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Vor einem Jahr stieg Claire Hendriksen in einen Wiener U-Bahn-Schacht voller Monster. Sie gewann neue Freundinnen, musste aber auch Schrecken erleben. In einem Kampf auf Leben und Tod wurden Kräfte entfesselt, die sogar eine Dämonin der anderen Ebene ausgelöscht haben. Vermeintlich. Nun bekommt Claire eine SMS. Ein Hilferuf von einer damaligen Freundin. Aber ist diese Nachricht wirklich von der Freundin, oder ist das Ganze eine Falle? Alle Schattenchronikagenten sind im Einsatz, niemand kann ihr helfen. Außer zwei Monster-Mädchen, die noch nicht einmal in Ausbildung sind. Die Mission führt sie wieder nach Wien. Direkt in die SM-Szene der Stadt.
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen:
2901 Curd Cornelius Die andere Ebene
2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee
2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald
2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen
2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald
2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer
2907 Michael Mühlehner Gamma-Phantome
2908 Curd Cornelius & A. Schröder Dunkles Sauerland
2909 Andreas Zwengel Willkommen auf Hell-Go-Land
2910 Andreas Zwengel Tempel des Todes
2911 Andreas Zwengel Flussvampire
2912 Andreas Zwengel Die Barriere bricht
2913 Andreas Zwengel Die vier Reiter der Hölle
2914 Michael Mühlehner Der Voodoo-Hexer
2915 Michael Mühlehner Doktor Luzifere
2916 Michael Mühlehner Im Bann des Bösen
2917 Andreas Zwengel Rachehexen
2918 Andreas Zwengel PSI-Schwadron
2919 Andreas Zwengel Caprona-Park
2920 Daniel Weber Böse Mädchen
2921 Daniel Weber Böse Mädchen sterben nicht
2922 Daniel Weber Game Over
Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel
Buch 21
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© 2025 Blitz Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Logo: Mark Freier
Satz: Gero Reimer
2921 vom 25.03.2025
ISBN: 978-3-68984-373-1
Prolog
Der Hilferuf
Trio Infernale
Die Falle
Am Rand des Vergessens
Epilog
Danke!
Daniel Weber
Für Sarah,
weil Du alle meine Launen erträgst,
ohne mir zu böse zu sein.
Prolog
Sie drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die schwere Tür des Wohnhauses. Drinnen brannte Licht, also musste vor ein paar Minuten jemand entweder raus- oder reingekommen sein. Die Helligkeit drang in die frühe Nacht und bedeutete das Ende eines weiteren Arbeitstages. Eines ganz normalen Tages unter Menschen.
Roberta atmete die drückende Luft des Stiegenhauses ein. Sie fühlte sich mehr wie Freiheit an als die abendliche Kühle auf den Straßen.
Nach einem langen Tag im Geschäft wollte sie nicht mehr die drei Etagen nach oben zu Fuß gehen. Sie nahm den Lift. In der Kabine schaute sie sich im Spiegel an – eine Angewohnheit, die sie nicht ablegen konnte. Und seit gut einem Jahr war sie immer noch überrascht, was sie darin sah. Eine normale junge Frau, etwas aufreizender gekleidet als die meisten zwar, aber sie konnte es sich leisten. Sie zeigte genug von ihrem Dekolletee, um aufzufallen, doch zu wenig, um billig zu wirken. Ihre Kleidung war eng, damit niemand viel Phantasie brauchte, um sie sich nackt vorzustellen. Sie lächelte. Dahin waren die Zeiten, wo sie sich nur einen Hauch von Nichts auf den Leib gezaubert hatte.
In der dritten Etage stieg sie aus und suchte den Schlüssel zur Wohnung. Als sie ihn ins Schloss steckte, bei der Tür 13, überlegte sie, ob sie Paul ihr heutiges Mitbringsel gleich oder erst nach dem Abendessen zeigen sollte. In einem Sex-Shop zu arbeiten, hatte Vorteile; er würde sich bestimmt über das gemeinsame neue Spielzeug freuen. Sie fragte sich, in welcher Stellung.
Sie stockte, als sie die Tür einen Spalt aufgemacht hatte. Sie roch es sofort. Eine ganz schwache Note, für ihre Nase unverkennbar. Der metallische Duft von Blut. Ihre alten Instinkte meldeten sich. Alle Gedanken an ihre normale Beziehung in einer normalen Welt waren weggewischt. Sie ließ die Handtasche zu Boden gleiten und ein äußerer Beobachter hätte die drückende Aura spüren können, die sich um sie sammelte, als sie kampfbereit die Wohnung betrat.
Im Flur war nichts, alles so wie immer. Da hingen die Jacken, standen Pauls und vor allem ihre Schuhe. Sonst nichts. Das Licht war aus, aber das war kein Problem für ihre Augen.
Der Geruch kam von rechts.
Das Schlafzimmer. Die Tür war nur angelehnt.
Sie schluckte. Roberta hätte geschrien, als sie die Tür aufstieß, wäre sie nicht an Tod und Schrecken aus ihrem früheren Leben gewohnt gewesen. Stattdessen schnürte sich nur ihre Kehle zu. Langsam führte sie eine Hand zum Mund.
In den zerwühlten Laken lag Pauls Körper. Die Augen totenstarr und leer zur Decke gerichtet, kreidebleich, der Mund aufgerissen in einem stummen Schrei des Entsetzens. Sein Torso war zerfetzt. Einzelne Rippen ragten schief in die Höhe. Alles, wirklich alles war voller Blut.
Sein Herz fehlte.
„Paul“, flüsterte sie. Paul war der erste Mensch seit langer Zeit, der ihr je etwas bedeutet hatte. Nachdem sie beinahe gestorben war, war sie zu ihm zurückgekommen. Natürlich erst nachdem er aus der Obhut der Schattenchronik entlassen worden war.
Sie hatte vorsichtig sein müssen. Obwohl sie dieser Organisation geholfen hatte, wollte sie deren Aufmerksamkeit vermeiden. Also hatte sie geduldig gewartet, bis sie sich Paul, ohne deren Wissen, annähern konnte. Als es endlich so weit war, hatte sie ihm offenbart, was sie war. Er hatte es akzeptiert, denn, so unwahrscheinlich es ihr auch erschien, er liebte sie auch. Sie musste ihn nicht mehr hypnotisieren, damit er zu ihr kam. Denn er war bei ihr. Immer. Sie nahmen sich eine gemeinsame Wohnung.
Es war seltsam gewesen. Obwohl sie Energie aus ihrem Sexualleben zog, wurde er dadurch nicht schwächer. Er war danach sehr erschöpft, ja, aber nach kurzer Zeit fitter als zuvor. Es war unerklärlich.
Er hatte ihr über das letzte Jahr hinweg Lesen und Schreiben beigebracht. Sie dankte es ihm, indem sie sich einen Job gesucht hatte, um selbst zur Miete etwas beizusteuern. Tatsächlich den größten Teil, damit er in Ruhe studieren konnte.
Er hatte sie aus ihrem dunklen Leben befreit.
Jetzt stand sie vor seinem aufgerissenen Körper. Eine Träne lief über ihr Gesicht, sie wischte sie nicht weg. Kein Laut kam aus ihrem Mund.
Verschwommen sah sie etwas zwischen den zerstörten Organen kleben. Sie beugte sich hinab, wischte die Tränen weg, um klarer sehen zu können. Es war ein filigranes Silberkettchen. Mit einem herzförmigen Anhänger. Darauf standen, fein graviert, Zahlen und Worte, die sie damals, als sie das Kettchen verschenkt hatte, nicht hatte lesen können.
Vor so vielen Jahren.
Sie nahm das blutbesudelte Kettchen und starrte es an. Sie konnte nicht atmen, konnte sich nicht bewegen. Wie hatte sie sie gefunden? Wie war sie hierhergekommen? Ihre Schwester ...
„Carina.“ Robertas Faust verkrampfte sich um die Kette, die sie in Kindertagen ihrer älteren Schwester geschenkt hatte.
Der Hilferuf
Claire Hendriksen wischte sich verkohlten Schleim aus den Augen. Schlacke. Beinahe wie Klebstoff. Ekelhaft.
Ein Routineauftrag. Ja, sicher. Jetzt stand sie hier, in irgendeiner Tiefgarage in London, mitten in der Nacht, und badete in den Überresten dieses vernunftbegabten Schleimklumpens, dessen Leibgericht einsame Menschen gewesen waren. Die Walther M3 Laser hatte kurzen Prozess mit dem Ding gemacht.
Na ja, vielleicht nicht gerade kurzen Prozess. Aber das Ding war tot. Endgültig.
Und ich bin vollgeschleimt.
Der Parkwächter, der immer noch in der Ecke kauerte und vor Angst schrie und stammelte, war nicht hilfreich gegen die Kopfschmerzen, die sich durch die Ausdünstungen dieses Schleims ankündigten. Halb verstand sie, was er da undeutlich herumschrie, und antwortete, beinahe gelangweilt: „Just call a cleaning service!“
Kurze Stille, dann die Antwort: „And who will pay for that, young lady?“
Sie verdrehte die Augen. Kaum ging es um Geld, war bei den meisten Menschen jeder Schrecken offensichtlich vergessen. Sie wollte die Kragencom aktivieren, um Robert Linder davon zu unterrichten, dass sie hier einen Reinigungsdienst zahlen und einen Psycho-Spezialisten für den Hysteriker herschicken sollten, als ihr Smartphone vibrierte.
Nur Freunde und ausgewählte Kollegen hatten ihre private Nummer. Meistens war jeder bestens informiert, welcher Agent gerade einen Einsatz hatte. Dringende Sachen gingen direkt über die Com. Privates musste warten.
Wer würde ihr bei einem Einsatz eine Nachricht schreiben?
Sie wischte sich die Hand nochmal an ihrem Trenchcoat ab und zog das Smartphone heraus, das glücklicherweise nichts abbekommen hatte. Sie kannte die Nummer nicht. Und wer schrieb heutzutage noch SMS? Sie öffnete die Textnachricht.
Claire. Bitte hilf mir. Paul ist ermordet worden.
Roberta
Claire holte tief Luft. Roberta! Ein Gedanke jagte den anderen. Sie erinnerte sich blitzlichtartig an die laszive Schönheit, mit der sie vor gut einem Jahr Freundschaft geschlossen hatte und die dann, kurz darauf, gestorben war, um sie und ihre Freunde zu retten.1
Sie aktivierte die Kragencom.
* * *
Robert Linder nahm das Gespräch in seinem Büro entgegen. Er hatte gerade einen Bericht geöffnet, der ihn beunruhigte. Es war beinahe zynisch, dass sich in diesem Moment Claire von ihrem Einsatz in London aus bei ihm meldete.
„Robert!“ Keine Begrüßung. Sie klang nervös. „Ich habe dir einen Screenshot einer SMS auf dein Pad weitergeleitet.“
„Ich sehe es.“ Er öffnete die Bilddatei. Sein Gesicht verdüsterte sich.
Claires Stimme kam gepresst durch die Com. „Ich frage nicht, wie ein Sukkubus den Kampf gegen eine Dämonin der anderen Ebene überleben konnte. Aber ich frage, woher Roberta meine Nummer hat. Und ob es stimmt, was in der Nachricht steht.“
Robert blickte wieder auf den Computerbildschirm. Er schloss die Augen. „Es stimmt. Vor nicht einmal zehn Minuten hat unser weltweites Screening die Meldung gefunden, dass Paul Schulz vorgestern in seiner Wohnung tot aufgefunden wurde. Schlimme Sache. Aufgerissener Torso. Totaler Overkill.“ Stille am anderen Ende der Com. Sie dauerte Robert zu lange. „Dein Auftrag in London ist erledigt?“
Noch ein Herzschlag, dann antwortete Claire. Ihre Stimme klang bemüht ruhig. „Wir müssen eine Reinigungsfirma zahlen. Und der Parkwächter ist verstört.“
„Das lass meine Sorge sein. Ich habe Kontakte vor Ort.“ Er nickte wie zu sich selbst. „Komm sofort zurück. Ich schicke dir einen Wagen, der bringt dich zum Flughafen. Da steht einer unserer Flieger.“
„Verstanden.“
Roberts Magen verkrampfte bei dem Gedanken, Claire nach Wien zu schicken. Aber er wusste, das Mädchen, nein, die junge Frau würde sich nicht davon abhalten lassen. Das war ihr Fall. Er musste Richard Bescheid geben. Die bisherigen Informationen deuteten darauf hin, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten. Robert konnte derzeit keinen weiteren Agenten entbehren. Claire wäre auf sich allein gestellt. Das war nicht gut.
* * *
Schau, was ich für dich habe.
Roberta, Schwesterchen, das ist aber schön. Woher hast du das?
Ähm ... gefunden.
Hm. Da steht was. Viele Küsse. Und ein Datum. Wo hast du das gefunden?
Hab ich vergessen.
Hast du wieder auf eigene Faust gejagt, Roberta?
Ich ... Ich hatte solchen Hunger.
Die schallende Ohrfeige des Traums hallte in ihrem Gedächtnis nach, als Roberta sich wieder in die Realität zwang. Sie durfte sich nicht in diesen Erinnerungen verlieren. Sie musste aufmerksam bleiben. Damals, als sie Carina das Kettchen geschenkt hatte, das nun um ihren Hals hing, war sie noch klein und schwach gewesen und ihre große Schwester hatte auf sie aufgepasst. Sie hatten in der Gosse gelebt. Von einem Versteck ins andere. Ihre Mutter war von einem konkurrierenden Inkubus getötet worden. Die Schwestern waren knapp entkommen.
Sie hatte damals den Hunger kennen gelernt. Carina hatte sie noch beschützen wollen, aber Roberta hatte sehr früh das verführerische Talent bemerkt, das sie besaß. Sie war nicht so mächtig wie ihre Schwester, aber sie war schöner und attraktiver. Konnte mit ihren Reizen besser umgehen. Carina glich dieses Defizit mit Macht aus, weswegen ihre Opfer nie lange überlebten; sie musste sie einfach zu stark beeinflussen. Roberta hatte durch ihre natürliche Schönheit eine feinere Klinge führen können.
Sie wurden älter, Roberta war fast erwachsen. Salvatore lief ihnen über den Weg. Ein Streit. Wegen eines Menschenmannes. Carinas Eifersucht. Die Trennung. Bleib bei der Sache, Mädchen! Ihre Augen brannten vor unvergossenen Tränen. Sie massierte sich kurz die Schläfen und konzentrierte sich auf die zwielichtige Clubszenerie.
Es war einer von vielen Sex Clubs, die sie auf ihrer Liste stehen hatte. Wenn sich ihre Schwester nach wie vor in Wien herumtrieb, würde es in diesem Milieu sein. Schon damals, als Roberta noch ein Kind war und Carina alt genug, in solche Schuppen hineinzukommen, war es ihr bevorzugtes Jagdgebiet gewesen. Hier fand man beinahe nur triebgesteuerte Menschen, die ihre sexuellen Phantasien ausleben wollten. Nebenbei hatte Carina immer schon eine sadistische Ader besessen, die für einen Sukkubus komplizierter auszuleben war.
Folterte man ein unwilliges Opfer, minderte das die Sättigung, die es dem Sukkubus brachte. Verschaffte die Folterung dem Opfer Lust, so steigerte dies den Nährwert für die Dämonin.
Selbst als Roberta ebenfalls körperlich weit genug entwickelt war, um fraglos in solche Clubs eingelassen zu werden, hatte es Carina verboten. Diese Lokale sind nichts für Mädchen wie dich, hatte sie immer gesagt und war zornig geworden. Heute verstand Roberta dieses Verbot: Carina hatte schon damals gesehen, dass sie mit der Attraktivität ihrer kleinen Schwester nicht mithalten konnte. Typisches Revierverhalten eines Sukkubus, mit dem Unterschied, dass man die eigene Schwester ungern beseitigen würde.
Roberta sah gelangweilt zu, wie ein Mittsechziger eine barbusige Zwanzigjährige auspeitschte. Dann streichelte er ihren Rücken, peitschte sie wieder, bis sie sich gemeinsam auf die Ledercouch setzten und er sie in den Arm nahm. Sie hatte glasige Augen. Entweder Schmerz oder Alkohol. Vermutlich ersteres. Eine von den jungen Frauen, die sich in der heutigen Zeit ausprobieren wollten.
Hinter einem Vorhang klatschte Holz oder Plastik auf Fleisch. Stöhnen und Schreie, aber auch Küsse und Lachen.
Ein älterer Glatzkopf, bekleidet nur mit einer Lackunterhose und Lederriemen, näherte sich Roberta. Er sprach sie höflich an. „Hallo. Ich bin Eduard. Du bist neu hier, oder? Ich hab dich noch nie hier gesehen.“
Er hatte nur einen flüchtigen Blick für Robertas Outfit übrig. String, Strapse und ein enger BH, der bei schnelleren Bewegungen die Phantasie von Männern beflügeln sollte. Eduards Blick war nicht gierig. Er sah ihr ins Gesicht, als würde er eine ganz normale Unterhaltung in einem Café beginnen wollen.
Roberta verstand, warum sich Menschenfrauen in solchen Clubs wohlfühlten. Hier agierte jeder nach dem Credo vom Konsens. Niemand wurde gedrängt oder bedrängt. Viele wollten das Gleiche, manche waren zu scheu, andere wollten nur mal reinschnuppern. Oder sich verrucht fühlen. Sie lächelte und winkte ab. „Ich suche nur jemanden.“
„Hier?“ Eduard zog die Brauen hoch. „Ein Date?“
„Nicht direkt. Eine Frau, circa meine Größe, blond. Rundes Gesicht, vielleicht verquollene Augen und eher pausbäckig. Mädchenhaft, aber nicht unreif. Schlank, wenn auch keine Modelfigur. C-Körbchen.“ So hatte ihre Schwester zumindest ausgesehen, als sie sich zum letzten Mal vor zwei Jahren begegnet waren. „Spricht Deutsch und Italienisch fließend. Deutsch mit einem Akzent wie von mir. Ihr Name ist Carina.“
Eduard schüttelte den Kopf. „Ich bin jedes Wochenende hier. Kann mich jetzt nicht an eine Carina erinnern.“
Roberta suchte in seinen Augen nach Zeichen der Verwirrung, die auf Hypnose hindeuten könnten. Sie fand keine. Das war schon der dritte Club in Wien, den sie abklapperte. Aber Carina musste in der Stadt sein. Sie spielte Verstecken. Die Halskette war eine Drohung. Roberta wusste, wenn sie Carina nicht fände, würde ihre Schwester sie finden. Das eine und das andere wäre eine Falle.
Aber sie hatte keine Wahl.
* * *
„Du glaubst nicht, dass Roberta Paul umgebracht hat, oder?“, fragte Claire, als sie im Hauptquartier Bad Berleburg eingetroffen war.
Der Schattenchronik-Leiter zuckte die Achseln. „Es ist irrelevant, was ich hier glaube, aber ich halte es für unwahrscheinlich, nachdem, was letztes Jahr in euren Berichten gestanden hat. Vielmehr macht mir die SMS Sorgen, die sie dir geschickt hat.“
Claire zückte ihr Handy und öffnete die Nachricht. „Ein Hilferuf. Woher kann sie meine Nummer haben? Und noch wichtiger. Wovor hat sie Angst?“
„Hat sie wirklich Angst?“
Claire sagte nichts. Roberta war ein Sukkubus, der sich für sie und ihre Freunde scheinbar geopfert hatte. Aber sie war ein Monster. Selbst wenn sie eine Freundschaft verband, konnte diese Nachricht alles und nichts heißen, auch das Gegenteil. Es konnte ein richtiger Hilferuf sein. Es konnte heißen, dass Roberta die Mörderin war und hoffte, dass Claire sie vor den Konsequenzen beschützen würde. Oder es war ...
„Es ist keine Falle“, hörte sie sich sagen.
„Das weißt du nicht.“ Robert blickte ernst. Aber seine Stimme war weicher als sonst. „Es wird hier ohnehin keine Diskussionen geben.“
Claire fürchtete das Schlimmste.
„Wir haben derzeit keine freien Außenagenten“, sagte Robert. „Du bist mit dem Fall vertraut, du kannst dort tätig werden. Sei vorsichtig. Schließ die Möglichkeit einer Falle nicht aus, nur weil Roberta damals deine Freundin geworden ist. Es ist ein Jahr vergangen. Wir wissen nicht, was passiert ist. Ich wünschte, ich könnte dir Unterstützung mitgeben, aber ...“
„Ich weiß jemanden, der mich begleiten könnte.“ Ihre Stimme war so ruhig, wie sie es fertigbrachte. Sie hatte Diskussionen über ihren Einsatz in dieser Sache befürchtet und ihr Herz schlug schneller, als sie Robert zuhörte. Sie durfte sich die Aufregung nicht anmerken lassen. Während des Fluges hatte sie sich alles genau überlegt. Sie wusste, wen sie bei diesem Auftrag an ihrer Seite brauchte.
Robert sah sie fragend an.
„Mina und Kyra.“
„Das meinst du nicht ernst, oder? Eine Vampirin und eine Werwölfin, die sich gerade mal ein Jahr in unserer Obhut befinden?“
„Wer sonst? Die beiden sind auch Robertas Freundinnen. Und über deren Loyalität brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, das weißt du. Ich besuche sie regelmäßig auf ihrem Hof. Wir sind Freundinnen. Ich lese doch jeden Bericht über das Projekt. Die beiden kümmern sich sehr liebevoll um die anderen Mädchen und werden von ihren Aufsehern nur gelobt.“
Robert verengte die Augen. „Das stimmt schon. Aber das sind kontrollierte Bedingungen. Wer weiß, wie die beiden reagieren, wenn sie wieder unter Menschen gehen.“
„Sie sind doch seit Monaten regelmäßig auf Märkten und verkaufen ihre Waren. Einige der anderen Mädchen genauso.“
Robert wusste, dass sie recht hatte, zumindest bis zu einem gewissen Grad.
„Wenn es eine Falle ist, können sie mich besser unterstützen als die meisten anderen unserer Agenten. Und sie werden für mich kämpfen. Das weißt du genauso gut wie ich.“
Robert schloss für einen Moment die Augen. „Gut. Dann ab mit dir. Du holst sie ab. Ein Wagen steht wieder bereit. Von Stefansburg ist es dann nicht mehr weit bis nach Wien.“
„Danke, Robert.“ Sie stand auf und lächelte zufrieden, als sie aus dem Raum ging.
* * *
Die alte Frau warf den abgeschnittenen Kopf zu den anderen, die in verschiedenen Verwesungsgraden vor sich hin faulten. Ein übler Geruch, während jedes einzelne dieser toten Gesichter sie aus aufgeschnittenen Mündern angrinste. Sie versuchte, diese Blicke zu ignorieren, und nagte weiter am letzten Knochen ihres jüngsten Opfers.
Sie hatte in der letzten Woche mehr gejagt als normalerweise. Die Präsenz, die sie spürte, machte ihr Sorgen. Große Sorgen. Aber sie musste auch vorsichtig sein, denn ihr Versteck war nicht so gut, wie sie es gerne gehabt hätte. Ein im Bau befindliches Hochhaus auf der Mariahilferstraße, an dem schon lange nicht mehr gearbeitet worden war. Soweit sie es in Erfahrung bringen konnte, war die Firma, die dieses riesige Gebäude bauen ließ, pleite gegangen. Deswegen stand jetzt hier, auf einer der größten Einkaufsstraßen Österreichs, ein kaum halb fertiges Gebäude, umringt und durchsetzt mit Baugerüsten, Baumaterial und herumliegendem Werkzeug.
Sie hatte sich im Keller einquartiert, in einer der hintersten Nischen, aus der sie auch schnell flüchten könnte, sollte es nötig sein. Der Verwesungsgeruch der Köpfe machte ihr ebenfalls Sorgen, bisher war er jedoch nicht zu stark nach draußen gedrungen. Ein weiterer Grund, warum sie sich so tief in den Eingeweiden dieser Baustelle versteckte.