Schöne Schwester Tod - Walter M. Dobrow - E-Book

Schöne Schwester Tod E-Book

Walter M. Dobrow

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Beschreibung

Ellen Hamann ist Kriminalbeamtin ... bis sie ein traumatisches Ereignis unfähig macht, diesen Beruf länger auszuüben. Sie wird Ermittlerin für eine Versicherungs-Gesellschaft und gerät in den Sog eines Verbrechens, dessen Spur von der Lübecker Bucht bis ins ferne Gran Canaria führt ...

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Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhaltsverzeichnis

Mai

Juni

August

September

Oktober

Mai

Ellen Hamann war froh, dass der Tag endlich vorbei war. Die bohrenden Kopfschmerzen, mit denen sie schon am Morgen erwacht war, hatten sich auch durch die Einnahme von zwei Tabletten nicht abschalten lassen. Zudem hatte ihre Tätigkeit ausschließlich im Schreiben von Berichten bestanden.

Immerhin war der Stapel der zwar faktisch abgeschlossenen, aber noch nicht in „Papierform“ gegossenen Fälle etwas kleiner geworden.

Sie fuhr ihren Computer herunter, knipste die Schreibtischleuchte aus und stand geräuschvoll auf.

„Ich geh dann mal“, sagte sie zu ihrem Kollegen Herbert, „Herbie“ Pring, der am anderen Schreibtisch noch über seinen eigenen Akten brütete.

„Warte, ich komm mit“, antwortete er.

Ellen Hamann, wie ihr um einige Jahre älterer Kollege Kriminalkommissar, beziehungsweise in ihrem Fall „-in“, arbeiteten seit gut einem Jahr zusammen in der Sondergruppe Organisierte Kriminalität, da es solche in zunehmender Intensität auch in Lübeck und Umgebung gab. Die nach Osten nunmehr fast offenen Grenzen hatten diese Form des Verbrechens zu enormer Blüte gebracht.

Sie traten zusammen aus dem wuchtigen Backsteingebäude, in das ihr Dezernat während der Umbauzeit des Kommissariats- Mitte ausgelagert worden war. Angemietete Büroräume, zwar nahe des Hauptbahnhofs, aber dadurch in bequemer Nähe zur Untertrave, an der es etliche gemütliche Kneipen gab.

„Noch 'n After-Work-Bierchen?“, fragte Pring.

Ellen überlegte kurz. Udo, ihr Mann, würde sowieso noch nicht zu Hause sein. „Warum nicht ...“, willigte sie ein.

Während sie das kurze Stück an der Trave entlanggingen, raste ein Einsatzzug der Berufsfeuerwehr mit heulenden Sirenen und Blaulicht an ihnen vorbei. Sie betraten das Holstenstübchen, an dessen Theke sie schon oft gesessen hatten.

„Na ihr, wie immer?“, begrüßte sie Karen, die Bedienung hinter dem Tresen.

Herbie nickte und bald darauf standen die schäumenden Gläser vor ihnen auf der Theke. Sie tranken schweigend den ersten Schluck.

„Nun sag mal ...“, sagte Herbie schließlich. „Was ist los bei euch?“

Ellen zuckte die Schultern. „Das Übliche“, meinte sie dann resigniert. „Wir haben uns wohl ein bisschen auseinandergelebt, und in letzter Zeit ... Ich merke, dass mir das so nicht reicht. Da fehlt was ...“

Herbie, der selbst gerade seine Scheidung halbwegs verdaut hatte, nahm noch einen Schluck. „Schichtdienst und Familie“, meinte er etwas bedrückt. „Passt wohl nicht.“

Fast gleichzeitig klingelten ihre Handys und sie sahen sich an.

„War wohl nix mit Feierabend“, meinte Herbie noch, bevor sie an den Apparat gingen.

Es war der automatische Alarmruf und Herbie übernahm es, im Präsidium anzurufen. Er trat dazu auf den Gehsteig, denn es war laut im Lokal. Ein weiterer Feuerwehrwagen raste vorbei und Herbie sah ihn hundert Meter entfernt in die Bäckergrube einbiegen, die nun auch ihr Ziel war. Er kehrte an den Tresen zurück und setzte sich.

„Na?“, fragte Ellen.

Herbie nahm einen Schluck, bevor er antwortete. Er wies mit dem Daumen nach draußen. „Die Feuerwehr eben ... Brennt in einer Pizzeria in der Bäckergrube, und die Kollegen vom Revier meinen, das könnte mit unseren Kunden zu tun haben.“

Ellen nickte. „Mal sehen – das wäre der dritte Fall in einem Monat – Rekord.“

„Auf geht’s“, sagte Herbie, zahlte das Bier, und sie gingen in Richtung Bäckergrube.

An der Ampel staute sich der Verkehr, denn die Kollegen von der Schutzpolizei hatten die Straße gesperrt. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie die pulsierenden Blaulichter. Ein paar dünne Rauchschwaden drangen noch aus dem alten Patrizierhaus, in dem die Pizzeria Neapolina sesshaft war.

„Sie können hier nicht durch!“, herrschte ein aufgeregter Feuerwehrmann sie an und Herbie zog wortlos seinen Dienstausweis.

Die Menge der Feuerwehrfahrzeuge war in diesem Fall Overkill, aber bei Bränden in der eng bebauten Altstadt Lübecks ist immer Großalarm. Die meisten Feuerwehrleute rückten aber bereits wieder ab und zurück blieb ein Fahrzeug mit einer Brandwache. Von außen war nicht viel zu sehen.

Eine Scheibe war zersplittert, an der anderen klebte schwarzer Ruß. Ellen und Herbie pressten sich Papiertaschentücher vor den Mund und wollten eintreten, aber das erlaubte der Wehrführer noch nicht. „Tag, Kollegen“, sagte Hauptwachtmeister Kollhase, der sie angefordert hatte.

Er kannte sein Revier und die Leute darin gut genug, um zu wissen, dass sich da seit einiger Zeit unschöne Dinge breitmachten. Schutzgelderpressung war nur eines davon.

„Giaco will nichts sagen.“

Er wies auf den stumm vor dem Restaurant stehenden Italiener, der seine Frau im Arm hielt.

„Die Albaner?“, fragte Ellen, aber Kollhase schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das waren die Russen diesmal.“

Sie verständigten sich mit einem Kopfnicken, und während Herbie mit Giaco Falcone, dem Wirt, redete, versuchte Ellen, etwas Brauchbares aus seiner Frau Angelina herauszubekommen. Beide standen aber noch unter Schock und wurden daher für den nächsten Tag ins Büro gebeten.

„Sie können jetzt rein“, sagte der Wehrführer, und sie betraten die Gaststube.

Es roch stark nach Verbranntem und alles war mit einer feinen Rußschicht bedeckt, aber es sah wohl schlimmer aus, als es war. Der Brandherd lag in einer Ecke, wo einige Tische und Stühle verkohlt waren. Herbie wies auf den Tresen, hinter dem ein Flaschenregal bis zur Decke reichte. Zerschlagene und umgefallene Schnaps- und Weinflaschen, aber hier hatte es nicht gebrannt.

„Baseballschläger“, tippte Ellen und Herbie nickte. Die Spurensicherung kam und damit war für Ellen und Herbie erst mal Feierabend.

„Achtet auf Reste von Brandbeschleunigern da ...“, wies Herbie die Kollegen auf die Ecke hin, in der es gebrannt hatte.

Sie gingen schweigend nebeneinander her bis zum Parkplatz, verabschiedeten sich und fuhren nach Hause.

Ellen kam gut durch. Um diese Zeit war die Moislinger Allee schon ziemlich leer. Udos BMW stand im Carport und so blieb ihr der Parkplatz an der Straße, wo sie ihren Polo abstellte.

Das schmucke Reihenhaus in der Neubausiedlung neben dem Ufer des Travekanals hatten sie vor einigen Jahren bezogen, als alle Zeichen noch auf ewiges Glück und Familie standen.

Ellen seufzte und schloss die Haustür auf. Früher war Udo ihr entgegengekommen, wenn er den Schlüssel gehört hatte ...

Sie in den Arm genommen und geküsst. Sie legte ihre Jacke ab und ging ins Wohnzimmer, wo er auf dem Sofa lag.

Er sah sie an und schnüffelte.

„Warst du am Lagerfeuer?“, fragte er, ohne Anstalten zu machen sich zu erheben.

„Brandstiftung“, sagte sie knapp und ging nach oben, um sich umzuziehen.

Sie merkte, dass auch ihr Haar nach Rauch roch, und unter der heißen Dusche beschloss sie, Udo zu verlassen.

Paul lehnte sich in seinem bequemen Bürosessel zurück und sah aus dem Fenster. Wenn er sich ein bisschen vorbeugte, konnte er den Hafen sehen. Hinter einigen Fischkuttern ragte der Steg vor der ehemaligen Evers-Werft ins fast unbewegte Hafenwasser, und an diesem Steg lagen, eine neben der anderen, seine zehn Segelyachten, die sein Geschäft und Kapital waren und die dort zu dieser Jahreszeit eigentlich gar nicht liegen durften.

Seit fünfzehn Jahren betrieb er die Lübecker Bucht Yachtcharter, aber so schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie gewesen. Alte Kunden waren ausgeblieben und die Neulinge unter den Chartergästen waren heiß umkämpft und ließen sich von Rabatten der Konkurrenz einfangen, mit denen Paul Schrothoff nicht mithalten konnte.

Die Hanseat 2, einer der weißen Ausflugsdampfer der Belis-Reederei, fuhr in den Hafen ein und Paul runzelte die Stirn, weil der Schiffsführer seiner Meinung nach unverantwortlich schnell fuhr und beim Einleiten des Wendemanövers, das ihn an den Kai bringen sollte, einen Wasserschwall verursachte, der die Rümpfe seiner teuren Charterboote aneinanderstoßen ließ.

Das Telefon klingelte und Paul setzte sich aufrecht hin, was er immer tat, wenn er mit einem Interessenten verhandelte. Er befeuchtete die Lippen, sah dann aber im Display, dass der Anruf von seiner Frau Cora kam. Enttäuscht nahm er ab und ließ sich in seinen Sessel zurückrutschen.

„Hallo Schatz“, flötete Cora in sein Ohr. „Hoffentlich hast du nicht vergessen, dass wir heute Abend zum Essen mit Gerd und Nina verabredet sind. Wann bist du zu Haus?“

„Bin so gegen fünf da“, beschied Paul.

Cora erzählte ihm noch etwas über ein neues Kleid, das sie gesehen hätte, aber Paul hörte nicht richtig zu, und als sie merkte, dass sie sein Interesse nicht wecken konnte, beendete sie das Gespräch.

Paul stand auf und holte sich einen Kaffee aus der Kaffeemaschine im Vorzimmer. Früher – er musste bitter grinsen, denn „früher“ war erst drei Monate her – hatte hier Frau Hansen residiert, eine tüchtige Sekretärin, und es war Paul sehr schwer gefallen, sie entlassen zu müssen. Aber es reichte hinten und vorne nicht mehr. Cora hatte er erzählt, dass Frau Hansen auf eigenen Wunsch gekündigt hätte.

Cora wusste noch nichts von der drohenden Insolvenz, die nun beinahe unausweichlich war. Paul erhielt sorgfältig den Schein einer gesunden Firma aufrecht und nur einige Insider spekulierten über die Charterfirma, deren Boote jetzt, mitten in der Saison, am Steg lagen. Cora kam fast nie mehr hierher. Früher hatte sie mitgearbeitet und zugepackt, wo es etwas zu tun gab. Sie und ihre Schwester Nina waren damals, als er Cora kennenlernte, mehrfache deutsche Meisterinnen in der 470er Jolle gewesen.

Ein Foto stand auf Pauls Schreibtisch, das die beiden tief gebräunten jungen Frauen mit Siegerpokalen in den Armen bei der Preisverleihung auf der Travemünder Woche zeigte. Das war nun über zwanzig Jahre her, und während Cora sich fast vollständig vom Wassersport zurückgezogen hatte und nur gelegentlich und wenn ein Boot frei war mit ihm auf einen Wochenendtörn ging, hatte Nina mit Begeisterung die Stelle einer Segellehrerin bei der örtlichen Segelschule angenommen. Sie kümmerte sich besonders um die Jüngsten, die unter ihrer Anleitung mit ihren Optis das flache Wasser neben der Hafeneinfahrt unsicher machten. Nina war nur zwei Jahre jünger als Cora und sah ihr sehr ähnlich, hatte aber schon frühzeitig ihre blonden Haare rot gefärbt, während Cora bei blond geblieben war.

Paul kehrte mit der dampfenden Tasse zu seinem Schreibtisch zurück und stellte sie unachtsam ab, wodurch ein bisschen Kaffee überschwappte. Paul knurrte verärgert und suchte nach einem Papiertaschentuch, um die Pfütze wegzutupfen, die sich auf dem Briefkopf eines Schreibens gebildet hatte. Der Briefkopf gehörte zu einer Anwaltskanzlei und der Brief war die letzte Mahnung, auf die hin die Pfändung seiner Boote folgen würde ...

Paul hatte nicht bemerkt, dass die Tür sich geöffnet hatte, und erschrak, als Nina von hinten ihre Arme um ihn schlang. Er drehte sich schnell um, nachdem er die Ärmel ihres Segeloveralls erkannt hatte, umfasste sie, und dann küssten sie sich lange und gefühlvoll.

„Nina, Süße ...“, flüsterte er, als sie sich endlich voneinander lösten.

Seit zwei Jahren hatten sie nun ein Verhältnis und es war ihnen gelungen, es vollkommen geheim zu halten, was hier in diesem Ort, wo unheimlich getratscht wurde, nicht leicht war.

„Ich hol mir auch einen Kaffee“, sagte Nina fröhlich. Paul sah ihr nach, wie sie mit wippendem Pferdeschwanz, zu dem sie ihre langen Haare gebunden hatte, in den Vorraum ging.

Vorsichtig kam sie mit der gefüllten Tasse zurück und stellte sie neben seine auf die Platte. Dabei fiel ihr Blick auf den Brief. Paul wollte ihn schnell wegnehmen und in die Schublade stecken, aber es war zu spät. Resigniert drehte er sich um und sah aus dem Fenster, während sie las.

„Oh Paul“, sagte sie dann leise und kam zu ihm. „Warum hast du nicht mal mir etwas davon erzählt? Bedeute ich dir so wenig?“

Paul nahm sie wortlos in die Arme und so standen sie eine kurze Weile, bevor sich Paul sanft von ihr löste.

„Vielleicht“, begann er, „vielleicht ist das ganz gut so. So wie bisher ... Ich möchte so nicht auf immer und ewig weitermachen. Ich liebe dich, das weißt du ...“

Weiter kam er erst mal nicht, denn Nina küsste ihn erneut, dass ihm die Luft wegblieb.

„Es muss einen Weg geben“, sagte sie dann.

Sie nahm ihre Tasse und sah angestrengt aus dem Fenster, als ob dort die Lösung ihres Problems irgendwo sichtbar werden würde. Dann drehte sie sich um und sah Paul gerade heraus in die Augen.

„Du sagst, du liebst mich, und du weißt, wie sehr ich dich liebe ... Schon seit Cora dich angeschleppt hat. Sie ist meine Schwester, aber ... Wie weit würdest du gehen, um mit mir ein neues Leben anzufangen?“

Paul sah sie verblüfft an, versuchte in ihren unergründlichen blauen Augen zu lesen. Sein Herz schlug und er fühlte, wie seine Erregung wuchs.

„Alles!“, krächzte er dann. „Ich will dich, egal was dann passiert.“

Eine kleine Ewigkeit standen sie so voreinander und Nina ließ seinen Blick nicht los.

„Ich muss raus. Die Kinder warten“, sagte sie dann. „Wir sehen uns heute Abend.“

Sie wandte sich ab und ging zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal um und kam zurück zu ihm.

Nina sah ihm in die Augen und nahm seine Hände. „Es muss einen Ausweg geben. Ich werde alles für unsere Liebe tun, und wenn das bedeutet, dass ...“

Sie beendete ihren Satz nicht, küsste ihn noch einmal und er sah ihr schweigend nach.

„Hat der Wirt ausgesagt? Er muss doch wissen, dass er diese Schmeißfliegen von Schutzgelderpressern nie wieder los wird, wenn er nicht mit uns zusammenarbeitet“, fragte sie Herbie beim Mittagessen, das sie im Hauptbahnhof beim Chinesen einnahmen.

Herbie schüttelte den Kopf. „Kein Wort. Ich denke manchmal, wenn nicht in den Krimis immer gezeigt würde, dass die Mafia mit so was durchkommt ...“

Er schüttelte wieder den Kopf und verschluckte sich prompt an den gebratenen Nudeln, sodass er husten musste.

Ellen klopfte ihm auf den Rücken. „Sie auch nicht. Hat nichts gesehen oder gehört. Angeblich war sie die ganze Zeit in der Küche.“

„Tja, wird wohl wieder ein Fall für die Ablage“, knurrte Herbie.

Der Hinweis war auf dem Anrufbeantworter, der während ihrer Pause eingeschaltet gewesen war.

„Wegen Pizzabrand“, sagte eine Stimme mit hartem osteuropäischen Akzent. „Waren die bledden Albaner ... Djusko Mesica.“

Die Nachricht brach ab.

„Keine weiteren Nachrichten“, sagte die Automatenstimme betont deutlich und Herbie schaltete ab und ließ den Hinweis noch ein paar Mal laufen.

„Das sieht mir nach einer feinen Bandenfehde aus“, seufzte Ellen. „Musste ja mal kommen. Erst die Großstädte, jetzt sind wir dran.“

Sie ließ schon ihren Computer suchen. „Hier haben wir ihn. Nettes Kerlchen.“

Djusko Mesica hatte mehrere Seiten im Polizeicomputer. Seine Spur zog sich von Tirana über Wien und Köln bis nach Lübeck, wo er bisher erst einmal im Zusammenhang mit Kokainhandel verhaftet worden war.

„Hat ja schon alles gemacht, was man so macht in seinen Kreisen“, meinte Herbie, der über Ellens Schulter las. „Söldner im Kosovo, Prostitution, Drogen, Waffenhandel ...“

Ein erkennungsdienstliches Foto zeigte einen finster blickenden Typen mit Stoppelbart. Djusko erfüllte alle Klischees, die es für Gewalttäter gab.

„Dann fragen wir den Herrn mal, wo er gestern Abend war“, sagte Ellen. Sie wies auf eine Notiz im Computer. „Hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Citywave.“

„Ach du Scheiße“, antwortete Herbie und holte seine Dienstwaffe aus der Schublade. „Nicht ohne meine Walther“, sagte er und auch Ellen vergewisserte sich, dass ihre Pistole geladen war.

„Allein?“, fragte sie und Herbie überlegte kurz.

„Citywave? Ist vielleicht besser, jemanden im Hintergrund zu haben.“

Er telefonierte mit dem SEK und besprach den Einsatz. „Aber unauffällig, Kollegen“, mahnte Herbie den Einsatzführer. „Nur für den Fall ...“

Sie nahmen den Dienstpassat. Das Citywave war eigentlich einer der typischen Spielsalons, die es in den Seitenstraßen jeder Stadt gibt. Im Hinterzimmer wurde Billard gespielt, und wer weiß, was da sonst noch ablief.

Herbie nickte den Kollegen zu, die „unauffällig“ in Zivil auf der Straße herumstanden, dann betraten Ellen und er die Kneipe.

Es war schummrig, abgesehen von den plötzlichen grellen Lichtblitzen aus den Spielautomaten und den unterschiedlichen Jingles und Pieptönen aus den Automaten.

Ellen und Herbie gingen an ein paar Jugendlichen vorbei, die vollkommen in ihre Ballerspiele vertieft waren.

„Da ist besetzt!“, krächzte eine ältere Frau, hinter einer Art Tresen, die hier wohl die Aufsicht hatte.

Herbie beachtete sie nicht, sondern schob mit dem Fuß die Tür zum Billardsalon auf. Djusko ließ das Queue sinken, das er gerade angesetzt hatte, und sah die beiden Polizisten mit harten Augen an. Er sagte etwas zu den beiden Männern, die mit ihm im Raum standen. Weder Ellen noch Herbie rechneten mit dem Angriff. Die beiden Männer stürmten auf sie zu und griffen brutal an.

Herbie, der vorn stand, sackte zusammen. Sein Gegner hatte ihn mit einem Kinnhaken erwischt, der ihn benommen machte.

Ellen hatte etwas mehr Zeit zu regieren und warf ihren Angreifer mit einem Jiu-Jitsu-Griff zu Boden, aber dann griff der andere ein und trat ihr in den Bauch. Der plötzliche Schmerz ließ sie sich krümmen – und dann waren die Kollegen des SEK da und halfen ihnen auf.

„Die wollten hinten raus türmen“, sagte der Einsatzleiter.

„Braucht ihr 'nen Arzt?“, fragte er sorgenvoll.

Ellen hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und hielt sich den Bauch. „Gibt wohl einen schönen blauen Fleck“, sagte sie dann japsend.

Auch Herbie hatte sich erholt. „Ist sowieso keine Bikini-Saison“, meinte er und rieb sich sein Kinn.

„Na“, meinte der Einsatzleiter. „Das nächste Mal überlasst uns den Zugriff. Jedenfalls haben wir die Bürschchen für euch eingesackt. Präsidium? Bei euch gibt’s ja keine Arrestzellen.“

Ellen nickte und der SEK-Mann ging.

„Noch Schmerzen?“, fragte Herbie besorgt und rieb sich das Kinn, wo ihn die Faust seines Angreifers getroffen hatte.

Ellen schüttelte den Kopf. „Konnte keiner ahnen, dass die gleich so rabiat werden“, seufzte sie.

Die alte Frau, die hinter ihrem Tresen hockte, sah ihnen finster nach, als sie das Citywave verließen und über die Straße zu ihrem Wagen gingen. Sie fuhren direkt ins Präsidium, wo Djusko schon in einen Verhörraum gebracht worden war.

Ellen setzte sich ihm gegenüber, während Herbie sich hinter ihn an die Wand lehnte.

„Es wäre besser für Sie, wenn Sie ein Geständnis ablegen“, sagte Ellen, aber seine einzige Reaktion darauf bestand darin, sie frech anzugrinsen.

Djusko war ein harter Hund, der schon oft Verhören ausgesetzt gewesen war. Im Kosovo war er einmal von den Serben erwischt und brutal gefoltert worden. Ellen und Herbie verbrachten fast zwanzig Stunden mit ihm im Verhörzimmer, und er wäre davongekommen …

Der Umschlag kam mit der Post und hatte keinen Absender, aber er enthielt Fotos und Hinweise auf Straftaten, die sie sonst nie mit Djusko in Verbindung gebracht hätten.

Sie spielten jetzt das Spiel „Guter Bulle – böser Bulle“.

Ellen sprach sanft mit ihm und versprach ihm Strafmilderung und gute Behandlung, wenn er endlich aussagen würde, Herbie schrie ihn an, zählte ihm die Jahre vor, die er vermutlich würde einsitzen müssen. Djusko blieb schweigsam, aber Ellen und Herbie spürten, dass seine harte Schale Risse bekam. Noch weitere zwei Tage verhörten Ellen und Herbie abwechselnd den angesichts der Beweise zunehmend nervösen Albaner. Dann brach er plötzlich zusammen und redete.

„Ich sage ...“, murmelte er unvermittelt und dann lief das Tonbandgerät und einige bisher ungeklärte Fälle konnten endlich gelöst werden.

Die Presse würde in den nächsten Tagen einen großen Sieg über das Verbrechen feiern.

Ellen war vollkommen erschöpft. Sie hatte mit Herbie noch einen Kaffee getrunken, aber dann fuhr sie nach Hause, und als sie Udos BMW im Carport stehen sah, wusste sie, dass sie trotz ihrer Erschöpfung nicht länger warten konnte.

„Wir müssen mal reden“, sagte Ellen.

Die Nachrichten brachten die üblichen Politikerwichtigkeiten, die niemanden interessierten. Udo Hamann schwieg und starrte weiter der Tagesschau-Sprecherin in den Ausschnitt.

Ellen dachte schon, er hätte sie nicht gehört, aber er nahm plötzlich die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ab.

„Du merkst das auch, oder?“, sagte sie leise und er nickte.

Ellen sprang auf, lief ein paar Schritte und setzte sich wieder.

Udo sah sie nicht an.

„Auf jeden Fall kann es so nicht bleiben. Ich ertrag das nicht, diese zunehmende Distanz.“

Sie trank einen Schluck Wein.

„Gibt ... gibt es eine andere?“, fragte sie dann, etwas bestürzt über sich selbst, denn daran hatte sie bisher nicht gedacht.

Udo lehnte sich zurück, dann sah er sie offen an. „Nein, es gibt keine andere, das hätte ich dir gesagt. Aber du hast recht.

Ich fühl mich hier nicht mehr wohl. Weiß auch nicht, was passiert ist mit uns.“

Ellen knetete ihre Finger, etwas, was sie immer tat, wenn sie nervös war. Sie hatten sich auf dem Weihnachtsmarkt an der Punschbude kennengelernt vor ... wie viel? Fünfzehn Jahren schon. Sie war gerade von der Polizeischule gekommen und hatte ihre erste Stelle in einer Wache angetreten. Sie hatte ihm am Nachmittag eine gebührenpflichtige Verwarnung wegen Falschparkens verpasst und er hatte sich geärgert.

Nach Feierabend stand er dann unverhofft neben ihr und bestellte Glühwein. Er hatte sie von der Seite angesehen.

„Steh ich hier auch falsch, Frau Wachtmeisterin?“, hatte er spöttisch gefragt und sie war rot geworden.

„Scheiße“, dachte sie.

„Hab gerade daran gedacht, wie wir uns kennengelernt haben“, sagte sie leise und Udo lächelte.

„Ja“, sagte er. „Wir dachten, das hält für immer.“

Ellen stand auf und goss zwei Schwenker voll Cognac, gab ihm einen und setzte sich wieder.

„Wir könnten eine Paartherapie machen“, sagte sie plötzlich hoffnungsvoll und Udo sah sie skeptisch an.

Sie diskutierten und später brachte Udo seine Sachen ins Gästezimmer, das einmal Kinderzimmer hatte werden sollen.

Er gab ihr einen leichten Kuss auf die Nase, wie er es früher immer gemacht hatte.

„Wir versuchen es“, sagte er und Ellen lag die ganze Nacht wach.

Das Essen mit Nina und Gerd war eine fast schon traditionelle Angelegenheit. Paul mochte den hemdsärmeligen Gerd