SchattenSchuld - Nané Lénard - E-Book

SchattenSchuld E-Book

Nané Lénard

3,5

  • Herausgeber: CW Niemeyer
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Bauarbeiten in einem vergessenen Park unweit von Bückeburg: Ein neuer Touristenmagnet soll entstehen. Hauptkommissar Wolf Hetzer ist skeptisch und will die Sache inspizieren. Aber was für ein Schock! Nichts ist mehr wie vorher, der verwunschene See längst Geschichte. Auf einer der Inseln entdeckt Wolf die Ecke einer Metallkiste. Ihr Inhalt entpuppt sich als grausig. Nun stehen er und seine Kollegen vor einem schier unlösbaren Rätsel. Doch während das Team ermittelt, hat das Böse im Schatten des Geschehens leichtes Spiel.

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Seitenzahl: 375

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Was, wenn alles immer heile bliebe?Das Herz, die seelverwandte Liebe …Was, wenn sich Hoffnung und Geduldnicht störten am Skandal?Tumult nicht hörten,auch kein leises Flüstern?Die eig’ne Welt, sie hätte ein Gewichtwie tausend helle Sonnen!Kein Tag im Schatten wäre je Verzichtoder in Schuld begonnen.

Im Verlag CW Niemeyer sind bereitsfolgende Bücher der Autorin erschienen:SchattenHautSchattenWolfSchattenGiftSchattenTodSchattenGrabSchattenSchwurSchattenSuchtSchattenGierSchattenZornSchattenQualFriesenNerzFriesenGeistFriesenSpielFriesenLustKurzKrimis und andere SchattenSeiten

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de© 2019 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8366-8

Nané LénardSchattenSchuld

Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

Für Carsten

Über die AutorinNané Lénard wurde 1965 in Bückeburg geboren, ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Nach dem Abitur und einer Ausbildung im medizinischen Bereich studierte sie später Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Neue deutsche Literaturwissenschaften.Ab 1998 arbeitete sie als freie Journalistin. Von 2009 an war Lénard im Bereich Marketing und Redaktion für verschiedene Unternehmen tätig. Seit 2014 ist sie freiberufliche Schriftstellerin und verfasst neben Kriminalromanen auch Kurzgeschichten und Lyrik. Einige ihrer Werke wurden prämiert.Nané Lénard ist auf Lesungen, Buchmessen und in sozialen Netzwerken für ihre Fans präsent.Mittlerweile sind ihre SchattenThriller rund um die Kommissare Hetzer und Kruse sowie ihre heiter-skurrilen OstfriesenKrimis mit Oma Pusch im gesamten deutschen Sprachraum bekannt.

Prolog

Er musste es tun. Sie hatten ihm nicht geglaubt. Wie konnte er ahnen, wer da mit wem unter einer Decke steckte? Jedes Wort, jede Vermutung, ja sogar Andeutungen waren gefährlich. Lebensgefährlich. Vor allem für ihn. Sie hatten ihn schon lange im Visier. Und die Wände hatten Ohren.

Also schwieg er jetzt lieber, weil auch der Arzt ihm nicht helfen konnte. Dabei war er der Einzige, dem er vertraute. Man hatte sie umgebracht. Dessen war er sich sicher. Darum hatte er immer wieder leise Zweifel gestreut, Hinweise gegeben und während der Behandlung nachgefragt, wenn sie alleine waren.

Doch das Unvermeidliche war eingetreten. Es hatte alles nichts genützt. Sie war tot, und er hatte keine Gewissheit, dass es tatsächlich Gift gewesen war. Aber er hatte die Flecken und Verfärbungen gesehen, ihre Haare auf dem Kissen – viele Haare. Wie damals bei ...

Hier war niemand daran interessiert, die Wahrheit zu kennen. Es hatte Vorteile, dass sie weg war.

Inzwischen waren knapp zwei Jahre vergangen. Doch er hatte nichts vergessen. Ein glücklicher Zufall brachte sie ihm zurück. Oder war es das Schicksal?

Nun blieb ihm keine andere Wahl. Er musste ihre sterblichen Überreste stehlen, sie für die Nachwelt erhalten und an einem anderen Ort aufbewahren, als man sie vermuten würde. Für eine Zeit, in der es möglich war herauszufinden, was mit ihr geschehen war.

Unter der Frankenburg

Es war ein eisiger Januarmorgen unter der Frankenburg. Etliche Tage Dauerfrost zauberten bei Sonnenschein eine herrliche Winterlandschaft ins Weserbergland. Die nächtliche Feuchtigkeit hatte Puderzucker über Wiesen, Äste und Büsche gestreut. Aber es gab einfach keinen Schnee. Zum einen war das gut, denn so blieben die Straßen trocken. Doch ein paar Tage mit dichter Schneedecke hätte Hauptkommissar Wolf Hetzer gerne in dieser Jahreszeit gehabt. Vor allem wegen Leo, der die weiße Pracht überhaupt noch nicht kannte. Er stellte sich vor, wie der junge Rüde durch die Landschaft tollen würde. In Bayern und Österreich konnten sie sich derzeit vor Schnee nicht retten, aber jetzt sollten in den nächsten Tagen tatsächlich auch hier ein paar Flocken fallen. Viel würde es wahrscheinlich nicht werden.

Es war Sonnabend. Seine Nachbarin und Verlobte Moni Kahlert hatte ihn ausgelacht, als er ihr nach dem Aufstehen erzählte, er wolle sie zum Frühstück in die „Große Klus“ nach Röcke einladen. Auf so eine Idee sei er ja noch nie gekommen, meinte sie und schmunzelte, denn sie wusste genau, dass da was im Busche sein musste. Okay, sein Vorhaben war nicht ganz uneigennützig, denn er war besorgt und vielleicht auch ein bisschen neugierig. Also erzählte er ihr, was er vorhatte und tippte auf den Artikel in der Zeitung. Gespannt las sie, was ihn am frühen Morgen so beschäftigte.

Hetzer war in seiner Freizeit viel in den Wäldern des Weserberglandes unterwegs. Das lag nicht nur an seinem Junghund Leo, der Energie für drei hatte und beschäftigt werden musste. Als alteingesessener Bückeburger kannte er auch diese besonderen Fleckchen, die den Touristen oft verborgen blieben. Von denen befanden sich im Schaumburger Wald gleich drei, die ihn selbst faszinierten. Im Sommer hatte er bei einem Fahrradausflug gesehen, dass sie das Gelände rund um die Grabpyramide des Grafen Wilhelm zu Schaumburg-Lippe ganz neu angelegt hatten. Man fand das Bauwerk sonst fast gar nicht am Wegrand. Nur wer aufmerksam hinsah, entdeckte es im dunklen Dickicht. Obwohl jetzt, so dachte er bei sich, durch die weite, ebene Fläche etwas von dem morbiden Charme verschwunden war. Der unheimliche Schauer, den er immer gefühlt hatte, stellte sich nicht mehr ein. Ein bisschen hoffte er, dass das Mausoleum von Juliane zu Schaumburg-Lippe von solchen Neuerungen verschont bleiben würde. Dort gab es außerdem noch einen ganz besonderen Kitzel. Wenn man durch das hintere Fenster leuchtete, konnte man die zwei Steinsarkophage von ihr und ihrer Mutter Ulrike sehen.

Hetzer war an diesem Morgen also alarmiert gewesen, als er in der Schaumburg-Lippischen Landes-Zeitung las, dass die Bauarbeiten im Park gegenüber der „Großen Klus“ wegen des Frostes ruhten und man Spaziergänger bat, den Bereich zu meiden. Die Fotos zeigten Erdarbeiten: große Löcher, Steinhaufen, nur mit einem Flatterband gesichert. Wolf musste zugeben, dass das nicht ungefährlich war, vor allem im Dunklen.

Das Ganze als Park zu bezeichnen war grob übertrieben. Es gab keinen Park dort. Zumindest keinen, den man noch als solchen bezeichnen konnte. Am Ende der knapp 300 Meter langen Lindenallee befand sich ein See in der Form einer Acht mit zwei kleinen Inselchen in der Mitte. Auf ihnen drängelten sich verwilderte Eichen, Buchen und Zitterpappeln. Wolf erinnerte sich an einen verwunschenen Ort bedeckt von Entengrütze und knorrigen Zweigen, die aus dem Wasser ragten wie die Hände eines Riesen. An einigen Stellen im Gelände konnte man Erhebungen und Gräben ausmachen. Ein geheimnisvoller Ort, den kaum jemand kannte, obwohl er genau an der Straße nach Minden lag, kurz vor der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen, und die „Große Klus“ als Hotel und Restaurant bekannt war. Trotzdem kam kaum jemand auf die Idee, auf der anderen Straßenseite in den Wald zu gehen.

Für Wolf Hetzer war dieses vergessene Stückchen Erde ein Wohlfühlort, den er gelegentlich in der Mittagspause aufgesucht hatte, wenn er Ruhe brauchte. Gemeinsam mit seiner altdeutschen Schäferhündin Lady Gaga hatte er sich dort ausgeruht, falls sie mit auf der Dienststelle in Bückeburg gewesen war. Aber alles ging dahin, dachte er wehmütig. Ein treuer Weggefährte auf vier Beinen und eine schöne Landschaft, die jetzt touristisch attraktiver werden sollte. Genau wie die Pyramide im Schaumburger Wald.

Aufgrund der Lage zwischen Bückeburg und Minden hoffte man auf Besucher aus beiden Bundesländern. Der Park sollte so wiederhergestellt werden, wie er einmal gewesen war. Man hatte alte Pläne im Niedersächsischen Staatsarchiv gefunden. Wenn das gelingen sollte, würde im Norden wieder der Eulenturm stehen. Der See bekäme einen Zu- und Ablaufgraben zur Regulierung des Wasserstandes. Die Inseln müssten gerodet werden. Anstelle der Bäume gäbe es Bänke, Blumen und junge Gehölze. Beide Eilande sollten außerdem wieder durch eine Brücke verbunden werden. Man überlegte sogar, zwei weitere jeweils vom Ufer aus auf jede Insel bauen zu lassen, sodass man kein Boot benötigen würde, um das gesamte Gelände durchwandern zu können. An der Südseite waren außerdem ein Parkplatz und ein kleines Café geplant.

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr schäumte er innerlich vor Wut. Konnte man nicht manches einfach so lassen, wie es war? Über 200 Jahre hatte sich niemand mehr um das Gebiet gekümmert. Auf einmal witterte man Einnahmen, vermutete er.

„Fahr du mal allein dorthin“, sagte Moni und riss Wolf damit aus seinen Gedanken, „ich lege mich gemütlich in die Wanne. Es sind vier Grad minus. Aber lass uns erst frühstücken.“ Sie gab ihm den Bückeburger Teil der Zeitung wieder.

„Na gut“, erwiderte er und fand es ein bisschen schade, dass sie nicht mitkam. Auch Leo machte noch keine Anstalten aufzustehen, sondern streckte sich gemütlich in seinem Korb und gähnte. Daher war ein gemeinsames Frühstück sowieso die beste Idee. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, das Haus mit leerem Magen zu verlassen.

Als er anderthalb Stunden später bei der „Großen Klus“ parkte, aus seinem Wagen stieg und den Rüden heraushüpfen ließ, überlegte er nur kurz, ob sein Wagen jemanden stören könnte. Bis sich Mittagsgäste einfinden würden, wäre er längst wieder weg.

Leo war aufgeregt und schnüffelte in die Winterluft. Diese Gegend kannte er noch nicht. Fremde Hunde hatten hier ihre Duftmarken als Mitteilung für Artgenossen hinterlassen. Lesestoff für Leo! Und die Gelegenheit, selbst Botschaften zu hinterlassen.

Wolf ging mit ihm über die Straße und erkannte schon an der Struktur des zerfurchten Waldweges, dass hier mit schwerem Gerät gearbeitet worden war. Profile unglaublich großer Räder hatten dafür gesorgt, dass der Untergrund nun ein Muster trug, aber schlecht passierbar war, wenn man nicht zufällig über vier Pfoten verfügte. Der ganze Matsch war gefroren. Man musste gut aufpassen, wohin man seinen Fuß setzte.

Während Leo mühelos um ihn herumsprang, kämpfte sich Wolf die Allee aus alten Linden und Platanen entlang. Schon von Weitem erkannte er, dass alles noch viel schlimmer war als befürchtet. Man hatte eine Pontonbrücke zur kleineren, südlichen Insel gebaut, wahrscheinlich mithilfe der Pioniere aus Minden. Er hatte einmal eine Übung auf der Weser gesehen, bei der Panzer über den Fluss fuhren. Schon beeindruckend, was für ein Gewicht so eine mobile Brücke tragen konnte.

Aber hier war er nur erschrocken und traurig. Mittels des künstlichen Überwegs hatte eine Harvester den Eichenbestand der zehn Meter großen Insel dem Erdboden gleichgemacht. Der Holzvollernter hatte die Bäume einfach samt Wurzel aus der feuchten Seeerde gerissen, sie entästet, entrindet und dann am Ufer gestapelt. Aber der Frost hatte wohl verhindert, dass auch die größere Nord­insel gerodet werden konnte. Wolf hätte sich gerne am Anblick der Zitterpappeln und Buchen erfreut, aber die Harvester störte den Blick. Man hatte sie am Rand des Sees abgestellt, damit sie die Brücke blockierte, die immer noch auf dem Wasser lag.

Mit seinem Smartphone fotografierte er den Landschaftsschaden und überlegte sich, die Presse und den Naturschutzbund einzuschalten. Es war zwar aller Ehren wert, einen 200 Jahre lang brachliegenden Park wieder zum Leben zu erwecken, wenn dies behutsam unter Berücksichtigung der aktuellen Flora und Fauna möglich war. Aber so ein Raubbau an der Natur tat ihm direkt im Herzen weh. Das ganze ökologische Gleichgewicht war dahin.

Natürlich wäre Wolf Hetzer kaum er selbst gewesen, wenn er die Sache nicht näher und aus allen Blickwinkeln betrachtet hätte. Vor allem juckte es ihn, über die Pontonbrücke auf das kleine Inselchen zu kommen, um den Flurschaden genau ins Visier zu nehmen. Der Weg über das Eis war nicht ratsam. Es war noch zu dünn, jedenfalls für ihn. Den Hund würde es eher tragen. Einmal, weil Leo sowieso wesentlich leichter war als er selbst und zum Zweiten, weil er sein Gewicht besser verteilte, da er auf vier Beinen ging. Wolf beschloss also, über die großen Reifen des Fahrzeugs zu klettern und den Rüden nebenher zu lotsen. Kein leichtes Unterfangen, da sein linker Arm aufgrund einer alten Verletzung nahezu unbrauchbar war. Aber irgendwie schaffte er es, sich entlangzuhangeln und die Insel trockenen Fußes zu erreichen. Leo rutschte anfangs ein bisschen, schlidderte dann aber vorsichtig über die eisige Oberfläche und schüttelte sich, als er wieder an Land war.

Hier inmitten des Sees war noch nicht alles so durchgefroren. In den tiefen Löchern, die die Baumwurzeln zurückgelassen hatten, war das Wasser nur hauchdünn gefroren. Was für ein Spaß für den Junghund: Anlauf nehmen und hineinspringen, dass es spritzte. Wolf gelang es kaum, an der Freude teilzuhaben. Die gesamte Insel war zerstört. Ein Trümmerfeld! Es sah aus, als seien hier Minen explodiert. Mit dem Smartphone hielt er den Schaden fest.

Plötzlich bemerkte er, dass Leo an einer Stelle weiter hinten eifrig grub. So ganz recht war Wolf das nicht, denn zu Hause im Garten war das verboten und wie sollte der Hund wissen, wo es erlaubt war und wo nicht? Also rief er ihn – ohne Erfolg. Wolf wunderte sich. Immer hektischer bearbeitete der Rüde den Boden mit seinen Pfoten. Normalerweise hörte Leo gut, von ein paar Pubertätsspinnereien einmal abgesehen, aber heute ignorierte er sein Herrchen völlig. Nicht gut, dachte Hetzer und schlich sich an. Es war immer von Vorteil, einen Hund beim Nichtgehorchen zu erwischen, damit man ihn sofort schimpfen konnte. Doch als er näher kam, hörte er metallisches Kratzen und sah, dass Leo auf etwas gestoßen war, das hier definitiv nicht hingehörte.

„Aus, Leo!“, rief er jetzt und zog den Hund am Halsband zurück.

Die Ecke einer ramponierten silbrigen Kiste ragte aus der Erde. An der einen Seite gab es eine Beschädigung. Sie sah scheckig aus. Wolf hätte wetten können, dass sie aus Blei war. Gut, dass er den Rüden weggezogen hatte. Was wohl da drin war?, überlegte er. Vielleicht konnte er reinleuchten.

Zwei Dinge hatte der Hauptkommissar immer dabei: Ein ordentliches Taschenmesser mit zahlreichen Funktionen und eine leuchtstarke Taschenlampe. Letztere kramte er jetzt aus seiner Hosentasche und leuchtete in das Loch, das wahrscheinlich irgendwie von der Harvester stammen musste. Anders konnte Wolf es sich nicht erklären. Es war nicht einfach, gleichzeitig den Strahl ins Innere zu richten und dabei auch noch zu gucken. Mit einem Ast versuchte er, die Öffnung zu vergrößern, aber der brach ab und Leo sprang mit dem Rest davon. Wenn es tatsächlich Blei war, konnte möglicherweise auch das Taschenmesser helfen. Doch auch das gelang nur mühsam und führte zu keiner wesentlichen Verbesserung, denn das Material war dicker, als er angenommen hatte. Immerhin konnte er so sein Auge direkt auf den Spalt in der Kiste legen und die Lichtquelle seitlich danebenhalten.

„Ach, du heilige Sch...“, stöhnte er. Das waren definitiv Knochen. Er meinte auch, einen Schädel gesehen zu haben und fragte sich, ob das Suchspielchen zu Hause mit Leo seine allerbeste Idee gewesen war. Aber sei es wie es sei. Das hier war jetzt vielleicht ein Leichenfundort, und damit waren alle Bestrebungen, den Park weiter zu malträtieren auf unbestimmte Zeit verschoben.

Ein herrlicher Samstagmorgen

In Kleinenbremen begann der Tag heute eher lässig. Die Rechtsmedizinerin Doktor Nadja Serafin hatte noch bis spät in den Freitagabend hinein gearbeitet. Das lag zum Teil am Umzug des Institutes von Stadthagen nach Obernkirchen. Dort im Ortsteil Vehlen war das Gesamtklinikum Schaumburg entstanden. Als eine der letzten Abteilungen war nun auch die Rechtsmedizin dorthin übergesiedelt. Kein einfaches Unterfangen, wenn man bedachte, wie viele hochempfindliche Geräte unbeschadet transportiert werden sollten. Von den Leichen ganz zu schweigen, die man möglichst ohne viel Aufsehen in Transportsärgen durch einen Hintereingang trug.

Das alles hatte neben der herkömmlichen Arbeit laufen müssen und jedem Mitarbeiter viel persönliches Engagement abverlangt. Nadja wäre froh gewesen, wenn der Neuzugang – die Rechtsmedizinerin Anke Seiler – schon hätte dabei sein können. Aber die Spezialistin in den Bereichen forensische Osteologie und Thanatochemie würde sich erst heute Nachmittag vorstellen und die Räume der Abteilung zeigen lassen.

Doch bis dahin war es noch lange hin, fand Nadja und drehte sich noch einmal im Bett um. Sie schmiegte sich an ihren Brummbären. Oberkommissar Peter Kruse war fast zwei Meter groß und nicht gerade von schlanker Gestalt. Er schnarchte fürchterlich und zersägte jede Nacht einen Teil des Bückebergs oder des Schaumburger Waldes. Nichtsdestotrotz liebte Nadja diese Geräusche. Sie hatte sich daran gewöhnt und wachte immer dann auf, wenn er mal ausnahmsweise leise schlief. Sie selbst war nur wenig kleiner als er, aber von schlanker Gestalt mit einer Frisur, die man eigentlich keine nennen durfte. Strohiges, blondes Haar stand wirr nach allen Seiten vom Kopf ab, sodass sie immer aussah, als sei sie gerade aufgestanden. Das stimmte natürlich nicht. Sie besaß sogar eine Bürste, die sie morgens verwendete, nur nützte es leider nichts. Darum hielt sie sie kurz. Vor allem, seitdem Peter einmal gesagt hatte, er befürchtete, Vögel könnten darin nisten wollen.

Trotz der Flachsereien waren die beiden ein Herz und eine Seele, auch wenn Nadja vielleicht ein bisschen zu sehr auf Peters Ernährung achtete und ihm notfalls die Begriffe „Cholesterinspiegel“, „Fettleber“ oder „Gicht“ unter die Nase rieb. Peter blieb wie er war, denn er aß nun mal zu gerne Fleisch und redete sich mit seinem Neandertalererbgut raus. Ab und zu ließ er einige Salatblätter und Gemüsekompositionen über sich ergehen, natürlich nur ihr zuliebe und mit langen Zähnen.

Jetzt schreckte er hoch, weil Nadja ihm in den Bauch gestochen hatte und brummte. „Wieso weckst du mich? Es ist doch noch mitten in der Nacht.“

„Halb elf ist fast schon Mittag“, schimpfte Nadja spielerisch und bohrte weiter in seinem Bauchnabel.

„Ey, lass das! Sonst mache ich das bei dir auch, nur ein Stückchen tiefer“, drohte er.

„Das will ich doch hoffen“, sagte Nadja und lachte. Dann tauchte sie ab unter die Decke.

Fast hätten sie das Telefon nicht gehört.

„Wolf!“, stöhnte Peter und ärgerte sich. Den konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Schließlich war Wochenende.

Er wusste schon, warum er seinem Kollegen einen eigenen Klingelton zugewiesen hatte.

„Musst du da rangehen?“, fragte Nadja.

„Ist dienstlich“, erwiderte er mit einem breiten Grinsen, „aber ich könnte es nicht gehört haben und später zurückrufen.“

„Super Idee“, freute sich Nadja und hörte von Ferne ihr Smartphone bimmeln. Wahrscheinlich auch Wolf. Er versuchte es auf allen Kanälen.

„Wir haben keinen Dienst“, beruhigte Peter sie. „Egal, was es ist, es hat Zeit.“

Aber jetzt war irgendwie der Wurm drin. So ganz konnte sich keiner von beiden mehr entspannen und auf den anderen konzentrieren.

„Und wenn doch etwas ganz Schlimmes passiert ist und er uns braucht?“, überlegte Nadja laut.

Peter seufzte, setzte sich auf und stieg in seine übergroßen Lammfellpuschen. „Bleib du liegen. Ich rufe den Störenfried zurück. Wehe, es ist nichts Wichtiges!“

„Bringst du mir einen Kaffee mit?“, bat sie.

„Nicht nur das“, antwortete Peter, „wir frühstücken heute im Bett. Aber jetzt lass mich erst mal anrufen. Ich könnte meinen Arsch darauf verwetten, dass es auch bis Montag Zeit gehabt hätte.“

„Na endlich“, schimpfte Hauptkommissar Wolf Hetzer, als Peter von der Küche aus zurückrief. „Wart ihr zusammen unter der Dusche, oder warum ging keiner von euch beiden ran? Ihr wisst genau, dass ich mich mit dieser Nummer nur melde, wenn es etwas Dienstliches ist.“

„Möglich“, gab Peter trocken zurück, „aber wir haben keinen Dienst. Und auch, wenn du es dir nicht vorstellen kannst: Wir genießen unser gemütliches Wochenende.“

„Ach ja? Was willst du mir mit deiner frechen Antwort sagen? Ich genieße meine freie Zeit nicht?“, fragte Wolf. „Wer ist denn der Gourmet von uns beiden?“

Peter stöhnte. „Du bist wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden oder wie? Sag mir jetzt, was du auf dem Herzen hast. Ansonsten, lass uns in Ruhe. Zumindest bis Montag. Von mir aus kannst du auch zum Frühstücken vorbeikommen, aber nur als Kumpel, nicht als Kollege.“ Das – so wusste Peter – würde er nie im Leben tun.

„Hier frühstückt jetzt keiner“, donnerte Wolf in den Hörer. Leo sah ihn verständnislos an. So kannte er sein Herrchen gar nicht. „Ihr schwingt eure müden Ärsche hierher. Ich bin an der ,Großen Klus‘ und habe eine Leiche gefunden. Heißt: Ab jetzt seid ihr im Dienst.“

„Da muss ich dich enttäuschen“, erwiderte Peter. „Detlef und Niklas haben Bereitschaft. Und Ennos Nummer für die rechtsmedizinische Expertise hast du sicher auch. Ich geh dann mal wieder ins Bett.“

„’nen Teufel wirst du tun“, schäumte Wolf jetzt und ärgerte sich am meisten über sich selbst. „Ich brauche euch. Kapierst du das nicht?“

„Warum?“, hakte Peter nach.

„Der Fall ist besonders“, gab Wolf zu.

„Inwiefern?“

„Kannst du auch was anderes als Ein-Wort-Sätze?“ Wolf stöhnte. „Ja, ähm, die Leiche ist besonders.“

„Arme, Beine, Kopf und Torso. Alles tot nehme ich an. Oder fehlt was?“, erkundigte sich Peter.

„Keine Ahnung“, erklärte Wolf, „ich habe nur ein paar Knochen gesehen.“ Er überlegte. „Sie sind in einer Kiste. Könnte Blei sein, aber ich komme nicht richtig ran. Der Boden ist gefroren.“

Peter lachte. „Wahrscheinlich hast du einen alten Köter ausgegraben, den einer mal mit viel Liebe bestattet hat.“

„Sehr witzig“, sagte Wolf. „Und wenn nicht? Die machen hier alles platt. Wir müssen unbedingt was unternehmen.“

„Ach, jetzt verstehe ich den feinen Herrn Kommissär. Er will sich nicht zum Affen machen. Sonst könnte er doch gleich die SpuSi und die zuständigen Kollegen anrufen. Aber nein, das ist ihm zu peinlich. Darum stört er lieber seine Freunde bei ihrem köstlichen Frühstücksgezwitscher. Für den Fall, dass es dann doch ein Köter ist.“

„Ja, so in etwa“, beichtete Wolf kleinlaut.

„Und warum fragst du nicht ganz freundlich, ob wir dir bei einem ominösen Skelettfund behilflich sind?“, wollte Peter wissen. „Stattdessen benimmst du dich wie die Axt im Walde und haust um dich. Denkst du, so kriegst du uns eher rum?“

„Okay, ja, vielleicht wäre es anders besser gewesen“, stimmte Wolf zu, „aber ich hatte Bedenken, ihr könntet der Sache zu wenig Bedeutung schenken.“

„Möglich“, sagte Peter und lachte versöhnlich. „Wir würden gerne erst frühstücken. So viel Zeit wird doch sein?“

„Schwierig“, stöhnte Wolf, „es ist unter null und wir sind hier schon ziemlich lange draußen unterwegs. Wäre es nicht vielleicht doch möglich, dass ihr euch sofort in Bewegung setzt? Ach, und bringt bitte einen Seitenschneider oder eine scharfe Zange mit. Vielleicht auch einen Spaten. Obwohl der Boden wahrscheinlich zu hart ist. Aber weiter unten hier im See könnte es wärmer sein.“

„So ganz werde ich aus deinem Gefasel nicht schlau, aber ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach Peter. „Soll ich dir vielleicht einen heißen Kaffee mit Milch mitbringen?“

„Das wäre zu viel des Guten“, sagte Wolf, „aber wenn du schon fragst ...“

„Okay, dann bis gleich.“ Peter legte auf und öffnete den Kühlschrank. Wenn schon kein Sex, dann wenigstens ein ordentliches Stück Fleisch, überlegte er.

Vor ihm lagen fünf köstliche Scheiben Leberkäse. An die hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Sie waren vom Vorabend übrig geblieben. Zwei Laibe hatte er wirklich nicht geschafft. Das war wohl etwas vermessen gewesen. Aber seine Augen waren oft noch größer als sein Magen. Kaum zu glauben.

Jetzt kamen sie ihm gerade recht. Peter klemmte sie zwischen fünf Aufbackbrötchen, legte zur Zierde und wegen Nadja noch ein Salatblatt hinzu und strich auf seine noch ein bisschen Butter. Sie würde bestimmt nur eine einzige Leberkässemmel essen. Ihm blieben die anderen vier. Ein herrliches Frühstück, ganz nach seinem Geschmack. Alles andere konnten sie auf später verschieben.

Die Neue

Anke Seiler war nicht im eigentlichen Sinne schön. Ihre glatten, dunklen Haare hingen exakt geschnitten auf einer Länge. Keins traute sich, aus der Reihe zu tanzen. Vielleicht konnte man sagen, dass sie wegen ihrer schnurgeraden Nase etwas Ägyptisches an sich hatte, aber möglicherweise kam das auch einfach nur von ihrem strengen Bob. Darunter lagen wache, grüne Augen, die von einem Schatten umgeben waren.

Kein Wunder. Die nahe Vergangenheit hatte sie ziemlich gebeutelt. Schmerz zeichnete ein Gesicht, ob man es wollte oder nicht.

Sie hatte einen Schlussstrich unter die letzte Zeit ziehen wollen. Einfach weg von dort. Von den Erinnerungen, dem Leiden. Irgendwo neu anfangen, wo sie niemand darauf ansprach, was geschehen war.

Verkriechen und in Berlin bleiben, wäre die eine Alternative gewesen, aber sie war kein Mensch, der fürs Alleinsein gemacht war, auch wenn sie lieber im Hintergrund blieb. Das Helfersyndrom lag ihr von Kindesbeinen an im Blut. Zuerst waren es Tiere gewesen, die sie gerettet hatte, später Mitschüler und dann Patienten.

Heute wirkte sie eher indirekt in der Rechtsmedizin, aber das hatte seinen Grund. Sie öffnete sich anderen nach den vielen Schicksalsschlägen nur schwer. Wenn sie jedoch zu jemandem Vertrauen gefasst hatte, schmolz der Eispanzer, den sie gewöhnlich um sich trug, dahin.

Bei ihrer Wohnungssuche war viel Glück im Spiel gewesen. Ganz überraschend konnte sie die Dachwohnung in Vehlen auf dem alten Hof nun doch beziehen. Ein traumhafter Ort! Der andere Interessent war kurzfristig abgesprungen. Von dort aus brauchte sie nur an der Straße auf dem asphaltierten Weg durch die Felder ein Stück zu Fuß zu gehen und erreichte in wenigen Minuten das neue Großklinikum „Agaplesion“. Dort war mittlerweile die Rechtsmedizin untergebracht. Im Grunde genommen brauchte sie so überhaupt kein Auto mehr. Aber sie erwog den Gedanken, einen kleinen BMW anzuschaffen, weil sie keine Lust hatte, bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad einkaufen zu gehen oder von anderen Menschen abhängig zu sein.

Heute war ihr großer Tag. Sie würde ihre „Chefin“, diese Frau Doktor Nadja Serafin, endlich persönlich kennenlernen. Eigentlich arbeitete sie lieber mit Männern zusammen. Frauen untereinander: Das war manchmal keine so leichte Sache. Vor allem, wenn Neid und Ehrgeiz mit im Spiel waren. Aber dem Hörensagen nach war diese Frau mit der komischen blonden Frisur, die sie auf der Internetseite des Schaumburger Klinikums gesehen hatte, ganz nett.

Warum es sie in diese Gegend verschlagen haben mochte, konnte sie sich selbst nicht wirklich erklären. Gut, da waren natürlich die unterschiedlichen Stellenanzeigen gewesen. Doch mit ihren Noten und den Empfehlungsschreiben hätte sie Auswahl gehabt. Es war einfach so ein Gefühl gewesen. Außerdem hatte sie Großstädte und Touristenmagneten satt. Sie sehnte sich nach ein bisschen Ruhe im Alltag und war damit vollkommen auf dem Holzweg.

Warten und frieren

Wolf beneidete Leo aus tiefstem Herzen. Während er selbst sich den Arsch abfror, hüpfte der Jungrüde am Ufer entlang und fand immer wieder etwas Interessantes, mit dem er spielen wollte. Das konnte ein Stöckchen sein oder ein fliegendes Blatt oder das Eis, in das er jetzt beißen konnte, weil er mit einer Tatze beim Trinken an einer dünneren Stelle eingebrochen war.

Als es im Dickicht raschelte, horchte Leo auf. Wolf hatte auch etwas gehört. Aber wieso sollten sich Nadja und Peter anschleichen?

Plötzlich stürmte ein blondgelocktes Geschoss aus dem Gestrüpp und sprang Leo an. Ihm folgte die Miniaturausgabe eines Zwergpudels in Weiß, und weiter hinten hörte man schimpfend und pfeifend ein Herrchen fluchen. Wolf musste grinsen. Der kleine Kerl kläffte ihn aus Leibeskräften an, während die großen Hunde miteinander herumtollten.

„Ja, ja, große Klappe und nichts dahinter, wie?“, fragte Wolf den Winzling.

„Entschuldigung“, keuchte ein abgekämpfter Mittfünfziger, „Berti ist noch in der Pubertät und hört nicht die Bohne. Aus, Loui!“

„Kenne ich“, sagte Wolf und grinste, „da müssen wir alle durch. Leo ist auch noch kein Jahr.“

„Na, dann passt das ja“, erwiderte der Mann und atmete tief durch. „Die können einen ganz schön auf Trab halten.“ Er lächelte. „Schlimm diese Neugestaltung hier, finden Sie nicht auch? Vorher war es so schön verwunschen. Mir hat das gefallen.“

Der kleine Loui fegte bellend über die Eisfläche. Er wog keine zwei Kilo, schätzte Wolf und grinste. Aber nur so lange, bis die Halbstarken hinterher wollten. Dann standen beide Männer am Ufer und brüllten nach ihren tauben Rüden.

„Verdammter Mist“, schimpfte Wolf, „nicht, dass die noch einbrechen.“

Und er hatte es gerade ausgesprochen, als Berti auch schon mit den Hinterläufen im Eis steckte.

„So eine Scheiße“, rief der Mann, „bitte helfen Sie mir. Meine Frau bringt mich um.“

Vom Ufer aus sahen sie, dass Berti vor lauter Schreck versuchte, aus dem Wasser zu kommen und alles noch schlimmer machte. Leo war unterdessen ans Ufer geschliddert.

„Geben Sie mir Ihre Leine, schnell!“, befahl Wolf, der wusste, dass das Wasser nicht wirklich tief war für einen Menschen, aber so ein Hund in Panik konnte auf jeden Fall ersaufen, wenn er unter das Eis geriet. Er band sich Leos lange Schleppleine um und befestigte sie an Bertis. „Hier, Sie halten mich, Herr ...?“

„Michael, aber nennen Sie mich Micha.“

„Ich krieche jetzt über die Oberfläche und versuche, Ihren Hund zu retten. Leo: Platz und bleib!“

Der Rüde lag am Ufer und legte den Kopf schief.

Da ging etwas Spannendes vor. Wolf legte sich auf den Boden und kroch aufs Eis. Ruhig, aber in zügigem Tempo näherte er sich dem blonden Junghund, der schon merklich an Kraft verloren hatte und mühsam versuchte, den Kopf oben zu halten.

Bis auf eine Entfernung von 50 Zentimeter kroch Wolf an das Loch heran und streckte dann seinen rechten Arm aus. Zuerst misslang der Versuch, Berti am Geschirr zu packen, aber dann hatte er ihn. Seinen anderen, versehrten Arm hätte er jetzt gut gebrauchen können, denn der Rüde war schwer und der Untergrund glatt, möglicherweise brüchig. Hinterher wusste er nicht mehr, wie er es überhaupt geschafft hatte, aber Berti kam mit den Vorderpfoten auf das Eis, sodass er ihn ganz herausziehen konnte, indem er sich auf der Oberfläche einfach vom Loch wegdrehte. Nass und zitternd sprang der junge Hund an Land. Wolf bewegte sich vorsichtig rückwärts in Richtung Ufer und war froh, dass er die Sache halbwegs trocken überstanden hatte.

„Danke!“, sagte Micha erleichtert. „Wie kann ich das nur wieder gutmachen?“

„Ganz einfach“, antwortete Wolf und reichte ihm seine Visitenkarte, „indem wir die beiden Jungspunde mal wieder spielen lassen, aber auf sicherem Terrain. Und jetzt schnell ab nach Hause!“

Michael sah sich um. „Wo ist eigentlich Loui? Er wird doch nicht ...?“ Sein Gesicht verlor jegliche Farbe. „Loui!“, rief er so laut er konnte.

„Mist, den haben wir ganz aus den Augen verloren“, gab Wolf zu.

„Ja, aber normalerweise macht er keinen Blödsinn mehr. Er ist schon sechs“, erklärte Michael und sah sich um. „Vielleicht ist er auf einer der Inseln. Bei seinem Gewicht bricht er ja nicht ein.“

Und da kam das kleine Knäuel auch schon angesaust. Diesmal ohne Bellen, denn er hatte ein Stöckchen im Maul. Michael nahm ihn erleichtert auf den Arm. Die Gaby hätte ihm den Kopf abgerissen, wenn dem Lütten was passiert wäre.

„Ihh, was hast du denn da? Einen Hühnerknochen? Das dürfen Hunde nicht“, schimpfte er und nahm ihm das Stück aus dem Maul.

Zum Wegwerfen kam er jedoch nicht, denn Wolf hatte da so seine Zweifel an der Hühnertheorie.

„Ich nehm den schon“, sagte er. „Sehen Sie zu, dass Sie mit Ihren Rabauken ins Warme kommen. Sonst führt Ihr nächster Gang zum Tierarzt.“

Micha nickte, klopfte Wolf auf die Schulter und trabte im Laufschritt in Richtung „Große Klus“.

Wolf betrachtete den vermeintlichen Hühnerknochen in seiner Hand. Er war kein Arzt, hatte aber in seiner Zeit als Kommissar schon viel gesehen. Und wenn ihn nicht alles täuschte, war das ein Schlüsselbein.

Knochen

Es war lausig kalt. Dick eingemummelt gingen Nadja und Peter die Allee zum See hinab. Während sie die Hände trotz der Handschuhe in den Mantel steckte, trug er ihre Tasche und den Seitenschneider. Nebenbei aß er genüsslich eine Leberkässemmel.

Der Mann, der ihnen eben entgegengelaufen war, hatte unglücklich ausgesehen. Einen weißen Minihund trug er auf dem Arm, ein zweiter, nasser, dessen Fell mit Eisklumpen gespickt schien, lief nebenher wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt werden sollte. Mit einem kurzen Nicken eilte er vorbei.

„Ui, sieht so aus, als wäre der große Hund ins Eis eingebrochen“, sagte Nadja.

Peter nickte und brummte. Er konnte nichts sagen, weil er kaute.

„Da seid ihr ja endlich“, freute sich Wolf Hetzer kurze Zeit später. „Ist nicht gerade lauschig hier draußen bei den Temperaturen.“

Leo wedelte mit dem Schwanz und sprang an Peter hoch. Nur mit Mühe und Not konnte er seine Semmel retten, indem er sie auf einmal in den Mund schob.

„Ich weiß nicht, wer von euch beiden gieriger ist!“ Nadja schüttelte lachend den Kopf und sah dann mit besorgtem Blick auf das Loch im Eis. „Ist der Hund da alleine wieder rausgekommen?“

„Nein, ich musste ihn mit einer langen Leine retten und bin auf die brüchige Oberfläche gekrochen. Ist aber alles gut gegangen“, erklärte Wolf grinsend.

„Ganz schön leichtsinnig“, erwiderte Nadja, „aber wieso lässt der seinen Hund überhaupt da drauf? Das verstehe ich nicht.“

„Na ja“, gab Wolf zu, „von Drauflassen kann man eigentlich nicht sprechen. Sie tobten so rum und liefen dem kleinen Furz hinterher. Habt ihr den Minipudel gesehen?“

Die beiden nickten.

„Es sind halt noch Halbstarke. Ich meine die großen Hunde. Dieser Micha sagte, sie wären fast gleich alt“, erklärte Wolf. „Da ist es mit dem Hören nicht immer so ganz weit her, wenn sie im Spielmodus sind.“

„Kann man doch verstehen“, erwiderte Peter mit einem gespielt bösen Blick auf Wolf. „Ich lasse mich auch ungern stören, wenn ich an meiner Frau herumspiele.“

Nadja verdrehte die Augen.

„Ist ja schon gut“, stöhnte Wolf. „Tut mir leid, dass ich euch an eurem freien Wochenende gestört habe, aber guckt mal hier: Für was würdet ihr das halten?“

„Das ist definitiv eine menschliche Clavicula“, sagte Nadja erstaunt. „Ziemlich klein, wahrscheinlich lange Liegezeit.“

„Kannst du mal Deutsch reden?“, bat Peter.

Nadja drehte den Knochen vor seinen Augen hin und her. Er sah schmutzig aus.

„Das hier ist ein Schlüsselbein“, erklärte sie. „Kind oder kleine Frau, schätze ich. Und es sieht so aus, als ob dieser Mensch schon länger tot ist. Spuren von Tierfraß sehe ich auf Anhieb nicht.“

„Lag ja sicherlich auch in dieser Metallkiste“, berichtete Wolf. „Der Minififfi kam mit dem Knochen im Maul angerannt. Ich denke, der war klein genug, um irgendwie mit der Pfote in dem Loch zu angeln. Er war der Einzige, der unbeschadet übers Eis zur Insel gelangen konnte, weil er eben nichts wiegt.“

„Und wie ist der verehrte Herr Kommissar dorthin gekommen?“, bohrte Peter nach.

„Ich bin über die Harvester gekrabbelt, die da hinten steht. Meint ihr, das schafft ihr auch?“ Wolf zwinkerte den beiden zu.

„Was machst du mit dem kleinen Leo?“, fragte Nadja besorgt.

„Nachdem sein neuer Kumpel eingebrochen ist, würde ich ihn lieber nicht mehr mit rübernehmen. Ich mache ihn kurz am Baum fest. So lange wird unsere Aktion doch nicht dauern“, hoffte Wolf.

„Meine Tasche kannst du bei Leo lassen“, bat Nadja ihren Peter. „Die brauche ich nicht. Es reicht auch, wenn du dich mit dem Seitenschneider über das Fahrzeug hangeln musst. Pass auf, dass du nicht abrutschst!“

„Du weißt doch, ich habe Neandertalererbgut. Die konnten bestimmt gut klettern, weil sie evolutionstechnisch noch näher mit den Affen verwandt waren“, sagte Peter und grinste. „Sieh du mal lieber zu, dass du unbeschadet und trocken rüberkommst.“

„Affen halten sich vor allem mit ihrem Schwanz fest“, antwortete Nadja süffisant. „Bei dir sehe ich aber ...“

„Können wir dann los?“, unterbrach Wolf den Schlagabtausch. „Wenn ich das mit nur einem funktionsfähigen Arm kann, solltet ihr keine Probleme haben, denke ich.“

Und so war es auch. Alle drei kamen unbeschadet auf der Insel an. Nur Leo fiepte ein bisschen am Ufer, weil er nicht mitdurfte.

„Komische Kiste“, sagte Peter. „Viel zu tief drin in der Erde. Die kriegen wir nie raus. Gut, dass ich nicht auch noch einen Spaten mitgeschleppt habe. Das hatte ich mir nämlich schon gedacht.“

„Sieht tatsächlich nach Blei aus“, fügte Nadja hinzu, die sich gebückt und den Rand des Loches untersucht hatte. „Peter könnte das Loch sicherlich ganz einfach mit dem Seitenschneider vergrößern. Und dann leuchten wir mal rein!“

Sie hatten extra eine besonders lichtstarke Taschenlampe mitgebracht.

„Wir haben doch schon einen Knochen. Den Rest könnte die SpuSi machen. Oder von mir aus auch die Feuerwehr“, schlug Peter vor.

„Und wer sagt dir, dass der von einem Hund angeschleppte Knochen auch tatsächlich hier aus dieser Kiste ist?“, wandte Wolf ein.

„Ist doch wohl unwahrscheinlich, dass hier noch mehr Leichen rumliegen“, antwortete Peter.

„Weiß man’s?“, sagte Nadja. „Wolf hat recht. Wir brauchen zum Abgleich ein Knochenfragment direkt aus der Kiste.“

„Sollt ihr haben“, kam es von Peter. „Aber auch da könnten verschiedene Tote drinliegen.“

„Stimmt. Sicher ist sicher, aber Nadja wird das sowieso nachprüfen“, wusste Wolf.

„Erst einmal puzzeln wir“, erklärte die Rechtsmedizinerin. „Manchmal kriegt man sogar ein fast vollständiges Skelett zusammen. Wenn in der Kiste nur eine Clavicula fehlt, stehen die Chancen gut, dass es sich um diejenige handelt, die der Hund angeschleppt hat. Nichtsdestotrotz testen wir das natürlich oder machen zumindest Stichproben, selbst wenn das Knochenbild schlüssig zusammenpasst. Aber gucken wir doch erst mal, ob es sich in der Kiste überhaupt um humane Fragmente handelt.“

„Also vielleicht doch ein alter Köter“, sagte Peter und lachte. Dann setzte er das Werkzeug an und schnitt den Teil der Kiste komplett ab, der überirdisch lag. Das Loch hatte jetzt einen Durchmesser von knapp zehn Zentimetern.

„Leuchte mal rein“, bat Nadja. Dann zog sie einen Latexhandschuh an. „Etwas schräger, bitte.“ Vorsichtig griff sie ins Halbdunkel und zog einen mittelgroßen Röhren­knochen heraus. „Darf ich vorstellen? Der Oberarm! Also wird sich da drin aller Voraussicht nach ein Mensch befinden. Ruft Seppi von der SpuSi an. Wir sind hier fertig. Humerus und Clavicula nehme ich gleich mit. Ich bin neugierig. Wer weiß, wie alt diese Knochen schon sind.“

„Wäre das nicht eine schöne Einstandsaufgabe für deinen Neuzugang in der Rechtsmedizin?“, erkundigte sich Peter. „Dann siehst du gleich, ob sie was draufhat.“ Er grinste.

„Mach dir man darüber keine Sorgen. Wir arbeiten immer Hand in Hand. Und ob sie patent ist, kriege ich auch so noch früh genug heraus“, erwiderte Nadja.

In diesem Moment klingelte Wolfs Smartphone. Es war Moni.

„Sag mal, wo bleibt ihr denn? Ich mache mir schon Sorgen!“

„Ja, also, wir kommen jetzt“, versprach Wolf.

„Ist irgendetwas passiert?“, fragte Moni misstrauisch. Sie fand, Wolf druckste herum.

„Nichts Schlimmes. Wir haben nur ein paar alte Knochen gefunden“, erklärte er.

„Kaum zu fassen“, sagte Moni belustigt. „Solche Orte scheinen dich magisch anzuziehen. Ich weiß nur nicht, ob die Energie von dir oder von ihnen ausgeht. Kann ich damit rechnen, dass das Wochenende gelaufen ist?“

„Keineswegs“, lachte Wolf. „Ich bin ja nicht bei der Spurensicherung. Wir kommen jetzt nach Hause und freuen uns auf einen gemütlichen Tag zu dritt. Bis gleich.“

„Gute Idee“, fand auch Peter.

„Nee, nee, für euch noch nicht“, wandte Wolf ein. „Ich friere mir hier schon seit längerer Zeit den Arsch ab. Leo und ich düsen ab, bevor wir uns was wegholen. Ihr beide wartet auf Seppi und sein Team. Danach könnt ihr von mir aus machen, was ihr wollt.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Nicht so ganz“, schaltete sich Nadja mit einem Lächeln ein, „wenigstens nicht lange, denn ich muss nachher noch ins Klinikum. Die Neue stellt sich vor. Das dauert bestimmt auch zwei Stündchen oder so mit Abteilung zeigen und dem ganzen Procedere.“

„Wenn ich Zeit habe, bedauere ich euch“, konterte Wolf und handelte sich von Peter einen bösen Blick ein, während er Leo losband. „Wir gehen genüsslich zu Heim und Herd. Bestimmt brennt der Kaminofen schon und es duftet aus der Küche. Tschüss, ihr zwei!“ Dann ließ er sie einfach stehen.

„Ich wusste gar nicht, dass der sadistische Züge an sich hat“, brummte Peter und biss in sein letztes, mit Leberkäse belegtes Brötchen.

„Braucht man die in eurem Beruf nicht bisweilen?“ Nadja grinste frech.

Doch Peter tickte sich an die Stirn. „Na ja, falls du welche hast, merken es deine Patienten wenigstens nicht mehr“, gab er zurück und wählte kauend Seppis Nummer.

Stallwache

Auf der Bückeburger Dienststelle war an diesem Samstagvormittag alles ruhig gewesen. Zu ruhig! Offiziell hätte es natürlich niemand im Kommissariat zugegeben, aber man langweilte sich bei der Bearbeitung unspektakulärer Fälle und hielt sich mit Kaffee über Wasser. Detlefs Kopf sackte bisweilen etwas nach unten, weswegen Niklas den Verdacht hatte, dass er sekundenweise schlief. Er grinste sich eins und schmiss seine Schublade mit einem lauten Knall zu. Detlef zuckte zusammen.

Als das Telefon klingelte, kam endlich Leben in die Bude. Beide hatten die Nummer der Spurensicherung vor Augen, die dort im Display leuchtete. Niklas nahm als Erster ab.

„Von der Lancken“, sagte Seppi, „wer von euch armen Schweinen muss am Wochenende auch schuften, so wie meiner einer?“

„Detlef und ich“, antwortete Niklas. „Vaddern und Peter schaukeln sich die Eier.“

Seppi lachte. „Ich würd sie mir lieber schaukeln lassen. Aber Spaß beiseite. Holt mal eure warme Jacke raus und kommt zur ,Großen Klus‘. Zwei Uniformierte könnt ihr auch noch mitbringen. Die sollen absperren. Ihr findet uns im Wald gegenüber der Hotelgaststätte.“

„Leichenfund?“, erkundigte sich Niklas.

„Yepp!“

„Kann sich der Mörder nicht ’ne wärmere Jahreszeit aussuchen?“, stöhnte Niklas.

„Hat er vielleicht“, gab Seppi zurück, „den Vorwurf musst du deinem Ollen machen, der Kapitalverbrechen augenscheinlich anzieht wie ein Kadaver die Fliegen.“

Niklas verdrehte die Augen. Mittlerweile war Detlef hellwach.

„Nicht zu fassen“, sagte er. „Kann der nicht einfach mal zu Hause bleiben und es sich gemütlich machen? Was hat der in Röcke zu suchen, wenn er in Todenmann Gassi gehen kann?“

„Wie dem auch sei. Er hat ein paar alte Knochen in einer Metallkiste gefunden und mich auf dem Weg nach Hause gebeten, euch zu benachrichtigen. Die Gebeine müssen wir aus dem gefrorenen Boden bergen. Sieht aber wohl nach Nadjas Kurzexpertise so aus, als ob die da schon länger lägen. Insofern kann man gar nicht wissen, zu welcher Jahreszeit das Opfer gemeuchelt worden ist. Also kannst du dem Täter das mit dem Frost nicht vorwerfen.“

„Ist ja schon gut“, grummelte Niklas. „Wir sind gleich da.“

„Wunderprächtig“, freute sich Seppi. „Das muss wohl da sein, wo sie im Moment den Park wieder herrichten. Stand in der Zeitung. Bin schon im Wagen.“

„Aha. Schön. Na also, dann bis gleich“, erwiderte Niklas.

Detlef hatte mitgehört und war schon dabei, sich dick einzumummeln. Er fror leicht.

„Wir fahren also zu einem Fundort nach Röcke? Gib mir mal noch ein paar Infos“, bat er.

„Ach, wohl eine alte Geschichte. Sind nur noch Knochen da, aber die stecken im Permafrostboden fest.“ Niklas grinste, während sich Detlef mit dem Finger an die Stirn tippte.

„Du wirst hoffentlich durch die Kälte noch keinen Schaden genommen haben“, sagte er, „so eine Art Dauerfrost im Gehirn.“

„Ich frage mich, wie wir die Kiste aus dem Boden kriegen sollen. Ohne Minibagger wird das schlecht gehen“, überlegte Niklas.

Detlef zuckte mit den Schultern. „Dann sehe ich da schwarz bis Montag. Oder kennst du jemanden, der so ein Ding privat hat und es spontan verleihen würde?“

„Nee“, antwortete Niklas. „Es ist ja auch nicht so, dass Eile geboten ist. Angucken will ich mir die Sache aber schon.“

„Eben, wir wissen doch noch nicht mal, wie groß diese Kiste ist“, gab Detlef zu bedenken.

„Vielleicht ginge es auch mit einer Spitzhacke“, überlegte Niklas.

„Tolle Idee, und die hast du einfach so zu Hause im Wohnzimmer stehen?“ Detlef schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht, aber ich meine mich zu erinnern, dass mein Vater eine hat“, erwiderte Niklas.

„Kommt überhaupt nicht infrage“, meuterte Detlef, bevor Niklas weiter darüber nachdachte. „Damit kann sich die Spurensicherung beschäftigen. Und die sollen von mir aus entweder selbst hacken oder sich am Montag einen Bagger beim Bauhof bestellen. Wir nehmen nur den Fall auf, sorgen dafür, dass abgesperrt wird und mehr nicht. Klaro?“

Gleichgültig zuckte Niklas mit den Schultern. „Wie du meinst, Kumpel. Du bist der Ältere. Ich meinte ja auch nur, dass man die Knochen gleich nach Obernkirchen in die Rechtsmedizin bringen könnte, bevor jemand anders trotz Flatterband auf die Idee kommt, das Innere der Kiste interessant zu finden. Alternativ können wir auch ein Lagerfeuer machen und dort bis Montag hocken. Die Wärme müsste den Boden eigentlich aufweichen.“ Er grinste frech.

„Du bist ein blöder Hund“, schimpfte Detlef und wusste, dass sein Kollege recht hatte. „Bist du sicher, dass Wolf so ein Ding zu Hause hat?“

Der jüngere Kollege nickte.

„Okay, schicken wir einen Uniformierten zu ihm nach Todenmann“, schlug Detlef vor, „oder willst du selbst hingurken?“

„Nee, nee, mach das mal so“, sagte Niklas und zog sich ebenfalls seine Jacke an.

Dann düsten sie nach Röcke.

„Also, dieses Restaurant kenne ich ja. Mimi und ich waren da zum Essen“, erklärte Detlef. „Im Wald da drum rum sind wir natürlich nicht gewesen.“

„Wozu auch?“, erkundigte sich Niklas. „Beim Vögeln zwicken einen die Ameisen nur.“

Detlef schmunzelte.

„Du hast wohl Notstand“, stellte er fest. „Lange keine Frau mehr gehabt, was?“

Seitdem Detlef aus der Wohngemeinschaft aus- und zu Mimi gezogen war, lebte Niklas allein in den Räumen im Höppenfeld.

„Sex wird eindeutig überbewertet“, sagte er lapidar dahin.

„Sex vielleicht schon, aber alles andere ...“, wandte Detlef ein.

„Keine Zeit“, antwortete Niklas und beendete damit abrupt das Gespräch.

Sie parkten an der „Großen Klus“, sahen, dass Seppi mit Team schon vor Ort war, und gingen wie von Wolf beschrieben in den Wald auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinein.

Als Detlef Peter Kruse von Weitem mitten im See auf der Insel stehen sah, stöhnte er.

„Wieso beordert man uns hier raus, wenn die, die frei­haben, schon längst dort waren?“, meckerte er.

„Wahrscheinlich sollen wir übernehmen“, sagte Niklas. „Und dass Nadja hier ist, lässt sich wohl nicht verhindern, nachdem unser anderer Rechtsmediziner Enno mit Staatsanwältin Kukla ein Jahr auf Weltreise gegangen ist. Soweit ich weiß, kommt seine Vertretung erst die Tage ins Agaplesion.“

„Mir auch egal“, erwiderte Detlef und winkte Peter zurück, der ihn von Ferne angrinste. „Kannst du mir mal erklären, wie wir da mitten in den See kommen sollen? Und sag ja nicht, dass wir übers Eis wandern könnten.“

„Es wird schon einen Weg geben“, vermutete Niklas, „die anderen werden auch nicht hingeflogen sein.“

„Vermutlich nicht“, lachte Detlef.

Kurze Zeit später waren auch sie auf der Insel.

„Sah etwas ungeschickt aus, deine Kletterei, Detlef“, flachste Peter. „Du solltest doch mehr Sport treiben und nicht nur mal eben vor den routinemäßigen Untersuchungen.“