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Zwei brutale Frauenmorde stellt die Kriminalpolizei vor große Rätsel. Stehen die beiden Morde im Zusammenhang? Eine heiße Spur führt in die dunklen Schluchten des Internets. Der versierte Computerfachmann Sven wird schließlich um Mithilfe gebeten. Bald verfängt er sich in den Wirren eines Erotik-Chats, in dem man die grotesken Lügen nicht von der manchmal ebenso grotesken Wahrheit unterscheiden kann. Als Sven um sein Leben und um das seiner Freunde bangen muss, weiß er nicht mehr, wem er trauen kann und wem nicht. Ein Thriller über die tiefen Abgründe des Geistes, über die Macht und Suchtgefahr moderner Kommunikationseinrichtungen, und über die fatalen Folgen von Missverständnissen.
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Seitenzahl: 386
Veröffentlichungsjahr: 2020
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ein Kriminalroman von
Sönke Brandschwert
ISBN: 9783955777029 Erstveröffentlichung der Printversion:
2008 im Sigrid Böhme Verlag
Copyright 2020 © Sigrid Böhme Verlag
Lektorat: Claudia Basdorf
Alle Rechte vorbehalten.
Kopieren, Nachdruck, schriftliche oder digitale Veröffentlichungen, auch auszugsweise, sind genehmigungspflichtig.
Als Ausnahme sind Veröffentlichungen im
Zuge von Rezensionen und Buchvorstellungen bis zu zehn Buchseiten ausdrücklich erlaubt, sowohl in gedruckter als auch digitaler Form.
Ein kleiner Teil dieses Buches besteht aus Chat-Gesprächen im Internet. Während man dies in der Printversion sehr übersichtlich formatieren kann, ist das in der eBook-Version nicht möglich, da sich jeder Leser die Anzeige und Schriftgröße selbst einstellen kann. Zur besseren Lesbarkeit der Chat-Gespräche wird empfohlen, das eBook im Querformat zu lesen oder eine kleine Schrift zu wählen.
Es war dunkel im Zimmer. Die Tastatur wurde lediglich durch das schwache Licht des Monitors angestrahlt. Im grünen Schimmer sah Sybilles halbleere Kaffeetasse gespenstisch aus. Doch das bemerkte die Frau gar nicht, denn sie konnte ihre Augen nicht vom Bildschirm nehmen. Jede Zeile, die neu angezeigt wurde, fixierte sie in angespannter Erwartung, fast so, als wollte sie die gewünschten Worte heraufbeschwören. Zwischendurch nahm sie immer wieder einen Schluck Kaffee, der sie noch nervöser machte.
Sie war zu Hause. Sowohl räumlich als auch virtuell. Seit über drei Jahren war dieser Chat ihre Heimat. Vieles in ihrem realen Leben hatte sie an das virtuelle Dasein im Cyberspace angepasst. Selbst in ihren sprachlichen Wortschatz waren Begriffe wie lol oder mombi eingeflossen.
Manchmal fragte sie sich, ob sie süchtig danach war zu chatten. Selbst an Tagen, an denen sie kaum Zeit hatte, suchte sie sich wenigstens ein paar Minuten, um sich kurz einzuloggen. Dann sagte sie sich, dass es für sie nur ein Spaß war, ein Hobby, so wie andere Menschen eben Fahrrad fuhren. Meistens aber war es ihr einfach egal, ob sie nun chatsüchtig war oder nicht. Was änderte das schon? Sie war glücklich in ihrer virtuellen Welt, die im Laufe der Zeit ohnehin immer realer geworden war.
Anfangs war es reine Neugier gewesen. Ihr Mann, mit dem sie seit über 14 Jahren kinderlos verheiratet war, hatte ihr einige glückliche Jahre geschenkt. Dann ging der Beziehung die Luft aus. Ihr Verhältnis war eher vergleichbar mit dem von Bruder und Schwester. Die Wärme, die sie einst in seiner Nähe empfunden hatte, wich einer sterilen, sachlichen Atmosphäre, die zwar nicht unangenehm war, aber eben auch keine wirkliche Bereicherung. Sybille kam es so vor, als wären sie hauptsächlich aus Gewohnheit zusammen, und da sie keine gegenseitige Abneigung empfanden, war es viel einfacher zusammenzubleiben, als sich zu trennen und die Dinge des täglichen Lebens alleine zu bewältigen. Ihre Partnerschaft vermittelte noch immer ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
Im Laufe der Jahre wurden ihre sexuellen Kontakte immer seltener. Insgeheim vermutete Sybille, dass Berthold nebenbei eine Geliebte hatte, doch es hatte niemals handfeste Beweise dafür gegeben. Es war ihr egal, denn Sex war etwas, was ihr nicht wirklich wichtig war. Sybilles Eltern hatten ihr eine strenge und prüde Erziehung angedeihen lassen, somit fanden frivole Emotionen keinen Platz in ihrem Leben. Mit ihrem Mann war es hin und wieder ganz schön gewesen, aber die sexuelle Leidenschaft, die sie aus Filmen kannte, hatte sie nie erlebt.
Bis sich vor wenigen Monaten alles geändert hatte.
Genau genommen begann es schon vor drei Jahren, als sie von ihrer Freundin auf den ECIDS aufmerksam gemacht worden war, auf den Erotikchat in deutscher Sprache. Sybille hatte keinerlei Chaterfahrung und sah erst mal auch keine Notwendigkeit dafür, sich eine solche anzueignen - schon gar nicht für einen Erotikchat. Himmel, ein Erotikchat! Da konnte man doch nur Perverse treffen!
Nachdem ihre Freundin aber immer wieder ganz begeistert von dem Chat berichtet hatte, wurde langsam auch Sybilles Interesse geweckt; sie fand jedoch zunächst nicht den Mut, sich einzuloggen. Immerhin: Ihre Freundin war auch dort und die war schließlich ganz normal – dann konnte es ja ganz so schlimm nicht sein. Am Ende überwog die Neugier und sie registrierte sich doch: In der virtuellen Welt lernte man sie als Rose_im_Wind kennen.
Wenn auch alles sehr ungewohnt war, so fand sie sich innerhalb weniger Tage zurecht.
Natürlich hatte es dort die erwarteten Perversen gegeben, aber es gab ebenso normale Leute, die sie sehr freundlich aufnahmen. Eine Menge netter und verständnisvoller Frauen hatte Sybille im ECIDS kennengelernt. Da sie im Laufe der Wochen festgestellt hatte, dass unter den Chattern auch einige wirklich sympathische Männer waren, besonders bei den Stammchattern, hatte sie die Scheu vor Gesprächen mit dem anderen Geschlecht verloren.
Diejenigen, die ihr eindeutige Angebote machten, ignorierte sie einfach. Somit hatte der Chat für sie lange Zeit mit Erotik überhaupt nichts zu tun gehabt. Sie fühlte sich dort geborgen. Keiner fragte, ob sie gerade in Jogginghose vor dem Rechner saß oder ob ihre Haare strähnig waren. Dort zählte nur ihr Wesen, nicht ihr Äußeres.
Vor ein paar Monaten tauchte dann Erol im Chat auf. Im Cyberspace benutzte er den Nicknamen Wissende_Hände. Er hatte eine sehr sanfte Art.
Sybille hatte sich schon bald auf ein privates Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den stets charmanten Wissenden_Händen eingelassen. Was sie früher stets zu vermeiden versucht hatte, machte ihr nun keine Angst mehr. Im Gegenteil – sie war sogar stolz darauf, dass er sich mit ihr unterhielt, wusste sie doch, dass einige der anderen Frauen sehr von ihm angetan waren.
Außerdem genoss sie es, die volle Aufmerksamkeit, Zuneigung und Wärme eines Menschen zu bekommen – wenn auch nur virtuell. Mit einem Mal fühlte sich Sybille begehrt und attraktiv. Sie wirkte ganz offensichtlich anziehend auf das andere Geschlecht. Und je mehr sie erstrahlte und ihr neues Selbstwertgefühl genoss, desto interessanter wurde sie, denn umso mehr bekam sie auch von anderen Chattern Komplimente. Doch keiner konnte ihr dieses Gefühl, wirklich begehrt zu werden, so vermitteln, wie Erol es tat. Er war so einfühlsam, dass sie mit ihm auch Unterhaltungen führen konnte, die sie jedem anderen verwehrt hätte.
Geschickt hatte er es oft geschafft, das Gespräch auf das Thema Sex zu lenken. Dabei wurde er niemals aufdringlich oder billig. Stattdessen gelang es ihm, ungeahnte Sehnsüchte in ihr wachzurufen. Nach dem fünften Chat mit ihm war sie in seinem Bann. Bis dahin hatte sie sich stets lustig über ihre Freundinnen gemacht, die ihr von Herzschmerz und Liebeskummer im Chat erzählt hatten, davon, dass man sich schnell an einen Fremden, den man nie im Leben gesehen hatte, verlieren konnte.
Doch dann hatte sie es selbst erlebt. Beim Einloggen in den Chat war die Spannung da, ob ER ebenfalls online war. Sybilles Herz begann vor Aufregung zu rasen, sobald sein Nick auf dem Bildschirm erschien. Und sollte er nicht sie als Allererste im Chat begrüßen, versetzte es ihr einen Stich und sie zweifelte daran, dass sie ihm wirklich so wichtig war, wie er immer behauptete.
Dann kam der Tag, der sie endgültig in den Strudel der virtuellen Gefühle riss. Das für sie absolut Unfassbare geschah. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen brachte er sie dazu, sich auf ein Gespräch einzulassen, das man fast schon als Cybersex bezeichnen konnte. Das war bis dato etwas gewesen, von dem sie sich niemals hätte vorstellen können, dass sie es tun würde. Selbst als Teenager hatte sie sich, im Gegensatz zu vielen ihrer damaligen Freundinnen, niemals selbst gestreichelt. Doch plötzlich ließ sie sich Dinge beschreiben, die sie nie auszusprechen gewagt hätte. Gebannt verfolgte sie die Worte auf ihrem Monitor, die ein unbekannter Mann in wunderbarer Weise für sie formuliert hatte. Sie schloss immer wieder die Augen, um sich das Geschriebene vorzustellen, und empfand dabei ein Kribbeln, welches sie nie vorher gekannt hatte. Jedes Mal, wenn sie die Augen wieder öffnete, standen neue Details auf dem Bildschirm, die ihre innere Unruhe und ihr plötzliches Verlangen noch mehr schürten.
Sie erinnerte sich noch genau daran, wie ihre Hand zu ihrer Brust gewandert war und sie festgestellt hatte, dass ihre Knospen sich verhärtet und aufgestellt hatten.
Die Beschreibungen des Fremden, wie er sie verwöhnen würde, waren ihr teilweise fremd, keineswegs aber unangenehm.
Seine Worte hinterließen einen bleibenden Eindruck und sie konnte die geschilderten Dinge einfach nicht vergessen.
Eines Abends, als sie alleine im Bett lag, weil ihr Mann sich mit Freunden traf, rief sie sich all diese Dinge wieder in Erinnerung. Mit geschlossenen Augen stellte sie sich alles noch einmal vor und ihr Kopfkino machte daraus Bilder und Empfindungen. Immer größer wurden das Verlangen und die innere Hitze und da passierte es zum ersten Mal: Sie begann sich zu streicheln, versuchte, mit ihren Fingern die Bewegungen seiner Hände und seiner Zunge zu imitieren, genau so, wie er es beschrieben hatte. Im Geiste war sie natürlich nicht alleine, sondern mit ihm zusammen. Am Ende trat das ein, was ihr Mann während ihrer gesamten Ehe nicht geschafft hatte: Ihr Körper erzitterte in einem Höhepunkt, der ihr offenbarte, was körperliche Liebe bedeutete.
Nach dieser Begebenheit chattete sie regelmäßig mit eindeutig erotischem Inhalt und Sybille bekam immer neue Fantasien zugetragen, die sie dann später im Geiste abspielte, während sie sich befriedigte – meistens im Badezimmer, da ihr Mann bereits im Bett lag.
Ein paar Wochen später sprachen sie über tiefere Gefühle und Erol gestand ihr, dass er sich in sie verliebt hatte. Natürlich wollte Sybille es nicht wahr haben, doch auch sie empfand für den Mann etwas, das weit über alles bisher Erlebte hinausging. So war es also, dieses sich an einen Fremden verlieren.
Die Beziehung wurde immer enger, die Existenz des Fremden immer wichtiger für Sybille. Es verstrich kaum ein Morgen, an dem sie nicht ihren PC startete, um nach E-Mails von Erol zu sehen.
Natürlich blieb ihr Verhalten nicht unbemerkt. Berthold zog sie bald damit auf, dass sie wohl nur noch ihren Computer kannte.
Seit einer Weile war er noch stiller geworden als sonst, allerdings hatte er bisher nicht ein einziges Mal den Verdacht geäußert, dass er einen anderen Mann hinter ihren geheimnisvollen Aktivitäten vermutete.
Erol war ebenfalls verheiratet und beide wollten ihre Ehe nicht aufs Spiel setzen. Sie hielten es für unmoralisch, wegen eines Chats ihre langjährigen Beziehungen zu gefährden. Schon jetzt hatten sie Gewissensbisse wegen ihrer Freundschaft, auch wenn sie nur virtueller Natur war.
Sybille hatte sich ursprünglich geschworen, dass sie niemals ihren richtigen Namen oder gar ihre Adresse preisgeben würde. Nicht in einem Chat. Doch was Erol betraf, schienen sämtliche Vorsätze mit der Zeit keine Gültigkeit mehr zu haben.
Vor einem Monat erwähnte Erol, dass er zwei Wochen lang auf Geschäftsreise sein würde und in dieser Zeit kaum Zugang zu einem Rechner hätte. Vierzehn Tage ohne jeglichen Kontakt zu ihm war für Sybille so unvorstellbar, dass sie dem Austausch der Handynummern zustimmte, obwohl sie anfangs ausgemacht hatten, dass sie sich ausschließlich im Chat sehen würden.
Bereits bei ihrem ersten Telefongespräch zog seine Stimme sie in den Bann. Als er flüsternd seine Stimme senkte, um ihr all die schönen Dinge zu sagen, mit denen er sie in den siebten Himmel zu katapultieren gedachte, konnte sie sich seiner Macht nicht mehr entziehen, begann zu zittern und ihr Herz wollte einfach nicht mehr aufhören, wild in ihrer Brust zu klopfen.
Danach überprüfte sie krampfhaft regelmäßig ihr Handy in gespannter Vorfreude auf eine neu eingegangene Nachricht. Das war wesentlich unauffälliger, als ständig den PC hochzufahren, und sie konnte die Antwort bequem im Badezimmer schreiben, wo sie stets ungestört war.
Das letzte Stück Anonymität zerriss, als er ihr vor einer Woche eine CD mit seinen Lieblingsliedern zukommen lassen wollte. Diese Lieder, so hatte er beteuert, würde er immer hören, wenn er an sie dachte. Und so gab sie ihm ihre Adresse, damit er ihr das kleine Präsent schicken konnte.
Die Lieder waren voller Romantik und lieblicher Klänge, von denen ähnlich viel Zärtlichkeit ausging wie von ihm selbst.
An diesem Abend war er noch nicht im Chat erschienen. Dabei war es schon kurz nach Mitternacht. Wo blieb er nur? Sie hatten sich um 23:00 Uhr treffen wollen, doch er war nicht zu sehen. Sie hatte auch keine Nachricht auf ihrem Handy. Alle fünf Minuten sah sie in ihrem Postfach nach, ob eine E-Mail angekommen war. Doch sie wurde jedes Mal enttäuscht. Was war nur los? Hatte er eine Neue? War er am Ende unter einem geänderten Namen im Chat und vergnügte sich mit einer anderen?
Als ihre Verzweiflung sie schon fast zum Wahnsinn trieb, tauchte er plötzlich auf.
00:23:15Wissende_Hände <M> (37, aus Hessen)
hat den Chat betreten
Sybilles Herz machte einen Sprung und sie spürte, wie es wild zu pochen begann. Würde er ihr nun mitteilen, dass es aus war? Aber warum sollte er? Am Vortag war doch noch alles in Ordnung gewesen. Wahrscheinlich war ihm einfach etwas dazwischengekommen. Sie würde ihn begrüßen wie immer und ihn privat anschreiben, sodass die anderen Chatter ihre Unterhaltung nicht mitlesen konnten.
00:23:43 Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
Hallo Liebster *freu und strahl* :-)
00:24:12 Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
*küsse dich verlangend*
ich habe dich sooo vermisst!
Wo warst du?
Die Antwort blieb zunächst aus und Sybilles Nervosität stieg. Ebenso ihre Angst, dass er, aus welchem Grund auch immer, böse auf sie sein könnte. Warum sagte er nichts?
00:26:01Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
Liebster… was ist los? Sag doch was!
B I T T E !!!!!!!
00:26:26Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
Liebste :* Bitte entschuldige!
Endlich!
00:26:51Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
*dich erst mal fest in den arm nehme*
*durch deine haare streichel*
*dir tief in die augen blicke...
... und sanft meine lippen auf deine
lege*
00:28:22Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
*lasse mich in deine arme sinken und
taste mit meiner zunge nach deiner*
00:29:12Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
*mit meiner zunge um deine kreise... sie
liebkose...*
meine süße, sei mir nicht böse...
ich habe im moment nur den laptop...
bin übers handy mit dem internet
verbunden und die verbindung ist sehr
schlecht...
aber dafür habe ich eine kleine
überraschung für dich
00:32:11Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
eine überraschung? was ist es?
*gespannt bin*
00:32:39Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
was wünschst du dir am sehnlichsten, mein
schatz?
00:33:31Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
DICH!!!
00:33:47Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
:-) :-) :-)
00:34:06Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
du weißt, dass ich das nicht nur so sage.
es ist so!
00:34:48Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
ja, ich weiß :-) und es freut mich
*dich innig küsse*
du sehnst dich nach meiner umarmung?
nach meinen berührungen?
danach, dass ich deinen körper liebkose?
dass ich deine empfindlichsten stellen
erkunde mit meinen händen, meinen
lippen, ... meiner zunge?
Schon diese einfachen Worte verursachten bei Sybille ein gewaltiges Kribbeln im Unterleib, wusste sie doch, was er alles mit ihr machen würde, wie viel Geduld er hatte und welche Zeit er sich für sie nehmen würde.
00:37:27Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
ja, liebster, danach sehne ich mich so
sehr!
*mich in deinem kuss verliere*
00:38:15Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
:-) dann zieh dich an und komm herunter!
ich hielt es nicht mehr aus ohne dich,
süße
ich musste einfach in deiner nähe sein
und so bin ich hergefahren...
bitte sei nicht böse! habe so eine
sehnsucht nach dir!!
eine so unendlich große sehnsucht, süße!!
ich stehe bei dir vor dem haus
Der Herzschlag von Sybille beschleunigte sich noch mehr. In ihrem Hals spürte sie das Blut in den Adern pulsieren. Wie viele Nächte hatte sie davon geträumt? Natürlich hatten sie sich gegenseitig ständig versichert, dass sie sich niemals real treffen würden. Aber wie oft hatte sie sich vorgestellt, dass sie ihr Abkommen brachen! Wie sehr hatte sie gehofft, dass er es irgendwann nicht mehr aushielt und den ersten Schritt machen würde! Und dennoch waren es bisher immer nur Fantasien gewesen, von denen sie gewusst hatte, dass sie niemals Realität werden würden.
Und jetzt war er da, nur wenige Schritte von ihr entfernt! Er war da, mit seiner warmen, sanften und doch so beherrschenden Stimme, mit seinen Händen, die genau wussten, wo sie sie berühren mussten, mit seinen Lippen, die sie im Geiste schon tausendfach auf den ihren gespürt hatte.
Sybille kam sich beinahe vor wie ein kleines Kind, als sie merkte, wie sie am ganzen Körper zitterte. Wollte sie es wirklich, diesen umwerfenden Mann treffen? Von anderen Chatterinnen wusste sie, dass so etwas oft in einer Enttäuschung endete.
Doch dieser Mann konnte im wahren Leben nicht anders sein. So sehr konnte sich kein Mensch verstellen!
00:44:05Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
verstehe. dein schweigen sagt mir deine
antwort... :-(
ich wollte dich nicht bedrängen...
wenn dein verlangen nach mir nur virtuell
war, so ist das ok...
Deutlich konnte Sybille die Enttäuschung aus den Worten lesen und spürte, dass er verletzt war. Schnell begann sie zu tippen.
00:45:32Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
aber nein, liebster! ich war nur
überrascht! und du bedrängst mich nicht
00:47:03Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
und... wirst du kommen? *vorsichtig frag*
00:49:53Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
ja liebster! ich komme! ICH KOMME!!!
00:50:16Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
:-) :-) :-) *straaaahhhl*
00:50:49Wissende_Hände -> Rose_im_Wind:
es wird unvergesslich schön, meine süße!!
00:51:11Rose_im_Wind -> Wissende_Hände:
ja, liebster, das wird es! bis gleich!
00:51:16Rose_im_Wind <W> (43, aus Gefühlsmeer)
hat den Chat verlassen
00:51:21Wissende_Hände:
ich wünsche allen eine schöne nacht
den herren einen handschlag, den damen
ein bussi
00:51:55Wissende_Hände <M> (37, aus Hessen)
hat den Chat verlassen
Das Telefon klingelte, als Sven gerade ins Bett gehen wollte. Es war eigentlich noch zu früh, um schlafen zu gehen, doch der Tag hatte sich als sehr anstrengend entpuppt: Zu viele Dinge waren fehlgeschlagen.
Zum Glück waren die Straßen am Abend frei gewesen, sodass Sven kurz nach neun in seiner Wohnung in der Fichardstraße ankam. Trotzdem war er übellaunig. Draußen war es schon längst stockdunkel und das kühle, windige Wetter drückte auf sein Gemüt.
Außerdem hatte er es auch nicht mehr geschafft, zu Crush zu fahren. Dabei hatte er es sich ganz fest vorgenommen.
Sven hatte den American Staffordshire Terrier im Frühjahr herrenlos am Mainufer an eine Stange gebunden gefunden. Verschüchtert und völlig durchnässt hatte das schwarz-weiß gescheckte Tier im Schlamm gelegen, während der Regen unaufhörlich heruntergeprasselt war. Eine halbe Stunde lang hatte Sven vergeblich darauf gewartet, dass der Hundebesitzer vielleicht doch noch Erbarmen zeigte.
Die Wolken hatten sich schließlich immer heftiger entladen. In Strömen war das Wasser an Svens Körper hinabgeflossen. Seine kurzen, blonden Haare hatten längst ihre Fülle verloren. Während des Wartens hatte der Terrier mit seinen treuen, braunen Augen immer wieder flehend in Svens blaue Menschenaugen geschaut. Sein nasses Fell ließ den Kampfhund richtig putzig erscheinen.
Als niemand gekommen war, um das Tier zu holen, befreite Sven es von der Stange. Der Hund war freudig erregt an seinem Retter hochgesprungen, wobei er Svens Trainingsanzug komplett verunreinigte. Sven hatte sich kaum vor der Zunge des Tieres in Sicherheit bringen können, die immer wieder sein frisch rasiertes Gesicht zu lecken versuchte, als er in die Knie gegangen war, um seinen neuen Freund streichelnd zu beruhigen. Erst nachdem der Staffordshire nicht mehr ganz so nervös gewesen war und Sven sich wieder zu seiner vollen Größe von einem Meter neunundsiebzig aufgerichtet hatte, war sein Gesicht nicht mehr in Hundezungenreichweite. Schmunzelnd hatte er das nasse Knäuel betrachtet.
Zunächst war Sven völlig ratlos gewesen, was er nun mit dem herrenlosen Tier anfangen sollte. Er selbst konnte es nicht behalten, weil er einen anstrengenden Job hatte. Er hätte sich unmöglich ausreichend darum kümmern können.
Über einen Bekannten, der sich im Tierschutz engagierte, stellte er den Kontakt zum Tierheim in Rüsselsheim her und so brachte er den Hund spontan dorthin.
Erst im Nachhinein beschäftigte sich Sven näher mit der Rasse und er fand schnell heraus, dass es sich um einen Listenhund handelte. In Hessen wurde der American Staffordshire Terrier als gefährlich eingestuft und kam somit auf die Rasseliste. Die Einstufung von Crush als "Kampfhund" empfand Sven von Anfang an als befremdlich: Dieses verschmuste Häufchen Hund vom Mainufer sollte gefährlich sein?
Eine erfolgreiche Vermittlung durch das Tierheim würde schwer werden, denn die Haltung eines Kampfhundes war für den Besitzer mit einigem Aufwand verbunden. Zwar hatte man mit dem Rüden im Tierheim bereits den erforderlichen Wesenstest absolviert, der, wie erhofft, unbedenklich ausgefallen war, aber dieser Test musste alle zwei Jahre wiederholt werden. Außerdem musste der Besitzer eines Listenhundes eine persönliche Eignungsprüfung ablegen. Nicht zuletzt spielte die finanzielle Seite eine nicht unwesentliche Rolle, denn die Hundesteuer lag für Listenhunde teilweise um das Zehnfache über dem Satz anderer Rassen. In manchen Gemeinden konnte die Steuer für Tiere, die auf der Liste standen, tatsächlich über 900 Euro jährlich betragen - mehr als ein Kleinwagen an Kfz-Steuer kostete.
Eine Haftpflichtversicherung für einen solchen Hund abzuschließen, war ebenfalls ein schwieriges Unterfangen, denn viele Versicherungen weigerten sich, durch einen Listenhund entstandene Haftpflichtansprüche zu übernehmen. Die Behörden hatten also gute Arbeit geleistet, um die Anzahl der als gefährlich geltenden Hunde in Deutschland stark zu reduzieren.
Crush verstand die Zusammenhänge natürlich nicht. Er war ein sehr liebenswerter Rüde, der lediglich aufgrund des Gesetzestextes nur schwerlich ein neues Rudel finden konnte.
Sven übernahm daher nicht nur die Patenschaft und den Unterhalt für den Hund, sondern versuchte auch, ihn so oft wie möglich zu besuchen und mit ihm spazieren zu gehen. Im Tierheim Rüsselsheim war Sven inzwischen Mitglied und als Ausführer eingetragen. Natürlich hatte auch er eine entsprechende Prüfung ablegen müssen, um sich mit dem Kampfschmuser in der Öffentlichkeit bewegen zu dürfen. Nun konnte er unabhängig von den Öffnungszeiten dorthin fahren, um dem herrenlosen Tier wenigstens hin und wieder den Genuss des Gassigehens zu verschaffen.
Morgen, so nahm Sven sich vor, musste er es irgendwie einrichten, nach Rüsselsheim zu fahren.
Träge ging er ins Wohnzimmer, um das klingelnde Telefon von der Ladestation zu holen.
"Steinhammer", meldete er sich gedankenverloren, nicht gerade mit seiner freundlichsten Stimme.
"Hey, Sven, nicht gut drauf?", tönte die lebendige und gut gelaunte Stimme von Gina aus dem Gerät.
"Gina! Was für eine Überraschung! Ich dachte, du würdest kaum zum Telefonieren kommen!" Sein Tonfall hatte sich grundlegend geändert. Nicht nur seine schlechte Laune war verflogen, auch die Müdigkeit schien wie vom Winde verweht.
"Tja, manche Dinge ändern sich schnell", lachte Gina. "In der Tat rufe ich auch aus beruflichen Gründen an."
Ein Schmunzeln umspielte Svens Lippen und seine blauen Augen funkelten belustigt. "Oh, dann muss ich wohl bei diesem Gespräch Sie zu dir sagen?", scherzte er.
"Ein angemessener Respekt wäre schon in Ordnung", gab die Kriminalpolizistin zurück.
Es tat Sven gut, ihre lebensfrohe Stimme zu hören. Seit vier Wochen war sie in Berlin, um dort an einem besonders kniffligen Fall mitzuarbeiten.
"Rate mal, wo ich gerade bin", forderte sie Sven auf.
"Im Hotel? Oder bist du noch im Präsidium?"
"Im Präsidium schon, aber nicht in Berlin."
Sven konnte ihr Lächeln förmlich hören. "Nicht? Was ist passiert? Hat es dich nach Dresden verschlagen?", riet er in den blauen Dunst hinein.
"Viiiel besser!"
"Man hat dich an die Italiener ausgeliehen und du bist in Rom", witzelte Sven.
"Nicht ganz so gut!"
"Pisa?"
Sie lachte herzlich. "Nein. Ich bin in Wiesbaden."
"Du bist zurück?", rief Sven erstaunt aus. "Warum bist du dann noch nicht bei mir?"
"Wie gesagt, ich rufe mehr dienstlich als privat an."
"Na, dann schieß' mal los."
"Geht nicht, hab meine Waffe im Spind liegen gelassen."
"Ach? Und wie willst du dich dann wehren, wenn ich heute Nacht über dich herfalle?", grinste Sven durchs Telefon.
"Bevor ich komme, hole ich sie natürlich", gab sie amüsiert zurück. "Ich gehe ja nicht unbewaffnet in die Höhle des Löwen."
"Schade, dann habe ich wohl schlechte Karten. Aber Spaß beiseite. Um was geht es denn?"
"Wir haben eine Tote aus Frankfurt. Sie ist mitten in der Nacht aus ihrer Wohnung verschwunden, während ihr Mann geschlafen hat. Man hat sie leider in einem sehr unerfreulichen Zustand gefunden. Ihr Mann sagt, sie hätte sich ständig in einem Chat im Internet herumgedrückt, und er vermutet einen Zusammenhang."
Gina machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach. "Ich sollte den Fall eigentlich übernehmen, aber ich hänge auch noch in der Drogensache von Berlin. Ich müsste mich zweiteilen und zwischen Frankfurt und Berlin pendeln. Man hat mich aber gebeten, dass ich die Kollegen in dem Fall ein wenig unterstütze, weil ich die EDV-Kenntnisse habe und mich mit dem Internet gut auskenne."
"Wie kommt es, dass das BKA den Fall übernimmt und nicht die Kripo in Frankfurt?", wunderte sich Sven.
"Die Umstände lassen vermuten, dass es sich um einen weitreichenderen Fall handelt. Ich erzähle dir später davon."
Erneut machte sie eine kurze Pause und sagte dann: "Sven, ich möchte dich bitten, mir ein wenig zu helfen."
"Aber ich habe doch überhaupt keine Befugnisse, geschweige denn Ahnung von deinem Job."
"Ich habe schon mit meinem neuen Vorgesetzten gesprochen. Peter kennt dich zwar noch nicht, aber er hat von seinem Vorgänger so viel Positives über dich gehört, dass er es gutheißen würde, wenn du uns hilfst."
Knapp zwei Jahre zuvor hatte Sven der Polizei schon einmal bei einem Fall geholfen. Damals ging es um eine groß angelegte Terroraktion, bei der Computersysteme manipuliert wurden. Dabei hatte er Gina Bodoni kennengelernt.
"Gina, ich bin kein Polizist. Und ehrlich gesagt hab ich Angst davor, wieder in so eine Sache hineingezogen zu werden. Ich bin nicht der Macho, der sich mit den Bösewichten herumprügelt. Und mit 36 Jahren lerne ich das auch nicht mehr und will es auch gar nicht."
"Aber das sollst du doch überhaupt nicht. Nur ein wenig im Internet forschen, ganz anonym. Du wirst keinen realen Kontakt haben."
"Ach Gina, du weißt genau, dass du mir das nicht versprechen kannst. Die Dinge entwickeln immer ein Eigenleben. Das beobachte ich doch bei all deinen Fällen immer wieder. Einen Tag sagst du mir, du müsstest für zwei Tage nach München, und dann sehe ich dich erst Wochen später wieder, um im Nachhinein zu erfahren, dass du die meiste Zeit in Hamburg warst."
"Soll das ein Vorwurf sein?", fragte Gina ein wenig gereizt.
"Nein, natürlich nicht. Ich hab ja vorher gewusst, was auf mich zukommt, als ich mich auf dich eingelassen habe." Einen Moment lang überlegte Sven, ob ihm das wirklich in vollem Umfang bewusst gewesen war. Dann verwarf er den Gedanken. "Ich will damit nur sagen, dass du mir nicht versprechen kannst, dass nichts passieren wird."
Gina lachte, so wie sie es immer tat, wenn sie offenbar überzeugt war, dass Sven die Dinge ein wenig übertrieben sah. "Doch, Sven, ich kann dir das versprechen. Wir legen vorher genau fest, was du alles tun kannst und wovon du besser die Finger lässt. Du machst alles von zu Hause aus und sitzt dabei nur am Computer." Dann wurde ihre Stimme sehr ernst. "Aber ich will dich natürlich nicht überreden. Wenn du es nicht willst, dann ist das okay."
Wieder einmal merkte Sven, dass es ihm schwerfiel, seiner Freundin etwas abzuschlagen.
"Lass uns darüber reden, was genau ich tun soll. Vielleicht ist es ja tatsächlich nicht so riskant. Kannst du herkommen?"
Schon war ihre Stimme wieder fröhlich. "Ich muss schnell noch ein paar Informationen an einen Kollegen weitergeben, dann komme ich. Danke, Sven. Ich liebe dich."
"Ich dich auch." Sie gaben sich noch einen Kuss durchs Telefon und legten auf.
Tatsächlich dauerte es keine Stunde, bis Gina kam. Die Begrüßung war herzlich und voller Wärme. Sie lagen sich lange in den Armen und wie immer wurde Sven sofort in den Bann der hübschen, selbstbewussten Frau gezogen. Der Duft ihrer schulterlangen, schwarzen Haare betörte ihn wie am ersten Tag.
Während sie sich voneinander lösten, sagte Sven: "Ich hab dich vermisst."
"Ich dich auch. Wie geht es Crush?"
"Vorgestern sind wir zwei Stunden spazieren gegangen", antwortete Sven.
"Das hat ihm bestimmt gefallen", mutmaßte Gina.
"Ach, es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich ihn zurück ins Tierheim bringe. Am liebsten würde ich ihn zu mir nehmen, aber ich arbeite einfach zu viel und könnte mich gar nicht um ihn kümmern."
In Gedanken versunken bereitete Sven einen Espresso zu, was für die späte Zeit ungewöhnlich war. Das gemeinsame Trinken des kräftigen, schwarzen Kaffees war ein kleines Ritual zwischen ihm und Gina geworden, das auch jetzt nicht fehlen durfte. In der Küche erzählte er von seiner Heizung, die in der vergangenen Woche dreimal ausgefallen war. Gina schüttelte darüber nur ungläubig und schmunzelnd den Kopf. Sobald sich draußen das erste Laub verfärbte, strapazierte Sven den Heizungsregler. Gina vermutete, dass die Heizung des Mietshauses noch lange nicht auf den Winterbetrieb eingestellt sein würde. Dabei fiel ihr ein, dass sie auch mal wieder in ihrer kleinen Einzimmerwohnung nach dem Rechten sehen musste. Wenn sie nicht gerade auswärts war, hielt sie sich fast ausschließlich bei Sven auf. Für sie war es, als ob es ihre gemeinsame Wohnung war. Bisher hatte sie sich jedoch nicht endgültig von ihrer eigenen trennen können.
Bei dem Genuss des Espressos kam Sven auf den neuen Fall zu sprechen: "Wer ist die Frau, die gefunden wurde?"
"Sybille Klein. Sie war 43 Jahre alt. Ihr Mann ist angeblich gegen neun Uhr ins Bett gegangen, während sie noch am Computer saß. Als er am nächsten Morgen um sechs Uhr aufstand, war sie nicht mehr da. Der PC war heruntergefahren und eine Jacke fehlte. Ihre Make-up-Utensilien standen offen im Badezimmer, so als ob sie sich noch auf die Schnelle geschminkt hätte, bevor sie verschwand. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie gewaltsam aus der Wohnung gebracht wurde. Keiner der Nachbarn hat etwas gesehen oder gehört. Sybilles Computer wurde um 00:53 Uhr heruntergefahren, wie die Log-Dateien zeigen. Wir nehmen an, dass sie bald danach das Haus verlassen hat. Heute Morgen hat man sie in Einzelteilen neben einer Mülltonne in Bockenheim gefunden. Ein Mitarbeiter der Müllabfuhr hat die Polizei benachrichtigt."
"Was meinst du damit: in Einzelteilen?", fragte Sven mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
Als Gina nicht sofort antwortete, drängte er: "Komm schon, jetzt hast du damit angefangen, also erzähl auch alles!"
Nach weiteren Sekunden des Zögerns schien sie eingesehen zu haben, dass sie ihm früher oder später ohnehin alles erzählen musste.
"Der Mörder hat ihre Leiche zerstückelt." Während sie die Einzelheiten erzählte, sah sie ihm fortwährend in die Augen, als wollte sie ergründen, wie er die Informationen aufnahm. "Es waren neun Teile, die auf sechs schwarze Plastiksäcke verteilt waren."
Sie machte eine Pause, aber Sven war davon überzeugt, dass sie noch nicht fertig war. Tatsächlich fuhr sie nach kurzer Zeit fort: "Auf jedem der Säcke prangerte ein großer Buchstabe, der aus weißem Papier ausgeschnitten und dann aufgeklebt war. Die Buchstaben ergeben richtig zusammengesetzt zwei Worte: der Tod."
Ihre Worte kamen Sven merkwürdig unwirklich vor. Alles in ihm wehrte sich dagegen, ihren Worten Glauben zu schenken. Wer zerteilte hier in Frankfurt eine unbescholtene Frau und steckte die Körperteile in Plastiksäcke?
Ohne den Blick von Gina zu nehmen, fragte er: "Ich dachte immer, so etwas passiert nur in Büchern oder in Filmen, vielleicht auch in Amerika, aber hier?"
"Ich weiß, dass es schwer zu glauben ist. Es ist nicht das erste Mal, dass etwas in dieser Art geschieht. 1997 gab es in der belgischen Stadt Mons einen Serienmörder, der genau dasselbe getan hat. Er hat die Leichenteile auch in Säcke verpackt. Der Fundort war mit den Buchstaben für le Mort, der Tod, markiert gewesen. Die für den Mord an Sybille Klein eingerichtete Sonderkommission haben wir daher nach dem Ort der damaligen Vorkommnisse benannt: SK Mons. Die Zeitungen tauften damals den Serienkiller Schlächter von Mons."
"Wie viele Menschen hat er umgebracht?"
"Wie viele Menschen ihm zum Opfer gefallen sind, ist nicht ganz sicher. Es gibt ein paar Leichenfunde, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sie dem gleichen Täter zurechnen kann oder nicht. Ich persönlich denke, dass der Schlächter mehr als zehn Personen umgebracht und zerstückelt hat. Inzwischen wurde zwar ein Verdächtiger in Montenegro festgenommen, aber wir haben noch nicht alle Informationen von der ausländischen Behörde über den derzeitigen Ermittlungsstand erhalten. Der Kontakt nach Montenegro gestaltet sich als schwierig und bürokratisch. Und unser Mord geschah erst heute. Fest steht: Eine Verurteilung erfolgte in Montenegro noch nicht und solange dies so ist, müssen wir davon ausgehen, dass der Täter noch gar nicht gefasst wurde."
"Das ist ja bestialisch!" Sven war beinahe sprachlos und bei der Vorstellung, dass es sich hierbei nicht um eine Geschichte, sondern um grausige Realität handelte, rebellierte sein Magen. Dann stellte er die Frage, vor deren Antwort er Angst hatte: "Und ihr seid der Meinung, dass Sybille Klein von dem Schlächter ermordet wurde und wir in nächster Zeit mit weiteren Opfern rechnen müssen?"
"Das ist im Moment die große Frage. Natürlich kann jemand versucht haben, uns auf eine falsche Spur zu locken. Aber es gibt noch mehr Parallelen. Der Täter von Belgien hatte die Leichen stets an Orten mit speziellen Namen zurückgelassen, zum Beispiel an Orten, die Der Hass oder Die Furcht hießen. In Belgien gibt es offenbar die merkwürdigsten Ortsbezeichnungen. Die Leichenteile von Opfern, die mit einem Schuss durch das Auge getötet wurden, fand man in Beloeil. Das bedeutet frei übersetzt so viel wie Schönes Auge. Unsere Säcke wurden in der Fleischergasse gefunden."
"Deshalb hat auch das BKA den Fall übernommen: weil es einen Zusammenhang geben könnte", vermutete Sven.
"Richtig."
Kopfschüttelnd meinte Sven: "Das muss ein Kranker gewesen sein. Kein normaler Mensch würde so etwas tun können. Gibt es irgendwelche Spuren?"
"Bisher nichts Verwertbares. Es hat letzte Nacht geregnet, das hat an der Fundstelle einiges zunichtegemacht."
Für den Moment wusste keiner der beiden etwas zu sagen. Dann ergriff Sven wieder das Wort: "Haltet ihr es für möglich, dass Sybilles Mann sie aus Eifersucht umgebracht und dann den Serienkiller von Mons imitiert hat?"
"Möglich ist grundsätzlich alles. Ihr Mann jedoch verdächtigt einen der Chatter. Aber wir können uns bei den Ermittlungen natürlich weder auf den Ehemann noch auf den Schlächter von Mons noch auf einen Chatter versteifen."
"Wo hat sie gewohnt?"
"Am Frankfurter Berg."
Sven zog die linke Augenbraue hoch. "Erzähl mir von ihr. Was war sie für eine?", fragte er.
Die Siedlung Frankfurter Berg, im Norden der Main-Metropole gelegen, bestand zum Teil aus Sozialbauten. Viele Hochhäuser beherbergten vorwiegend solche Menschen, die keine Zukunft mehr für sich sahen oder die einfach nicht über ihre Zukunft nachdachten. Das Bildungsniveau einiger Anwohner lag weit unten auf der Messlatte in Deutschland.
Einer von Svens Freunden wohnte dort. Ihm jedoch konnte man weder fehlende Bildung noch Niveaulosigkeit nachsagen. Aber durch eben diesen Freund hatte Sven die Gegend und einige Anwohner kennengelernt. Was er gehört und gesehen hatte, bewog ihn nun dazu, diese Frage zu stellen.
"Ich würde sagen: etwa unser Bildungsstand. Die Kleins haben ein Haus im ältesten Teil der Siedlung. Dort gibt es eine Menge netter Einfamilienhäuser."
Sven nickte und sah sie anschließend lange abwartend an. Einmal dachte er kurz, sie würde wieder zu sprechen beginnen, aber dann blieb sie doch stumm. "Ich habe den Eindruck, da ist noch etwas, das du mir nicht gesagt hast", stellte er fest.
"Wie kommst du darauf?", fragte Gina mit großen Augen, deren leuchtendes Grün ihn einmal mehr beeindruckte.
"Du scheinst nach den richtigen Worten zu suchen, Gina. Ich kenne dich zu gut."
Bedächtig nickte sie. "Du hast recht." Nach einer kurzen Pause folgte die Erklärung: "Es gibt einen besonderen Grund, warum ich gerne hätte, dass du dich darum kümmerst." Noch ein kurzes Zögern, dann: "Sybille Klein war eine Freundin von Evelin."
Mit einem tiefen Atemzug versuchte Sven, diese neue Information zu verdauen. Evelin war eine gute Bekannte von Gina. Sie kannten sich schon seit ihrer Jugend und hatten sich niemals ganz aus den Augen verloren.
"Kennst du diese Sybille?"
"Ja, ich habe sie bei einigen Geburtstagsfeiern von Evelin getroffen, hatte aber nie viel mit ihr zu tun. Sybille war auch Gast bei Evelin, als sie ihren Vierzigsten groß gefeiert hat – aber du wirst dich wohl kaum an sie erinnern."
In der Tat machte ihm sein Gedächtnis einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur Sybille entzog sich seinem Erinnerungsvermögen, sondern auch die Feier selbst. Er fragte besser nicht nach. "Nein, ich kann mich nicht an sie erinnern. Du hast am Telefon gesagt, ich würde keinen realen Kontakt haben. Wie stellst du dir das unter diesen Umständen vor?"
"Du musst nicht mit Evelin reden. Ich werde ihr auch nicht sagen, dass du an dem Fall arbeitest. Ich möchte nur Informationen über diesen Chat bekommen und erfahren, mit welchen Leuten Sybille dort Kontakt hatte."
"Du weißt genau, dass ich früher oder später mit Evelin darüber sprechen muss. Nur so kann ich mir ein genaues Bild von Sybille machen. Und je mehr ich über die Tote weiß, umso besser weiß ich, wo genau ich in diesem ominösen Chat nachhaken soll."
Ein Lächeln umspielte die Lippen ihres eher kleinen Mundes. "Wenn du das tun willst, dann kannst du es natürlich gerne machen. Erwarten werde ich es nicht von dir."
"Du bist ein kleines Biest, Gina", antwortete Sven kopfschüttelnd, nicht ohne einen gespielt erbosten Gesichtsausdruck. "Du wusstest genau, dass ich gar nicht anders kann, als mit Evelin zu reden, wenn sie eine Freundin von Sybille war."
"Aber nein, woher sollte ich das gewusst haben?" Sie sah ihn mit unschuldigen Augen an.
Sein Ausdruck wich einem Lächeln. "Na gut. Was möchtest du, dass ich tue?"
"Finde heraus, mit welchen Chattern Sybille sich abgegeben hat. Gab es welche, mit denen sie sich regelmäßig im Chat verabredete? Hatte sie vielleicht sogar eine Art festen Freund dort? Wenn du das erledigt hast, versuche, an die richtigen Namen und Adressen der Chatter zu kommen."
"Wie heißt der Chat?", erkundigte sich Sven.
"Es ist der ECIDS, www.ecids.eu. Wobei wir nur vermuten, dass es ihr Stammchat war. Aber einen anderen Anhaltspunkt haben wir nicht. Finde es heraus!"
"Das wird alles nicht so leicht sein."
"Ich weiß. Aber du wirst das schon irgendwie schaffen. Wenn nicht du, wer dann?" Gina lächelte ihr süßestes Lächeln und Sven beugte sich zu ihr vor, um sie leidenschaftlich zu küssen.
"Ich werde sehen, was ich tun kann", flüsterte er, bevor er sie erneut küsste, dieses Mal länger. Dann gingen sie ins Schlafzimmer und kamen erst zwei Stunden später zum Schlafen.
Die Nacht war kurz und wenig erholsam gewesen. Um kurz nach vier Uhr hatte Ginas Handy geklingelt und die Pflicht hatte sie zum BKA nach Wiesbaden gerufen. Ein Zwischenfall in Berlin hatte dies notwendig gemacht.
Am Vormittag erfuhr Sven dann telefonisch, dass Gina nach Berlin fliegen und diese Woche voraussichtlich nicht mehr ins Rhein-Main-Gebiet kommen würde.
Als er am Abend nach Hause kam, war es weder wesentlich früher als am Vorabend noch war er besser gelaunt. Für einen Ausflug in das Rüsselsheimer Tierheim war es wieder zu spät.
So beschloss Sven, sich schon mal ein bisschen im Chat umzusehen und erste Eindrücke zu sammeln, auch wenn ihm noch ein paar Informationen zu dem Fall Sybille Klein fehlten. Den zuständigen Ansprechpartner bei der Kripo kannte er leider auch noch nicht.
Nachdem sich Sven einen großen Espresso mit der italienischen Caffettiera zubereitet hatte, setzte er sich an seinen Schreibtisch und startete den Computer.
Wie sollte er vorgehen? Er musste sich gut überlegen, wie er am schnellsten vorankommen würde, denn sein Job als IT-Revisor ließ ihm nicht viel Zeit für andere Dinge. Oft konnte er mehrere Tage hintereinander nicht mit Crush spazieren gehen, weil er einfach zu spät aus dem Büro kam.
Zunächst rief Sven seine E-Mails ab. Dass es keine Nachricht von Gina gab, verbesserte seine Laune nicht gerade.
Dann startete er den Web-Browser und rief die Seite des verdächtigen Chats auf: www.ecids.eu. Dort stellte er verblüfft fest, um welche Art von Chat es sich handelte. Diese Erkenntnis ließ ihn die Möglichkeit, dass der Mörder dort zu finden sein könnte, realistischer erscheinen als zuvor, ohne dass er diesen Gedanken begründen konnte.
Auf der Eingangsseite las er sich alles Wichtige durch und erfuhr, dass der Chat von Österreich aus betrieben wurde, dass er für das deutschsprachige Europa aufgebaut worden war und dass man sich ein Benutzerkonto anlegen musste, um chatten zu können. Dafür brauchte er lediglich eine E-Mail-Adresse. Da er nicht sicher sein konnte, was mit seinen Daten passieren würde und ob andere Chatter sie eventuell abrufen konnten - mit oder ohne Wissen des Chatbetreibers -, richtete er sich eine neue, anonyme E-Mail-Adresse auf einem amerikanischen Server ein: [email protected].
Dann startete er den Chat. Als süßer_Sandro loggte er sich ein. Doch vorerst beteiligte er sich nicht an den Gesprächen. Er achtete auch nicht darauf, was die anderen Chatter schrieben. Für ihn ging es im Moment hauptsächlich um die technische Seite. Wie war der Chat aufgebaut? Welche Programmiersprache vermutete er dahinter? Wurde der Chat in mehreren Fenstern aufgebaut? Diese Informationen brauchte Sven, um sich möglicherweise unkonventionelle Hilfen bauen zu können.
Nach wenigen Klicks und einigen kleinen Recherchen lächelte er zufrieden. Seine Idee würde funktionieren.
Ein Blick auf seine Uhr ließ das Schmunzeln auf seinem Gesicht verschwinden. Wenn er sein Hilfsprogramm fertig bekommen wollte, würde er bis spät in die Nacht am Computer sitzen. Doch davon ließ er sich nicht abhalten. Bei solchen Herausforderungen war Sven in seinem Element. Jetzt ging es darum, ein System zu überlisten, um aus diesem Chat die größtmögliche Menge an Informationen herauszuziehen.
Nachdem er den Chat verlassen und sich aus dem Kühlschrank eine Dose Red Bull geholt hatte, startete er seinen zweiten Computer, auf dem statt einer Windows-Version ein Linux-Betriebssystem aufgespielt war. Während der Rechner hochfuhr, legte Sven weitere E-Mail-Adressen und zusätzliche Nicknamen im ECIDS an. Dann begann er mit der Programmierung.
Um Viertel nach zwei lehnte er sich zufrieden zurück und seufzte erleichtert. Nicht ganz ohne Stolz ließ er sich durch den Kopf gehen, was er geschafft hatte: Sein Programm konnte sich in den Chat mit einem der neuen Nicks einloggen und speicherte alles, was öffentlich geschrieben wurde. So konnte Sven, wenn er jemals die Zeit dazu fand, sämtliche Gespräche nachträglich lesen.
Außerdem legte sein Programm zu jedem Namen, der im Chat auftauchte, eine Historie an, in der jeweils gespeichert wurde, wann der Nutzer den Chat betreten und wann er ihn wieder verlassen hatte.
Weil Sven befürchtete, dass es auffallen könnte, wenn sein fingierter Nick vierundzwanzig Stunden am Tag eingeloggt war, ließ er sein Programm alle drei Stunden den Nicknamen wechseln. Das Einzige, was man vielleicht bemerken konnte, war, dass dieser Nick niemals etwas in den Chat schreiben würde. Ob die anderen Chatter auf so etwas achten und wie sie darauf reagieren würden, konnte Sven noch nicht sagen. Bei Bedarf würde er später noch ein paar Floskeln einbauen, die sein Programm von Zeit zu Zeit zum Besten geben würde. Aber jetzt musste er unbedingt schlafen.
Völlig erschöpft legte er sich ins Bett und fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Die beiden folgenden Tage waren noch arbeitsintensiver und somit hatte Sven keine Zeit, sich um Crush oder den ECIDS zu kümmern. Er beschloss daher, das kommende Wochenende in die Nachforschungen zu investieren und zumindest am Sonntagvormittag mit Crush einen langen Spaziergang zu machen. Der Hund würde sich freuen, durch das herabgefallene Herbstlaub zu tollen.
Am Freitag rief er Evelin an, um einen Termin für Samstagnachmittag zu vereinbaren. Natürlich kam er nicht umhin, mit ihr zu reden. Es würde ja auch kein Problem sein. Er kannte Evelin bereits und weitere Personen, die Berührungspunkte mit Sybille Klein hatten, würde er nicht treffen müssen.
Am Freitagabend sah er sich die Chatgespräche der letzten zwei Tage an. Da er sich jedoch nicht konzentrieren konnte, gab er bereits nach fünf Minuten wieder auf. Stattdessen versuchte er, Gina auf dem Handy zu erreichen. Sie hatte sich aus Berlin nicht gemeldet und auch jetzt musste Sven mit ihrer Mailbox vorliebnehmen.
Er machte sich Sorgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Gina unverhofft in Schwierigkeiten geriet und Sven erst nachträglich davon erfuhr. Warum hatte er sich ausgerechnet in eine Polizistin verlieben müssen?
Vielleicht machte er sich auch ganz umsonst Gedanken. Sicherlich war es im Präsidium einfach spät geworden und bei Besprechungen hatte Gina das Handy immer aus. Wahrscheinlich würde sie später noch anrufen.
Um sich noch ein wenig wach zu halten, damit er ihren Anruf nicht verpasste, loggte er sich als süßer_Sandro in den Chat ein. Mit grünen Buchstaben wurden die Chatmeldungen angezeigt.
21:35:25süßer_Sandro <M> (41, aus Deutschland)
hat den Chat betreten
21:35:27 LadyNoirette:
das glaubst du ja wohl selber nicht
grizzly!
21:35:36 Amstetter:
warum nicht dicke?
21:36:01 süßer_Sandro:
Guten Abend Chat
21:36:03 Grizzly:
und ob i des glaub Noirette! *fg*
21:36:15 DickeGeile:
leck mich, amstetter!
21:36:17 LadyNoirette:
hallo sandro!
21:36:29DauerRammler <M> (32, aus München)
hat den Chat betreten
21:36:42 Amstetter:
das würde ich ja zuuu gerne dicke ;-)
21:36:51 Grizzly:
nabend sandro
21:36:51 Zungenbrecher:
hi sandro
21:36:52 süßer_Sandro:
hallo LadyNoirette
21:36:54 DauerRammler:
ist hier eine frau aus muc die heute
ficken will?
Sven hatte zunächst Schwierigkeiten zu erkennen, welche Gesprächsteile jeweils zusammengehörten. Auch war er von mancher Ausdrucksweise merkwürdig berührt.
21:36:55 LadyNoirette:
träum weiter grizzly *gg*
21:37:02Rotzlöffel <W> (21, aus dem hohen Norden)
hat den Chat betreten
21:37:05 Victorianerin:
rammler, versuchs doch mal mit niveau!
21:37:07 DickeGeile:
lass mich einfach in ruhe amstetter!
21:37:15 Rotzlöffel:
*mal eben reinhüpf* hallo ihr lieben :-)
21:37:16 Grizzly:
hey rotzi! gehörst du ned schon ins bett?
*gg*
beim nächsten CT, Noiry ;-)
21:37:38 süßer_Sandro:
hallo Grizzly, guten abend Zungenbrecher
21:38:01 Rotzlöffel:
*lol* Grizzly. habs leider eilig
kennt sich jemand mit vb-skript in excel
aus?
Offenbar gab es auch Leute, die sich im Chat mit gewöhnlichen Dingen beschäftigten. Vielleicht war das schon die erste Chance für einen Kontakt. Möglicherweise konnte er Rotzlöffels Vertrauen gewinnen, wenn er ihr half! Er sollte es in jedem Fall versuchen.
21:38:36 Victorianerin:
bin weg für heute. schlaft gut! bis
morgen
21:38:47 DauerRammler:
was ist VB? Virtueller Busen? Damit kenne
ich mich aus *fg*
21:39:00 süßer_Sandro:
ich kann Visual Basic, Rotzlöffel. Kann
ich dir helfen?
21:39:03 Rotzlöffel:
n8 victorianerin. dr: visual basic
ich hab von einem kommilitonen eine
vorlage bekommen...
er meinte es wäre leicht sie abzuändern
aber ich krieg es nicht hin *hoil*
und ich brauch die auswertung so schnell
wie möglich
muss die arbeit anfang nächster Woche
meinem prof geben
21:40:40 süßer_Sandro:
kannst du mir die datei per email
schicken? und dazu schreiben was das
Programm machen soll?
Die nächsten Nachrichten kamen plötzlich mit roten Buchstaben in der Überschrift.
21:41:18Rotzlöffel -> süßer_Sandro:
ich glaub du kannst mir echt helfen
ich studier bwl und mach eine
recht komplizierte auswertung...
kannst du sowas?
21:41:49 süßer_Sandro:
schicke es mir und ich schau nach
21:42:41Rotzlöffel -> süßer_Sandro:
schreib meinen nick in das feld
"privat an" dann können die anderen nicht
mitlesen ;-)
21:42:49 süßer_Sandro:
ich denke ich kriege das hin.
21:43:18Rotzlöffel -> süßer_Sandro:
ich kann dir aber nix dafür geben...
21:43:51süßer_Sandro -> Rotzlöffel:
ach, das mache ich gerne
du kannst mir vielleicht helfen
diesen chat zu verstehen und die
leute kennenzulernen
21:45:08Rotzlöffel -> süßer_Sandro:
:-) das mache ICH gerne
wie ist deine mail-addi?
21:45:29süßer_Sandro -> Rotzlöffel:
Fünf Minuten später war die E-Mail bereits in dem Postfach, das Sven extra für seinen Chat-Nick angelegt hatte. Neben der Excel-Datei war auch eine Beschreibung dessen beigefügt, was die Studentin benötigte.
Ein Blick in das Dokument zeigte Sven sofort, was geändert werden musste. Seine Erfahrung mit wesentlich komplexeren Programmen war so groß, dass dies wirklich eine Kleinigkeit war.
Während er die nötigen Änderungen machte, führte er innerlich einen Freudentanz auf. Er würde etwas gut haben bei dieser Chatterin. Damit stiegen auch seine Chancen, etwas über Sybille und ihre Kontakte innerhalb des Chats herauszubekommen. Wenn der Täter tatsächlich im Chat zu finden war, würde Sven vielleicht wirklich helfen können, Sybilles Mörder zu überführen oder wenigstens einige Personen aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen.
Nach einer Viertelstunde schickte Sven die geänderte Datei zurück an [email protected]. Dann öffnete er wieder das Fenster des Chats. Er hatte sich nicht ausgeloggt.
Seine Enttäuschung war groß, als er bemerkte, dass Rotzlöffel den Chat bereits verlassen hatte. Aber sie hatte ihm noch eine letzte Nachricht geschrieben, kurz bevor er wieder in den Chat gesehen hatte:
21:59:31Rotzlöffel -> süßer_Sandro:
ich muss raus, meine mama ruft :-|
hoffe nachher ne mail von dir zu haben
danke + gute n8. *bussi* sü_sa :-)
22:00:49Rotzlöffel <W> (21, aus dem hohen Norden)
hat den Chat verlassen
22:01:36Grizzly -> süßer_Sandro:
i kenn di ned, oba bittschön bemüh di.
de klane is so fleißig bei ihrm studium
sie hats verdient
Das musste ein Freund von Rotzlöffel sein. Vielleicht sollte er die Gelegenheit nutzen und einen weiteren Kontakt knüpfen. Aber was sollte er nur sagen?
22:03:22süßer_Sandro -> Grizzly:
ich tue mein bestes, versprochen
22:03:40Grizzly -> süßer_Sandro:
i dank dir a ganz liab
22:04:22süßer_Sandro -> Grizzly:
kein problem.
darf ich fragen, was DICH hierher
verschlagen hat?
22:05:39Grizzly -> süßer_Sandro:
ja, darfst, aber nur weil dus bist ;-)
i bin schon lang hier
seit a paar jahren sitz i im rollstuhl
hatte an unfall. ziemlich böse.
dann is ma mei frau wegrennt
und i wart nur darauf dass i krepier *lol*
22:07:29süßer_Sandro -> Grizzly:
ich weiß nicht was ich sagen soll,
Grizzly - "es tut mir so leid" sagt
sicher jeder...
22:07:54Grizzly -> süßer_Sandro:
basst scho sandro, i kumm klar damit
22:08:20süßer_Sandro -> Grizzly:
aber nur weil du im rollstuhl sitzt
musst du ja nicht nur darauf warten
dass du "krepierst"
22:08:43Grizzly -> süßer_Sandro:
du hast keine ahnung sandro
i hab an blutgerinsel im hirn
nach den ärztn hätt i scho vor an
johr a leich sei müssen
Sven war geschockt und ihm fiel nun wirklich nichts ein, was er hätte schreiben können. So blieb er mit seinem unguten Gefühl im Magen einfach nur vor dem Bildschirm sitzen.
22:10:21Grizzly -> süßer_Sandro:
tschuldige. i will niemand damit
belasten aber du hast ja gfragt
in jedem fall kannst dir vorstellen dass
i ma ka frau mehr find. und dafür
bezahlen tu i ned, a wenn i es hätt
22:11:24Grizzly -> süßer_Sandro:
jetzt hab i a virtuelle freundin
der is egal wie i ausseh und ob
i laufen kann
sie is immer für mi do und i für sie
und wenn sie mir beschreibt was
sie mit mir tuat...
22:12:10Grizzly -> süßer_Sandro:
kann i mir wunderbar an runterholn *ggg*
so, jetzt muss i gehn, sorry.
wennst mal jemand zum redn brauchst sag
ma bescheid und i verlang garantiert nix
dafür. hast nix was i brauchen könnt ;-)
baba
22:12:49Grizzly <M> (36, aus Wien)
hat den Chat verlassen