Schluss machen auf einer Insel - Nikola Richter - E-Book

Schluss machen auf einer Insel E-Book

Nikola Richter

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Beschreibung

Sie fahren zusammen mit dem Fahrrad durch die Stadt im Sommer, sie stellen die großen Fragen und finden kleine Antworten, sie baden im Wannsee und spielen Rollenspiele. Das Mädchen ist ein bisschen verliebt in Goran und träumt vom Küssen. Sie lädt ihn zum Essen ein, und dann kommt Goran in Begleitung von Magda. Wenn zwei sich treffen, ist das oft eine komische Sache - merkwürdig, verkrampft, unsicher das eine Mal, locker, selbstbewusst, geradeheraus das andere. In Schluss machen auf einer Insel durchleuchtet Nikola Richter das Zueinanderkommen zweier Menschen, meist Mann und Frau, meist in der Phase des Kennenlernens. Oft scheitert die Begegnung daran, dass am Anfang alles so unsicher ist und dass beide so viel erhoffen und erdenken. Zwanzig instabile Beziehungskonstrukte von der Meisterin der Beobachtung, erfolgreich erprobt auf Berliner Lesebühnen.

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Storys

 

 

 

 

 

Berliner Taschenbuch Verlag

Prophylaxe

Da beschlagen schon wieder die Scheiben, und der Blick nach draußen wird weich, aber betrübt. Kemper sagt mir immer, trockne die Wäsche nicht in deinem Zimmer, die Verdunstungskälte, du weißt doch. Bei fünf Kilo Wäsche musst du zehn Prophylaxeorangen essen. Aber ich zieh mir dicke Socken an, atme die feuche Luft, stelle die Heizung auf Stufe 6, das geht schon. Kemper droht, wenn du gewaschen hast, besuch ich dich nicht. Das hast du davon. Wir sind doch nicht bei Spitzwegs armem Poeten. Obwohl mir das lieb wäre. Spitzwegstadt. Oder auch Greifswald. CDF-Stadt. Ach, alle diese Malermänner. Ich würde über den hanseatischen Marktplatz schlendern, das Meeresrauschen käme zerstückelt über die gebeugten Häuser durch die engen Gassen, kleine Kiefern duften, Sand in meinen Augen und Ohren, diese Böen, Salz macht Hunger, ich würde Aal kaufen. Fetten Aal, und den mit der Hand essen. Und Eldena besuchen, in der Ruine picknicken. Diesmal nicht Aal, sondern Stullen. Und Schmand mit Glumse. Aber Kemper ist total dagegen. Bist du bescheuert, sagt er, und schmollt. Du hast sowieso einen Waschtick.

Wenn der mich früher erlebt hätte. Früher habe ich Leinen durch die Räume gespannt und alles darauf gehängt. Wenn ich in mein Zimmer wollte, musste ich Hemden, Socken und Unterhosen zur Seite schieben. Es roch intensiv nach Parfüm. Ariel war mein Lieblingsduft, auch wenn ich mich jetzt als Markenschwein oute. Ich könnte auch sagen: Spee war mein Lieblingsduft. Damit würde ich mich als Ost-Markenschwein outen. Damals jedenfalls kam diese Jeanswerbung im Fernsehen, die im Waschsalon spielt, wo der Typ seine Hose auszieht, um sie mal so richtig durchzuschleudern, was die Hose natürlich aushält, sogar noch besser macht. Der Typ steht also eine Weile vor der sich drehenden Waschtrommel, ohne Hose, und sieht wahnsinnig sexy aus. Anfang der Neunziger kaufte deshalb jeder diese Röhrenhosen. Auch ich hatte welche, die knapp unter der Hüfte saßen und einen Knackarsch machten. Damals kannte ich Kemper noch nicht. Kemperschnemper, du flotter Tramper. Damals stand ich auf dunkelhaarige Männer, denn ich hatte Alexis Sorbas gesehen, mich in seinen Tanz verliebt und eine Fixierung für Griechen entwickelt.

Ein Problem mit den Röhrenhosen waren die engen Taschen. Eine Freundin sagte, die seien gerade groß genug, um darin ein Kondom aufzubewahren. Ein anderes Problem war, dass der dünne Stoff am Hintern nach kurzer Zeit aufscheuerte. Man sagte mir, dass Jeansmaterial ein wilder Cowboystoff sei, also riss- und beißfest, doch diese Tradition wurde von der Produktionsabteilung nicht beachtet. Man musste sich bunte Flicken kaufen, welche zum Aufbügeln, die sich nach einer Wäsche wieder ablösten, und sagen: Das ist cool jetzt. Als ich meinen ersten griechischen Mann kennen lernte, war das mit meiner 1A-Röhrenhose mit aufgetrennter Naht ohne Flicken. Und das mit den Kondomen in den Taschen hatte ich noch nicht ausprobiert.

Kemper winkt jetzt ab und sagt: Schon x-mal gehört. Hast du nichts Neues? Alte Kamellen. Kemper hat ein gutes Gedächtnis und hört nicht gerne zu. Also sage ich: Nimm dir den Föhn und trockne meine Wäsche, dann hörst du mich nicht und machst dich gleichzeitig nützlich. Kemper findet das nicht lustig. Heute macht er echt Schwierigkeiten. Er ist bestimmt neidisch auf die Griechen. Dabei hat er auch schöne Haare, jedenfalls für einen Nichtgriechen. Ich fahre ihm über den Kopf und wuschele ihn ein bisschen durch. Das gefällt ihm meistens. Dann ist er erst mal ruhig. Heute aber nicht. War ja klar. Heute ist er bockig. Wolln wir nicht schwimmen gehen? Oder Tischtennis spielen? Oder mal wieder Halma? Kemper hat immer tolle Ideen. Mit Kemper verbringt man super Nachmittage. Ich schick ihn los, und er holt uns was vom Chinesen. Dann kann ich kurz die Griechengeschichte zu Ende erzählen.

Mir fällt ein, ich könnte die alte Jeans anziehen, um mich wieder als Griechenschlampe zu fühlen, jetzt, wo Kemper weg ist. Er hat nicht viel übrig für Nostalgie, er findet das absolut überflüssig. Ist doch alles vorbei, sagt er. Fehlt nur noch, dass er Carpe diem sagt, damit ich im Heute lebe, oder Schau mir in die Augen, Kleines, ich bin auch noch da, aber das macht er nicht, denn er kann sich Sprüche schlecht merken. Die Hose liegt ganz unten im Schrank mit Liegefalten und passt mir natürlich nicht mehr so richtig. Den obersten Knopf muss ich auflassen. Sehr sexy.

Der Grieche brachte mich in der besagten Nacht bis zur Haustür. Wir hatten uns auf einer Party kennen gelernt, auf die ich wie zufällig gestolpert war. Man kennt das: Man ist auf dem Heimweg, auf einmal schwebt Musik aus einer Wohnung, aus einem Hausflur, Stimmen und Rhythmen, etwas, das vertraut erscheint, obwohl man es nicht kennt. Sanfte Beleuchtung als Einladung. In arabischen Ländern stellt man eine Kerze ins Fenster, um zu zeigen, dass ein Gast drei Tage hier ungefragt und kostenlos übernachten darf. Kurz überlegt man, ob man dem Licht folgen soll oder nicht, aber die Nacht ist schon fast vorbei, jetzt oder nie, man wollte doch ausgehen, also geht man hinein.

Im Flur umarmte sich ein Pärchen, die Tür war angelehnt, pulsierende Schatten, Rauchschwaden, Rausch. Näher dran. Mein Grieche stand auf einmal vor mir und zog mich auf die Tanzfläche. So einfach geht das, Kemper, sage ich dann immer. Ich weiß gar nicht, wie lange wir tanzten. Jedenfalls begleitete er mich nach Hause, als ob er das schon immer getan hätte, er ging einfach mit mir aus der Wohnung. Auf dem Weg ruhten wir uns auf einer Bank aus, es wurde hell über den Häuserdächern, die Vögel waren zurück. Er fragte, ob er mich küssen könne, ich sagte, ja klar, küss mich mal. Noch diesen Geschmack von Pflaumenschnaps im Mund. Seine Freunde und er tranken nachts, gegen Morgen, nur noch Pflaumenschnaps, redeten von der Sonne auf Zypern und von Strandtagen, boten mir von allen Seiten Zigaretten an und fragten mich, wie alt ich sei. Sie waren natürlich noch sehr jung. Du musst mich mal besuchen kommen im Sommer, sagte mein Grieche, dann grille ich für dich eine Ziege und nehme dich aufm Roller mit. Kemper unterbricht mich natürlich, weil er scharf kombiniert: Wie habt ihr euch eigentlich verständigt? Was heißt denn bitte Ziege auf Griechisch? Und ich verdrehe dann die Augen: Mensch, Kemper, es gibt ja noch andere Sprachen. Weil er sich immer freut, wenn ich die Mathekenntnisse aus der Grundschule in meine Sätze einfließen lasse, sage ich dann: Wir benutzten die Schnittmenge aus unseren Fremdvokabularen. Und viel haben wir sowieso nicht geredet.

Vor meiner Tür klapperte ich mit dem Schlüssel, und der Grieche, ganz Mann, nahm ihn mir aus der Hand, schloss auf, bat mich herein und trat danach hinter mir ein. Darin bewies er taktische Klugheit. Das muss an dieser Stelle auch Kemper zugeben. Er fragte nicht: Wo ist dein Zimmer?, sondern ließ mich einfach vorausgehen. Dort hielt ich ihm dann die Tür auf. Kemper murmelt: Gastfreundschaft, jaja. Uns schlug eine kalte, klamme Luft entgegen, denn ich hatte gewaschen. Kaum waren wir im Zimmer, drängte er mich gegen den Tisch, auf den ich mich mit einer Pobacke setzte, und riss mir die Bluse auf. Man würde es nicht glauben, wenn man es nicht mal erlebt hat, Kemper, sag ich. Lass mich doch einfach erzählen. Denn jetzt sitzt er nur noch da und formt mit den Lippen das Wörtchen Klischee. Also, der Grieche reißt mir die Bluse vom Leib, reißt die Hose auf, seine und meine. Geht alles schnell, ich komm gar nicht mit, lass mich einfach mitziehen, dann auf den Boden werfen, abküssen, abbeißen, ja, gebissen hat er auch ganz gut. Das sehe ich erst am nächsten Morgen, als ich mir die Zähne putze und im Spiegel einen zerschundenen Hals entdecke. Wie heroisch, seufzt Kemper, wie passioniert. Wars denn wenigstens schön? Ich sage nichts, sondern konzentriere mich auf die Details. Kemper hat einfach null Fantasie, null Pathos, null Ekstasefähigkeit. Der muss noch einiges lernen. Von dem lass ich mich nicht ablenken.

Ich liege also auf dem Boden, der junge Liebhaber über mir, nicht zu bremsen, ich bin überrumpelt und denke: Das ist doch nicht wahr. Die Matratze hat er vom Bett geschmissen, darauf rollen wir jetzt so rum, die Decke benutzen wir sowieso nicht, dabei ist es nicht gerade warm. Man legt sich ja auch nicht freiwillig im November nackt auf eine feuchte Wiese. Der Grieche scheint genug Hitze in sich zu tragen. Ab und zu stöhnt er in einer fremden Sprache, sagt mir das neu gelernte griechische Wort Sonne ins Ohr, wenn er sich an meinen Haaren festkrallt. Ist bestens ausgerüstet mit Material, scheint also doch genau in Jeanstaschen zu passen, rollt runter, atmet schwer, ist aber gut trainiert. Ich finde das alles sehr beeindruckend. Er fackelt nicht lange rum, sagt: Morgen flieg ich nach Hause. Hab in den letzten Monaten fast keine Nacht in meinem Bett geschlafen, und grinst. Eigentlich ein ziemliches Arschloch. Er steigt in seine Hose, und für einen kurzen Moment sehe ich die schwarzen, feinen Haare, die sich um seinen Bauchnabel herumranken, für einen kurzen Moment ist die Mischung aus Bauchhaut, Bauchhaar und Jeans der vollkommen passende Anblick um fünf Uhr morgens. Ich stehe nicht auf, hebe nur kurz meine Hand, als er geht. Manos, der Grieche aus Zypern. Ich schlafe ein und denke: So was. Was war das? Alexis Sorbas.

Es klingelt an der Tür. Wird Kemper sein. Die Hose drückt total, aber mein Hintern sieht gut aus. Öffne ich ihm also die Tür und zeige ihm nur meine Rückseite. Leider sehe ich sein Gesicht dabei nicht, aber er sagt sofort: Viel zu eng für dich. Du charmanter Kemper. Wir müssten wirklich nach Greifswald fahren. Denn dort wurde romantische Kunst geschaffen. Könntest du dir einiges abgucken. Mir ist kalt, sage ich, Kemper, mach die Tür zu. Ich stelle mal die Heizung höher. Aber Kemper dreht mich herum, auf die halb offene Leiste starrend, und knöpft sie langsam auf. Das geht besonders schlecht, wenn die Jeans frisch gewaschen ist, dann ist der Stoff noch so hart.

Ich drücke mein Gesicht kurz in die frischen Hemden um mich herum, etwas feucht, aber angenehm, und alles wird warm und Ariel. Und es ist eigentlich wie Griechenland, wie Sirtaki und Ouzo und weiß gekalkte Häuser und streunende Katzen, wie sich von Tag zu Tag bräunende Haut, wie Oregano und Rosmarin, ganz viel Rosmarin (ich weiß gar nicht: wächst auf Zypern Rosmarin?), wie Orangen an Orangenbäumen in Orangengärten, Zitronen in Zitronengärten, wie staubige Wege und warme Nächte, nur viel, viel besser.

Interconti

Das Land saust unter den Füßen durch, 200 km/h mit Ricarda Huch, Ricarda: deutsche Dichterin (1864–1947), sagt das Faltblatt Ihr Reiseplan, und der Zugchef Rainer Wichmann begrüßt mich und alle neu dazugestiegenen Fahrgäste ganz herzlich, die Waggons der ersten Klasse befinden sich im vorderen Zugteil, und das Bistro bietet wieder ungeheuer günstig eine Tasse Kaffee mit einem süßen Stückle an, nur solange der Vorrat reicht. Gleich kommt der Brezelverkäufer. Ich sause wie eine Wahnsinnserkenntnis dahin, habe jedoch trotz des deutlichen Ziels vor meinen Augen eine Wahnsinnsleere im Beckenbereich. Dagegen draußen ziemlich volle Flüsse, es ist Frühjahr, da schmelzen die Gletscher und sehnen sich nach grünen Tälern und bestellten Äckern, also das beruhigt mich ungemein, dass es in der Natur noch so etwas wie Fülle und Überfluss gibt, nicht nur am Frühstücksbuffet im Fünfsternehotel.

Es summt leis und fein um mich herum. Ricarda gibt sich alle Mühe, eine Wohlfühlstimmung zu erzeugen. Als ich mich aber auf die Lehne stütze, um auch physisch eine entspannte Haltung einzunehmen, verspüre ich einen durchdringenden Schmerz. Lange Schürfwunden auf meinen Ellenbogen erinnern mich jäh an meine körperlichen Grenzen und an ein Erlebnis auf dem Teppich des Hotel Interconti, das ich lieber verdrängen würde. Meine Ellenbogen waren einfach nicht dazu gemacht, eine gewisse Zeit lang auf dem Fußboden gymnastische Bewegungen mit einem Gegenüber abzufedern. Sogar Edelhotels verwenden für ihren Bodenbelag hartfaserige, da leicht zu reinigende Auslegeware. Diese hinterlassen rot gescheuerte Stellen an den Hautpartien, die zu lange auf das Material gedrückt wurden.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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