Schnüffelei und Schäufele - Birgit Ringlein - E-Book

Schnüffelei und Schäufele E-Book

Birgit Ringlein

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Beschreibung

Der junge Graf Lauenfels will sein elterliches Schloss in der Fränkischen Schweiz der Öffentlichkeit zugänglich machen – sehr zum Ärger seines Vaters, der das bürgerliche 'G'sindel' nicht in seinen Privaträumen haben will. Da das Geld des Gesindels aber die leeren gräflichen Kassen füllen muss, soll auch eine urige Schlosswirtschaft her, in der Köchin Dora Dotterweich den Fleischklopfer schwingen wird. Doch dann kommt der alte Graf zu Tode – im Folterkeller aufgespießt wie ein Schmorhähnchen. Dora ermittelt mit ganz eigenen Methoden, sehr zum Ärger der Bamberger Kripo.

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Birgit Ringlein absolvierte sowohl eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten als auch zur Fremdsprachenkorrespondentin und arbeitete mehrere Jahre in Nordafrika als Geschäftsführerin. Im Jahr 2000 kehrte sie nach Bayreuth zurück und ist seitdem bei der Universität Bayreuth beschäftigt und als Autorin tätig. Sie hat zahlreiche regionale Kochbücher veröffentlicht.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

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© 2019 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Montage aus iStockphoto.com/urfinguss; shutterstock.com/zilber42

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Susanne Bartel

eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-483-4

Ein fränkischer Genusskrimi

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die

Literaturagentur Lesen & Hören, Berlin.

Für Samy

Der Hass ist wie die größte Tugend und die schlimmsten Hunde – still.

Jean Paul, fränkischer Schriftsteller

1

»Himmelsakrament!« Aus der Küche neben der Speis hör ich einen derartigen Rumpler, dass ich vor Schreck fast mein Notebook fallen lass. Ich reiß die Tür auf und schau mich um. Zwei meiner Gusseisenpfannen liegen am Boden, der alte Graf glotzt mich erschrocken an und klammert sich am Spülstein fest. Vor ihm steht die Haushaltshilfe Sofie und hält einen silbernen Schöpflöffel schlagbereit.

»Des muss ich mir von dem fei ned g’fallen lassen!«

Sie knallt die Kelle auf den Tisch, stürmt mit hochrotem Kopf an mir vorbei und schmeißt die Tür zu, dass es nur so scheppert. Ich kann mir scho denken, was passiert is. Der alte Graf hat wieder amol seine Wurstfinger ned bei sich behalten können. Des kenn ich, am Anfang hat er es bei mir auch probiert, is mir nachgestiegen und hat versucht, mir den Hintern zu tätscheln. Mit dem Kochlöffel, mit dem ich damals gerade im Eintopf gerührt hab, hat er so einen Schlag auf seine Pratzen gekriegt, dass die Knöchel geknackt haben. Da hat er ziemlich dumm geschaut und sich mit der linken die rechte Hand gerieben, weil sie ihm wahrscheinlich gscheit wehgetan hat.

Mir war des wurscht, obwohl ich scho ein wenig erschrocken bin über meine Courage. Hier in der Gegend sind gute Jobs nämlich rar, und ich bin echt froh, dass mich der junge Graf als Köchin und Haushälterin eingestellt hat. Sonst hätt ich in der Früh nach Erlangen fahren müssen, in die Großküche von der Universitätsklinik oder zu Siemens. Ob mein alter Hyundai des auf Dauer ausgehalten hätt? Ich glaub’s ja ned. So is es halt scho echt bequem für mich. Abends, nach Feierabend, brauch ich bloß über den Schlosshof zu schlappen, dann bin ich daheim in dem kleinen Pförtnerhäusla direkt am Ostflügel. Ganz früher haben die Wachleute, später der Pförtner dort gehaust. Und jetzt wohn eben ich da, die Dora Dotterweich, Schlossköchin und -haushälterin, vierunddreißig, volljährig, vollschlank und vollbusig.

»Ja dann, was gibt’s denn heute Gutes, Dora?«, will der Lustgreis wissen, linst mir in den Ausschnitt und tut so scheinheilig, als wär er nur wegen dem Mittagessen in meiner Küche. Dabei reibt er sich heimlich seinen feuerroten Handrücken.

»Hirschmedaillons und Semmelklöß«, sag ich und versuch, dabei ein freundliches Gesicht zu machen, obwohl ich am liebsten sagen tät, was ich von ihm und seinem schmierigen Gefummel halt.

»Das ist aber was ganz Feines!« Er schmatzt leise und leckt sich die Lippen. »Das Fleisch kommt hoffentlich aus unseren eigenen Beständen. Ich mein nur, weil Wild ja sehr teuer ist. Aber Hirschmedaillons mit Semmelklößen ist und bleibt mein Lieblingsessen.«

Ja, Hirschmedaillons … und resche junge Hühnchen!, möchte ich am liebsten erwidern, aber ich nick nur, heb die zwei runtergefallenen Pfannen auf und häng sie an ihren Platz über dem Herd zurück. Einen Augenblick noch schaut er mir zu, wie ich mit einem feuchten Hadern über den Herd wisch. Ich weiß, dass er mir dabei auf den Hintern stiert, aber weil ich so tu, als wär er Luft, schlurft er schließlich davon.

So freundlich, wie der junge Graf is, so ein elendiger Drecksack is der olde. Er is ned nur ein schweinischer Grapscher, sondern auch hinter jedem Cent her wie Leonardo DiCaprio hinter magersüchtigen Models. Ständig will er wissen, was wie viel gekostet hat und warum wir es brauchen, und zählt öfter die Schnapsflaschen, Wurstdosen und die Räucherschinken in der Speis als wie ich. Ein paarmal am Tag kreuzt er in der Küche auf, um in den Kühlschrank und die Töpfe auf dem Herd zu schauen. Heffalasglotzer, so nennt man Leute wie ihn bei uns – und egal, ob Graf oder Bauer, des nervt, und zwar tierisch. Nebenbei pflegt der olde Graf noch seinen Standesdünkel; er: Seine gräfliche Erlaucht, wir: seine rechtlosen Dienstboten. Des Kaiserreich lebt.

»He, Dora? Is der Olde weg?«

Sofie schiebt sich herein und fällt auf den Stuhl. Ganz verstört schaut sie aus und tut mir echt leid. Ich schenk ein Haferl Kaffee ein, des ich ihr hinschieb. Sie greift danach und trinkt einen großen Schluck.

»Der grausliche Kerl will mir ständig unter den Rock und an den Busen fassen. Wenn ich des dahaam erzähl, lässt mich mein Justus hier nimmer arbeiten!«

»Dann erzähl’s ihm halt ned!«, antworte ich. »Musst ihm ja nicht alles sagen, deim Justus.« Jungbauer Justus, der Mann mit den zwei linken Händen bei der Arbeit und den zwei rechten beim Bierseidlastemmen. Dem seine bisher größte Lebensleistung is es, die fleißige Sofie geheiratet zu haben, die damals in Nürnberg bei einer Arztfamilie in Stellung war, und sie in des Kaff Lauenburg in der Fränkischen Schweiz zu verpflanzen. Seitdem arbeitet sie als Haushaltshilfe im Schloss. »Stoß ihn weg und hau ihm auf die Flossen, dem Olden. Du bist doch kräftig, des schaffst scho. Oder willst lieber bei euch dahaam Mist schaufeln, Vieh füttern und Heu wenden? Dagegen is der Job hier doch die reinste Erholung. Wo sonst willst denn in Lauenburg oder Umgebung Geld verdienen? Da musst scho bis nach Nürnberg neifahr’n, wenn du eine g’scheite Arbeit willst.«

Gleichgültig zuckt des Madla mit den Schultern, dann steht Sofie auf. »Ich muss noch die Wäsch bügeln und den Tisch deck’n. Danke für den Kaffee«, murmelt sie und schleicht sich.

Ich schau ihr nach. Leicht hat sie es ned, die kleine Sofie. Daheim auf dem Hof des Faultier Justus und bei der Arbeit im Schloss Graf Grapschhand. Kein schönes Leben auf Dauer. Wenn es ihr wieder amol zu viel wird, jammert sie mir die Ohren voll. Dann tröst ich sie mit Kaffee, selbst gebackenem Kuchen und einem ordentlich eingeschenkten Hausbrand. Der wird aus schlosseigenem Obst im Nachbardorf gemacht und hilft bei inneren und äußeren Leiden aller Art.

So, aber jetzt genug über die Sofie und ihr tristes Leben philosophiert. Ich muss schauen, dass des Essen fertig wird. Werd des Fleisch aus dem Kühlraum und die Weggla vom Vortag aus der Speis holen und mich an die Arbeit machen.

Hirschmedaillons mit Semmelklöß

Zutaten für die Hirschmedaillons:

2 Hirschmedaillons zu je 150 g

6 Wacholderbeeren

3 Pimentkörner

getrockneter Thymian

Salz und Pfeffer aus der Mühle

1 Bund Frühlingszwiebeln

Butterschmalz zum Anbraten

100 ml süße Sahne

evtl. Mehl zum Binden

2 EL eingemachte Preiselbeeren

Zutaten für die Klöß:

4 Semmeln vom Vortag

Milch zum Einweichen

1 kleine Zwiebel

50 g Räucherspeck

1 EL Butter

1 Ei, 1 Eigelb

Muskat, Salz und Pfeffer

1 EL gehackte Petersilie

Zubereitung:

Für die Klöß die Semmeln in mundgerechte Würfel schneiden und mit lauwarmer Milch übergießen, dass sie gut durchfeuchtet, aber nicht zu nass sind. Die Zwiebel schälen und fein würfeln, den Räucherspeck ebenfalls fein würfeln. Beides in der heißen Butter andünsten. Das Ei, das Eigelb, den Speck mit den Zwiebelwürfeln und die Gewürze unter die Semmelmasse mischen. Das Ganze zu einem Teig kneten und daraus mit angefeuchteten Händen Klöß formen.

In einem reichlich großen Topf Wasser mit einer Prise Salz zum Kochen bringen. Hitze reduzieren und die Klöß einlegen. Circa 20 min ziehen lassen, später mit einem Schaumlöffel einzeln herausnehmen.

Während die Klöß ziehen, Hirschmedaillons kurz abspülen und trocken tupfen. Wacholderbeeren, Pimentkörner und Thymian im Mörser zerreiben. Salz und Pfeffer dazugeben und miteinander vermischen. Die Hirschmedaillons mit dieser Gewürzmischung einreiben und beiseitestellen.

Die Frühlingszwiebeln waschen und putzen. Weiße und grüne Teile voneinander trennen. Die grünen in feine Streifen, die weißen in kleine Würfel schneiden.

Butterschmalz erhitzen und die Fleischstücke im heißen Fett von beiden Seiten kurz scharf anbraten. Die Hitze reduzieren, die weißen Zwiebelwürfel zugeben und mitbraten. Das Fleisch bei geringer Hitze weitere 6–8 min garen, dazwischen immer wieder wenden. Die Medaillons aus der Pfanne nehmen und warm stellen.

Die Sahne zum Bratensatz gießen und diesen unter Rühren vom Pfannenboden lösen. Die grünen Zwiebelringe dazugeben und die Sahnesoße kurz aufkochen lassen. Bei schwacher Hitze 5 min köcheln lassen. Falls gewünscht, die Soße mit etwas Mehl binden. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Je 1 Kloß und 1 Hirschmedaillon pro Teller anrichten, 1 EL Preiselbeerkompott neben das Fleisch geben, den Kloß mit Soße übergießen und servieren.

2

Wie ich grad die Soße abschmeck, steckt der junge Chef seinen Kopf durch die Tür.

»Was kochen Sie denn Gutes, Dora? Das duftet ja bis in die oberen Etagen.« Er lächelt so nett wie immer.

Ich sag es ihm und frag, ob er probieren will.

Gleich kommt er an den Herd, schnappt sich einen Löffel und kostet. Dabei verdreht er die Augen und leckt sich die Lippen.

»Ein Gedicht, liebe Dora, einfach wunderbar«, lobt er. »Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich gleich morgen das ›Eppelein‹ eröffnen – mit Ihnen als Küchenchefin. Wir hätten hundertprozentig Erfolg. Ich versteh es einfach nicht; mein Vater hat doch sonst nichts dagegen, Geld zu verdienen. Aber den Gedanken, ein Wirtshaus unter dem Schlossdach zu haben, erträgt er einfach nicht.« Er seufzt, und ich weiß, dass er mit der Entscheidung seines Vaters echt unglücklich is.

Finanziell stehen der Graf und sein Sohn nämlich ned besonders gut da. Der Unterhalt für den alten Kasten, in dem wir wohnen, kostet eine schöne Stange Geld, dazu kommen die Gehälter für die Angestellten, die ihn bewirtschaften. Im Büro stapeln sich die unbezahlten Rechnungen. Da wär es gar ned schlecht, wenn recht bald recht viele spendable Gäste ins Schloss kämen. Ich würd sie bekochen, dass ihnen der Speichel nur so läuft. Neben dem Lokal könnt man einen Schlossladen einrichten und unser eingewecktes Wildfleisch, Bratwürste, selbst gebrannten Schnaps und Beerenlikör verkaufen. Außerdem hab ich mir scho oft überlegt, ob ich meine Rezepte aufschreiben und in einem Schlosskochbuch veröffentlichen soll. Aber seit ich in verschiedenen Buchhandlungen die Regale voller Kochbücher gesehen hab, frag ich mich, ob sich damit wirklich was verdienen lässt. Und die Mitarbeiter tät ich alle ordentlich auf Trab bringen, die Sofie, den Verwalter Biergärtner, den Michel, unser One-Man-Team, und die Neuen, die der junge Baron für des »Eppelein« einstellen würde. Aber der Alte mag halt ned, und der junge Chef kommt gegen ihn ned an. Na ja, vielleicht stimmt er ihn ja doch noch um. Hoffentlich. Dora Dotterweich, Küchenchefin im Schlossrestaurant »Eppelein« auf Lauenfels, des wär doch was.

Wie des Essen fertig is, stell ich es in den Speisenaufzug, der es nach oben ins Esszimmer schafft. Eine klasse Einrichtung is des. Früher, also lang vor meiner Zeit, da haben die Hausmädchen alles durchs kalte Treppenhaus zwei Etagen rauf bis ins Speisezimmer schleppen müssen. Bis des Essen oben ankam, war’s meist nur noch lauwarm.

Wie der Aufzug hinaufrattert, nehm ich mir auch ein Klöß und Fleisch, setz mich an den großen Küchentisch und will grad anfangen zu essen, als der Biergärtner hereinschneit. Des is der Verwalter hier auf Schloss Lauenfels. Kriechviech oder auch Bierdümpfel, so heiß ich ihn insgeheim, weil er in der Früh oft nach Bier stinkt. Dann weiß ich, dass er am Abend vorher wieder einen Fetzenrausch gehabt hat. Er is des, was wir bei uns einen Dünnbrettlasbohrer nennen. Des is einer, der der Arbeit eher aus dem Weg geht und lieber die anderen schuften lässt. Aber der Bierdümpfel versteht es wie kein Zweiter, an den alten Baron hinzuschleimen und so zu tun, als wüsst er vor lauter Geschäftigkeit ned, wo er zuerst hinlangen soll. In Wahrheit schaut er aber, dass er die Arbeit anderen aufs Auge drücken kann. Außerdem schnüffelt er überall herum, horcht an Türen und trägt dem Alten alles zu, was er so aufschnappt. Ein richtiger Radfahrer halt, des Kriechviech, und ein mieser Verräter noch dazu. Mich hat er besonders auf dem Kieker. Wenn er meint, dass ich es ned merk, schaut er schnell in die Speis und zählt die Vorräte. Zu mir sagen traut er sich aber nichts. Vielleicht hat er Angst, dass ich ihm eine ordentliche Dosis Abführmittel in sein Bier kipp, wenn er mir blöd kommt. Eine gute Idee wär es auf jeden Fall, die wo ich mir unbedingt merken muss.

»Grüß Gott, Fräulein Dora«, sagt er jetzt und grinst recht dreckig. »Ham Sa denn aa noch so ein Klöß und ein Fleisch für mich?«

Wohl oder übel muss ich aufstehen und ihm eine Portion auftun. Ich reiß mich schwer zusammen, dass ich den Teller ned vor ihm hinknall, dass die Soße spritzt.

»An Guten!«, wünscht er mir und fällt über sein Essen her.

In dem Moment kommt die Sofie zur Tür herein. Ich sag ihr, sie soll sich auch was nehmen und sich zu uns hersetzen.

Schweigend essen wir, wobei der Bierdümpfel immer wieder misstrauisch von unten zu uns rüberlinst. Wahrscheinlich zählt er jeden unserer Bissen, damit er hernach seinem Chef zutragen kann, wie wir uns auf seine Kosten vollfressen. Na und, soll er doch. Des Essen steht uns nämlich zu. Vertragsmäßig.

»Stimmt’s denn, dass demnächst Küchenhilfen und Kellner zum Vorstellen kommen sollen?«, tut er recht scheinheilig und wischt sich mit dem Hemdsärmel den Mund ab.

»Woher soll ich des wissen?«, fauch ich grantig und schmeiß ihm eine Serviette hin. »Da! Wir sind hier ned im Bauernwirtshaus, Biergärtner. A weng an Anstand bei Tisch, wenn ich bitten darf!«

»Herr Biergärtner, wenn ich bitten darf, Fräulein Dora!«, knurrt er und ignoriert die Serviette.

So ein blöder Rammel. Aber gegen den Biergärtner darf man laut nix sagen. Sonst dreht der alte Lauenfels gleich durch, und man riskiert seinen Job.

Ich spring auf, reiß ihm den Teller unter der Nase weg und fang an, den Tisch abzuräumen.

»He, ich war fei noch ned fertig!«, geifert der Bierdümpfel, aber ich glaub, des hab ich ned gehört.

Auch die Sofie steht auf. Sie will sicher noch eine rauchen, bevor sie wieder nach oben an ihre Arbeit geht. »Gut war’s!«, lobt sie mein Essen, lacht mich an und verschwindet.

Mein Lieblingsfeind bleibt noch einen Moment am Tisch hocken. Er kann sich offensichtlich gar ned von mir und meiner zauberhaften Gesellschaft losreißen. Zum Glück schellt jetzt des Haustelefon. Es is die junge Gräfin, die mir mitteilt, dass ihr Schwiegervater den Herrn Biergärtner zu sprechen wünscht. Ich richt es dem widerwärtigen Spitzel aus, und endlich haut er ab.

Gemächlich räum ich die Küche auf und summ dabei vor mich hin. Ich mag meine Arbeit; irgendwie bin ich ja meine eigene Herrin, und totarbeiten muss ich mich auch ned. Nur am Sommeranfang, wenn die polnischen Feldarbeiter da sind, hab ich alle Hände voll zu tun, sonst koch ich nur für die Grafenfamilie und für die Angestellten, die im und ums Haus herum werkeln. Wenn des Kriechviech ned wär, hätt ich ein echt paradiesisches Leben bei der Familie Lauenfels. Alle Mitglieder lieben die fränkischen Spezialitäten, die ich ihnen vorsetz, und es gibt eigentlich so gut wie nie eine Klage. Nur manchmal meint die Gräfin, dass die Soße wohl ein klein wenig fett gewesen wär und sie deshalb Sodbrennen hätt, aber sonst? Komischerweise kriegt sie nie Sodbrennen, wenn sie hintereinander zwei von meinen frischen Schneeballen verdrückt, obwohl die mindestens genauso fett sind wie meine Soßen. Auch von meinen Urrädla und meinen Sahnetorten bleibt nie auch nur des kleinste Bröckala übrig. Da fällt mir ein, dass ich amol wieder einen Kuchen backen könnt. Ich muss unbedingt nachschauen, was wir noch an Obst dahaben.

»Frau Dotterweich?«

Ich dreh mich um.

Michel, unser One-Man-Team, steht an der Tür und tritt unruhig von einem Bein aufs andere. Total schüchtern is der Bub, deswegen bin ich für ihn immer noch die Frau Dotterweich und ned die Dora, so wie für seine Schwester. »Ich weiß, dass ich schon wieder zu spät zum Essen komm, aber ich musste noch für Graf Hans-Gregor nach Bamberg, was abholen.«

Der Michel is ein echtes Goldstück. Zweiundzwanzig is er, und es gibt nichts, was er ned reparieren, aufpeppen oder herrichten könnt. »So einen tüchtigen Mitarbeiter hatte die Familie noch nie«, sagt der junge Chef immer, wenn er dem Bierdümpfel eine reinwürgen will. Der läuft dann vor Wut knallrot an und trollt sich, so schnell er kann. Guter Mann, der Junior.

»Komm nur rein, Michel.« Ich hol einen Teller und Besteck und leg dem Jungen zwei große Fleischstücke und ein Klöß auf. »Wo is denn deine Schwester?«

»Noch in der Schule«, drückt der Bub zwischen zwei Bissen raus.

»Ich pack eine Portion für sie ein; sie hat sicher Hunger, wenn sie heimkommt.« Schnell hol ich eine Plastikdose aus dem Schrank.

»Danke, Frau Dotterweich. Wenn wir Sie nicht hätten.« Er lächelt mich scheu an und kriegt ganz rote Ohren.

So ein netter Bursch, der Michel. Seit dem tödlichen Unfall der Eltern sorgt er wie ein Vater für seine sechzehnjährige Schwester.

»Ach geh, Michel, des mach ich doch gern.«

Mit seinem eingedosten Hirschbraten zieht er ab und winkt mir an der Tür noch amol zu.

So, jetzt sind alle draußen, und ich hab meine Ruh. Während der Geschirrspüler läuft, schnapp ich mir die Zeitung und eine Tasse Kaffee und hock mich auf die Eckbank. Kaum hab ich den ersten Schluck getrunken, als des Telefon scho wieder scheppert. Mist, elendiger, was is denn heut bloß los?

»Dora? Hätten Sie Zeit, kurz ins Büro zu kommen?«, schnauft der Junior in den Hörer.

»Bin scho unterwegs.«

Im gräflichen Büro sitzt ein Madla Anfang zwanzig mit honigblondem Dutt, neonpinken Plastikkrallen, modischem Kostüm und megahohen Stilettos dem Juniorchef am Schreibtisch gegenüber. Um des gleich amol klarzustellen: Ich selber brauch ja so aufgerüschte Klamotten ned. Als kochtechnisch Hochbegabte muss ich mich ned in einen Designerfummel pressen; mir reicht eine Kochjacke.

»Kommen Sie nur rein, Dora.« Er wedelt mit der Hand, steht auf und schiebt mir einen Stuhl hin. »Das ist Frau Schmälzich, die sich um eine Anstellung als Servicekraft bei uns bewirbt.« Aha, ein Küchenhilfe-Casting also.

Kein »Grüß Gott!«, keine ausgestreckte Hand, ned amol ein kurzer Blick; Lauenburgs next Topfmodel ignoriert mich einfach.

»Ja, is es denn jetzt so weit? Sind die Stellenannoncen scho geschaltet?«, frag ich verwirrt, denn davon hab ich gar nix mitgekriegt. Und der alte Busengrapscher im zweiten Stock weiß sicher auch ned, dass sein Sohn bereits mit Bewerbern für des noch gar ned existierende Wirtshaus verhandelt. Wenn dem einer steckt, dass sein Junior scho Personal für des »Eppelein« einstellt, bricht hier sofort die Hölle los. Hoffentlich enterbt er ihn ned gleich. Also richtig gut find ich des jetzt ned.

»Nein, aber die Buschtrommeln haben’s verkündet. Offensichtlich weiß mittlerweile das ganze Dorf Bescheid. Frau Schmälzich wollte den anderen potenziellen Mitbewerbern zuvorkommen und hat sich deshalb bereits heute bei uns gemeldet.«

»Aha«, murmle ich und schau mir des Madla ganz unauffällig von der Seite an. Die hat noch immer keinen Blick für mich übrig, strahlt aber wie ein gräflicher Kronleuchter zum Junior hinüber, der nichts mitbekommt, weil er grad irgendwelchen Papierkram studiert.

»Sie haben sehr gute Referenzen, Frau Schmälzich«, erklärt er dann. Und in meine Richtung: »Die Bewerberin hat eine abgeschlossene Ausbildung als Fachfrau im Gastgewerbe.«

»Aha«, murmle ich zum zweiten Mal, weil, was soll ich sonst dazu sagen?

Erst jetzt geruht des zukünftige Küchenaushilfsmodel, mich mit einem kurzen kajalschwarzen Blick zu streifen, bevor sie trällert: »Ich beherrsche alle anfallenden Tätigkeiten im gastronomischen Bereich, wie Gäste begrüßen, Büfetts aufbauen, Menükarten entwerfen, Getränke ausschenken, mich um Tischwäsche und Dekoration kümmern und am Tisch servieren.«

»Ich brauch niemanden, der wo sich um irgendwelche schwindligen Dekorationen kümmert, sondern jemanden, der in der Küche richtig zupacken, Kartoffeln schälen, Salat und Gemüse putzen, auf gut Deutsch des Mise en Place vorbereiten kann, wenn Sie wissen, was ich meine«, schnauz ich. Die selbstgefällige Fachfrau geht mir echt auf den Zwirn.

»Aber es wäre doch sicher von Vorteil, eine Fachkraft im Betrieb zu haben, falls diese speziellen Kenntnisse einmal erforderlich sein sollten«, lenkt Graf Karl-Gustav ein.

Ich zucke mit der Schulter. Mir sind die speziellen Kenntnisse von Blondie völlig wurscht, solange sie mir in der Küche ordentlich zuarbeitet.

»Also, Frau Schmälzich, ich melde mich bei Ihnen, sobald ich mich entschieden habe.« Er lächelt freundlich, steht auf und streckt ihr die Hand hin.

Geziert langt sie mit drei gestreckten Fingern über den Schreibtisch, weil sie vielleicht denkt, dass der Graf ihr die Hand küsst. Fehlt bloß noch, dass sie den kleinen Finger abspreizt.

»Sie waren ja ganz schön ruppig zu der jungen Dame, Dora«, sagt der Chef ein ganz klein wenig angesäuert, sobald sie in einer Miss-Dior-Wolke aus dem Büro gestöckelt ist. »Dabei hat sie doch einen ganz passablen Eindruck gemacht. Ein wenig überambitioniert vielleicht, aber sonst …? Was meinen Sie?«

»Dass ich niemanden brauchen kann, der wo Gäste begrüßt und Menükarten malt, sondern jemanden, der bei der Arbeit richtig hinlangt«, erklär ich ihm. »Beim Kräuterhacken kann sie ihre ondulierten Nägel oder ihren Faschingsfummel fei ned zur Schau stellen. Weiß Ihr Vater eigentlich, dass sich jetzt scho Personal bewirbt? Hat er endlich sein Okay für des Wirtshaus gegeben?«

Da wird der Junior ganz unruhig und fingert nervös an seinem Hemdkragen rum. Des is mir jetzt fast a weng peinlich, weil ich weiß, dass der Sohn ganz schön Schiss vor seinem Alten hat.

»Ich werde noch heute mit ihm sprechen«, sagt er sofort, »und ihm klarmachen, dass wir ohne die Einkünfte aus der Gastronomie nicht überleben können. Die Erträge habe ich für das nächste Jahresbudget schon fest eingeplant. Das Dach hätte längst neu gedeckt werden müssen, und im Großen Jagdzimmer und im Ahnengang tropft es von der Decke. Ich muss unbedingt Herrn Biergärtner daran erinnern, bei Regen regelmäßig die Eimer zu leeren, damit sie nicht überlaufen und das Wasser den Parkettboden ruiniert. Und wegen Frau Schmälzich lassen Sie uns doch einmal abwarten, wer sich sonst noch auf die zu besetzenden Stellen bewirbt. Ich hätte gern so bald wie möglich Personal eingestellt, damit es losgehen kann, sobald mein Vater seine Einwilligung gibt«, entscheidet der Chef, als des Telefon bimmelt. Wahrscheinlich der Nächste, der sich zum adeligen Küchendienst berufen fühlt.

Der Name Lauenfels hat in der Fränkischen Schweiz von Bamberg über Nürnberg bis nach Bayreuth einen richtig guten Klang. Obwohl der alte Graf ein solcher Kniefiesler is, dass die Leute sagen, er hätt einen Igel in der Tasch, waren auch scho unsere Jobs im Schloss heiß begehrt. Viele im Dorf neiden mir die freie Kost und Logis als fettes Extra zum Lohn, der aber ned so üppig is, wie sich die meisten wohl einbilden. Auch über den Michel und seine Schwester is scho bös gelästert worden, weil sie mietfrei im Gartenhäusla wohnen dürfen, obwohl des wirklich keine Luxusherberge is, sondern eher ein besserer Geräteschuppen. So sind sie halt, die Lauenburger Bauern, neidig um jeden noch so lumpigen Hosenknopf. Aber wenn man sich erst amol an die oberfränkischen Eigenarten gewöhnt hat, kann man einigermaßen locker darüber hinwegschauen. Man muss ihr Benehmen halt unter Folklore einordnen, dann fühlt man sich inmitten der Eingeborenen einigermaßen wohl, für die »bassd scho« des allerhöchste Lob is. Mir jedenfalls gefallen die fränkische Wortkargheit und des Rustikal-Derbe besser als großmäulige Wichtigtuerei, aber ich bin ja selbst eine Eingeborene, weil ich ursprünglich aus Lauenburg stamme. Deswegen wohn ich auch ganz gern wieder hier, obwohl ich scho in der Welt herumgekommen bin.

Gelernt hab ich Patissière in einem schicken Münchner Hotel, aber jeden Tag nur mit Süßkram rumzuhantieren, war mir auf Dauer zu langweilig. Vier Jahre bin ich auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Karibik und den Golf von Mexiko gegondelt und hab am Herd alles gelernt, was frau im Leben so braucht. Nach einem Zwischenstopp von drei Monaten auf der Knott’s Berry Farm in Kalifornien, des is ein Freizeitpark, hat es mich dann in einen deutschen Ferienclub nach Sri Lanka verschlagen und danach ein paar Jahre auf die Kanaren. Wenn mein damaliger Lover, der Arsch, sich ned bei einem Kurztrip nach Südafrika mit einer Tabledance-Tussi und unserer Reisekasse aus dem Staub gemacht hätte, würd ich jetzt vielleicht in Johannesburg in einem sauteuren Restaurant für den Geldadel kochen und richtig Kohle scheffeln. Aber die paar Zwietscher, die ich noch im Geldbeutel hatte, reichten grad so für einen Rückflug nach Frankfurt. Nach Nürnberg bin ich in einem litauischen Lkw getrampt und dort erst amol bei meiner Freundin, der Lenz Isabel, abgetaucht. Die war es auch, die mir die Stellenanzeige der Lauenfelser unter die Nase gehalten hat.

»Falls du tatsächlich back to the roots willst, also haam nach Fränkisch-Sibirien, dann spring in die Schlappen und bewirb dich beim Grafen«, hat sie gesagt und dabei mit dem Zeigefinger auf die Annonce getippt: »Haushälterin/Köchin auf Schloss Lauenfels gesucht«. Des hat sich ned schlecht gelesen, und jetzt wohn ich scho seit zwei Jahren im alten Pförtnerhäusla. Des Schloss liegt auf einem Felsen über dem Aufseßtal, und ich find, dass es ausschaut wie ein englisches Herrenhaus aus der Tudor-Zeit, nur eben ned aus roten Ziegeln, sondern aus goldhellem Sandstein. Im oberen Stockwerk, da, wo die Wohnräume der Grafenfamilie untergebracht sind, läuft ein Band aus strahlend weißem Fachwerk mit dunklen Holzbalken rund ums Haus. Rechts und links vom Hauptgebäude befinden sich der Ost- und der Westflügel, sodass die Gebäude wie ein großes Hufeisen den Schlosshof mit dem Venusbrunnen umschließen. Mein Häusla liegt direkt am Ostflügel, da, wo die Felswand stufenförmig ins Tal abfällt.

Der Westflügel is der schönere von beiden. Auf der Rückseite umstehen uralte Kastanienbäume eine riesige Terrasse. Dort soll auch des Wirtshaus eingerichtet werden, weil es da die notwendigen Räumlichkeiten gibt. Zwischen den Kastanien verläuft ein Fußweg leicht bergan zum Fuchswäldla, des auch zum Schloss gehört und wo es eine Menge kleine Höhlen gibt. Und weil sonst hier kein Platz für irgendwas is, ned amol für den allermickrigsten Schlossgarten, liegen die Felder und Obstgärten, die eigentlich zum Schloss gehören, unten im Tal. Mir gefällt meine Umgebung jeden Tag ein bisschen mehr, ich fühl mich wohl hier in der Einöd, meinem Zuhause, und außerdem vertrag ich mich gut mit den Dörflern. Manchmal, wenn ich meinen einheimischen Slang vergess und Hochdeutsch red, schauen die Leute ganz komisch und fangen des Tuscheln an, aber eigentlich bin ich ein voll integriertes Mitglied der Lauenburger Dorfgemeinschaft – auch wenn ich feuerwehrrote Haare hab, die so lang sind, dass ich mich locker draufhocken könnt.

Des alles geht mir so durch den Kopf, wie ich über den Schlosshof zu meiner Wohnung schlendere. Jetzt hab ich nämlich erst amol meine Ruh und ein Stündchen Pause.

Am liebsten an meiner Wohnhöhle mag ich die hinten angrenzende winzige Steinplattform, so eine Art Terrasse für Schlanke, wo früher wohl amol eine Schildmauer war. Von dort führen ein paar wackelige Steinstufen hinunter zur ehemaligen Remise, in der jetzt der Rasenmähertraktor und jede Menge Gartengeräte herumflacken. Die gesamte Mauer is mit Kletterrosen überwuchert, und im Eck gibt es eine Nische, die immer im Schatten liegt, auch wenn’s krachert heiß is – so wie heut.

Ich schmeiß mich in meinen altersschwachen Liegestuhl und lehn mich zurück. Ah ja, des bassd! Der Ausblick von hier oben is echt der Hammer. Die Hügel mit Wiesen und Wäldern in allen Grünschattierungen, auf dem Berg gegenüber die Kleine Kappl, darüber der knallblaue Himmel – ich leb da, wo andere Urlaub machen.

Wahrscheinlich bin ich eingenickt, weil ich in die Höh fahr und gar ned weiß, wo ich bin, wie ich irgendwo unter mir zwei Mannsbilder reden hör. Ganz leis richt ich mich auf und spitz die Ohren.

»Zum allerletzten Mal – nein, Karl-Gustav, niemals! Wann geht es endlich in dein Spatzenhirn, dass ich nicht jeden Tag Hunderte von Gaffern in meinen Privaträumen herumlungern lassen will, die unsere kostbaren Antiquitäten mit ihren fettigen Bratwurstfingern befummeln und mit ihren verdreckten Plastikschuhen auf den unbezahlbaren Teppichen herumtrampeln? Nur über meine Leiche kommt mir so ein Gesindel ins Schloss, hast du mich verstanden?« Mit jedem Wort wird die Stimme vom Busengrapscher lauter und aggressiver.

»Vater, jetzt hör mir doch einmal zu. Wir brauchen dringend Einnahmen, weil –«

»Himmelherrgottsakrament, du Depp! Welchen Teil von Nein hast du nicht verstanden? Es wird weder Besichtigungen noch eine Gaststätte in dem Haus geben, in dem ich lebe, und das ist mein letztes Wort, kapiert?« Dem Busengrapscher sein Bass überschlägt sich vor Zorn. »Wenn du Geld brauchst, geh arbeiten, wozu hab ich dich jahrelang studieren lassen? Aber nein, dafür bist du ja zu fein, zu blöd oder was weiß ich. Ein Wirtshaus in unserem sechshundert Jahre alten Schloss? Das könnte dir so passen, du fauler Nichtsnutz. Jeden Tag Besoffene im Schlosshof, die in den Brunnen speien und an die Schlossmauern urinieren, das würde dir gefallen, was? Deinen Hang zum Pöbel hast du ja bereits hinreichend bewiesen, als du diesen Bauerntrampel geheiratet hast. Welcher Profession geht sie noch einmal nach? Sozialpädagogin? Ist das überhaupt ein richtiger Beruf? Braucht man dafür eine spezielle Ausbildung, oder reicht es, selbst eine Proletin zu sein?«

»So sprichst du nicht über meine Frau, Vater!« Die Stimme vom jungen Grafen is ganz rau vor Wut. »Unsere Ehe ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. Freya ist der tüchtigste, wertvollste, liebenswerteste und freundlichste Mensch, den ich kenne. Jede andere hätte schon längst Reißaus genommen, so schäbig, wie du sie behandelst. Aber sie erträgt dich und deine Launen ohne ein böses Wort. Und wenn du mir ein anständiges Gehalt dafür zahlen würdest, dass ich mich um die Buchhaltung für das Schloss, die Ernteerträge, die Jagdpacht und den Wald kümmere, bräuchte ich auch nicht wie ein Bettler zu leben. Ich sollte dir deine Almosen vor die Füße werfen und mir irgendwo in der Stadt ein eigenes Leben aufbauen. Dann könntest du mit deinem feinen Herrn Biergärtner sehen, wie du ohne meine Hilfe zurechtkommst. Wär bestimmt interessant, wenn sich dieser Alkoholiker um unsere Finanzen kümmern und die Bücher führen würde.«

»Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein und lass den Biergärtner in Ruhe. Der passt schon so, wie er ist. Auf jeden Fall versteht er sein Geschäft als Verwalter und hält unseren Besitz gut in Schuss. Kümmere du dich um deine Aufgaben; der Biergärtner kümmert sich um die seinen. Ich habe mehr als genug von deinem Geschwätz; ich muss noch im Weinkeller nach dem Rechten sehen und außerdem nachschauen, ob der Michel das defekte Schloss an der Tür zur Folterkammer repariert hat.«

»Jetzt hebst du deinen Verwalter in den Himmel, aber letzte Woche hast du ihm noch eine schriftliche Abmahnung erteilt, weil er betrunken den Jeep angefahren hat. Hast du das schon vergessen?« Ich hör den Junior verächtlich schnauben.

»Es reicht! Schluss jetzt!« So sauer hab ich den Alten noch nie erlebt. »Der Biergärtner ist einzig und allein meine Angelegenheit. Der geht dich einen feuchten Dreck an, verstanden? So, und jetzt geh mir aus dem Weg! Hast du nichts zu tun? Keine Rechnungen zu zahlen oder Bücher zu prüfen? Dir würden deine Dampfplaudereien schon vergehen, wenn du einmal richtig arbeiten müsstest!«

Schritte knirschen im Kies, dann flucht der Junior aus vollem Hals, und zwar so dreckig, dass ich grinsen muss. Hoffentlich merkt er ned, dass ich von meiner Terrasse aus gehorcht hab. So geladen, wie der momentan is, weiß ich ned, ob ihm des gefallen tät.

Dann hör ich ihn davongehen und schnauf ganz laut vor Erleichterung, weil ich in den letzten Sekunden die Luft angehalten hab.

»Dora! Dora!«

Ich spring aus dem Liegestuhl, renn nach drinnen und reiß die Haustür auf. Des hat mir grad noch gefehlt. Die Sofie und ihr Justus.

»Du, horch amol, Dora, was wor denn da heut scho widder los bei euch?« Dem Justus seine drei Brusthaare, die aus dem halb offenen Hemd hängen, zittern vor Wut.

»Wos soll scho los gewesen sein?«, frag ich gelangweilt und starr die Sofie ganz bös an. Am liebsten tät ich ihr auch noch einen Vogel zeigen. Hab ich ihr ned gesagt, dass sie des Maul halten und ihrem depperten Justus ned immer alles brühwarm erzählen soll? Hat sie ihm also die Grapscher-Story von heut Morgen gesteckt.

»Soch dem Alten, dass ich ihn abstech, wenn er mei Frau ned in Ruh lässt«, nuschelt der Jungbauer durch seine nikotingelben Zähne.

»Soch’s ihm doch selber!«, fahr ich ihn an. »Wennst dich traust!«

Hab ich eigentlich scho erwähnt, dass der Justus und ich so richtig gute Freunde sind? Ich mag ihn fast so sehr wie den Bierdümpfel, aber halt nur fast. Über den Bierdümpfel geht nix, er is mein absoluter Liebling.

»Pass bloß auf, gell!«, warnt er mich und kommt ganz schön nah an mich hin. »Ned, dass amol der Watschnbaum umfällt!«

Mit einem Ruck zerr ich die Sofie in den Flur und knall als Antwort dem Justus die Tür ins Gesicht.

Drei-, viermal haut er noch mit der Faust dagegen, dann schleicht er sich, flucht aber vor sich hin wie ein Bierkutscher.

»Soch amol, Sofie, spinnst du? Warum erzählst denn dem Deppen solche Räubergeschichten? Du weißt doch, wie der sich immer aufspult. Wenn der jetzt dem Alten über den Weg rennt, bist deinen Job los, des weißt aber scho, oder?«

Die Sofie hockt auf meiner Kunstledercouch und heult wie ein Schlosshund. »Irgendwie konn ich einfach nix für mich behalt’n. Ich weiß aa ned, was des is. Es sprudelt bloß so aus mir raus«, greint sie und wischt sich des nasse Gesicht mit dem T-Shirt ab.

»Da!« Ich schmeiß ihr ein Papiertaschentuch in den Schoß. »Schnäuz dich amol richtig, bevor dich noch wer sieht mit der Rotzglockn.«

Sie schnieft noch ein paarmal, dann steht sie auf. Ich schieb den Vorhang auf die Seite und lins aus dem Fenster. Weit und breit nichts zu sehen vom Justus.

»Jetzt komm.« Wir trotten grad über den Hof, wie der Michel sich aus der Küche schleichen will. Ein wenig erschrocken schaut er, als er uns sieht, fast so, als hätten wir ihn bei irgendwas Unrechtem ertappt.

»Servus, Frau Dotterweich, ich hab nur die Plastikdose zurückgebracht. Ich soll Ihnen viele Grüße von der Sabrina ausrichten, und sie bedankt sich auch schön für das Essen.« Er winkt kurz und verschwindet Richtung Garten.

»Warum hat der’s denn heut so eilig?«, wundert sich die Sofie. »Der hängt doch sonst so gern bei dir in der Küche rum.« Dem Buben fehlen halt die Eltern, drum lässt er sich ab und zu ganz gern von mir bemuttern.

»Wahrscheinlich hat er einen Haufen Arbeit, im Gegensatz zu anderen Leuten«, zwick ich sie auf und grins dabei.

»Wos bist denn heit gar so ekelhaft? Ich glaub, da is mir fast der Lustgreis noch lieber«, mault unsere Haushaltshilfe und trollt sich.

»Na, wenn des keine angenehme Überraschung is!«, sag ich, wie ich in die Küche komm. Manchmal kann ich des Frotzeln einfach ned lassen, vor allem ned, wenn des Kriechviech auf der Eckbank hockt und den Kaffee aus meiner Thermoskanne säuft. »Darf ich Ihnen sonst noch etwas anbieten, lieber Herr Biergärtner? Vielleicht eine Kaviarkartoffel oder ein Hummerschwänzchen? Oder lieber ein halbes Dutzend Austern mit einem Gläschen Champagner? Fühlen Sie sich doch bitte ganz wie zu Hause an meinem Arbeitsplatz!«

»Leck mich fett, Pumuckl!« Er schaut mich an, wie wenn er mich am liebsten mit dem Fleischklopfer erschlagen tät, aber dann hievt er seinen Hängehintern hoch, stampft an mir vorbei und schmeißt die Tür hinter sich zu, dass die Töpfe und Pfannen über dem Herd Tango tanzen.

»Genau, Herr Bierdümpfel!«, schrei ich ihm nach. »Ich hab Sie auch lieb!«

Puh, also ehrlich, der Bierdümpfel und ich werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Der Justus und ich aber auch ned. Mir doch wurscht. Solang der junge Graf und seine Frau mich mögen, kann’s mir ganz hinten vorbeigehen, ob die zwei Bauernfünfer mich am liebsten im Springbrunnen ersäufen täten, weil am Arsch vorbei führt schließlich auch ein Weg.

Ich schau dem Bierdümpfel nach, wie er über den Hof rennt, und seh dabei den Junior mit dem Hainzel Konrad die Treppe zum Büro hinaufgehen. Was treibt denn der Hainzel bei uns? Ob der sich auch bewirbt, der Langfinger? Zusammen mit der Schmälzich und dem Justus hätten wir dann die im fränkischen Dialekt sogenannte »Hautevolaute« von Lauenburg hier oben im Schloss versammelt. Aber is ja auch egal, ich muss jetzt erst amol die Chefin fragen, ob sie fürs Abendessen spezielle Wünsche hat.

»Grüß Gott, Dora, das ist ja schön, dass ich Sie antreffe.«

Grad noch hab ich an sie gedacht, da steht sie auch scho leibhaftig vor mir, die Gräfin Freya. Seit die Frau vom Alten vor einigen Jahren gestorben is, is die junge Gräfin die First Lady im Schloss und drum meine Chefin.

»Hätten Sie wohl einen Moment Zeit für mich?«

»Freilich!« Für meine Chefin immer. Sie is so eine liebe Frau, jederzeit freundlich, hat immer ein nettes Wort für jeden, auch wenn sie manchmal ein wenig zerstreut wirkt. Aber sie is die Liebenswürdigkeit in Person und außerdem eine ganz Hübsche. Wenn sie lächelt, schaut sie der Monegassen-Fürstin ähnlich, so richtig aristokratisch. Selten hat sie irgendwelche Extrawünsche, was des Essen angeht, und wurscht, was für Desserts oder Gebäck ich ihr hinstell, immer lobt sie meine Süßspeisen in den höchsten Tönen. »Wirklich, Dora, diese Bayerisch Creme ist ein Gedicht«, oder: »Der Grießflammeri mit dem Himbeermark ist eine Offenbarung«, lacht sie, wenn es ihr besonders gut schmeckt, und verdreht dabei wonnig die Augen. Würd sie ned immer so ein tadelloses Benehmen an den Tag legen, tät sie wahrscheinlich a kleins wengla schmatzen.

»Ich glaub, heut kann ich Ihnen was Gutes tun«, sag ich und stell den Rest von der Schoko-Sahne-Torte von gestern vor sie hin, die ich vor den gierigen Pratzen meiner Kollegen ganz hinten im Kühlschrank versteckt hatte, weil ich weiß, dass es die absolute Lieblingstorte der Gräfin is.

»Ach, Dora, ich sollte wirklich nicht …« Ihre Augen glänzen vor lauter Gnosch.

»Es ist das letzte Stück, Frau Gräfin, ich hab’s extra für Sie aufgehoben«, lock ich sie.

Da lacht sie ganz lieb und schiebt sich eine Gabel voll in den Mund.

»Oh, herrlich, ein Traum!« Sie lässt es sich schmecken. »Die Füllung schmilzt auf der Zunge. Dora, Sie sind eine Zauberin.«

»Wohl eher eine Hex, meinen jedenfalls die meisten!«, grins ich und wart, bis sie den letzten Bissen gegessen hat.

»Also«, sagt sie dann, »ich wollte auch nur fragen, ob noch etwas von der Entensülze vom Dienstag da ist. Wir möchten heute Abend nur eine Kleinigkeit essen.«

»Mit einem kleinen Salat, frischem Bauernbrot und Rahmbutter? Und einem Glas Kellerbier? Oder lieber Wein?«, will ich wissen.

»Ich dachte an ein Glas trockenen Rosé. Und wäre es möglich, morgen Mittag Kartoffelpuffer mit Lachs zu servieren? Darauf hätte mein Mann mal wieder Appetit, hat er gesagt.«

»Kein Problem. Ich wollt morgen eh zum Einkaufen zum Großmarkt nach Nürnberg, da kauf ich gleich frischen Räucherlachs. Und Sie haben keinen Wunsch? Ich schau nämlich morgen auch im Räucherhäusla in Forchheim vorbei. Soll ich für Sie vielleicht einen Wacholderschinken mitbringen?«

»Nein, danke, Dora. Sie haben mir ja heute schon einen Wunsch erfüllt«, strahlt sie. »Torte.«

Entensülze

Zutaten:

1 Karotte

Butter

1 große Gewürzgurke

1 kleine Ente, vorgebraten (ca. 1,2 kg)

500 ml Hühnerbrühe

250 ml trockener Weißwein

125 ml Weißweinessig

Salz und Pfeffer

10 Blatt Gelatine

Zubereitung:

Die Karotte schälen, in feine Scheiben schneiden und in wenig kochendem Wasser mit etwas Butter weich kochen.

Die Gewürzgurke in feine Scheiben schneiden.

Die Ente komplett entbeinen, Haut, Knorpel und Fett entfernen, das Fleisch klein schneiden. Die Hühnersuppe mit dem Wein und dem Essig erhitzen, salzen und pfeffern und die Gelatine darin auflösen.

Die Fleischstücke, die Karotten- und Gurkenscheiben portionsweise auf Suppenteller verteilen und die Aspikflüssigkeit darübergießen, sodass alles gut damit bedeckt ist. Über Nacht in den Kühlschrank stellen.

Mit Bauernbrot und Rahmbutter oder wahlweise mit knusprigem Weißbrot und Salat servieren.

3

In dem Moment tut es irgendwo unter uns im Keller einen Fetzenrumpler, und ein paar Sekunden später kreischt jemand vor dem Küchenfenster derart laut, dass wir vor Schreck hochfahren. Ich brauch einen Moment, bis ich mich gefangen hab, dann reiß ich mich z’amm und renn hinaus, um nachzuschauen, was passiert is. Gell, fei ned, dass jetzt wer denkt, ich wär neugierig oder so, ich bin halt nur gern gut informiert. Und die Schreierei hört sich ganz so an, als ob’s da draußen ein richtiges Rambazamba gäb.

Wie ich die Tür aufreiß, rempelt mich die Sofie fast über den Haufen, käsweiß und mit ganz starrem Blick.

»Aaahaaahaaah!« Ihr Mund is weit aufgerissen, und sie kann gar ned aufhören zu plärren.

»Aber Sofie, was ist denn? Sie sind ja ganz durcheinander!«, stellt die Chefin mit leichtem Stirnrunzeln fest.

Wie bitte, durcheinander? Des is aber echt die Untertreibung des Jahres. Von hinten drängelt sich die Chefin an mir vorbei und will den Arm um ihre Hausangestellte legen. Doch die schubst sie einfach auf die Seite, hält sich am Türrahmen fest und heult weiter wie eine Feuersirene. Weil mir fast des Trommelfell platzt, hau ich ihr eine auf die Backen, also der Sofie, ned der Gräfin, da is sie dann ruhig, kommt wieder zu sich und schaut uns mit riesengroßen Augen an.

Wir zwei, die Chefin und ich, packen jede einen Arm und führen die Sofie an den Tisch. Sie fällt auf den Stuhl, Mund und Augen aufgerissen, der Oberkörper ganz steif. Ich stürz zum Kühlschrank, reiß die Flasche mit dem Kirschbrand aus dem Obstfach, wo ich sie immer vor dem Bierdümpfel versteck, und schenk eine halbe Tasse voll ein. Die press ich der Sofie an die Lippen und sorg dafür, dass sie alles austrinkt. Dabei merk ich, wie des arme Ding von Kopf bis Fuß zittert. Ich setz mich ihr gegenüber, pack ihre eiskalten Händ und reib sie zwischen meinen, damit sie warm werden.

»Sofie, ruhig jetzt! Erzähl, was passiert is!« Hoffentlich is der alte Lustgreis ned über sie hergefallen. Hoffentlich hat er ihr nix angetan. Hoffentlich hat sie bloß einer erschreckt.

»Ich … Dort unten … Der olde Graf …« Sie bringt keinen vernünftigen Satz heraus, so geschockt is sie.

»Wo unten, Sofie? Im Weinkeller? Im Gewölbe? Im Geräteraum? Wo denn? Hat er dir was getan? Jetzt sag halt, was los is«, dräng ich sie.

Sie schüttelt den Kopf, die Tränen laufen ihr in Strömen übers Gesicht. Trotzdem seh ich ihr an, dass sie versucht, sich zu fassen.

»In der Folterkammer«, haucht sie dann so leis, dass ich es kaum versteh.