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Bicorne gehörte nicht zu jenen Naturen, denen es vergönnt ist, sich eine eigene Welt zu errichten. Aber die Welt, die er als eine fertig errichtete vorfand, ergriff er mit Leidenschaft und nicht zu beirrender Treue; nie war ihm ein Zweifel an ihrer Allgültigkeit aufgestiegen. Diese Welt war das Kaiserreich. Bicorne kehrte im Februar 1815 aus bayerischer Gefangenschaft zurück, denn seine Wunde hatte erst ausheilen müssen. Zwei Monate danach führte er wieder eine Kompanie. Später war er überzeugt, die Schlacht bei Waterloo sei durch Verrat verlorengegangen. Man soll von solchen Leuten nicht gering denken, denn sie sind es, mit denen sich Großes ausrichten läßt; Tüchtiges verrichten sie oft selber.
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Seitenzahl: 42
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Werner Bergengruen
Schatzgräbergeschichte
Ihr Verlagsname
Bicorne gehörte nicht zu jenen Naturen, denen es vergönnt ist, sich eine eigene Welt zu errichten. Aber die Welt, die er als eine fertig errichtete vorfand, ergriff er mit Leidenschaft und nicht zu beirrender Treue; nie war ihm ein Zweifel an ihrer Allgültigkeit aufgestiegen.
Diese Welt war das Kaiserreich. Bicorne kehrte im Februar 1815 aus bayerischer Gefangenschaft zurück, denn seine Wunde hatte erst ausheilen müssen. Zwei Monate danach führte er wieder eine Kompanie. Später war er überzeugt, die Schlacht bei Waterloo sei durch Verrat verlorengegangen. Man soll von solchen Leuten nicht gering denken, denn sie sind es, mit denen sich Großes ausrichten läßt; Tüchtiges verrichten sie oft selber.
Werner Bergengruen (1892–1964) war ein deutsch-baltischer Schriftsteller.
gehörte nicht zu jenen Naturen, denen es vergönnt ist, sich eine eigene Welt zu errichten. Aber die Welt, die er als eine fertig errichtete vorfand, ergriff er mit Leidenschaft und nicht zu beirrender Treue; nie war ihm ein Zweifel an ihrer Allgültigkeit aufgestiegen.
Diese Welt war das Kaiserreich. Bicorne kehrte im Februar 1815 aus bayerischer Gefangenschaft zurück, denn seine Wunde hatte erst ausheilen müssen. Zwei Monate danach führte er wieder eine Kompanie. Später war er überzeugt, die Schlacht bei Waterloo sei durch Verrat verlorengegangen. Man soll von solchen Leuten nicht gering denken, denn sie sind es, mit denen sich Großes ausrichten läßt; Tüchtiges verrichten sie oft selber.
Bicorne fiel nicht unter jene, gegen die das Hochverratsverfahren eröffnet wurde. Doch erhielt er weder ein Ruhegeld, noch stand ihm der Eintritt in die königliche Armee offen. Von einer solchen Möglichkeit hätte er auch keinen Gebrauch gemacht. Eine Weile ließ er sich, widerwillig genug, von Kameraden helfen, denen es selber nicht zum besten ging. Dann erbte er von einem kinderlosen Vetter, den er kaum gekannt hatte, das Haus in Andilly-les-Prés und eine winzige Summe Geld.
Bicorne stammte aus ärmlichen Verhältnissen, und der Vetter war ein kleiner Gewerbetreibender gewesen. Das Haus bestand aus zwei Stuben, der Wind pfiff durchs Dach, und der Garten war voller Unkraut.
Andilly-les-Prés war ein großes und wohlhabendes Dorf. Bicorne kannte es nicht, sonst hätte er sich vielleicht bedacht, dort Wohnsitz zu nehmen, denn die Leute waren königlich gesinnt und behaupteten gern, sie seien es von jeher gewesen. Der Schmied Toussaint rühmte sich, er habe, als Napoleon zur Einschiffung nach Elba eskortiert wurde, Pferdeäpfel und Steine hinter dem Wagenzug hergeworfen, – denn die große Straße nach Süden läuft zwei kleine Meilen westlich an Andilly-les-Prés vorbei, nur die Wälder von Blancourt und Beauviller liegen dazwischen. Der Pfarrer, der Maire, der Müller Labrande und der Pächter Charpentier hatten namens aller übrigen Einwohner eine Petition unterschrieben, der König möge sämtliche Marschälle für vogelfrei und Feinde des Vaterlands erklären, nicht nur die, welche in den hundert Tagen die Waffen getragen hätten. Das waren die Leute, unter denen Bicorne zu leben hatte.
Sein Dasein war einförmig und einsam, aber nicht arm an Tätigkeit. Er arbeitete im Garten, hielt sich Hühner und besorgte selbst die ganze kleine Wirtschaft. Dazwischen angelte er oder ging gegen Abend auf der Dammkrone spazieren. Von da aus sah man weit über den Fluß und über das im Frühjahr und Herbst überschwemmte Land. Hier oben standen unter den Weiden ein paar Bänke. Manchmal saß er hier zur Zeit des Sonnenunterganges, rauchte eine Pfeife und bedachte mit bitterer Verwunderung die Seltsamkeit einer Welt, welcher das Heil gebracht worden war, ohne daß sie es ganz zu erkennen und für die Dauer aufzunehmen vermocht hätte.
In das Dorf ging er selten. Die Kirche besuchte er nicht: er hatte kein Vorurteil gegen die Religion, aber er sah in den Priestern die Bundesgenossen des Königtums. Ab und zu nötigten ihn die bescheidenen Einkäufe, die er beim Bäcker, beim Fleischer und beim Spezereiwarenhändler zu machen hatte, die Hauptstraße von Andilly-les-Prés zu betreten. Dann ging er rasch, in seiner soldatischen Haltung, in seinem langen, abgetragenen, oben geschlossenen Rock, in dessen Knopfloch das rote Bändchen der Ehrenlegion leuchtete. Der König hatte diesen Orden anerkannt, dennoch reizte sein Anblick die königlich Gesinnten. Die Leute, denen Bicorne begegnete, lächelten spöttisch und machten Bemerkungen. Die Kinder waren gewohnt, ihm nachzulaufen und herausfordernd: «Vive l’empereur!» zu rufen. Oft fand er diese Worte auch, mit Kreide geschrieben, an seiner Haustür. Am Geburtstag des Königs war ihm ein Fenster eingeworfen worden, weil er nicht illuminiert hatte. In den folgenden Jahren illuminierte er auch nicht; er stand an der Gartenpforte und hatte, jedem sichtbar, seine Pistolen bei sich.
