Schatten des Feuers - Lena Keshura - E-Book

Schatten des Feuers E-Book

Lena Keshura

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Beschreibung

Die junge Natsumi wird von Erinnerungen geplagt, die aus der Ära der Edo-Zeit stammen. Der Krieg um die rechtmäßige Herrschaft des Reichs der blauen Flammen aus der längst vergangenen Zeitepoche ist nicht vorbei und droht, sich in der modernen Welt in einem katastrophalen Ausmaß zu wiederholen. Kann Natsumi alle ihre Brüder und Schwestern aus der Schattenwelt rechtzeitig überzeugen, wieder an ihrer Seite zu kämpfen, um das Chaos zu beenden?

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Seitenzahl: 440

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Schatten des Feuers
Kapitel 1 Der erste Schritt
Kapitel 2 Im Nest der Skorpione
Kapitel 3 Kumite – Training muss sein!
Kapitel 4 Das Turnier
Kapitel 5 Das Gift der Skorpione
Kapitel 6 Erschüttert, jedoch nicht durch das Beben
Kapitel 7 Zurück zu den Wurzeln
Kapitel 8 Kurzer Prozess
Kapitel 9 Fremdes Revier
Kapitel 10 Ikoga und Nera
Kapitel 11 Cyborgs und Androiden
Kapitel 12 Komplikationen
Kapitel 13 Potenzielle Verbündete
Kapitel 14 Ein aufwühlender Morgen
Kapitel 15 Auftrag wird ausgeführt
Kapitel 16 Schicksale der Ungesehenen
Kapitel 17 Wettlauf gegen die Zeit
Kapitel 18 Die Kampfkatze ist im Sack
Kapitel 19 Gift und Heilung
Kapitel 20 Toragami
Kapitel 21 Verbindungen
Kapitel 22 Zigarettenlänge Zeit zu fliehen
Kapitel 23 Ojikuro Brüder
Kapitel 24 Nicht mit diesem Shinrai
Kapitel 25 In den Schneebergen
Kapitel 26 Ein blutiger Pfad
Kapitel 27 Gesichtete Gefahr
Kapitel 28 Blick in die Vergangenheit
Kapitel 29 Der Weg zu einer Anführerin
Kapitel 30 Verbündet
Kapitel 31 Wer hat wen verraten?
Kapitel 32 Kikeina
Kapitel 33 Alte und junge Menschen
Kapitel 34 Der Eindringling
Kapitel 35 Verräter
* * * Charaktere und ihre Zugehörigkeit * * *

Schatten des Feuers

Wenn die blauen Flammen erwachen, und die Schatten auferstehen. Band 1

von

Lena Keshura

Vorwort Zwischen der großen Auswahl an spannenden Geschichten, wunderschönen Cover-Designs und interessanten Genres auf dem Markt, hast du dich für dieses Buch entschieden. Dafür möchte ich mich bei dir von Herzen bedanken. Gerne nehme ich dich mit auf eine Reise, die durch zwei verschiedene Epochen Japans führt. Es ist eine rein fiktive Geschichte, dennoch wünsche ich dir ein besonderes Erlebnis und Freude beim Lesen. Was gibt es über mich zu erzählen? Geboren bin ich 1986 in Kasachstan. 1994 zog ich im Kindesalter mit meiner Familie nach Deutschland, zurück zu unseren Wurzeln. Ich liebe die deutsche Sprache und habe durch meine beste Freundin, die ich seit 1995 habe, zum Schreiben gefunden. Inspiriert wurde ich schon in meiner Kindheit insbesondere durch Videospiele wie Tekken, Street Fighter, Dead or Alive oder Mortal Kombat, um nur wenige Beispiele zu nennen. Auch die Faszination für Japan spielte dabei keine kleine Rolle. Möglicherweise empfinden wir die gleiche Leidenschaft für Japan, schließlich hältst du dieses Buch (ob digital oder physisch) in deinen Händen. Danke dafür. ~ Lena Keshura

Prolog

Ihre Erinnerungen an ein früheres Leben aus einer längst vergangenen Zeit häuften sich an. Andere Kleidungen, andere Orte, doch die Menschen schienen dieselben zu sein. Schwerter, Wurfsterne und Klingen an Ketten. All diese Dinge betrachtete sie, während sie langsamen Schrittes durch ein altes, japanisches Schloss entlang ging. Überall waren Ninjas. Vollständig verborgene Kämpfer, die sich der Schattenwelt verschrieben haben. Allerdings waren ihr diese Schattenkrieger auch in der modernen Welt nicht fremd. Wenn sie aus diesen Erinnerungen zurückkehrte, war alles um sie herum anders. Kein japanisches Schloss, in dem sie mit der Stille eins war. Keine fremden Orte, die zu einer längst vergangenen Epoche gehörten. Keine andere Ära, in der Meinungsunterschiede mit Schwertern geklärt wurden. Und doch war ihr ein bestimmtes Element auch heute bekannt. Die Schatten, die sie ihre Verbündeten nannte. Schwerter, Wurfsterne und Klingen an Ketten.

Denn die Ninjas waren auch heute noch ihre Brüder und Schwestern.

Kapitel 1 Der erste Schritt

Natsumi betrat mit langsamen Schritten ihr Schlafzimmer. Die Hand streifte dabei über den Lichtschalter und erhellte den Raum. Im Hintergrund waren die mitternächtlichen Nachrichten aus dem Fernseher des Wohnzimmers zu hören. Die Stimme des Moderators drang bis ins Schlafzimmer zu Natsumi durch.

»Wir sprechen heute mit Miyazawa Renjin, dem Mitgründer und Besitzer der PSY-Ex. Organisation. Er hat sich persönlich die Zeit für unsere Fragen genommen.« Lauschend zog sich Natsumi schwarze Kleidung aus dem Kleiderschrank heraus und warf sie hinter sich auf das Bett. Ein leises, tiefes Knurren erklang von ihrem Bett aus, weshalb sie sich in besagte Richtung drehte.

»Hab ich dich geweckt?«, fragte sie ruhig und konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Natsumi beugte sich vor und streichelte das feuerrote Fell, das ein symmetrisches Muster aus schwarzen Streifen am ganzen Körper zierte und die einzigartigen, goldgelb-schimmernden Augen des Tigers umrandete.

Als das Tier Natsumis Hand spürte, schmiegte es seinen großen Kopf hinein und ließ sich am weißen Backenfell kraulen. Da sie die Frage des Moderators verpasst hatte, hörte sie im Anschluss die Stimme des befragten Mannes.

»Unsere Organisation hat sehr hohe Ansprüche. Wenn es uns weiterhin so gut gelingt, wertvolle Heilmittel und gesundheitsfördernde Untersuchungen durchzuführen, sehe ich eine perfekte Zukunft für uns alle«, sprach Miyazawa Renjin mit hörbarer Überzeugung.

Natsumi senkte emotionslos das Gesicht nach diesen Worten, denn so überzeugend dieser Mann auch sprechen konnte, sie kannte inzwischen einen Teil der Wahrheit über dieses Unternehmen. Um sich davon nicht die Stimmung zu verderben, konzentrierte sie sich wieder auf ihr Haustier. »Wer hat dir eigentlich erlaubt auf meinem Bett zu faulenzen, Nensho?«, fragte sie grinsend ihre Großkatze und löste sich nur ungern wieder von dem Tiger. Während das königliche Tier sich anfing das Fell zu putzen, zog sie sich in Ruhe um und konnte es nicht vermeiden, die Stimme des Moderators zu hören. »Die ganzen Vorhaben müssen selbst für so eine große Organisation wie Ihre, wahnsinnig kostspielig sein. Wie finanzieren sie all diese Projekte? Immerhin beteiligen Sie sich auch in medizinischen Bereichen.« Natsumi spürte immer mehr Unruhe in sich aufkeimen, war jedoch auch an der offiziellen Version von Renjins Antwort interessiert. »Das ist eine berechtigte Frage, die sicher viele interessiert. Durch unsere medizinischen Fortschritte die wir in den letzten Jahre machten, wie auch Spenden von hoffnungsvollen Menschen da draußen, die auf Medizin warten und an uns glauben, können wir durchaus vielversprechende Projekte beginnen und inzwischen auch erfolgreich vollenden. Die PSY-Ex. Organisation steht auf stabilen Beinen und der Erfolg verleitet uns dazu, weiterhin gegen die unterschiedlichsten Krankheiten vorzugehen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen da draußen bedanken, die uns vertrauen, denn am Ende werden wir alle davon profitieren«, versicherte er hörbar lächelnd.

Entsetzt über diese Lügen, drückte Natsumi die Kleiderschranktür mit der Handfläche zu, ohne diese zu entfernen, und erblickte im Spiegel an der Tür ihr eigenes Spiegelbild. Natsumi war eine wunderschöne Frau, die bereits mit 22 Jahren mehr Verantwortung trug, als sie es sollte. Still löste sie sich mit einem Schritt von dem Spiegel und kontrollierte mit den Augen darin ihre Kleidung von unten nach oben. Während die Hose breiter geschnitten war, saß ihr Tanktop enganliegend um die wohlgeformte, üppige Brust, und zeigte ihren überdurchschnittlich sportlichen Körperbau. Sie zog den Reißverschluss der Lederjacke bis zur Brust hoch und wanderte mit den Augen im Spiegel zum Gesicht. Die kobaltblauen Haare waren sehr lang und fielen glatt über Schultern und den Rücken. Ihre kalten, tiefblauen Augen betrachteten eine große Frau, bis sich die Blicke im Spiegelbild trafen.

Unerwünschte Erinnerungen an ein früheres Leben, aus einer längst vergangenen Epoche, tauchten vor ihren Augen auf, weshalb sie den Blick schnell abwandte. In den letzten Tagen wurden diese Erinnerungen immer intensiver und versuchten, ihr zu vermitteln, dass ihre Tarnung allmählich bröckelte. Auch diesen Gedanken legte sie ebenso schnell ab, wie bereits die letzten Male zuvor.

Natsumi ging zu der anderen Seite des Zimmers und blieb vor einer Kommode stehen, dessen erste Schublade sie öffnete. In ihren Augen spiegelte sich der Glanz mehrerer Klingen. Gezielt wählte sie zwei Wurfmesser und schob diese in die Seitentasche des rechten Hosenbeins, schließlich waren ihr breite Hosen nicht nur aus Bequemlichkeit am liebsten. Die Innentaschen der Jacke stattete sie mit Wurfsternen aus, die zu ihr gehörten, wie eine zweite Haut. Entspannt bediente sie sich nun an der zweiten Schublade, in der ihr verschieden lange Schwerter entgegen glänzten.

Beim Anblick des perfekt geschmiedeten Stahls schlug ihr Herz sofort höher. Die scharfen Klingen lösten wie jedes Mal ein Heimweh-Gefühl in ihrer Brust aus. Von Schusswaffen hielt Natsumi nicht viel, auch wenn sie selbst davon einige Exemplare besaß. Größe der Einschusswunde, Splitter, Schussrückstände und Blutspritzer konnten so viel verraten, wogegen der saubere Schnitt einer Klinge, ob schnell oder langsam, über seinen Besitzer für immer schweigt. Natsumi entnahm aus der Schublade ein Wakizashi-Ninjaschwert und befestigte es links an einer Halterung des Gürtels, die dafür vorgesehen war, in der Hoffnung, dieses nicht gebrauchen zu müssen. Sie warf einen letzten Blick auf ihr außergewöhnliches Haustier, das gerade vom Bett sprang. Der große Tiger schüttelte seinen Kopf ordentlich durch, atmete leise knurrend aus und folgte Natsumi aus dem Zimmer. Kaum durchquerten beide das Wohnzimmer, wo Natsumi den Fernseher ausschaltete, klingelte es an der Haustür. Nensho stellte die Ohren auf und lauschte wie eingefroren, während Natsumi zur Tür ging und überall auf dem Weg dahin die Beleuchtungen ausschaltete.

»Arashi ist wie erwartet pünktlich«, sagte sie leise und öffnete die Haustür.

Vor ihr stand der jüngere der Norijimaru Brüder. Und obwohl er zu dem Ninja Clan der Skorpione gehörte, wartete er in ziviler Kleidung auf sie vor der Tür. Für Natsumi gehörten die Skorpione zu ihrer Familie, die von ihrem 16 Jahre älteren Bruder Hisashi angeführt wurden.

»Bist du bereit?«, fragte Arashi mit seiner unfassbar tiefen, aber ruhigen Stimme. Natsumi nickte und sperrte die Haustür ab.

»Wir können los.« Die Wohnsiedlung war sehr leer. Ihr Haus war das letzte in der Straße, und auch nach diesem, folgten vorerst leere Grundstücke, die verkauft, jedoch nie bebaut wurden. Die einzige Familie, die ihr in dieser Gegend ab und zu begegnete, lebte zu ihrem Vorteil zwei Straßen weiter, was Voraussetzung für den Kauf ihres Hauses war.

Natsumi folgte Arashi bis zu den zwei Motorrädern, wovon eines ihr gehörte. Eine schwarze Kawasaki Ninja, die auf dem hinteren Teil vier auflackierte dunkelblaue Kratzstreifen eines Tigers hatte. Sie setzte sich auf ihr Motorrad, überprüfte den Halt des Schwertes und schob sich den Motorradhelm über den Kopf. Während sie sich für die Fahrt bereit machte, sah sie zu Arashi, der sich ebenfalls auf die Maschine setzte. Er war ein sehr stiller Typ. Seine Haare waren hellviolett und kurz. Nur auf einer Seite war sein Pony beinahe schulterlang. Arashi war gut gebaut und gutaussehend, was typisch für die Norijimaru-Männer war. Trotz der hellblauen Augen war Arashis Blick immer finster und hatte was Bedrohliches.

»Ich bin soweit«, sagte er und schob sich den Helm über den Kopf. Natsumi bewegte ihr Motorrad nach hinten, klappte den Seitenständer zurück, und hielt neben Arashi.

»Haben wir weitere Informationen?«, fragte sie, solange sie noch nicht losgefahren sind. Arashi sah sich mit den Augen in der Gegend um, dann teilte er sein aktuelles Wissen mit.

»Baku konnte in Erfahrung bringen, dass unser Zielobjekt nach Mitternacht die Security minimiert. Es sollten nicht mehr, als zehn Männer sein. Mehr konnte er mir nicht sagen«, erklärte er und wartete auf Natsumis Zeichen. Sie lauschte nachdenklich und nickte anschließend.

»Die sind kein Problem«, antwortete sie und startete den Motor. Beide fuhren durch die dunklen Straßen, bis sie die nächsten, etwas belebteren Orte erreichten. Die ganzen Lichter der Straßenbeleuchtungen zogen dabei an ihnen vorbei. Der Anblick der Stille in den Ortschaften wirkte beruhigend auf Natsumi, doch sobald sie an ihre Aufgabe dachte, spannte sich ihr ganzer Körper wieder an. Als Arashis ruhige Stimme durch das Headset des Helms zu ihr durchdrang, sah Natsumi in den Seitenspiegel und lauschte.

»Mach dir keine Sorgen. Der Ort ist für andere ungefährlich. Wir werden wahrscheinlich nur wenige Opfer haben«, sprach er erstaunlich viel. Natsumi musste schmunzeln und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

»Dir entgeht nichts, hm?«, fragte sie, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie wusste, dass sie alle eine besondere Verbindung zueinander hatten, und es gab nichts Wertvolleres für sie, als dieser Zusammenhalt der Schattenkrieger.

Die Fahrt hatte eine ganze Weile gedauert, lag jedoch im Zeitplan der beiden. Sie hielten ihre Maschinen in einer dunklen Gasse an und ließen die Motoren verstummen. Natsumi zog sich den Helm ab und atmete die kühle Luft tief in ihre Lunge ein. Mit leicht geöffnetem Mund ließ sie die Luft wieder hinaus, dabei bildete sich eine Wolke. Arashi stand inzwischen neben ihr und überprüfte die Uhrzeit, bevor er sprach.

»Wir haben noch Zeit, haben aber noch ein gutes Stück vor uns.« Natsumi stieg von ihrem Motorrad ab und sah sich mit den Augen die Gegend in Ruhe an. Alles war längst verlassen und verkommen. Die Natur hatte sich einen Teil der Gegend zurückerobert, weshalb ein Mundwinkel bei ihr unwillkürlich hoch ging. Ihre Augen fanden am Straßenrand den Beginn eines großen Waldstücks, von dem sie wusste, dass es der erste Zielpunkt war.

Sie schlichen sich dorthin, obwohl ihnen klar war, dass in dieser Gegend niemand freiwillig sein konnte. Nachdem sie das Waldstück erreichten, verschwanden sie dort. Trotz der Finsternis hatten sie keine Nachteile. Sie nutzten die Dunkelheit für ihre eigene Tarnung und folgten lautlos dem Weg, den Arashi bereits einige Male zum Auskundschaften geschlichen war. Nach und nach kamen sie ihrem Ziel näher und erreichten endlich den Platz, auf den sie es abgesehen hatten.

Ein mehrstöckiges, aber überschaubares Gebäude, das in dem dunklen Wald kaum Beachtung von der Außenwelt fürchten musste, ragte vor ihnen auf. Vor dem Eingang befand sich ein großzügiger Parkplatz, auf dem kaum noch Fahrzeuge parkten. Natsumi blieb im Verborgenen mit dem Rücken an einem dicken Baum angelehnt und sah sich die Lage forschend an. In einem Fenster war noch Licht aus der Entfernung zu erkennen, weshalb sie mit konzentrierten Augen dahin sah. Arashi war in der Nähe und erspähte die Wache am Eingang.

»Vorne ist nur ein Wachmann. Bisher waren sie immer zu zweit. Der andere wird auf Patrouille sein. Soll ich ihn übernehmen?«, schlug er leise vor und wartete auf ihr Zeichen. Natsumi nickte zustimmend, woraufhin Arashi verschwand. Sie kniete geduldig zu Boden und zog sich einen schwarzen Schal über Mund und Nase. Die Wache vor dem Eingang blieb lange in ihrem Fokus, bis sie nach einiger Zeit etwas Glänzendes aufblitzen sah, ohne ihr Ziel aus den Augen zu lassen. Sie hatte Arashis Zeichen wahrgenommen, dass sie sich ab jetzt zum Eingang begeben konnte.

Der Mann am Eingang war inzwischen davon erschöpft, ständig in die Finsternis des Waldes zu starren. Hin und wieder knackte etwas oder die Tiere ließen von sich hören, doch daran war er inzwischen gewöhnt. Laut atmend streckte er sich ausgiebig, ohne dabei die Frau hinter sich zu bemerken.

Natsumi umschlang ihn mit einem Arm um den Hals und hielt ihm gleichzeitig mit der anderen Hand den Mund zu. Und obwohl er mit beiden Händen nach ihren Unterarmen und Hand griff, gelang es ihm nicht, diesen Griff zu lockern, bis sie ihn schließlich mit Leichtigkeit zu Boden sinken ließ. Sein auflehnendes Gegrunze und der mühsame Versuch, dumpf zu schreien verstummte.

Natsumi überprüfte dennoch seine Augenlider, bis sie sich sicher war, dass er vorerst schlief. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie die wenige Zeit nicht verschwenden durfte, da der Kerl bald wieder zu sich kommen würde. Eilig durchsuchte sie seine Taschen und fand eine Karte, doch der Eingang forderte auch einen Fingerabdruck. Natsumi atmete tief durch, behielt die Karte in der rechten Hand und schnappte sich den Mann unter seinem Arm. Mit einem kurzen Schnaufen hob sie den Kerl über ihre Schultern, bewegte ihn zum Eingang und schob die Karte durch das Lesegerät. Ein Touchfeld leuchtete auf dem kleinen Bildschirm auf, weshalb sie seinen Finger dran hielt. Die Tür wurde mit einem leisen Geräusch entriegelt. Natsumi legte den Mann vorsichtig neben der Tür an die Wand lehnend ab und verschwand im Inneren des Gebäudes.

Währenddessen patrouillierte der zweite Mann vor dem Hintereingang, bis ihn eine Mücke stach und er sich genervt an den Hals klatschte. Ein Schmerz durchfuhr seine Hand, weshalb er diese betrachtete. Blut und eine lange, gefährlich glänzende, silberne Nadel hatte seine innere Handfläche vollständig durchgestochen. Seine Augen weiteten sich, doch noch bevor er panisch wurde und schreien konnte, kippte er augenrollend auf die Knie, dann sackte er vollständig auf der Erde zusammen.

Arashi kniete leicht zu ihm, zog die Nadel wieder heraus und ließ sie in seiner Jacke verschwinden. Auch er war recht schnell im Gebäude. Bis auf die Notbeleuchtung war es im gesamten Gebäude finster. Arashis Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, dennoch verließ er sich ab jetzt überwiegend auf sein Gehör.

Schritte von zwei weiteren Männern erklangen in den leeren Gängen, die sich während ihres Kontrollgangs miteinander unterhielten. Nach einer Abzweigung, die sie genommen hatten, durchquerten sie eine Stelle, die nicht den kleinsten Funken Licht abbekam. Sobald sie den schattigen Bereich passierten, röchelten sie plötzlich und kämpften gegen den Druck von Arashis Unterarmen an, mit denen er ihre Kehlen schmerzhaft zudrückte. Das verzweifelte Schnappen nach Luft war nur kurz hörbar, denn sie wurden schnell still. Noch während er die Männer zu Boden senkte, überflog er mit den Augen die Zimmernummern. Schnell wurde ihm klar, dass er im Erdgeschoss nichts Wichtiges finden würde. Seinen Informationen nach, war dieses Gebäude bewusst eher klein gebaut worden. Wären diese Labore größer, würde es Fragen in der Gesellschaft aufwerfen. Und soweit er diese Organisation richtig einschätzte, folgten sie dem Prinzip: Weniger Aufmerksamkeit, weniger Fragen, weniger Probleme. Noch bevor Arashi Richtung Treppenhaus ging, hörte er eine männliche Stimme hinter sich.

»Ich würde an deiner Stelle nicht weiter gehen«, warnte ihn jemand aus dem Dunklen und kicherte. Arashi war sofort in kampfbereiter Position und sah sich schweigend um. Er konzentrierte sich auf die Richtung, aus der er die Stimme vernommen hatte. Ein schneller Fausthieb kam ihm entgegen, dem Arashi erst auswich und dabei das Handgelenk fing.

Noch in der Bewegung riss Arashi seinen Gegner an sich vorbei, Richtung Boden und ergriff mit der anderen Hand das Genick des Angreifers. Kraftvoll drückte er seinen Gegner gegen den Boden, doch dieser lachte, wendete sich plötzlich schnell wie eine Katze und gab Arashi mit den Beinen einen kräftigen Stoß gegen die Brust. Arashis schwerer Körper stieß fest gegen die Wand, an der er in erneuter Kampfposition stehen blieb, um die Situation neu zu bewerten. Sein Gegner saß mit Abstand zu ihm auf den Knien, und obwohl sein Gesicht komplett vermummt war, verrieten seine Augen ein böses Grinsen.

»Du bist ein Ninja. Genau wie ich. Nur nicht sehr gesprächig«, sagte der Fremde mit verengten Augen und griff Arashi erneut an. Dieses Mal glänzten Schlagringe mit Klingen an seinen Fäusten, denen Arashi mehrfach auswich, bis er einen Angriff von sich zur Seite abwehrte, um am Gegner vorbei zu kommen. Mit einem schnellen Tritt gegen die Wirbelsäule des Angreifers, schlug es diesen beinahe gegen die Wand, von der dieser sich gerade noch mit beiden Händen abbremsen konnte. Wütend drehte er sich zu Arashi und musterte ihn dieses Mal genauer. Arashi atmete konzentriert, sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Augen funkelten vor Mordlust.

»Du kannst nicht gegen mich gewinnen. Ich beende das hier jetzt«, sprach Arashi ernst. Überrascht über die gefährlich klingende, tiefe Stimme, ging auch der fremde Ninja in seine Kampfposition. Die Spannung zwischen den beiden war so groß, dass beinahe Funken flogen, bis sie von ihren Plätzen verschwanden und einander angriffen. Der unbekannte Ninja schlug mit den Beinen nach Arashi, der mit beiden Armen die Angriffe abwehrte.

Als Arashi die Schlagkraft seines Gegners in etwa einschätzen konnte, holte er mit schnellen Fausthieben aus und traf mehrfach die schützenden Arme, die der Ninja vor seinem Gesicht überkreuzt hielt. Trotz der Abwehrhaltung rutschte dieser nach hinten und spürte jeden einzelnen Hieb bis in die Knochen. Arashi verstärkte seine Angriffe und erhöhte die Geschwindigkeit, wodurch er die Brüche hörte. Sein Feind hielt die Deckung enger an den Kopf und begann vor Schmerzen zu knurren.

Arashi schlug mit einem letzten Fausthieb beide Hände von dem Ninja zur Seite, machte eine schnelle Drehung und verpasste dem Kerl einen höllischen Tritt gegen den Kopf. Der Ninja schlug mit dem Kopf gegen die Wand und rutschte daran seitlich zu Boden, wobei ihm eine große Blutspur folgte. Arashi betrachtete aus seiner Kampfposition den liegenden Körper und richtete sich langsam wieder auf, um seine Aufgabe zu erledigen.

Natsumi begab sich inzwischen durch das Treppenhaus nach oben. Sie dachte an das Fenster, in dem sie zuvor Licht gesehen hatte, und eilte so lange nach oben, bis sie richtig war. Nachdem sie besagte Etage erreichte, lauschte sie durch einen kleinen Spalt der Treppenhaustür, ob sie dort alleine war. Der Gang vor ihr war finster, doch sie hörte leise Stimmen. Achtsam ging sie durch die Treppenhaustür und ließ diese lautlos zugehen. Vorsichtig schlich sie durch den Gang an einer Wandseite entlang und näherte sich geduldig der leisen Unterhaltung zwischen zwei Personen. Neben einer Tür hielt sie an und behielt ihren Blick auf dem wenigen Licht, das durch den unteren Türspalt am Boden war. Natsumi erlaubte sich trotz der knappen Zeit, die ihr noch blieb, dem Gespräch zu lauschen. Jede noch so unbedeutende Information, könnte die gesamte Situation für sie und ihre Ninjas ändern. Sie hob das Gesicht langsam an und sah zur anderen Seite der Tür. Ein ihr bekannter Schatten presste sich genauso wie sie mit dem Rücken an die Wand und lauschte ebenfalls. Obwohl Arashi aufgehalten wurde, hatte er nicht viel Zeit verloren. Eine männliche, junge Stimme war zu hören.

»Hat sich der Wert verändert?«, fragte er, worauf eine weibliche, erwachsene Frauenstimme antwortete.

»Wir haben die Menge des Hormon-Giftes auf fünfundzwanzig Prozent erhöht. Bei einem Wert von fünfzehn Prozent hat die Testperson sich nur übergeben und leichte Krämpfe verspürt.« Natsumi sah sofort Arashi an, wobei sich die Blicke trafen. Er sah unerwarteterweise angespannt aus, doch beide lauschten weiter. Der junge Mann klang skeptisch.

»Das wird wieder eine ergebnislose Nacht und wahrscheinlich ein weiterer Fehlversuch«, sprach er langsam, als würde er Notizen dazu machen.

Natsumi sah skeptisch zu Boden. Sie fragte sich, ob ein Fehlversuch eine Testperson war und diese ihren Versuch womöglich nicht überleben würde. Arashi beobachtete, wie sich der abwesende Blick von Natsumi, die auf nichts Bestimmtes blickte, verfinsterte. Ihm war bewusst, dass sie sich immer eine gewisse Mitschuld an allem gab, was an diesen grausamen Orten passierte. Konzentriert sah er wieder zur Tür und blieb geduldig.

Die Stöckelschuhe der Frau waren zu hören, gefolgt von Tippgeräuschen auf einer Tastatur. Dann sprach sie zu ihrem Kollegen.

»Vielleicht hätten wir mit weniger beginnen sollen. Aber jetzt ist die Mischung bereits fertig. Wir sollten es versuchen. Vielleicht übersteht die Testperson das ja und wir ernten die Früchte des Erfolgs? Ich hörte gestern von Amiko, dass sie und ihre Kollegen bereits Fortschritte machen. Ich will nicht hinter ihr zurückfallen.« Ein genervtes Stöhnen des jungen Mannes folgte, bevor er demotiviert eine Antwort gab.

»Sie blufft doch nur. Oder hast du etwas gesehen?«, fragte er, weshalb sich jetzt auch Natsumi neugierig zur Tür drehte. In der Hoffnung, sie würden ein weiteres Labor erwähnen, in dem besagte Amiko arbeitete, lauschte sie weiter, doch es blieb still. Wenige Sekunden vergingen, bis die Tür laut aufflog und die Frau in den leeren, dunklen Gang starrte. Der junge Mann hinter ihr wirkte verwirrt wegen ihrer Handlung.

»Was ist denn? Hast du jemanden gehört?«, fragte er und folgte ihr zögernd. Sie ging mit langsamen Schritten in den Gang und sah sich in beide Richtungen um. In einem weißen Laborkittel, mit kurzen, welligen Haaren und einer runden Brille, sah sie zurück zu ihrem Kollegen.

»Irgendwie hab ich ein komisches Gefühl«, gab sie zu, hielt ihr Klemmbrett fest und entnahm diesem einen Kugelschreiber. Ihr männlicher Begleiter schien deutlich erleichtert zu sein, bevor er wieder ins Zimmer ging und vor sich hin nuschelte.

»Da wird schon niemand sein. Wofür haben wir Wachmänner?!«, fragte er und setzte sich wieder an seine Arbeit. »Außerdem, ist um diese Uhrzeit niemand so dumm, und kommt freiwillig in die Arbeit«, fügte er amüsiert hinzu und drehte sich zu seiner Kollegin, die ungewöhnlich still war. Diese war jedoch nicht mehr in seinem Blickfeld, sondern begab sich mit langsamen Schritten in den Gang, um ganz sicherzugehen, dass wirklich niemand dort war. Es ärgerte sie, dass der Lichtschalter für den Gang ein ganzes Stück von ihrer Tür entfernt war. Nach nur wenigen Schritten wurde sie langsamer und blieb dann endgültig stehen.

Es war so dunkel, dass sie das Klemmbrett in ihrer Hand kaum noch sehen konnte. Gänsehaut kroch über ihren gesamten Körper, also drehte sie sich eilig um und machte einen Schritt. Eine Metall-Schlinge legte sich sofort von oben um ihren Hals, die über eine ausgeschaltete Deckenbeleuchtung verlief.

Die Schlinge verengte sich ruckartig und riss die Frau nach oben, wo sie zu ersticken drohte. Klemmbrett und Kugelschreiber fielen laut zu Boden. Durch das Geräusch aus dem Gang wurde auch der männliche Mitarbeiter aufmerksam. Zögernd zuckte sein Finger am Gürtel, an dem sich eine Schusswaffe befand. »Naomi? Wir haben keine Zeit uns ablenken zu lassen. Lass uns weitermachen«, rief er in die Richtung der offenen Tür, bevor er sich vorsichtig dorthin begab.

Zappelnd und strampelnd, suchte währenddessen seine Partnerin nach Halt, doch die Wände waren zu weit entfernt. Mühsam griff sie immer wieder um die Schlinge an ihrem Hals, bekam jedoch ihre Finger nicht hinein.

Mit Abstand stand Arashi hinter ihr und hielt das andere Ende des Seils, mit dem Blick an der Frau vorbei, auf Natsumi gerichtet. Er wartete auf ein Zeichen, damit er die Schlinge lockern konnte, doch Natsumi sah still zu, wie die Frau den Kampf ums Überleben kämpfte. Natsumi ließ sich Zeit, denn vor ihr hing eine Frau, für die eine Testperson kein lebenswertes Leben besaß. Dennoch gab sie Arashi kurz darauf mit der Hand ein Zeichen, damit er die Frau weit genug runter senkte, bis sie selbstständig stehen konnte.

Die Männerstimme des Kollegen der gefangenen Frau ertönte hinter Natsumi, die nur mit den Augen in dessen Richtung sah.

»Keine Bewegung! Wenn sich jemand rührt, schieße ich! Was habt ihr mit ihr gemacht?!«, rief er mit brüchiger Stimme, weshalb Natsumi erst langsam das Gesicht dahin drehte, dann bewegte sie sich vollständig in seine Richtung. Ihr Blick traf ihn so bedrohlich, wie er es gerne gewesen wäre. Und obwohl er bewaffnet war, fürchtete er sich vor Natsumi. Ihre Augen funkelten ihn warnend an.

»Waffe runter«, sagte sie trotz ruhiger Stimme fordernd. Auf der Stirn des Mannes bildeten sich Schweißperlen, die er mit einer Hand wegwischte, bevor er die Waffe wieder mit beiden Händen umschloss. Hitze stieg in ihm auf und erschwerte ihm das Atmen.

»Ich glaube du verstehst nicht!«, schrie er wütend, denn schließlich hielt er eine Schusswaffe auf sie gerichtet. Natsumi senkte ihr Gesicht, ohne den Blick von ihm zu nehmen, und unterbrach ihn. »Lass uns herausfinden, wer hier was nicht versteht.« Er sah sie verwirrt an und krachte im nächsten Moment mit dem Hinterkopf nach hinten zu Boden. Seine Kleidung wurde schlagartig an sämtlichen Stellen zerfetzt, weshalb Blut durch den Gang spritzte. Röchelnd spuckte er in hohem Bogen einen Blutstrahl aus, der sein eigenes Gesicht und den Hals besudelte.

Natsumi kniete hinter seinem Kopf zu ihm und sah kopfüber in seine Augen. »Wäre besser gewesen, wenn du auf mich gehört hättest«, klärte sie ihn mit ruhiger Stimme auf, bevor sie ihre Klinge an seinem Kittel-Kragen abwischte. Ihre Augen suchten nach Taschen an seiner Kleidung, die sie im Anschluss absuchte. Er hatte nichts dabei, weshalb sie zu der offenen Tür sah. »Ich sehe mich um. Setz sie außer Gefecht, danach verschwinden wir«, gab sie Arashi Anweisungen, dann begab sie sich in den Versuchsraum. Er blickte auf die Frau runter, die vor ihm am Boden saß und keuchend nach Luft rang. Sie rieb sich am Hals vor Schmerzen, hustete und holte laut pfeifend nach Luft, bevor sie sich kräftig übergab.

Arashi verpasste ihr einen schnellen Hieb gegen den Nacken, schon rollten ihre Augen nach oben und sie kippte seitlich zu Boden. Schweigend sah er auf seine Uhr und folgte Natsumi in den Raum. Als er das Zimmer betrat, beobachtete er, wie sie alle Schübe der Tische durchsuchte, und sah sich ebenfalls mit den Augen um.

Mehrere Schreibtische standen im Raum. Auf einem gab es Papierkram, auf zwei anderen standen verschiedene Reagenzgläser, die mit sämtlichen Flüssigkeiten gefüllt waren. Auf den Gläsern standen die Bezeichnungen, weshalb er wusste, dass diese keine Bedeutung bei dieser Suche hatten. Am letzten Schreibtisch befand sich ein Computer, der jedoch ausgeschaltet war. Sie befanden sich also in einem Raum, der ihnen möglicherweise in keiner Weise weiter half, und hatten keine Zeit mehr, weitere Räume zu durchsuchen.

»Wir haben weniger als zwei Minuten. Wenn wir hier nichts finden...«, begann er, doch sie unterbrach ihn und hielt zwei extrem kleine Glaskapseln zwischen Daumen und Zeigefinger.

»... dann müssen wir dieses Labor streichen. Aber das hier sieht vielversprechend aus. Die Notizen nehmen wir ebenfalls mit.« Sie packte die Kapseln ein und betrachtete die Blöcke auf dem Schreibtisch.

Arashi lauschte mit einem Seitenblick zur Tür, schon ertönte ein Alarm, der im gesamten Gebäude zu hören war.

»Eine der Wachen ist zu sich gekommen.« Er nahm die Notizblätter entgegen, die Natsumi als interessant genug empfand. Sie ließ die Blätter von zwei weiteren Blöcken mit dem Daumen durch flattern, verengte dabei zwischen zwei Seiten die Augen und entnahm auch da einige Notizen.

»Das wird nichts beweisen, aber für uns reichen.« Sie schob auch diese Arashi zu, die er widerstandslos in seiner Jacke verschwinden ließ. Schwere, laufende Schritte hallten durch die Gänge. Lichter gingen im gesamten Gebäude an und verschiedene Anweisungen von Männern wurden gerufen. Bewaffnete Wachmänner erreichten den Gang und blieben vor den bewusstlosen Mitarbeitern schockiert stehen. Sofort wurde bei ihnen ein Lebenszeichen festgestellt und sich um sie gekümmert, während die restlichen Männer das ganze Gebäude durchsuchten. Die Suche verlief ins Nichts, denn Natsumi und Arashi brauchten nicht lange, bis sie ihre Motorräder erreichten.

Das Alarm-Signal war von ihrem Versteck aus kaum noch hörbar. Natsumi setzte sich seitlich auf ihre Maschine, holte eine Kapsel hervor und hielt sie höher, um die Flüssigkeit im Licht zu betrachten. Das Gift schimmerte gefährlich, weshalb Natsumi sie wieder senkte und Arashi überreichte.

»Die beiden da drin wussten nicht, woran sie arbeiten. So wie vermutlich alle, die für diese schmutzige Organisation arbeiten. Von wegen Heilmittel. Nimm das mit und lass es untersuchen«, sagte sie mit einem abfälligen Schnaufen.

Arashi nahm die Kapseln und verstaute sie in der Jackentasche. Kurz darauf saß er bereit auf seinem Motorrad und schob den Helm über den Kopf, bevor er das Visier öffnete, um sich mit ihr besser zu unterhalten.

»Die ein oder anderen da drin wissen allerdings sehr genau, woran sie arbeiten. Diese Hormon-Gifte machen abhängig, gefügig, willig, und bringen auch noch richtig Geld.« Er lehnte mit beiden Unterarmen, überkreuzt über dem Lenker. Natsumi setzte sich ebenfalls abfahrbereit auf das Motorrad und und öffnete das Visier ihres Helms, den sie sich im Anschluss über den Kopf schob.

»Mir gefällt nicht, wohin sich das entwickelt. Taucht an einem Ort ein Labor dieser Firma auf, verschwinden plötzlich Menschen drum herum«, sagte sie nachdenklich, weshalb Arashi sie aufmerksam ansah.

»Du fühlst dich immer noch für alle seine Taten mitverantwortlich. Er hat sich für einen völlig falschen Weg entschieden, willst du wirklich tiefer graben und alles für ihn ausbaden?«, fragte er besorgt. Ihr Blick wanderte zu seinem.

»Egal wie falsch seine damaligen Entscheidungen auch waren, Renjin kann nicht alles gleichgültig geworden sein. Ich muss wissen, was er vor hat, weshalb und für wen. Und bis dahin, werde ich diese Experimente an Unschuldigen nicht hinnehmen«, sagte sie entschieden und atmete erschöpft aus. »Bruchteile meiner Erinnerungen kehren langsam wieder zurück und bereiten mir Kopfschmerzen. Ich weiß, dass er mich einst verraten hat, und vielleicht würde er es wieder tun«, sagte sie mit ruhiger Stimme, ohne Arashi dabei anzusehen, der still lauschend das Gesicht senkte, während sie nach kurzem Schweigen weitersprach. »Ich hab den Skorpionen Clan an meiner Seite, den engsten und loyalsten Miyazawa-Verbündeten Ninja Clan. Aber wer ist bei ihm?«, fragte sie und startete den Motor.

Natsumi sah ein letztes Mal zu einem dieser Ninjas aus besagtem Skorpionen Clan. »Ich komme morgen zu euch und wir besprechen die Informationen. Bereitet alles vor«, wies sie ihn an, ließ das Visier zu gehen und fuhr als Erste von dort weg.

Auf dem Rückweg konzentrierte sich Natsumi auf die Straße und dennoch konnte sie ihre Gedanken nicht abstellen. Sie fragte sich, ob es an der Zeit war, ihre wahre Identität wieder anzunehmen. Ihre Erinnerungen, so wenige es im Moment auch waren, drängten sie dazu, genau dies zu tun. Es gab keine Gründe mehr, länger davor wegzulaufen, denn auch Renjin zeigte sich inzwischen in der Öffentlichkeit, als der Retter der Welt. Der Held, der er nicht ist. Der er jedoch einst für Natsumi war. Sie spürte, dass Tränen sich in den Augen sammelten, doch sie blinzelte diese weg und stellte ihre Wut über die Enttäuschung des Verrats.

Am nächsten Morgen kam Natsumi mit nassen Haaren ins Wohnzimmer. Der Tiger lag auf der kompletten Couch und schlief, weshalb sie sich am Boden an ihn ran setzte. Mit einem Handtuch, das über ihren Schultern hing, trocknete sie sich mit einer Hand die Haare ab, mit der anderen schaltete sie die Nachrichten im Fernseher ein. Nach nur wenigen Minuten kam eine Eilmeldung. Sie berichteten über einen Brand, dem ein Labor der PSY-Ex. Organisation zum Opfer fiel. Es gab keine Brandopfer, doch weder die Ursache, noch irgendwelche Spuren von Brandstiftern konnten gefunden werden. Die Polizei versprach weiter zu ermitteln.

Natsumi drehte emotionslos das Gesicht zu Nensho und drückte ihm einen saftigen Kuss auf die große, orangene Nase, weshalb er knurrend den Kopf entzog und leicht schüttelte. Sie lachte leise und lehnte den Kopf nach hinten in das Fell des Tiers, das sich wieder genauso platzierte, wie bis dahin.

»Wir zwei wissen, wer es war«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen und einem entspannten Lächeln.

Kapitel 2 Im Nest der Skorpione

Arashis Motorrad parkte an einem Ort, der im Privatbesitz von Natsumi und seinem Clan Anführer Hisashi war. Es war ein über fünf tausend Hektar großer Wald im tieferen Abschnitt, Nord-westlich in der Präfektur Tokios, den Fremde sehr selten, und nur aus Versehen betraten.

Ein Versteck, welches vier große, traditionell japanische Häuser verbarg, die in allen vier Himmelsrichtungen gebaut wurden. Im westlichen Teil befand sich das Haus, welches Natsumi als ihren tatsächlichen Hauptsitz nutzte, parallel zu dem eher westlichen Haus, das sie aktuell bewohnte. Auf dem einzigen Weg des Waldes gab es eine Gabelung, die nach Süden, Westen, Norden und Osten führte. Überall waren Warnschilder angebracht, dass das Betreten des privaten Grundes auf eigene Gefahr, und verboten sei.

Folgte man dennoch dem nördlichen Weg, so tauchte nach einer gewissen Zeit ein großes Tor mit Überdachung auf, welches sich aus einer Betonmauer nach links und rechts erstreckte, und das Innere in einem runden, sehr weiten Bogen umschloss. Dahinter zeigte sich ein gigantischer Hof.

An der Innenseite der Mauer befand sich Arashis Motorrad, welches zwischen einem weiteren Motorrad und einem roten, sehr sportlichen Auto der Marke Honda parkte. Ein breiter Weg aus großen Steinplatten führte vom Eingangstor direkt durch den Hof, bis zu den langen, flachen Stufen, die an einen Schrein erinnerten. Nach den Stufen folgte ein erhöhter Steg, da das ganze Haus einen Meter über der Erde gebaut wurde. Der Steg umgab das ganze Haus und war vollständig überdacht. Der Eingang des Hauses war großflächig und bestand aus zwei sehr großen Schiebetüren. Betrat man es, so durchquerte man einen breiten Raum, mit dunklem, glänzenden Holzboden, der genug Tageslicht abbekam durch weitere Abzweigungen und große, runde Ausgänge, die auf den Steg nach draußen führten.

Am Boden befanden sich überall verschieden große Papierlampen, die abends alles in warmes Licht tauchten. Die erste Schiebetür auf der linken Seite führte in den Gemeinschaftsraum, den die Skorpion Ninjas nutzten, um Missionen gemeinsam zu planen, oder zusammen zu Essen und zu Trinken.

Der Raum hatte eine riesige Fläche zu bieten, ausgelegt mit Tatami-Matten. In der Mitte standen viele tiefe Tische in einer Reihe aufgebaut, mit einem Durchgang dazwischen. Mehr als 20 Personen könnten dort gleichzeitig Platz nehmen, ohne, dass es eng werden würde. Sitzkissen waren überall verteilt und verliehen dem ganzen Raum Gemütlichkeit. Zusammengelegte Decken lagen an einigen Stellen, wurden jedoch hauptsächlich von der einzigen weiblichen Ninja genutzt, die es in diesem Clan gab.

Arashi betrat den hellen Raum, dessen Schiebetüren an der gesamten Wandseite, gegenüber dem Eingang, offen standen. Tageslicht und frische Luft durchfluteten den Raum. Er setzte sich zu einigen seiner Kameraden, die bereits dort waren und ihn neugierig begrüßten. Draußen, vor der geöffneten Wandseite, befand sich der erhöhte, überdachte Steg am Haus, welcher mit unzähligen Holzlaternen bestückt war. Sie würden abends wieder Licht spenden, durch kleine tänzelnde Flammen, die sich wie jeden Abend im glänzenden, dunklen Holzboden spiegelten.

Bakuhatsu kam über den Steg aus einem anderen Zimmer zu ihnen und setzte sich Arashi gegenüber an den Tisch.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte er mit ruhiger, tiefer Stimme. Er war größer als Arashi und seine Haare, wie auch seine Haut, waren dunkler. Die dunkelvioletten Augen wirkten wild und gefährlich, doch sie zogen auch gern Frauen in ihren Bann. Bakuhatsu war der stärkste Ninja des Clans, weshalb die anderen ihn sehr respektierten.

Arashi nahm sich eins von den umgedrehten Gläsern, die mehrfach übereinandergestapelt waren und um drei große Wasserflaschen standen.

»Es ging relativ schnell und unproblematisch. Wir haben etwas gefunden, müssen es aber erst untersuchen lassen«, sagte er und legte alles auf den Tisch, was er mit Natsumi erbeutet hatte.

Neben Bakuhatsu saß Hitori, die weibliche Ninja mit einem unverwechselbar hübschen Gesicht. Sie betrachtete mit ihren strahlend grünen Augen die zwei Kapseln auf dem Tisch. Als sie sich nach vorne beugte, um eine davon in die Hand zu nehmen, glänzten ihre langen, braunen Haare über ihrem Rücken und fielen in langen Strähnen über ihre Schulter.

Sanft nahm sie sich eine Kapsel zwischen Zeigefinger und Daumen, drehte sich im Sitzen leicht nach hinten zum offenen Teil des Raumes und hielt das kleine Glas gegen das Sonnenlicht. Sofort verengte sie die Augen, während das Gift faszinierend und beängstigend zugleich schimmerte.

Bakuhatsu folgte ihrem Blick und war ebenso gefesselt davon, während Arashi erst ihn, dann Hitori ansah.

»Ich wäre vorsichtig damit. Bricht die Kapsel auf, dringt das Zeug sofort in deine Blutbahn und macht aus dir eine unterwürfige, willige Nymphomanin«, warnte er sie, obwohl er recht unbesorgt klang. Hitori schluckte sofort und legte die Kapsel vorsichtig zurück. So gern sie auch mehr über das Gift wissen wollte, dafür als Testobjekt zu dienen, war sie nicht bereit. Ihre Stimme war angenehm und erwachsen.

»Wie viele diesem Gift wohl schon zum Opfer fielen? Gibt es außerdem noch andere Wirkungen?«, fragte sie und fand die Vorstellung beunruhigend. Neben Arashi saß Shuriken, der unbeeindruckt auf die Beute blickte, weil er nicht mitkommen durfte. Er war sich sicher, es hätte mehr zu holen gegeben, wäre er dabei gewesen. Etwas schmollend, hafteten seine desinteressierten, dunkelroten Augen an den Kapseln. Er gehörte zu der stürmischen Sorte, die wenig Mitgefühl besaß. Trotz seiner harten Schale liebten seine Kameraden seine Gegenwart, denn Shuriken sorgte normalerweise immer für gute Laune.

Mit einem durchtrainierten Körper und seinem selbstbewussten Auftreten fiel er besonders in der Damenwelt positiv auf. Auch das gute Aussehen, mit dem er gesegnet war, spielte Shuriken häufig in die Karten. Seine schwarzen, langen Haare trug er als Pferdeschwanz, der stachelig nach hinten fiel und bemerkenswert rot glänzte.

Doch auch Shuriken trug ein offenes Geheimnis mit sich herum, welches sich unter seinem linken Auge in zwei spitzen Mustern untereinander zeichnete. Beide Linien fingen mit einer schmalen Spitze an, wurden im Verlauf breiter, machten gegen Ende nach unten einen spitzen Knick und endeten ebenso schmal, wie sie begonnen haben. Es hatte die gleiche präzise Feinheit, wie japanische Kalligraphie. Was er offiziell als Tattoo rechtfertigte, als wäre es eine Art Jugend-Dummheit gewesen, war der Beginn einer rätselhaften Blutvergiftung, die seinen Körper hin und wieder an den Rand des Ruins trieb.

Er beobachtete die liegenden Kapseln, dessen Schatten farbig über den Tisch fielen und durch das Licht der Sonne zwischen blau und violett wechselten. Für einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, sich für das Gift als Testobjekt zur Verfügung zu stellen. Sein Körper war bereits vergiftet, was sollte er dabei also verlieren? Dachte er sich, doch Gensei, ein weiteres Mitglied der Ninjas, meldete sich zu Wort.

»Es dient also der Fortpflanzung? Wozu sollten sie so viel Geld investieren, um eine etwas bessere Variante der K.O.-Tropfen auf den Schwarzmarkt zu bringen, wenn dieser bereits mit unzähligen Mitteln übersättigt ist. Mir scheint das ein unbeabsichtigtes Nebenerzeugnis zu sein, welches auf dem Weg zu ihrem eigentlichen Ziel entstanden ist«, sprach er und senkte sein Gesicht so tief an den Tisch, um mit seinen grünen Katzenaugen die Kapseln sehr genau zu beobachten.

Er hatte sehr lange blonde Haare, mit einem feuerroten Farbverlauf bis zu den Spitzen, und trug diese als geflochtenen Zopf über der Schulter. Genseis Stärke lag darin, jeden Menschen direkt zu durchschauen. Neben seinem muskulösen Körper besaß er zudem ein helles Köpfchen, mit dem er seine Feinde schnell das fürchten lehrte. Er konnte nicht nur die Gefühle, die Denkweise, Lügen oder die Verhaltensmuster lesen, sondern auch die Bewegungen vorausberechnen. Bakuhatsu nickte zustimmend.

»Wenn Hisashi da ist, besprechen wir die Notizen. Vielleicht können wir ihnen mehr Informationen entziehen.« Das Farbspiel zwischen blau und violett war hypnotisierend, doch Genseis konzentrierter Blick fiel auf die zweite Kapsel daneben. Die Flüssigkeit war neutral, bis er mit einem Finger die Kapsel vorsichtig hin und her rollte, und diese anfing, ein blutiges Rot anzunehmen. Die Sonnenstrahlen schimmerten darin, als wäre es flüssiger Rubin.

Hitori wurde direkt in den Bann des Farbspiels gezogen, da die Farbe schnell wieder neutral wurde, nachdem Gensei die Finger davon ließ. Weil sich niemand mehr für die Kapsel interessierte, nahm sie diese sanft und schüttelte sie leicht, bis die Rubinfarben erneut aufleuchteten. Shurikens Mundwinkel zogen sich nach oben, mit einem anrüchigen Blick zu ihr.

»Die Versuchung zu einer Nymphomanin zu werden scheint größer zu sein, als du zugibst«, scherzte er, weshalb Hitoris Fokus an der Kapsel vorbei, warnend auf Shuriken wechselte.

»Vorsicht mit deinen Worten, Freundchen«, sagte sie, bevor beide lachten. Shuriken ließ sich davon nicht abschrecken.

»Auf wen wohl deine Wahl fallen würde?«, provozierte er sie grinsend weiter. Nun errötete Hitori, schnappte sich das Sitzkissen neben sich und schleuderte es in seine Richtung, doch es kam nicht an.

Alle wurden still, das Kissen baumelte über dem Tisch vor Shurikens Gesicht in Hisashis Hand. »Die Wahl für was?«, fragte er ernst mit seiner tiefen, dominanten Stimme und beobachtete mit verengten Augen seine Ninjas einzeln, doch die blieben still und sahen sich gegenseitig an. Ihr Anführer, der Natsumis älterer Bruder war, setzte sich im Schneidersitz an die Stirnseite der Tischreihe und hatte somit den Überblick über sie alle. Es war der einzige Platz, den niemand wagen würde zu wählen, da er nur für Hisashi, ihren Sensei und Anführer bestimmt war.

Hitori sah immer noch errötet, mit gesenktem Gesicht, böse auf Shuriken, da sie seinetwegen von ihrem Meister mit einem solch unreifen Verhalten erwischt wurde. Shuriken zwinkerte ihr nur provokant zu, verzog dabei jedoch nicht sein Gesicht und unterdrückte ein Schmunzeln.

Alle anderen sahen neugierig zu ihrem Anführer. Hisashi war groß, überdurchschnittlich gut gebaut und trug mit Stolz die eindrucksvolle, schwarze Ninjakleidung des Skorpionen Clan mit dem roten Skorpion auf der Brust. Seine Haare waren hellblau, kurz und verliefen erst stachelig nach hinten, wurden bis zum Nacken hin jedoch glatter und kürzer. Der Pony fiel über die Stirn und verdeckte leicht seine pechschwarzen, finsteren Augen. Sah er sie alle streng an, so war die Spannung im ganzen Raum zu spüren. Doch an diesem Tag schien sein Gemüt entspannt zu sein, weshalb Hitori als Erste wieder das Wort ergriff, um sich der peinlichen Situation zu entziehen.

»Ich bringe frischen Tee«, sagte sie und begab sich aus dem Raum. Hisashi sah ihr still nach, dann lehnte er sich an den Tisch und überflog mit den Augen die Sachen, die ihm nach vorne gereicht wurden.

»Erstatte Bericht«, forderte er Arashi in Ruhe auf, ohne ihn dabei anzusehen, stattdessen betrachtete er erst die Kapseln, dann nahm er die Notizen in die Hände. Arashi nickte und begann ausführlich zu erzählen, was nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Nachdem er den Ablauf schilderte, sah er seinen Meister aufmerksam an.

»Natsumi teilte mit, dass sie heute zu uns stoßen wird. Eine genaue Uhrzeit hat sie nicht genannt«, ergänzte er.

Hisashi betrachtete eines der Blätter und rieb sich nachdenklich über das Kinn. Immer noch stieß ihm der Name „Natsumi“ bitter auf, obwohl ihm klar war, dass sie diesen nur zur Tarnung annehmen musste.

Während er die Formeln auf den Blättern musterte, kam Hitori mit zwei Tabletts zurück, auf denen zwei dampfende Kännchen mit Tee gefüllt waren. Auch genügende Teeschalen waren ineinander gestapelt. Alle Blicke fielen auf sie, denn mit dem Gewicht auf ihren Händen, hätte sie die Tür unmöglich alleine öffnen können.

Natsumi betrat hinter ihr in schwarzer Ninjakleidung den Raum und schob die Tür wieder zu. Hitori bedankte sich bei ihr, während Natsumi sich die Gesichtsbedeckung nach unten zog und sich neben sie auf den freien Platz setzte.

Alle Ninjas begrüßten sie mit einem respektvollen, tiefen Nicken, weshalb sich der Hauch eines Lächelns auf ihrem Gesicht zeigte. Hitori schenkte zuerst Natsumi eine Schale mit heißem Tee ein, dann ihrem Sensei. Die Ninjas reichten die Teeschale an Hisashi weiter, dann bedienten sie sich alle ebenfalls. Natsumi nahm die Schale dankend an und nippte erst genüsslich daran, bevor sie ihre Aufmerksamkeit ihrem Bruder widmete.

»Konntet ihr was damit anfangen?«, fragte sie und bekam die Blätter überreicht, die sie endlich in Ruhe ansehen konnte. Hisashi wartete geduldig, bis sie alles grob überflog, und richtete erst dann sein Wort an sie.

»Ich werde die Notizen an meine Krähe weitergeben und lasse es von ihr untersuchen. Möglicherweise findet sie jemanden, der damit was anfangen kann«, sagte er, während Natsumi die Giftkapseln beide in die Handfläche legte, um sie endlich auch bei Tageslicht zu betrachten.

»Die Gifte unterscheiden sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur optisch, sie werden verschiedene Wirkungen aufweisen. Demnach ist eine hier für Hormon-Störungen verantwortlich und macht gefügig. Aber was macht die andere?«, fragte sie nachdenklich und sah zu Hisashi. »Kannst du die hier auch deiner Krähe übergeben? Möglicherweise kann sie Nachforschungen anstellen«, bat sie ihn. Hisashi nickte zustimmend.

»Wer weiß, wie viel Zeit uns bleibt, um schlimmeres zu verhindern. Die Experimente müssen inzwischen in vollem Gange sein. Es wird nicht reichen, ein Labor nach dem anderen zu zerstören. Die Öffentlichkeit sollte erfahren, was die Menschen da zu sich nehmen, dann kann sich wenigstens ein Großteil schützen«, sagte er und verschränkte grübelnd die Arme. »Aber du besuchst uns doch nicht nur, um zu reden«, vermutete er mit leicht angehobenem Gesicht und einem herausfordernden Blick.

Sie trank ihren Tee leer, stellte die Schale auf dem Tisch ab und sah ihn mit dem gleichen Blick an, wie er sie.

»Sieh an, deine Instinkte sind ja doch noch nicht eingerostet«, zog sie ihn auf, weshalb er warnend lächelte, es jedoch nicht ernst nahm. Natsumi dagegen wurde wieder ernster und kam zur Sache. »Ich hatte die letzten Tage etwas Zeit und hab den ein, oder anderen Ort untersucht. Es gibt jemanden, der illegale Kämpfe veranstaltet. Dieser Mann ist höchstwahrscheinlich ein Mitglied von der PSY-Ex. Organisation. Sollte sich das bestätigen, und ich ihn kriegen, dann hätten wir etwas in der Hand. Sobald der Ruf der Organisation ein Mal geschädigt ist, wird die Öffentlichkeit gewarnt sein. Dafür brauche ich einige Skorpione, die mich begleiten.« Hisashi hörte aufmerksam zu und überlegte.

»Assuku und Sei-Ryoku sind im Moment mit zwei Gruppen unterwegs und untersuchen die neuen Labor-Standorte. Die anderen sind vor kurzem erst von anderen Missionen zurück und müssen ihre Trainings- und Ruhephasen einhalten«, zählte er auf und sah zu den Anwesenden, deren Feuer in den Augen nur so loderte. Shuriken sah zu Natsumi.

»Ich bin sofort dabei«, sagte er entschieden. Auch Hitori war entschlossen.

»Es wäre mir eine Ehre dich zu begleiten«, sagte sie mit einem ruhigen, ehrlichen Lächeln. Gensei stöhnte enttäuscht und sah Hisashi von der Seite an, der jedoch den Kopf schüttelte. Natsumi lachte leise.

»Beim nächsten Mal, wenn weniger Feinde um uns herum sind, nehme ich dich mit. Versprochen«, sagte sie, was sie auch so meinte. Hisashi hatte dennoch das letzte Wort und musste eine Entscheidung treffen.

»In Ordnung. Vielleicht schließt sich noch jemand an, wenn es soweit ist.« Shuriken war zufrieden und stand von seinem Platz auf.

»Endlich. Ich dachte schon, dass es diesen Monat gar nichts mehr für mich zu tun gibt. Ich werd mich erst Mal zurückziehen«, sagte er, doch sein Blick blieb auf Natsumi haften, da sie sich ebenfalls von ihrem Platz erhob. Sie stellte ihre Teeschale in den benutzten Stapel und bedankte sich nochmal bei Hitori für den Tee, dann folgte sie Shuriken aus dem Raum.

Er streckte sich im Gang und ließ die Arme verschränkt am Hinterkopf, mit dem Gesicht zu Natsumi gewandt. Sie schob die Tür zum Gemeinschaftsraum zu und ging einige Schritte neben Shuriken durch den mit Sonnenstrahlen gefluteten Gang.

»Geht das wirklich klar, dass du mitkommst? Ich mache mir Sorgen um deinen Zustand«, sagte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen und verschränkte die Arme vor der Brust, weshalb beide stehen blieben. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und neigte den Kopf leicht zur Seite, ohne ihrem Blick auszuweichen.

»Schließ mich nicht aus, nur weil diese Krankheit in mir wütet. Ich weiß, dass du mich versuchst zu schützen, aber das wird dadurch nichts ändern. Nichts zu tun, bedeutet mein Ende. Mir geht es gut«, versicherte er ihr mit einem halben, ruhigen Lächeln. Natsumi sah ihn zwar streng an, doch die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.

»Oh, es wird in Zukunft jede Menge zu tun geben. Die ruhigen Tage sind jetzt vorbei.« Sie klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Und jetzt sieh zu, dass du die müden Knochen wieder in Schwung bringst. Ich hetze dir Bakuhatsu an den Hals, damit du ja nicht faul wirst«, sagte sie grinsend und verließ den Gang Richtung Ausgang. Shuriken schnaubte abfällig, sah ihr unbeeindruckt hinterher und ließ die Hände locker an den Hüften hängen.

»Tss. Faul, sagt sie. Den mache ich fertig«, verteidigte er sich mit einer Übermütigkeit und ging lachend in sein Zimmer. Sobald die Zimmertür hinter ihm zu fiel, zog er seine schwere, schwarze Jacke aus. Obwohl das Haus sehr traditionell war, hatten viele von ihnen ihre Zimmer westlich eingerichtet, wie auch Shuriken. Seine Jacke warf er direkt auf das Bett, setzte sich mittig am Fußende darauf und ließ sich nach hinten fallen. Eine Hand ruhte auf seinem Bauch, wo sich jeder Muskelhügel durch das T-Shirt abzeichnete. Den anderen Unterarm legte er mit dem Handrücken über die Augen und stöhnte erschöpft. Sein Daumen streifte dabei das Muster unter seinem Auge nach, welches ihn stets an das Gift in seinem Blut erinnerte. Er fuhr von vorne darüber entlang, bis es hinten endete.

Shuriken spürte die schwarze, vergiftete Stelle auf der Haut, welche in den letzten Jahren länger wurde. Wenn es wuchs, bedeutete es für ihn, dass sein Körper immer weiter von dem Gift zerfressen wurde. Seine Kameraden glaubten immer noch, dass er eine Wette gegen seinen besten Freund Nikita verloren hatte und sich dieses Tattoo stechen ließ. Aber auch ihnen würde bald auffallen, dass das Muster sich langsam ausbreitete. Wie er ihnen das erklären sollte, darüber wollte er noch nicht nachdenken. Das Lächeln, das seine Kameraden von ihm gewohnt waren, verschwand, sobald er alleine war.

Müde bewegte Shuriken den Arm von den Augen und öffnete diese ganz langsam. Zögernd setzte er sich auf, stützte beide Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab und fuhr sich mit beiden Händen über das gesenkte Gesicht. Als er hörte, dass seine Tür aufgeschoben wurde, atmete er tief aus und sah dahin. Bakuhatsu lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und musterte ihn.

»Ich bekam einen Spezialauftrag von der Herrin«, sagte er mit einem kühlen Lächeln. Shuriken wusste, dass er Natsumi meinte, und schüttelte nur den Kopf.

»Wieso überrascht mich nicht, dass sie es damit so eilig hatte?!«, fragte er und lachte kaum hörbar. Baku war zwar selbst immer noch amüsiert, wurde jedoch wieder ernst.

»Wenn es illegale Kämpfe sind, werden sie keine fairen Regeln haben. Ich glaube nicht, dass ihr Probleme haben werdet, sollte es ernsthaft Schwierigkeiten geben. Aber wir sollten das trotzdem nicht auf die leichte Schulter nehmen und Gegner unterschätzen, die wir noch nicht kennen. Nur eins ist sicher, sollten sie die Gelegenheit bekommen, einen von euch zu beseitigen, werden sie nicht zögern.« Er löste sich langsam vom Türrahmen, verlagerte jedoch geduldig sein Gewicht aufs andere Bein. Shuriken musterte ihn eine Weile.

»Mag sein. Aber wo keine Regeln herrschen, gelten auch für mich keine. Ich hasse Kämpfe, die mich einschränken«, sagte er ernst, weshalb Bakuhatsu mit einem ruhigen Lächeln wieder ging. Das waren die Worte, die er hören wollte.

Kapitel 3 Kumite – Training muss sein!

Auf der Rückseite des Innenhofs gab es eine sehr große Trainingshalle, die aus zwei großzügigen Räumen bestand. Eines beinhaltete viele Trainingsgeräte, wie auch Hanteln und Hantelstangen. Der zweite Raum bot jede Menge Waffen aller Art, und diente dem Kampftraining. Bis auf eine Seite, die an der Hofmauer anknüpfte, konnte man die Wände aus Schiebetüren bis zu den Eckwänden vollständig öffnen. Vor der Trainingshalle erstreckte sich ein großflächiger Trainingsplatz im Freien.