Schmutziger Mord. Krimi - Olive Feuerbach - E-Book

Schmutziger Mord. Krimi E-Book

Olive Feuerbach

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Beschreibung

Der zweite Krimi von Olive Feuerbach spielt in Stuttgart. Corinna „Coco“ Conradt, die Stuttgarter Kommissarin, steht wie alle vor einem Rätsel. Wieso wurde Otto Korbach bestialisch umgebracht? Ein Pensionär, der ruhig und zurückgezogen lebte. In der Nähe alles ordentlich, ja bieder. Doch bald bröckelt die Oberfläche: Eine Erbschleicherin mit Securitate-Vergangenheit taucht auf, die Tochter lebt als butch in einem schrägen, vielleicht kriminelllen Milieu in Berlin, der Sohn in Fernost ist wirtschaftlich ruiniert und die Exfrau war in der Tatnacht aus der Psychiatrie verschwunden. Sogar der Verfassungsschutz interessierte sich für ihn. Doch ein Verdachtsmoment nach dem anderen führt ins Leere. Coco arbeitet in den Widersprüchen und Spannungen ihrer Heimatregion, Schwaben, zwischen dem geduldigen, beinahe feinmechanischen Blick auf die Dinge – und der Weite der Perspektive, zwischen Grübelei und cooler effizienter Kriminalistik. Und so führt sie auch ihr privates Leben mit Judith. Im Hintergrund des Romans steht ein reales Verbrechen, doch alle Figuren handeln anders.

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Olive Feuerbach

Schmutziger Mord

konkursbuch

Verlag Claudia Gehrke

Einer der kältesten Tage im Jahr. In dieser Nacht passiert ein brutaler Mord, mitten in einem ruhigen Wohngebiet Stuttgarts. Wieso wurde Otto Korbach bestialisch umgebracht? Ein Pensionär, der ruhig und zurückgezogen lebte. In der Nähe alles ordentlich, ja bieder. Doch bald bröckelt die Oberfläche: Eine Erbschleicherin mit Securitate-Vergangenheit taucht auf, die Tochter lebt als butch in einem schrägen, vielleicht kriminellen Milieu in Berlin, der Sohn in Fernost ist wirtschaftlich ruiniert und die Exfrau war in der Tatnacht aus der Psychiatrie verschwunden. Sogar der Verfassungsschutz interessierte sich für ihn. Doch ein Verdachtsmoment nach dem anderen führt ins Leere … Coco arbeitet in den Widersprüchen und Spannungen ihrer Heimatregion, zwischen dem geduldigen, beinahe feinmechanischen Blick auf die Dinge - und der Weite der Perspektive, zwischen Grübelei und cooler effizienter Kriminalistik. Und so führt sie auch ihr privates Leben mit Judith ... Dem Roman liegt ein realer Fall zugrunde, der weit in die Nachkriegsvergangenheit führt und in dem die Grenzen zwischen Gut und böse verschwimmen. "Ein Genuss! Spannende Handlung, profimäßig aufgebaut. Und Cocos treffende Beobachtungen und Kommentare machen viel Vergnügen." (Felix Huby)

Inhaltsverzeichnis

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11   Montag, 11.00

12   Montag, 13.30

13   Montag, 16.00

14   Montag, 17.00

15   Montag, 18.00

16   Montagabend

17   Dienstag, 08.00

18   Dienstag, 09.30

19  Dienstag, 10.30

20   Dienstag, 11.30

21   Dienstag, 12.00

22   Dienstag, 12.30

23   Dienstag, 16.00

24   Dienstag, 17.00

25   Dienstag, 18.30

26   Mittwoch, 08.00

27   Mittwoch, 10.00

28   Mittwoch, 10.30

29   Mittwoch, 13.00

30   Mittwoch, 16.00

31   Mittwoch, 17.00

32   Donnerstag

33   Natalie

34   Donnerstagnacht/Freitag

35   Montag, 08.30

36   Montag

37   Montag, 09.30

38   Montag, 11.30

39   Montag, 15.30

40   Montagabend

41   Dienstag, 8.30

42   Dienstag

43   Dienstag, 21.00

44   Dienstagnacht

45   Mittwoch, 10.00

46   Mittwochnachmittag

47  Mittwochnacht

48  Donnerstag, 07.30

49   Donnerstag, 9.00

50   Donnerstag, 15.00

51   Donnerstag, 16.00

52   Freitag

53   Freitag, 18.00

54   Samstag

55   Montag

56   Montag, 16.00

57   Dienstag, 11.00

58   Freitag, 09.00

59   Montagvormittag

60   Montag

61  Dienstag

62   Mittwoch, 12.00

63   Ende Januar

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1

Da war doch was, sagte sich Schreitmüller. Er wälzte sich vorsichtig auf den Rücken. Hanna sollte nicht merken, dass er aufgewacht war. Der Mond draußen schien in die kahlen Apfelbäume des Vorgartens und legte im Zimmer einen hellen Streifen vors Fenster. Seine Hand fühlte sich taub an, er hatte sie unter dem Kopf gehabt.

Schreitmüller wäre beruhigt gewesen, wenn er für sein Erwachen einen Anlass gewusst hätte. Sein Internist hatte erst kürzlich gesagt, es sei ein Alarmzeichen, wenn man anfängt, nachts ohne Grund aufzuwachen. Er hatte lange gebraucht, das Thema Alkohol anzusprechen, das aus den Leberwerten längst abzulesen war. Alkohol die Volksseuche. Kaffee zum Anfahren, Wein zu Tisch, Kaffee und ein Cognac am Nachmittag und dann mehr Alkohol zum Abbremsen und zur Bettschwere – das gab den Tagesrhythmus vor, bei ihm und Hanna, bei den Freunden und Nachbarn und den ganzen Pensionären und Frührentnern, die um sie herum in der Stuttgarter Dachswaldsiedlung und den anderen Villengebieten sich an die Telefonate mit ihren Kindern klammerten und ihre Tage hinbrachten in der Hoffnung, dass irgendwann irgendetwas passiert. War es so weit? Suchtzeichen? Oder hatte ihn doch etwas geweckt? Etwas Reales. Da draußen.

Da hörte er es. Nein, das Geräusch war keine Wahnidee.

Das könnte ein Schrei gewesen sein – oder was? Schreitmüller lauschte und es kam ihm in den Sinn, dass er sofort das Revier anrufen würde, sobald er überzeugt wäre, sich mit seiner Meldung nicht lächerlich zu machen. Wie klingt es, wenn eine Frau um Hilfe ruft, die belästigt wird? Schreitmüller sagte sich, dass das kein Hilfeschrei war. Eher langgezogen, unmenschlich, dachte er, als es ähnlich noch einmal kam. Wer in Not ist, würde doch um Hilfe schreien? So könnte ein Tier schreien, vielleicht auch ein Mensch unter großen Schmerzen, aber das passiert doch nicht hier, dann ist man in der Klinik und wird sediert. Es könnte auch ein zur Unzeit verliebter Kater sein.

Schreitmüller kämpfte um seine Zivilcourage. Er stand auf und öffnete das Fenster. Von draußen schlug ihm die frostige Nachtluft entgegen und ließ den Atem dampfen. Er horchte. Ob Hanna wach wurde, war ihm jetzt egal. Bürgerpflichten gehen vor.

Doch was er jetzt hörte, war eindeutig ein technisches Geräusch. So etwas erkannte er. Eine Flex wahrscheinlich. Rücksichtslos, dachte er, diese jungen Leute, die nach dem Weggang der Alten eines der Häuser in der Siedlung nach dem anderen übernehmen. Unglaublich das, morgens um zwei den Nachbarn dieses jaulende Maschinengeräusch zuzumuten!

Eine Weile lauschte er noch, das Fenster einen Spalt geöffnet. Wieder die Flex, sie klang aggressiv, hörte nicht auf, eine halbe Minute, was müssen die bloß zuschneiden mitten in der Nacht? Ich sollte doch die Polizei rufen. Dann Stille. Minutenlang. Nicht weit entfernt wurde ein Auto angelassen, dann noch eines, da ging wohl eine Party zu Ende. Eins war ein Daimler, das hörte er. Seit die jungen Familien sich hier einnisteten, wurde es öfter hier und da sehr spät. Der Daimler fuhr vorbei, gefolgt von einem Audi. Viel zu schnell, zumal es kalt war und die Straße an vielen Stellen von einem Eisfilm überzogen. Sind die besoffen?

Ne, sagte er sich, ich bin schon noch okay, und legte sich wieder hin, aber ich sollte doch versuchen, weniger zu trinken. Hanna atmete ruhig und schon war er auch eingeschlafen.

2

Für Otto Korbach, seinen Nachbarn, war gestern der Sonntag verlaufen wie fast jeder Tag, nur ohne Erledigungen und ohne Arztbesuch.

Die Sonntagszeitung war erbärmlich; weder die Prospektbilder von Stränden der Seychellen noch ein Holzschuhmuseum oder die Cellulite konnten ihn interessieren. Also griff er beim Kaffee nochmals zur Beilage der FAZ vom Vortag. Nach dem Frühstück fuhr er für eine Stunde ins Schwimmbad, natürlich ins Leuze, und als er auf der Rückfahrt die Kirchgänger ruhig und zielstrebig ihrer Wege gehen sah, beneidete er sie etwas, weil ihre Woche einen Rhythmus besaß. Zu Hause schaltete er das klassische Konzert in der Glotze ein, ordnete ein paar Dinge, ging zwar zum Staubsauger, aber ließ ihn dann doch stehen, las Fachzeitschriften, bis es Zeit war für den Gang in das Gasthaus. Wildschweinbraten. Das Fleisch war mürbe, die Soße ausnahmsweise vorzüglich, die Semmelknödel aus der Packung, aber immerhin hatten sie die schmackhaftere Variante mit Speckwürfeln genommen. Von dort zurück legte er sich aufs Kanapee. Später kochte er sich wieder Kaffee. Schaute wieder in die Glotze, die Wiederholung der Bundesliga vom Samstag. Um halb fünf bestellte er ein Taxi zum Reitverein nach Botnang.

Der Jugo im Taxi maulte, als er ihn auf 6,80 Euro exakt herausgeben ließ; doch Korbach hatte noch nie grundlos Trinkgeld gegeben. Zudem war ihm etwas übel und vor dem Auto strauchelte er eine Sekunde auf dem eisglatten Schnee. Das junge Ding, das in ziemlich scharfem Trab in die Anlage hereingeritten kam, hätte ihn mit ihrem großen fuchsbraunen Hannoveraner-Wallach beinahe umgerannt. Die kleine Gerstenmaier war das, erst kürzlich noch ein Pummel, aber jetzt schoss sie auf wie ein Spargel und hatte bereits das erste M-Springen der Junioren gewonnen; die hatte es natürlich nicht nötig zu grüßen oder sich gar zu entschuldigen. Korbach registrierte den Dampf aus den Nüstern des Pferdes und balancierte über die leicht angefrorenen Schlammpfützen ins Clubheim hinüber. Obwohl sich die Januarsonne zaghaft bemühte, noch ein paar gelbe Strahlen durch den blassblauen Winterhimmel zu schicken, war Korbach misslaunig. Seine Stimmung war selten gut in letzter Zeit. Und wenn er hierher kam, dann eigentlich nur, weil er nichts Besseres mit sich anzufangen wusste.

Rotert und Sailer in ihren Lodenjoppen saßen schon am Tisch, den Rotwein vor sich und die Skatkarten zurechtgelegt.

»Dann wären wir ja zu dritt«, sagte Rotert, mundfaul wie er war, anstelle einer Begrüßung. Aber Sailer, die weißhaarige Krämerseele, dem früher zwei Modegeschäfte in der Innenstadt gehört hatten, meinte sich wortreich über Korbachs Befinden auslassen zu müssen: Er sehe bleich aus heute und ein bisschen eingefallen. Korbach schniefte. Was musste dieser angefressene Simpel ihm das hinreiben? Wo man dem feisten rotwangigen Sailer selbst doch die Herzschwäche vom Gesicht ablesen konnte! Korbach ärgerte sich, gerade weil stimmte, was Sailer sagte. Am Morgen im Leuze hatte er das Becken verlassen, weil ihm die Luft knapp wurde, und was am Freitag der Arzt gesagt hatte, war nicht erbaulich. Doch das gab dem anderen nicht das Recht, an ihm herumzukritteln. Bei Sailer war es doch genauso lächerlich wie bei Rotert, dass sie immer noch in Reitkleidung daherkamen, obwohl man sie seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesehen hatte. Korbach begnügte sich mit ledernen Besätzen an der Jacke.

Mürrisch signalisierte er der Bedienung mit der Hand, dass er das Übliche wolle: einen Heilbronner Roten. Die Schnapserei fing erst später am Abend an. Dann glitt er neben den beiden auf einen Stuhl und griff nach den Karten. »Wer gibt?«

Das war einer ihrer typischen Nachmittage. Vor zehn Jahren hatte Korbach seine Reitbeteiligung am Wallach Severin vom Reitclub Kräherwald hierher verlegen müssen, weil den anderen Partnern der Pensionspreis droben zu teuer geworden war; gegen Korbachs Willen, aber was hat schon einer zu sagen, der nur noch selten und dann auch nicht mit der besten Haltung aufsteigt, er musste ja froh sein, dass Penzold und die Haller ihn damals als Partner dabei behalten hatten. Nach dem Verkauf des Pferdes hatte er sich nicht mehr beteiligt und auch bald aufgehört, in Breeches und Stiefeln zu erscheinen.

Das Spiel lief nicht gut, Korbach verlor zwei Contra mit Musik, und die Rämsche liefen gegen ihn. Immer wenn er nicht dran war, schaute er um sich und fragte sich zum ersten Mal seit zehn Jahren, warum er eigentlich dieses elende Gehäuse zu seinem Stammlokal gemacht hatte, das keine Wirtsstube war und keine Zuschauertribüne, und wie die meisten dieser Clublokale mit einer erbärmlichen pseudo-rustikalen Ausstattung und geschmacklosem Nippes an der Rückwand. Das Holzgeländer am erhöhten Teil sollte aussehen wie vom Tegernsee, doch es war aus Kunststoff nachgemacht. Das Muster der Tischdecken sollte Volkskunst aus den Karpaten imitieren. Und der Wirt, ein Grieche, servierte den Trollinger in Römergläsern mit grünem Fuß …

»He, Korbach, Sie sind dran!«

Korbach warf übereilt die Pik-Dame, die Rotert prompt abfing, um ihm dann den Zehner zu ziehen. Es lief nicht gut.

Drei Trollinger weiter war er so weit unten, obwohl sie nur um Zehntel spielten, dass er den beiden anderen mehr als die Zeche bezahlen musste, und hörte auf. In der Halle waren inzwischen die ambitionierteren Dressurreiter zugange. Korbach gesellte sich zu einer Gruppe von Zuschauern vor der großen Scheibe, hatte aber bald ihre aufschneiderischen Kommentare und abgedroschenen Witzchen satt. Er setzte sich in die Nähe des Tresens an einen nackten gescheuerten Ahorntisch und bestellte Zwiebelrostbraten.

Später kam Penzold, sein früherer Pferdepartner, herein, aber in Jeans, er hatte nur kurz nach dem Pferd geschaut. Als er Korbach sah, setzte er sich zu ihm und ließ sich Maultaschen in der Brühe bringen. Penzold wirkte gehetzt, sein aggressives Politisieren wurde Korbach bald lästig, zumal er ihm doch in der Sache gar nicht widersprach. Sie redeten auch einige Sätze über Penzolds Ingenieurbüro. Er bearbeitete immer wieder Aufträge aus dem Rüstungsbereich, über die man besser nicht laut sprach. Angeblich war Penzold mit dem Steuerungsprogramm, für das er ihm kürzlich einen Interessenten aus Südamerika genannt hatte, noch nicht weitergekommen, doch Korbach wurde nicht ganz klar, worauf er hinauswollte; vielleicht tat er nur so, als laufe da nichts, um ihm seine drei Prozent Nachweisprovision vorzuenthalten. Das war eine Masche von Penzold: Wann immer man mit ihm sprach, hörte er sich an, als stünde er am Rand der Pleite; dabei wusste Korbach, dass er sein Geld nach Liechtenstein schaffte; angeblich hatte er dort auch eine Briefkastenfirma.

Als Penzold bald darauf zahlte und wieder ging, fragte sich Korbach, warum der überhaupt zu ihm hergekommen war. Er winkte der Bedienung, aber diese war bei anderen Gästen am Abkassieren, kam dann aber doch mit einem Fernet zu ihm. Er zahlte gleich und ließ sich ein Taxi rufen.

Kurz nach neun kam Korbach wieder nach Hause und öffnete mit dem Kellnermesser eine Flasche, um wie jeden Abend im Schreibtischsessel bis zum Schlafengehen in den Fernseher zu schauen. Wie jeden Abend interessierte ihn das, was er sah, nur mäßig. Die Spannungs-Sequenzen im Tatort hielt er nicht aus und schaltete den Ton ab; die Bilder auf dem Schirm waren jetzt für ihn nicht viel anderes, als es auch Flammen in einem Kamin wären: Zeichen, dass sich nicht nichts bewegte. Und wie immer, wenn er trank – und es gab keinen Abend, an dem er nicht trank –, führte ihn der Alkohol als verlässlicher Freund aus seiner Stube fort: zurück in seinen Erinnerungen, an die Anfänge, als er noch jung war, voll Kraft, voll Ehrgeiz und in seinen Mitteln nicht zimperlich, und später dann an die Orte des Erfolgs, immer von Leuten umgeben, Mitarbeitern, hinter vielen Frauen her … Und dann blieb er hängen in den dunklen Räumen, spürte noch die Gier, die Selbstzweifel, wo der Fehler lag, den Trotz, die Angst … Der Alkohol wurde zum hämischen Begleiter, bot nur eine scheinbare Ablenkung von der Schwärze, das Denken wurde sprunghaft, er litt unter seiner Verlassenheit und dass er zu niemand davon sprechen konnte. Erneut der Griff zum zynischen Verführer in der Hoffnung auf Vergessen. Oft schlief Korbach in seinem Sessel vor der tonlosen Glotze ein, um mitten in der Nacht steif und zerschlagen aufzuschrecken und zu seinem Bett zu tappen.

Er kam an diesem Tag aber nicht zum langsamen Vergessen und Einschlafen, jedenfalls nicht wie sonst. Die Flasche war schon fast leer, da spürte er etwas an der Gurgel. Ein Messer. Und eine Hand hielt ihm ein Wasserglas an den Mund.

»Trinken!«

3

Klaus Bieler, Polizeihauptmeister, hatte die Uniformjacke über den Stuhl im Revier gehängt und wartete auf den Kaffee, den seine Kollegin Jutta aufgießen wollte. Es war zwei, die Nacht bis jetzt war ruhig gewesen, sie hatten die Streife für diese Kaffeepause unterbrochen. Bieler dachte nach, doch die Quadratur des Kreises wollte nicht gelingen: Zwischen dem unbändigen Wunsch, mit der neuen Kollegin etwas anzufangen, und dem Familienglück mit Silvia, um die ihn alle beneidet hatten, mit dem kleinen Benny. Auf einmal wurde ihm klar, was ihn an seiner Frau irritierte: der Geruch, seit das Baby da war. Natürlich stillte sie. Und dann gab’s Bäuerchen und Läppchen, und ein feiner säuerlicher Geruch durchdrang alles. Das kotzte ihn an.

Aber Jutta! Vielleicht waren es auch die Pheromone, was immer das war. Oder Juttas Parfüm. Bieler wusste gar nicht, ob Jutta ein Parfüm benützte, aber sie roch jedes Mal wie warmes Brot …

»Kaffee, Kollege! – Bist du weggetreten?«

Da stand sie hinter ihm, wer weiß wie lange schon, und hielt ihm den Becher hin wie die gute Fee aus dem Werbespot.

»Wow. Schwarz wie die Seele, süß wie die Sünde …« Bieler griff nach dem Kaffee und führte den Becher an die Lippen. »Danke!«

»… und stark wie der Tod!«

Die Teufelin setzte immer noch eins drauf!

Da läutete das Telefon. Auch das schnappte sich die Junge. Du Miststück, du wunderbares! Mit dem Rest von Verstand, der Bieler im Moment noch verblieben war, sprang er auf und zückte die Autoschlüssel. Auf geht’s, ich bin doch kein Trottel!

»… natürlich, oben am Dachswald. Wir fahren gleich los. Sie soll auf die Straße rauskommen …«

Als sie nachkam, hatte Bieler den Streifenwagen schon gewendet.

Am Ziel trat ihnen am Gartentor eine völlig verstörte Frau entgegen, in Pantinen und den Mantel über irgendwelche Nachtkleider gezogen. Sie ließ sich nicht beruhigen. Nach dem Schild am Haus war sie Steuerberaterin. Ihr Mann stand hilflos dabei, auch er hatte offenbar das Nächstbeste übergezogen. Man musste sie ins Haus schicken, damit sie sich nicht den Tod holten, es hatte acht Grad unter null.

Die beiden Regelbergers, so setzten sich ihre Satzfragmente langsam zusammen, waren spät zu Bett gegangen. Als Ines mitten in der Nacht wach wurde, wunderte sie sich, dass ihr Mann vor ihrem Bett stand und etwas im großen Schlafzimmerschrank zu suchen schien.

»Was ist los, Gerd, was suchst du?«

In diesem Moment drehte sich die Gestalt um; im Lichtschein der Straßenlaternen erkannte sie, dass es nicht Gerd war, sondern ein Typ mit einer Skimaske vor dem Gesicht, die nur die Augen frei ließ. Er sah ihr ins Gesicht, war keinen Meter entfernt, hielt irgendetwas in der Hand. Sie starb vor Angst. Im nächsten Moment ein barscher Befehl, eher ein Warnruf, den sie nicht verstand, der Typ war weg, mehrere Fußpaare rannten die Treppe hinunter, ein Fahrzeug fuhr los. Der Spuk war vorbei und ihr Mann daneben wachte erst richtig auf, als das Auto auf der Straße Gas gab.

Wahrscheinlich war das der schlimmste Schock: dass der Einbrecher an ihrem Bett gestanden hatte und ihr Mann daneben nichts davon bemerkte. Der war offensichtlich voller Schuldgefühle, dass er sie nicht hatte beschützen können – wie töricht und sogar gefährlich der Versuch auch gewesen wäre.

Als Bieler im Vorraum den halben Schließzylinder der Eingangstür aufhob, wurde ihm klar, wie die Einbrecher vorgegangen waren. Sie hatten von außen den Zylinder mit einer Zange gepackt und abgebrochen. Dazu genügte es, wenn er zwei oder drei Millimeter herausstand. Der Rest ging ganz leise, weil der andere halbe Zylinder noch verkantet im Schloss hängen blieb und nicht auf den Fußboden knallte. Sie hatten vermutlich mit einem Dietrich die Haustür geöffnet. Und waren völlig lautlos hereingekommen.

»Das waren Vollprofis. Wissen Sie, eigentlich muss man sagen, das ist besser so. Am gefährlichsten sind Kurzschlusshandlungen. Den Experten unterläuft so etwas nicht. Sie haben ja gesehen, die hatten vorgesorgt, damit man sie nicht erkennt.«

Erst als Jutta Kübler zum zweiten Mal fragte, was die Einbrecher denn mitgenommen hätten, besannen sich die beiden. Aber sie konnten die Frage nicht beantworten.

»Was lag denn hier, auf dem Tischchen in der Diele?«

»O Gott, mein Schlüsselbund, der Geldbeutel, das Handy.«

»Von mir auch.«

»Und die Autoschlüssel natürlich?«

Ines Regelberger nickte und wurde bleich. Ihr Mann griff unwillkürlich in die Hosentasche und fand seinen Schlüssel.

»Steht ihr Auto noch in der Garage?«, fragte Bieler.

»Mein Mann stellt den Daimler immer rein. Mein Audi steht davor.«

 »Sind Sie sicher?«, sagte Bieler. »In der Einfahrt steht kein Auto. Trotz der elektronischen Sicherung. Dann waren die in erster Linie hinter dem Schlüssel mit dem Chip her. Und vom Daimler hatten Sie sicher auch einen Schlüssel am Schlüsselbund? – Dann wollen wir mal nachsehen. Ich gebe jetzt schon mal die Beschreibung des Audi an die Kollegen durch. Aber so profimäßig, wie die Typen arbeiten, steht der wahrscheinlich schon auf einer Ladepritsche.«

Bieler nahm sein Handy und gab nach Regelbergers Angaben die Fahrzeugbeschreibung an die Zentrale, während die kleine Prozession zur Garage marschierte. Da steckte tatsächlich der Schlüssel mit einem Schlüsselbund.

»Glück gehabt!«, sagte Jutta.

»Woher willst du das wissen? Sei doch nicht so voreilig!«

»Glaubst du, die hätten die lärmige Tür wieder zugemacht, ohne Not, und die Schlüssel trotzdem dagelassen?«

Jutta hatte schon wieder recht. Du Aas! Und tatsächlich, der Daimler stand noch drin. Glück im Unglück.

»Trotzdem würden dem neue Schlösser gut tun. Das würde ich möglichst schnell machen lassen. Bis dahin steht er rum wie ’ne Nutte aufm Strich.«

Bieler war baff, was die für Ausdrücke drauf hatte! Doch sie dachte an alles:

»Auf jeden Fall sollten Sie die Konten und Kreditkarten sperren lassen. Jetzt können Sie ja doch nicht schlafen. Für die Kreditkarten gibt es eine Zentralnummer in Frankfurt rund um die Uhr. Die meisten Banken haben auch eine Nummer für Tag und Nacht.«

Jetzt lass mich auch mal wieder was sagen, schließlich bin ich der Streifenführer!

»Können Sie bitte feststellen, was sonst noch alles fehlt, und morgen früh aufs Revier kommen? – Und wenn es Sie beruhigt: Rücken Sie einfach einen schweren Tisch gegen die Haustür oder stützen Sie sie mit einem Balken ab.«

So klingt er wie der Gutenachtonkel im Fernsehen, dachte Jutta, unendlich verlässlich. Ein Typ zum Anlehnen. Nur ein bisschen abgestanden für seine Jahre.

»Unsere Schicht geht bis acht. Bis sechs sind wir unterwegs.«

Unglaublich, sagte er sich nochmals, die denkt einfach an alles.

4

Bis jetzt war alles nach Plan verlaufen. Es war ein kalter, aber freundlicher Sonntagnachmittag gewesen gestern. Vor der Anstalt hatte er abgewartet, bis mehrere Besucherfamilien durch den Haupteingang drängten, und war zielstrebig zwischen ihnen hineingegangen. Der Pförtner schaute sowieso auf die Monitore. Erstaunlich, wie wenig eine Person auffällt, die nicht zögert und sich wie ein Insider bewegt. Im Eingangstrakt, wo sich Besucher mit und ohne Patienten drängten, um Süßigkeiten oder Blumen zu kaufen oder sich zu verabschieden, hielt er sich links, wo in einem Zwischenflur die Rollstühle abgestellt waren. Er nahm einen, prüfte die Leichtgängigkeit und die Bremse und schob ihn langsam durch das Menschengewühl in den Innenhof hinaus und hinüber zu einem gesichtslosen Gebäude aus den sechziger Jahren, dem Haus D. Hier im Hof war es fast menschenleer, obwohl Sonne und Kälte die Wege getrocknet hatten.

Das war kurz vor vier. Pünktlich um vier ging die Stationsschwester in die Cafeteria hinüber. Er stellte den Rollstuhl vor den Putzraum, und als die Schwester herauskam, musste er nicht einmal seinen Nachschlüssel benutzen, sondern kam noch vor dem Einschnappen des Schlosses hinein.

Da saß sie. Sie. Wie immer vor dem Fernseher, fett geworden, bräsig, in sich versunken. Mein Gott, dachte er, was für eine miserable Existenz. Sogar am hellen Nachmittag hockt sie vor der Glotze, wo doch draußen die Sonne scheint. Er ging auf sie zu, redete etwas von einem Spaziergang und bugsierte sie zu ihrem Zimmer. Da zog er ihr die Straßenschuhe an, den Mantel, der zu seinem Erstaunen schon auf dem Bett lag, und führte sie hinaus. Ein paar andere Patientinnen schauten ihnen mit ausdruckslosen Gesichtern nach; sie würden sich in wenigen Minuten an nichts mehr erinnern.

Bequem, wie sie geworden war, setzte sie sich widerstandslos in den Rollstuhl. Er fragte sich, ob er das Nembutal überhaupt brauchte, aber dann schraubte er doch das mitgebrachte Glas auf und hielt es ihr an den Mund. Sie trank, sie trinkt gierig, dachte er, und sie ließ sich wegschieben. Ohne Hast schob er sie über den Hof, durch die Eingangshalle und zur Pforte hinaus. Jetzt saß eine Pförtnerin da und auch sie schaute gelangweilt auf ihre Monitore.

Auf dem Parkplatz war sie bereits eingeschlafen. Jetzt kam das schwierigste Stück, die schwere Person ohne fremde Hilfe in den Van zu bugsieren. Aber er schaffte es.

Sie wachte nicht auf, als er sie in der Garage wieder in den Rollstuhl setzte und mit Klebeband festband. Und auch nicht, als er sie Stunden später in das Auto verfrachtete und hierher brachte. Erst als er ihr Ohrfeigen gab und starken Kaffee aus der Thermoskanne, kam sie zu sich. Und sie stierte ihn in ihrem Irrsinn an. Er hatte nicht den Eindruck, dass sie schreien würde. Das Risiko musste er eingehen, denn er wollte nicht, dass sie erbrach und erstickte. Aber das Klebeband für ihren Mund lag griffbereit.

Als er getan hatte, was er tun musste, fragte er sich, ob es der Mühe wert gewesen war, sie hierher zu bringen. Er hatte den Horror in ihren Augen gesehen, als sie zusehen musste, wie er langsam und methodisch zu Werke ging. Irgendwann wollte sie brüllen und er musste ihr den Mund verkleben, so dass sie fast erstickt wäre. Eine Weile war sie ganz weggetreten. Jetzt glotzte sie ihn nur noch starr an; irgendetwas war wahrscheinlich in ihrem Restverstand vollends kaputtgegangen, doch er durfte daran nicht denken. Er packte zusammen, drückte ihre Finger noch kurz auf ein paar Glasscherben von der Balkontür; dann schob er sie hinaus und schloss sorgfältig ab. Zwei oder drei Autos, darunter ein Streifenwagen, fuhren vorbei, während er sie durch die kalte klare Nacht zum Van schob. Wer einen Menschen im Rollstuhl schiebt, wird bemerkt, aber nicht gesehen. Apathisch ließ sie sich ins Auto laden. Es war jetzt vier Uhr dreißig. Er würde ein wenig herumfahren, schon um die eigene Spannung abzubauen. Wenn er sie in einer Stunde absetzte, hatte sie sogar noch eine Chance, dass man sie rechtzeitig fand … Wenn nicht, hatte sie Pech gehabt.

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