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Eine tote Frau hängt am Pranger der Petzer Kirche Sankt Cosmas und Damian. Ihr wurde die Kehle auf ganz besondere Art und Weise durchgeschnitten, aber es findet sich kein Blut. Doch zu ihren Füßen liegt etwas, das sich als Fortpflanzungsorgan entpuppt. Es zeigt den bekannten Kommissaren Wolf Hetzer und Peter Kruse, dass sie es hier mit einem besonders brutalen Mörder zu tun haben. Parallelen zu einem früheren Fall auf der Frankenburg könnten auf denselben, noch ungefassten Täter hindeuten, doch die Ermittlungen gestalten sich schwieriger als gedacht. Dass eine Frau zeitgleich Drohbotschaften in einer Puppe erhält, erfahren die Kommissare Hetzer und Kruse viel zu spät. Dabei hätte dies eine wichtige Möglichkeit sein können, mehr über den Mörder und seine Beweggründe zu erfahren. Aber wer kann schon wissen, ob es sich um denselben Täter handelt, oder ob jemand die Gelegenheit nutzen will, sich einen unliebsamen Menschen vom Hals zu schaffen.
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Veröffentlichungsjahr: 2012
Im Verlag CW Niemeyer sind bereits
folgende Bücher der Autorin erschienen:
SchattenHaut
SchattenWolf
SchattenGift
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© 2012 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln
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Umschlaggestaltung: Carsten Riethmüller
unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com
Druck und Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwedel
Printed in Germany
ISBN 978-3-8271-9415-2
E-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
E-Book ISBN 978-3-8271-9818-1
Der Roman spielt hauptsächlich in einer allseits bekannten Stadt des Weserberglands, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.
Über die Autorin:
Nané Lénard wurde 1965 in Bückeburg geboren und ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Nach dem Abitur und einer Ausbildung im medizinischen Bereich studierte sie später Rechtsund Sozialwissenschaften sowie Neue deutsche Literaturwissenschaften.
Von 1998 an war sie als Freie Journalistin für die regionale Presse tätig. Derzeit arbeitet sie im Bereich Marketing und Redaktion in einem Unternehmen, dessen Schwerpunkt in der Erzeugung von Wärme und Energie durch erneuerbare Energien liegt.
Von ihr wurden bereits mehrere Gedichte und Kurzgeschichten veröffentlicht.
Beim Literaturwettbewerb von Niedersachsen und Bremen belegte sie mit "Helmut" den zweiten Platz. Platz 3 und 10 erlangte sie beim Wettbewerb "Bückeburg mordet".
Mehr über Nané Lénard und ihre Aktivitäten erfahren Sie
unter www.nanelenard.de
Gewidmet allen Opfern von
seelischer und körperlicher Gewalt.
Glaube, o glaube
dem Flüstern im Wind!
Höre das Weinen,
bevor es beginnt!
Das Gestern ersteht,
es ist heute schon alt.
Und stirbt in den Schatten
aus Angst und Gewalt.
Doch wehe den Zeichen
der glühenden Nacht,
dem Käfig des Denkens,
der inneren Schlacht,
denn wer sie nicht sieht,
wird zu Grabe gebracht.
Was ein Mensch an Schmerzen aushalten konnte, erfuhr er am eigenen Leib, ohne sich dessen noch bewusst zu werden. In halbwachem Zustand hing sein Körper im fahlen Licht am Deckenbalken einer alten Scheune. Dämmerung überall. Um ihn herum, in ihm und in seinem Leben. Da war es fast Nacht geworden.
Mit den Füßen erreichte er eben noch den Boden. Die Arme waren ihm über den Rücken nach oben geführt worden. Jetzt stand er unter Spannung mit Tränen in den Augen. Doch das Hängenlassen wäre schlimmer. Seine Schreie waren einem Wimmern gewichen. Als man ihn hochgezogen hatte – das musste Stunden her sein –, hatte er zunächst kurz in der Luft gebaumelt, bis die Schultern dem Gewicht seines Körpers nicht mehr standgehalten hatten. Das Geräusch war schrecklich gewesen, als sich die Arme aus den Kugeln lösten. Er hörte es noch, während der Schmerz ihm für einen kurzen Moment das Bewusstsein nahm. Doch sie gönnten ihm die Ruhe nicht, ohrfeigten ihn wieder und wieder, bis er halbwegs zur Besinnung kam und ihnen wie durch einen Schleier zuhören konnte.
Der Winter unter der Frankenburg lag in den letzten Zügen. Er hatte noch einmal seine eisige Hand über die Landschaft gestreckt.
Für mehrere Tage war es unter zehn Grad minus gewesen. Die Kälte hatte die jungen Knospen zerstört, noch bevor sie ihr Grün der Sonne entgegenstrecken konnten.
Kommissar Wolf Hetzer fröstelte an diesem Abend und entschied sich, den Kaminofen anzumachen. Vielleicht war ihm auch aus anderen Gründen kalt geworden, dachte er bei sich. Moni fehlte ihm. Sie hatte sich entschlossen, für einige Zeit bei ihrer Schwester auf Teneriffa auszuspannen. Die Angst vor dem Krebs, und damit um das eigene Leben, hatte ihr zugesetzt. Sie hatte ihr die eigene Vergänglichkeit vor Augen geführt, auch wenn sich die Diagnose letztendlich nicht bestätigt hatte.
Als sie das Thema angeschnitten hatte, eine Auszeit nehmen zu wollen, war er zuerst gekränkt gewesen. Es müsste doch so sein, hatte er gehofft, dass die Nähe des anderen alles auffangen könnte. Aber da ging er von sich selbst aus. Moni hatte anders entschieden. Und weil er sie liebte, musste er sie gehen lassen, bis sie mit sich selbst im Reinen war.
Sie hatten vereinbart, dass er sie dort besuchen würde, denn ein halbes Jahr war lang.
Wolf hatte soeben etwas Kleinholz auf den Rüttelrost gelegt und starrte in die noch zaghaften Flammen, als er irgendwo im Haus das Telefon klingeln hörte. Nur wo, fragte er sich.
„Sag es mir!“, forderte er mit eisiger Stimme. „Gesteh endlich! Sonst wird der Schmerz noch viele Stunden dauern.“
Er wimmerte.
„Los, kneif ihn noch ein bisschen mit der Zange! Vielleicht spricht er dann“, verlangte die weibliche Stimme, deren Sanftheit so gar nicht zu den Worten passen wollte. „Er hat es verdient!“
„Wir müssen aufpassen, sonst stirbt er uns unter den Händen weg.“
„Aber ich will Antworten auf meine Fragen!“, schrie die Stimme, und ihre Worte brachen sich an Balken und Ziegeln. Sie kehrten wie Dämonen zum Schauplatz zurück.
„Hab Geduld!“, sagte er.
Rieke Sternhagen ließ sich auf ihr Sofa fallen und schleuderte die Hochhackigen von den Füßen. Sie taten ihr schrecklich weh, aber das war egal, sie hatte einen Sieg errungen. Es war ihr endlich gelungen, sich selbst ein Stück nach vorn zu bringen. Sie hatte mit ihrem Sopran-Solo den zweiten Preis gewonnen. Das war klasse. Es gab ihr ein Gefühl der Überlegenheit, ein herrliches Gefühl.
Niemand hatte je an sie geglaubt. Sie hatte erst spät begonnen, Gesangsunterricht zu nehmen, weil es sich nicht eher ergeben hatte. Genauer gesagt hatten die finanziellen Mittel einfach nicht ausgereicht. Aber sie hatte Glück gehabt und Durchhaltevermögen bewiesen. Jetzt hatte es sich endlich ausgezahlt. Sie hatte gekämpft, gegen all die Widrigkeiten ihres Lebens.
Wehmütig dachte sie an ihre Mentorin, die ihren Erfolg nicht mehr teilen konnte, weil sie inzwischen verstorben war. Noch oft saß sie an ihrem Grab auf dem Friedhof an der Scheier Straße und dachte an die vergangene Zeit zurück.
Sie lehnte sich zurück und lauschte dem Zwitschern der Vögel. Jetzt, wo sich die Kälte in die Arktis zurückgezogen hatte, verkündeten sie den nahenden Frühling. Sie fühlte ihn längst überall, auf der Haut, in den Adern und im Magen. Erfolg war ein berauschendes Gefühl. Aber sie hatte keine Zeit, sich lange mit sich selbst zu beschäftigen. Ihre Tochter brauchte sie. Sie war krank.
Kommissar Wolf Hetzer fand sein Handy im Wäschekorb. Das war heikel, denn er hatte schon kürzlich sein neues Mobiltelefon mitgewaschen. Ein teurer Spaß, den er nicht gerne wiederholen wollte. Als er es endlich umständlich aus der Jeans herausgefischt hatte, hörte das Klingeln auf. Es war sein Kollege Peter Kruse gewesen. Er stöhnte innerlich. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Hoffentlich keine Leiche, zu der sie jetzt noch fahren mussten. Widerwillig rief er zurück.
„Ach, hallo Wolf, ich dachte schon, du bist um diese Zeit schon ins Bett gegangen.“
„Bist du doof? Es ist erst zwanzig vor neun, und ich bin noch keine achtzig.“
„Nicht?“, sagte Peter sarkastisch und grinste.
„Gibt es irgendwas Bestimmtes, weswegen du anrufst?“, fragte Wolf.
„Nee, höchstens mitfühlende Nächstenliebe. Was macht Moni?“
Das Letzte, was Hetzer an diesem Abend gebrauchen konnte, war ein Gespräch über sein momentan größtes Problem – die Einsamkeit. Er vermisste Moni so, dass es wehtat.
„Aber was Dienstliches hast du nicht zu bieten?“, lenkte er fragend ab.
„Zum Glück nicht!“, sagte Peter genüsslich. „Ich wollte nur fragen, ob wir noch was zusammen trinken gehen.“
„Du, tut mir leid, Peter! Ich habe wirklich keine Lust. Meine Laune ist auch miserabel. Ich wäre keine gute Gesellschaft. Entschuldige bitte!“
„Kein Problem!“, sagte Peter, streckte sich mit seinen fast zwei Metern in die Länge und gähnte dabei heimlich. „Wollte nur mal nach dir hören, alter Freund. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um dich.“
„Wir sehen uns morgen im Büro! Und danke!“, versuchte Wolf das Gespräch zu beenden.
„Halt, eine Frage noch wegen der Logistik. Fliegst du über Ostern nach Teneriffa?“, wollte Peter wissen.
„Weiß ich noch nicht, mal sehen. Und nun gute Nacht!“
„Schlaf trotzdem gut!“, sagte Peter und legte auf.
Hetzer ärgerte sich über sich selbst. Er wollte nicht unfreundlich zu Peter sein. Aber es gab Momente, in denen man einfach keine Gespräche ertragen konnte. Dafür hatte Peter bestimmt Verständnis. Er ließ seine Schäferhündin Lady Gaga schnell noch einmal in den Garten und streichelte die Kater Max und Moritz, die es sich auf der Chaiselongue vor dem Ofen gemütlich gemacht hatten. Trotz des einladenden Flackerns wollte er lieber ins Bett gehen. Vor dem Feuer hatte er immer so gerne mit Moni gelegen. Dort würde sie ihm noch mehr fehlen.
Im Bad betrachtete er sein Spiegelbild. „Du bist jetzt schon ein alter Knacker“, sagte er zu sich. Die dunklen Locken waren von Silberstreifen durchzogen und – von den Fältchen abgesehen – ahnte man, dass die Spannung der Haut nachgelassen hatte. So sehenden Auges vor sich dahinzualtern war eine Grausamkeit der Natur, fand er an diesem Abend. Normalerweise hatte er kein Problem mit seinem körperlichen Verfall. Er hatte sich daran gewöhnt, dass er keine Schönheit war, doch heute war eben alles Mist. Es war also besser, diesen Tag schnell zu beenden. Morgen würde ein neuer kommen.
Der neue Tag kam, aber er begann zu früh. Wenigstens für Peter Kruses Geschmack. Laut vor sich hinschimpfend wälzte er sich im Bett herum und versuchte, an sein Handy zu kommen. Welcher Idiot rief denn schon vor sechs Uhr an? Genauer gesagt um zwanzig nach fünf. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er die Nummer zu erkennen. Hetzer war es nicht. Innerlich atmete er auf. Das Heim, in dem seine Mutter war, war es auch nicht. Er überlegte, nicht ranzugehen, bekam aber sofort ein schlechtes Gewissen.
„Kruse beim Schlafen!“, brummte er in die Muschel.
„Hallo, hier ist Bernhard, tut mir leid, ich brauche dich hier!“
„Ich kenne keinen Bernhard. Quatsch wen anders voll, wenn du nachts reden willst. Und ruf mich nie wieder an, ich bin hetero!“
Kruse wollte schon auflegen und sich genüsslich wieder umdrehen, aber das laute Lachen am anderen Ende irritierte ihn.
„Was soll die Scheiße?“, brüllte er in den Hörer.
„Mensch ich bin’s, dein Bückeburger Kollege Dickmann“, presste dieser zwischen den Lachsalven hervor.
„Du alter Sausack, sag das doch gleich!“, knurrte Peter vor sich hin. „Was ist los?“
„Wir haben hier eine Leiche, die euch interessieren könnte“, sagte Dickmann geheimnisvoll. „Hetzer ist ja mal wieder nicht zu erreichen.“
Peter stöhnte. „War ja klar.“ Er machte widerwillig das Licht an. „Schieß los, was, wer und wo …“
„Was: eine Frau, wer: keine Ahnung, wo: sie hängt am Pranger der Petzer Kirche Sankt Cosmas und Damian“, erklärte Dickmann.
„Und was haben wir damit zu tun?“, fragte Peter missmutig.
„Na ja, sie hat eine etwas größere Wunde im Halsbereich und der Inhalt ihres Unterbauches liegt ihr zu Füßen. Die Wangen sind mit gleichmäßigen Kreuzen verziert. Ich könnte dir eine MMS schicken, aber es ist noch zu dunkel. Das Bild ist nur unscharf. Ihr kommt nicht drum herum.“
„Okay, verstehe, ihr vermutet einen Zusammenhang mit unserer Toten vom letzten Jahr. Die Rothaarige, die wir auf dem Gelände der Frankenburg gefunden haben. Das hört sich tatsächlich ähnlich an. Ich muss nur erst was essen, auf nüchternen Magen vertrage ich das Schlachtfeld nicht. Dann hole ich Hetzer ab.“
„Keine Bange, wir haben hier kein Blutbad. Sie muss woanders umgebracht worden sein. Auch der Bauchinhalt ist bloß eine Ansammlung rötlicher Klumpen. Wir warten hier auf euch. Aber macht hin, Ulf kann noch nicht so lange stehen mit seinem zusammengenagelten Becken.“
„Ist gut, bis gleich“, sagte Peter und schwang sich endgültig aus dem Bett.
Im Bad rasierte er ein Gesicht, das von Pommes frites und Pizza gezeichnet war, aber darum umso weniger Falten aufwies. Wenigstens vermutete er das. Er sah an sich hinab. Die Zehenspitzen ragten noch unter dem Bauch hervor. Das war sein Maßstab. Eine Waage brauchte er nicht. Solange sie noch zu erkennen waren, war alles gut. Bei Schuhgröße achtundvierzig hatte er da einen gewissen Spielraum.
In der Dusche fluchte er kurz wie jeden Morgen. Es dauerte, bis das warme Wasser endlich in der oberen Etage ankam. Und selbst wenn er sich sehr bemühte, nicht von dem ersten, kalten Strahl getroffen zu werden, gelang das nie hundertprozentig. Irgendwo erwischten ihn die eisigen Tropfen, auch wenn er den Duschkopf nach unten hielt. Dann endlich umgab ihn die wohlige Wärme. Wasser rauschte an ihm hinab. Es dampfte um ihn herum. Er streckte sich und genoss den ersten Moment an diesem Morgen, der schön war.
Anschließend wickelte er sich in sein überdimensionales Handtuch und stieg in seine Fell-Pantoffeln, die ein tolles Bett für Hetzers Katzen abgegeben hätten. Das wenigstens hatte Wolf gesagt. Dabei waren sie extra für ihn angefertigt worden.
Auch Nadja hatte sich totgelacht, als sie die Dinger gesehen hatte. Die Rechtsmedizinerin lag Peter Kruse seit einiger Zeit am Herzen, auch wenn er neuerdings noch andere Optionen hatte, was ihn selbst am meisten wunderte. Trotzdem hatte ihm ihr Gelächter einen richtigen Stich versetzt, vor allem weil sie ihn in Verdacht hatte, dass für diese Riesenpuschen mindestens zwei Lämmer geopfert worden waren.
Aber egal, ihm gefielen sie eben, und er hatte warme Füße.
Immer noch missmutig zog er sich an und ging zu seinem Wagen. Auf dem Weg zur Haustür schnappte er sich in der Küche eine Packung mit sechs Schokoladenmilchbrötchen. Die mussten fürs Erste reichen. Mit Kaffee wären sie besser gewesen, aber er hatte wenigstens noch eine Flasche Limo im Auto.
Kauend stieg er ein und fuhr in Richtung Todenmann. Es war inzwischen Viertel vor sechs. Da würde er doch den Hetzer einfach mal rausklingeln. Wie oft hatte sein Kollege das schon mit ihm gemacht? Er schmunzelte und griff nach dem zweiten Brötchen.
Hetzers Schäferhündin Lady Gaga erkannte seinen Wagen bereits, noch bevor er auf den Hof fuhr. Darum bellte sie auch nicht, als er an die Haustür kam. „Schade“, dachte Peter, das wäre auch nicht schlecht gewesen, so zur Unterstützung. Klingelterror ging natürlich auch. Er entschied sich zum Dauerton und lauschte dem nervigen, schrillen Geräusch. Irgendwann mischte sich ein Gezeter mit hinein. Kruse hatte es geschafft. Wolf war wach.
Bis er an der Tür war, hatte Peter sich das vierte Schokoladenstück vorgenommen und hielt Wolfs Brötchenbeutel in der Hand, die der Zeitungsbote immer mitbrachte und an seine Tür hängte.
„Wenn du jetzt keinen triftigen Grund hast, werfe ich dich der Lady zum Fraß vor!“, sagte Hetzer mit müden Augen. Seine dunklen Locken standen bizarr vom Kopf ab. „Ich habe heute Nacht kein Auge zugemacht und wollte eigentlich wenigstens bis zum Weckerklingeln schlafen.“
„Vergiss es, du wirst sie anders füttern müssen. Zieh dich an, nimm dein Croissant in die Hand und schnapp dir irgendwas zu trinken. In Petzen haben sie eine Leiche gefunden. Da brauchen sie uns“, erklärte er.
„Petzen? Und dafür weckst du mich? Dickmann und Hofmann sind längst wieder im Dienst!“, schimpfte Wolf. „Petzen gehört nicht zu unserem Gebiet!“
„Na ja, jetzt schon, weil die Tote vom selben Täter umgebracht worden sein könnte, wie deine Nachbarschaftsleiche auf dem Gelände der alten Frankenburg“, sagte Peter kauend und leckte die letzten Krümel von seiner Lippe.
Hetzer stöhnte, ließ die Tür offen stehen und ging ohne ein weiteres Wort ins Obergeschoss. In seiner Küche fand Peter ein Glas Milch und goss es über die Schokoladenbrötchen in seinen Magen. Dann ging er ins Wohnzimmer und ließ die Hündin in den Garten. So konnten sie Zeit sparen.
„Soll ich Gaga auch füttern?“, rief Peter zu Wolf nach oben, „rausgelassen habe ich sie schon.“
„Das wäre klasse, danke, bitte einen halben Becher, die Futtertonne steht im Hauswirtschaftsraum“, kam es von oben.
Als hätte der Hund verstanden, worum es ging, stand er schon neben Kruse. Peter tätschelte Gaga und lächelte. „Ich kann dich verstehen“, sagte er, „wenn es ums Essen geht, muss man auf Zack sein, sonst kommt man zu kurz!“
Wenig später stieg Wolf zu ihm ins Auto.
„Hmm, du duftest gut, aber hättest du nicht etwas weniger von dem Zeug nehmen können?“, fragte Peter und hustete.
„Mensch, das habe ich doch eben erst draufgetan, das wird schon gleich nachlassen“, gab Hetzer zurück. „So schlimm wird es doch nicht sein.“ Er ließ die Scheibe ein Stück herunter.
„Zum Schokoladenbrötchen passt es überhaupt nicht!“, schmunzelte Peter. „Erfrieren will ich aber auch nicht, also mach das Fenster wieder zu.“
„Kann man es dir denn heute Morgen überhaupt nicht recht machen?“, fragte Wolf genervt.
„Nein!“
„Toll …“
„Ist doch kein Wunder, wenn man vor dem Weckerklingeln aus dem Bett telefoniert wird, und dann noch mit der Aussicht auf eine leckere Leiche zum Frühstück. Ich kann mir was Besseres vorstellen, als bei dieser Kälte an der Petzer Kirche zu ermitteln.“
Wolf fröstelte. Er hatte seine Handschuhe in der Eile vergessen. Wenigstens hatte er an den Schal gedacht. Aber auch das war nur Routine, die er sich in den kalten Monaten angewöhnt hatte. Er hoffte auf wärmere Tage, solche, wie Moni sie jetzt schon hatte auf Teneriffa.
„Sprichst du nicht mehr mit mir?“, fragte Peter. „Oder wo bist du wieder mit deinen Gedanken?“
„Auf den Kanaren!“, sagte Wolf, und Peter lächelte.
„Diese Träume musst du vorerst verschieben. So wie es aussieht, haben wir eine weibliche Leiche, die ebenso mit Schnitten verziert worden ist, wie die von der Frankenburg im letzten Jahr. Du kannst dich bestimmt noch an die schöne Rothaarige mit den verschiedenfarbigen Augen erinnern.“
„Ja sicher, war ihr Name im Rotlichtmilieu nicht Mathilda?“, fragte Wolf.
„Stimmt! Genau der ist mir auch nur eingefallen, der bürgerliche nicht. Das lässt ja tief blicken!“, gab Kruse zu bedenken.
„Der andere war zu banal, darum haben wir ihn uns nicht gemerkt. Das Außergewöhnliche bleibt immer eher hängen“, erwiderte Wolf. „Erzähl mal genauer, was für Übereinstimmungen es gegeben hat.“
„Viel weiß ich auch noch nicht, aber die Leiche hat ähnliche Schnitte und Verzierungen. Am besten wir gucken sie uns gleich ganz in Ruhe an“, schlug Peter vor.
„Vielleicht ist Nadja auch schon da, oder interessiert sie dich nicht mehr, seitdem du Anna kennengelernt hast?“, fragte Wolf mit einem spitzbübischen Grinsen.
Kruse starrte aufs Lenkrad und machte nur „Pffft …“ Da fuhren sie auch schon auf den Hof des Petzer Kirchengeländes. Hinter dem Kindergarten stellten sie sich zu den Wagen der Spurensicherung. Die Beamten in Uniform sperrten zur Straße hin ab.
Peter hatte Nadjas Wagen schon entdeckt. Allein das verursachte leichtes Herzklopfen. Schon von Weitem sahen sie Bernhard Dickmanns große Statur an der südlichen Kirchenwand und den wirren Blondschopf der Rechtsmedizinerin, bei der es egal war, ob sie sich gekämmt hatte. Ob sie es überhaupt jemals tat, war ungewiss.
Der Körper der toten Frau war zunächst überhaupt nicht zu sehen. Sie war umringt von den Bückeburger Kommissaren Dickmann und Hofmann. Zu ihren Füßen hockte Nadja. Seppi und Mimi waren rechts und links von ihr damit beschäftigt, Spuren an den Eisenteilen und Ketten des Prangers zu nehmen. In einem kleinen Gedankenblitz fragte sich Wolf, ob der Toten zu Lebzeiten auch so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden war wie in diesem Moment. Sie hatten sie noch genauso hängen lassen, wie sie aufgefunden worden war. Das sah grotesk aus. Lange blonde Haare verdeckten ein Gesicht, das zum Boden geneigt war. Ihre Gestalt sah aus, als vollführe sie einen waghalsigen Tanz, bei dem die Zeit einfach aufgehört hatte. Doch wohin genau schaute sie? Die Kommissare sahen nach unten. Zu ihren Füßen lag ein blassrosa Gebilde aus Haut, das so aussah wie ein Herz mit dünnen Flügeln. Kruse schluckte das oberste der Schokoladenbrötchen wieder hinunter, bevor es ihn verlassen konnte.
„Was genau ist das da?“, fragte er und hätte gerne darauf verzichtet, es wissen zu wollen.
Nadja drehte sich um und grinste ihn frech an. „Eine Gebärmutter mit Eileitern und Eierstöcken, sauber rauspräpariert. Hier guck mal, das gelbe sind die Ovarien.“
„Können wir das schon einpacken?“, fragte Seppi.
„Jetzt ja, ich wollte nur, dass Peter und der Wolf es noch so gesehen haben, wie es hier lag, leicht krümelig von der Erde, umgeben von Buchsbaum.“
„Sehr eindrucksvoll, Nadja!“, sagte Hetzer. „Du hast eben die Worte ,sauber herauspräpariert‘ benutzt. Meinst du, der Kerl ist vom Fach?“
„Wieso Kerl? Das könnte doch auch eine Frau gewesen sein, oder meinst du nicht?“, stichelte Nadja.
„Eher nicht“, gab Bernhard Dickmann zu bedenken, „ihr seht doch, dass hier überhaupt kein Blut ist. Sie muss also woanders umgebracht und hierher verschleppt worden sein. Das könnte für eine Frau zu schwer werden.“
„Denke ich auch“, sagte Ulf Hofmann und lehnte sich an die Kirchenwand. Sein Becken schmerzte immer noch. Er hatte es sich im Spätsommer gebrochen, als er beim Pflücken aus dem Baum gefallen war.
„Was seid ihr alles für Schlaumeier“, lachte Nadja, „ich wünsche mir, dass ihr euch gründlich irrt. Vielleicht waren auch zwei Frauen am Werk. Auf jeden Fall konnte der- oder diejenige mit dem Skalpell oder Messer umgehen. Wahrscheinlich müssen wir auch von einer Person ausgehen, die irgendwie mit dem Bereich der Medizin zu tun hat oder eventuell mit artverwandten Berufen.“
„Gut“, sagte Hetzer, „jetzt will ich mir mal anschauen, wie dieser Pranger hier befestigt worden ist. Sind diese Eisendinger historisch? Ich meine die Armringe und die Halsfessel. Sieht wenigstens so aus. Die Ketten sind direkt in den Stein eingelassen worden.“
„Na, neu sind sie nicht!“ Peter schüttelte den Kopf. „Aber die Schrauben hier unten, mit denen Hals- und Armreif verschlossen worden sind, die sind neu. Habt ihr das schon bemerkt?“
„Hab ich längst fotografiert und gleich schraube ich sie ab!“, sagte Seppi mit Nachdruck. „Hältst du uns für Leiermänner, die nichts von ihrer Arbeit verstehen?“
„Mein Gott, bist du empfindlich!“, gab Peter genervt zurück.
„Ist doch kein Wunder“, Mimi musterte ihn abschätzend, „bei den blöden Sprüchen, die ihr macht.“
„Ihr seid wohl alle Morgenmuffel?“, lachte Kommissar Ulf Hofmann. „Da gehe ich lieber wieder auf die Wache und schone meine Hüfte. Wollen wir fahren, Bernhard? Ihr kommt doch mit, oder?“, fragte er die Rintelner Kommissare.
„Ja, wir haben hier genug gesehen“, sagte Wolf, der die Kirche einmal umrundet hatte. „Wann können wir mit euren Berichten rechnen?“
„Wie immer ganz schnell“, grinste Mimi ihn frech an, „aber erst, wenn wir fertig sind.“
Nadja nickte. „So ist es! Erste Ergebnisse gebe ich euch telefonisch durch. Ich ziehe die Frau vor. Der Säufer aus dem Schlossgraben kann warten. Er liegt ja kalt.“
Ein wenig abseits vom Geschehen wurde eine Gardine vorsichtig wieder zugezogen. Nur wer genau hingesehen hätte, hätte die leichte Bewegung bemerkt. Der direkte Blick auf den Pranger war nur noch diffus möglich, aber das machte nichts. Es war alles vorbei. Der letzte Vorhang war gefallen.
Wieso krabbelt sie nicht? Warum lässt sie sich von ihrem Bruder durch den Flur ziehen? Dabei kann sie angelehnt schon fast alleine stehen.
Sie ist ein niedliches Kind, und sie weiß genau, was sie will. Der Bruder bringt ihr den Schnuller zurück und zieht sie, wohin sie will. Wenn nicht, schreit sie.
Überhaupt hat sie viel geschrien seit ihrer Geburt. Sie ist ein besonderes Kind. Ein halbes Jahr hat sie an der Brust gelegen. Sie braucht die Nähe der Mutter.
Sie schreit überhaupt viel.
Auf dem Weg zur Bückeburger Wache waren Hetzer und Kruse zunächst still.
Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis Peter plötzlich sagte:
„Das war ein komischer Anblick, wie sie da so mit der Halswunde in dem Eisenring hing. Dieser Riesenschnitt muss von einem scharfen Messer mit unglaublicher Kraft verursacht worden sein.“
„Ja, sehr makaber. Ob da wohl früher wirklich Menschen angebunden gestanden haben?“, überlegte Wolf Hetzer.
„Möglich, aber wahrscheinlich lebendig.“ Kruses Magen knurrte.
„Das kann auch nicht schön gewesen sein, wenn es kalt und nass war, oder die anderen einen bespuckt haben“, gab Hetzer zurück.
„Stimmt.“
„Es gab ziemlich viele auffällige Ähnlichkeiten mit der Leiche von der Frankenburg. Mir scheint, der Täter ist hier mit seinem Werk etwas weiter fortgeschritten. Der Leib ist eröffnet worden, die weiblichen Genitalien wurden entfernt. Hast du die Kreuze im Gesicht gesehen?“
„Ja, klar, die Jack-the-Ripper-Imitate. Sicher habe ich die gesehen. Ich wette, dass sie exakt dieselbe Länge haben, wenn man sie mit den Schnitten der Toten von damals vergleicht“, sagte Peter.
„Den Bauchschnitt hat er diesmal aber weiter ausgeführt und vielleicht sogar zu Ende gebracht. Vielleicht hätte er die Tote auf dem Gelände der alten Frankenburg auch ausgeweidet, wenn er mehr Zeit gehabt hätte“, überlegte Wolf.
„Das ist gut möglich. Wir werden Nadja fragen, ob die Schnittführung ähnlich war, ob er zum Beispiel mehrfach angesetzt hat. Möglicherweise hat er sich bei unserem ersten Fund auch noch ausprobiert“, gab Peter zu bedenken.
„Ja, aber Vorsicht. Lass uns bitte weiterhin in alle Richtungen denken. Nur, weil wir hier ähnliche Merkmale vorfinden, sollten wir uns nicht darauf versteifen, dass wir dem Täter vom letzten Jahr auf der Spur sind. Es könnte auch jemand sein, der entweder Jack the Ripper nachahmt, oder der eventuell aufgrund der Zeitungsberichte aus 2011 einmal ausprobieren wollte, wie sich das Schlachten anfühlt.“
Ein Schaudern ging durch Hetzers Inneres.
„Egal wie, das hier ist unschön!“
Peter nickte und Wolf fuhr mit einem Schwung auf den Parkplatz der Wache in der Ulmenallee.
Dickmann und Hofmann erwarteten sie bereits. Irgendjemand hatte sogar Kaffee gekocht. Wolf hoffte, dass dieser hier genießbarer war als der, den Peter für gewöhnlich kochte.
„Tja“, sagte Bernhard Dickmann zu den Rintelner Kommissaren.
„Jetzt sitzen wir irgendwie in einem Boot, wenigstens solange die Vermutung besteht, dass die beiden Fälle zusammengehören. Wie wollen wir denn nun vorgehen?“
Ulf Hofmann räusperte sich.
„Ich denke, wir sollten die Fakten an einem zentralen Ort zusammentragen. Da der aktuellere Fall in unserem Einzugsbereich geschehen ist, schlage ich vor, die Zentrale der Mordkommission hier bei uns einzurichten. Wie wollen wir sie nennen?“
„,Jack‘ natürlich“, warf Peter ein, „da wir noch nicht wissen, wie die Frau heißt, aber beide Fälle eindeutig Merkmale dieser Mordserie aufweisen.“
„Sehr kreativ bist du ja nicht“, lachte Hetzer, „aber es ist wenigstens kurz und knackig. Treffen wir uns also heute Nachmittag wieder hier, sagen wir gegen 15 Uhr. Wir bringen unser Material mit.“
„Einverstanden!“, sagte Bernhard Dickmann und sein Kollege nickte ebenfalls. „Vielleicht haben wir bis dahin auch schon Neuigkeiten aus der Rechtsmedizin oder von der SpuSi.“
„Ich werde Nadja gleich mal anrufen!“, erwiderte Peter und genoss den warmen Schauer, der durch seinen Körper lief, wenn er nur an diese Frau dachte. Im selben Atemzug fiel ihm auch Anna aus Vehlen ein. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Was für ein Blödsinn, überlegte er. Er war keiner der beiden auf irgendeine Art Rechenschaft schuldig. Sie gefielen ihm, jede auf ihre Weise. Das war wieder mal typisch für ihn. Er bekam nichts gebacken. Wenigstens nicht, wenn es sich um Frauengeschichten handelte. Der Wille war ja da. An der Ausführung haperte es allerdings. Im vergangenen Jahr hatte er mehrfach versucht, sich mit Nadja zu verabreden. Sie hatte sogar schon zugesichert, mit ihm essen zu gehen. Bis heute war es jedoch nicht dazu gekommen. Mit Anna war er oft in Wald oder Feld spazieren gegangen. Sie war sehr sympathisch und attraktiv. Den Mut, ihre Hand zu fassen, brachte er nie auf. Eigentlich konnte er sich auch gar nicht entscheiden, welche der beiden Frauen ihn mehr berührte. So hatte er die Dinge einfach laufen lassen. Genoss das warme Gefühl, wann immer es sich einstellte und hoffte, dass ihm die Zeit den richtigen Weg weisen würde. In diese Gedanken klingelte sich Wolf Hetzers Mobilteil wie ein Störenfried.
Das Mädchen war sensibel. Es war keines der Kinder, das im Sandkasten mit der Schaufel auf einen anderen losging. Vielmehr ertrug sie etwas zu willig die Brutalität der Jungen und Mädchen um sich herum. Es war etwas an ihr, dass man ständig den Wunsch hatte, sie beschützen zu wollen. Etwas Zartes umgab sie, das das Herz anrührte, das einen gefangen nahm und nie wieder losließ.
Sein Wesen konnte begeistern oder abschrecken. Er wirkte ganz unterschiedlich auf Menschen. Manchem war er von Anfang an zuwider, andere ließen sich von seiner sedativen Art einlullen. Vielleicht war es einfach das Leben, das sie empfänglich machte für Worte, die wohltaten, die aber nur aus einem einzigen Zweck heraus gesagt wurden: Sie sollten verführen. Er hatte ein gutes Gespür für das Innere eines Menschen. Er sah, wo es verletzt war, wo Defizite durch die schützende Schale der Seele blitzten. Dort konnte er einhaken, seine Saat aus Verlockung einstreuen, Wohlgefühl wachsen lassen, bis ihm schließlich das Opfer bedingungslos zu Füßen lag, weil es glaubte, einen Menschen gefunden zu haben, der alles heilen konnte, was ihm widerfahren war.
Andere, die ihn erkannten als das, was er war, schauderten und hielten inne. Sie glaubten in einen Abgrund zu blicken. Sie sahen in einen Spiegel, der ein erschreckendes Bild zurückwarf aus Verderben und Hass.
Er selbst mied Menschen, die ihn durchschauten, und verließ sich auf die anderen, die Lämmchen, die sich von ihm willig zur Schlachtbank würden führen lassen und noch darum bettelten, dass er sie schächten möge.
Es war Nadja gewesen, die auf Wolfs Handy angerufen hatte. Die Neuigkeiten, die sie zum Besten gegeben hatte, waren in der Tat äußerst ungewöhnlich und befremdlich. Hauptkommissar Wolf Hetzer ließ das Gesagte noch einmal Revue passieren, als er seinen Kollegen Peter Kruse von Nadjas Entdeckungen berichtete.
„Stell dir mal vor, Nadja hat etwas sehr Interessantes herausgefunden, Peter“, sagte Wolf, als er sein Handy wieder in der Hosentasche verstaute.
„Und das wäre?“ Peter lehnte sich zurück.
„Wir haben doch diese Organe zu ihren Füßen gefunden …“
„Ja!“, sagte Peter und wünschte sich in seinen heimischen Sessel. Was interessierten ihn diese Fleischteile?
„Das waren nicht ihre!“, erklärte Wolf.
„Wie, das waren nicht ihre? Kannst du das mal näher definieren?“
„Aber sicher doch. Du hast da die Frau mit dem offenen Bauch am Pranger in Petzen, der die Organe fehlen, aber die, die ihr zu Füßen liegen, sind nicht ihre, sondern die einer ganz anderen Frau. Die Blutgruppe stimmt nicht überein. Deswegen hat Nadja das auch so schnell herausgefunden.“
„Puh, das ist eine krasse Geschichte. Da bin ich mal gespannt, wann und wo wir die andere finden, der das Innenleben gehört.“ In Gedanken verabschiedete er sich von dem Steak, das er eigentlich heute Abend gegessen haben wollte, und entschied sich für ein paniertes Schnitzel, weil ihn das weniger an den Fall erinnern würde. Am Feierabend musste er seine Ruhe haben.