Schlüssel zwischen Tod und Liebe - Ulrike Christa Köhler - E-Book

Schlüssel zwischen Tod und Liebe E-Book

Ulrike Christa Köhler

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Beschreibung

Kurzgeschichten, Prosagedichte

Das E-Book Schlüssel zwischen Tod und Liebe wird angeboten von tredition und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Geschichten, Gedichte, Erinnerungen, Frohe Weihnachten, Familie, Wohnung, Gesicht, Fenster, Gottes Willen, schreiben, Geschichte, alter Mann, Treppe, Arbeit, Tasche, Frankfurt, Licht, Schreibwerkstätten, Belletristik, Pflanze, Weihnacht, Kirche, Kurzgeschichte, Wohnung mieten, Wohnungstür, Fröhliche weihnachten, Cross-a-Pix, Freund, Gedanke

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Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Ulrike Christa Köhler

Schlüssel zwischen Tod und Liebe

Kurzgeschichten und Prosagedichte

www.tredition.de

© 2017 Ulrike Christa Köhler

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7439-2127-6

Hardcover:

978-3-7439-2128-3

e-Book:

978-3-7439-2129-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Literarische Schöpfungsgeschichte

Die Glocken

Zwischen Weihnachtsbrauch und Indianerromantik

Günter der Eiskönig,

Günter der Spion

Günter der Archäologe

Günter und die Schule

Das Mädchen mit dem Brennglas

Die Störche sind zurück

Keine Ruhe vor dem Fest

Wo ist meine Brille

Die peinliche Trauerfeier

Das Kind ist weg

Schuldlos

In der Hitze der Nacht

Endlich Ferien

Ein neues Gemälde

Münzen und ihre Wege

Das Bild im Schaufenster

Auf der Dippemess

Frankfurt auf der Zeil

Wir sind keine Mörder

Der Einbrecher

Weiße Zigeuner

Die blaue Katze

Gerettetes Leben

Das verlorene Paradies

10 Jahre nach der Flucht

Flüchtlinge oder schon Neubürger?

Leben hinter der Front

Der Pilger

Die Fliege an der Wand

Die Geisha

Was ist Heimat?

Das Boot im Tiger Delta

Die Schuhe könnten es bezeugen

Grün wie Klee

Grabpflege

Die Frau als Vampir

Die Uhr

Piazza del Popolo

Geduld brauchen wir

Frost und Schnee

Musik ist mein Leben

Schlüssel zwischen Tod und Liebe

Gottes Arm

Goldstaub

Literarische Schöpfungsgeschichte

Wie es auch gewesen sein könnte

Gott schuf die Welt, Land und Meere,

Berge, Wälder, Steppen und Seen.

Darauf Insekten, Säugetiere und Vögel.

Fische schwammen in den Meeren.

Es wuchsen die unterschiedlichsten Pflanzen

bis hinauf in die Berge in allen Regionen der Erde.

Die Tiere lebten teilweise voneinander aber auch

von dem reich gedeckten Tisch der Pflanzenwelt.

Als Gott das sah, war er sehr zufrieden.

Doch dann grübelte er und ihm war klar,

dass kein Wesen seine Schöpfung erkannte,

sondern alle nur instinktiv ihr eigenes Wohlsein

und Überleben im Sinn haben.

Von der Erschaffung dieser Welt,

von einem Schöpfer, wussten sie nichts.

Gott aber vermisste Anerkennung und Dankbarkeit.

Deshalb erschuf er ein weiteres Wesen,

das ihm zwar ähnlich, aber nicht gleich war.

Ihm maß er den dazu nötigen Verstand zu.

Als er so grübelnd am Ufer eines Sees saß,

wühlte er gedankenverloren im Sand der Böschung.

Da hatte er plötzlich Lehm in Händen und begann

mit wachsender Begeisterung diesen zu formen.

Er formte ein schönes männliches Wesen,

das gefiel ihm so gut, dass er sogleich begann

auch ein zweites Wesen aus Lehm zu gestalten,

das alle Merkmale von Weiblichkeit trug.

Danach hauchte er beiden Formen Leben ein

und siehe da, Adam und Eva standen vor ihm,

jung und rein. Sie waren die ersten Menschen

und Gott verließ die Erde voller Zufriedenheit.

Er wartete nun, dass seine Menschen sich einrichteten

und die Erde wunderbar und lobenswert fänden.

Diese betrachteten sich neugierig aber voller Scheu.

Sie entdeckten, wovon sie sich ernähren konnten.

Doch auch Angst gehörte bald zu ihrem Alltag.

Sie halfen sich gegenseitig, wenn Gefahren drohten.

Wenn wilde Tiere ihnen zu nahe kamen mussten sie

kämpfen und Adam selbst geschnitzte Pfeile werfen.

Eines Tages kamen sie sich so nahe,

dass Adam die weiche Haut Evas spürte.

Das erregte ihn sehr und von da an

interessierte ihn die Beschaffenheit ihres Körpers.

Er berührte vorsichtig ihre Brüste

und sah, dass es ihr wohl dabei war.

Er tastete sich weiter hin zu ihrem Leib

und fühlte, dass dieser flach wie eine Kule war.

Und weiter tastete er sich abwärts

und berührte zwei weiche Lippen, die zwar

geschlossen aber leicht zu öffnen waren.

Ideal, seinen Penis aufzunehmen.

Wohlige Wärme fühlte er darinnen

und Eva jauchzte vor Wollust

Auch ihn überkamen heftige Gefühle,

so dass er sich befreiend in ihr ergoss.

Das war wunderbar und von da an

waren Adam und Eva ein Paar.

Sie zogen sich derart gegenseitig an,

dass sie diese neue Gemeinsamkeit

alle Tage wieder erleben wollten.

Nach einigen Monaten schwoll Evas Bauch

sehr an. War es möglich, dass Adam so viel

von sich selbst in sie hineinfließen ließ, dass

nun ein neuer Adam heranwachsen sollte?

Schließlich gebar Eva unter Schmerzen ihr erstes Kind.

Sie hegte und pflegte den Jungen, damit er gut groß wurde.

Adam freute sich schon sehr, dass er bald

mit einem jungen Mann zur Jagd gehen könnte.

Adam und Eva liebten sich auch weiterhin sehr.

Eva wollte immer wieder von Adam in ihr Paradies,

die höchsten Höhen hinaufgewirbelt werden

und so wurde Eva alle Jahre wieder schwanger.

Diese fortdauernde Wollust aber gefiel Gott nicht.

Er hatte versäumt, die Fruchtbarkeit der Frau

zu begrenzen. Sicher, die Erde war groß aber

sie war auf Ewigkeit angelegt und nicht auf Untergang.

Schließlich warf die fünfzehnte Geburt

Eva derart danieder, dass sie früh verstarb.

Adam trauerte 10 Jahre um sie. Danach entschied

er sich mit der ältesten Tochter zu vermählen.

Die blieb bei Adam und schenkte ihm weitere Kinder.

Die Geschwister aber bildeten Paare,

und gründeten weitere Familien.

Sie wanderten aus dem Heimattal, zogen durch

die Lande nach Norden, Süden Osten und Westen.

Und immer wieder mussten sich Familien aufteilen,

um besser überleben zu können.

So bevölkerten sie nach tausenden von Jahren

den größten Teil der Erde. Wenn sie sich

begegneten, dann wussten sie nicht

dass sie eigentlich Geschwister waren.

Da sah Gott sich gezwungen, die paradiesischen

Zustände zu beenden. Er schickte von Zeit zu Zeit

Erdbeben, Feuersbrunst und Seuchen übers Land,

auf dass die Menschen demütiger würden.

Und die Gier und der Wille zur Macht waren so groß,

dass die Männer einander bekämpften.

Abwechselnd eroberten sie Land und verloren Land

Sie vertrieben einander und töteten einander.

Nun dankten sie einem Gott, den sie nicht kannten,

der auch noch keinen Namen hatte,

der aber da droben, über ihnen existieren musste,

für Erfolge und alles was gut war, in ihrem Leben.

Gleichzeitig begannen sie aber auch, sich flehentlich

an diesen Gott zu wenden, vorwiegend mit der Bitte

um Kindersegen. Gesundheit, gute Nahrungsgründe

und die Vermeidung von Katastrophen jeglicher Art.

Und noch immer setzte Gott auf den Verstand,

den er schon Adam und Eva beigegeben hatte

und darauf, dass Menschen lernten sich zu beschränken

um diese schöne Erde nicht zu zerstören.

Die Glocken

Kindheitserinnerungen

„Doe Gewitteraas, der Deibel soll Dich hole, wart, ich versohl Dir de Hinnern dou Bankert“, so schallt es hinter Klaus her, als er leise aus der Speisekammer geschlichen kommt. Schnell steckt er das gestohlene Plätzchen in den Mund, rennt quer durch die Küche, über die Diele mit den schönen schwarz weißen Fließen, auf die jetzt ein Teil des Plätzchens fällt, das ihm aus dem Mund rutscht. Er drückt die schwere Haustüre auf und nichts wie hinaus ins Freie. Dahin, wo Ottilie, das Dienstmädchen mich nicht findet, denkt er kurz. Seine Blicke wandern über die Straße, die Stufen vor der Kirchmauer hinauf zum Kirchhof und die wenigen Schritte zur Kirche hin. Noch im selben Augenblick sieht er, dass die Kirchentür offen steht. Schnell hetzt er hinüber. Drinnen im schwach erleuchteten Kirchenraum sieht er kein rechtes Versteck und eilt deshalb die Treppe hinauf zur Empore. Kurz schaut er hinunter, um zu sehen, ob Ottilie ihm folgt. Er sucht die Orgel ab, ob es dahinter ein Versteck gäbe. Aber nein, da ist nichts und plötzlich entdeckt er eine Holzleiter, die durch die Decke hindurch hinauf in den Turm geht. Die hatte er noch nie gesehen und vorsichtig steigt er hinauf. Zwischen jeder Stufe kann er hindurchschauen und bald befindet er sich oberhalb der Holzdecke. Die besteht hier oben lediglich aus rohen Balken, während sie von unten doch so schön angemalt ist und man fast hätte denken können, dass darüber die himmlischen Heerscharen wohnen. Die Stiegen gehen weiter und weiter und schließlich steht er im Glockenraum des Turmes. Drei riesengroße Glocken hängen hier nebeneinander an einem Balken, der ebenso roh geschnitten ist, wie diejenigen von der Kirchendecke darunter. Schön hell ist es hier, weil es rundherum, Schießscharten gleich, schmale Fensterlöcher gibt, durch die er jetzt nach unten schaut. Die Straße und das Pfarrhaus liegen tief unter ihm. Hier wurden seine Mutter, seine Schwester und er selbst vor einiger Zeit einquartiert, weil in Frankfurt die Bomben fallen. Die Bomben sollen sehr laut sein und das wäre schlecht für das Baby in Mutters Bauch. Deshalb wohnen sie jetzt hier. Nichts rührt sich auf der Straße. Ottilie hat sicher längst aufgegeben. Die ist mit der Zubereitung des Weihnachtsessens beschäftigt. Als er sich gerade beruhigt abwendet, um die Stiegen wieder hinunter zu klettern, da ertönt plötzlich direkt neben ihm ein schrecklicher Höllenlärm. Die Glocken dröhnen, wie von Geisterhand getrieben, mit einem nie gehörten Getöse. Der Boden unter seinen Füßen bebt und der ganze Turm erzittert. Das Zittern erfasst auch ihn und wie vom Teufel gejagt, rennt er davon. Er erwischt die oberste Stufe der Holzstiege nicht richtig und rollt kopfüber purzelnd die ganze Treppe hinunter. Endlich liegt er still direkt vor den Pedalen der Orgel. Sein Kopf ist total leer. In seinem Körper rasen Atem und Puls um die Wette. Nur liegen bleiben, sagt ihm eine innere Stimme. Endlich spürt er, wie die Gedanken ganz allmählich wiederkehren und wie sein Innenleben sich langsam beruhigt. Vorsichtig steht er auf. Der linke Oberschenkel schmerzt, auch der linke Oberarm tut weh. Aber sonst? Alles andere scheint heil geblieben zu sein. Langsam, wie ein alter Mann, bewegt er sich die Treppe hinunter zum Kirchenraum und durch die Kirchentür wieder hinaus ins Freie. Die Glocken läuten noch immer. Jetzt aber, in gewohnter Lautstärke. Leute stehen im Kirchhof und schauen nach oben. „Der Küster hat nur auf den Knopf gedrückt hier unten gleich neben der Tür“, hört er jemanden sagen. „Die Glocken sind jetzt elektrifiziert“, sagt seine Mutter“. „Der Küster muss nun nicht mehr hinaufsteigen, das wird seinen alten Knochen gut tun“, kommentiert wieder jemand anderes. „Die Glocken fangen jetzt ganz von selbst zu läuten an“? fragt Klaus verwundert in die Runde. Aber ja, sie wurden heute, pünktlich zur Christ-Vesper, elektrifiziert. Welches komische Wort, elektrifiziert, wiederholt Helmut für sich alleine und versucht dieses Wort seinem fünfjährigen Wortschatz hinzuzufügen. „Wo kommst Du eigentlich her und wie siehst Du aus? Deine Festtagskleider liegen oben auf dem Bett. Du hättest Dich umziehen sollen für den Heiligen Abend. Ich habe überall nach Dir gesucht“, so spricht nun Mutter zu ihm. „Ach, ich bin nur ein wenig umhergegangen“. „Nun, der Gottesdienst beginnt gleich. Komm eben mit, wie du bist. Das Jesuskind wird nichts dagegen einzuwenden haben.“

Nach dem Gottesdienst sind alle um den großen Tisch versammelt. Ottilie ist inzwischen nach Hause gegangen zu ihren Eltern und Geschwistern in dem Bauernhof oben am Hang. Als Nachtisch bietet Mutter ihre selbst gebackenen Plätzchen an. Sie geht mit einem Silberteller herum. Den hält sie über der Wölbung ihres Bauches, wo unter dem grauen Seidenkleid das Baby ruht und wächst. „Nun, willst Du nicht zugreifen“, hört Klaus jetzt seine Mutter fragen. „Ja schon, aber sag mir, hat das laute Glockengeläute heute Abend dem Baby nicht ebenso sehr geschadet wie die Bomben in Frankfurt“? „Aber nein mein Kleiner, die Glocken sind längst nicht so laut und das Baby mag sie bestimmt gut leiden“. Nie hat Klaus ein Plätzchen besser geschmeckt, als dieses eine, das ihm so freundlich angeboten wurde.

Weihnachtsbrauch und Indianerromantik.

Das Telefon klingelt. „Oma, kannst Du zu uns kommen, wir wollen Plätzchen backen und Rose hat bei ihrer Mutter in Brasilien nicht gut aufgepasst, wie es geht“. „Klar ich komme“. Als Oma Christa anfährt, laufen ihr die Kinder, angetan mit weißen Schürzen schon am Auto entgegen. „Den Teig haben wir schon fertig. Rose hat im Internet nachgeschaut und ein Rezept ausgedruckt“. „Hallo Rose!“ Ja, ich habe alles nacheinander mit der neuen Küchenmaschine, die alles kann, gewogen und dann hinein gegeben. Zum Schluss musste ich die Masse allerdings doch herausnehmen und von Hand kneten. Jetzt ist der Teig im Kühlschrank“. „In der Tat, der Teig fühlt sich phantastisch an. Also legen wir los. Ein wenig Mehl auf die Tischplatte und aufs Nudelholz und schon haben wir eine wunderschöne Teigplatte“. Robert und Julian dürfen abwechselnd ausstechen und vorsichtig auf das mit Backpapier belegte Blech legen. Der Ofen ist schon vorgeheizt und hurtig kommt das erste Blech hinein. Während die Plätzchen ganz leicht bräunen, werden die Plätzchen des nächsten Bleches mit gequirlten Eigelb bestrichen und mit bunten Streuseln bestreut. Schließlich ist das dritte Blech fertig. So haben wir bald eine schöne bunte Dose bis zur Hälfte gefüllt. „Wir wollen aber weiter backen bis zum Abend“, klang der Kindertenor. Nun also zeigt Oma, wie man einen Plätzchenteig ohne Küchenmaschine auf dem Tisch zusammenhackt. Rose, die Kinderfrau, schaut genau zu, denn sie will lernen, auch ohne Küchenmaschine Plätzchen zu backen. Das Kochen gelingt ihr mit der Wundermaschine immer besser. Nun muss auch dieser zweite Teig erst einmal in den Kühlschrank. Hm, was machen wir jetzt, fragen sich die Kinder und schon sind sie fort. Wir hören sie treppauf und treppab zwischen Keller und Kinderzimmer hin und herlaufen. „Das Backen geht weiter, rufe ich und schon erscheinen beide wieder in der Küche. Wir arbeiten jetzt alle vier im System: Den Teig auswalken, ausstechen, aufs Blech setzen, mit gequirltem Eigelb bestreichen, und mit bunten Streuseln verzieren. Nacheinander werden wieder drei Bleche gebacken. „Wenn Eure Mutter von der Arbeit kommt, wollen wir fertig sein“, sagt Rose. Als sie dann früher als gedacht auftaucht, wird ihr sofort ein Plätzchen in den Mund gesteckt. So wird das Küchenchaos auch für sie erträglich. Endlich ist die bunte Plätzchendose gut gefüllt. Wir müssen noch aufräumen, Teigreste von Tisch und Boden schaben und wischen. Dabei ist uns vollkommen entgangen, dass die Plätzchendose mit samt den Kindern verschwunden ist.

Nun lässt Mutter das Telefonieren sein und sucht im Haus nach ihren Kindern, die ganz still geworden sind. Oben gibt es einen kurzen Schrei und dann: „Wieso habt ihr Euer Zimmer am Abend noch überhaupt nicht aufgeräumt? Dies hier ist ja eine schreckliche Walachei“. Aus einer mit Decken und Stühlen gebauten Höhle piepst Robert: „Hier sind wir, wir wollen heute Nacht hier schlafen.“ Ihre Schlafsäcke haben sie nebeneinander in der Höhle ausgebreitet und sich selber da hinein gelegt. Nur die Nasenspitze schaut noch heraus. Vor den beiden steht groß und prächtig die Plätzchendose. Beide kauen mit vollen Backen. „Die Plätzchen sind doch für Weihnachten“ sagt Mutter, „jetzt gibt es Abendbrot!“ und mit diesen Worten nimmt sie die Dose weg und hebt sie auf den Kleiderschrank im Elternschlafzimmer. Im Weggehen hört sie noch die neuen Pläne der Kinder. „Wir haben ja schon ganz schön viel gegessen oder? „Ja klar!“ antwortet der kleine Bruder. „Dann können wir auch welche als Weihnachtsgeschenk an Oma Helga geben, weil die ab Weihnachten keine Chemo mehr bekommt und dann wieder gesund sein wird und vielleicht auch dem Eric und der Lisa in meiner Klasse je eine kleine Tüte voll“ „Und der Melanie im Kindergarten natürlich auch“, erklärt nun Julian.

Günter als Eiskönig:

Im Winter konnten wir in der Anlage den Abhang hinunter rodeln und mussten kurz vor dem Wasser bremsen. Wenn das Wasser aber eine Eisschicht angenommen hatte, probierten die mutigsten Buben vorsichtig die Haltbarkeit, indem sie bäuchlings an das andere Ufer zu robben versuchten. Schließlich war die Latte, die sie aufs Eis geworfen hatten, liegen geblieben. Günther machte sich bereit. Zur Fortbewegung dienten große Nägel, die er in beiden Fäusten hielt. Alle Klatschten, als er schließlich drüben angekommen war. Da die Winter zwar kalt aber wechselhaft waren, stand diese Mutprobe mehrmals im Jahr an. Wenn ein Junge ins Wasser fiel, dann liefen die anderen schnell zum Haus des Herrn Westenberger. Der hatte dort oben hinter der Anlagenhecke einen Kiosk. Er kam mit einer großen Leiter und fischte den Buben schimpfend heraus. „Das Eis ist doch überhaupt noch nicht fest genug, warum geht ihr da schon drauf? Das nächste Mal komme ich nicht, lasse den leichtsinnigen Kopf einfach ersaufen.“ Und das nächste Mal kam er doch wieder und half, denn nachdem unser Günther dreimal der Eiskönig war, erwischte es auch ihn und ohne Herrn Westenberger, wer weiß. – Tropfnass und unterkühlt kam er schließlich nach Hause zu Mutters Holunderbeeren Suppe mit Apfelstückchen und Grießklößchen. Den Namen des jeweiligen Eiskönigs des Jahres durften die Jungens in einem kleinen Laden im Ort unter den unterschiedlichsten Kleinanzeigen, ebenfalls mit Folie abgedeckt, bekannt geben. So wurde Günter schon früh berühmt.

Günter als Spion

Dort, wo heute die Stadthalle steht, war früher das amerikanische Depot „Pioneer“. Am Eingang gab es eine Schranke, daneben ein Wachhäuschen und hinter dem Wachhäuschen ein riesengroßer Abfallcontainer. Der wachhabende Soldat schaute meist unter sich, las irgendetwas oder döste vor sich hin. Günter wollte wissen, welch geheimnisvolle Dinge in den Container geworfen wurden. Also schlichen zwei von mehreren Buben unter dem Fenster des Wachhäuschens vorbei zu dem Container. Drinnen musste sich Günter auf seinem Freund abstützen, um in den Container schauen zu können. Oben schob er den schweren Deckel zurück. Was er heraus fischte, war eine leicht angedatschte Apfelsine. Nachdem die beiden Buben wieder hinausgeschlichen waren, rannten sie alle zusammen fort. Nur die letzten sahen noch, wie der Soldat mit seinem Gewehr im Anschlag aus dem Häuschen trat, prüfend nach allen Seiten schaute, den Kopf schüttelte und wieder verschwand. Die Buben beratschlagten inzwischen, wie man diese Frucht essen könnte. So hineinbeißen? Wohl kaum. Schale ab und hineinbeißen wurde schließlich beschlossen und schon spritzte der Saft aus der ersten Apfelsine ihres Lebens.

Günter als Archäologe

Der nahe Wald war ein bevorzugtes Revier.

Günther durchstreifte ihn mit einigen Freunden regelmäßig, besonders auch das Hainbachtal. Dort stauten Sie den Bach auf, damit sie baden konnten. Hier, ganz in der Nähe, sahen die Buben von Ferne einigen Männern dabei zu, wie diese mit ihren Spaten eines der Hünengräber, die im Buchenwald verstreut lagen, aufgruben. Spätnachmittags war für die Männer Feierabend und sie zogen ohne jeglichen Fund wieder ab. Der Hügel war jetzt erst richtig interessant geworden. Was nur hatten diese Männer gesucht? Einen Schatz vielleicht? Günter und die Buben stürmten hin. Einige Schaufeln lagen noch herum und so fingen sie an, mehr seitlich zu graben. Plötzlich tauchte aus dem Erdreich eine Keramikschale auf und wenig später ein passender Deckel. Das musste wohl sehr wertvoll sein, dachten sich die Kinder und Günter nahm die Teile mit nach Hause. Der Mutter erklärte er, dass diese Schale so kostbar sei, dass sie in die Vitrine des Wohnzimmerschrankes gehöre. In der Tat befreite Mutter Schale und Deckel von Erde und Sand und legte die Stücke in die Vitrine neben den bunt bemalten hölzernen Schöpflöffel, den Vater als Soldat bei einem Heimaturlaub aus Russland mitgebracht hatte. Wenige Tage später jedoch tauchte ein Dr. Naghen, Pädagoge vom Leibnitz Gymnasium, dessen Hobby die Archäologie war, zusammen mit einem Kollegen bei uns auf. Sie hatten die frischen Grabspuren an dem Hünengrab aus der Jungsteinzeit entdeckt und in der Nachbarschaft herumgefragt. Bei Metzger Grosch, dessen Sohn mit Günter befreundet war, erfuhren sie, dass Günter eine Schale mitgenommen hatte. Natürlich gab Mutter die Schale sofort zurück und Günter erhielt dafür eine lebenslänglich gültige Eintrittskarte für alle Heimatmuseen des Landkreises. Die Schale landete schließlich gut restauriert, als Ausstellungsstück in Seligenstadt.

Günter und die Schule

Inzwischen war Günther 10 Jahre alt. Da unser Vater, der inzwischen aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, ehrgeizige Ziele für seine Kinder hatte, meldete er ihn im Humanistischen Leibnitz Gymnasium am anderen Ende Offenbachs an. Er hatte bisher nicht bemerkt, dass sein Sohn ein sehr praktisch denkendes Kind war. Hier aber wurde schon in der Sexta Englisch und Latein gelehrt. Natürlich bekam Günter bald Probleme. Irgendwann einmal störte er den Unterricht und deshalb zog und drehte der Lehrer ihm das Ohr. Günter erhob sich spontan und seine Hand rutschte unversehens aus und landete in dem Gesicht des Lehrers. Daraufhin wurde er aus der Klasse verwiesen und auf dem Dachboden eingesperrt. So etwas aber durfte man unserem Günter nicht antun. Er schaute aus dem Fenster, untersuchte die Tiefe des Gebäudes, untersuchte die mögliche Haltbarkeit des Dachs und fand nicht allzu weit entfernt die Regenrinne. Alles klar! Günter stieg aus dem Fenster aus, überstieg ein paar Ziegeln und erreichte die Regenrinne. Daran rutschte er hinunter und fuhr nach Hause, als sei nichts gewesen. Telefon gab es damals noch nicht. Deshalb machte sich der Lehrer zusammen mit dem Direktor auf den Weg in die Tempelsee, einem Ortsteil von Offenbach. „Ihr Sohn ist entlaufen“, sagten die beiden Herren zu meiner Mutter. Bevor wir die Polizei um eine Suchaktion bitten, wollten wir Sie unterrichten.“ „Mein Sohn ist nicht entlaufen, entgegnete meine Mutter. Er sitzt drinnen in der Küche und löffelt seine Suppe“. „Ach so“, sagten die Herren, das ist ja wunderbar! Wir dachten schon wir müssten Wald, Feld oder gar den Main absuchen lassen. Aber Sie werden verstehen, an unserer Schule kann ihr Sohn nicht bleiben“.

Den Direktor kannte Mutter schon, denn der war vor Monaten schon als Archäologe vorstellig geworden. Günter musste gottlob diese Schule verlassen.

Weitere Abenteuer, oder soll ich besser sagen Schandtaten hielt Günter, der nun älter geworden war, sorgfältig vor uns verborgen. Allerdings, wenn er als 70-jähriger auf dem Dach seines Hauses steht, um die Algen von der Giebelwand abzuspritzen oder die Regenrinne zu säubern, dann schlagen Nachbarn die Hände über dem Kopf zusammen aus Sorge um den älteren Herren dort oben. „Wollen Sie diese Arbeiten nicht besser durch ihren Sohn machen lassen“? rufen die ihm zu. „Oh nein“, antwortet mein Bruder, „der fällt mir noch vom Dach“. Doch inzwischen ist er tatsächlich etwas vorsichtiger geworden. Aber ist das besser? Schon vor Tagen stellte er eine Metallleiter auf den Balkon, um von da aus aufs Dach zu steigen. Aber als er sich den Himmel betrachtete und den gestrigen Wetterbericht bedachte, da ließ er es sein und verschob sein Vorhaben auf den nächsten Tag. In der Nacht aber wurde er wach, weil irgendetwas immerzu gegen die Hauswand schlug. Wer klopft da? fragte er sich im Halbschlaf. Vögel gab es genug in der Umgebung, doch das Geräusch war kräftiger als es ein Vogel verursachen könnte und die Wildschweine, die nachts in Horden das große Brachland zwischen Bach und Wald aufsuchen, klopfen nicht an die Hauswand. Also rollte sich Günter aus dem Bett und ging zum Balkon. Heftiger Wind bewegte seine Leiter so, dass sie abwechselnd abgehoben wurde und dann wieder an die Wand zurückfiel. Vor seinen Augen schlug plötzlich ein Blitz in die Leiter ein. Diese erhob sich vom Balkon, als sei Wind unter ihre nicht vorhandenen Flügel geraten. „Um Gottes Willen, nicht auf mein Glasvordach“, dachte Günter nun laut und die Leiter gehorchte tatsächlich. Sie bewegte sich hoch hinauf in den Himmel, um dann schließlich im Blumenbeet niederzusinken.

Das Mädchen mit dem Brennglas

Pauline wohnt im Schloss. Sie ist bereits zwölf Jahre alt und zählt sich schon fast zu den Erwachsenen. Eine Gouvernante hilft ihr morgens beim Anziehen. Sie liebt kräftige Farben und wählt heute ein Kleid mit einem feuerroten Satinrock aus. Der Rock reicht ihr bis zu den Knöcheln. Das rot, grün gestreifte Mieder legt man ihr schon recht eng an.

Auf dem Weg zum Frühstücksraum kommt sie durch das Zimmer ihres Großvaters. Dort schaut sie kurz in den Spiegel, der über dem Kamin hängt. Lustig, denkt sie, welch große Schritte ich mit diesem Rock machen kann. Ei, was liegt denn da auf dem Kaminsims? Das ist doch ein Vergrößerungsglas. Großvater hat es sicher liegen gelassen. Ich bringe es ihm hinunter, denkt sie und steckt das Glas in die Tasche. Auf der Treppe nimmt sie immer zwei Stufen auf einmal. Wie weit ich wohl mit solch großen Schritten käme, wenn ich den ganzen Tag laufen würde, fragt sie sich unten angekommen. Im Speisezimmer sitzen bereits ihre Mutter und die Gouvernante. Vater und Großvater sind wohl schon gegangen.