Scheißschlau - David Perlmutter - E-Book

Scheißschlau E-Book

David Perlmutter

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Hinter jedem fitten Geist steht ein starker Darm

Hirntraining mal anders: Der Neurologe und Bestsellerautor Dr. David Perlmutter zeigt anhand neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass eine gesunde Darmflora uns vor Konzentrationsproblemen und Allergien und sogar vor schweren neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer schützen kann. Schon mit wenigen einfachen Maßnahmen können Sie Ihre Aussicht auf geistige Gesundheit und ein langes, erfülltes Leben deutlich verbessern.

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Seitenzahl: 410

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Buch

Mit seinem Bestseller »Dumm wie Brot« machte uns der bekannte Neurologe und Ernährungswissenschaftler Dr. David Perlmutter auf die schädliche Wirkung von Getreide auf unser Gehirn aufmerksam. Sein neues Buch geht nun einen Schritt weiter – es deckt auf, dass eine gesunde Darmflora uns vor Konzentrationsproblemen und Allergien, aber auch vor schweren neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer schützen kann.

Autor

Dr. David Perlmutter ist praktizierender Neurologe und Facharzt für Ernährungsmedizin und damit der einzige Arzt in den USA mit dieser Doppelqualifikation. Er ist Mitbegründer des amerikanischen Ärzteverbandes für integrative und ganzheitliche Medizin. Er lebt und praktiziert in Naples, Florida.

Außerdem von Dr. David Perlmutter im Programm:

Dumm wie Brot (auch als E-Book erhältlich)

DR. DAVID PERLMUTTER

MIT KRISTIN LOBERG

SCHEISS

SCHLAU

Wie eine gesunde Darmflora unser Hirn fit hält

Aus dem Amerikanischen von Imke Brodersen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Dieses Buch soll ärztlichen Rat keinesfalls ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Wenn Sie krank sind oder bei sich oder Angehörigen eine Erkrankung vermuten, sprechen Sie bitte mit Ihrem Arzt. Autor und Verlag sind ausdrücklich nicht für persönliche oder sonstige Schäden, Verluste oder Risiken verantwortlich, die sich direkt oder indirekt aus der Verwendung der Inhalte in diesem Buch ergeben.
© 2016 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. © 2015 der Originalausgabe David Perlmutter All rights reserved. Originaltitel: Brain Maker. The Power of Gut Microbes to Heal and Protect Your Brain – for Life. Originalverlag: Little, Brown and Company, a division of Hachette Book Group, Inc., New York Covergestaltung: zeichenpool, München Redaktion: Ruth Wiebusch Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling MZ · Herstellung: IH ISBN 978-3-641-18288-5V002
www.mosaik-verlag.de

Dieses Buch ist für Sie. So wie die vielfältigen Organismen in Ihrem Körper Sie nähren, beeinflusst auch jeder einzelne Mensch das Wohlergehen unseres Planeten. So sind auch Sie im wahrsten Sinn des Wortes ein aktives Mitglied des Mikrobioms dieser Erde.

»Kein Mensch ist eine Insel,

ganz für sich allein …«

John Donne

Inhalt

Einleitung Unbekannte Untermieter

Risikocheck Wie gesund ist Ihre Darmflora?

Teil I – Hundert Milliarden Freundschaftsanfragen

1. Willkommen an Bord:

Von der Wiege bis zur Bahre in bester Gesellschaft

2. Bauch und Gehirn unter Dauerfeuer:

Neue Erkenntnisse zur Entzündungsbereitschaft

3. Der depressive Bauch:

Der Darm als Spaßbremse und Angstmacher

4. Dick und dumm durch falsche Freunde:

Die überraschenden Verbindungen zwischen Darmbakterien, Appetit, Übergewicht und Gehirn

5. Autismus und der Darm:

Grenzgänge der Hirnforschung

Teil II – Aufruhr im Darm

6. Ein Schlag in die Magengrube:

Die Wahrheit über Fruktose und Gluten

7. Wenn das Gleichgewicht kippt:

Party für die Schurken

Teil III – Die Kur für die grauen Zellen

8. Das Mikrobiom verwöhnen:

Sechs gehirnfreundliche Strategien

9. Fleißige Mitbewohner willkommen:

Ergänzungsmittel als willige Helfer

10. Der Hirnfutter-Wochenplan:

Intelligente Ernährung für ein gesünderes Gehirn

Epilog Wie es weitergeht

Danksagung

Anmerkungen und Quellen

Stichwortverzeichnis

Einleitung Unbekannte Untermieter

Der Tod beginnt im Dickdarm.

Ilja Metschnikow (1845–1916)

Als Arzt muss ich seit vielen Jahren mehrmals pro Woche Patienten oder deren Angehörigen klarmachen, dass es für eine schlimme neurologische Erkrankung, die das Leben dieser Patienten unausweichlich zerstören wird, kein mir bekanntes Heilmittel mehr gibt. Ich muss dann passen, denn die Krankheit hat sich verselbstständigt, und ihr rasches Fortschreiten lässt sich weder aufhalten noch hinauszögern. Solche Worte zerreißen auch einem Arzt das Herz, egal wie oft er sie überbringen muss. Man gewöhnt sich nie daran. Was mich mittlerweile mit neuer Hoffnung erfüllt, ist die wachsende Zahl an Studien, die mir endlich revolutionäre Ansätze ermöglichen, das Leid zu lindern. In diesem Buch geht es um solche faszinierenden, neuen Erkenntnisse und wie man sie für die eigene Gesundheit nutzen kann.

Denken Sie einmal kurz darüber nach, wie sehr sich unsere Welt dank der Medizinforschung im Laufe des letzten Jahrhunderts verändert hat. Pocken, Ruhr, Diphtherie, Cholera und Scharlach haben viel von ihrem Schrecken verloren. Auch bei anderen lebensbedrohlichen Krankheiten sinkt die Sterberate, sogar bei HIV und AIDS, manchen Krebsarten und Herzerkrankungen. Denkt man jedoch an Erkrankungen des Gehirns, so zeigt sich ein ganz anderes Bild. Bei der Prävention, Behandlung und Heilung für schwere neurologische Krankheiten – von Autismus und Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivität (ADHS) bis hin zu Migräne, Depressionen, Multipler Sklerose (MS), Parkinson-Krankheit und Alzheimer-Krankheit – sind praktisch keine Fortschritte zu verzeichnen. Im Gegenteil, die Fallzahlen steigen, und wir scheinen uns auf verlorenem Terrain zu bewegen.

Betrachten wir dazu ein paar Zahlen: In den zehn reichsten westlichen Ländern und insbesondere in den USA ist der Anteil der Gehirnerkrankungen (in der Regel Demenz) als Todesursache in den letzten 20 Jahren dramatisch angestiegen. Laut einer britischen Studie aus dem Jahr 2013 haben sich die Todesfälle aufgrund von Gehirnerkrankungen in Amerika um atemberaubende 66 Prozent bei den Männern und 92 Prozent bei den Frauen erhöht. Woraus der federführende Autor der Studie, Professor Colin Pritchard, folgerte: »In diesen Zahlen geht es um reale Menschen und deren Familien, und wir müssen [erkennen], dass es sich um eine ›Epidemie‹ handelt, die eindeutig von Umweltveränderungen und gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst ist.« Die Forscher registrierten auch, dass dieser Anstieg, der immer jüngere Menschen erfasst, in scharfem Kontrast zur erheblichen Risikominderung bei allen anderen Todesursachen steht.1 2013 veröffentlichte das New England Journal of Medicine einen Bericht, demzufolge die Pflegekosten für Demenzpatienten bei über 50 000 Dollar pro Kopf und Jahr liegen.2 Das sind insgesamt etwa 200 Milliarden Dollar jährlich – doppelt so viel, wie wir für Herzpatienten ausgeben und fast das Dreifache der Ausgaben für Krebskranke.

Angststörungen und affektive Störungen nehmen ebenfalls zu und können das Leben genauso massiv beeinträchtigen wie andere neurologische Erkrankungen. In den Vereinigten Staaten ist jeder vierte Erwachsene von einem Krankheitsbild betroffen, für das es eine medizinische Diagnose gibt.3 Über 40 Millionen (etwa 13 Prozent) haben eine Angststörung, und fast zehn Prozent der erwachsenen US-Bürger benötigen wegen einer affektiven Störung starke Medikamente.4 In Deutschland sind die Zahlen, die allerdings noch aus dem Jahr 1998 stammen, ähnlich: 14 Prozent der Bundesbürger zwischen 18 und 65 Jahren erfüllten im Befragungszeitraum von 12 Monaten die Diagnosekriterien für eine Angststörung, für Depressionen waren es 12 Prozent. Die Lebenszeitprävalenz für eine Depression lag 1998 in Deutschland sogar bei 19 Prozent.5 In den USA ist jeder Zehnte von Depressionen betroffen (bei den Frauen zwischen 40 und 60 sogar jede Vierte), und weltweit sind sie ein führender Grund für Behinderungen. Die Diagnosen nehmen in erschreckendem Tempo zu.6 Medikamente gegen psychische Störungen zählen in den USA zu den am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln, doch diese Mittel behandeln nicht die sträflich vernachlässigten Ursachen einer Depression, sondern lediglich die Symptome. Menschen mit schweren psychischen Krankheiten, beispielsweise bipolaren Störungen oder Schizophrenie, sterben rund 25 Jahre früher als der Durchschnitt der Bevölkerung.7 (Was teilweise daran liegt, dass die Betroffenen vermehrt rauchen, Alkohol und Drogen konsumieren und häufiger übergewichtig sind, sodass übergewichtsbedingte Erkrankungen zu den psychischen Problemen hinzukommen.)

Kopfschmerzen und Migräne zählen zu den häufigsten Beschwerden des Nervensystems. Fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung hat mindestens einmal im Monat damit zu kämpfen. Dabei sind Kopfschmerzen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, denn sie beeinträchtigen Aktivitäten und Lebensqualität und sind auch ein Kostenfaktor.8 Die meisten betrachten Kopfschmerzen als harmloses Übel, was unter anderem daran liegt, dass Kopfschmerzmittel leicht zugänglich und erschwinglich sind (was zumindest auf ASS, Paracetamol oder Ibuprofen zutrifft). Laut der Schmerzstiftung National Pain Foundation (NPF) gehen allerdings 160 Millionen verlorene Arbeitstage pro Jahr und 30 Milliarden Dollar an Behandlungskosten auf das Konto von Kopfschmerzen.9

Von der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose, die über eine Schädigung der Nervenverbindungen zu Behinderungen führt, sind weltweit inzwischen schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen betroffen, und die Fallzahlen steigen weiter.10 Die lebenslangen Behandlungskosten bei MS betragen im Durchschnitt über 1,2 Millionen Dollar pro Patient.11 Ein Heilmittel ist laut Aussage der Schulmedizin bisher nicht zu erwarten.

Hinzu kommt Autismus, der in den letzten 15 Jahren um das Sieben- bis Achtfache zugenommen hat, was dieses Erscheinungsbild zu einer modernen Epidemie macht.12

Obwohl wir für diese und andere stark einschränkenden Krankheiten mit Gehirnbeteiligung Millionen ausgeben, sind die Fortschritte beklagenswert gering.

Doch nun die gute Nachricht: Bahnbrechende neue Erkenntnisse aus den renommiertesten Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt belegen inzwischen, dass die Gesundheit des Gehirns – und umgekehrt auch Gehirnerkrankungen – unter dem Diktat unserer Darmtätigkeit stehen. Doch, wirklich: Was aktuell in Ihrem Darm geschieht, bestimmt maßgeblich Ihr Risiko für diverse neurologische Erkrankungen. Mir ist bewusst, dass dies schwer nachvollziehbar erscheint – wenn Sie Ihre Ärzte fragen, welche Heilmittel gegen Autismus, MS, Depressionen oder Demenz bekannt sind, würden diese nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und einräumen, dass es keine gibt und vermutlich auch nie geben wird.

An dieser Stelle widerspreche ich den meisten meiner Kollegen (aber glücklicherweise nicht allen). Neurologen lernen, sich möglichst ausschließlich auf das Nervensystem, insbesondere das Gehirn, zu konzentrieren. Andere Körpersysteme wie der Magen-Darm-Trakt werden dabei automatisch als weniger wichtig eingestuft, weil sie nicht direkt mit dem Gehirn zu tun haben. Mit Magenschmerzen gehen wir schließlich nicht zum Kardiologen oder zum Neurologen. Das Gesundheitssystem hat sich in verschiedene Spezialisierungen für einzelne Körperteile oder Organsysteme aufgespalten. Darum sagen die meisten meiner Kollegen: »Was im Darm passiert, geht nur den Darm etwas an.«

Diese Sichtweise blendet allerdings aktuelle wissenschaftliche Forschungsergebnisse aus. Das Verdauungssystem hat nämlich durchaus eine enge Verbindung zu dem, was im Gehirn vor sich geht. Und der vielleicht wichtigste Aspekt des Darms, der für das allgemeine Wohlbefinden und die psychische und geistige Gesundheit von größter Bedeutung ist, ist dessen inneres ökologisches System: die vielen Mikroorganismen darin (vornehmlich die Bakterien).

Darf ich vorstellen? Ihr Mikrobiom

Bakterien wurden lange als Quelle allen Übels betrachtet. Immerhin hat die Beulenpest zwischen 1347 und 1352 ein Drittel der europäischen Bevölkerung ausgelöscht, und manche bakteriellen Infektionen sind heute noch weltweit eine todbringende Gefahr. Doch es ist an der Zeit, auch die andere Seite der Medaille anzuerkennen. Wir müssen uns klarmachen, dass manche Keime nicht schädlich, sondern lebenswichtig sind.

Im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung sagte der griechische Arzt und Begründer der modernen Medizin, Hippokrates: »Jede Krankheit beginnt im Darm.« Damals gab es keinerlei Beweis oder begründete Theorie, um diese Worte zu erklären. Bis der holländische Kaufmann und Arzt Antonie van Leeuwenhoek im späten 17. Jahrhundert durch ein selbstgebautes Mikroskop seine eigenen Zahnbeläge betrachtete und die verborgene Welt der Animalcules (»kleine Tierchen«) entdeckte, wussten wir nicht einmal von der Existenz der Bakterien. Heute gilt van Leeuwenhoek als Vater der Mikrobiologie.

Im 19. Jahrhundert erkannte der russische Biologe und Nobelpreisträger Ilja Metschnikow die verblüffende Verbindung zwischen einem langen Leben und einem gesunden bakteriellen Gleichgewicht im menschlichen Körper und bestätigte die Aussage: »Der Tod beginnt im Dickdarm.« Seit seinen Entdeckungen (zu einer Zeit, als Aderlässe noch beliebt waren) schält sich immer deutlicher heraus, dass bis zu 90 Prozent aller bekannten Krankheiten des Menschen im kranken Darm ihren Ausgang nehmen. Umgekehrt steht mittlerweile fest: Auch Gesundheit und Vitalität beginnen im Darm. Die Aussage, dass die Anzahl der guten Bakterien die der schlechten übersteigen müsse, geht ebenfalls auf Metschnikow zurück. Leider trägt die Mehrheit der Menschen heute mehr schlechte, pathogene Bakterien mit sich herum, als gut für uns ist, womit uns ein gesundes inneres Ökosystem fehlt. Kein Wunder, dass wir so viele Gehirnerkrankungen entwickeln.

Hätte Metschnikow die medizinische Revolution, die er im 19. Jahrhundert lostreten wollte, doch noch erleben können! Endlich ist die Lawine am Rollen.

Genau in diesem Augenblick ist Ihr Körper von zahllosen Organismen besiedelt, zehnmal mehr als die Anzahl Ihrer Zellen (zum Glück sind unsere Zellen deutlich größer, sodass diese enorme Überzahl uns nicht erdrückt!). Annähernd hundert Billionen unsichtbarer Wesen – Mikroben – bedecken uns von innen und außen. Sie wuseln in Mund, Nase, Ohren, Darm, Genitalien und auf jedem Quadratzentimeter unserer Haut herum. Könnte man sie alle isolieren, so wären es knapp zwei Liter. Bisher hat die Wissenschaft rund 10 000 dieser Mikroben identifiziert. Weil jede Mikrobe eine eigene DNA besitzt, entspricht dies acht Millionen Genen. Mit anderen Worten: Auf jedes menschliche Gen in unserem Körper kommen mindestens 360 Mikrobengene.13 Die meisten dieser Organismen leben im Verdauungstrakt. Pilze und Viren sind zwar auch darunter, aber offenbar spielen die Bakterien in unserem Inneren eine Hauptrolle und unterstützen jeden erdenklichen Aspekt der Gesundheit. Zumal der Körper nicht nur mit den Organismen selbst in Verbindung steht, sondern auch mit ihrem genetischen Material.

Dieses komplexe Ökosystem in unserem Inneren und seinen genetischen Fingerabdruck bezeichnen wir als »Mikrobiom« (mikro für »klein« oder »mikroskopisch« und biom für eine natürliche Flora, die einen großen Lebensraum besiedelt, in diesem Fall den menschlichen Körper). Während das menschliche Genom bei allen Menschen praktisch identisch ist (abgesehen von den paar Genen, die individuelle Eigenschaften wie Haarfarbe oder Blutgruppe festlegen), unterscheidet sich die Darmflora sogar bei eineiigen Zwillingen ganz erheblich. Neuesten Erkenntnissen zufolge ist der Zustand des Mikrobioms für die menschliche Gesundheit von so elementarer Bedeutung – und hat damit großen Einfluss darauf, ob wir gesund und froh ein gesegnetes Alter erreichen –, dass sie als eigenes Organ betrachtet werden könnte. Und dieses Organ hat in den letzten zwei Millionen Jahren massive Veränderungen erfahren. Im Laufe unserer Evolution haben wir eine enge Symbiose mit unseren winzigen Mitbewohnern aufgebaut, die ihrerseits seit Anbeginn der Menschheit aktiv an unserer Entwicklung teilhatten – schlussendlich hatten sie schon vor unserem Erscheinen Milliarden Jahre auf der Erde hinter sich. Gleichzeitig haben sie sich angepasst und verändert, um auf die Umwelt zu reagieren, die wir ihnen in unserem Inneren darboten. Selbst die Genexpression in der einzelnen Körperzelle, also die Frage, ob dieses oder jenes Gen aktiv werden soll oder nicht, wird bis zu einem gewissen Grad von den Bakterien und anderen Lebewesen in uns mitbestimmt.

Die Bedeutung des Mikrobioms motivierte die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH dazu, in Erweiterung der Erforschung des menschlichen Genoms 2008 auch das Projekt zur Erforschung des menschlichen Mikrobioms anzustoßen.14 Einige der besten Wissenschaftler Amerikas arbeiten an der Frage, wie Veränderungen des Mikrobioms die Gesundheit und im Umkehrschluss auch Krankheiten beeinflussen. Man will außerdem herausbekommen, wie dieses Wissen zur Lösung der großen gesundheitlichen Probleme unserer Zeit beitragen kann. Das Ziel ist die Erforschung verschiedener Körperteile, in denen Mikroben leben, darunter auch der Haut. Ein Großteil der Arbeiten jedoch konzentriert sich auf den Darm, in dem die meisten unserer Mikroben hausen und der – wie Sie bald sehen werden – sozusagen der Dreh- und Angelpunkt aller Körperfunktionen ist.

Es lässt sich nicht mehr bestreiten, dass die Bakterien unseres Verdauungsapparats an einer Vielzahl körperlicher Vorgänge beteiligt sind, ob an Immunfunktionen, Entgiftung, Entzündungen, der Erzeugung von Neurotransmittern und Vitaminen, der Nährstoffaufnahme, den Signalen für Hunger oder Sättigung oder der Verwertung von Kohlenhydraten und Fetten. All diese Prozesse spielen eine große Rolle dabei, ob wir Allergien, Asthma, ADHS, Krebs, Diabetes oder Demenz entwickeln oder eben nicht. Das Mikrobiom beeinflusst Stimmungslage, Libido, Stoffwechsel, Immunität und sogar unser Wahrnehmungsvermögen und die gedankliche Klarheit. Es entscheidet mit darüber, ob wir dick oder dünn sind, voller Energie oder lethargisch. Einfach ausgedrückt: Alle Aspekte unserer Gesundheit – wie wir uns körperlich und seelisch fühlen – hängen mit dem Zustand unseres Mikrobioms zusammen. Ist es gesund und von sogenannten freundlichen Bakterien besiedelt, die uns guttun? Oder ist es krank und von schlechten, unfreundlichen Bakterien okkupiert?

Wohl kein zweites System im Körper reagiert empfindlicher auf Veränderungen der Darmflora als das zentrale Nervensystem, insbesondere das Gehirn. 2014 wandte das amerikanische Institut für mentale Gesundheit (NIMH) über eine Million Dollar für ein neues Forschungsprogramm auf, das sich dem Zusammenhang von Mikrobiom und Gehirn widmet.15 Die Gesundheit unseres Mikrobioms und damit auch unseres Gehirns wird zwar von vielen Faktoren beeinflusst, doch heutzutage eine gesunde Darmflora zu erreichen, ist einfacher, als man vielleicht glaubt. Bei den Empfehlungen in diesem Buch stütze ich mich nur auf erwiesene Tatsachen.

Ich habe miterlebt, wie es durch einfache Ernährungsumstellungen (und gelegentlich aggressivere Techniken zur Wiederherstellung des gesunden Mikrobioms) zu dramatischen gesundheitlichen Verbesserungen kam. Dabei denke ich beispielsweise an den Herrn, der mit massiver Multipler Sklerose zu mir kam. Er saß im Rollstuhl und benötigte einen Blasenkatheter. Nach der Behandlung konnte er nicht nur auf den Katheter verzichten und ohne Hilfe gehen, sondern es kam zur völligen Remission der Multiplen Sklerose. Ein anderer Fall war Jason, ein Zwölfjähriger mit starkem Autismus, der kaum in ganzen Sätzen sprechen konnte. In KAPITEL 5 können Sie seine körperliche Verwandlung in einen einnehmenden Jungen nachlesen, die nach einer intensiven Probiotikabehandlung stattfand. Auch die zahlreichen Geschichten von Menschen mit den unterschiedlichsten Gesundheitsproblemen – von chronischen Schmerzen, ständiger Müdigkeit und Depressionen bis hin zu schweren Darmerkrankungen und Autoimmunkrankheiten –, die nach der Behandlung vollständig verschwanden, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Nach einer stark eingeschränkten Lebensqualität bekamen sie endlich ihre zweite Chance. Manche hatten zuvor Suizidgedanken gehegt und waren nun erstmals wieder zufrieden und voller Lebensfreude. Solche Geschichten sind für mich keine Sonderfälle mehr, doch nach landläufiger Meinung klingen sie wundersam. Ich erlebe so etwas jeden Tag, und darum weiß ich, dass auch Sie Ihrem Gehirn etwas Gutes tun können, indem Sie auf eine gesunde Darmflora achten. In diesem Buch erfahren Sie, wie das geht.

Aber auch wenn Sie keine starken, dauerhaften gesundheitlichen Beschwerden haben, die mit Medikamenten oder anderen Therapien behandelt werden müssen, kann eine fehlgesteuerte Darmflora die Ursache für lästige Kopfschmerzen, Angst, Konzentrationsstörungen oder eine negative Lebenseinstellung sein. Wenn ich Ihnen verrate, was wir derzeit wissen und wie wir dieses Wissen nutzen können, stütze ich mich auf die Ergebnisse von Laborversuchen und klinischen Studien, aber auch auf die erstaunlichen Resultate, die ich wieder und wieder gesehen oder von denen ich auf Medizinerkonferenzen gehört habe, wo die besten Ärzte und Wissenschaftler der Welt zusammenkommen. Gleichzeitig gebe ich Ihnen einen umsetzbaren, verständlichen Leitfaden an die Hand, mit dessen Hilfe Sie Ihren Darm und auf diesem Weg Ihr Gehirn bestmöglich unterstützen können, um Ihrem Leben viele erfüllte Jahre hinzuzufügen. Doch das ist noch nicht alles. Dieser neue wissenschaftliche Ansatz kann bei den folgenden Erkrankungen Abhilfe schaffen:

ADHSAsthmaAutismusAllergien und LebensmittelunverträglichkeitenChronische MüdigkeitAffektive Störungen, Depressionen und AngstDiabetes und Gier nach Zucker und KohlenhydratenÜbergewicht und Fettleibigkeit sowie Schwierigkeiten beim GewichtsabbauGestörte Merkfähigkeit und KonzentrationsproblemeChronische Verstopfung oder DiarrhöHäufige Erkältungen, InfektanfälligkeitDarmkrankheiten wie Zöliakie, Reizdarmsyndrom und Morbus CrohnSchlafstörungenSchmerzhafte Gelenkentzündungen und ArthritisHoher BlutdruckArterioskleroseChronische HefepilzbesiedelungHautprobleme wie Akne und EkzemMundgeruch, Zahnfleischentzündungen, ZahnproblemeTourette-SyndromExtreme Menstruations- und MenopausenbeschwerdenVieles mehr

Letztlich können diese neuen Erkenntnisse bei fast allen degenerativen und entzündlichen Erkrankungen von Nutzen sein.

Auf den folgenden Seiten beschäftigen wir uns mit der Frage, was ein gesundes Mikrobiom ausmacht, und wie es dazu kommen kann, dass eine gute Darmflora »kippt«. Der Risikocheck gibt Hinweise darauf, welche Faktoren und Umstände unmittelbar auf die Gesundheit und die Funktionen des Mikrobioms einwirken. Was dabei ganz schnell klar wird: Auf die Ernährung kommt es an!

Du bist, was du isst

Dass Nahrung die wichtigste Variable für die menschliche Gesundheit ist, spiegelt sich auch in dem geflügelten Wort: »Eure Nahrung soll eure Medizin sein und die Medizin eure Nahrung.«16 Durch eine kluge Wahl bei der Ernährung kann jeder auf sein Mikrobiom – und sein gesundheitliches Schicksal – Einfluss nehmen.

Kürzlich hatte ich Gelegenheit zu einem Interview mit Dr. Alessio Fasano, derzeit Gastprofessor an der Harvard Medical School und Leiter der Abteilung für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung am Massachusetts General Hospital. In der Wissenschaft gilt er als globaler Vordenker zum Thema Mikrobiom. Wir sprachen über Faktoren, die unsere Darmflora verändern, und er betonte, dass der wichtigste Faktor in Bezug auf Gesundheit und Vielfalt des Mikrobioms definitiv die Ernährung sei. Was wir in den Mund stecken, ist allerdings zugleich die größte Umweltbelastung für unser Genom und das Mikrobiom.

Was für eine klare Unterstreichung des Gedankens, dass die Ernährung wirklich zählt und andere Lebensumstände übertrumpft, die wir möglicherweise nicht vollständig kontrollieren können!

Wie ich in meinem Buch Dumm wie Brot beschrieben habe, sind chronische Entzündungen und freie Radikale die Schlüsselmechanismen, die zur Gehirndegeneration führen. Freie Radikale kann man sich vereinfacht als Nebenprodukte von Entzündungsreaktionen vorstellen, die den Körper zum »Rosten« bringen. Scheissschlau nimmt diese Abläufe aus einem neuen Blickwinkel unter die Lupe. Diesmal sehen wir uns an, wie sie von Darmbakterien und der Gesundheit des Darms beeinflusst werden. Die Darmflora ist nämlich eng mit Entzündungen verbunden, auch mit der Frage, ob wir freie Radikale bekämpfen können oder nicht. Damit bestimmt letztlich der Zustand des Mikrobioms, ob der Körper Entzündungen weiter anfacht oder sie eindämmen kann.

Chronische Entzündungen und Schäden durch freie Radikale sind in den Neurowissenschaften aktuell ein zentrales Thema. Doch kein pharmazeutischer Ansatz erreicht auch nur annähernd die Wirkung von Ernährungsvorgaben zur Pflege der Darmbakterien. Diese Vorgaben werde ich Ihnen Schritt für Schritt erklären. Glücklicherweise spricht das Mikrobiom als Ganzes auf Rehabilitationsversuche ausgesprochen gut an.

Das Vorgehen in diesem Buch wird Ihr inneres Gleichgewicht so verändern, dass dort die richtigen Organismen zur Erhaltung eines gesunden Gehirns gedeihen können. Zu diesem sehr praxisnahen Ansatz gehören sechs wichtige Strategien: Präbiotika, Probiotika, gegorene Speisen, wenig Kohlenhydrate, kein Gluten und gesunde Fette. Wie jeder einzelne dieser Faktoren die Gesundheit des Mikrobioms zugunsten des Gehirns beeinflusst, werde ich noch erläutern.

Das Schönste daran ist jedoch, dass man schon wenige Wochen nach der Umstellung die ersten Früchte ernten kann.

In die Startlöcher!

Ich hege keinerlei Zweifel, dass wir mit diesen Informationen eine wahre Revolution für die Behandlung neurologischer Krankheiten auslösen werden. Es ist mir eine große Ehre, der Öffentlichkeit diese Erkenntnisse vorstellen zu dürfen und all die Daten bekannt zu machen, die bisher still und leise in der medizinischen Literatur kursieren. Bald werden Sie zu schätzen wissen, wie Ihre Mannschaft im Darm dem Gehirn auf die Sprünge hilft.

Meine Empfehlungen in diesem Buch beziehen sich auf die Behandlung und Prävention von Gehirnerkrankungen. Sie sollen Stimmungsschwankungen, Angst und Depressionen lindern, das Immunsystem stärken und Autoimmunprozessen entgegenwirken, aber auch Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes und Fettsucht bessern, die langfristig ebenfalls das Gehirn gefährden. Bei manchen Aspekten kommt man auf den ersten Blick nicht darauf, dass davon die Hirngesundheit beeinflusst werden könnte. Wir besprechen die Bedeutung des Geburtsvorgangs, der Ernährung und der Medikamente im Laufe der Kindheit sowie der Hygiene (zum Beispiel der Nutzung von Desinfektionsmitteln für die Hände). Ich lege dar, wie Darmbakterien sich in verschiedenen Populationen auf der Welt unterscheiden und inwiefern diese Unterschiede auf der jeweiligen Ernährung beruhen. Wir gehen sogar darauf ein, was unsere Vorfahren vor Jahrtausenden aßen und wie dies mit neuen Erkenntnissen zum Mikrobiom zusammenhängt. Außerdem beschäftigen wir uns mit Fragen der Verstädterung: Wie hat sie unser inneres Ökosystem beeinflusst? Führt das hygienischere Stadtleben zu mehr Autoimmunkrankheiten? Diese Fragestellungen dürften gleichermaßen erhellend wie mobilisierend für Sie sein.

Sie werden erfahren, welche wichtige Rolle Präbiotika aus der Nahrung – Nährstoffquellen für die erwünschten Darmbakterien – für die Erhaltung der Gesundheit spielen, indem sie das Gleichgewicht und die Vielfalt der Darmflora erhalten. Lebensmittel wie Knoblauch, Topinambur, Yambohnen oder auch Löwenzahnblätter sowie gegorene Speisen wie Sauerkraut, Kombucha und Kimchi fördern die Gesundheit allgemein, ganz besonders aber ein dauerhaft vitales Gehirn.

Probiotika sind heute zwar in vielen käuflichen Produkten enthalten und sogar in normalen Supermärkten zu kaufen, doch man sollte wissen, was sich hinter dem jeweiligen Angebot und angeblichen gesundheitlichen Vorzügen verbirgt. Ich helfe Ihnen, die Werbeslogans zu durchschauen, indem ich die wissenschaftlichen Grundlagen zu den Probiotika erkläre und zeige, woran man die besten erkennt.

Aber auch sonstige Faktoren der Lebensweise lassen wir nicht außen vor. Neben dem Wechselspiel zwischen Mikrobiom und Gehirn beschäftigen wir uns mit einer neuen Disziplin, der Epigenetik. Dieser Wissenschaftszweig untersucht, wie die persönlichen Lebensentscheidungen zu Ernährung, Bewegung, Schlaf und Umgang mit Stress die Genexpression beeinflussen und damit direkt und indirekt auf die Gesundheit des Gehirns einwirken. Darüber hinaus erfahren Sie mehr über die Rolle der Mitochondrien bei Gehirnerkrankungen, und zwar aus der Sicht des Mikrobioms. Mitochondrien sind winzige Gebilde im Zellinneren, die eine eigene DNA besitzen, welche sich von der DNA im Zellkern unterscheidet. Damit bilden die Mitochondrien eigentlich eine dritte Dimension unseres Mikrobioms, mit dem sie eine einzigartige Beziehung unterhalten.

Der erste und zweite Teil dieses Buches liefert die nötigen Grundlagen, mit denen Sie in Teil III die Wiederherstellung Ihres Darm-Gehirns angehen können. In dieser Einleitung wurden viele Themen kurz angerissen, und ich hoffe, Sie haben jetzt großen Appetit auf mehr Wissen aus diesem neuen, weiten Feld der Medizin und auf eine frische Sichtweise zur Erhaltung des gesunden Gehirns. Vor Ihnen liegt ein Leben mit einem hellwachen Geist.

Sind Sie startbereit?

Risikocheck Wie gesund ist Ihre Darmflora?

Ein präzises Testverfahren zum exakten Zustand des persönlichen Mikrobioms existiert gegenwärtig zwar noch nicht, aber anhand einiger einfacher Fragen lassen sich gewisse Rückschlüsse ziehen. Diese Fragen tragen zugleich zum Verständnis bei, welche Lebensumstände Ihrem Darm von Kindesbeinen an und bis heute zugesetzt haben könnten.

Ein Hinweis vorab: Inzwischen gibt es zwar erste Testkits für Darmbakterien, doch meines Erachtens ist die Forschung noch nicht so weit, dass wir wüssten, was die Ergebnisse wirklich bedeuten (gesund oder ungesund?) und welche Risikofaktoren der oder die Einzelne mitbringt. Wir werden in Zukunft zweifellos evidenzbasierte Richtwerte entwickeln und definierte Zusammenhänge zwischen gewissen mikrobiologischen »Fußabdrücken« und Erkrankungen feststellen. Vorläufig jedoch bewegen wir uns auf unsicherem Boden. Wir wissen noch nicht, ob bestimmte Zusammensetzungen der Darmflora von Krankheit X oder Störung Y zu den Ursachen oder zu den Auswirkungen dieser Phänomene gehören. Dennoch können Testkits zumindest dazu beitragen, die Vielfältigkeit und allgemeine Zusammensetzung des eigenen Mikrobioms einzustufen. Auch dies gestattet aber noch keine klare Aussage darüber, ob eine bestimmte Mikrobenzusammensetzung individuell »gesund« ist. Als Laie sollte man davon Abstand nehmen, solche Tests auf eigene Faust und ohne entsprechende Anleitung durch ausgebildete, spezialisierte Fachkräfte zu interpretieren. Die nachfolgenden Fragen liefern jedoch bereits reichlich Material, um die persönlichen Risikofaktoren richtig einzuschätzen.

Bekommen Sie bitte keinen Schreck, wenn Sie die meisten Fragen mit »Ja« beantworten. Je mehr Ja-Antworten, desto höher ist Ihr potenzielles Risiko für eine kranke oder schlecht funktionierende Darmflora, welche die Gehirngesundheit beeinträchtigen kann. Damit sind Sie keineswegs verloren! Mit diesem Buch möchte ich Sie in die Lage versetzen, die Gesundheit Ihres Darms und damit wiederum Ihres Gehirns selbst in die Hand zu nehmen.

Wenn Sie eine Frage nicht beantworten können, überspringen Sie diesen Punkt. Und wenn etwas besonders beunruhigend klingt oder neue Fragen aufwirft, brauchen Sie nicht nervös zu werden: Ich werde all diese Themen in den folgenden Kapiteln aufgreifen. Vorläufig bitte ich Sie, die Fragen bestmöglich zu beantworten.

Hat Ihre Mutter, während sie mit Ihnen schwanger war, Antibiotika eingenommen?Hat Ihre Mutter, während sie mit Ihnen schwanger war, Steroide wie zum Beispiel Prednison eingenommen?Wurden Sie per Kaiserschnitt geboren?Wurden Sie weniger als einen Monat gestillt?Hatten Sie als Kind häufig Ohren- oder Halsentzündungen?Hatten Sie als Kind Paukenröhrchen in den Trommelfellen?Wurden Ihnen die Rachenmandeln entfernt?Brauchen Sie jemals länger als eine Woche Steroide (einschließlich Nasenspray oder Inhaliermittel)?Nehmen Sie mindestens einmal alle zwei bis drei Jahre Antibiotika ein?Nehmen Sie Säureblocker (für die Verdauung oder gegen Reflux)?Reagieren Sie empfindlich auf Gluten?Haben Sie eine Nahrungsmittelallergie?Reagieren Sie überempfindlich auf häufige Chemikalien in Alltagsprodukten und Waren?Wurde bei Ihnen eine Autoimmunkrankheit festgestellt?Haben Sie Typ-2-Diabetes?Haben Sie mehr als neun Kilo Übergewicht?Haben Sie einen Reizdarm?Haben Sie mindestens einmal im Monat Durchfall oder lockeren Stuhlgang?Brauchen Sie mindestens einmal im Monat ein Abführmittel?Leiden Sie unter Depressionen?

Ich wette, jetzt sind Sie neugierig, was das alles zu bedeuten hat. In diesem Buch erfahren Sie alles, was Sie wissen wollen (und wissen sollten), und noch viel mehr.

Teil I – Hundert Milliarden Freundschaftsanfragen

Sie haben keine Augen, keine Ohren, keine Nase, keine Zähne. Sie haben weder Gliedmaßen noch Herz, Leber, Lunge oder Gehirn. Sie atmen oder essen nicht wie ein Mensch und sind mit bloßem Auge nicht einmal zu sehen. Doch man sollte sie nicht unterschätzen. Einerseits sind Bakterien als Einzeller überraschend einfache Gebilde. Andererseits jedoch stellen sie eine überaus komplexe, ausgereifte und faszinierende Gruppe Lebewesen dar. Lassen Sie sich von ihrer Winzigkeit nicht täuschen! Manche Bakterien überleben Temperaturen, bei denen unser Blut längst verkochen würde, andere gedeihen noch bei Minusgraden. Es gibt sogar ein Bakterium, das sich selbst einer Bestrahlung widersetzt, die mehrere Tausend Mal höher ist als alles, was unsere Zellen vertragen. Manche dieser mikroskopisch kleinen Einzeller ernähren sich von Zucker und Stärke, andere von Sonnenlicht und Schwefel. Bakterien sind der Ursprung allen irdischen Lebens. Sie waren die ersten Lebensformen auf unserem Planeten und werden vermutlich auch die letzten sein. Warum? Weil ohne Bakterien kein Leben auf dieser Erde möglich wäre, nicht einmal das Ihre.

Dass manche Bakterien Krankheitserreger sind, die uns sogar umbringen können, zählt heute zum Allgemeinwissen. Weniger bekannt ist die andere Seite der Medaille: Dass der Mensch mit jedem Herzschlag, jedem Atemzug und jeder neuronalen Verknüpfung dazu beiträgt, dass Bakterien uns am Leben erhalten. Diese Organismen leben nicht nur in friedlicher Koexistenz mit uns, indem sie uns von innen und außen besiedeln, sondern unterstützen den Körper bei einer atemberaubenden Vielzahl an lebenswichtigen Funktionen.

Im ersten Teil dieses Buches beschäftigen wir uns mit dem menschlichen Mikrobiom: Was ist dieses Mikrobiom, wie funktioniert es, und welche Verbindungen bestehen zwischen der Mikrobengesellschaft in unserem Darm und dem menschlichen Gehirn? Sie erfahren, was so unterschiedliche Erkrankungen wie Autismus, Depressionen, Demenz und sogar Krebs über die Darmflora miteinander verbindet. Außerdem betrachten wir die Schlüsselfaktoren für ein gesundes Mikrobiom und die Faktoren, die es beeinträchtigen können. So werden Sie bald erkennen, dass die modernen Geißeln der Menschheit von Fettleibigkeit bis hin zur Alzheimer-Krankheit wahrscheinlich auf unser krankes, entgleistes Mikrobiom zurückgehen. Am Ende dieser fünf Kapitel werden Sie Ihre Darmflora mit neuen Augen sehen und wissen, wie viel Sie künftig selbst für Ihre Gesundheit tun können.

KAPITEL 1

Willkommen an Bord:

Von der Wiege bis zur Bahre in bester Gesellschaft

Irgendwo auf einer griechischen Insel inmitten der Ägäis kommt ein kleiner Junge zur Welt. Es ist eine komplikationsfreie Hausgeburt. Er wird zwei Jahre gestillt und kommt in seiner Kindheit kaum mit den üblichen Fertigprodukten der modernen Industrienationen in Berührung. Fastfood, Fruchtsäfte und Limonaden gibt es nur sehr selten. Meistens isst die Familie Gemüse aus dem eigenen Garten, Fisch und Fleisch von der Insel, selbst gemachten Joghurt, Nüsse, Kerne und viel Olivenöl. Der Junge besucht die Dorfschule und hilft seinen Eltern auf dem Hof, wo die Familie Gemüse, Kräuter und Wein anbaut. Die Luft ist sauber, Boden und Meer sind frei von Umweltgiften.

Wenn das Kind krank ist, bekommt es erst einmal einen Löffel Inselhonig, denn Antibiotika sind auf die Schnelle nicht verfügbar. Dieses Kind erkrankt nicht an Autismus, Asthma oder einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität (ADHS). Es bleibt fit und schlank, weil man sich in dieser Umgebung automatisch viel bewegt. Abends sitzt man nicht im Wohnzimmer auf dem Sofa, sondern trifft sich mit den Nachbarn und tanzt im Freien. Ernste Hirnerkrankungen wie Depressionen oder Alzheimer sind äußerst selten. Dieser Junge hat beste Aussichten auf ein hohes, gesegnetes Alter, denn seine Insel, Ikaria, weist den höchsten Prozentsatz an 90-Jährigen auf dieser Erde auf – fast jeder Dritte wird bei körperlicher und geistiger Gesundheit 90 Jahre oder älter.1 Das Krebsrisiko insgesamt ist 20 Prozent niedriger als anderswo, Herzkrankheiten kommen nur halb so oft vor, und Demenz ist praktisch unbekannt.

Wechseln wir nun zu einer beliebigen Stadt in Amerika, in der ein kleines Mädchen zur Welt kommt. Geboren wird es auf Wunsch der Mutter per Kaiserschnitt und bekommt danach ausschließlich Säuglingsnahrung mit der Flasche. Im Kleinkindalter treten zahlreiche Infekte auf, insbesondere chronische Ohrenentzündungen und Erkältungen, und selbst für einen normalen Schnupfen bekommt es Antibiotika. Theoretisch könnte dieses Mädchen die besten Nahrungsmittel der Welt bekommen, aber dennoch besteht seine Ernährung vornehmlich aus industriell verarbeiteten Lebensmitteln, Zucker in jeglicher Form und ungesunden pflanzlichen Fetten. Schon mit sechs Jahren hat das Kind Übergewicht und gilt als prädiabetisch. Wenn es älter wird, findet es Gefallen am Computer und den neuesten elektronischen Geräten und besucht eine anspruchsvolle Schule. Inzwischen nimmt es angstlösende Medikamente, zeigt Verhaltensauffälligkeiten und hat wegen seiner Konzentrationsschwierigkeiten zunehmend mit Leistungseinbußen zu kämpfen. Später drohen schwere neurologische Einschränkungen, darunter psychische Erkrankungen, Migräne und Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose. In höherem Alter könnten auf das Kind Parkinson- oder Alzheimer-Krankheit zukommen. In den USA stirbt man heute vornehmlich an chronischen Krankheiten, die auf jener griechischen Insel kaum vorkommen, und eine davon ist Demenz.

Was ist da los? In den letzten Jahren haben neue Forschungsergebnisse uns zu einem deutlich besseren Verständnis für die Zusammenhänge zwischen den Einflüssen, denen wir in frühester Jugend ausgesetzt sind, und der kurz- und langfristigen Gesundheit verhelfen können. Dabei wurden auch die Verbindungen zwischen dem menschlichen Mikrobiom und der gesundheitlichen Entwicklung unter die Lupe genommen. Die Antwort auf unsere Frage findet sich in den unterschiedlichen Erfahrungen dieser zwei Kinder in der frühen Kindheit, die unter anderem die Weichen für die Entwicklung des individuellen Mikrobioms stellt, jener mikrobiellen Gemeinschaften, die den menschlichen Körper von Geburt an besiedeln und unser Leben lang eine entscheidende Rolle für Gesundheit und Hirnfunktion spielen.

Bei diesem hypothetischen Szenario habe ich mir selbstverständlich ein paar Freiheiten genommen. Es gibt gewisse Faktoren, welche die individuelle Lebensdauer und das Krankheitsrisiko beeinflussen. Konzentrieren wir uns vorläufig jedoch allein auf den Umstand, dass die jeweiligen frühkindlichen Einflüsse auf das Gehirn des Mädchens einen völlig anderen Einfluss haben als auf das des Jungen. Die erwähnte griechische Insel gibt es tatsächlich. Ikaria liegt knapp 50 Kilometer vor der Westküste der Türkei. Die Insel gehört zu den »Blauen Zonen« dieser Erde, wo die Menschen messbar länger und gesünder leben als die meisten Bewohner des hoch entwickelten Westens. Man trinkt dort täglich Wein und Kaffee, bleibt bis weit über 80 Jahre körperlich aktiv und bewahrt bis zum Ende des Lebens einen scharfen Verstand. Eine bedeutende Studie stellte fest, dass die Männer von Ikaria fast viermal so oft wie ein Amerikaner das 90. Lebensjahr erreichen und dabei häufiger gesünder sind.2 Dieser Studie zufolge erkranken sie zudem im Durchschnitt zehn Jahre später an Herzgefäßerkrankungen und Krebs und leiden nicht annähernd so häufig unter Depressionen. Von Demenz ist im Vergleich zu gleichaltrigen Amerikanern nur ein Bruchteil der über 85-Jährigen betroffen.

Bei einer wissenschaftlichen Untersuchung dieser höchst unterschiedlichen Populationen, der wir die eigentlichen Ursachen für unsere gegenwärtigen Gesundheitsrisiken entnehmen könnten, würde dem menschlichen Mikrobiom zweifellos eine Rolle in vorderster Front zukommen. Meiner Überzeugung nach ist es für das menschliche Wohlergehen so unverzichtbar wie Sauerstoff und Wasser. Doch was haben die Keime in unserem Bauch mit dem Gehirn und dessen Erkrankungen zu tun?

Mehr als Sie ahnen!

Wer führt das Kommando? Die Darmflora!

Für die Mikroorganismen in unserem Inneren, die zur Verdauung beitragen, gibt es keine bessere Bezeichnung als Superhelden. Offizielle Schätzungen gehen von mindestens 10 000 verschiedenen Spezies aus, die den menschlichen Darm besiedeln, wobei manche Experten sogar von über 35 000 Arten sprechen.3 Dank neuer Verfahren kann die Wissenschaft heute endlich all die Arten bestimmen, von denen viele sich unter traditionellen Laborbedingungen nicht vermehren ließen.

Im Rahmen dieses Buches konzentrieren wir uns auf die Bakterien, die tatsächlich den Löwenanteil des Mikrobioms ausmachen – neben Hefepilzen, Viren, Protozoen und eukaryoten Parasiten, denen ebenfalls wichtige Rollen für die Gesundheit zukommen. Im Großen und Ganzen sind es jedoch die Bakterien, die eine Schlüsselrolle für unsere körperliche Gesundheit übernehmen, und zwar insbesondere aus neurologischer Sicht. Insgesamt wiegen sie etwa eineinhalb Kilogramm und damit ungefähr so viel wie das Gehirn (übrigens besteht auch das Stuhlgewicht zur Hälfte aus ausgeschiedenen Bakterien).4

In der Schule haben wir gelernt, dass das Verdauungssystem die Nahrung in Nährstoffe zerlegt, bis der Körper diese aufnehmen kann. Wir haben von Magensäure und Enzymen gehört und von den Hormonen, die den Verdauungsprozess steuern. Vermutlich mussten Sie alle Schritte auswendig lernen, die ein Happen Nahrung auf dem Weg vom Mund bis zum Anus durchläuft. Vielleicht haben Sie dabei sogar verstanden, wie Glukose – das Zuckermolekül im Blut – als Energieträger in die Zellen gelangt. Aber bestimmt hat man Ihnen nichts über das phänomenale Ökosystem erzählt, das in unserem Verdauungssystem existiert und praktisch den gesamten Körper befehligt. Niemand hat Ihre Darmbakterien getestet, obwohl deren Erbinformation einen deutlich stärkeren Einfluss auf Ihre Gesundheit haben kann als die von den Eltern ererbten Gene.

Ich weiß, das erscheint unglaublich. Es klingt verrückt. Nach Science-Fiction. Die Datenlage ist jedoch eindeutig: Die Darmflora könnte mit Fug und Recht als eigenständiges Organ betrachtet werden und ist für die Gesundheit ebenso wichtig wie Herz, Lunge, Leber und Gehirn. Jüngste Forschungsergebnisse schreiben dem Mikrobiom, das in den empfindsamen Falten der Darmwände lebt, zahlreiche Funktionen zu:

Unterstützung der Verdauung und der Nährstoffaufnahme.Herstellung einer physikalischen Barriere gegen potenzielle Eindringlinge wie schädliche Bakterien (pathogene Keime), Viren und gefährliche Parasiten. Aus manchen Bakterien baumeln haarähnliche Fäden heraus, mit deren Hilfe sie schwimmen können. Inzwischen wurde nachgewiesen, wie diese sogenannten »Flagella« einen tödlichen Magen-Rotavirus buchstäblich im Keim ersticken konnten.5Entgiftung: Darmbakterien tragen zur Infektabwehr bei und bilden eine Abwehrlinie gegen viele Toxine, die unseren Darm erreichen. Da sie viele Gifte aus der Nahrung neutralisieren, könnte man die Darmflora als zweite Leber einstufen. Sobald man also die erwünschten Darmbakterien vermindert, steigt die Belastung der Leber an.Erheblicher Einfluss auf das Immunsystem: Dass der Darm tatsächlich unser größtes Immunorgan darstellt, ist viel zu wenig bekannt. Die Darmbakterien sind sogar in der Lage, das Immunsystem zu schulen und zu unterstützen, indem sie bestimmte Immunzellen steuern und Autoimmunreaktionen (bei denen der Körper das eigene Gewebe angreift) vorbeugen.Erzeugung und Freisetzung wichtiger Enzyme und anderer Substanzen zur Unterstützung biologischer Vorgänge im Körper.Erzeugung und Freisetzung von Neurotransmittern und anderen chemischen Stoffen (zum Beispiel Vitaminen) für das Gehirn.Unterstützung der Stressbewältigung durch Einfluss auf das endokrine Hormonsystem.Förderung eines erholsamen Nachtschlafs.Unterstützung der Regulierung der Entzündungskaskaden im Körper, was wiederum das Risiko für praktisch alle chronischen Krankheiten beeinflusst.

Die erwünschten Darmbakterien in einem gesunden Darm sind also keineswegs geduldete Schmarotzer, die dort freie Kost und Logis genießen. Vielmehr beeinflussen sie nicht nur das Risiko für Gehirnerkrankungen und psychische Krankheiten, sondern über ihren direkten und indirekten Einfluss auf verschiedene Organe und Systeme auch das Risiko für Krebs, Asthma, Lebensmittelallergien, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Fettleibigkeit sowie Autoimmunkrankheiten. Damit spielen sie eine entscheidende Rolle für die Gesundheit.

Einige Bakterien sind mehr oder weniger Stammgäste und bilden dauerhafte Kolonien. Andere sind eher auf der Durchreise, haben aber dennoch eine große Wirkung. Solche Zaungäste wandern durch das Verdauungssystem und nehmen je nach Art und Eigenschaften Einfluss auf die Gesundheit insgesamt. Sie siedeln sich jedoch nicht dauerhaft an, sondern bilden nur kurzfristig kleinere Kolonien, ehe sie im Rahmen der Darmtätigkeit ausgeschieden werden oder absterben. Solange sie vorhanden sind, übernehmen sie dennoch diverse wichtige Aufgaben. Manche der von ihnen erzeugten Substanzen sind für die Gesundheit und das Gedeihen der dauerhaft angesiedelten Bakterien – und damit letztlich auch für uns – unverzichtbar.

Das Superhirn im Bauch

Um die Verbindungen zwischen Darm und Gehirn umfassend zu verstehen, muss man Erkenntnisse aus Immunologie, Pathologie, Neurologie und Endokrinologie zusammennehmen, die ich an dieser Stelle vereinfacht darstellen möchte. Später können Sie dieses Grundwissen mit jedem neuen Kapitel weiter ausbauen.

Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Ihnen flau im Magen wurde, weil Sie nervös oder in Sorge waren, in Panik gerieten oder von Vorfreude überwältigt wurden? Vielleicht stand eine wichtige Prüfung bevor, ein Vortrag oder die eigene Hochzeit. Das Verständnis für die engen, wechselseitigen Beziehungen zwischen Bauch und Gehirn steckt in der Wissenschaft bisher noch in den Kinderschuhen, doch wir wissen, dass nicht nur das Gehirn Schmetterlinge im Bauch erzeugen kann, sondern auch der Darm dem Nervensystem ein Gefühl von innerer Ruhe oder Alarmstimmung vermitteln kann. Der Vagusnerv als längster der zwölf Hirnnerven ist der primäre Informationskanal, der die vielen Millionen Nervenzellen im Nervensystem des Verdauungstraktes mit dem zentralen Nervensystem verknüpft. Dieser zehnte Hirnnerv erstreckt sich vom Hirnstamm in den Bauch und steuert zahlreiche körperliche Prozesse, ohne dass wir darüber nachdenken müssen, darunter so wichtige Funktionen wie den Herzschlag oder die Verdauung. Interessanterweise hat die Bakterienzusammensetzung im Darm einen direkten Einfluss auf die Stimulierung und Funktion der Zellen entlang des Vagusnervs. Einige Darmbewohner können sogar – wie Nervenzellen – chemische Botenstoffe freisetzen, deren Botschaft über den Vagusnerv an das Gehirn übermittelt wird.

Wenn man an das Nervensystem denkt, kommen den meisten Menschen zunächst Gehirn und Rückenmark in den Sinn. Das ist jedoch nur das zentrale Nervensystem. Sie sollten auch das enterische Nervensystem (ENS) berücksichtigen, das den gesamten Magen-Darm-Trakt durchzieht. Zentrales und enterisches Nervensystem entstehen während der Fetalentwicklung aus demselben Gewebe und sind über den Vagusnerv miteinander verbunden. Vagus bedeutet »Wanderer« und ist ein passender Name für diesen Nerv, der außerhalb des Gehirns durch das Verdauungssystem »wandert«. (Auf diesem Wortstamm beruht auch das Wort »Vagabund«.)

Der Magen-Darm-Trakt umfasst derart viele Nervenzellen, dass nicht wenige Wissenschaftler sie mittlerweile unter dem Begriff »zweites Gehirn« oder »Bauchgehirn« zusammenfassen. Dieses zweite Gehirn steuert nicht nur Muskeln, Immunzellen und Hormone, sondern erzeugt zudem etwas wirklich Wichtiges. Antidepressiva mit Wirkstoffen wie Paroxetin, Sertralin oder Escitalopram erhöhen im Gehirn die Verfügbarkeit des Wohlfühlhormons Serotonin. Dass 80 bis 90 Prozent der Serotoninmenge im Körper von den Nervenzellen des Bauchgehirns erzeugt werden, ist jedoch wenig bekannt.6 Das Bauchgehirn produziert somit weit mehr Serotonin – unser wichtigstes Glückshormon – als das Gehirn in unserem Kopf. Viele Neurologen und Psychiater erkennen darin inzwischen einen Grund, weshalb Antidepressiva bei der Behandlung von Depressionen häufig weniger erfolgreich sind als eine gezielte Ernährungsumstellung. Neueren Forschungen zufolge scheint unserem zweiten Gehirn keineswegs eine Nebenrolle zuzukommen.7 Es kann vielmehr unabhängig vom Hauptgehirn agieren und ohne dessen Zutun oder Impuls viele Funktionen regulieren.

Im Verlauf dieses Buches werde ich noch einiges zur Biologie des enterischen Gehirns erklären. Im jeweiligen Kapitel erfahren Sie mehr über die zahlreichen biologischen Funktionen, an denen das Mikrobiom beteiligt ist. Auch wenn auf den ersten Blick kein Zusammenhang zu bestehen scheint – zum Beispiel zwischen der Aktivität des Immunsystems und der Insulinausschüttung durch die Bauchspeicheldrüse –, wird Ihnen bald klar werden, welcher gemeinsame Nenner hier zugrunde liegt, nämlich die Darmflora. Unsere winzigen Mitbewohner sind nicht nur die Türsteher im Körper, sondern führen auch das Regiment. Sie bilden die zentrale Schaltstelle und sind die unbesungenen Helden und Partner für unsere Gesundheit.

Mit diesem Wissen erklären sich gewisse körperliche Reaktionen auf Stress, ob physischer Stress (wenn wir vor einem Einbrecher davonlaufen) oder psychischer (wenn wir den Chef nicht verärgern wollen). Dummerweise ist der Körper nicht schlau genug, zwischen diesen beiden Stresssituationen zu unterscheiden. Deshalb klopft das Herz, wenn wir die Flucht ergreifen, genauso stark, wie wenn wir zum Chef gerufen werden. Beide Szenarien werden vom Körper als Stress empfunden, auch wenn nur die eine – dem Angreifer entkommen – tatsächlich lebensbedrohlich ist. Bei beiden Anlässen schüttet der Körper daher reichlich natürliche Steroide und Adrenalin aus, und das Immunsystem gibt Botenstoffe frei (entzündungsfördernde Zytokine), die den Körper in höchste Alarmbereitschaft versetzen. Für kurzfristige Gefahren ist dieses Modell angemessen, aber was geschieht, wenn der Körper ständig unter Stress steht (oder dies zumindest glaubt)?

Die meisten Menschen sind nicht unablässig auf der Flucht vor Einbrechern, doch körperlicher Stress umfasst auch die Begegnung mit potenziell tödlichen Giften und Krankheitserregern, die wir unter Umständen tagtäglich über die Nahrung aufnehmen. Wenn der Körper auf eine Substanz oder Zutat trifft, die er nicht mag, geht es nicht unbedingt um Kampf oder Flucht und das Herz schlägt nicht sofort bis zum Hals, aber es kommt definitiv zu einer Immunreaktion. Und eine chronische Immunaktivität mit den daraus erwachsenden Entzündungsreaktionen führt zu chronischen Erkrankungen von Herz und Hirn (Parkinson-Krankheit, Multiple Sklerose, Depressionen, Demenz), Autoimmunerkrankungen, der Darmerkrankung Colitis ulcerosa und Krebs. Diese Zusammenhänge sehen wir uns im folgenden Kapitel näher an. Vorläufig halten wir fest, dass amoklaufende Entzündungsreaktionen die verschiedensten Krankheiten hervorrufen können und dass das Immunsystem die Entzündungsbereitschaft reguliert. Wie aber hängt dies mit dem Mikrobiom zusammen? Nun, das Mikrobiom reguliert wiederum die Immunreaktion und hat damit ebenfalls Anteil an der Entzündungsbereitschaft im Körper. Hierauf möchte ich etwas genauer eingehen.

Gegen die unablässige Bedrohung durch schädliche Substanzen und Keime haben wir ein hervorragendes Abwehrsystem, nämlich das Immunsystem. Sobald es beeinträchtigt ist, fallen wir rasch den verschiedensten Krankheitserregern zum Opfer. Ohne ein funktionsfähiges Immunsystem kann schon ein Mückenstich fatale Folgen haben. Und selbst ohne äußere Einwirkungen sollten wir uns vor Augen führen, dass jeder Quadratzentimeter unserer Hautoberfläche immer wieder von zahllosen gefährlichen Organismen besiedelt wird, die uns leicht das Leben kosten könnten. Gleichzeitig sollten wir uns klarmachen, dass das Immunsystem nur dann optimal funktioniert, wenn es im Gleichgewicht ist.

Ein überaktives Immunsystem kann Probleme wie Allergien auslösen, in schweren Fällen bis hin zum anaphylaktischen Schock, einer extremen, lebensbedrohlichen Reaktion. Hinzu kommt, dass ein fehlgesteuertes Immunsystem körpereigene Proteine im Zweifelsfall als Fremdkörper einstuft und dann den Körper selbst attackiert. Dieser Mechanismus liegt allen Autoimmunkrankheiten zugrunde. In der Regel gehen wir mit aggressiven, immunsuppressiven Arzneimitteln dagegen vor, die häufig erhebliche unerwünschte Wirkungen haben – unter anderem Veränderungen der Darmflora. Das Immunsystem ist schuld, wenn ein Patient nach einer Transplantation das lebensrettende Organ abstößt. Andererseits kann der Körper damit beispielsweise Krebszellen entdecken und ausschalten, ein Prozess, der in diesem Moment auch in Ihrem Inneren abläuft.

Der Darm besitzt mit dem darmassoziierten lymphatischen Gewebe (GALT) sogar ein eigenes Immunsystem, das etwa 70 bis 80 Prozent unseres gesamten Immunsystems umfasst. Das verrät viel über die Wichtigkeit (und die Verwundbarkeit) des Darms. Wenn die Ereignisse, die im Darm stattfinden, nicht derart lebenswichtig wären, müssten unsere Abwehrzellen sich nicht in dieser Form dort ballen, um uns zu schützen.

Der Grund für diesen massiven Aufmarsch im Darm ist ganz einfach: Die Darmwand ist eine Schranke zur Außenwelt. Abgesehen von der Haut ist dies der Ort, an dem der Körper am leichtesten auf Fremdmaterial und fremde Organismen trifft. Zudem steht die Darmwand in ständigem Austausch mit allen anderen Immunzellen im Körper. Wenn hier eine problematische Substanz auftaucht, wird der Rest des Systems in Alarmbereitschaft versetzt.

Wie wichtig die Unversehrtheit der empfindlichen Darmwand ist, zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch. Die Darmwand ist nämlich nur eine Zelle dick! Sie muss intakt bleiben und zugleich die Signale zwischen den Darmbakterien auf der einen Seite und den Zellen des Immunsystems auf der anderen Seite übermitteln. Auf einer von mir besuchten Konferenz im Jahr 2014, die sich ausschließlich mit Erkenntnissen zum Mikrobiom befasste, bezeichnete Dr. Fasano von der Universität Harvard diese Immunzellen, die Signale von den Darmbakterien erhalten, als »First Responders« – die erste Wachmannschaft des Körpers. Die Darmbakterien übernehmen dabei die Rolle des Ausbilderteams, welches das Immunsystem wachsam hält, ohne gleich die volle Abwehrreaktion auszulösen. Es überwacht und schult die Grundaktivität des Immunsystems und verhindert damit letztlich, dass die Immunzellen in der Darmwand auf Lebensmittel unangemessen reagieren und Autoimmunreaktionen in Gang setzen. In den späteren Kapiteln sehen wir uns an, wie wichtig das darmassoziierte lymphatische Gewebe für die Gesundheit des Körpers insgesamt ist. Hier ist unsere innere Armee stationiert, die ständig nach Bedrohungen Ausschau hält, welche über den Darm heranrauschen und den Körper bis hin zum Gehirn schädigen könnten.

Tierversuche wie auch Experimente am Menschen belegen, dass schädliche oder pathogene Keime im Verdauungssystem Krankheiten auslösen können – allerdings nicht nur als unmittelbare Krankheitserreger. Zum Beispiel wissen wir, dass Helicobacter pylori für die Entstehung von Magengeschwüren verantwortlich ist. Darüber hinaus können pathogene Bakterien aber auch mit dem Immunsystem im Darm in Kontakt treten und auf diesem Weg die Ausschüttung von entzündungsfördernden Molekülen und Stresshormonen auslösen, als würden sie den Schalter für die Stressreaktion umlegen. Und prompt glaubt der Körper, wir würden von einem Löwen belauert. Jüngsten Erkenntnissen zufolge können die schädlichen Bakterien auch das Schmerzempfinden verändern: Menschen mit einem unausgewogenen Mikrobiom scheinen schmerzempfindlicher zu reagieren.8

Gute Bakterien im Darm vermögen das Gegenteil. Sie versuchen, die Anzahl und die Einflüsse der unerwünschten Mitbewohner einzudämmen, und haben gleichzeitig einen positiven Einfluss auf Immunsystem und Hormonsystem. Auf diese Weise können die wohltuenden Bakterien jene chronische Immunreaktion abstellen. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, Kortisol und Adrenalin in Schach zu halten, also jene zwei Stresshormone, die bei ständigem Vorhandensein großen Schaden im Körper anrichten.

Jede große Gruppe Darmbakterien besteht aus vielen verschiedenen Stämmen, von denen jeder einzelne unterschiedliche Auswirkungen haben kann. Die stärksten Gruppen unserer Mitbewohner, die über 90 Prozent der Bakterien im Dickdarm ausmachen, sind die Firmicutes und die Bacteroidetes. Firmicutes gelten als die »fettliebenden« Bakterien, denn sie haben ein größeres Arsenal an Enzymen zur Verdauung komplexer Kohlenhydrate im Repertoire, sodass sie der Nahrung mehr Energie (also Kalorien) entziehen können. Kürzlich wurde auch nachgewiesen, dass sie entscheidend zur besseren Fettaufnahme beitragen.9 Forschungen zufolge haben fettleibige Menschen einen höheren Anteil von Firmicutes in der Darmflora, wohingegen schlanke Menschen mehr Bakterien aus der Familie der Bacteroidetes vorweisen können.10 Der proportionale Anteil dieser zwei Gruppen – das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroidetes (das F/B-Verhältnis) – ist ein wichtiger Faktor für Gesundheit und Krankheitsrisiko. Zudem wissen wir mittlerweile, dass höhere Mengen an Firmicutes sogar Gene aktivieren, die das Risiko für Übergewicht, Diabetes und sogar Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.11 Denken Sie darüber nach: Eine Veränderung im Verhältnis dieser Bakterien zueinander kann die Genexpression, also die Aktivität Ihrer Gene, verändern!

Die besterforschten Bakterienstämme heutzutage sind Bifidobacterium und Lactobacillus. Diese Bezeichnungen müssen Sie sich jedoch keineswegs einprägen. In diesem Buch ist von zahlreichen Bakterienarten mit komplizierten lateinischen Namen die Rede, doch ich verspreche Ihnen, dass Sie am Ende viele davon unterscheiden können. Wir können zwar noch nicht mit Sicherheit sagen, welche Stämme in welchem Verhältnis für die Gesundheit optimal sind, doch generell geht man davon aus, dass Vielfalt Trumpf ist.