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Jamies Leben ist eine einzige finanzielle Katastrophe, was aber nicht seine Schuld ist. Dass er in der Bibliothek einen Wohltäter finden würde, ist das Letzte, womit er gerechnet hätte. Auch wenn er anfangs misstrauisch ist, was Guys Motive betrifft, wird schnell klar, dass sein Retter ein guter Mann ist, der im Leben Glück hatte und das nun weitergeben will. Dass Guy schwul ist, ist kein Problem. Jamie hat ohnehin kein Interesse … glaubt er zumindest. Die beiden kommen gut miteinander aus und Guy freut sich, dass er Jamie unterstützen kann. Aber als Jamie seiner Neugierde nachgibt, sieht Guy den jungen Mann plötzlich mit anderen Augen. Was als Hilfestellung begann, ist nun etwas völlig anderes …
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Seitenzahl: 422
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Inhalt
Zusammenfassung
Widmung
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Epilog
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Copyright
Von K.C. Wells
Jamies Leben ist eine einzige finanzielle Katastrophe, was aber nicht seine Schuld ist. Dass er in der Bibliothek einen Wohltäter finden würde, ist das Letzte, womit er gerechnet hätte. Auch wenn er anfangs misstrauisch ist, was Guys Motive betrifft, wird schnell klar, dass sein Retter ein guter Mann ist, der im Leben Glück hatte und das nun weitergeben will. Dass Guy schwul ist, ist kein Problem. Jamie hat ohnehin kein Interesse … glaubt er zumindest.
Die beiden kommen gut miteinander aus und Guy freut sich, dass er Jamie unterstützen kann. Aber als Jamie seiner Neugierde nachgibt, sieht Guy den jungen Mann plötzlich mit anderen Augen. Was als Hilfestellung begann, ist nun etwas völlig anderes …
Wie immer herzlichen Dank an mein Team von Beta–Lesern:
Jason, Bev, Debra, Helena, Mardee und Lara.
Ihr seid die Besten!
DIESER TAG kann unmöglich noch schlimmer werden.
Als Nachsatz richtete Jamie Stevens gedanklich die Augen zum Himmel. Du würdest mir das nicht antun, oder?
Was immer Gott mit Jamie vorhatte, er teilte seine Pläne nicht mit ihm.
„Jamie, hörst du mir zu?“
Er widerstand der Versuchung, sich in Sarkasmus zu flüchten. Sein Dad würde es ohnehin nicht wahrnehmen. „Ja, ich bin noch da und ich höre noch zu.“ Es war ja nicht so, als ob er etwas Neues hören würde.
„Ich sagte gerade, es tut mir leid, Junge. Du wirst in den sauren Apfel beißen und dir einen Job suchen müssen.“
„Einen Job?“ Jamie war kurz davor, ins Telefon zu schreien. Nur die Tatsache, dass er sich in der Bibliothek befand, bremste ihn. Bekommen sie jemals auch nur ein Wort von dem mit, was ich ihnen erzähle? Jamie ballte eine Hand zur Faust, schloss die Augen und zählte bis fünf. Langsam. „Dad, ich habe bereits drei Jobs.“
Vergiss es. Ich hatte drei Jobs. Jamie war immer noch verärgert über den Anruf, den er am Morgen bekommen hatte. Man hatte ihn informiert, dass seine Dienste nicht länger benötigt wurden. Sieht aus, als müsste ich mir etwas Neues suchen.
Dad schnaubte. „Dann müsstest du doch in Geld schwimmen. Wieso musst du um Geld bitten, wenn du drei Jobs hast?“
Wie schon eine Million Mal zuvor sagte sich Jamie vor, dass es nicht Dads Schuld war. Seine Eltern waren beide nicht aufs College gegangen und schienen keine Ahnung zu haben, was es im heutigen Amerika kostete, eine brauchbare Ausbildung zu bekommen. Aber er wusste, dass das nicht der Grund war. Sein Vater war mit anderen Dingen beschäftigt. Sich von Mom scheiden zu lassen, war ziemlich weit oben auf seiner Liste.
Wie zum Beweis wurde die Stimme seines Vaters sanfter. „Schau, Jamie, du weißt doch, was los ist. Die Anwälte ziehen mich bis aufs Hemd aus. Wenn ich gewusst hätte, dass es so teuer sein würde, wieder ein freier Mann zu werden, hätte ich es mir vielleicht anders überlegt und es weiter ausgehalten.“
Ja, als ob das je passieren würde. Jamie hatte vier Jahre in der Hölle seiner Eltern verbracht: Streit, Beschimpfungen, knallende Türen und bittere Anschuldigungen, wobei jeder ausschließlich den anderen verantwortlich machte. Er wunderte sich, dass es so lange gedauert hatte, ehe Dad ausgezogen war.
Jamie seufzte tief. „Ja, ich weiß.“ Das führte zu nichts. „Tut mir leid, dass ich dich bei der Arbeit gestört habe. Ich halte dich nicht länger auf.“
„Hey, warte einen Moment.“
Jamie war schon im Begriff aufzulegen. „Was?“
„Du würdest es mir sagen, wenn du in Schwierigkeiten wärst, nicht wahr?“
Er nahm den Unterton echter Sorge in der Stimme seines Vaters wahr und für einen Augenblick wurde er beinahe schwach. Sag es ihm. Erzähl ihm, dass du kurz davor stehst, aus deiner schäbigen Einzimmerwohnung geworfen zu werden, weil du seit Monaten die Miete nicht bezahlt hast. Sag ihm, dass du dir nicht leisten kannst, die Studiengebühren für das nächste Semester zu bezahlen. Erzähl ihm, dass du in einem Schlamassel steckst.
Noch ehe er antworten konnte, lachte sein Dad leise. „Ja, natürlich würdest du das. Du bist ein schlauer Junge. Schlauer als dein alter Herr, so viel steht fest. Meine Güte, du gehst aufs College.“ Dads Stimme veränderte sich und der Stolz, der herauszuhören war, reichte um Jamie verstummen zu lassen.
„Ich sage dir nicht oft genug, wie verdammt stolz ich auf dich bin. Ich und deine Mutter. Unser Jamie, ein Anwalt.“
„Ich bin noch kein Anwalt, Dad“, erinnerte ihn Jamie. Und im Moment sieht es auch nicht so aus, als ob ich je einer werde. „Weil wir gerade beim Thema sind, ich muss wieder zurück zu meinem Studium.“ Er musste das Gespräch beenden, bevor er einknicken würde.
„Klar, wir reden am Wochenende. Du kommst doch vorbei?“
„Sicher“, antwortete Jamie niedergeschlagen. Er wusste, wenn es soweit war, würde er eine Ausrede erfinden. Auf der Couch seines Vaters zu sitzen und sich die neueste Tirade anzuhören, wie der verdammte Scheidungsanwalt ihn schikanierte und wie Mom alles komplizierter machte und so weiter, war das Letzte, was er wollte.
Er verabschiedete sich und beendete das Gespräch. Er wollte sein Telefon gerade wegstecken, als es trillernd die Ankunft einer Textnachricht ankündigte. Jamie starrte die Nachricht ungläubig an.
Die Zeit ist um. Ich habe einen neuen Mieter. Du hast bis Sonntag Zeit, um auszuziehen. Lass die Schlüssel auf dem Couchtisch liegen. Und du schuldest mir immer noch drei Monatsmieten. Ich melde mich, damit wir aushandeln können, wie du das zahlen wirst.
Jamies Eingeweide verkrampften sich und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Das glaube ich einfach nicht. Er wollte vergessen, dass er zwanzig Jahre alt war. Er wollte das Gesicht in den Händen vergraben und sich die Augen ausheulen. Er fühlte sich gerade wie ein kleines Kind, das schwimmen lernte und das man ins tiefe Becken geworfen hatte, wo es den Kopf nicht über Wasser halten konnte.
Jamie würde untergehen. Er beugte sich vor, legte den Kopf auf die Arme und sein Atem trübte die glänzende Oberfläche des Tisches.
Kein Wunder, dass Gott geschwiegen hatte. Dieser neueste Paukenschlag reichte, um ihn kleinzukriegen. Jamie schloss die Augen und kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an. Er erinnerte sich, dass Erwachsene nicht weinten und schon gar nicht mitten in einer öffentlichen Bibliothek.
Nur war er im Moment kein Erwachsener. Er war ein verängstigter kleiner Junge, der eine Umarmung brauchte, eine Schulter, an der er sich ausweinen konnte, einen Rettungsanker, an den er sich klammern konnte.
Als ein leises Husten die Stille durchbrach, wollte Jamie knurren. Jetzt soll bloß keiner kommen und mir sagen, dass ich mich nicht angemessen verhalte. Er hob trotzig den Kopf, bereit jemandem den Arsch aufzureißen.
Auf der anderen Seite des Tisches saß ihm auf einem Stuhl ein älterer Typ gegenüber. Er war vielleicht Ende dreißig. Braunes Haar, warme braune Augen. Bart. Breite Brust, schwarzes Hemd mit offenem Kragen, offene schwarze Lederjacke. Der Typ betrachtete ihn mit einem neutralen Ausdruck.
Jamie würde nicht da rumsitzen und die Aufmerksamkeit eines Fremden auf sich ziehen. Er richtete sich auf und schnappte sein Telefon und seinen Rucksack.
„Entschuldige.“ Die Stimme des Fremden war tief und klangvoll.
Jamie starrte zurück und sagte nichts.
Der Lederjackentyp musterte ihn.
„Du siehst aus, als ob du einen wirklich miesen Tag hast.“
Es lag Jamie auf der Zunge zu sagen: Glauben Sie wirklich? Oh Mann, Sie haben ja keine Ahnung, Mister. Nicht, dass er sich das getraut hätte. Seine Eltern hatten ihn besser erzogen. „So was in der Art“, murmelte er.
„Schau, ich weiß, dass es mich nichts angeht und es ist dein gutes Recht, mir zu sagen, dass ich abhauen soll, aber … ich wollte mir gerade einen Kaffee holen. Vielleicht willst du auch einen? Oder Tee, Saft, Wasser, was auch immer.“ Der Typ lächelte. „Es könnte helfen, mit einem völlig Fremden darüber zu sprechen und es dir von der Seele zu reden.“
Jamie starrte ihn an. Was zum Teufel sollte das?
Da war das Lächeln wieder. „Ich bin nicht mal sicher, warum ich dir das anbiete. Glaub mir, ich gehe gewöhnlich nicht herum und lade Typen zum Kaffeetrinken ein. Aber ich habe den Eindruck, dass du jemanden zum Reden brauchst. Ich biete dir an zuzuhören, das ist alles.“
Jamie schwankte. Kaffee hörte sich gut an, etwas mit intensivem Geruch und starkem Geschmack. Aber mit einem Fremden mitgehen, der ihn aus heiterem Himmel einlud? Er versuchte auf sein Bauchgefühl zu hören, aber das brachte nichts. Sein Inneres war von dieser Textnachricht noch in Aufruhr. Aus Gewohnheit wandte Jamie seine Aufmerksamkeit den Augen zu. Er hatte seinen Schulfreunden immer erzählt, der sicherste Weg, einen geheimen, Axt–schwingenden Massenmörder zu erkennen, war ein Blick in die Augen. Tor zur Seele und so was. Jamie war überzeugt, dass man eine Neigung zum Wahnsinn nicht verbergen konnte. So etwas musste sich in den Augen widerspiegeln. Natürlich wusste er, dass das kompletter Quatsch war. Da er seines Wissens noch nie einem geheimen, verrückten, Axt–schwingenden Serienmörder begegnet war, hatte er keine Ahnung, ob an der Theorie etwas dran war.
Also was, wenn das alles Mist war? Es war Jamies Mist.
Der Lederjackentyp hatte warme Augen. Mehr noch, sie sahen ehrlich aus. Da war auch noch etwas anderes. Ein Funke von Wiedererkennen. Als wüsste der Mann, was Jamie durchmachte.
Das musste genügen.
Jamie nickte langsam. „Okay. Kaffee hört sich gut an.“
Der Typ strahlte. „Ausgezeichnet.“
Er stand auf, kam um den Tisch herum und streckte Jamie die Hand hin. „Ich heiße Guy.“
Jamie schüttelte ihm die Hand. „Jamie.“
Guy deutete zur Tür. „Wollen wir gehen?“
Jamie nickte und folgte Guy durch den Raum. In seinen Gedanken herrschte Chaos. Was zum Teufel mache ich da? Er hatte keine Ahnung, aber in seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung musste es besser sein, als in der Bibliothek herumzusitzen und in Selbstmitleid zu schwelgen.
JAMIE STARRTE auf die Karte, ohne die Liste der Getränke wirklich zu sehen. Er dachte immer noch an diese Textnachricht. Und was jetzt? Er ging in Gedanken eine Liste von Freunden durch, die ihm vielleicht für ein paar Tage eine Couch zur Verfügung stellen könnten, während er nach etwas Dauerhafterem suchte. Er hasste es, das tun zu müssen, aber er hatte gerade keine andere Wahl.
„Was möchtest du?“, fragte Guy neben ihm.
„Hä?“ Jamie holte sich zurück in die Gegenwart. „Tut mir leid, ich war weit weg.“ Er warf einen Blick auf die Karte. „Könnte ich bitte einen Mokka haben?“
„Sicher.“ Guy lächelte. „Besser einen großen.“
Jamie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Als sein Magen laut knurrte, wäre er am liebsten im Boden versunken. Zu seiner Erleichterung kommentierte Guy es nicht. Stattdessen deutete er auf einen freien Tisch im hinteren Bereich des Coffeeshops.
„Warum besetzt du nicht den Tisch und ich bringe die Getränke?“
„Klar.“ Jamie ging zu dem Tisch hinüber und kämpfte gegen den Drang an, den Kopf zu schütteln.
Die ganze Situation hatte etwas Surreales. Ein wildfremder Typ lädt mich auf einen Kaffee ein und ich sage einfach so Ja? Jamie führte seine Reaktion auf den Stress des Nachmittags zurück. Er war nach seiner letzten Vorlesung in die Bibliothek gegangen, um an der Vorbereitung auf den Zulassungstest zum Jurastudium zu arbeiten und nachzuforschen, wie er dieses Studium finanzieren könnte. Die Ironie war ihm nicht entgangen. Anwälte ruinierten sein Leben.
Er wusste, dass Guy selbst mit ein Grund war, warum er die Einladung angenommen hatte. Abgesehen von der Idee mit den Augen, wirkte er einfach ziemlich normal.
Jamie unterdrückte ein Schnauben. Was ist denn schon normal?
Guy gesellte sich zu ihm und trug ein Tablett mit zwei großen Tassen. Die eine hatte ein Sahnehäubchen und war mit Kakaopulver bestreut. Die andere Tasse roch nach Lebkuchen. Aber nicht nur das. Da waren zwei Teller. Jamie hatte noch nie Schokolade–Brownies gesehen, die so lecker aussahen. Er hob den Kopf und sah Guy an, der lässig mit den Schultern zuckte.
„Ich habe eine kleine Stärkung gebraucht, was in meinem Fall nur Schokolade sein kann. Und ich wollte auf keinen Fall hier sitzen und neben dir essen, wenn du es nicht auch tust.“ Guys Augen wurden schmal. „Du willst doch nicht, dass ich dumm dastehe, nicht wahr?“
Als ob Jamie ihm das abnehmen würde. Aber immerhin bewies es, dass er mit seinem Instinkt richtig lag. Guy war ein netter Typ.
„Danke“, sagte Jamie aufrichtig. Er besah sich den Brownie näher. „Sind das Pecan Stückchen da drinnen?“ Er leckte sich über die Lippen.
Guy hob die Augenbrauen. „Aber natürlich. Nur die besten Brownies haben Pecan Stückchen.“ Er unterdrückte ein Lächeln. „Hau rein.“
Jamie tat genau das. Der Mokka hatte für Jamies Geschmack genau die richtige Menge Schokolade und er tat sein Bestes, um den peinlichen Sahne–Schnurrbart zu vermeiden. Das Getränk wärmte ihn von innen und der Brownie füllte eindeutig ein Loch in seinem Magen. Als auf dem Teller nur mehr Krümel waren, lehnte sich Jamie in seinem Stuhl zurück. „Das war köstlich.“ Und er konnte sich immer noch auf die zweite Hälfte des Mokkas freuen.
Guy war ein langsamer Esser. Er nahm einen Bissen von seinem Brownie und musterte Jamie eingehend. „Ich schätze, du wirst mir erzählen, was heute schiefgelaufen ist?“
„Wenn es nur heute wäre“, seufzte Jamie.
Guy spießte mit seiner Gabel ein weiteres Stück Brownie auf. „Nachdem, was ich mitbekommen habe – und ich versichere dir, ich hatte wirklich nicht die Absicht zu lauschen. Du hast nur so deprimiert geklungen und noch viel mitgenommener ausgesehen, dass ich nicht anders konnte. Aber ich schweife ab. Du hast drei Jobs?“
Jamie nickte, legte die Hände um die warme Tasse und atmete das köstliche Aroma ein. Dann fiel es ihm wieder ein. Scheiße. „Tatsächlich habe ich einen heute Morgen verloren. Überschuss an Arbeitskräften und so. Ich werde mir also einen neuen suchen müssen, um diesen zu ersetzen.“
„Also entweder liebst du es zu arbeiten“, sagte Guy grinsend, „oder deine Lebensumstände erfordern es. Ich tippe mal auf Letzteres.“
Ein weiteres Nicken.
„Warum fängst du nicht beim Anfang an? Ich bin ein guter Zuhörer.“
Jamie betrachtete Guy für einen Augenblick. Er war nicht sicher, wo er beginnen sollte.
Guy interpretierte sein Schweigen offenbar fälschlich als Nervosität. „Ich weiß, du kennst meine Vorgeschichte nicht, hier ist also eine Kurzbiografie von Guy Bass. Ich bin achtunddreißig und ledig. Ich habe mein ganzes Leben in San Francisco gelebt. Ich habe zwei Kinder, die wahrscheinlich in deinem Alter sind. Das heißt, ich habe genug elterliche Fürsorge in den Versuch investiert, ihnen durch die verschiedenen Prozesse und Herausforderungen des Erwachsenwerdens zu helfen. Du hast ausgesehen, als könntest du einen Freund brauchen, also biete ich dir eine Schulter zum Ausweinen an, jemanden, bei dem du Dampf ablassen kannst oder was auch immer.“ Guy zog die Jacke aus und hängte sie über die Rückenlehne seines Stuhls. Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Du wirst mich sehr wahrscheinlich nie wiedersehen, aber vielleicht hilft es, mit einem Fremden zu reden. Wer weiß, womöglich sehe ich Lösungen, wo du derzeit nur Probleme siehst.“
Jamie lächelte. „Du hattest mich schon bei ‚guter Zuhörer‘ überzeugt. Er hob seine Tasse und nahm einen großen Schluck. Als er fertig war, holte er ein paar Mal tief Luft. „Ich hatte nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde, eine Ausbildung zu machen.“
„Inhaltlich oder finanziell?“
„Finanziell. Meine Eltern haben keinen College–Fonds für mich eingerichtet. Sie sagten mir immer, dass sie dafür sorgen würden, dass ich alles hätte, was ich brauche, und dass sie selbst dafür Geld zurücklegen würden. Ich habe mich für ein Teilstipendium qualifiziert und sie wollten den Rest bezahlen. Der Deal war, dass ich mir einen Job suche, wenn ich Geld für etwas anderes als die Studiengebühr, Bücher, Kleidung oder Essen brauche. Damit hatte ich kein Problem.“ Er runzelte die Stirn. „Und natürlich war jeder ganz wild darauf, mir einen Kredit zu geben.“
Zu seiner Überraschung verzog auch Guy das Gesicht. „Es ist nicht richtig, wenn jemand seinen Abschluss macht und dann auf einem Schuldenberg sitzt.“ Als Jamie ihn anstarrte, zuckte Guy mit den Schultern. „Ich meine ja nur. Es gab Zeiten, da hat sich beinahe jeder das College erarbeiten müssen, außer er hatte Eltern, die sich leisten konnten, alles zu bezahlen. Eine Menge Leute aus der Generation meiner Eltern haben keine Ahnung, wie sehr sich die Zeiten geändert haben und nicht zum Guten.“
Damit hatte Jamie nicht gerechnet. „Genau. Meine Eltern haben keine Ahnung.“
Guy nickte ihm mitfühlend zu. „Deine Eltern haben also Geld für deine Studiengebühr gespart. Was ist schiefgelaufen?“
Jamie starrte in seine fast leere Tasse. „Sie sind schiefgelaufen. Vor einem Jahr hatten sie endlich genug davon, sich gegenseitig anzuschreien und beschlossen, sich scheiden zu lassen. Plötzlich wurde das Geld, das sie für meine Ausbildung zurückgelegt hatten, zweckentfremdet. Jetzt brauchen sie es, um die Scheidungsanwälte zu bezahlen.“
„Oh Mist.“ Guy machte ein langes Gesicht. „Das ist scheiße. Nicht nur, dass du in einem finanziellen Engpass steckst. Auch, dass ihre Ehe nicht zu retten war.“ Er schüttelte den Kopf. „Obwohl es manchmal wirklich der beste Weg ist.“
„Bist du geschieden?“, fragte Jamie. Guys Verhalten deutete auf persönliche Erfahrung hin.
Guy nickte. „Aber das war vor einer langen Zeit. Damals war ich zwanzig.“ Als Jamie große Augen machte, seufzte er. „Ja, ich war nicht lange verheiratet.“ Er richtete sich auf. „Egal, zurück zu dir. Deshalb hast du also zwei Jobs, um deine Ausbildung fortsetzen zu können?“
„Ja.“ Jamie starrte missmutig auf die Kuchenkrümel. „Noch ein gutes Jahr und dann hätte ich an der rechtswissenschaftlichen Fakultät sein sollen. Jetzt sehe ich mich nach Stipendien und Finanzierungsmöglichkeiten um.“
„Klingt vernünftig. Jura, hä? Weißt du schon, wo du studieren willst?“
„Hier in San Francisco.“
Guy lächelte. „Gute Entscheidung. Unser Bezirksstaatsanwalt hat hier studiert, weißt du das?“
Jamie nickte. Er wusste alles über Bezirksstaatsanwalt Cole Daniels. Er war immer eines von Jamies großen Vorbildern gewesen. Nicht dass er das jemals zugegeben hätte.
„Ist das alles?“, erkundigte sich Guy.
Jamie schüttelte den Kopf. „Ich dachte, dass ich es mit Stipendium und Kredit schaffen müsste, aber es war verdammt schwierig. Und dann …“ Er zwang sich, durchzuatmen.
„Hey, trink mal deinen Mokka aus, bevor er kalt wird“, sagte Guy sanft. „Es ist ja nicht so, als ob du dringend irgendwo hinmusst, oder?“
Jamie schüttelte den Kopf.
„Okay, dann geh es langsam an. Wir haben jede Menge Zeit zum Reden.“ Seine braunen Augen blickten Jamie freundlich an.
Jamie leerte seine Tasse und leckte sich dann über die Lippen, um die letzten Mokkaspuren zu beseitigen. Guy beobachtete ihn. Er hatte die Beine überkreuzt und seine Hände lagen auf seinen Oberschenkeln.
Als Jamie sich wieder beruhigt hatte, sah er ihn an. „In den letzten paar Monaten hatte ich das Gefühl, dass das Leben mir ein Hindernis nach dem anderen in den Weg stellt. Und jedes davon kostete Geld.“
„Zum Beispiel?“
„Ich hatte Probleme mit meinen Weisheitszähnen. Also entschloss sich mein Zahnarzt, sie alle zu entfernen.“
Guy zuckte zusammen. „Autsch. Ich will gar nicht daran denken, was das gekostet hat.“
Jamie nickte düster. „Die Versicherung meiner Eltern ist für die Hälfte aufgekommen, aber sie waren nicht in der Lage, den Rest zu bezahlen. Also gingen 800 Dollar von meinen Ersparnissen für das College drauf. Ganz abgesehen von der Zeit, die ich freinehmen musste, sowohl vom Unterricht als auch von meinen Jobs.“ Was vermutlich der Grund war, warum sie ihn rausgeworfen hatten. Scheiße.
„Du brauchst einen guten Notendurchschnitt für dein Stipendium, nicht wahr?“
Jamie nickte wieder. „Ich konnte es mir nicht leisten, zurückzufallen. Ich habe viel zu wenig geschlafen und wie verrückt gearbeitet, um mit den Vorlesungen Schritt zu halten. Aber ohne das Geld von den Nebenjobs wurde es ziemlich eng. Ich dachte, aus dem Studentenheim auszuziehen und mir in der Stadt eine billigere Bleibe zu suchen, wäre eine Möglichkeit, die Kosten zu senken.“
„Das klingt vernünftig.“
„Aber dann änderten sich meine Arbeitszeiten in dem Restaurant und die im Coffeeshop auch. Also noch weniger Einkommen und noch mehr Dinge, die an meinen Reserven knabberten. Wie mein Laptop. Er hat den Geist aufgegeben und ich musste einen neuen bezahlen. Und ich musste 355 Dollar auftreiben, um mich für den LSAT anzumelden.“
„LSAT? Das ist der Zulassungstest, den du machen musst, um an der juristischen Fakultät aufgenommen zu werden, richtig?“
Jamie sah ihn überrascht an. „Ja, genau.“ Das hatte er nicht erwartet.
Offensichtlich war er nicht besonders gut darin, seine Reaktionen zu verbergen, denn Guy lächelte. „Sagen wir einfach, ich kenne ein paar Anwälte. Wann machst du den Test?“
„Im Juni. Das ist die früheste Möglichkeit und das Ende der Zahlungsfrist war im April.“ Jamie seufzte tief. „Ich hatte schon Mühe, die Studiengebühr für dieses Semester zu bezahlen. Sie hat den Rest meiner Ersparnisse verschlungen. Also dachte ich, es wäre nicht so schlimm, wenn ich ein wenig mit der Miete in Verzug wäre.“
Guy zuckte wieder zusammen. „Warum denke ich, dass das nicht gut ausgegangen ist?“
„Weil die Textnachricht, die ich in der Bibliothek bekommen habe, von meinem Vermieter war, der mir mitgeteilt hat, dass ich die Wohnung räumen muss. Ich habe bis Sonntag Zeit, um mir einen Platz zu suchen, wo ich bleiben kann.“ Jamie lachte bitter. „Um deinen Ausdruck zu benutzen: Meine Kurzbiografie besagt, dass ich in Kürze obdachlos sein werde, weil ich es mir nicht leisten kann, die Miete zu bezahlen. Außerdem bin ich ihm noch drei Mieten schuldig. Ich habe kein Geld mehr, um das letzte Jahr des Vorbereitungslehrgangs zu bezahlen. So, wie meine Verdienstmöglichkeiten eingeschränkt werden, werde ich nicht mal in der Lage sein, den Rest dieses Semesters zu überleben.“ Er stützte den Kopf auf seine Hände. „Ich frage mich die ganze Zeit, wozu ich auf der Highschool so verdammt hart gearbeitet habe, um sie mit einem Punktedurchschnitt von 3,9 abzuschließen. Doch nur, um die eine Sache tun zu können, die ich mein ganzes Leben tun wollte.“ Er schloss die Augen und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ich werde nicht hier sitzen und vor Guy wie ein Baby weinen.
Er hörte ein Räuspern.
Jamie hob den Kopf. Guy sah ihn an und zum zweiten Mal in weniger als einer Stunde sah er in den warmen braunen Augen ein kurzes Aufblitzen von Emotionen.
Guy neigte den Kopf zur Seite. „Ich schätze …“ Er brach ab, nahm seine Tasse und trank seinen Kaffee aus. Dann tupfte er sich mit einer Papierserviette den Mund ab und sah Jamie wieder in die Augen. „Ich wollte sage, ich schätze, ich bin vielleicht in der Lage, dir zu helfen.“
JAMIE STARRTE Guy für einen Moment an und schnaubte dann. „Nun, wenn du nicht gerade einen Zauberstab in deiner Jackentasche versteckt hast, mit dem du die Zeit zurückdrehen kannst, wüsste ich nicht, wie du das könntest.“
In Guys Augen flackerte kurz etwas auf, das wie Schmerz aussah. „Ja, hätten wir nicht alle gerne so einen Stab?“, sagte er leise. Er lehnte sich zurück und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. „Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Wenn ich fertig bin, werden wir sehen, ob es immer noch etwas zu besprechen gibt, okay?“
„Okay“, stimmte Jamie gespannt zu.
Guy betrachtete seine Hände. „Ich möchte nicht ins Detail gehen. Aber als ich zwanzig war … Du bist was? Einundzwanzig?“
„Beinahe einundzwanzig.“
Guy lächelte. „Dachte ich mir. Wie auch immer, als ich zwanzig war, steckte ich in massiven finanziellen Problemen. Die Umstände waren anders als bei dir, aber das Ergebnis war das gleiche. Ich wäre untergegangen, wenn ich nicht zufällig den Mann getroffen hätte, der mein Leben veränderte.“
Jamie musste Guy immerzu ansehen. Als er ihn in der Bibliothek getroffen hatte, hatte er mürrisch gewirkt. Ein kräftiger Mann, der auf einer Baustelle nicht fehl am Platz gewirkt hätte.
Aber nun, während er erzählte, war sein Ausdruck sanft, beinahe zärtlich.
„Stephen wollte mir helfen. Er hatte einen Mentor gehabt, als er jünger war, jemanden, der ihn wirklich auf den rechten Weg gebracht hatte. Stephen wollte das weitergeben. Er nahm mich unter seine Fittiche, gab mir einen Platz zum Wohnen und half mir durchs College. Ohne seine Hilfe wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin.“
„Klingt, als wäre er ein bemerkenswerter Mann“, stellte Jamie fest.
„Das war er.“ Als Jamie die Augenbrauen hob, lächelte Guy traurig. „Er starb vor sechs Jahren.“
„Du hast ihm sehr nahegestanden.“ Es war keine Frage. Es stand Guy ins Gesicht geschrieben und drückte sich in dem Hauch von Trauer aus, der ihn selbst jetzt noch umgab. Und noch etwas anderes. Jamie gingen so viele Gedanken im Kopf herum. Warum würde jemand all das tun? Weil es über Nächstenliebe hinausging. Eine Alarmglocke schrillte in Jamies Kopf. Alles, woran er denken konnte, waren die Artikel, die er erst kürzlich über Studenten gelesen hatte, die sich einen Sugar–Daddy suchten, der ihnen half, das College zu finanzieren. Oh oh. Ist Guy im Begriff, mir vorzuschlagen, was ich denke, dass er mir vorschlagen wird?
Guy nickte. „Er war ein einsamer Mann, als wir uns trafen, aber das änderte sich.“ Er räusperte sich. „Womit wir wieder bei dir wären. Ich habe mein Leben lang versucht, denen zu helfen, die es nötig haben. Ich unterstütze Wohltätigkeitsorganisationen, ich helfe bei Spendenaktionen, aber du ermöglichst mir ein persönlicheres Ziel. Ich würde dir gerne so helfen, wie Stephen mir geholfen hat. Was immer du brauchst, Jamie. Ein Platz zum Wohnen, finanzielle Hilfe, damit du dich auf dein Studium konzentrieren kannst, statt völlig auszubrennen. Einen Mentor, nehme ich an.“
Jamie schnappte nach Luft. „Das ist … das ist nicht dein Ernst.“ Es klang noch immer viel zu gut, um wahr zu sein. „Kann ich dich fragen …“
„Lässt du mich zuerst zu Ende erzählen? Dann beantworte ich deine Fragen.“
Jamie nickte kurz. „Klar.“ So, wie sich Guys Geschichte entwickelte, hatte Jamie ein schleichendes Gefühl, wie sie enden würde. Sein Magen verkrampfte sich. So ein Mist.
Guy atmete tief durch. „Ich arbeite nicht mehr. Ich habe eine Firma aufgebaut, der es ziemlich gut ging. Ich habe sie letztes Jahr verkauft und ich habe praktisch ausgesorgt. Ich habe ein paar Projekte, die regelmäßiges Einkommen bringen. Ich will damit sagen, ich bin in der Position, dir zu helfen.“ Er lächelte. „Vielleicht können wir einander helfen.“
Heilige Scheiße.
„Du und Stephen … du warst … wie ein Gefährte für ihn?“ Das war ein höflicherer Ausdruck als der, den er gerade im Kopf hatte.
Guy nickte und Jamie wurde schwer ums Herz. Verdammt, ich hasse es, recht zu haben. Aber es konnte natürlich sein, dass er Guy falsch interpretiert hatte. Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden.
„Kann ich dich etwas … sehr Persönliches fragen?“, erkundigte er sich leise.
Guy neigte den Kopf und runzelte die Stirn. „Nun, du kannst fragen. Ich muss dann entscheiden, ob ich antworten will.“
„In Ordnung.“ Jamie holte tief Luft. „Bist … bist du schwul?“
Guy blinzelte. „Na klar.“ Seine Augen wurden groß. „Aber du bist es nicht.“
Jamie schüttelte ganz langsam den Kopf.
Guy atmete mit einem Seufzen aus. „Geschieht mir recht, wenn ich mich auf Vermutungen verlasse. Ich hätte schwören können …“
„Du dachtest, ich wäre schwul?“ Jamie war fassungslos.
„Ja. Sieht aus, als hätte ich falsche Signale aufgefangen.“
Jamie wünschte nur, auch er hätte falsche Signale aufgefangen.
Er zählte zwei und zwei zusammen und das Ergebnis gefiel ihm nicht. „Wenn du dich als Stephens Gefährte bezeichnest, dann ist das eine Untertreibung, nicht wahr? Eure Beziehung war … sexueller Natur. Finanzielle Unterstützung im Austausch für … Sex“. Er streckte das Kinn vor. „Was, egal wie man es betrachtet, Prostitution ist.“
Guys Augen wurden groß. „Oh Gott, nein. So hat es ganz und gar nicht begonnen. So ein Typ war er nicht“, betonte er vehement. „Aber im Lauf der Zeit sind wir uns näher gekommen und dann … Ja, dann wurde die Beziehung körperlicher.” Er senkte den Blick wieder auf seine Hände. „Es tut mir leid, Jamie. Ich dachte, du wärst ein gut aussehender, junger Schwuler, der Hilfe braucht. Ich hätte nicht von einer solchen Annahme ausgehen sollen.“
Zu seiner Überraschung bedauerte es Jamie auch. Nicht für schwul gehalten zu werden, er hatte kein Problem mit Homosexuellen. Aber vorhin hatte er für einen Moment einen Hoffnungsschimmer gesehen, dass es wirklich jemanden geben könnte, der sich um ihn kümmern wollte. Guys Angebot hatte sich zu gut angehört, um wahr zu sein.
Weil es das auch war. Guys Angebot hatte eindeutig einen Haken. Okay, er hatte es nicht direkt ausgesprochen, aber Jamie konnte zwischen den Zeilen lesen.
„Es tut mir auch leid“, sagte er schließlich. „Ich nehme an, das ändert alles, oder?“ Er seufzte. „Es klang toll, aber ich bin offensichtlich nicht der, für den du mich hältst.“ Jamie stand auf. „Danke für den Mokka und den Brownie. Es war nett, dich kennenzulernen.“
„Warte.“
Jamie hielt inne. Seine Wangen waren heiß und sein Blick auf Guy gerichtet. Guy deutete auf den Stuhl. „Setz dich noch für eine Sekunde.“ Als Jamie sich nicht von der Stelle rührte, seufzte Guy. „Bitte.“
Jamie nahm wieder Platz. Guy lehnte sich zurück und musterte ihn mit zusammengepressten Lippen. Jamie wand sich unter dem prüfenden Blick. Dann beugte Guy sich vor.
„Was, wenn das Angebot noch aufrecht ist?“
Jamie runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht.“
Guy lächelte. „Deine Situation hat sich nicht verändert. Du brauchst immer noch jemanden, der dich aus dem finanziellen Loch zieht, in dem du steckst. Ich kann dir da heraushelfen. Ich will weitergeben, was Stephen für mich getan hat. Auch das hat sich nicht geändert. Hier ist mein Vorschlag. Ich gebe dir einen Platz zum Wohnen, der garantiert besser ist als der, aus dem du demnächst rausgeworfen wirst. Ich bezahle deine Studiengebühr. Ich helfe dir, dich auf das Jurastudium vorzubereiten und ich bezahle es, sobald du drin bist.“
„Und als Gegenleistung?“ Jamie wartete auf die Pointe.
„Das ist alles. Keine Verpflichtungen. Schön, bis auf eine. Im Gegenzug arbeitest du so hart du kannst, um ein brillanter Anwalt zu werden. Du bist intelligent Jamie, wie ich aus einem Punktedurchschnitt von 3,9 schließe, und du bist motiviert.“
Jamies Herz klopfte. „Und es spielt keine Rolle, dass ich hetero bin?“
Guys Lächeln wurde breiter. „Nun, du bist derjenige, der mit dieser speziellen Einschränkung leben muss.“ Er zwinkerte und dann wurde sein Ausdruck wieder ernster. „Nein, es spielt keine Rolle.“
Jamie starrte ihn an. „Ich nehme an“, sagte er langsam, „wenn ich erst mal Anwalt bin, werde ich in der Lage sein, jemandem zu helfen. So, wie du mir jetzt Hilfe anbietest.“ Das hörte sich gut an.
Guy nickte lächelnd. „Das ist die Idee.“ Er hob den Kopf. „Und hier ist noch eine. Warum kommst du nicht jetzt mit? Ich zeige dir das Haus. Dann kannst du dich entscheiden.“
Jamie musste lächeln. „Du denkst offenbar, dass das Haus den Ausschlag geben wird.“
Guy grinste. „Abwarten.“
Jamie überlegte einen Augenblick. Sein ursprünglicher Eindruck von Guy hatte sich trotz seines Wissens nicht geändert. Ein wenig über seine Vorgeschichte zu wissen, hatte eher dazu beigetragen, die Einschätzung zu festigen, dass Guy ein guter Mensch war.
Er sagte, keine Verpflichtungen, weißt du noch?
Jamie hatte sich entschieden. „Ich werde mir das Haus ansehen.“
Das kann nicht schaden, oder?
Guy strahlte. „Ausgezeichnet. Lass uns gehen.“ Er stand auf und zog seine Lederjacke an. „Wie bist du zur Bibliothek gekommen?“
„Zu Fuß. Meine Wohnung befindet sich über einem Restaurant in Chinatown.“
„Okay. Mein Auto steht bei der Bibliothek an der Ecke zur Jones. Ich bringe dich zurück, wenn wir fertig sind.“ Er lächelte. „Einverstanden?“
„Das ist nicht nötig. Ich kann von überall mit der Bahn zurückfahren.“
Guy kicherte. „Nein, nicht von Brisbane. Da gibt es keine Haltestelle in der Nähe. Aber ich versichere dir, es macht mir nichts aus. Wir sind nur etwa fünfundzwanzig Minuten von meinem Haus entfernt.“ Er sah zu Jamie. „Mir ist klar, dass das viel verlangt ist. Du hast mich gerade erst kennengelernt und ich will dich an einen Ort mitnehmen, wo du darauf angewiesen bist, dass ich dich wieder zurückbringe. Wenn du einem Freund eine Nachricht schicken willst, wo du bist, dann verstehe ich das vollkommen. Ich würde sogar sagen, es ist eine gute Idee. Pass auf dich auf ist ein gutes Lebensmotto.“
Da war was dran. Jamie nickte und zückte sein Telefon. Er wusste, er würde Ryan später eine Menge erklären müssen, aber es war sinnvoll. Es bestätigte auch, wie er Guy einschätzte.
„Willst du immer noch mitkommen?“
Jamie atmete tief durch und steckte sein Telefon wieder weg. „Ja, ich will immer noch mitkommen.“ Er folgte Guy aus dem Coffeeshop und zum zweiten Mal an diesem Tag wirbelten seine Gedanken wild durcheinander.
Das habe ich eindeutig nicht vorhergesehen, als ich heute Morgen aufgewacht bin. Er war gespannt, wie es enden würde.
JAMIE KONNTE bereits von außen sehen, warum Guy dachte, das Haus könnte ein attraktiver Teil des Deals sein. Es lag an einer Ecke, mit Terracotta-Wänden zur Straßenseite, über denen ein geschwungenes graues Dach mit drei Mansardenfenstern aufragte. Die Vorderseite des Hauses war nach links abgerundet und führte zu einer Garage. Rechts war ein asphaltierter Bereich, der von einem weißen Zaun umgeben war.
Ja, es war ein hübsches Haus. Aber als Jamie eintrat, war er bereits ziemlich überzeugt. Es war ein schönes Haus.
„Okay, dann betätige ich mich mal als Fremdenführer“, sagte Guy und hängte seine Jacke über die Rücklehne eines schmiedeeisernen Lehnstuhls in der luftigen Eingangshalle. Er deutete auf den Bereich vor ihnen. „Um ehrlich zu sein, ich benutze diesen Teil wenig, aber er ist praktisch, wenn ich Partys gebe.“
„Machst du das oft? Partys geben, meine ich.“ Jamie stellte seinen Rucksack neben dem Stuhl auf den Boden und zog seine Jacke aus.
„Hin und wieder. Es ist überfällig, dass ich wieder einmal Gastgeber bin.“
„Ich mag die Kurve in der Wand und wie sich die Fenster einfügen und den Raum mit natürlichem Licht füllen“, gab Jamie zu.
Guy deutete nach rechts. „Diese Treppe führt in den Keller. Wir können ebenso gut unten anfangen und uns nach oben arbeiten.“ Er führte Jamie die Stufen hinunter in einen großen, offenen Raum. An einem Ende war die Wand von einer weißen Leinwand bedeckt. Davor standen verschiedene Sofas und Lehnstühle.
Jamie grinste. „Ein Medienraum. Es ist, als ob du hier unten dein eigenes Kino hättest.“
Guy nickte. „Das ist auch etwas, was ich gerne mache. Ich organisiere Filmabende und lade eine Menge Freunde ein. Jeder bringt seine eigenen Snacks mit, was praktisch ist, weil einige Allergien haben, und wir verbringen einen Abend hier unten.“
Die Vorstellung gefiel Jamie wirklich gut.
Guy stieg die Treppe wieder hinauf und deutete auf einen kleinen Raum. „Waschküche mit Waschmaschine und Trockner.“
Sie betraten wieder die Eingangshalle und erst jetzt fiel es Jamie auf. „Hier unten sind keine Türen.“ Stattdessen gab es Torbögen, durch die man in die einzelnen Räume sehen konnte.
„Nein, der Architekt war eindeutig ein Fan von offenem Wohnraum.“ Guy trat durch einen der Bögen in eine U–förmige Küche aus edlem Kirschholz. Dahinter war ein Wohnzimmer, das zu einem Teil von einem langen Esstisch mit acht Stühlen ausgefüllt wurde. Am Ende des Raumes führten Glastüren zum Garten hinter dem Haus.
Guy blieb stehen. „Was hältst du bisher davon?“
Jamie seufzte. „Ich liebe dein Zuhause.“ Und es fühlte sich wirklich wie ein Zuhause an. Es hingen gerahmte Fotos und Drucke an den Wänden und der Holzboden verlieh den Räumen eine warme Atmosphäre. Teppiche lieferten Farbtupfer, die in Kontrast zu den cremefarbenen Wänden standen. Er konnte sich vorstellen, wie an kalten Abenden ein Feuer im Kamin prasselte.
„Im Vergleich zu hier ist es oben langweilig, aber ich zeige es dir“, sagte Guy, als sie über die Treppe in den oberen Stock gingen. „Es gibt drei Schlafzimmer. Zwei davon haben ein komplettes Badezimmer, eines eine Toilette und ein Waschbecken, aber es gibt noch ein Bad im Untergeschoss.“
Sie erreichten das Ende der Treppe und Jamie betrat einen weiteren offenen Bereich, von dem drei Türen zu den Schlafzimmern führten. Das kleinste wurde von einem Fenster erhellt, aber es gab genug Platz für ein großes Bett. Das nächste war ein größerer Raum mit zwei Fenstern und einem Badezimmer.
„Das wäre dein Zimmer, wenn du dich entscheidest, mein Angebot anzunehmen“, sagte Guy.
Es gefiel Jamie. Es war sehr hell, was eine Eigenschaft des ganzen Hauses zu sein schien. Das riesige Bett sah bequem aus und es gab einen Lehnstuhl unter einem der Fenster. Unter dem anderen standen ein großer Schreibtisch aus Eichenholz und ein Stuhl mit hoher Rückenlehne.
Jamie lächelte. „Sieht aus, als wäre es ein tolles Zimmer für einen Studenten.“
Guy kicherte. „Sehr scharfsinnig. Das war mein Zimmer, als ich ursprünglich bei Stephen eingezogen bin.“
Jamie runzelte die Stirn. „Warte mal. Das war … Stephens Haus?“
Guy seufzte. „Es ist eine lange Geschichte. Warum siehst du dir nicht erst mal das große Schlafzimmer an und dann gehen wir runter und ich mache uns Kaffee.“
„Klar.“ Jamie folgte ihm in einen großen, luftigen Raum mit einem Badezimmer und einem begehbaren Schrank. Guy öffnete eine Glastür und trat hinaus auf eine Terrasse. Jamie schloss sich ihm an und sah auf die Garage und den Vorgarten. Entlang der Garage erstreckte sich ein Vorbau, der von pflanzenumrankten Gittersäulen gestützt wurde. Jamie betrachtete den Vorbau, unfähig ein Grinsen zu unterdrücken. „Ist das ein Whirlpool da drunter?“
Guy grinste. „Ich habe mir das Beste bis zum Schluss aufgehoben.“
Jamie war beeindruckt, aber er wurde nicht schlau aus der Tatsache, dass das Haus früher Stephen gehört hatte. Was ist hier passiert?
Guy ging zurück ins Schlafzimmer und Jamie folgte ihm. Als er die Türen geschlossen hatte, lächelte er. „Und jetzt zu dem Kaffee, den ich dir versprochen habe.“
Als Jamie hinter ihm über die Treppe stieg, ging er in Gedanken noch einmal die Geschichte durch, die Guy ihm im Coffeeshop erzählt hatte. Offensichtlich steckte da viel mehr dahinter, aber das hatte Guy auch erwähnt.
Als sie in die Küche kamen, deutete Guy auf einen der Stühle an dem runden Tisch. „Setz dich, während ich die Maschine einschalte.“
Jamie folgte der Aufforderung, und beobachtete, wie Guy den Behälter mit Wasser füllte. Er mochte die Atmosphäre in dem Haus. Es fühlte sich ruhig an und in Jamies Augen war das ein wichtiger Faktor. In den letzten Jahren, bevor Dad ausgezogen war, war es so schlimm gewesen, dass er es gehasst hatte, nach Hause zu gehen. Er hatte es so oft wie möglich vermieden, bis seine Mom ein paar sehr spitze Bemerkungen gemacht hatte. Als Dad eine Wohnung gefunden hatte, hatte Jamie gehofft, dass die Lage sich bessern würde, aber nein. Es schien, als würde Mom nun dahinterkommen, wie schwierig das Leben ohne seinen Vater war. Jamie wusste, dass die vergiftete Atmosphäre seinen Eltern zugesetzt hatte. Er bedauerte Sara, seine kleine Schwester, die erst vierzehn war und in der Situation eine Weile länger feststeckte. Jamie verglich die Spannung zu Hause mit der Schwingung in Guys Haus. Er fühlte sich entspannt, vielleicht zum ersten Mal seit Wochen.
Jamie verließ sich immer auf sein Bauchgefühl.
„Ja“, sagte er entschieden.
Guy drehte sich um und runzelte die Stirn. „Ja? Hatte ich dir eine Frage ….“ Er blieb mit offenem Mund stehen. „Ja, wie in du wirst meine Hilfe annehmen?“
Jamie lächelte. „Ja.“
Zu seiner Überraschung lächelte Guy nicht. „Warum?“
„Wie bitte?“ Das war nicht die Reaktion, die Jamie erwartet hatte.
„Warum sagst du Ja?“ Guy musterte ihn. „Versteh mich nicht falsch, das Angebot gilt noch. Ich möchte nur sicherstellen, dass du aus den richtigen Gründen dabei bist. Sagst du zum Beispiel Ja, weil du ab Sonntag nicht weißt, wohin du sonst gehen sollst und verzweifelt bist?“ Er drehte sich wieder zur Kaffeemaschine. „Denn ich persönlich denke, dass es zu den schlimmsten Dingen gehört, die man tun kann, eine Entscheidung aus Verzweiflung zu treffen.“
Es gefiel Jamie, dass Guy ihn nicht einfach kopfüber hineinspringen ließ.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Okay, ja, ich bin verzweifelt, aber deshalb habe ich nicht zugestimmt.“ Er machte eine Pause und überlegte, wie er sein Bauchgefühl am besten in Worte fassen konnte. „Ich glaube dir.“
Guy blieb mit der Kaffeekanne in der Hand stehen. „Wirklich?“
Jamie nickte. „Ich glaube dir, wenn du sagst, dass du nur helfen willst.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und außerdem habe ich ein gutes Gefühl, was dich betrifft.“
Guy betrachtete ihn einen Moment länger, ehe er breit grinste. „Es liegt am Whirlpool, nicht wahr?“
Jamie ging freudig darauf ein. „Okay, ja, ertappt. Ich bin ganz wild auf deinen Whirlpool.“
Guy lachte und goss den Kaffee fertig ein. Er brachte die Tassen zum Tisch und setzte sich. „Nun, nachdem ich offenbar einen neuen Mitbewohner gefunden habe, habe ich einen anderen Vorschlag.“
Jamie fuhr sich in gespielter Anspannung über die Stirn.
Guy kicherte. „Ganz locker. Diese ist einfach. Warum bleibst du nicht zum Abendessen, sofern du heute Abend nicht irgendwo sein musst? Wir könnten ein bisschen Zeit zusammen verbringen und uns besser kennenlernen.“
Jamie dachte über den Vorschlag nach. Guy hatte gerade eine enorme Last von seinen Schultern genommen. Und der Gedanke an ein Abendessen war sehr entspannend. „Ich denke, das ist eine tolle Idee.“
Guy runzelte die Stirn. „Ich würde mich nicht so schnell entspannen. Du weißt noch nicht, was auf dem Speiseplan steht.“
Jamie lachte. „Das ist etwas, was du über mich wissen musst. Meine Mom nennt mich einen menschlichen Müllschlucker. Sie sagt, ich esse alles.“
Guy zog die Augenbrauen hoch. „Na das nenne ich eine Herausforderung.“
Jamie fühlte sich immer besser mit seiner Entscheidung.
Es wird alles okay sein, ich fühle es.
GUY WAR in der Küche und zerkleinerte Gemüse, um es auf dem Herd zu rösten. Jamie nahm das zum Anlass, sich die vielen Fotos anzusehen, die er zuvor entdeckt hatte. Da waren Fotos von Guy mit zwei kleinen Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Aber sie waren offensichtlich vor einiger Zeit aufgenommen worden. Guy sah darauf kaum älter aus als Jamie jetzt. Als er Fotos mit Guy und einem älteren Mann bemerkte, wusste er, dass er Stephen sah. Er betrachtete das Bild mit Interesse. Stephen war ein attraktiver Mann mit silbergrauem Haar und einem freundlichen Gesicht. Er saß in einem Lehnstuhl mit Guy zu seinen Füßen und die beiden sahen einander an. Was Jamie dabei faszinierte, war ihr Gesichtsausdruck. Als hätte die Kamera etwas wirklich Persönliches eingefangen. Er fühlte sich fast wie ein Eindringling in einem privaten Moment.
Was haben die beiden wohl in dem Augenblick gedacht, als sie einander so angesehen haben. Was haben sie gesagt? Jamie wusste, dass das, was sich in ihren Gesichtern widerspiegelte, Liebe war. Etwas, das er zwischen seinen Eltern in einer langen Zeit nicht mehr gesehen hatte.
„Ja, das ist Stephen.“
Jamie zuckte zusammen. Er war so in der kleinen Welt dieser Fotos versunken, dass er nicht wahrgenommen hatte, dass die Küchengeräusche verstummt waren. Guy stand neben ihm und betrachtete das Bild mit offensichtlicher Zuneigung.
„Wie habt ihr euch kennengelernt?“, wollte Jamie wissen.
„Wir waren in einem Buchladen. Ich hatte ein paar Bücher ausgewählt und wollte sie bezahlen, bemerkte aber an der Kasse, dass ich nicht genug Geld hatte.“ Guy lächelte. „Stephen stand hinter mir in der Schlange. Er bot mir an, die Bücher zu bezahlen. Ich weigerte mich, aber er sagte, das wäre seine gute Tat des Tages. Von der konnte ich ihn schlecht abhalten, nicht wahr?“
Jamie musste grinsen. „Klingt, als wäre er ein netter Typ gewesen.“
„Das war er. Ich fand auf den ersten Blick, dass er attraktiv war. Es war offensichtlich, dass er auf sein Äußeres achtete. Als er vorschlug, Kaffee trinken zu gehen, sagte ich Ja.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich wollte mehr Zeit mit ihm verbringen.“ Guy drehte sich um, ging zurück in die Küche und schnippelte weiter.
Jamie folgte ihm, weil er mehr hören wollte. „Wie war er?“ Er setzte sich an den Tisch und lehnte sich vor.
Guy hielt mit dem Messer in der Hand inne. „Mein erster Eindruck war, dass er einsam war. Er hatte keine nennenswerte Familie und war ein eingeschworener Junggeselle. Ich glaube, er mochte die Idee, einen anderen Menschen um sich zu haben.“ Er streifte das Gemüse mit dem Messer in die Pfanne. „Wenn du Eistee magst, da ist eine Flasche im Kühlschrank. Bedien dich und schenk mir ein Glas ein, wenn es dir nichts ausmacht. Die Gläser sind in dem Schrank neben dem Kühlschrank.“
Jamie folgte der Anweisung. „Du sagtest, du warst in einer ähnlichen finanziellen Situation wie ich, als Stephen das Angebot machte, dir zu helfen“, sagte er, als er Tee in zwei Gläser füllte. „Ist es in Ordnung, darüber zu sprechen oder ist es dir zu persönlich?“
Guy hielt gerade eine Flasche Öl über das Gemüse und stoppte in der Bewegung. „Wenn du hier lebst, stehen die Chancen ziemlich gut, dass du Carla treffen wirst, meine Tochter. Also vielleicht ist es an der Zeit, dass ich alles offenlege.“ Er benetzte die Paprika, Auberginen, Zucchini, Pilze und roten Zwiebel und schob sie ins vorgeheizte Rohr. Dann setzte er sich zu Jamie an den Tisch und nahm einen großen Schluck Tee.
„Wo soll ich beginnen?“, fragte er mit einem schwachen Lächeln. „Kennst du die Geschichte von dem Siebzehnjährigen, der in seinem letzten Jahr auf der Highschool eines Nachts auf einer Party wirklich betrunken war und seine beste Freundin gevögelt hat? Und rate, was besagte Freundin ihm ein paar Wochen später anvertraute? Sie war schwanger.“
Jamie schnappte nach Luft. „Aber … du bist schwul.“
Guy seufzte. „Damals war ich dieser nervöse Junge, der gerade entdeckte, dass Jungs wesentlich interessanter waren als Mädchen. Miranda war die Einzige, die wusste, dass ich an meiner Sexualität zweifelte. Wobei das falsch klingt. Mir wurde gerade bewusst, dass ich schwul war.“
„Und obwohl sie das wusste, hatte sie trotzdem Sex mit dir?“ Jamie schüttelte den Kopf. „Mann, das ist einfach … schräg.“
„Vielleicht dachte sie, ich würde es nicht ernst meinen. Vielleicht dachte sie, sie könnte mich ‚umdrehen‘.“ Guy malte Anführungszeichen in die Luft. „Ehrlich, ich bin immer noch überrascht, dass ich das überhaupt hinbekommen habe.“
„Und was war mit Empfängnisverhütung? Pille? Kondome?“
Guy hob die Hände. „Erwischt. Ich war in jener Nacht zu betrunken, um noch klar zu denken. Miranda sagte später, dass sie sicherstellen wollte, dass ich mich ‚rechtzeitig zurückziehen‘ würde. Du bist nicht überrascht, dass ihre Familie katholisch ist, nicht wahr? Wie auch immer, der Beweis, dass ihr Plan gewaltig danebenging, sind zwanzigjährige Zwillinge, die mich nerven.“ Er lächelte. „Carla nicht so sehr. Sie ist ein Schatz. Sie heiratet im Juni. Patrick ist eine ganz andere Sache.“
„Sie sagte also ihren Eltern, sie wäre schwanger und …“
Guy lehnte sich zurück. „Sie bestanden darauf, dass ich es ‚anständig löse‘ und sie heirate. Mein Gott, ich war gerade im Begriff, aufs College zu gehen und sie wollten, dass wir heiraten.“
„Was haben deine Eltern zu all dem gesagt?“
„Nachdem sie den Schock überwunden hatten, war alles, woran sie denken konnten, dass sie nun Großeltern würden. Wenn auch ein wenig früher als erwartet. Da war ich also, gerade achtzehn geworden, auf dem Weg ins College, mit einer Frau und Zwillingen, die unterwegs waren. Miranda blieb bei ihren Eltern und kümmerte sich um die Kids.“ Er runzelte die Stirn. „Nicht unbedingt, was ich einen guten Start ins Leben nennen würde, aber hey, ich konnte niemandem die Schuld geben, außer mir selbst. Und vielleicht dem Tequila.“
„Ich vermute, die Ehe hat nicht sehr lange gehalten?“
Guy schnaubte. „Als ich neunzehn war, hatte ich genug. Jedes Mal, wenn ich nach Hause fuhr, was nach Meinung meiner Frau und ihrer Familie nicht oft genug war, lag Miranda mir wegen irgendwas in den Ohren. Es dauerte nicht lange, bis sich das auf mein Studium auswirkte. Meine Ergebnisse wurden schlechter, ich konnte nicht schlafen und obendrein war ich von ein paar der hübschesten Jungs umgeben, die ich je gesehen hatte. Und ich konnte nicht einen einzigen knackigen Arsch anfassen.“
Jamie verschluckte sich fast an seinem Tee.
Guy machte große Augen. „Scheiße. Es tut mir leid. Ich habe für einen Moment vergessen, mit wem ich spreche. Entschuldige bitte, Jamie. Ich habe mich nur in deiner Gegenwart so wohlgefühlt.“
Jamie winkte ab. „Hey, es ist okay.“ Er räusperte sich. „Du … du warst ihr treu?“
„Das überrascht dich vielleicht, aber so wurde ich erzogen.“
Mist. Jamie hatte das Gefühl, dass er seinen neuen Gastgeber grade beleidigt hatte. „Es tut mir leid“, sagte er rasch. „Ich hatte kein Recht …“
„Schon gut“, unterbrach Guy. „Ehrlich. Ich weiß, dass Treue heutzutage etwas Seltenes geworden ist. Aber ja, ich war ihr treu, bis zu dem Punkt, an dem ich beschloss, dass es nun reichte. Zwischen uns war keine Liebe und würde es auch niemals sein. Ich wusste, dass es nicht halten würde, also entschied ich mich, Miranda aufzusuchen und ihr zu sagen, dass ich mich scheiden lassen wollte. Aber vorher fuhr ich nach Hause, setzte meine Eltern auf die Couch und sagte ihnen, dass ich schwul bin.“
Jamie starrte ihn an. „Warst du nervös?“
Guy kicherte. „Zum Teufel, ja. Ich schätzte sie nicht so ein, dass sie ihren Sohn verstoßen würden, weil sich herausstellte, dass er schwul ist. Aber ja, ich war nervös, wie sie es aufnehmen würden.“ Er nippte an seinem Tee.
„Waren sie geschockt? Überrascht?“ Jamie konnte sich nicht vorstellen, wie seine Eltern reagieren würden, wenn er so eine Bombe platzen ließe. Er seufzte innerlich. Doch, ich kann es mir vorstellen. Sie würden darüber streiten, wer daran schuld ist, dass ich schwul bin. Er schätzte sich glücklich, dass er nicht in der Situation war. Es hatte auf der Highschool ein paar Jungs gegeben, die sich geoutet hatten. Nach allem, was er gehört hatte, waren die Folgen nicht so angenehm gewesen.
„Etwas von beidem, vermute ich“, gab Guy zu. „Als sie den ersten Schock verkraftet hatten, waren sie verständnisvoll. Bis ich ihnen von meinen Plänen erzählte. Das kam nicht so gut an. Ich sagte ihnen, dass sie ihre Enkelkinder nicht verlieren würden. Carla und Patrick würden immer meine Kinder sein und ich hatte die Absicht, ein Teil ihres Lebens zu bleiben. Das beruhigte sie ein wenig. Richtig heftig wurde es erst, als ich zu Mirandas Haus fuhr und ihr und ihren Eltern dasselbe sagte.“
Jamie trank seinen Tee aus. „Wie nahm sie es auf?“
Guy seufzte. „Sagen wir mal, nicht gut.“
„Aber sie hatte doch immer gewusst, dass du schwul bist. Du meine Güte, sie wusste es, als sie Sex mit dir hatte. Wie konnte sie erwarten, dass du in der Ehe bleibst?“ Jamie bemerkte, wie er zornig wurde, und er war sich nicht ganz sicher, warum. Es wirkte auf ihn, als hätte Miranda versucht, Guy in eine Falle zu locken und das machte ihn wütend.
Na so was, ich kenne den Mann kaum und rege mich über seine Ex-Frau auf.