Der Munk - Daniel Weber - E-Book

Der Munk E-Book

Daniel Weber

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Beschreibung

Der 13-jährige Bobby Garner lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester in einer amerikanischen Kleinstadt. In einem neu eröffneten Bücherladen erwirbt er das Buch mit dem Titel "Der Munk", das von einem bösen koboldartigen Wesen handelt. Von diesem Tag an ist nichts mehr, wie es war. Unerklärliche Ereignisse treten in Bobbys Leben auf: Er träumt vom Munk, eine fremde Frau warnt ihn vor dem Bösen und ein Kätzchen wird auf brutale Weise getötet - genau wie es im Buch beschrieben wird. In panischer Angst wirft Bobby das Buch in den Müll - und setzt damit das Grauen erst in Gang ...

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Seitenzahl: 265

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und -auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2012 novum publishing gmbh

ISBN Printausgabe:978-3-99026-269-6

ISBN e-book:978-3-99026-271-9

Lektorat: Sarah Schroepf

Umschlagfoto: Frenta | Dreamstime.com

Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.

www.novumverlag.com

1

„Booobbyyy!!! Komm sofort runter ins Badezimmer!“, schrie Tabitha Garner. Es war Samstagnachmittag, ihr Sohn Bobby saß in seinem kleinen Zimmer im ersten Stock, war gerade in ein Buch mit dem Titel The Ghost City vertieft und aß nebenbei Erdnussflips, die in einer Schale vor ihm auf dem Schreibtisch standen. Es handelte sich um einen Gruselroman für Teenager mit 183 Seiten. Bobby war vor einem Monat dreizehn geworden. Das Buch war ein Geschenk von seiner Großmutter Christine aus Massachusetts gewesen, die genau wusste, dass ihr Enkel für sein Leben gern Gruselgeschichten las. Er mochte diese noch mehr als die Filme, obwohl er auch davon einige in dem kleinen Schränkchen neben seinem Fernseher stehen hatte.

Bobby freute sich immer riesig, wenn seine Großmutter zu Besuch kam, weil sie ihm jedes Mal ein anderes Schauermärchen erzählte, von dem sie immer behauptete, es selbst erlebt zu haben, obwohl er natürlich wusste, dass das geflunkert war. Seine Mutter war immer dagegen und sagte, Christine solle dem Jungen keine Angst machen, worauf Bobby jedes Mal beteuerte, er habe keine Angst.

„Ach Tabbie, lass doch den Jungen in Ruhe! Du weißt doch, dass er auf solche Geschichten abfährt. Außerdem ist er kein kleines Kind mehr“, hatte Joe Garner bei Christines letztem Besuch zu seiner Frau gesagt.

„Genau!“, hatte Bobby seinem Vater zugestimmt.

Im Bücherregal hinter seinem Bett hatte er einige Schauergeschichten stehen: The Creature, einige Bände von R. L. Stine’s Goosebumps, The Ghost Castle, einen Band voller Kurzgeschichten mit dem Titel Uncle Ray’s Shock Stories, welchen er im Jahr zuvor im Zeltlager in Augusta dabeihatte, um mal nur ein paar aufzuzählen. Es war eine Klassenfahrt gewesen, und ohne Uncle Ray’s Shock Stories hätte sich der Junge wahrscheinlich zu Tode gelangweilt. Bei dem Buch The Ghost City, welches er gerade las, war er soeben beim letzten Kapitel angekommen und hatte nur noch neun Seiten vor sich. Die Geschichte neigte sich langsam dem Ende zu, und Bobby konnte nicht aufhören zu lesen – es war einfach zu spannend. Die fünfzehnjährige Lisa Burton – die Hauptfigur – rannte gerade eine kleine, verlassene Straße entlang, auf der Flucht vor den Geistern, welche schon eine geraume Weile hinter ihr her waren.

„Boooobbyyyyyy!!!“, hörte er seine Mutter abermals rufen, diesmal lauter als zuvor.

„Ich komm ja schon, Mom!“ Bobby legte das Buch widerwillig zur Seite, eilte in den Flur hinaus und die Treppe hinunter.

Im Badezimmer angekommen, sah er, wie sich seine Mutter über das Waschbecken beugte und dieses mit einem Lappen abwischte. Seine zehnjährige Schwester Meg stand daneben und grinste hämisch.

„Wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass du nach dem Zähneputzen das Waschbecken wieder sauber machen sollst? Überall sind noch Reste von deiner Zahnpasta. Das ist eklig, Bobby!“

„Ja, tut mir leid, Mom“, murmelte er, obwohl er beim besten Willen keinen Fleck erkennen konnte.

„Ein Tut mir leid macht die Sache auch nicht besser“, entgegnete sie, ohne sich dabei vom Waschbecken abzuwenden. „Beim nächsten Mal machst du es selber weg, hast du verstanden, junger Mann?“

„Ja“, erwiderte Bobby kleinlaut.

„Außerdem hast du deinen Pyjama wieder mal liegen lassen. Denkst du, ich hab nichts Besseres zu tun, als dir hinterherzuräumen?“

„Genau, Bobby, denkst du, sie hat nichts Besseres zu tun?“, fügte Meg vorlaut hinzu. Sie war rotzfrech für ihr Alter.

Kleine Göre, dachte sich Bobby. „Tut mir leid, Mom“, wiederholte er. „Ich verspreche dir, beim nächsten Mal denke ich da­ran.“ Er ging zur Toilette hinüber, hob seinen Pyjama auf, welcher auf dem geschlossenen Deckel lag, schnitt eine Grimasse in Richtung seiner Schwester und verließ anschließend das Zimmer. Als er wieder die Treppen hochging, konnte er seine Mutter noch immer leise fluchen hören. Meg murmelte dabei irgendetwas Unverständliches und kicherte im Anschluss.

Tabitha war eigentlich keine strenge Mutter. Sie meinte es nicht böse mit ihm, und das wusste Bobby auch. Nur hatte sie diesen, gelinde ausgedrückt, etwas nervigen Putzfimmel. Wenn es um Ordnung ging, konnte sie schnell die Fassung verlieren. Das bekam sein Vater noch viel häufiger zu spüren als er selbst. Da war zum Beispiel die Sache mit dem Kaffee, ein paar Wochen zuvor. Joe hatte die Tasse auf dem Wohnzimmertisch abstellen wollen und dabei etwas verschüttet – wirklich nicht viel. Seine Fernsehzeitschrift mit den Sudokurätseln auf den letzten fünf Seiten, welche er so gerne löste, war ihm aus der Hand gefallen und auf dem Boden gelandet. Er hatte sofort einen Lappen aus der Küche holen wollen, um den verschütteten Kaffee damit aufzuwischen, weil er genau wusste, wie es um den Ordnungssinn seiner Frau stand, doch als er zurückgekommen war, hatte diese den Tisch bereits sauber gemacht und seine Zeitschrift zum Altpapier getan, mit der Begründung, sie sei von vorletzter Woche und würde nur unnötig Platz wegnehmen.

Wie dem auch sei, Bobby ging zurück in sein Zimmer und las das Buch in einem Stück zu Ende, ohne unterbrochen zu werden.

2

„Lisa hat es tatsächlich geschafft, zu entkommen, Dad.“

„Wer?“ Joe sah seinen Sohn fragend an. Er saß auf dem bequemen Sessel im gemütlichen Wohnzimmer im Erdgeschoss des Hauses und war gerade dabei, die Tageszeitung zu lesen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass Bobby den Raum betreten hatte.

„Na … Lisa Burton, das Mädchen aus The Ghost City. Sie hat es geschafft, zu entkommen und das Tor ins Jenseits zu schließen, um somit die Geister ein für alle Mal zu verbannen. Ich habe dir doch von der Geschichte erzählt, weißt du das denn nicht mehr?“

„Doch, doch“, antwortete sein Vater. „Dann gab es also doch noch ein Happy End, hmm?“

„Ja.“

„Was hast du denn vor, als Nächstes zu lesen?“

„Ich weiß es noch nicht. Meine eigenen Bücher habe ich schon alle durch. Ich werd gleich mal in die Stadt gehen, vielleicht haben sie im Nancy’s books and toys ja ein gutes im Angebot … das heißt, wenn mein Taschengeld von diesem Monat überhaupt noch ausreicht. Hab nämlich nur noch knappe fünf Dollar übrig.“

Gut für Bobby, dass seine Mutter in der Küche war und nichts von ihrer Unterhaltung mitbekam, denn sie hätte ihn wahrscheinlich sofort ins Gebet genommen, er solle sein Geld nicht so schnell ausgeben.

„Wenn nicht, muss ich mir wohl eines aus der Bibliothek holen“, sagte er.

„Ist doch sowieso besser … so sparst du dir wenigstens dein Geld“, entgegnete sein Vater.

„Ja, schon, aber ich habe sie lieber selbst zu Hause. Ist halt besser, wenn man die Bücher besitzt und sie nach dem Lesen nicht wieder zurückbringen muss, weißt du?“

„Ja, stimmt auch wieder. Sei aber zum Abendessen zurück, hörst du?“

„Aber klar doch, Dad“, erwiderte Bobby und nahm noch eine Handvoll Käsecracker aus der Schale, die auf dem Tisch stand, bevor er in den Flur hinausging. Dort schlüpfte er in seine Schuhe und nahm seine Jacke vom Kleiderhaken, bevor er die Haustüre öffnete und hinaustrat. Der kalte Herbstwind fegte die Blätter wirbelnd durch den Garten. Meg jagte Stanley, der einen Tennisball im Maul hatte, quer über den Rasen. Der Jack-Russell-Terrier wich ihr dabei immer wieder geschickt aus.

Bobby beachtete die beiden nicht weiter. Er warf einen Blick auf seinen Kürbis, welcher sich neben der Haustür befand. Die grimmige Fratze hatte er vor ein paar Tagen selbst hineingeschnitzt. Er konnte es kaum erwarten, bis endlich Halloween war. Noch eine Woche Schule, dann begannen die Ferien, und in knapp zwei Wochen war es dann so weit. Meg würde wie jedes Jahr mit ihren Schulkameraden von Haus zu Haus ziehen und Süßes, sonstgibt’s Saures! rufen. Im Jahr zuvor ging sie als Hexe verkleidet. Bobby aber saß am Halloweenabend viel lieber mit seinem Vater auf der Wohnzimmercouch und sah sich einen Horrorstreifen an (er durfte sich keine Filme alleine anschauen, die für sein Alter noch nicht geeignet waren, aber zusammen mit seinem Vater ging es in Ordnung). Sogar Tabitha, die davon nicht besonders viel hielt, setzte sich meistens für ein paar Minuten dazu – schließlich war ja Halloween. Sie meinte aber stets, sobald sie merke, dass der Junge zu viel Angst bekommen sollte oder dass die Filme ihm in irgendeiner Weise schaden könnten, würde das sofort wieder aufhören!

Wie dem auch sei, er machte sich auf den Weg.

3

Heute geschlossen

Das kleine Kärtchen war von innen an die Glastür von Nancy’s books and toys geklebt. Es war nun genau vier Uhr. Bobby hatte fünfzehn Minuten bis hierher gebraucht. Er stand unter der roten Markise, drückte seine Nase gegen die Schaufensterscheibe und blickte ins Innere des Ladens. Er bemerkte, dass das Bücherregal neben der Kasse, welches in der Woche zuvor noch ein paar Lücken aufgewiesen hatte, nun wieder bis oben hin aufgefüllt war.

Sie müssen wohl eine neue Lieferung bekommen haben, dachte sich Bobby. Unter der Reihe mit den Liebesromanen befanden sich die Gruselbücher, und Bobby konnte auch ein paar neue entdecken.

„Warum müssen die denn ausgerechnet heute geschlossen haben?“, murmelte er ein wenig verärgert. Nun blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als doch noch in die Haddonfield Library zu gehen und sich dort eines auszuleihen. Diese befand sich an der anderen Seite der Stadt, und für Leseratten wie Bobby gab es, soweit er wusste, nur diese zwei Möglichkeiten in Haddonfield, an Bücher zu kommen. Die Stadt war zwar nicht besonders groß, und doch war es ein ganz schönes Stück zu gehen, denn die Lower Main Street war wegen Straßenerneuerungsarbeiten gesperrt, und somit musste er den Umweg durch den Midtown Park nehmen, der, wie der Name schon sagt, in der Mitte der Stadt lag.

Er machte sich auf den Weg und ging schnellen Schrittes, da er noch vor dem Abendessen wieder zu Hause sein wollte. Tabitha konnte es nicht leiden, wenn ihr Sohn zu spät kam.

4

Mrs Sheldon stand am Brunnen im Park und sprach mit einer etwa gleichaltrigen Frau. Ihre Tochter Kelly fütterte ein paar Meter entfernt Tauben. Sie ging mit Meg in dieselbe Klasse. Bobby beschleunigte das Tempo, denn er wollte nicht, dass Kelly ihn sah. Diese war noch frecher als Meg (kaum vorstellbar, aber wahr!) und würde ihm wahrscheinlich nur nachrennen und auf die Nerven gehen, sollte sie ihn bemerken. Er ging rasch an den Bänken vorbei, auf denen einige ältere Herrschaften saßen und darüber diskutierten, wie man denn am besten Bohneneintopf zubereitete. Unter ihnen befand sich ein Mann um die siebzig mit einem riesigen, an den Backen gekräuselten, weißen Bart und einem schwarzen Krückstock in der Hand. Bobby konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Der Mann sah einfach zu albern aus. Zwei Bänke weiter saßen zwei alte Damen, die ihre Erfahrungen im Socken- und Pulloverstricken austauschten.

„Was für interessante Unterhaltungen“, murmelte Bobby. Als sein Blick auf einen der Ahornbäume am Wegesrand fiel, bemerkte er, dass an dessen Baumstamm ein Flyer angebracht war. Bobby war von Natur aus ziemlich neugierig und machte ein paar schnelle Schritte darauf zu, um ihn sich anzusehen. Er nahm ihn vom Baum und blickte auf das Papier, welches zerknittert und auch ein wenig vergilbt war. Ein schlecht leserlicher Text war aufgedruckt:

Neueröffnung!!

„Old Gary’s“

Ein kleiner, gemütlicher Bücherladen für waschechte Leseratten.

Von A–Z, für jedermann ist etwas dabei!!!

Auf der anderen Seite des Haddonfield River, etwa zweihundert Meter am Waldesrand entlang.

Ich freue mich auf Ihr Kommen.

Der Flyer kam Bobby etwas seltsam vor. Es war kein Datum für die Eröffnung aufgedruckt und außerdem nirgends eine Adresse zu sehen (andererseits war er sich nicht einmal sicher, ob es dort überhaupt eine Anschrift gab). Es handelte sich um eine ziemlich einsame, düstere Gegend am äußersten Stadtrand. Sie war selbst Bobby – dem abgebrühten Gruselfreak – nicht ganz geheuer. Er war einmal mit seinem Fahrrad dort gewesen. Auf der einen Seite des Flusses befand sich nur eine große Wiese, abgesehen von dem kleinen Schuppen am hinteren Feldrand, der den Förstern zur Unterbringung ihrer Ausrüstung diente. Auf der anderen Seite führte lediglich ein kleiner Weg am Waldrand entlang, und dieser war, soweit Bobby wusste, nicht einmal beschildert.

Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand in dieser Gegend einen Laden eröffnen wollte. Woher sollte man dort schon Kundschaft bekommen? Hin und wieder sah man lediglich einen Fahrradfahrer den Weg entlanghuschen, ein paar Jogger oder jemanden mit seinem Hund Gassi gehen.

Seltsam, dachte sich Bobby. Er betrachtete den Flyer in seiner Hand und grübelte. Wer ist dieser Old Gary? Gibt es diesen Laden wirklich oder ist das nur irgendein alberner Scherz?

Aber der Junge war einfach zu erpicht darauf, die Wahrheit zu erfahren, als es einfach dabei zu belassen, und somit steckte er den Flyer in seine Jackentasche, verließ den Midtown Park und machte sich auf den Weg in Richtung Haddonfield River.

5

Etwa zwanzig Minuten später marschierte er die Hempton Street entlang. Bobby konnte schon die kleine Brücke über dem Fluss erkennen. Der Wind hatte etwas aufgefrischt, es begann zu regnen und der Himmel war mit dunklen Wolken überzogen. Bobby fror und zog den Reißverschluss seiner Jacke bis oben hin zu.

„Sauwetter“, murmelte er, während er auf dem brüchigen Asphalt auf die Brücke zuging.

Die Hempton Street führte aus der Stadt heraus und ging direkt in eine Landstraße über. Er hatte die letzten Geschäfte und Wohnhäuser längst hinter sich gelassen. Hier befanden sich lediglich ein alter, mit Unkraut überwucherter Kinderspielplatz, welcher schon lange nicht mehr benutzt wurde, seit in der Nähe der Haddonfield Library der Fun Park gebaut wurde, und die ehemalige Walton technologies – eine seit sieben Jahren leer stehende Fabrikhalle, in der sein Vater etliche Jahre gearbeitet hatte, als Bobby noch in die Windeln schiss, bevor er zu einer Chemiefab­rik im Zentrum der Stadt wechselte.

Der Junge sah auf die Uhr. Es war bereits Viertel vor fünf. Irgendwo in der Nähe hörte er eine Krähe krächzen. Ihm war etwas mulmig zumute. Warum, wusste er selbst nicht genau. Lag es vielleicht an diesem merkwürdigen Flyer? Oder an dieser einsamen Gegend? Würde er diesen Laden wirklich vorfinden? Obwohl er ein flaues Gefühl im Magen hatte, hoffte Bobby es natürlich, doch in seinem tiefen Inneren hegte er Zweifel.

„Wahrscheinlich hat sich nur irgendein Witzbold einen albernen Streich ausgedacht“, murmelte er.

„Hast wohl heute ’nen Clown gefrühstückt, hmm?“, fiel ihm der Spruch seines Onkels Bill ein, welcher ihm immer Geschichten vorgelesen hatte, als er noch kleiner war. Bobby hatte seine Ferien immer wahnsinnig gerne bei ihm und Tante Ardelia in ihrem Strandhäuschen in New Haven verbracht. Bill war vor drei Jahren, im Alter von nur sechsundvierzig, an einem Herzinfarkt gestorben. Die Ärzte hatten es auf seine Tablettensucht zurückgeführt. Den Jungen hatte der Tod seines Onkels ziemlich mitgenommen. Auch Ardelia war damals mit den Nerven am Ende. Sie lebte seitdem ziemlich zurückgezogen und isoliert und hat das Ableben ihres Mannes bis heute nicht verkraftet. Ein wirklich schwerer Schicksalsschlag.

Bobby lenkte seine Gedanken wieder auf den Bücherladen, den er hoffte vorzufinden.

Er hatte nun die Brücke erreicht. Sie war schon sehr alt. Bobby setzte zaghaft einen Fuß darauf und begann sie langsam zu überqueren, wobei die Holzdielen bei jedem Schritt unter seinen Füßen knarrten. Einen Augenblick lang dachte er schon, sie würden brechen und ihn in den Fluss befördern (das Wasser musste zu dieser Jahreszeit eiskalt sein!), doch zu seiner Erleichterung kam er heil am anderen Ufer an.

Er warf noch einmal einen kurzen Blick zurück und ging dann schnellen Schrittes weiter den schmalen Weg entlang, wobei er den Flyer aus seiner Jackentasche kramte. Etwa zweihundert Meter am Waldesrand entlang, so hieß es. Bobby ging weiter und lauschte dem Rauschen des Flusses. Im Wald vernahm er wieder das lang gezogene Krächzen einer Krähe.

Warum tust du das nur?, hörte er eine Stimme in seinem Kopf fragen. Du wirst doch sowieso nichts vorfinden! Bist du denn wirklich so dämlich, Bobby Garner?

Aber er konnte seine Neugier einfach nicht zügeln und hatte irgendwie das Gefühl, er würde diesen Laden tatsächlich vorfinden, wobei er es andererseits auch wieder bezweifelte. Das widerspricht sich eigentlich, aber so empfand er nun mal.

Nur noch ein paar Augenblicke, dann würde er es herausfinden. Nun verstärkte sich auch das flaue Gefühl in seinem Magen.

Er hatte bereits ein gutes Stück des Weges zurückgelegt und konnte die Brücke hinter sich schon nicht mehr sehen, da der Weg eine Biegung nach links machte und die dichten Bäume seine Sicht versperrten. Nicht weit vor sich konnte Bobby erkennen, wie diese sich teilten und

eine Lichtung am Wegesrand freigaben. „Hier muss es sein“, murmelte er gespannter denn je.

Falls dieser Laden überhaupt existiert, hörte er wieder jene Stimme in seinem Kopf. Nun durchzuckte auch ein Anflug von Angst seine Gefühlswelt. Bobby war eigentlich keineswegs ein ängstlicher Mensch (verständlich, bei seiner Vorliebe für Schauermärchen), aber im Moment war er angespannter, als man sich vorstellen konnte.

Woher zum Teufel kommt bloß diese übertriebene Aufregung? Das ist doch irrsinnig! Nur ein stinknormaler Flyer, mit einer Wegbeschreibung zu einem stinknormalen Bücherladen. Stinknormal! Stinknormal!!! Oder etwa nicht?

Er ging zögerlich auf die Lichtung zu.

Gleich würde er erfahren, ob es diesen Laden tatsächlich gab oder ob es sich nur um einen dummen Scherz handelte.

Er blieb noch einmal kurz stehen, atmete ein letztes Mal tief durch, nahm sich zusammen und trat schließlich auf die Lichtung hinaus.

6

Bobby stand mit offen stehendem Mund und stechendem Blick einen Meter vom Weg entfernt auf der Waldlichtung, in deren Mitte sich ein Holzhäuschen mit einer dunkelgrünen Markise entlang der Vorderseite befand. Es hatte zwei Fenster, welche mit dicken schwarzen Holzrahmen eingefasst waren. Dazwischen – eine massive, ebenfalls schwarze Holztür, über der in einem stilvollen Schriftzug mit dunkelgrünen Lettern (der gleiche Farbton, den die Markise hatte) die Worte Old Gary’s standen.

Es war also doch kein Scherz! Der Laden existiert!

Bobbys Unbehaglichkeit war urplötzlich wie weggeblasen und stattdessen machte sich auf seinem Gesicht eine unbeschreibliche Faszination breit. Durch die Fenster konnte er ein fahles Licht in der Hütte schimmern sehen. Der Junge war vor Bewunderung wie gelähmt. Er stand mindestens zwei Minuten lang reglos da und vergaß dabei fast zu atmen. Dieser Laden zog ihn voll und ganz in seinen Bann. Ein weiteres Krähengekrächze riss ihn schließlich aus seiner Starre und er ging langsam auf die Hütte zu. Dort angekommen, hielt er kurz inne und legte dann vorsichtig seine Stirn an die rechte Fensterscheibe. Er positionierte seine Hände seitlich am Gesicht, um besser hineinsehen zu können.

Das Innere des Ladens war einfach atemberaubend! Bobby sah auf einer Ablage, gleich hinter dem Fenster, ordentlich aneinandergeschlichtete Bücherreihen. Dahinter, in der Mitte des Ladens, befanden sich zwei parallel zueinander positionierte riesige Regale, welche bis oben hin mit Büchern vollgestopft waren.

„Wow“, flüsterte der Junge fasziniert. Ein Außenstehender hätte diese Faszination vielleicht nicht nachvollziehen können, aber für Bobby bedeuteten Bücher alles.

Das fahle Licht drang aus der rechten hinteren Ecke des Ladens hervor. Einen Verkäufer oder sonst jemanden konnte er jedoch nicht sehen. Bobby war immer noch gespannter denn je. Er bewegte sich langsam auf die Tür links neben sich zu und legte dann zögerlich eine Hand auf den schwarzen eisernen Knauf. Er drehte diesen behutsam, worauf sie sich mit einem leisen Klack öffnete. Bobby schob die Tür vorsichtig auf. Schweißperlen standen ihm mittlerweile auf der Stirn.

„Hallo?“, sagte er leise mit vor Aufregung zittriger Stimme. „Ist jemand da?“ – Keine Antwort. Nach kurzem Zögern betrat er den Laden, schloss behutsam die Tür hinter sich und lauschte einen Augenblick lang mit angehaltenem Atem. Bobby konnte jedoch niemanden hören, geschweige denn sehen. Er stand vor den zwei Regalen, an deren Seiten kleine Kärtchen mit der Aufschrift Romane angebracht waren, und trat etwas näher heran. Die Bücher waren alphabetisch geordnet. An jeder Reihe befand sich seitlich ein kleines Etikett mit dem jeweiligen Anfangsbuchstaben der darauf befindlichen Autoren. Hier gab es wirklich alles von A bis Z – wie auf dem Flyer beschrieben – und Bobby entdeckte in dem Regal auch einige Romane, welche über fünfhundert Seiten haben mussten, wie er vermutete. Er überflog kurz die ordentlich aneinandergeschlichteten Bücher und stieß dabei auf Namen wie Charles Dickens, Ken Follett, Ernest Hemingway und Karl May. Unter dem Buchstaben K entdeckte Bobby ein paar Werke von Stephen King. Ja … den kannte er. Er hatte sich einmal zusammen mit seinem Freund Jim Sullivan, den er schon seit dem Kindergarten kannte, den Film es angesehen, als Jims Eltern nicht zu Hause waren. Eine wirklich gelungene Schauergeschichte, wie Bobby fand. Wie nannte man King doch gleich? Den Meister des Horrors.

Der Junge bemerkte, dass das schimmernde Licht von einem eisernen Kerzenleuchter ausgestrahlt wurde, welcher eine stilvolle Drachenskulptur darstellte. Dieser stand in der hinteren Ecke des Raumes auf einem großen Schreibtisch, der wohl als Ladentheke dienen sollte.

„Hallo?“, sagte Bobby erneut, als plötzlich ein leises Fauchen ertönte, worauf ein Schatten an der Wand rechts vom Schreibtisch entlangtanzte. Im Schein des Kerzenleuchters sah er gespenstisch aus. Bobby fuhr erschrocken zusammen und torkelte einige Schritte rückwärts, während sein Herz wieder schneller zu schlagen begann. Er blieb stehen und versuchte, ruhig zu atmen, schaffte es jedoch nicht. Er vernahm ein leises Tapsen auf dem Boden und blickte zwischen den Büchern auf dem Regal hindurch. Bobby konnte den leichten Umriss von einem kleinen, dunklen Etwas erkennen, das die Fensterwand entlanghuschte. Er verharrte regungslos und versuchte, seinen rasenden Pulsschlag zu beruhigen, was ihm aber ebenfalls nicht gelang.

„In solchen Momenten hilft es, rückwärts zu zählen!“, fiel ihm der Rat von Sarah Weathers, seiner Englischlehrerin, ein.

„Fünfzig, neunundvierzig, achtundvierzig, siebenund…“

„Hat dich Hektor erschreckt?“, ertönte plötzlich, wie aus dem Nichts, eine tiefe kratzige Stimme hinter ihm, und eine knochige Hand legte sich auf seine linke Schulter. Bobby fuhr ein immenser Schreck durch die Glieder, und er konnte einen kurzen unterdrückten Aufschrei nicht zurückhalten. Er wirbelte herum und blickte in ein knochiges Gesicht – unrasiert und vom Alter gekennzeichnet, mit weißen schulterlangen Haaren auf dem Kopf, welche der Gestalt ein unheimliches Aussehen verliehen. Für einen Moment war Bobby völlig perplex. „Wa… was, wer …?!“, stammelte er verängstigt. „… es tut mi… mir leid, ich …“

„Ganz ruhig, mein Kleiner“, versuchte der alte Mann ihn zu besänftigen und sagte dann in schrofferem Tonfall: „Hektor, komm her! Du hast den armen Jungen ganz verschreckt!“

Bobby verstand zuerst nicht, wem diese Aufforderung galt, bis er schließlich links neben sich eine schwarze Katze hinter dem Bücherregal hervortapsen sah. Ihre Augen strahlten ein leichtes Funkeln im fahlen Schein des Kerzenleuchters aus. Sie kam leise schnurrend auf den Jungen zu und schmiegte sich sanft an dessen Beine.

Hektor, komm her! Du hast den armen Jungen ganz verschreckt! Als ob er ihn nicht um das Hundertfache mehr erschreckt hätte!

„Ent… Entschuldigung, dass ich hier einfach so reinko…komme, aber die Tür war nicht abgeschlossen und ich …“

„Natürlich ist sie nicht abgeschlossen, junger Mann. Wie sollte ich denn sonst auch nur ein einziges Buch verkaufen, wenn mein Laden verschlossen ist, hmm?“ Der alte Mann lachte, wobei es sich eher um ein gequältes Krächzen handelte, bei dessen Klang Bobby ein kalter Schauder den Rücken hinunterkroch, und fuhr dann mit seiner kratzigen Stimme fort: „Du bist übrigens mein erster Kunde.“

Bobbys Herzschlag begann sich allmählich wieder zu beruhigen. Er erblickte eine halb offen stehende Tür, durch die der Mann vermutlich gekommen sein musste. Sie führte in ein kleines Nebenzimmer und war dem Jungen zuvor überhaupt nicht aufgefallen.

„Mr …“

„Gary, du kannst mich Gary nennen. Und Hektor kennst du ja nun auch. Ich habe mein Geschäft schon in einigen Städten betrieben, hatte aber nie richtig Glück, weißt du.“

Wenn er sich überall so eine Gegend wie diese ausgesucht hat, dann ist das auch kein Wunder, dachte sich Bobby.

„Jetzt versuche ich es hier in Haddonfield … ein ruhiges, nettes Plätzchen, wie es scheint.“

Der Kater schnurrte wieder.

„Sieh dich ruhig genau um, Bobby! Ich wette, du findest ein paar Bücher, die dich interessieren könnten. Deswegen bist du doch hier, oder?“

Hat er mich soeben mit meinem Vornamen angesprochen? Das kann nicht sein, ich habe ihn doch gar nicht erwähnt! Habe ich mich vielleicht verhört? Aber Bobby hatte sich nicht verhört.

„Mr … ich meine, Gary! Woher kennen Sie denn meinen Namen?“

Der Alte starrte einen Moment lang ins Leere und kniff die Augen leicht zusammen. „Nun … ich denke mal, du wirst ihn eben schon erwähnt haben.“

„Nein, ich glaube nicht“, erwiderte Bobby rasch.

„Aber so muss es sein. Ich bin doch schließlich kein Hellseher, junger Mann.“ Er ließ wieder sein krächzendes Lachen ertönen. Einerseits mochte Bobby diesen alten Kauz, denn er hatte etwas Interessantes an sich. Er zog ihn irgendwie in seinen Bann, genau wie dieser Laden es tat. Andererseits jedoch kam er ihm nicht ganz geheuer vor, denn in seinen Augen vernahm Bobby die Spur von etwas Trügerischem (und dann war da natürlich noch die Sache mit seinem Vornamen!).

„Wie dem auch sei, wenn du dich etwas beruhigt hast, kannst du dich gerne umsehen. Ich habe hier alles an Büchern, was das Herz begehrt! Von den großen Erzählern aus vergangenen Generationen bis hin zu ziemlich neuen Exemplaren. Und hier …“ Er ging zu der Fensterwand hinüber, vor der sich die Ablage mit den Büchern befand, welche Bobby schon von draußen gesehen hatte, und deutete mit dem Finger auf diese. „… habe ich Bücher für Kinder und Jugendliche. Mein Gefühl sagt mir, dass du ein richtiger Bücherwurm bist, nicht wahr?“

„Oh ja, das bin ich wirklich. Ich lese für mein Leben gerne Gruselgeschichten, wissen Sie! Ich war gerade auf dem Weg zur Bibliothek, als mir im Midtown Park Ihr Flyer auffiel.“

„Nun … irgendwie muss man ja auf sich aufmerksam machen, nicht wahr?“

Bobby folgte ihm und betrachtete fasziniert die große Auswahl an Büchern, welche auf der Ablage aneinandergeschlichtet waren. Über den zwei Reihen auf der rechten Seite befand sich wiederum ein kleines Kärtchen mit der Aufschrift Grusel. Er entdeckte einige ihm vertraute Bände, unter anderem eine ganze Anzahl von R. L. Stine’s Goosebumps und ein paar Bände von Erin Fisher (derselben Autorin, die auch The Ghost Castle und The Ghost City geschrieben hatte).

„Wie schon erwähnt, habe ich hier Bücher für Kinder und Jugendliche.“ Er beobachtete Bobby, wie dieser gebannt auf die Schauermärchen starrte. „Ich glaube, das ist genau deine Ecke, nicht wahr?“

„Oh ja, ganz gewiss, Mr … äh, ich meine, Gary.“

Der Alte beäugte ihn noch eine Weile, bevor er schließlich sagte: „Ah … mir fällt gerade etwas ein. Warte einen Augenblick hier, ich glaube, ich habe da etwas für dich, mein Junge!“

Er ging zu der Tür des Nebenzimmers, aus dem ebenfalls ein schimmerndes Licht drang, und verschwand anschließend darin. Bobby war sehr gespannt darauf, was der alte Kauz ihm zeigen wollte. Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr und bemerkte etwas erschrocken, dass es gleich zwanzig Minuten vor sechs war. War er wirklich so lange in dem Laden gewesen? Die Zeit war wie im Flug vergangen.

Hinter ihm kam der Kater angetapst. Er schmiegte sich wieder an Bobbys Beine und sprang dann mit einem gezielten Satz auf die Ablage, wo er sich neben den Büchern zusammenkauerte. Sein schwarzes Fell glänzte regelrecht und hatte etwas Eindrucksvolles an sich. Bobby fühlte sich wie in eine Art Trance versetzt, so schön war der Anblick Hektors. Er streichelte behutsam über dessen glattes, geschmeidiges Haar, welches sich wie Samt anfühlte. Der Kater gab wieder sein stetiges Schnurren von sich.

Bobby fühlte sich in der besänftigenden Atmosphäre des Ladens immer wohler. Im Nebenzimmer vernahm er Geräusche und ein paar Augenblicke später kam der Alte, irgendetwas Unverständliches murmelnd, durch die Tür. Er hatte ein rotes Buch in der Hand.

„Nun, Bobby, sieh dir das hier mal an!“ Er kam auf den Jungen zu und reichte ihm das Buch. Bobby nahm es und betrachtete die Vorderseite. Es trug den Titel Der Munk. Auf dem schon etwas abgenutzten roten Umschlag war eine Abbildung von einem kleinen Kobold zu sehen, der auf einem Briefkasten saß. Er trug eine braune Hose über seinen Beinen und hatte ein bösartiges Grinsen im Gesicht. Man sah eine Reihe spitzer Zähne daraus hervorblitzen. Der Kobold hatte etwas ziemlich Groteskes an sich. Sein grauer Körper war spindeldürr, und Bobby musste bei dessen Anblick an Gollum aus DerHerr der Ringe denken.

„Ich bin vor ein paar Tagen beim Durchwühlen meiner Kisten auf dieses Buch gestoßen. Ganz zufällig. Um ehrlich zu sein … ich wusste gar nicht mehr, dass ich überhaupt so eines besitze. Bin halt schon ziemlich alt, weißt du! Da vergisst man nun mal so manches.“ Er ließ abermals sein krächzendes Lachen hören, schlenderte zum Schreibtisch hinüber und setzte sich. Hektor sprang von der Ablage herunter und verschwand mit geschmeidigen Bewegungen in dem Nebenzimmer. Während Bobby noch immer das Buch in seiner Hand beäugte, fiel ihm etwas Merkwürdiges daran auf: Es war nirgends ein Name des Autors zu sehen.

„Ich habe auch schon ein wenig darin herumgeblättert. Es scheint ganz gut zu sein. Vielleicht gefällt es dir ja … möchtest du es denn lesen, junger Mann?“

Oh ja, das wollte er. Schon beim ersten Blick, den er auf den Kobold mit dem unheimlichen Grinsen im Gesicht geworfen hatte, war er von dem Buch völlig fasziniert gewesen. „Was soll es denn kosten?“, fragte er in einem etwas gedämpften Tonfall.

Der Alte überlegte kurz, wobei er seine Stirn runzelte, und erwiderte dann: „Nun ja, weil du mein erster Kunde hier in Haddonfield bist und ich sowieso nicht mehr wusste, dass ich dieses Buch überhaupt noch habe, sollst du es umsonst bekommen. Na, wie hört sich das an?“

Es hörte sich großartig an und Bobby konnte seine Freude nicht verbergen. Er fragte ihn mit einem breiten Grinsen: „Meinen Sie das wirklich ernst?“

„Aber selbstverständlich“, entgegnete der Alte lächelnd.

Bobby sah ihn freudestrahlend an, bedankte sich eifrig und warf dann einen weiteren Blick auf seine Armbanduhr. „Entschuldigen Sie, aber ich muss mich jetzt langsam mal auf den Weg nach Hause machen. Sonst komme ich noch zu spät zum Abendessen.“ Er betrachtete ein weiteres Mal das Buch in seinen Händen. „Außerdem will ich noch heute mit dem Lesen anfangen!“

„Na, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Ich hoffe, du hast viel Spaß mit dem Buch!“

„Den werde ich ganz sicher haben!“

Der Alte lächelte, stand auf und begleitete Bobby zur Tür.

„Vielen, vielen Dank noch mal! Und ich verspreche Ihnen, dass ich Sie bald wieder besuchen komme!“

„Darüber würde ich mich sehr freuen, mein Junge! Also, mach’s gut.“

Er hielt Bobby die Tür auf und dieser verstaute das Buch in seiner Jackentasche, zog den Reißverschluss wieder bis oben hin zu und trat anschließend ins Freie. Der Himmel war bereits von schwarzen Gewitterwolken überzogen, der Wind blies viel stärker als zuvor und der Regen prasselte auf den Boden. Bobby blickte sich noch einmal um und winkte dem alten Mann ein letztes Mal zu, bevor er sich schnellen Schrittes auf den Weg nach Hause machte. „Einen schönen Tag noch, Mr … Entschuldigung, Gary!“

Der alte Kauz lächelte und machte ebenfalls eine grüßende Geste. Hektor kam herangetapst. Er nahm ihn auf seine Arme und kraulte ihm mit bedächtigen Handbewegungen das Fell, wobei der Kater wieder sein angenehmes, sanftes Schnurren von sich gab. Der Alte blickte Bobby noch einige Augenblicke nach, bis dieser aus seinem Sichtfeld verschwunden war.

„Den wünsche ich dir auch, …“, flüsterte er. „… den wünsche ich dir auch.“ In seinem Blick lag noch immer die Spur von etwas Trügerischem.

7

Es gab Pfannkuchen mit Vanillesoße und als Dessert für jeden ein Glas Mousse au Chocolat. Tabitha Garner war eine begnadete Köchin. Sie saßen alle beisammen in der geräumigen Küche im Erdgeschoss. Bobby schlang sein Essen jedes Mal regelrecht herunter, aber dieses Mal in noch