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Ein nadelfeiner Riss auf die andere Ebene zieht Martin Anderson in die Welt eines Horror-Survival-Games. Ohne Gedächtnis muss er sich durch ein Haus voller Zombies und anderer Kreaturen kämpfen. Seine Kollegen von der Schattenchronik versuchen verzweifelt, ihm zu helfen. Cassandra Benedikt gelingt es, als geisterhafte Erscheinung ins Spiel zu gelangen und ihn zu lotsen. Doch als Kreaturen aus dem Spiel in die reale Welt übertreten, verliert sie die Verbindung zu Martin.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen:
2901 Curd Cornelius Die andere Ebene
2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee
2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald
2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen
2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald
2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer
2907 Michael Mühlehner Gamma-Phantome
2908 Curd Cornelius & A. Schröder Dunkles Sauerland
2909 Andreas Zwengel Willkommen auf Hell-Go-Land
2910 Andreas Zwengel Tempel des Todes
2911 Andreas Zwengel Flussvampire
2912 Andreas Zwengel Die Barriere bricht
2913 Andreas Zwengel Die vier Reiter der Hölle
2914 Michael Mühlehner Der Voodoo-Hexer
2915 Michael Mühlehner Doktor Luzifere
2916 Michael Mühlehner Im Bann des Bösen
2917 Andreas Zwengel Rachehexen
2918 Andreas Zwengel PSI-Schwadron
2919 Andreas Zwengel Caprona-Park
2920 Daniel Weber Böse Mädchen
2921 Daniel Weber Böse Mädchen sterben nicht
2922 Daniel Weber Game Over
Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel
Buch 22
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© 2025 Blitz Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Logo: Mark Freier
Satz: Gero Reimer
2922 vom 25.03.2025
ISBN: 978-3-68984-374-8
Game Over
Danke!
Daniel Weber
Nochmal für Sarah,
weil ich mich nicht genug bedanken kann für Deine Geduld mit mir.
Es gibt zwar keine Cheatcodes fürs Leben,
aber ich habe ja Dich.
Ich erwachte.
Mein Sichtfeld war düster verschwommen. Ich sah nur Schemen, während ich seltsam klar verfolgen konnte, wie sich die Linien meiner Lider hoben und senkten. Es war fast, als würde ich durch einen Bildschirm schauen. Das Bild zog Schlieren. Alles war vage.
Nach ein paar Augenaufschlägen verbesserte sich meine Sicht. Ich schüttelte den Kopf wie in Zeitlupe, sah mich um. Ich lag in einem kleinen Zimmer. Auf einer Kommode stand ein silberner Retro-Wecker, dessen Zeiger fehlten. Das Glas des Ziffernblatts war zersprungen. Woanders war ein hüfthoher Kasten, auf dem ein Röhrenfernseher rauschend flimmerte. Dann noch ein Tisch, darauf ein altes Telefon mit Wählscheibe. Alles aus dunklem Holz. Auch Wände und Decke. Und die Tür. Ich blickte auf meine Hände. „Wo bin ich? Was ist das hier?“ Ich redete wie automatisch. Musste meine Gedanken laut aussprechen. „Wer bin ich?“ Ich wusste meinen Namen nicht. Hatte ich geschlafen? Wie war ich hierhergekommen?
Ich schnüffelte, roch nichts. Beziehungsweise hatte ich den Eindruck, dass alles hier neutral roch, nichtssagend. Es konnte aber auch sein, dass ich eine verstopfte Nase hatte.
Langsam stand ich von meinem Schlafplatz auf. Eine Pritsche mit dünner Matratze. Dunkle Flecken darauf. Vielleicht Blut? Warum sollte es Blut sein? Ich schüttelte den Kopf und sah mich um. „Hm.“ Ich stieß einfach irgendeinen Laut aus, um die Stille erträglicher zu machen, und ging vor dem flimmernden Fernseher auf die Knie. Da waren zwei Regler, einer stand auf der Ziffer 3, der andere auf 7. Keine Ahnung, was die zu bedeuten hatten. Lautstärke? Sender? Frequenz? Ich war definitiv zu jung, um mich an so einen alten Mist zu erinnern.
Das Telefon schrillte. Ich schreckte hoch, griff zum Hörer. „Hallo. Wer ist da? Ich ...“
„Herzlich willkommen, Martin Anderson“, begrüßte mich eine mechanische Frauenstimme. „Sie befinden sich nun in Silent Mansion. Wir freuen uns über Ihren Besuch und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Wenn Sie ihren Fortschritt speichern wollen, wählen Sie bitte die Eins. Wollen Sie einen gespeicherten Spielstand laden, wählen Sie die Zwei.“ Eine Pause trat ein. Ich lauschte. Dann hob die Stimme wieder an: „Herzlich willkommen, Martin ...“
Ich legte den Hörer auf. Gut. Nun wusste ich ein paar Dinge mehr. Am wichtigsten war, dass ich wahrscheinlich gerade meinen Namen herausgefunden hatte. Martin Anderson. Das hörte sich richtig an. Ich spürte, wie sich in meinem Hinterkopf Erinnerungen regten. Zweitens war ich an einem Ort, der sich Silent Mansion nannte, was mir nicht unbedingt behagen wollte, obwohl mir diese automatische Ansage einen angenehmen Aufenthalt gewünscht hatte. Vielleicht war das nur irgendein skurriles Kur- und Erlebnishotel? Aber dann hätte ich keinen kompletten Gedächtnisverlust. Oh nein. Das hier war ernst. Das sagte mir mein Instinkt. Der Hinweis auf meinen Fortschritt und auf gespeicherte Spielstände wollte mir genauso wenig behagen, auch wenn ich mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen konnte.
Klar war mir indes, dass ich hier raus musste, also öffnete ich kurzerhand die Tür. Ich machte mich auf etwas Unvorhergesehenes gefasst, wurde jedoch enttäuscht. Mich begrüßte ein schmaler Gang, von dem aus rechts, links und mir gegenüber weitere Türen abgingen. Nach wie vor alles aus Holz. Auf diesen Türen standen Nummern, die ich nicht beachtete. Ich ging geradeaus auf die nächste Tür zu, packte die Klinke, betätigte sie.
Kaum war die Tür einen Spalt breit offen, wurde sie mir aus der Hand und nach innen gerissen. Ein Strudel erfasste sie. Grauschleimige Tentakel zermalmten das Holz und zogen sie in den Schlund eines unbekannten Monstrums, dessen spitze Zähne ich vor mir rotieren sah. Die Tentakel waren offenbar so etwas wie Zungen.
Ich hatte weder Zeit, zu schreien, noch um Angst zu haben, denn sofort bohrte sich ein stechender Schmerz durch meinen Solarplexus. Eine Tentakelzunge hatte meinen Körper durchstoßen. Der nächste Fangarm durchstach meinen Oberschenkel. Zwei weitere fesselten meine Arme. Blut schoss aus allen meinen Körperöffnungen, brennende Schmerzen versengten mein Inneres und alles um mich herum wurde rot.
Der Bildschirm dunkelte ab, in roten Lettern war zu lesen: Sie sind tot.
Eine halbe Stunde zuvor
Leila Dahlström entsicherte ihre Walther M3 Laser. Es war ein Routineeinsatz, fühlte sich nicht sonderlich gefährlich an, aber sicher war eben sicher. Sie nickte Martin auf der anderen Seite des Türstocks zu. Ihr Partner hatte auch schon die Walther im Anschlag.
Es gab auf jeden Fall bessere Gegenden für einen solchen Einsatz. Der Kotti in Berlin war nicht unbedingt ein Ort, den Leila freiwillig aufgesucht hätte. Egal ob bei Tag oder bei Nacht, hier war es gefährlich und man trat entweder in Erbrochenes oder auf Alkohol- und Drogenleichen. Hauptsächlich von Jugendlichen.
Dieses Wohnhaus hier war alt und abrissreif. Eigentlich. Ein paar Mieter gab es noch. Beim Erklimmen der Treppen hatten sie aus einzelnen Türen Stimmen gehört, entweder Schreie oder Weinen, jedenfalls keine freundlichen. Die Wohnung, in die sie mussten, war im obersten Stock. Die Tür ein bisschen verzogen, der Türstock schimmlig. Dort drinnen war, ihren Infos zufolge, ein hauchfeiner Riss in die andere Ebene zu finden. Er wäre den Schattenchronik-Sensoren sogar beinahe entgangen, hätte es nicht diese kleine Energiespitze gegeben. Dann war wieder alles ruhig.
Da aus diesem Gebiet bisher nichts Außergewöhnliches gemeldet worden war, gingen sie davon aus, dass noch keine negativen Kräfte durchgesickert waren. Andererseits würden hier ein paar Gewaltakte mehr nicht sonderlich auffallen, solange sie nicht zu bestialisch wären.
Sollte sich also hinter dieser Tür ein noch so kleiner Riss in die andere Ebene befinden, mussten sie ihn schließen. Das war die perfekte Gelegenheit, eine Erfindung Doktor Selthans auszuprobieren, an der er über die letzten Monate hinweg gearbeitet hatte, nachdem er reichlich Gewebeproben und andere Dinge mehr aus der anderen Ebene zu analysieren gehabt hatte. Der sogenannte Impulsor. Ein Gerät, das es durch ausgestoßene Wellen ermöglichte, kleine Risse zwischen den Welten wie ein Ebenenwechsler wieder zu verschließen. Wenn dieser Versuch beim heutigen Einsatz funktionierte, würde das eine massive Erleichterung für alle Agenten bedeuten, die mit diesen Rissen überall auf der Welt konfrontiert waren. Niemand von ihnen müsste mehr auf einen Ebenenwechsler warten, um diese Kleinigkeiten aus dem Weg zu räumen. Dr. Selthan nannte es revolutionär.
Leila und Martin gaben einander Zeichen. Sie griff zur Klinke, stieß die Tür mit einem Ruck auf und zog sich wieder zurück. Martin versetzte der Tür einen Stoß, preschte durch und stürzte in die Wohnung. Leila gab ihm Rückendeckung. Sekunden später senkten sie ihre Waffen. Die Wohnung war leer. Absolut leer. Keine Möbel, die Türen ausgehängt. An hellen Stellen auf der verblichenen kotzgelben Tapete konnte man sehen, wo früher vielleicht einmal Bilder gehangen, Geräte oder Möbel gestanden hatten. Eine Türöffnung führte zu einer Toilette, die Leila kein zweites Mal anschauen wollte. Ein weiterer Raum war vermutlich einmal ein Badezimmer gewesen, wenn man von den brüchigen Fliesen an den Wänden darauf schließen konnte. Der längliche Raum gegenüber war vermutlich die Küche gewesen.
„He, Leila, sieh dir das an!“ Die Stimme Martins kam vom Raum am Ende des kurzen Flurs.
Sie beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Als sie in den kahlen Raum kam, der leicht nach Moder roch, sah sie es. Mitten im Zimmer stand ein Flachbildfernseher auf dem Boden, davor eine sehr neu aussehende Spielekonsole. Leila hatte keine Ahnung, welche Marke oder welche Generation. Beide Geräte hingen mit Kabeln an einer Doppelsteckdose in der Wand. Sie waren eingeschaltet. Auf der Konsole leuchtete ein grüner Punkt, der Bildschirm spielte eine leise, unheimliche Melodie und zeigte das Bild einer riesigen verfallenen Villa, zugewuchert von Gestrüpp, umgeben von dunklem Wald. An den Fensterscheiben klebte Blut. Irgendwo im Dickicht des Unterholzes raschelte es. In roten Buchstaben stand geschrieben: Silent Mansion. Darunter in Weiß: Drücken Sie eine beliebige Taste.
Martin lachte verhalten. „Eine Spielekonsole. Das Spiel ist recht neu auf dem Markt. Horror Survival Game. So ähnlich wie Resident Evil.“
„Ich hab nie so was gespielt.“ Leila kam diese Situation seltsam vor. „Die Musik nervt.“
„Ich mach’s aus.“ Martin ging zwei Schritte nach vorne, beugte sich zum Controller der Konsole und streckte die Hand danach aus.
Leilas Gehirn arbeitete eine Sekunde zu langsam. Martins Gehirn hatte offenbar einen Aussetzer. Eine verlassene Wohnung, in der vermutlich ein Riss zur anderen Ebene existierte. Eine Spielekonsole mit einem Horrorspiel im Laufwerk. Das konnte nichts Gutes heißen. „Warte, Martin. Da stimmt was nicht.“
Aber er hatte den Controller schon in der Hand und drückte eine Taste. Er schaute in ihre Augen. Es sah aus, als wollte er etwas sagen, da wurde Leila von einem Leuchten geblendet, das von der Konsole strahlte. Ein greller Lichtblitz, der sie zurückweichen ließ. Das Licht brannte in ihren Augen. „Martin?“ Sie blinzelte. Wollte so schnell wie möglich wieder etwas sehen können. „Martin!“
Als ihre Sicht sich klärte, war Martin nicht mehr da. Der Fernseher zeigte keinen Startbildschirm mehr, sondern einen Ladebildschirm. Wie gebannt starrte sie darauf. Er wurde schwarz. Als würden sich Augenlider öffnen, blinkte das Bild, Konturen wurden sichtbar. Ein Raum schälte sich aus den Schemen. Leila begriff, dass man hier durch die Augen des Protagonisten blickte. Worte tönten durch die Lautsprecher des Fernsehers: „Wo bin ich? Was ist das hier?“ Es war Martins Stimme!
„Martin!“ Sie wollte nach vorne laufen, hielt sich aber zurück. Gebannt beobachtete sie das Geschehen. Das Telefon im Spiel klingelte. Martin wurde namentlich begrüßt. Er ging durch eine Tür, kam in einen Gang, öffnete dort eine weitere Tür und dann ...
Leila kreischte wie ein Mädchen, als sie durch Martins Augen sah, wie er von Tentakeln durchbohrt wurde. Nach einer Schrecksekunde riss sie sich zusammen und aktivierte die Kragencom. Sie hätte professioneller sein sollen, aber als auf dem Bildschirm die Botschaft Sie sind tot erschien, konnte sie nur noch stammeln.
Ihr Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung redete beruhigend auf sie ein. Es war Robert Linder. „Beruhige dich, Leila. Verstärkung ist unterwegs.“
* * *
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich spürte Schmerzen überall im Körper, aber ich wusste, sie waren nur noch eine Erinnerung. Ich war wiederhergestellt, war wieder am Leben.
Nur Sekunden vorher war ich gestorben. Wieder öffnete ich die Augen, wieder sah ich nur Schemen durch die Augenlider. Wieder befand ich mich im selben Raum wie zuvor, aber ich bemerkte schnell, dass sich etwas verändert hatte. Meine Auffassungsgabe war rasch und präzise. Natürlich, in meinem Job brauchte man klare und scharfe Sinne. Aber was war mein Job nochmal? Unwichtig jetzt. Ich checkte meine Umgebung.
Der Retrowecker hatte einen Sprung im Glas. Dieser Sprung war nun an einer anderen Stelle als zuvor. Der Röhrenfernseher rauschte lauter. Ich stand auf, hockte mich wieder vor das Gerät. Die beiden Regler standen nun auf anderen Ziffern: 5 und 1. Ich schaute zurück zum Wecker. Der Sprung im Glas war direkt über der 9. Das musste etwas zu bedeuten haben.
Das Telefon klingelte wieder. Ich hob ab. „Herzlich willkommen, Mart...“
Ich schlug den Hörer auf die Gabel. Derselbe Mist wie zuvor. Ich musste denken, musste mich konzentrieren. Ein Sprung an einer anderen Stelle. Direkt vor einer Ziffer. Verstellte Regler. Irgendwo hatte ich vorher ebenfalls Ziffern gesehen.
„Die Türen!“ Ruckartig riss ich die Tür zu dem schmalen Gang mit den drei weiteren Türen auf. Richtig. Auf jeder der drei Türen standen Ziffern, als wären es Zimmernummern. Von links nach rechts waren es drei unterschiedliche Ziffernfolgen: 159, 519 und 348. Also zwei Türen, die die Ziffern beinhalteten, die ich vorhin im Zimmer gesehen hatte. Hieß das also, dass eine von ihnen die richtige war, oder dass sie bestimmt die falschen waren?
Ich vermutete jedenfalls, dass sich die Ziffern wieder ändern würden, würde ich die falsche Tür aufmachen und erneut sterben. Woher ich diese Vermutung nahm, wusste ich hingegen nicht. Instinkt, in solch einem Augenblick denkt man nicht weiter nach. Einerseits saß mir die Angst im Genick, die ich allerdings bewusst zurückhielt, denn ansonsten hätte ich mich nicht getraut, auch nur irgendeine Tür zu öffnen. Andererseits pumpte so viel Adrenalin durch meinen Körper, dass ich unbedingt etwas tun musste, um nicht wahnsinnig zu werden.
Kurzerhand entschied ich mich für jene Tür, die keine der Zahlen aus dem Zimmer beinhaltete. Ich nahm die Klinke und wollte sie mit einem Ruck aufstoßen. Es war die mittlere, die vorhin nach innen aufgegangen war. Sie ließ sich diesmal nicht nach innen drücken. Ich zog daran. Sie schwang auf und entblößte eine rechteckige Einbuchtung im Holz, in der eine Faustfeuerwaffe an der Wand hing. Daneben zwei Schachteln Munition.
Überraschend, aber auch nicht unbedingt schlecht. Ich nahm die Pistole von der Halterung. Betrachtete sie. Sie war geladen. Fünf Schuss. Ich entsicherte und zog den Schlitten zurück.
Dann streckte ich meine Hand nach der Munition aus. Ich hatte sie noch nicht berührt, da verschwand sie mit einem klimpernden Geräusch. Instinktiv wusste ich, dass ich jetzt Munition einstecken hatte, zwei Magazine mit je neun Schuss. Aber woher wusste ich das? Und wo am Körper trug ich diese Munition?
Ich sah an mir hinab und merkte, dass ich gerade mal meine Beine knieabwärts sehen konnte. Meine Arme nur bis ungefähr zum Ellbogen. Egal wie ich mich verdrehte und wendete, meinen restlichen Körper konnte ich nicht finden. Es gab auch nirgendwo Spiegel. Die Angst meldete sich zurück und wollte an die Oberfläche gelangen. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und zählte von zehn abwärts, um mich zu beruhigen. Egal was hier los war, Angst oder Panik würden mich nicht weiterbringen. Ganz im Gegenteil. Ich war an einem unbekannten Ort und konnte den Großteil meines Körpers nicht sehen, wusste aber, dass ich einen solchen besaß. Ich wusste aus purem Zufall, wie ich hieß, doch ansonsten nichts. Ich war mir sicher, heute schon einmal gestorben und wiedererwacht zu sein. Ich hatte eine Pistole samt Munition und ich wusste offensichtlich, wie man damit umging.
Jetzt hatte ich noch die Möglichkeit, mich zwischen zwei weiteren Türen zu entscheiden, die Zahlenfolgen aufwiesen, deren Ziffern ich aus dem vorigen Zimmer kannte. Eine der Türen konnte wie vorhin zu meinem Tod führen, dann würde sich vermutlich alles wiederholen.
Aber musste sich alles wiederholen? Ich erinnerte mich an das Telefongespräch nach meinem ersten Erwachen. Ich ging zurück, hob versuchsweise den Hörer ab und presste ihn an mein Ohr. Die Frauenstimme ertönte: „Wenn Sie Ihren Fortschritt speichern wollen, wählen Sie bitte die Eins. Wollen Sie einen gespeicherten Spielstand laden, wählen Sie die Zwei.“
Mechanisch drückte ich die Eins.
„Ihr Spielstand wurde gespeichert.“
* * *
Nachdem Leila die Schattenchronik verständigt und sich beruhigt hatte, schaute sie zu, wie Martin von Beginn an noch einmal spielte. Er wählte die Tür und fand eine Waffe, dann ging er zurück und rief den Speicherbildschirm auf. Eine leere Liste erschien und ein neuer Speicherslot wurde geschrieben. Level:Aufwachraum stand dort, plus Datum und Zeitangabe. Dann bewegte sich der Bildschirm wieder, in der Hand hielt Martin jetzt die Pistole. In der rechten unteren Bildschirmecke wurde sein Munitionsvorrat angezeigt.
Leila berichtete alles durch die Com den zugeschalteten Kollegen.
Dr. Selthan, der gerade mit einem Helikopter hergeflogen wurde, sagte: „Ich habe meine Mitarbeiter bereits beauftragt, alles über das Spiel herauszufinden. Sie durchsuchen jedes Forum nach Tipps, Lösungswegen und Cheatcodes. Zwei spielen es gerade selbst. Martin hat ein leichtes Zusatzrätsel gleich zu Beginn gelöst und eine Pistole erhalten, die besser ist als die, die er etwas später im Spiel finden würde. Jetzt muss er sich für die richtige Tür entscheiden. Eine Fifty-fifty-Chance. Gut, dass er gespeichert hat. Viele nehmen an, dass man die Ziffern nach aufsteigendem Wert lesen müsste, sterben aber dann, weil man sie von oben nach unten und von links nach rechts lesen muss. Der Fernseher steht links vom Wecker, die Regler sind übereinander. Die jetzige Kombination wäre für Martin fünf-eins-neun.“
Leila legte sich die Hand vor die Lippen. Sie hauchte: „Er nimmt wieder die falsche.“
Erneut musste sie zusehen, wie die Tentakel ihren Kollegen zerstörten. Er schrie, der Bildschirm färbte sich blutrot, dann schwarz. Und in ebenso blutroten Buchstaben standen einen Augenblick später die Worte Sie sind tot. Leila biss sich auf die Lippen. „Oh mein Gott.“
„Das ist nicht gut“, sagte Selthan durch die Com. „Du hast uns ja erzählt, er habe gleich nach dem Erwachen die Ziffern inspiziert und habe sich die Türnummern angeschaut. Das lässt darauf schließen, dass er sich an den ersten Versuch erinnern kann. Das ist auch logisch, sonst käme er nicht weiter. Er hat gespeichert, das ist gut, also kann er seinen Spielstand neu laden. Aber was mir Sorgen bereitet, ist, dass er sich immer an den vorhergegangenen Tod erinnern muss. Ich weiß nicht genau, was das mit dem Verstand machen kann, aber die menschliche Psyche ist jedenfalls nicht darauf ausgelegt, den eigenen Tod immer und immer wieder zu verarbeiten.“
„Wir müssen ihn da schnellstens rausholen!“, rief Leila, während der schwarze Bildschirm erneut zu blinzelnden Augen wurde. Martin erwachte zum dritten Mal.
„Wir sind bald da!“ Das war Cassandra Benedikts Stimme, die durch die Com drang. Sie hatte alles mitgehört. „Bleib ruhig, Leila. Wir machen das!“
* * *