Schöner Warten - Armin Nagel - E-Book

Schöner Warten E-Book

Armin Nagel

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Beschreibung

Warten hat Konjunktur - und das nicht erst seit Corona! Denn gewartet wird ständig, sei es beim Einkaufen, beim Arztbesuch, auf dem Amt oder im Stau. Nicht selten werden diese Momente zur Geduldsprobe, manch einer erlebt sie gar als verlorene Zeit. Der Servicekünstler Armin Nagel beweist nun, dass es auch anders geht: Schöner Warten beschäftigt sich auf positive und unterhaltende Weise mit der Kunst des Wartens und zeigt auf, welche Möglichkeiten dieser unerwartete Freiraum schenken kann. Interviews mit Warte-Experten, charmante Texte und praktische Übungen laden zu Reflexion, Kreativität und Entschleunigung ein. Ein Buch für alle, die ihren Alltag bereichern möchten!

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Seitenzahl: 187

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchTitelImpressum

Schön, dass du hier bist.

Willkommen bei Schöner Warten,deinem Buch über die Kunst des Wartens.

Du hast folgende Optionen:

Du kannst …

ERWARTENDann wähle die 15IN SCHLANGEN WARTENDann wähle die 25WISSENSCHAFTLICH WARTENDann wähle die 43BEIM ARZT GEMÜTLICH WARTENDann wähle die 61TELEFONISCH WARTENDann wähle die 69SEHNSÜCHTIG WARTENDann wähle die 81INTELLIGENT WARTENDann wähle die 87ABWARTENDann wähle die 99WAGEMUTIG WARTENDann wähle die 115LITERARISCH WARTENDann wähle die 129KULTURELL WARTENDann wähle die 143DICH WARTENDann wähle die 157KREATIV WARTENDann wähle die 165STILL WARTENDann wähle die 183SPORTLICH WARTENDann wähle die 201THEATRAL WARTENDann wähle die 221KUNSTVOLL WARTENDann wähle die 241AUF BESSERE ZEITEN WARTENDann wähle die 261UNENDLICH WARTENDann wähle die 279DANKEFÖRDERUNGAUFLÖSUNG WARTEKREUZWORTRÄTSELWARTE-LEKTÜREÜBER DEN AUTOR / ÜBER DEN ILLUSTRATORENDNOTEN

Über dieses Buch

Warten hat Konjunktur – und das nicht erst seit Corona! Denn gewartet wird ständig, sei es beim Einkaufen, beim Arztbesuch, auf dem Amt oder im Stau. Nicht selten werden diese Momente zur Geduldsprobe, manch einer erlebt sie gar als verlorene Zeit. Der Servicekünstler Armin Nagel beweist nun, dass es auch anders geht: Schöner Warten beschäftigt sich auf positive und unterhaltende Weise mit der Kunst des Wartens und zeigt auf, welche Möglichkeiten dieser unerwartete Freiraum schenken kann. Interviews mit Warte-Experten, charmante Texte und praktische Übungen laden zu Reflexion, Kreativität und Entschleunigung ein. Ein Buch für alle, die ihren Alltag bereichern möchten!

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2023 by Armin Nagen

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Textredaktion: Valérie Thiemee

Umschlaggestaltung: Thomas Krämer nach einem Entwurf von © Yann Ubbelohde | Illustration: © Yann Ubbelohde

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-4852-0

luebbe-life.de

luebbe.de

lesejury.de

… bitte warten …

… wir sind gleich für dich da …

… der nächste freie Warteberater ist für dich reserviert …

Wir alle warten. Auf den Bus, die Bahn, auf bessere Zeiten.

Auf ein freundliches Wort, eine gute Idee, die große Liebe.

71 Jahre wartete Prinz Charles auf die Thronfolge des Vereinigten Königreichs.

112 Minuten wartete die deutsche Fußballnation im WM-Finale von Rio auf das erlösende 1:0.

Bis heute warten Wladimir und Estragon auf Godot.

Obwohl im Warten Hoffnung steckt, wartet niemand gern. Wartezeit empfinden wir oftmals als sinnlose, verlorene Zeit. Wir übersehen, dass Warten eine Kunst ist, ein unerwartetes Geschenk, das uns positiven Freiraum bietet.

In diesem Buch habe ich zahlreiche Warteberater für dich versammelt, die in Gesprächen, Texten und humorvollen Miniaturen ihre Expertise mit dir teilen und die Kunst des Wartens zelebrieren.1

Nimm dir Zeit und du wirst erfahren, warum warten schön sein kann und dumm rumsitzen gar nicht mal so blöd ist.

Worauf wartest du?

Rom, Donnerstag, 1. September 1960

»Achten Sie auf die Startnummer 263. Deutschlands größte Sprinter-Hoffnung in den Startlöchern. Seit seinem Weltrekord vom 21. Juni im Letzigrund in Zürich ist er der schnellste Mann der Welt. 10,0 Sekunden, handgestoppt. Der Startschuss fällt. Er übernimmt sofort die Führung. Ein Blitzstart, wie erwartet. Die Zuschauer sind auf den Beinen, sie feuern ihn an. Ein physiologisches Wunder, der blonde Blitz ist nicht zu stoppen.

Er trommelt die 100 Meter in 10,2 Sekunden herunter, ein unglaublicher Lauf. Fotofinish, Jubel, Olympiasieg für Armin Hary!«

Freilassing, Montag, 7. Juli 1969

»Klingel irgendwo, das Kind kommt!«

»Wir sind gleich da.«

»Bitte schnell, das Kind will raus.«

Mein Vater gibt Vollgas. Mit Warp-Antrieb schafft er es in letzter Sekunde ins Krankenhaus. Ich hab’s eilig. Ein kurzer Blick zurück in Sehnsucht. In Sekundenbruchteilen ziehen die letzten achteinhalb Monate an mir vorbei. Soll ich wirklich gehen? Augen zu und durch. Ich dringe ins Licht, gleite hinaus in die Welt, und schon bin ich da. Ich sehe meine Mutter, begrüße sie verschwitzt mit lautem Geschrei. Mein Vater schießt das Zielfoto. Geschafft! Fotofinish nach acht Monaten und 22 Tagen. Jubel!

Weil ich so schnell war wie der Olympiasieger von Rom, nennen mich meine Eltern Armin.

EIN TELEFONAT MIT ANDREA WEHLINGWarteberaterin, Hebamme

Andrea Wehling arbeitet seit 1984 als freiberufliche Hebamme in Köln. Sie hat Das Hebammenbuch herausgegeben, ein Lehrbuch der praktischen Geburtshilfe. Andrea begleitete meine Frau und mich bei der Geburt unseres ersten Kindes.

Wäre eine Welt ohne Warten eine bessere oder eine schlechtere Welt?

Wartezeiten sind Zeiten für Besinnung und Erkenntnis. Bei Geburten, aber auch, wenn jemand stirbt. Das ist ein langsamer Übergang mit intensiven Momenten. Das muss nicht schnell, schnell gehen.

Mein Vater ist über zwölf Stunden lang gestorben, das war eine wichtige Zeit, um zu begreifen, dass er endgültig geht. Je schneller ein Kind auf die Welt kommt, desto länger brauchen die Frauen, um zu realisieren, dass es wirklich da ist.

Welche Fähigkeit ist in deinem Beruf besonders wichtig?

Bis die letzte Phase der Geburt kommt, bin ich als Hebamme nur da, im Hier und Jetzt. Das ist eine Form des Wartens. Das Wichtigste in meinem Beruf ist die Ruhe, Zeit und Geduld zu haben, ganz da zu sein.

Wie gehst du mit der Ungeduld der Menschen um?

Ich mache den Frauen klar, dass sie das Warten aushalten müssen: immer von Tag zu Tag denken, besonders, wenn der errechnete Termin gekommen ist, der etwas Magisches hat. Wenn Freunde ungeduldig anrufen: nicht rangehen, die Leute warten lassen. Auf dem AB reicht ein »Wir melden uns, wenn das Kind da ist«. Kleine Kinder erfordern viel Geduld, und das Warten auf die Geburt ist die erste große Geduldsprobe. Jede Geburt braucht ihre eigene Zeit. Das Credo: von Wehe zu Wehe denken. Es kommt, wie es kommt. Es kommt, wann es kommt.

Was hilft dir beim Warten?

Eine Tasse Tee. Wenn ich merke, das dauert noch, die Frau will aber nicht, dass ich weggehe, dann lege ich mich wo hin, hab das Ohr offen und ruhe, ohne was zu tun. Die innere Einstellung zum Warten ist entscheidend. Es ist nichts Negatives, du musst akzeptieren, dass du gerade nichts Produktives tust. Ich kann selbst entscheiden: Rege ich mich auf, oder bleibe ich gelassen.

Was ist schön am Warten auf die Geburt?

Schwangerschaft bedeutet »guter Hoffnung sein«. Das spanische »esperar« heißt warten und hoffen. Kinder zu bekommen ist eine riesige, ambivalente Veränderung, die mit Vorfreude und Ungewissheit verbunden ist. Deshalb musst du frohen Mutes sein.

Und was ist schön an deinem Beruf?

Diese Dankbarkeit, die ich bekomme, teilweise nach 20 Jahren, wenn ich den Leuten, für die ich da war, zufällig auf der Straße begegne, ist ein großartiges Geschenk.

VORFREUDEWarteberater Guido Rohm, Autor

Guido Rohm ist Schriftsteller, Künstler und Satiriker. Er schreibt auf Facebook wunderbare humoristische Miniaturen, auf die ich mich regelmäßig freue. Guido lebt, schreibt und wartet in Fulda. In diesem Buch erwartet er dich in mehreren Kapiteln.

»Ich freue mich auf Weihnachten«, sagte Nölberg und setzte sich auf den Schlitten vor seinem Haus. »Weihnachten und Schnee.«

»Wer weiß, ob es schneit«, sagte ich.

»Egal. Ich sitze hier und warte. Darauf kommt es an. Weihnachten selbst interessiert mich nicht. Vollkommen belanglos. Die Vorfreude ist es, auf die kommt es an.«

»Weihnachten feierst du also gar nicht?«

»Nein!« Er sah mich erstaunt an.

»Und was machst du am Weihnachtsabend?«

»Dann freue ich mich bereits auf das nächste Weihnachtsfest.«

»Aha.« Ich nickte, als ob ich es verstanden hätte.

»Hach, was freue ich mich auf Weihnachten.« Er schenkte sich einen Glühwein ein und grinste in die Dämmerung.

SCHÄTZE DIE ZEIT

Drücke auf der Stoppuhr deines Handys den Startbutton.

Schaue eine Minute lang in den Himmel, ohne die Sekunden zu zählen. Drücke auf Stopp, wenn du denkst, dass eine Minute vorüber ist. Schätze die Zeit und lerne, sie wertzuschätzen.

EIN TELEFONAT MIT URSULA WINTGENSWarteberaterin, Supermarktchefin

Ursula Wintgens ist Deutschlands lustigste Supermarktchefin. Ich bin Mitglied ihrer Facebook-Fangruppe, wo sie mehrere Tausend Kundinnen und Kunden mit viel Humor bei Laune hält. Sehr gerne warte ich an der Kasse ihres Supermarktes in Bensberg.

Was war dein schönstes Warteerlebnis?

Die Neueröffnung meines alten Marktes, den wir umgebaut und renoviert haben. Du arbeitest auf diesen einen Moment hin. Tag für Tag siehst du, dass es schöner und schöner wird. Die Vorfreude auf die Kunden, dieses Warten auf die eine Sekunde, wenn die ersten Leute hereinspazieren. Wie ist ihre Reaktion? Was werden sie sagen?

Rudi Carell meinte einmal: »Wenn du ein Ass aus dem Ärmel holst, musst du es vorher in den Ärmel hineinstecken.« Mit welchen Assen überrascht ihr eure Kunden beim Warten?

Wenn jemand an der Kasse hustet, bekommt er sofort ein Hustenbonbon überreicht, und wir wünschen gute Besserung. Am Muttertag haben wir einen Wecker an der Kasse. Immer wenn der klingelt, bekommt eine Mutter eine Blumenampel und die Väter am Vatertag ein Fünf-Liter-Fässchen Bier.

Am Welttag des Schlafes machen wir Videos oder Fotos für unsere Facebook-Fangruppe. Da siehst du, wie die Mitarbeiter schlafend auf dem Kassenband liegen, hinter der Fleischtheke oder in den Regalen. Wir weisen darauf hin, dass es heute beim Bezahlen länger dauern kann, weil alle müde sind.

An euren Kassen habt ihr Ampelmännchen. Warum?

Grün gehen, Rot stehen. Ich fand es langweilig, immer auf diese blöden Zahlen zu gucken, die anzeigen, welche Kasse gerade geöffnet hat. Deshalb haben wir Ampelschaltungen mit alten, nostalgischen Ampelmännchen. Darüber freuen sich unsere Gäste, weil es die Stimmung beim Warten auflockert.

Bei euch im Supermarkt gibt es eine »Stille Stunde«. Was ist das?

Die ist dienstags von 16–18 Uhr. Da schalten wir die Beschallung und einen Teil der Beleuchtung aus, fahren das Piepen an den Kassen runter und verräumen keine Ware. Das ist ein Service für Menschen, die Probleme haben, wenn in ihrer Umwelt zu viel los ist, die sich wohler fühlen, wenn alles leiser ist. Ich selber merke in diesen zwei Stunden, wie angenehm es ist, wenn du ein bisschen runterkommst.

Habt ihr Ideen, an denen ihr gerade arbeitet?

Was uns vorschwebt, ist ein »Plauderbänkle«, eine Bank, die wir im Markt aufstellen, wie so ein kleiner Minitreffpunkt. Da können sich die Leute hinsetzen und plaudern, auch mal eine Stunde mit mir oder dem Bürgermeister.

Wie nutzt ihr Lautsprecherdurchsagen?

Frühmorgens begrüße ich die ersten Kunden mit »Guten Morgen, Sonnenschein« von Nana Mouskouri und abends als Rausschmeißer spielen wir Reinhard Meys »Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh’n«.

Wenn sich an der Kasse ein Stau bildet, rufe ich durchs Mikro Sachen wie »Hallo, Christoph, wo bleibst du? Die Kunden haben nicht mit Übernachtung gebucht!« oder »Wenn du endlich kommst, bring gleich ne Axt mit, die Kundin hat Wurzeln geschlagen!«

Sind Kunden heute ungeduldiger als früher?

Durch Corona sind die Leute geduldiger geworden, das war ein kleiner Erziehungseffekt, weil sie ständig warten mussten.

Fällt dir ein Musiktitel zum Thema Warten ein?

»Sitting in the morning sun« oder »Sitting on the dock of the bay« heißt der Song eigentlich, von Otis Redding. Dieses Mm-Gefühl, wenn du bei gutem Wetter früh aufstehst, draußen den Sonnenaufgang genießt und auf einen schönen Tag wartest.

Und ein Gedicht über das Warten?

»Wartet eine Schlange lange, wird aus ihr ’ne Warteschlange.« Ich glaube, das ist von Paul Maar.

THE HAPPIEST WAITING PLACE ON EARTHWarteberater Holger Ehrich, Themenparkexperte

Holger Ehrich ist Film- und Fernsehwissenschaftler, künstlerischer Leiter des Welttheater der Straße in Schwerte und eine komische Hälfte des international tourenden Duo Diagonal. Holger liebt Themenparks und versucht mich ständig zu Probefahrten auf den wildesten Achterbahnen Europas zu überreden. Ich habe aber nie Zeit.

17. Juli 1955. Stundenlange Staus auf den Zufahrtstraßen. 28.000 Gäste mäandern in schier endlosen Warteschlangen von den Parkplätzen zum Eingangstor. Gefälschte Tickets sind im Umlauf. Auf dem Gelände sinken High Heels in den frischen Asphalt, Toiletten laufen über, und der volle Raddampfer versinkt fast im künstlichen Mississippi.

Disneyland hat eine schwere Geburt. Eine Zeitung verhöhnt den Eröffnungstag des Märchenreichs als »Black Sunday«.

Trotz des frühen Desasters übertrifft der Erfolg des neuartigen Themenparks alle Erwartungen. Schnell avanciert Disneyland zu einem Wallfahrtsort der Popkultur. Die Warteschlangen bleiben. Der heutige Publikumsansturm macht sie unumgänglich. Wartezeiten von über einer Stunde für Attraktionen, die nur wenige Minuten dauern, sind keine Ausnahme. Das Geschäft aber läuft. Die Besuchszahlen steigen kontinuierlich. Kennen die kreativen Macher das alchemistische Geheimnis, wie sie bleiernes Warten in glitzerndes Vergnügen verwandeln?

Die heutigen Themenparks sind »Städte, die eine Stadt imitieren«, stellte Umberto Eco in den 1970er-Jahren treffend fest. Hinter den Kulissen künstlicher Welten und fantastischer Abenteuer sorgt avancierte Technik für ein perfektes Spektakel. Walt Disneys Themenpark-Vision war von einem herkömmlichen Vergnügungspark so weit entfernt wie die Wagnerfestspiele Bayreuth von einer Mallorca-Party.

Ein riesiger Wall um das Gelände sperrt die Realität aus. Über dem Eingangstor prangt das Motto »Here you leave today and enter the world of yesterday, tomorrow and fantasy«. Tritt ein ins Paradies, in eine durchinszenierte, lückenlose Illusion! Erlebe ein Gesamtkunstwerk zwischen Kult und Kitsch!

Im Abenteuerland liegt eine Galeone vor Anker, Piraten schlendern über die Brücken, und die Eingangstüren zu den Toiletten sehen aus, als würden sie in eine jamaikanische Hafenspelunke des 18. Jahrhunderts führen. Der Gast taucht ein in eine Welt der Wunder und spielt die Hauptrolle seines eigenen Films.

Gleichzeitig ist diese Fantasiewelt die Blaupause eines kontrollierten Raumes. Bis zu 50.000 Gäste kommen pro Tag in einen großen Themenpark. Hinter der Kulisse des Fantastischen sind Besucherführung und Überwachung auf allen Ebenen optimiert und bieten kaum Spielraum für individuelles Ausscheren. Die Gestaltung orientiert sich an den Besucherbedürfnissen und lenkt sie in Bahnen. Sich den Regeln zu widersetzen ist sinnlos: Nur wer sie befolgt, erhält den optimalen Genuss. Wir lassen uns auf den Parkplatz dirigieren, studieren eifrig Zeitpläne, bleiben brav auf dem Gehweg, beachten die Sicherheitsvorschriften, reihen uns ein für ein Foto mit Micky Maus und konsumieren widerstandslos in den unzähligen Geschäften.

Die einzelnen Attraktionen funktionieren wie gigantische Maschinen, die in engem Takt eine Personengruppe nach der nächsten industriell abfertigen. An manchen Stellen steigen die Besucher von einem Laufband in eine fahrende Gondel. Am Ausstieg werden sie wie Charlie Chaplin in »Modern Times« wieder »ausgespuckt«. Im Inneren der Attraktion durchlebt jeder Gast ein aufregendes Abenteuer: Tunnel explodieren, Hotellifte stürzen ab, Raumschiffe fliegen in die falsche Richtung. Inszenierte Systemstörungen, Pannen und Unfälle sorgen für ein scheinbar einmaliges Erlebnis, das sich tausendmal pro Stunde identisch wiederholt.

Auf den ersten Blick entführen Themenparks in fantastische Märchenwelten. In Wahrheit treiben sie die Regulierungen unserer Realität auf die Spitze und verwandeln sie in Genuss. Was im Alltag lästig erscheint, wird hier zum Spektakel. Wir huldigen der Perfektion der Maschine und genießen die Funktionen der Kontrollgesellschaft.

Selbst das Warten wird zum Highlight. Es ist kein Zwang, sondern Teil des Spiels. Nur noch selten schieben sich die Gäste durch ermüdende, labyrinthische Metallgitter. Stattdessen verwandelt sich der lange Weg zum Star-Wars-Flugsimulator in eine immersive Fantasiewelt. Er führt durch einen Flughafen, in dem Arbeits-Droiden einen Sicherheitscheck durchführen, gespickt mit Gags und kleinen Geschichten. Andere Warte-Queues entführen in Höhlen und Tunnel. Hinter jeder Ecke steckt eine neue Überraschung. Die Wartenden bewundern Ausstellungsstücke und ganze Dioramen oder bespielen interaktive Game-Stationen. Die Besucherregulierung verkleidet sich als Spiel und ist Teil der Dramaturgie. Schlangentainment at its best.

Kein Wunder, dass sich im Internet zahlreiche Rankings der schönsten Wartebereiche verschiedener Themenparks finden lassen.

Von Disney lernen heißt warten lernen. Rund um die Uhr perfektionieren weltweit unzählige Wissenschaftler und Schlangenforscher das psychologisch getaktete Wartesystem. In den 1990er-Jahren entwickelten sie den »FastPass«: Der Gast zieht wie auf dem Amt eine Wartemarke. Zu einer bestimmten Zeit kann er die gewünschte Attraktion betreten, fast ohne zu warten. Als Disney diesen bürokratischen Vorgang einführte, erhöhte sich die Kundenzufriedenheit, und das Publikum verbrachte mehr Zeit in den Souvenirshops als in der Schlange.

Weil heute immer mehr Gäste kommen, sind die beliebtesten Themenparks überlastet. Bei Wartezeiten von über zwei Stunden und Schlangen, die weit über den inszenierten Wartebereich hinausreichen, ist ein Wendepunkt erreicht, der selbst den hartgesottenen Fans die Freude vermiest.

Andere, virtuelle Lösungen für die Exzesse des Overtourism müssen her. Raffinierte Reservierungssysteme per Smartphone ersetzen den simplen »FastPass«. Wer das Optimum herausholen will, muss den Ausflug besser planen als ein Topmanager eines Weltkonzerns seinen mit Terminen gespickten 36-Stunden-Tag. Das spontane »Sich-treiben-Lassen« wird schwieriger, aber zahlreiche Fans feiern den technischen Fortschritt. An diesem Punkt ist der Themenpark-Besuch endgültig eine Huldigung des Systems.

Selbst ein systemkritisches Kunstprojekt wie der Anti-Vergnügungspark »Dismaland« kam nicht ohne Warteschlangen aus. Im Herbst 2015 hatte der Street-Art Künstler Banksy in Weston-Super-Mare den trostlosesten Themenpark der Welt eröffnet. Er war ausdrücklich nicht für Kinder gedacht. Das Set umfasste 58 Kunstwerke unter anderem von Damien Hirst und Jenny Holzer. Traurig aussehende, unmotivierte Parkangestellte hielten in derangierten Kulissen schwarze Luftballons in der Hand. Die Cinderella-Kutsche war zerstört, und in einem Boot saßen Flüchtlinge statt Piraten. Überall brach die traurige Realität in die perfekte Fassade des Fantastischen ein. Übrig blieb der entblößte, kontrollierte Raum ohne Zuckerguss. Die Tickets waren extrem begehrt. Es gab lange Wartezeiten bei der Onlinereservierung. Journalisten spekulierten, dies sei Teil des Konzepts.

Themenparks ohne Warteschlangen sind unvorstellbar. Sie wären Geisterstädte, in der die magische Stimmung in surreale Tristesse umschlägt. Also anstellen! Einsteigen! Sicherheitsbügel schließen! Und ab geht die Fahrt in eine magische Welt, die Alltägliches wie das Warten in etwas Wunderbares verwandelt!

SCHÖNE BESCHERUNGWarteberater Thomas Poppe, Autor

Thomas Poppe arbeitete als freier Autor für TV-Formate wie die ZDF Heute Show, Late Night Berlin oder das Neo Magazin Royale. Er ist Kolumnist und schreibt für das satirische Fußballmagazin FUMS. Im Winter trainiert er seine Geduld auf dem Weihnachtsmarkt.

Weihnachten steht vor der Tür. Und ich stehe in einer ganz schön langen Menschenreihe an der Bratwurstbude. Das Sprichwort »Stell dich nicht so an« muss es wegen der Warteschlangen an den Ständen deutscher Weihnachtsmärkte geben: Der Herr ganz vorne hält vier Glühwein in der Hand. Macht Sinn, noch vier Bratwürste zu bestellen. Während eine Bedienung auf dem Oktoberfest zehn Maßkrüge gleichzeitig stemmt und lächelt, als käme sie vom Wellness aus der Therme in Erding, wirkt das bei unserem Freund wie Mr. Bean im Restaurant. In seinem Fall werden es zwei Brötchen nie in einen Magen schaffen. Und weil du mit vier Glühwein in zwei Händen alles tun solltest, nur keine fallenden Bratwürste fangen, sind am Ende Theke und Typ versaut.

Nach dem armen Hanswurst kommt ein kleiner Junge dran. Er bestellt eine Bratwurst für 3,30 Euro, hat vom Papa aber nur 3,00 Euro in die Hand bekommen. Die freundliche Wurst-Wenderin würde gerne »Komm, passt schon« sagen, aber am Ende stimmt die Kasse nicht. Lange überlegt sie hin und her, bis der Mann hinter dem Kind das Restgeld übernimmt. Advent, Advent – hier, 30 Cent! Der kleine Junge dankt es ihm auf seine Art. Mit der Überkopf-Ketchup-Spender-Station macht er ein weihnachtlich-rotes Tomatenmassaker, wie es Uwe Boll in seinen schlechtesten Filmen nicht schöner inszeniert hätte. Der Retter nimmt sich 20 Servietten und viel Zeit, um den Angriff der Killertomaten von seiner Jacke zu schrubben. Er bestellt, zahlt, geht. Geht doch. Gehen ist beim nächsten Kandidaten das Problem. Bei ihm geht gar nichts mehr, so voll ist er. »Sweimasück« sagt er. Fragezeichen über dem Kopf der Wurstfee. »Swei-ma-sück«, wird der Dichtbert langsam lauter und klopft mit seinen beiden leeren Bechern auf die Theke. Der Herr hinter ihm greift ein, bittet ihn zu gehen. »Sweimasück«-sagend, zieht Rudolph mit der roten Schnapsnase wankend davon.

Der nächste Kunde bestellt »Zehnmal Bratwurst, elf Rindswürste, acht Nürnberger, vier Krakauer, zwölf Vegane mit Sauce, acht ohne, zwei mit ohne alles, aber scharf«. Er ist der Reiseleiter einer amerikanischen Touristengruppe und gibt die Sammelbestellung für den Bus auf – samt Extrawürsten.

Nach 40 Minuten kommt das Pärchen zwei Plätze vor mir dran. 40 Minuten! In dieser Zeit werden Kinder gezeugt, geboren und eingeschult. 40 Minuten sind fast eine ganze Halbzeit beim Fußball. Und was machen die zwei vor mir nach geschlagenen 40 Minuten Schlangestehen, als sie endlich dran sind? Sie besprechen sich fünf Minuten lang, wer was isst. Am Ende entscheiden sie sich doch. Für den Crêpe-Stand nebenan.

Nur noch zwei Mädels vor und 45 Minuten Wartezeit hinter mir. Ständig die Würste im Blick und den Geruch in der Nase. Ich muss an Frodo denken. So muss er sich mit dem Ring gefühlt haben, den er bei sich trug, aber nie auf den Finger stecken durfte. Bin ich der Hobbit? Die Bratwurst mein Ring? Und ist die Sauce süß oder Sauron? Warum überhaupt habe ich Herr der Ringe nicht dabei? Ich hätte locker 500 Seiten lesen können, während ich hier warte.

Mädel A fällt ein, dass sie Tim nicht gefragt hat, ob er auch eine Wurst will. Sie geht schnell los, um das zu klären. Mädel B schaut nochmal kurz auf die Speisekarte, die seit knapp einer Stunde direkt vor ihrer Nase steht. Sechs verschiedene Würste gibt es. Hinter der Theke zwei Grillflächen, eine Kasse, Servietten. Sie fragt: »Habt ihr auch Pommes?«

»Ne, Pommeshamwanich.«

»Dann nehm ich nix, aber vielleicht ja der Tim, Moment bitte!«

Also warten wir zwei Minuten auf die Freundin:

»Tim will ne Portion Pommes«, ruft diese und blickt erwartungsschwanger die arme Frau auf der Grill-Seite an. »Ham die hier nicht«, sagt Petra Pommes empört und bekommt ein solidarisches »Ne, dann mag ich auch nichts«. Die beleidigten Leberwürste verdrücken sich.

Ist es möglich? Ich bin dran! »Was soll jetzt noch passieren«, denke ich mir. Ich drehe mich um, schließe die Rückkehr der Killertomaten aus, und als ich gerade zur Bestellung ansetzen will, nehme ich im Augenwinkel eine andere Bedrohung wahr. »Sweimasück«, schallt es in mein Ohr. Er ist wieder da. Dichter als Schiller steht er neben mir und neben sich. Ein Mix aus Verzweiflung und Wut. »Sweimasück.« Da kommt mir der Geistesblitz. »Zweimal zurück« meint er. Er will seine beiden Glühwein-Becher abgeben! Am falschen Stand. »Ich hab’s«, rufe ich der Verkäuferin zu. Aber mein Hirn schaltet in den Pointen-Modus, und ich sage: »Der will bestimmt Pommes!«

Die Wurstfee nimmt es mit Humor. Und während sie mir endlich meine heiß ersehnte Bratwurst mit Senf fertig macht, beugt sich der Dichtbert über die Theke, sagt ein letztes Mal »Sweimasück« und übergibt sich auf den Bratwurstgrill, ehe er umkippt.