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Die Schmunzelstories erzählen von dem Zauber, der den kleinen Momenten unseres Lebens innewohnt. Sie zeigen auf, was passiert, wenn Einfühlungsvermögen auf Sprachwitz und Kreativität trifft. Das Buch regt dazu an, die eigene Zuversicht zu stärken und sich selbst ein liebevolles Augenzwinkern zu schenken.
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Seitenzahl: 222
Veröffentlichungsjahr: 2024
Dieses Buch gehört:
Miriam Hinders
Schmunzelstories 4
07/2023 – 06/2024
© 2024 Miriam Hinders
Covergrafik von Brigitte Ordowski
ISBN Softcover:
978-3-384-35345-0
ISBN Hardcover:
978-3-384-35346-7
ISBN E-Book:
978-3-384-35347-4
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
Gewohnte Muster
Kurz mal einordnen
Vom Gruseln
Die Ahnung ist los
Kleine Wanzenkunde
Alles muss raus
Schulden beim Umstand
Gittis Schmunzeltrick
Seltsam achtsam
Heraus mit der Forderung
Die Welt ist klein
Hoch hinaus
Wenn die Chemie stimmt
Kleiner Spruch am Rande
Denk mal an
Der Primzahltag
Der Traum vom Beruf
Stummer Impuls
Voll leer
Das Rödeln moniert
Die Geschenkidee
Kleine Recherchen
Im Aufzug
Auf dem Holzweg
Kurz vorm Fest
Zwischen den Jahren
Voll durchgeblickt
Am Hals
Der Ehre halber
Welch eine Pracht
Mein Kundenerlebnis
Den Tag gerettet
Streng letal
Von stillen Orten
Scheibchenweise
Im Rausch der Sinne
Mehr als rasch
Form und Funktion
Zwischen den Schauern
Meine Knitterstudie
Finde einen Weg
Die Magie der Musik
Auf ganzer Linie
Aufgeschlossen
Lustiges Kauderwelsch
Zu deklarieren
Des Himmels Farben
Vom Fach gesimpelt
Unsichtbares Theater
Ausgesprochen lustig
Durch den Wind
Das Vokabelchaos
Kleines Extra aus der Küche
Kleines Extra vom Hörensagen
Danke
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Urheberrechte
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Gewohnte Muster
Danke
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Für Gitti
Ein Schmunzelstory-Jahr geht jeweils von Juli bis Juni, und jede Woche schreibe ich eine neue Geschichte. Das habe ich irgendwann einmal so beschlossen und dann einfach weitergeführt. Einmal im Jahr stelle ich meine Texte in einem kleinen Buch zusammen. Hier präsentiere ich nun sehr gerne den vierten Band meiner kleinen Reihe.
Dieses Buch enthält die Texte, die ich zwischen Juli 2023 und Juni 2024 verfasst habe. Als kleines Extra gibt es in diesem Jahr zwei zusätzliche Geschichten, die ich in den letzten Tagen exklusiv für diesen Band geschrieben habe.
Den kleinen Situationen im Leben wohnt oft ein besonderer Zauber inne. Davon erzählen meine Geschichten. Mit einem Augenzwinkern bereite ich genüsslich auf, was mir so alles begegnet ist. Vieles davon ist wahr, aber ich habe mir natürlich auch erlaubt, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen.
Nun wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen!
Miriam Hinders
Gewohnte Muster
Die weitläufige Hotelanlage, in der wir gerade residieren, verfügt über mehrere Pools. Dort stehen Liegen mit dicken Auflagepolstern, und es gibt auch diverse Sonnenschirme. Manche der Liegen stehen direkt am Beckenrand, andere bieten einen unverstellten Blick auf Strand und Meer. Wieder andere stehen so herum, dass man den auf der Terrasse flanierenden Menschen zusehen kann, falls man Freude daran findet. Man findet immer einen Platz.
Dennoch: Bereits am frühen Morgen geht die Reservierungswelle los. Viele der Männer, ob nun auf eigene Veranlassung hin oder von ihren Frauen losgeschickt, müssen die vermeintlich besten Plätze mit Handtüchern oder sonstigen Utensilien belegen. Danach ist es ganz lange still am Pool. Nur vereinzelt drehen schwimmbegeisterte Menschen schon ihre frühen Runden.
Ein paar unserer Urlaubstage verbringen Gitti und ich tatsächlich mal vorwiegend am Pool. Immer spontan, meistens erst ab dem späteren Vormittag und selbstverständlich ohne Reservierung. Wir liegen herum. Zeitweise einfach so, zwischendurch auch lesend, rätselnd oder spielend. Immer mal wieder gilt es, den Sonnenschirm oder die Liegen zu verschieben, um unsere Körper ausreichend gut beschatten zu lassen. Ab und zu gibt es eine kleine Erfrischung. Die meiste Zeit über sind maximal ein Drittel der Liegen tatsächlich mit Menschen belegt. Der Rest wird von den Reservierern für durchschnittlich eine einzige Stunde am Tag aufgesucht. Aber in dieser Stunde muss es genau dieser Platz sein! Ich seufze leise vor mich hin. Zum Glück weiß ich, dass wir es hier nicht mit einem rein deutschen Phänomen zu tun haben, in dem Fall würde ich mich noch mehr fremdschämen!
Im Restaurant beobachten wir, dass die Leute sich gerne einen Platz aussuchen, an dem sie dann möglichst immer sitzen. Morgens und abends. Mittags sind wir nicht dabei, über den zu dieser Zeit geltenden Sitzplan kann ich nur Vermutungen anstellen. Eine ältere Dame mit kunstvoll toupiertem weißem Haar sitzt Tag für Tag mit ihrem Mann am gleichen Tisch – und ist am Pool natürlich auf der immer gleichen Liege zu finden. Gitti findet, dass die Frisur der Dame so aussieht, als trüge sie eine weiße Fellmütze. Bereits aus weiter Entfernung ist sie gut zu erkennen, und ich flüstere Gitti ab dem dritten Tag stets zu: „Guck mal Gitti, das Mützchen sitzt schon da.“ Gitti und ich tauschen dann ein Grinsen aus, um im Vorbeilaufen grüßen wir selbstverständlich freundlich. Mützchen und ihr Mann erwidern unseren Gruß bald regelmäßig.
Eines Abends fehlen Mützchen und ihr Mann. Der Tisch bleibt verwaist. Sind die Herrschaften abgereist? Offensichtlich haben wir uns an deren Gewohnheiten und Bewegungsmuster auch schon gewöhnt. Dabei ist gerade mal eine knappe Woche um!
Am nächsten Morgen entdecke ich Mützchen wieder. Gitti freut sich auch darüber, sie zu sehen. Und so grüßen alle einander, sprechen aber wie gewohnt kein weiteres Wort miteinander. Vielleicht, so mutmaßen wir beim Frühstück, haben Mützchen und ihr Mann ja gestern im japanischen Restaurant diniert, das dem Hotel angegliedert ist.
Im japanischen Restaurant haben auch wir einen Platz ergattert, allerdings erst ein paar Tage darauf. Dort winkt ein Teppanyaki-Erlebnis. Mit anderen Worten: Wir Gäste sitzen um den Koch herum. Er steht in der Mitte. Zwischen ihm und uns sind Edelstahlplatten in den Tisch eingelassen. Auf diesen heißen Platten bereitet er nun so allerlei Gerichte zu. Natürlich sorgt er auch für ein paar Show-Effekte. Riesen-Garnelen und auch andere Dinge werden hier direkt vor unseren Augen gegrillt und mit großer Geste flambiert. Selbst das Aufschlagen von Eiern wird zur spannenden Jonglage-Nummer, bei der die Eier durch die Luft fliegen, bevor sie auf dem Rücken eines breiten Messers landen und dann dort sitzen, als handle es sich um kleine Vögel, die auf einer Hochspannungsleitung schaukeln. Der Koch versteht es, uns gut zu unterhalten, aber vor allem versteht er es, uns mit leckeren Speisen zu verwöhnen.
Noch Tage später schwärmen Gitti und ich uns gegenseitig von diesem Erlebnis vor. Und auch jetzt sorgt die Erinnerung daran dafür, dass mir das Wasser im Munde zusammenläuft.
Gitti und ich entwickeln natürlich ebenfalls Muster, an die wir uns sehr schnell gewöhnen. In einigermaßen regelmäßigen Abständen von jeweils zwei oder drei Tagen wandern wir am Strand entlang zur etwa fünf Kilometer vom Hotel entfernt gelegenen Eisdiele. Gitti liebt den Erdbeerbecher, den sie dort servieren, und ich komme nicht um die Sorten Haselnuss und Zitrone herum. Binnen weniger Besuche bin ich in der Lage, meine Bestellung in der Landessprache aufzugeben. Mir ist das wichtig, denn so kann ich meinen Respekt zum Ausdruck bringen, den ich vor den Menschen habe, die hier leben und arbeiten. Sie scheinen sich darüber zu freuen, und das wiederum bereitet mir selbst auch Freude. Win-win!
Manchmal macht Gitti dann ein Foto von ihrem schönen Eisbecher. Dahinter bin meistens ich zu sehen. Jedes Mal wirkt es so, als wäre ihr Erdbeertraum mein Eis. Durch die Perspektive wirkt der Becher zudem viel größer, als er ist. Und ich damit viel verfressener, als ich bin! An einem Tag verschickt Gitti ein paar dieser Fotos an Freunde. Den aufmerksamen Empfängern entgeht nicht, dass ich unterschiedliche Shirts trage. Sie fragen nach, ob ich mich schnell umgezogen habe, oder ob wir etwa jeden Tag zum Eistempel pilgern.
Nur kein Neid, ich werde Euch Euren Urlaub demnächst auch von Herzen gönnen!!!
Kurz mal einordnen
Bist Du auch ständig dabei, im Kopf irgendwelche Dinge einzuordnen? Ich sehe oder höre etwas, und schon geht es los: Wie groß ist das? Wieviel Zeit braucht man dafür? Interessiert mich das oder kann es weg? Muss ich reagieren? Was fange ich jetzt damit an?
Der Prozess des Einordnens und Bewertens von Wahrnehmungen startet dabei eigentlich immer automatisch. Er nimmt Fahrt auf, ohne dass ich es bewusst bemerke. Der Grund: Mein Unterbewusstsein und das vegetative Nervensystem kümmern sich permanent darum, von außen kommende Reize zu verarbeiten. Die machen auch nicht lang rum, die reagieren einfach schon mal. Das ist auch gut so! Sie schützen mich nämlich davor, mir die Finger zu verbrennen, indem sie dafür sorgen, dass ich meine Finger ohne stundenlanges Nachdenken und Abwägen einfach wegziehe, wenn es zu heiß wird. Ohne diese unbewusste Steuerung meiner selbst hätte ich keine Chance, den Alltag zu überleben.
Den Sprung in die von mir bewusst erlebte Welt schafft also vermutlich nur ein winzig kleiner Bruchteil dieser Reize, und zwar schon in vorverarbeitetem Zustand. Erst dann bekomme ich so richtig mit, was läuft. Sofort mische ich mich bewusst in die weitere Verarbeitung ein und versuche mich in der Kunst der Informationsgewinnung. Außerdem hinterfrage ich vielleicht noch einmal die Entscheidung, die ich jetzt spontan treffen würde. Ich leiste mir den Luxus, mich weiterzuentwickeln. Es macht mir Freude, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten oder einfach nach ungewöhnlichen Eindrücken zu suchen, die ich sonst glatt übersehen würde.
Ja, und manchmal entdecke ich dabei kleine, kostbare Überraschungen. Du willst ein Beispiel? Na gut!
Gitti und ich wandern gerade am Strand entlang. Ich bleibe spontan stehen, drehe mich um und schaue kurz zurück. Mir fallen die Spuren auf, die wir beim Laufen so kurzfristig im Sand hinterlassen. Die nächsten Wellen werden sie wieder wegspülen. Das finde ich prima. Meine Spur verrät, dass meine Füße beim Laufen immer wieder ein bisschen nach außen zeigen. Vielleicht sollte ich weniger watscheln. Ich beschließe, jetzt mehr darauf zu achten, die Fußspitzen in die Richtung zeigen zu lassen, in die ich gehen möchte. Für die nächsten Meter werde ich meine Aufmerksamkeit dem zielstrebigen Gang widmen.
Gitti ist derweil weitergelaufen. Jetzt dreht sie sich um und guckt mich fragend aus der Ferne an. Ich wedle mit dem rechten Arm und zeige auf die Spuren. Gitti ist zu weit weg, als dass sie erkennen könnte, was mich da schon wieder umtreibt. Ich versuche es mit einer kleinen pantomimischen Einlage. Mit ausgestrecktem Finger zeige ich nochmal auf die Spur, dann zeige ich auf mich selbst. Auf Brusthöhe lasse ich nun meine beiden Hände durch die Luft auf Gitti zu watscheln. Dann drehe die nach außen zeigenden Fingerspitzen nach vorne und wiederhole die Laufbewegung mit den Händen, nur dieses Mal halt ohne das Watscheln. Dabei mache ich ein fröhliches Gesicht. Gitti schüttelt ungläubig den Kopf. Ob sie die Pantomime entschlüsselt hat? Ich weiß es nicht, halte es aber durchaus für wahrscheinlich.
Gitti winkt mich zu sich. Ich setze mich wieder in Bewegung, sie soll nicht dauernd auf mich warten müssen! Laufe ich jetzt eleganter? Beim Hinuntersehen auf die eigenen Füße bin ich durchaus geneigt, das zu glauben. Sicherheitshalber drehe ich mich nach etwa zwanzig Metern nochmal um. Ja, die Spur sieht jetzt zielstrebiger aus. Ich wende mich wieder in die Richtung, in der Gitti auf mich wartet. Jetzt strebe ich ihr endlich zügig zu.
Gitti guckt derweil aufs Wasser. Sie strahlt übers ganze Gesicht und wirkt sehr zufrieden. Schräg hinter Gitti steht ein Leuchtturm. Weil wir noch weit vom Turm entfernt sind, wirkt der Leuchtturm im Vergleich zu Gitti recht klein. Noch kleiner wirkt er, als Gitti ihren Arm gen Meer reckt und den offenen Handteller nach oben dreht. Jetzt nämlich sieht es plötzlich so aus, als ob Gitti einen Miniatur-Leuchtturm auf der Hand balancierte. Wie schön! Davon muss ich dringend ein Foto machen. Ich bitte Gitti aus der Ferne, sich nicht zu bewegen. Sie weiß zwar nicht, was ich jetzt schon wieder vorhabe, macht aber geduldig mit, bis ich endlich zufrieden bin. Stolz zeige ich ihr das Ergebnis meiner bescheidenen Fotografierkünste. Ich ernte ein anerkennendes Lächeln.
Als ich wieder neben Gitti angekommen bin, erzähle ich ihr von meinen Gehübungen, also meinem Anti-Watschel-Training. Gemeinsam schauen wir in den Sand und betrachten die vielen Spuren, die hier zu sehen sind. Gitti und ich lesen die Spuren der Barfußläufer. Manche Menschen haben Plattfüße, andere einen extrem langen großen Zeh. Bei wieder anderen sieht man an der hinterlassenen Spur deutlich, was beim Abrollen des Fußes passiert oder ob sie eher zur Seite wegknicken. Gitti erzählt mir von einem Orthopädieschuhmacher, mit dem sie neulich sprach. Würde der in diese Spuren im Sand schauen, würde er vermutlich nur einen großen Haufen Arbeit sehen! Gitti ordnet die neue Erkenntnis sofort sicher ein und ruft: „Kein Wunder, dass der immer in die Berge fährt!“
Vom Gruseln
Wieso beschäftige ich mich eigentlich immer wieder mit Geschichten, die mich dann doch das Gruseln lehren? Bin ich blöd?!?
Was liest Du gerne? Krimis? Was guckst Du im Fernsehen an? Krimis? Oder noch schlimmer: Nachrichten?
Also ich kann alle diese Fragen mit Ja beantworten.
Das Gruseln ist eine Mischung aus Furcht, Erschrecken und Abscheu. Bereits als Kind wurde ich damit konfrontiert. Schließlich gab es Märchen. Und die sind, was den Gruselfaktor angeht, kaum zu überbieten!
Das klassische Märchen beleuchtet Gesellschafts- und Familienstrukturen, Machtverhältnisse und vor allem den Kampf des Guten gegen das Böse. Zu meiner Beruhigung siegt meistens das Gute.
Die Strafen für die Bösen fallen jedoch für meinen Geschmack ganz oft viel zu brutal aus. Bei Aschenputtel zum Beispiel picken die Tauben den bösen Schwestern am Schluss die Augen aus. So etwas finde ich abscheulich. Welch ein Attentat auf meine kleine Kinderseele! Da hätte es doch sicher andere Möglichkeiten gegeben. Möglichkeiten, die nicht nur auf Rache setzen. Vielleicht wären dann die Schwestern, die einst das Böse verkörpert haben, zu Menschen geworden, die sich aus voller Überzeugung heraus für das Gute einsetzen. So etwas hätte mich überzeugt!
Reine Rache macht den Rächer zum neuen Täter und löst damit nur weitere Racheakte aus. Was kann man damit also erreichen?
Ich bin übrigens nicht gegen Strafen. Eine Strafandrohung dient der Abschreckung. Nicht jeder lässt sich abschrecken, und zwar unabhängig von der Art und Höhe der Strafe. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass jemand während der Verübung eines Verbrechens nicht davon ausgeht, dass er erwischt oder je zur Rechenschaft gezogen wird. Zu diesem Zeitpunkt hat er mit dem Verüben so viel zu tun, dass für Konsequenzanalysen oder die Suche nach kreativen, vertretbaren und zugleich straffreien Alternativen kein Raum mehr verfügbar ist. Ideen hierfür müssen also gelegt sein, bevor es zur Tat kommt!
Genau da setzen Märchen, Krimis und Gruselgeschichten aller Art an. Meistens sitze ich nämlich in einem gut geschützten Raum, wenn ich mich mit gruseligen Geschichten auseinandersetze. Zum Beispiel zu Hause. Meine äußere Situation ist sicher. Ich kann mich gefahrlos auf die Auseinandersetzung mit dem Thema einlassen. Meine Kreativität wird angeregt. Mit ein bisschen Glück leite ich Ideen ab, wie ich mich verhalten könnte, wenn mir so etwas mal im realen Leben begegnen sollte. Ich lerne, wann es besser wäre, sich zu verstecken oder zu flüchten und wann ich zum Gegenangriff übergehen sollte. Mit ganz viel Glück lerne ich sogar, wie ich es vermeiden kann, in richtig gefährliche Situationen zu geraten.
Für Kinder ist es wichtig, Gefahren einschätzen zu können, bevor sie darin umkommen. Märchen können da helfen. Es müssen ja nicht immer die alten, besonders brutalen Märchen sein, die mich einst das Gruseln lehrten!
Bei Märchen geht es oft wundersam zu. Das ist prima. Zauber und Magie halten her, wenn die physikalischen Gesetze der Geschichte nur im Weg herumstehen würden. Außerdem identifiziere ich mich natürlich gerne mit einer Figur, die fantastische Fähigkeiten einsetzen kann, um das zu erreichen, was ich an ihrer Stelle auch erreichen wollen würde.
Da fällt mir ein, was wir neulich im Park erlebten:
Gitti, Tina und ich spazieren umher. Wir begegnen zwei scherenschnittartigen Skulpturen. Es sind Rotkäppchen und der böse Wolf. Im Verhältnis zum Rotkäppchen ist der Wolf ein bisschen klein geraten, findet Gitti. Ihr Argument: Da passen das Rotkäppchen und die alte Großmutter niemals rein, schon gar nicht am Stück!
Dass der Wolf zuerst die Großmutter und dann auch noch das Rotkäppchen verschlang, ist bekannt. Auch der wundersame Dialog zwischen dem mutigen, aber doch etwas zu arglosen Rotkäppchen und dem hinterhältigen Wolf gehört zu unser aller Kindheitserinnerung. Große Augen, große Ohren und auch einen großen Mund weiß der böse Wolf gegenüber dem Rotkäppchen zu rechtfertigen, als ob er tatsächlich die Großmutter wäre.
Ich mache mir Gedanken darüber, wie alt Rotkäppchen eigentlich gewesen sein muss. Gitti und Tina unterbreiten unterschiedliche Vorschläge. Vermutlich ist Rotkäppchen immer so alt wie das Kind, das die Geschichte gerade hört oder liest – schon alleine wegen der Sache mit der Identifikationsfigur!
Gitti wundert sich heute noch am meisten darüber, dass Großmutter und Rotkäppchen dann völlig unversehrt aus dem Bauch des Wolfes befreit werden konnten. Am Stück! Und ausgerechnet von einem Jäger, der dazu den Bauch des Wolfes aufschlitzt, während dieser im Bett der Großmutter ein Verdauungsschläfchen hält!! Und völlig irre finden wir auch, dass sie dem Wolf dann Steine in den Bauch legen, damit er von der Befreiungsaktion nichts bemerkt. Wobei – eigentlich haben die Steine durch ihr Gewicht nur verhindert, dass der Wolf nach dem Aufwachen erneut Jagd auf Menschen machen kann. Oder ging es darum, ihn an der Flucht zu hindern? Und was wäre mit dem Wolf geschehen, wenn er nicht an den Folgen der Steine im Bauch gestorben wäre? Wir können uns alle nicht mehr ganz so genau an die Geschichte erinnern.
Mit unseren Fragen im Kopf bleiben wir ratlos stehen.
Tina fängt sich als erste. Sie führt an, dass eines auf jeden Fall sicher ist: Die Großmutter ist immer alt.
Ups! Das kippt irgendwann! Großmütter sind heutzutage alle so jung! Findest Du nicht auch?
Die Ahnung ist los
Wusste ich es doch! Die Antwort lautet: „Keine Ahnung.“ Sie wird begleitet von einem nur angedeuteten Schulterzucken und einem desinteressierten Augenaufschlag. Ich könnte ausflippen!
Mein Gegenüber ist kein pubertierender Mensch im zu diesem Verhalten passenden Alter. Vielmehr handelt es sich um jemanden aus der Generation der Leute, die meiner Generation gerne Arroganz, Ignoranz und sonstiges Fehlverhalten vorwerfen – und Angst davor haben, dass ich irgendwann in Rente gehe und dann auf ihre Kosten steinalt werde.
Ich soll mich nachhaltig verhalten, meint mein Gegenüber. Mach ich doch glatt! Es kann aber sein, dass ich dabei nachhaltig zerstörerische Spuren hinterlasse. Das ist wie mit Reformen. Wenn etwas reformiert wird, so wird es erneuert, also in irgendeine andere Form gebracht. Das Wort Reform sagt nichts darüber aus, ob die neue Form dann auch besser ist als die alte! Es wird also anders, aber nicht zwingend so, wie ich es mir wünschen oder für gut befinden würde.
Warum hinterlasse ich diese zerstörerischen Spuren? Bin ich nur Teil eines großen Ganzen und kann nicht anders? Fliege ich in Urlaub, weil es mir vielleicht egal ist, ob ich damit einen Beitrag zur fortschreitenden Entwicklung des Wettergeschehens leiste? Kaufe ich mich frei, indem ich woanders Gutes tue? Das wäre dann moderner Ablasshandel. Oder bilde ich mir ein, dass mein Beitrag irrelevant klein ist? Sollen die anderen zuerst vor ihrer eigenen Tür kehren, bevor ich bereit sein werde, etwas an meinem Verhalten zu ändern? Schlimmer noch: Habe ich nur keine Ahnung, was aus meinem Verhalten folgt? Und falls ja: Könnte ich es besser wissen? Sollte ich?
So einfach ist das alles nicht. Ich denke durchaus darüber nach, was ich mit meiner Art zu leben anrichte. So hier und da ändere ich auch mein Verhalten. Aus Einsicht. Oder aus Gründen. Also aus anderen Gründen, die ich dann aber in der Diskussion nicht anführen möchte. Die Dinge sind halt komplex, und ich bin durchaus auch mal bequem.
Mein Gegenüber ist auch bequem. Es daddelt schon wieder auf dem Smartphone herum. Es versendet extrem wichtige Emojis an alle seine Freunde. Den lieben langen Tag! Mein Gegenüber streamt andauernd Serien und ist außer Haus scheinbar fest verwachsen mit Einwegbechern oder Plastik-Trinkflaschen. Alles to go, alles to wirf weg! Wenig to recycle, weil das Zeug allzu oft im Restmüll entsorgt wird!
Ich hole also zum Gegenschlag aus und frage: „Weißt Du eigentlich, wieviel Strom ein Like kostet? Und wie nachhaltig das unsere Welt zerstört?“
Tja, und da sind wir am Anfang der Geschichte. Mein Gegenüber spart zumindest Worte, die es für unnötig hält und formuliert den beliebten Zwei-Wort-Satz: „Keine Ahnung.“
Ich weiß auch nicht, wie viel Strom verbraucht wird, um den Menschen jederzeit das Absetzen und Verbreiten eines Likes oder eines Smileys zu ermöglichen. Unser Stromzähler im Keller und der Akku meines Smartphones bekommen davon nur ganz wenig mit. Beim Versenden eines Smileys fließt der meiste Strom vermutlich durch riesige Rechenzentren. Vor meinem inneren Auge sehe ich große dunkle Räume, vollgestopft mit Serverschränken. In ihrem Inneren blinken in meiner Vorstellung gerade viele kleine Lämpchen. Und das eine da vielleicht wegen meines Smileys, das in diesem Moment auf seinem Weg zu Gitti ist. Und die sitzt direkt neben mir. Ich hätte also einfach und ganz analog etwas Nettes zu ihr sagen können!
Wo Strom fließt, da wird es warm. Das vergisst Du nie, wenn Du einmal nur kurz mit dem Finger gefühlt hast, wie heiß ein dünner Kupferdraht schon werden kann, sobald auch nur eine kleine Menge Strom durch ihn hindurchfließt. Serverräume müssen stets gut gekühlt werden. Die Server laufen Tag und Nacht durch, nie ist Ruhe. Die Kühlung der Räume frisst wohl den meisten Strom.
Modernen Ablasshandel gibt es übrigens auch in diesem Kontext. Es gibt Suchmaschinen, deren Betreiber einen Teil ihres Gewinns in das Pflanzen von Bäumen investieren. Die Bäume entziehen der Luft CO2, und schon entsteht das Gefühl, dass man mit jeder Suchanfrage einen Baum pflanzt. Das schlechte Gewissen ist beruhigt. Sollte man sich jetzt noch mehr Fragen ausdenken? Um noch mehr Bäume pflanzen zu lassen? Klingt das idiotisch? Bitte verstehe mich an dieser Stelle nicht falsch, denn: Ich finde es gut, wenn Firmen Geld in das Pflanzen von Bäumen investieren – aber das stellt mein eigenes Verhalten nicht wirklich in ein besseres Licht.
Mit diesem ganzen Sermon habe ich mein Gegenüber jetzt endgültig vertrieben. Geht doch!
Pflanze ich jetzt noch schnell einen Baum, indem ich recherchiere, woher „Sermon“ kommt? Oder frage ich Gitti? Oder ein Lexikon? Nachhaltig und analog?
In diesem Moment macht sich in mir eine kleine Ahnung auf ihren Weg. Sie zieht los, festigt sich auf der Reise durch meine Erinnerungen und wandelt sich bald zur Gewissheit. Ganz arrogant und ignorant verzichte ich also auf die Bäume pflanzende Recherche, vertraue meiner Erinnerung und glaube fortan fest daran, dass es sich beim Sermon um eine Predigt handelt.
Kleine Wanzenkunde
Gerade schwinge ich meine Beine behände aus dem Bett, da schimpft Gitti: „Was machst Du denn da?!?“ Sie steht vor der Balkontür, die geballten Fäuste in die Hüften gestemmt, den Blick starr geradeaus nach draußen gerichtet.