon. Wollte ich Dir nur kurz sagen. Wir sehen uns heute Abend bei Gerd. Bis dann.“

Ulf kommt gar nicht zu Wort. Aber das ist nichts Neues, so ist Weiß, immer beschäftigt und in Eile.

Die Plakate hängen schon in der Stadt? Ulf eilt in die Garage und steigt in seinen Sportwagen, eine schwarze, flache Flunder, den er sich vom Vorschuss der Werbefirma gekauft hat.

Er will sehen, wie er überall in der Stadt, in Übergröße, von Plakatwänden strahlt.

Er, der in der Schule immer gehänselt wurde, weil er anders war. Er, der nie die besten Noten schrieb, außer in Sport. Er, der gerade so eine Lehre zum Konditor geschafft hat.

Er lächelt ab heute von riesigen Werbeplakaten, die alle sehen können. Auch sein Vater, der ihn wegen seiner Neigung verstoßen hat und der Mutter mit diesem Verhalten fast das Herz gebrochen hat.

Ulf traut seinen Augen nicht. So groß hat er sich die Werbefläche nicht vorgestellt. Wow, er ist begeistert. Ein flaues Gefühl durchfährt seine Magengegend. Er sieht Mädchen davorstehen, die das Plakat sogar abfotografieren.

„Diese Girls sind wahnsinnig“, flüstert Ulf vor sich hin und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nicht auszudenken, wenn er jetzt anhalten und aussteigen würde.

Eine kurze Spritztour über die Autobahn, dann fährt er wieder nach Hause. Er muss unbedingt noch ein paar Kisten mit privaten Sachen packen, diese Woche kommt die Umzugsfirma.

***

Weiß blättert unterdessen sein Adressbuch durch, und sucht verzweifelt die Nummer dieser kleinen, die unbedingt Modell werden will. Ah, ja, da ist sie. Er tippt sie sofort in sein Handy.

„Spelz.“, meldet sich eine angenehme Stimme.

„Volker Weiß, hallo Tatjana.“

„Hallo Volker. Schön, dass Du Dich mal wieder meldest.“

„Ja, ich weiß es ist schon etwas her. Ich war sehr beschäftigt. Du weißt ja…“

„Wie geht es Dir?“

Tatjana ist immer gut drauf und ein sehr höfliches, gut erzogenes Mädchen.

„Du pass auf, ich gehe heute Abend auf so eine Feier. Fußball, Trainergeburtstag und so weiter. Ja und da habe ich gedacht, ich könnte Dich mitnehmen. Vielleicht lernst Du jemand Nettes kennen. Alles gut bezahlte Profis…. Oder hast Du im Moment jemanden?“

„Lieb, dass Du an mich denkst. Nein, ich habe im Moment niemanden. Du weißt ja, auf was ich warte.“

„Ja, ich weiß“, bestätigt Volker und lacht.

„Lass Dich überraschen“, sagt er, „ich hol Dich um 20 Uhr ab, ok?“

„Na da bin ich aber gespannt. Ich freue mich.“

„Ich auch, bis später.“

Weiß legt auf und reibt sich die Hände. Er beschließt, Tatjana vorerst mal nicht zu sagen, dass Ulf nicht auf Frauen steht. Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung für den Jungen. Wenn er das Mädel sympathisch findet, kann es mit den beiden eventuell klappen.

Ist das nicht der Fall, muss Tatjana kooperieren. Ulf braucht eine Frau und sie will, koste es, was es wolle, in der Öffentlichkeit stehen. Wenn reichen die zwischenmenschlichen Beziehungen und sie können einen Deal miteinander eingehen.

***

Der Abend nähert sich und Ulf wird immer nervöser. Er ist fest entschlossen, sich nach einer Freundin umzusehen. Sein ‚erstes Mal‘ war mit einer Frau. Damals ahnte er noch nicht, dass er auf Männer steht.

Er war enttäuscht und konnte die Jungs aus seiner Klasse nicht verstehen, die damit prahlten, ein Mädchen flachgelegt zu haben. Also beließ Ulf es bei dem einen Mal.

Später dann, als er in der Lehre war, hatte er ein Verhältnis mit Philipp, dem Gesellen in der Backstube. Damals verheimlichte Ulf diese Beziehung bereits und sie kam nicht heraus. Das Ganze scheiterte, weil Ulf, wegen des Sports, zu wenig Zeit für Philipp hatte. Er stellte stets die Karriere vorne an.

Seitdem hat er sich auf keine Liebelei mehr eingelassen.

Frauen sind tabu. Das mit Philipp ging tiefer und hatte sein Herz berührt.

Heute ist er abermals bereit sein Gefühlsleben der Karriere wegen hintenanzustellen und ist fest entschlossen, es noch einmal mit einer Frau zu versuchen. Möglich, dass das Mädchen von damals nicht das Richtige war. Verdammt, er muss eine Freundin präsentieren, wenn er sich nicht alles vermasseln will.

Um kurz vor 20 Uhr verlässt er das Haus.

***

Gerd, der Co-Trainer hat die Mannschaft samt Begleitung, viele Manager, Freunde und einige Reporter eingeladen.

Er ist ein guter Trainer und ein toller Mensch. Früher selbst ein hervorragender Fußballer, ist er heute ein bisschen in die Jahre gekommen. Es fehlt ihm ein wenig der Drive. Das Gerücht, er leide an Depressionen, macht öfter die Runde. Aber er versteht seinen Job und das ist die Hauptsache.

Langsam trudeln die Gäste ein.

Weiß fährt vor, steigt aus, geht um das Auto und öffnet Tatjana die Tür, die elegant aus dem Wagen steigt. Sie sieht bezaubernd aus in ihrem schwarzen Etuikleid, welches ihre Figur vorteilhaft in Szene setzt. Dass sie es noch nicht zum Modell geschafft hat, liegt einzig und allein an ihrer Größe. Mit eins siebzig ist sie definitiv zu klein für diesen Job. Weiß ist das klar, aber Tatjana will es nicht wahrhaben. Sie sagt immer, die Größe spielt keine Rolle, es gibt einige Modells, die nicht die vorgegebenen Gardemaße besitzen.

Ulf trifft kurz nach den beiden ein.

Die Mannschaft hat ein besonderes Geschenk für Gerd. Sie schenken ihm ein paar Runden in einem echten Formel 1 Wagen, inklusive persönlicher Betreuung von einem Formel 1 Weltmeister, der ihn soweit fit macht, dass er solch einen Wagen wenigstens ein oder zwei Runden bewegen kann.

Das Ganze wird mit großem Tamm Tamm, ganz feierlich, in Form eines Gutscheins, von Kapitän, Marco, übergeben.

Gerd Wegener freut sich wie ein kleiner Junge. Mit diesem Geschenk geht ein langgehegter Traum für ihn in Erfüllung.

Nachdem alle, die meinen eine Rede halten zu müssen, dies getan haben, ist der offizielle Teil beendet und das Büffet wird eröffnet.

Weiß will sich grade zu Ulf gesellen, der jedoch vom Trainer zur Seite genommen wird.

Tatjana zupft Weiß am Ärmel und meint:

„Dir ist schon klar, dass hier alle mit einer Freundin oder Frau da sind, oder?“

„Nicht alle Süße, nicht alle. Ich stelle Dir gleich jemanden vor, den Du seit heute auf sämtlichen Plakatwänden der Stadt bewundern kannst. Und das Beste, er ist noch zu haben. Die Betonung liegt auf NOCH, die Mädels stehen Schlange bei ihm.“

„Sag bloß…. Du meinst Ulf Louis?“

„Genau den meine ich“, zwinkert Weiß ihr zu.

„Der ist Single? Oh Gott, dann ist er bestimmt so ein Arsch, der jede Nacht eine andere hat.“ Tatjana verzieht das Gesicht.

„Nein, ist er nicht. Er konzentriert sich seine Karriere. Und glaub mir, er hat eine Große vor sich.“

Den Köder hat Weiß ausgelegt und Tatjana hat bereits angebissen. Jetzt muss nur noch Ulf anbeißen, dann hat er perfekte Arbeit geleistet und ein Problem weniger.

Unterdessen gratuliert der Trainer Ulf noch einmal zu seinem tollen Spiel und versichert ihm, dass er beim nächsten Mal von Beginn an dabei sein wird.

Allein wegen dieser Nachricht hat es sich für Ulf schon gelohnt, heute Abend hier zu sein.

Von Beginn an spielen, spukt es ihm im Kopf herum. Er kann an gar nichts anderes mehr denken. Das alles bringt ihn seinem großen Traum, dem Sprung in die National-Elf, ein Stück näher. Er wird sich jetzt nicht nur 45 Minuten beweisen können, nein, er wird es 90 Minuten tun können. Am liebsten würde er gleich morgen spielen. Aber er muss sich leider noch eine Woche gedulden.

„Ulf, ich möchte Dich mit jemandem bekanntmachen.“

Er zuckt zusammen, als Weiß ihm von hinten auf die Schulter klopft.

Aus den Gedanken gerissen dreht er sich um und steht vor einer hübschen, jungen Frau.

„Mein lieber Mann, was hat Martin denn zu Dir gesagt? Du bist ja ganz weg.“ Weiß lacht und schiebt Tatjana unauffällig etwas näher zu Ulf.

„Tatjana, darf ich Dir unseren neuen Stern am Fußballhimmel vorstellen, Ulf Louis.“

Sie reicht Ulf artig die Hand und schaut ihn ehrfürchtig an. Kein Wunder, bei so einer Ansage von Weiß.

„Ulf, das ist Tatjana Spelz.“

Ulf lächelt sie an und begrüßt sie: „Hallo, freut mich.“

„Ich geh euch beiden Hübschen mal etwas zu trinken holen.“

Weiß verschwindet und lässt die Zwei alleine.

„Volker übertreibt maßlos“, ergreift Ulf verlegen das Wort.

„Wieso? Ich habe heute Abend auf der Fahrt hierher die Werbeplakate mit ihnen gesehen. Sie hängen in der ganzen Stadt. Ich denke nicht, dass man das Übertreibung nennen sollte.“ Tatjana strahlt ihn an.

„Ja schon, aber…. bitte, können wir uns nicht duzen, ich komme mir beim Sie immer so alt vor“, erklärt Ulf.

Tatjana lacht: „Genau so geht es mir auch. Ich bin Tatjana.“

„Tatjana. Ich bin Ulf. Warte, ich hol uns einen Drink, dann können wir darauf anstoßen.“

Wie gerufen eilt Weiß mit zwei Gläsern Champagner auf sie zu.

„Hier ihr beiden, lasst es euch schmecken. Ich mach mich jetzt mal über das Buffet her. Bis nachher.“

„Na, das ist ja mal ein Service“, lacht Ulf.

„Ok, dann trinken wir aufs Du und einen schönen Abend“, prostet Tatjana ihm zu.

„Ja, zum Wohl.“

„Hey Ulf, stell uns doch mal Deine Freundin vor“, sagt Marco, der sich mit seiner Frau Bea zu ihnen gesellt hat.

Ulf stellt Tatjana vor. Die Frauen scheinen sich auf Anhieb zu verstehen und sind schnell in ein Gespräch vertieft.

„Wieso hast Du uns nicht gesagt, dass Du so eine klasse Frau hast?“, flüstert Marco und schlägt Ulf scherzhaft auf die Schulter.

„Wieso habt ihr mich nicht gefragt?“, witzelt Ulf.

Beide Männer lachen. Dann erklärt Ulf, dass er Tatjana eben erst kennengelernt hat.

Marco versteht sofort und zieht auf eine charmante Art seine Frau Bea von Tatjana ab. Verständlich, dass Ulf ungestört mit seiner neuen Flamme plaudern möchte.

Weiß wacht den ganzen Abend wie ein Luchs über Ulf und Tatjana. Er ist zufrieden mit dem, was er sieht. Es scheint zu funktionieren, sie sind sich offensichtlich sympathisch und die Chemie stimmt.

Es ist schon spät, Tatjana wird langsam müde. Ganz Gentleman, bietet Ulf an, sie nach Hause zu fahren. „Ich verabschiede mich nur kurz von Gerd“, versichert er ihr und macht sich schnell auf die Suche nach dem Gastgeber.

Weiß teilt ihm mit, dass er Gerd in der Küche gesehen hat. Auf dem Weg dorthin begegnet Ulf Marco, der sich vor lauter Schwärmerei fast nicht mehr einkriegt. Tatjana hat einen Mega-Eindruck bei ihm hinterlassen.

In der Küche angekommen, sieht er Gerd nicht sofort. Erst als er den Raum schon wieder verlassen will, entdeckt er ihn. Hinten in dem Vorratsraum, der an die Küche grenzt, da sitzt er. Ulf denkt, er hat zu viel Alkohol konsumiert und es geht ihm deshalb schlecht. Als er jedoch näherkommt und im Türrahmen steht, erstarrt er. Gerd hat auf dem kleinen Tischchen vor sich, zwei Linien aus weißem Pulver gezogen. Ulf beobachtet, wie er diese genüsslich in die Nase zieht.

Im ersten Moment ist er wie erstarrt und steht wie angewurzelt da. Nach kurzer Überlegung scheint es ihm das Beste zu sein, wenn Gerd ihn gar nicht sieht. Unbemerkt schleicht er aus dem Raum.

Er muss weg hier. Der Anblick des Trainers hat sich in seinem Kopf festgesetzt. Was bewegt einen Mann wie Gerd, der so viele Erfolge in der Vergangenheit erzielt hat, Drogen zu nehmen?

Tatjana und Ulf verabschieden sich von den anderen Gästen und schlendern zum Wagen. Ulf hat, wie so oft, auch an diesem Abend, keinen Alkohol getrunken. Er trinkt eigentlich nie. Alkohol passt einfach nicht zu seiner Einstellung, immer die maximale Leistung aus seinem Körper heraus zu holen.

Tatjana hat ein paar Gläschen getrunken und ist müde und sehr anlehnungsbedürftig.

Ulf fährt den Wagen vom Grundstück und biegt in die nächste Straße ein. Tatjanas Kopf liegt an seiner Schulter. Sie schläft.

„Mist. Was mache ich jetzt mit ihr?“ Er weiß nicht einmal, wo sie wohnt. Er fummelt das Handy aus seiner Jeans und ruft Weiß an.

Mailbox. Was nun? Ulf beschließt, Tatjana mit zu sich nach Hause zu nehmen. Er hat zwar überall Kisten herumstehen und ist mitten im Umzug, aber das kommt ihm gerade recht, dann ist die Sache unverfänglicher. In so einem Chaos kommt man nicht auf dumme Gedanken.

Ulf fährt in die Garage und stellt den Motor ab. Er betrachtet Tatjana. Ihr Kopf liegt immer noch an seiner Schulter. Sie ist sehr hübsch und heute Abend auf der Party hat er die bewundernden Blicke seiner Mannschaftskameraden genossen.

Seine Gedanken schweifen zu Timo. Er hat ihn einfach, stehen lassen und sich mit den anderen über ihn lustig gemacht. In diesem Moment räkelt sich Tatjana neben ihm und blinzelt ihn an. Ulf ist froh durch ihr Aufwachen von diesen quälendenGedanken abgelenkt zu werden.

„Wo sind wir?“, fragt sie.

„Äh, wir stehen in meiner Garage. Ich weiß nicht, wo Du wohnst, und ich wollte Dich nicht wecken, Du hast fest geschlafen.“

Tatjana grinst. Sie beugt sich zu ihm herüber und küsst ihn zärtlich auf den Mund.

OK, so weit ist das in Ordnung. Nur keine Panik, es ist nur ein Kuss, beruhigt Ulf sich selbst.

„Ich muss Dich warnen, bei mir sieht es chaotisch aus, ich ziehe in drei Tagen um, in der ganzen Wohnung stehen Kisten herum. Es ist alles andere als gemütlich.“

„Das macht mir nichts aus, aber wenn Du möchtest, können wir auch zu mir fahren.“

Sie hat es falsch verstanden. „Womöglich glaubt sie, ich will mit ihr ins Bett. Oh Gott“, Ulf beschleicht ein mulmiges Gefühl. Seine Gedanken rasen, und er überlegt, wie er aus dieser Nummer wieder herauskommt.

„Das wäre mir echt lieber, meine Wohnung ist wirklich kein schöner Anblick“, hört er sich sagen.

„Super, dann gib Gas, wir fahren zu mir“, sagt sie und schmiegt sich wieder an ihn.

Tatjana dirigiert Ulf durch die Straßen, bis sie vor ihrer Wohnung parken.

„Jetzt stell den Motor ab. Komm, wir gehen rein.“

„Tatjana Du bist müde, wenn Du direkt schlafen gehen möchtest, ist das für mich in Ordnung.“

„Ach Quatsch, komm mit, ich möchte Dir meine Wohnung zeigen. Bei mir ist es aufgeräumt und Du bekommst auch einen Drink.“ Sie wirft ihm ein umwerfendes Lächeln zu.

Ulf bleibt nichts anderes übrig. Er kann sich unmöglich herausreden, also steigen sie aus dem Wagen und gehen ins Haus.

Tatjanas Wohnung ist geschmackvoll und modern eingerichtet. Auf den ersten Blick gefällt sie Ulf. Es ist ein zu Hause, in dem man sich sofort wohl fühlt.

„Mach es Dir bequem, fühl Dich wie daheim.“, sagt sie,

und verschwindet im Zimmer nebenan. Als sie wiederkommt, hält sie eine Flasche Champagner und zwei Gläser in den Händen.

„Kannst Du die bitte aufmachen?“

Ulf versucht, zu protestieren, aber ihm wird schnell klar, dass es zwecklos ist. Ein Glas wird er trinken, dann muss er sich etwas einfallen lassen, was ein plötzliches Aufbrechen rechtfertigt. Das Ganze natürlich, ohne das Tatjana Misstrauen schöpft.

Ulf öffnet die Flasche und füllt die Gläser, Tatjana kümmert sich um die Musik. Bald berieselt leise Lounge-Musik den Raum, und es entsteht eine romantische Atmosphäre.

Eigentlich alles perfekt, wäre Tatjana Timo.

Langsam gleitet sie neben Ulf auf die Couch und kuschelt sich an ihn.

„Auf einen schönen Abend.“ Tatjana hält ihr Glas hoch und sie prosten sich zu.

Ulfs Handy klingelt genau im richtigen Augenblick und rettet ihn damit für die nächsten Minuten.

Es ist Weiß, der wissen will, warum Ulf ihn erreichen wollte.

Das ist die Gelegenheit, um aus dieser Situation herauszukommen. Ulf reagiert blitzschnell.

„Was? Jetzt? Ja, ich komme. Nein, ist schon gut, ich bin gleich da“, sagt er zu Weiß, der am anderen Ende gar nichts kapiert.

„Sorry, tut mir leid, aber ich muss Volker abholen. Er hat etwas getrunken und will nicht mehr selbst fahren. Er hat mich schon oft nach Hause gefahren, da kann ich nicht, nein, sagen.“

Tatjana zieht eine Schnute. „Wieso ruft er sich kein Taxi? Volker fährt doch immer Taxi?“ Sie lässt ihn nur ungern jetzt schon gehen und ist offensichtlich sehr enttäuscht. Um einen Kuss zum Abschied kommt Ulf nicht herum. Wie beim Ersten findet er auch diesen ganz OK. Mit der Situation total überfordert verabschiedet er sich schnell von Tatjana und verschwindet aus der Wohnung.

Als er im Auto sitzt, atmet er erst einmal tief durch und ruft Volker an, um ihm sein Verhalten eben am Telefon zu erklären. Der ist zwar nicht erfreut darüber, dass Ulf ihn benutzt, um vor Tatjana zu flüchten. Aber immerhin … Ulf hat sich bis in ihre Wohnung gewagt. Das gefällt Weiß.

***

Endlich zu Hause. Ulf liegt im Bett und tausende von Gedanken jagen durch seinen Kopf. Er sieht Gerd, wie er sich die weißen Kokain-Linien reinzieht. Er sieht Tatjana, wie sie ihm traurig nachschaut, weil er sie alleine mit zwei Gläsern und einer vollen Flasche Champagner hat sitzen lassen. Und er sieht Timo vor sich. Der zu ihm herüberschaut, als er sich mit den anderen über ihn lustig macht.

Trotz diesem gedanklichen Wirrwarr, schläft er erstaunlich gut in dieser Nacht.

Am nächsten Morgen fährt er zum Training. Ständig denkt er an Gerd. Soll er ihn, auf das, was er gesehen hat, ansprechen? Es geht ihn eigentlich nichts an. Gerd ist ein erwachsener Mann und muss verantworten, was er tut, daher beschließt Ulf, das, was er gesehen hat, auf sich beruhen zu lassen.

Das Training heute ist anstrengend, alle haben nicht viel Schlaf bekommen. Der Trainer scheucht sie über den Platz und nimmt keinerlei Rücksicht auf die Nachwehen des gestrigen Abends.

Der Coach teilt der Mannschaft mit, dass es sich bei Lucas Wadenbeinbruch um einen der komplizierteren Art handelt. Es wurde noch eine zusätzliche Muskelverletzung diagnostiziert. Genaueres weiß man nicht. Aber von vornherein fällt Lucas mindestens die nächsten drei Monate aus.

„Das bedeutet für Dich, Du hast ab Samstag, einen Stammplatz. Du spielst jedes Spiel von Beginn an“, sagt der Trainer an Ulf gewandt.

Am liebsten würde der vor Freude in die Luft springen, wenn es nicht auf Kosten von Lucas ginge.

Trotzdem strahlt Ulf über das ganze Gesicht, als er mit dem Wagen auf dem Weg nach Hause ist und sein Handy klingelt.

„Hallo Ulf, hier ist Tatjana, störe ich Dich gerade?“

„Nein, ich bin im Auto. Schön das Du anrufst. Wie geht es Dir? Immer noch müde?“

Was redet er denn da für einen Schwachsinn? Wie es ihr geht? Wie soll es ihr gehen, seit gestern Abend? Na egal, Hauptsache, es ist ihm überhaupt etwas über die Lippen gekommen.

„Gut, es geht mir gut. Was machst Du heute?“

„Heute? Ich packe meine restlichen Sachen. Der Umzug, Du weißt. Es ist ziemlich stressig zurzeit.“

„Ach ja, der Umzug. Wenn ich Dir irgendwie helfen kann, dann sag es bitte, ich bin gut im Kistenpacken.“ Tatjana lacht.

„Nein, ich schaff das, danke. Wie gesagt, diese Woche ist ziemlich stressig bei mir. Aber ich lade Dich ein, sobald ich es auf die Reihe gekriegt habe, meine Wohnung ansehnlich zu machen. Einverstanden?“

„Ja gerne, ich freue mich schon darauf. Du kannst Dich ja zwischendurch mal melden, vielleicht können wir uns auf einen Espresso in der Stadt treffen?“

Ulf verspricht, dass er sich bei ihr meldet.

Jetzt gibt es kein Zurück. Die Einladung ist ausgesprochen. Der Espresso in der Stadt ist eine gute Idee, er wird in Begleitung einer Frau gesehen, was im Sinne von seinem Manager ist. Der Gedanke mit Tatjana alleine in seiner Wohnung zu sein, bereitet ihm allerdings Sorgen.

Die Woche ist in der Tat Stress pur. Der Umzug ist nicht einfach nur ein Umzug. Die Fans haben schnell die neue Adresse herausgefunden und umlagern das Haus, als die Umzugsfirma mit Ulfs Hab und Gut anrückt. Es erschwert die Arbeit der Möbelpacker sehr. Ständig steht jemand im Weg und erkundigt sich nach Ulf. Sie wollen wissen, wann er kommt und ob er alleine hier einzieht. Die armen Männer der Umzugsspedition müssen sich solche Fragen den ganzen Tag anhören.

Endlich gegen Mittag, lässt Ulf sich blicken, verteilt ein paar Autogramme, redet kurz mit einigen Fans und verschwindet im Haus. Dieser Kurzauftritt entflammt die Euphorie der Fans nur noch mehr und sie denken nicht daran, abzuziehen.

Als Ulf später alleine zwischen all den Umzugskisten sitzt, ruft er Timo an. Seit dem Abend im Club hat er nichts mehr von ihm gehört.

Timo meldet sich am anderen Ende der Leitung. Ulfs Herz klopft bis zum Hals, als er seine Stimme hört.

„Timo, hier ist Ulf. Hallo, ich wollte fragen, wie es Dir geht?“

„Ach der Ulf. Das Du Dich meldest hätte ich jetzt eher nicht gedacht. Es geht mir gut, danke. Hab gehört, Du bist heute umgezogen.“

„Ja bin ich. Das spricht sich ja schnell herum.“

„Na mein kleiner Neffe ist ein Riesenfan von Dir, der war einer von denen, die heute Dein neues Heim belagert haben.“

„Ja, die Möbelpacker sind gerade weg. Ich sitze hier auf den Kisten. Werde mich gleich mal an die Arbeit machen und mit dem Auspacken anfangen. Wie gesagt, ich wollte mal hören, wie es Dir geht.“

„Danke für Deinen Anruf, hat mich gefreut, dass Du Dich gemeldet hast. Tschau Ulf.“

Klick. Timo legt, ohne weitere Worte zu verlieren, einfach auf.

Was hat er erwartet? Ein Wunder, dass Timo überhaupt so nett und cool drauf war, nachdem Ulf ihn so behandelt hat.

Nach einigem Zögern ruft er Tatjana an.

„Hallo Ulf.“, meldet sich Tatjana.

„Hallo Tatjana, das ging aber fix.“

Sie lacht: „Ja, ich wollte grade meine Mutter anrufen, da hat Dein Name auf dem Display aufgeblinkt.“

„Ich wollte Dir nur sagen, dass die Möbelpacker weg sind. Wenn Du möchtest, können wir morgen einen Espresso in der Stadt trinken.“

„Gerne. Ich freue mich. Kommst Du mich abholen?“

„Ja, sagen wir so gegen 15 Uhr, nach dem Training? Geht das bei Dir?“

„Ja, kein Problem.“

Ulf packt bis spät in die Nacht seine Sachen aus. Er hat den größten Teil geschafft und fällt todmüde ins Bett, um in einen tiefen erholsamen Schlaf zu versinken.

***