Schüler mit geistiger Behinderung unterrichten - Karin Terfloth - E-Book

Schüler mit geistiger Behinderung unterrichten E-Book

Karin Terfloth

4,8
29,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: UTB GmbH
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Unterrichtsplanung gehört zum Kerngeschäft aller LehrerInnen in Sonder- und Regelschulen. Fundiert und praxisorientiert zeigt dieses Buch, welche Schritte für einen systematisch geplanten und strukturierten Unterricht zu beachten sind und wie eine Didaktik für Lerngruppen mit SchülerInnen mit geistiger Behinderung konkret umgesetzt werden kann. Am Beispiel eines Unterrichtsprojekts werden die wichtigsten didaktischen Schritte dargestellt: Die Auswahl von Inhalten, Zielformulierung, methodische und mediale Vermittlung, Kommunikation im Klassenzimmer sowie die Analyse von Unterrichtsverläufen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 354

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
14
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



UTB 3677

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlag · München

Vandenhoeck & Ruprecht ·

Waxmann · Münster · New York

wbv Publikation · Bielefeld

Karin Terfloth, Prof. Dr. päd., lehrt Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung und Inklusionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Sören Bauersfeld ist abgeordneter Sonderschullehrer für Geistig- und Mehrfachbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Hinweis

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <https://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 3677

ISBN 978-3-8252-5215-1

ISBN 978-3-846-35215-1 (EPUB)

3., aktualisierte Auflage

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Cover unter Verwendung eines Bildes von © philidor – Fotolia.com

Satz: ew print & medien service GmbH

Printed in EU

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort zur ersten Auflage

Von Hans-Jürgen Pitsch

Einleitung

1        Unterricht planen

1.1     Zur Notwendigkeit von Unterrichtsplanung

1.2     Unterrichtsplanung als zielorientierter Prozess

1.2.1  Zielrichtungen des Unterrichts

1.2.2  Unterrichtsplanung kritisch-konstruktiv

1.2.3  Planungsraster

1.2.4  Zeitliche Planungsebenen

2        Spannungsfeld: Bildung und (schwere) geistige Behinderung

2.1     Internationale Sicht auf Behinderung (ICF)

2.2     Spezielle oder allgemeine Didaktik?

2.2.1  Von der ,Anstalt für Schwachsinnige‘ zum ,Förderschwerpunkt geistige Entwicklung‘

2.2.2  KMK-Empfehlungen

2.2.3  Entwicklung der Integrations- / Inklusionspädagogik

2.2.4  Gemeinsamer Untericht und sonderpädagogische Spezifikation

2.2.5  Unterrichtsplanung im gemeinsamen Unterricht

2.3     Bildung und Lernen

2.3.1  Lernen als Tätigkeit

2.3.2  Lebenspraxis und Fächerunterricht

2.3.3  Schulalltag – empirisch beobachtet

2.3.4  Bildung mit ForMat

3        Bildungsinhalte begründen und elementarisieren

3.1     Fachdidaktik

3.2     Begründung und Auswahl des Inhaltes

3.2.1  Bildungsplanbezug

3.2.2  Gegenwarts-, Zukunfts- und exemplarische Bedeutung anhand des Unterrichtsbeispiels

3.3     Fachwissenschaftliche Sachstruktur

3.4     Elementarisierung

3.4.1  Elementarisierungsrichtungen

3.4.2  Was ist elementar und fundamental?

3.5     Fundamentum und Additum im gemeinsamen Unterricht

4        Aneignungsmöglichkeiten und Lernvoraussetzungen einschätzen

4.1     Methoden zur Einschätzung der Lernvoraussetzungen

4.2     Entwicklungsbezogene Lernvoraussetzungen

4.2.1  Kognition und Aneignungsmöglichkeiten

4.2.2  Emotion, Sozialität, Kommunikation, Motorik

4.3     Lebensweltbezogene Lernvoraussetzungen, Lernstrategien

4.4     Erweitertes Verständnis von Lesen und Schreiben

4.5     Präsentationsmöglichkeiten

4.6     Diversität der Lerngruppe im gemeinsamen Unterricht

5        Differenzierte Lernchancen formulieren

5.1     Problemaufriss Lernchancen

5.1.1  Unterrichtsqualität

5.1.2  Orientierung an Lernchancen

5.1.3  Kompetenzorientierung

5.1.4  Lernchancen

5.2     Lernchancen für eine Unterrichtsreihe

5.3     Individualisierte Lernchancen für einzelne Unterrichtsstunden

5.4     Leistungserwartungen

5.4.1  Bezugsnormen und Formen der Leistungsbegleitung und -bewertung

5.4.2  Leistungsbewertung im gemeinsamen Unterricht

6        Methodische Entscheidungen treffen

6.1     Methodische Analysen vornehmen

6.2     Werkstattarbeit als (eine) Unterrichtsform

6.2.1  Eigenaktiv entdeckendes und forschendes Lernen

6.2.2  Gestaltete Lernumgebung

6.2.3  Schülerautonomie und Begleitung durch die Lehrperson

6.2.4  Fächerübergreifende Lernangebote

6.2.5  Wechsel von Sozialformen

6.3     Ablauf des Unterrichtsprojektes Energie

6.3.1  Unterrichtsskizzen zum Energieprojekt

6.3.2  Methodisches Vorgehen

6.3.3  Formen der Ergebnissicherung

6.3.4  Hilfsmittel, Lagerung und Lernmaterialien

6.3.5  Rhythmisierung und Rituale

6.4     Unterrichtsprinzipien anwenden

6.4.1  Lebenspraxis und Lebensnähe

6.4.2  Handlungsorientierung

6.4.3  Differenzierung

6.4.4  Kleine Schritte und / oder Sinnzusammenhang?

6.4.5  Ganzheitlichkeit

6.5     Das Theorem gemeinsamer Lernsituationen

7        Im Unterricht kommunizieren und kooperieren

7.1     Interaktion als Grundlage des Unterrichts

7.1.1  Interaktionssystem Unterricht

7.1.2  Belastungen der Interaktion

7.1.3  Konsequenzen für den Unterricht

7.2     Unterstützte Kommunikation (UK)

7.2.1  Definition, Ziele und Personenkreis

7.2.2  Multimodales Kommunikationssystem

7.2.3  Besonderheiten der Gesprächsführung

7.2.4  UK in der Unterrichtsplanung

7.3     Zusammenarbeit im Team

8        Unterricht analysieren und bewerten

8.1     Formen der Unterrichtsanalyse

8.2     Planung der Unterrichtsanalyse und -bewertung

8.3     Analyse- und Bewertungskriterien

Literatur

Sachwortregister

Vorwort zur ersten Auflage

Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung ist zunächst einmal Unterricht wie jeder andere auch: Die Unterrichtenden müssen spezifisch ausgebildet sein, der Unterricht muss geplant, strukturiert durchgeführt und an Kriterien orientiert ausgewertet werden. Unterrichtende an allgemeinen Schulen finden hierzu vielfältige Grundlagenliteratur und Unterrichtsmaterialien in Buchhandel und Internet. Für Unterrichtende in Klassen mit Schülerinnen und Schülern mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung sind dagegen einschlägige Hilfen rar und sie orientieren sich häufig an Vorgaben aus Therapie oder Pflege. Solche Orientierung kann dazu führen, dass der Unterricht mit dieser Schülergruppe seinen eigentlichen schulischen Auftrag der Bildung verfehlt.

Diese spürbar deutliche Lücke füllen Karin Terfloth und Sören Bauersfeld, indem sie Leitlinien auf der Basis elaborierter Theorie anbieten und, damit diese verständlich wird, mit praktischen Beispielen erläutern. Bildung auch auf hohem Anspruchsniveau an Schülerinnen und Schüler mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung in sorgfältig geplantem und strukturiertem Unterricht zu vermitteln ist ihr Anliegen.

Bildung und Unterricht bauen auf einem eng und möglichst widerspruchsfrei verwobenen Netz von Grundannahmen und Überzeugungen, von Theorien, auf. Als theoretische Basis dienen Wolfgang Klafkis Bildungstheorie und seine Kritische Didaktik, Georg Feusers Entwicklungslogische Didaktik und eine konstruktivistische Auffassung vom Menschen, die diesem möglichst umfassende Selbstständigkeit und seine Würde lässt. Gerade darauf ist die von beiden Autoren gemeinte Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung angewiesen: ihre Würde gewahrt zu wissen und so weit wie möglich selbstständig sein zu dürfen.

Die Schwierigkeiten der Unterrichtsplanung beginnen mit der Auswahl der Bildungsinhalte. Auswahl erfordert Kriterien zur Orientierung, die für die Schulpädagogik mit Schülerinnen und Schülern mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung kaum zur Verfügung stehen. Besonders die Organisation des Unterrichts mit diesem Schülerkreis verlangt von Lehrkräften Kreativität bei gleichzeitiger Sorgfalt, auf die bislang Studium und Referendariat nur rudimentär vorbereiten. Höchste Anforderungen stellen die Auswahl der Bildungsinhalte wie deren methodische und mediale Vermittlung. Kategoriale Analyse, Sicherung der materialen wie formalen Unterrichtsinhalte wie deren Passung an ungewohnte und untypische Lernbedingungen werden in einem (abstrakten) Theorierahmen erörtert und am (praktischen) Beispiel einer Unterrichtsplanung konkretisiert. Kern dieser „Zubereitung“ der Unterrichtsinhalte ist deren Elementarisierung, die es ermöglicht, diese zur Aneignung auch auf elementarem Niveau anzubieten und dennoch deren essenziellen Kern zu erhalten. Insoweit leisten die beiden Autoren ein Stück von dem, was immer wieder beschworen und selten verstandenen wird: den Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten. Mögen viele Gewinn davon haben und manche sich beim Entwurf eigener Veröffentlichungen ein Beispiel nehmen.

Wadgassen-Differten, Februar 2012 Hans-Jürgen Pitsch

Einleitung

Seit den 1990er-Jahren – nicht zuletzt angeregt durch die Diskussion um Integration und Inklusion – sind vermehrt Werke zur Didaktik und Bildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung publiziert worden. Darin werden die Aspekte Bildung und Lernen für Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen sowie schweren und mehrfachen Behinderung aus verschiedenen Perspektiven für den schulischen Kontext thematisiert (z. B. Fischer 2008, Fornefeld 2008, Fröhlich et al. 2011, Günthner 2013, Klauß / Lamers 2003, Lamers / Klauß 2003, Musenberg / Riegert 2010, Pitsch 2002a, Ratz 2011, Stöppler / Wachsmuth 2010, Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung 2018, Wagner 1995). Warum dann noch dieses Buch? Worin unterscheidet sich dieses Buch von bisherigen Veröffentlichungen?

Zielsetzung

Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf dem Bereich der konkreten Unterrichtsplanung. Einzelne Schritte hin zur sinnvollen und zielgerichteten Planung, Durchführung sowie Reflexion und Evaluation von Unterricht für Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung an verschiedenen Lern- und Förderorten werden theoretisch diskutiert und praxisbezogen beschrieben. Neben der Thematisierung grundsätzlicher Begriffe und theoretischer Zusammenhänge der Didaktik bietet das Buch konkrete Vorschläge zum unmittelbaren didaktischen Handeln an.

Didaktik

Die Didaktik als wissenschaftliche Disziplin wird mit der Intention in Verbindung gebracht, Techniken zur Gestaltung von Unterricht vermitteln zu können (Werner 2011, 44). Die Vorstellungen darüber, anhand welcher zentralen Fragen der Didaktik wie z. B. „Fragen von Lehren und Lernen, mit Zielen, Inhalten, Methoden und Ablauf von Unterricht sowie der Gestaltung von Lehrplänen“ (Tulodziecki et al. 2004, 199) eine Auseinandersetzung in der Ausbildung von Lehrpersonen notwendig und zielführend ist, gestalten sich vielfältig. Werner spricht von aktuell ca. 30 Modellen und Theorien des didaktischen Handelns (2011, 45). Nach Tulodziecki et al. lässt sich folgende Unterteilung verschiedener Ansätze vornehmen, die in Tabelle 1 stichwortartig aufgezeigt werden (2004, Kap. 10).

Jede dieser didaktischen Richtungen steht im Begründungszusammenhang einer spezifischen wissenschaftlichen Sichtweise von norm- und werteorientierten Vorstellungen und daraus abgeleiteten Kriterien (wie z. B. Auswahl der Inhalte, Verständnis von Lernen, Entscheidungen für Methoden und Medien). Daher ist in diesem Kontext weniger die Bewertungsfrage nach richtigen oder falschen Ansätzen zu stellen, sondern vielmehr nach deren Leistungsfähigkeit, dynamische Lernprozesse in einer heterogenen Lerngruppe zu beschreiben und Hinweise für deren Gestaltung zu bieten.

Tab. 1: Übersicht didaktischer Ansätze (nach Tulodziecki et al. 2004, Kap. 10)

Didaktik und Methodik

Klafki schlägt vor, Didaktik und Methodik als zwei Teildisziplinen der Schulpädagogik getrennt zu betrachten und den Primat der Didaktik als Ziel- und Inhaltsentscheidung vor die Methodik zu stellen (2007, 88). Wir haben uns in diesem Praxisbuch jedoch für eine Betrachtung entschieden, in der diese miteinander in Bezug gesetzt werden. Es geht in diesem Buch daher nicht nur um die didaktische Frage nach dem Was – den Inhalten und Zielen von Bildung für den genannten Personenkreis –, sondern auch um die methodische Frage nach dem Wie – den Vorgehensweisen zur Planung, Durchführung sowie Reflexion und Evaluation von Unterricht. Zunächst werden die theoretischen Zusammenhänge zur lerngruppenspezifischen Auswahl und Aufbereitung von Bildungsinhalten dargestellt und diskutiert, und darüber hinaus durch ein Praxisbeispiel, das sich von Kapitel 2–8 erstreckt, in der konkreten Anwendung veranschaulicht. Die Frage nach der Qualität des Bildungsangebotes für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zieht sich daher als roter Faden durch das Buch.

Referenz

Die Ausführungen lehnen sich vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, an zwei didaktische Strömungen an, die aus der Schulpädagogik und der materialistischen Behindertenpädagogik stammen:

●  Bildungstheoretische bzw. kritisch-konstruktive Didaktik in der Prägung Wolfgang Klafkis → Kap. 1.2.2

●  Entwicklungslogische Didaktik nach Georg Feuser auf der Basis der Tätigkeitstheorie der Kulturhistorischen Schule → Kap. 3.5

Die damit verbundene didaktische Ausrichtung der Handlungs- und Entwicklungsorientierung wird dadurch im Folgenden zur zentralen Maßgabe der Gestaltung von unterrichtlichen Lernprozessen. Die Fokussierung auf die beiden genannten Perspektiven führt dazu, dass auf die Darstellung der Entwicklung und der Diskussion der klassischen Bildungstheorie verzichtet wird.

allgemeine Didaktik

Angesichts des Titels wird in Kapitel 2.2 die Frage diskutiert, ob es eine spezielle Didaktik für den Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gibt oder geben sollte. Zeigen sich im Kontext einer geistigen Behinderung Unterschiede in der Auswahl von Bildungsinhalten oder der Bearbeitung von Planungsschritten von Unterricht? Unserer Auffassung nach sind die Inhalte und Schritte der Unterrichtsplanung in beiden genannten Kontexten die gleichen. Der Anspruch an die Betrachtung der individuellen Lernvoraussetzungen und der Differenzierung im Hinblick auf die Lerngruppe wird jedoch fokussiert und gilt als unerlässlich.

Ziel des Buches ist es, Antworten auf diese Fragen anzubieten und Grundannahmen, Vorgehensweisen und Begründungen zur Unterrichtsplanung im Zusammenhang des Förderschwerpunktes geistige Entwicklung aufzuzeigen. Hierzu werden zunächst die Entwicklungslinien der Bildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung skizziert sowie zentrale Aspekte zu Bildungs- und Lernprozessen im Kontext geistiger Behinderung thematisiert.

Planungskompetenz

Es ist nicht eine Frage der Behinderung, ob anspruchsvolle und kulturell bedeutsame Bildungsinhalte Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf in der geistigen Entwicklung angeboten werden können. Dieses Buch trägt dazu bei, diesen Anspruch durch ein praxisnahes Beispiel eines handlungsorientierten naturwissenschaftlichen Unterrichts zu konkretisieren. Dem Anspruch folgend, eine Brücke zwischen Theorie und konkreter Umsetzung zu bauen, ist es unser Anliegen, im vorliegenden Entwurf die notwendigen Schritte des Entscheidungshandelns einer Lehrperson in der Unterrichtsplanung sowohl in der theoretischen Fundierung und Begründung als auch in der konkreten praktischen Ableitung und Umsetzung sowie in der Reflexion und Evaluation aufzuzeigen.

Inhalte, Bedingungsfaktoren und Planungsschritte von Unterricht kritisch hinterfragen zu können, inwiefern diese die individuelle Aneignung der Schülerinnen und Schüler – je nach ihren Voraussetzungen und Erfahrungen, die sie für den Lernprozess mitbringen – unterstützen, stellt eine zentrale Kompetenzerwartung an Lehrpersonen dar. Hilfestellungen zur Anbahnung oder Erweiterung dieser Planungskompetenz sind Gegenstand dieses Buches.

Zielgruppe

Dieses Praxishandbuch richtet sich an Studierende, Praktikantinnen und Praktikanten, Referendarinnen und Referendare sowie Lehrpersonen der Lehrämter für allgemeinbildende Schulen und Sonderschulen, die Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf in der geistigen Entwicklung an verschiedenen Lernorten beim Lernen begleiten. Sie stehen vor der Aufgabe, gehaltvollen und differenzierten Unterricht in einer heterogenen Lerngruppe zu gestalten.

Eine systematische Planung stellt gerade für Lehreinsteigerinnen und Lehreinsteiger eine notwendige Grundlage für den dialektischen Umgang mit der Erörterung des Bildungsinhaltes auf der einen und mit der Komplexität der Lernvoraussetzungen der Schülergruppe auf der anderen Seite dar. Es werden in diesem Buch Ideen der Gestaltung von Unterricht aufgezeigt, die sich nicht nur auf Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung beziehen, sondern auch im Kontext des gemeinsamen Unterrichts von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Förderbedarf gelten können und sollen.

Arbeiten mit dem Buch

Praxisbeispiel

Im Buch wird der Prozess einer Unterrichtsplanung anhand eines Unterrichtsbeispiels beschrieben. Diese Beschreibung beinhaltet die Themenauswahl und -eingrenzung mit den jeweils dazugehörenden Begründungen sowie die konkreten Schülerbeschreibungen inklusive der Lernvoraussetzungen und Aneignungsmöglichkeiten und die daraus resultierenden Lernchancen. Daran anschließend erfolgt eine Darstellung der methodischen Umsetzung und Planung einer Unterrichtsreihe.

Textpassagen, die aus der Unterrichtsplanung unseres Beispiels stammen, werden besonders hervorgehoben.

     

Einleitung des Unterrichtsprojektes

Es handelt sich bei dieser Unterrichtsplanung um ein fächerübergreifendes Projekt: Das naturwissenschaftliche Thema „Energie“ wird mit Lernaspekten des Schriftspracherwerbs im Sinne des erweiterten Verständnisses von Lesen und Schreiben verknüpft und im Sinne der kategorialen (materialen / formalen) Bildung nach Klafki bearbeitet.

Der sachunterrichtliche thematische Schwerpunkt wird eingegrenzt auf das Erleben von Bewegungsenergie und elektrischer Energie sowie das Erarbeiten von Kenntnissen über diese beiden Energieformen und deren mögliche wechselseitige Umwandlung.

Für den Schriftspracherwerb werden zwei Schwerpunkte mit Blick auf die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ausgewählt: zum einen das Verständnis von Zeichen und Symbolen und zum anderen das sinnentnehmende Lesen von Wörtern, Sätzen und Texten.

Die Planung zeichnet sich durch die gezielte Berücksichtigung vielfältiger Situationen aus, in denen Informationen zur Energiethematik durch das Deuten bzw. Erlesen von Situationen, Bild- oder Schriftzeichen gewonnen werden. In Bezug auf den Schriftspracherwerb geht es darum, das Sachunterrichtsthema als sinnvollen situationsbezogenen Leseanlass im Sinne des Spracherfahrungsansatzes didaktisch zu nutzen (vgl. Brügelmann 1989/2008). In diesem Kontext sei darauf verwiesen, dass es auch möglich gewesen wäre, mathematische Aspekte (zusätzlich oder anstatt des Schriftspracherwerbs) mit der Energiethematik zu verbinden oder es nur bei der naturwissenschaftlichen Thematik zu belassen.

Die reale Lerngruppe, für die das Unterrichtsbeispiel geplant und mit der es auch durchgeführt wurde, umfasst sechs Schülerinnen und Schüler einer 6. Klasse im Alter von 11 bis 14 Jahren einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Es handelt sich um eine heterogene Gruppe mit Schülerinnen und Schülern mit schwerer und mehrfacher Behinderung.

     

gemeinsamer Unterricht

Im Rahmen unseres Energieprojektes kommen vielfältige Individualisierungs- und Differenzierungsmaßnahmen zum Einsatz, um mit einer heterogenen Lerngruppe einen gemeinsamen Lerngegenstand zu erarbeiten. Sowohl die Formulierung grundlegender gemeinsamer Bildungsziele für die gesamte Klasse und individualisierte Lernchancen für einzelne Schülerinnen und Schüler als auch kooperative, gemeinsame Lernsituationen und Einzelförderung stellen eine gute Basis für den didaktischen Umgang mit Heterogenität dar. Wir stellen uns in den einzelnen Kapiteln immer wieder die Frage, inwiefern im Unterricht Benachteiligung aufgrund unterschiedlicher Heterogenitätsaspekte vermieden werden kann, z. B.

●  sozio-ökonomische Heterogenität,

●  behinderungsbedingte Heterogenität,

●  migrationsbedingte Heterogenität,

●  geschlechterbedingte Heterogenität (Sturm 2016, → Kap. 4).

Auch wenn wir innerhalb dieses Buches den Diversity-Aspekt der Behinderung in den Fokus stellen, sind die anderen Aspekte für die Realisierung von Inklusionschancen im Unterricht ebenfalls bedeutsam.

Das Unterrichtsbeispiel zeigt mit Hilfe von bekannten Methoden und der Berücksichtigung unterschiedlicher Aneignungsmöglichkeiten eine Vorgehensweise, wie ein kulturell bedeutsamer Bildungsinhalt aufbereitet werden kann. Es erhebt jedoch nicht den Anspruch, dass Unterricht nur so funktionieren kann. Vielmehr soll das Beispiel Mut machen, Schülerinnen und Schülern mit geistiger sowie schwerer und mehrfacher Behinderung vielfältige Lernwege zu spannenden und gehaltvollen Themen zu eröffnen, die nicht nur ihren Alltag betreffen, sondern auch ihr Verstehen erweitern und ihre Teilhabe an unserer Kultur ermöglichen.

1   Unterricht planen

Unterricht stellt eine intentionale, geplante Aktivität dar. Die Planung von Unterricht ist Voraussetzung sowohl für die Strukturierung, aber auch für die Legitimation des Lehrerhandelns und ist somit eine zentrale Kompetenz innerhalb des Professionalisierungsprozesses.

Für manche Anfängerinnen und Anfänger im Lehrberuf erscheint es dennoch als lästige Pflicht, in der Ausbildung eine ausführliche schriftliche Unterrichtsplanung zu verfassen. Der Sinn dieser Übung wird häufig darin gesehen, die Ansprüche der Mentorinnen und Mentoren sowie der Prüferinnen und Prüfer zu erfüllen. Für guten Unterricht wird oftmals eine Skizze bereits als ausreichend erachtet, wenn es denn überhaupt eine schriftliche Planung sein muss. Wird innerhalb der ersten oder zweiten Phase der Ausbildung von Lehrpersonen dann doch eine solche Leistung verlangt, werden die einzelnen Planungsschritte nicht selten isoliert voneinander bearbeitet oder teilweise aus vorgefertigten und käuflich erwerbbaren Materialsammlungen übertragen.

Hilfestellungen

Dieses Buch bietet theoretische und praktische Hilfestellungen an, Unterrichtsplanung schülerbezogen und pragmatisch durchzuführen. Wird Unterricht im Vorfeld geplant, stellen sich die Fragen, mit welcher Begründung (→ Kap. 1.1), in welcher Form (→ Kap. 1.2) und in welchem Umfang (→ Kap. 1.2.4) dies geschieht. Inwiefern diese Form der Unterrichtsplanung auch im gemeinsamen Unterricht verfolgt werden kann, wird in Kap. 2.2.5 diskutiert.

1.1   Zur Notwendigkeit von Unterrichtsplanung

Um Bedenken vorwegzunehmen: Wir gehen nicht davon aus, dass eine Unterrichtplanung Punkt für Punkt wortgetreu umgesetzt werden kann. Es gibt zahlreiche Gründe, warum sich Unterricht abweichend von der vorangegangenen Planung entwickelt, beispielsweise durch die Abhängigkeit von der Tagesform und der aktuellen Befindlichkeit aller Beteiligten, durch bisher nicht bekanntes Vorwissen bei den Schülerinnen und Schülern, durch Störungen von außen etc.

Allerdings sollte Unterricht kein willkürliches Produkt von Zufällen und individuellen Interessen der Lehrpersonen sein, sondern vielmehr durch die Berücksichtigung von didaktisch-methodischen Qualitätsaspekten legitimiert werden. Zwar kann der Planungsprozess im Vorfeld den Verlauf der eigendynamischen Entwicklung einer Unterrichtsinteraktion nicht abbilden. Dennoch können Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auf die Bedürfnisse der Beteiligten abgestimmt sind und somit den Lernzugang und die Kommunikation miteinander erleichtern. „Durch Nachdenken über Unterricht wird der Umgang mit Unterricht eingeübt“ (Scheunpflug 2001, 84). Unterrichtsplanung garantiert keine stabile Unterrichtssituation und einen entsprechenden Unterrichtserfolg, aber sie macht diese wahrscheinlicher (2001, 124 f).

Unterrichtsplanung

Was meint der Begriff Unterrichtsplanung? Als Arbeitsdefinition schlagen wir in Orientierung an Sandfuchs vor, unter dem Begriff der Unterrichtsplanung alle Maßnahmen und Entscheidungen im Vorfeld der Unterrichtsdurchführung zu verstehen, die zur Optimierung des Lernens und Lehrens im Unterricht beitragen (2006, 684). Unterrichtsplanung ist demnach ein wesentlicher Teil der professionellen Kompetenz von Lehrpersonen, da Unterricht nach Lamers einen bewussten Prozess darstellt, der auf eine strukturierte und anspruchsvolle Wissens- und Fähigkeitsaneignung auf dem je individuellen Lernniveau abzielt (2003, 204).

Planungsschritte

In der genannten Definition wird deutlich, dass eine sinnvolle Unterrichtsplanung daher immer konkret vor dem Hintergrund der Kenntnisse über die Lernenden erfolgt, die mit dem Bildungsinhalt in Bezug gesetzt werden. Eine systematische Vorbereitung stellt gerade für Lehreinsteigerinnen und Lehreinsteiger eine notwendige Grundlage für den dialektischen Umgang mit der Erörterung des Bildungsinhaltes auf der einen und der Komplexität der Lernvoraussetzungen der Schülergruppe auf der anderen Seite dar.

methodische Schritte bewusst entscheiden

Zudem wird durch dieses organisierte Vorgehen die in der Praxis vielerorts bekannte Tendenz in Frage gestellt, den Unterricht ausgehend von einer Methode oder einem neu erworbenen Lernmaterial zu planen. Vielmehr wird die intensive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff im Hinblick auf die gegenwärtige und zukünftige Lebensbedeutsamkeit der Schülerinnen und Schüler eingefordert. Methodische Schritte sind nicht beliebig zu entscheiden, sondern auf der Basis der individuellen Lernchancen auszuwählen und zu planen.

Mitverantwortung

Eine solide Planung stellt nicht nur den Ausgangspunkt für strukturiertes Lehrerhandeln dar, sondern sorgt auch für Transparenz unter den beteiligten Kolleginnen und Kollegen sowie für die Schülerinnen und Schüler. Das Wissen, was in der angekündigten Unterrichtssituation passieren wird, hilft allen Beteiligten, sich darauf einzustellen und aktiv darauf einzulassen. Neben den genannten Vorteilen von reflektierter Unterrichtsplanung durch die Lehrperson gilt es auch, die Mitbestimmung der Lernenden bei der Gestaltung des Lernprozesses zu berücksichtigen. Dies bedarf der Offenheit der Lehrperson, des gemeinsamen Aushandelns und der Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, Lernprozesse zu planen. Bei Letzterer geht es um die Selbstbefähigung, Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Im Unterricht sollte es Phasen geben, diese Kompetenz zu üben und zu erweitern. Dialogische Planungsprozesse können mit kleinen Entscheidungen über Arbeitszeiten, Orte, Inhalte etc. beginnen und bei zunehmender Kompetenz auch die Planung von Unterrichtsprojekten einbeziehen. Also: Planung ja. Aber wie?

1.2   Unterrichtsplanung als zielorientierter Prozess

In der didaktischen Literatur ist eine Vielzahl von Diskussionen zur Gestaltung von Unterrichtsplanungsprozessen zu finden, in denen auf unterschiedliche erkenntnis- und lerntheoretische sowie didaktische Bezüge referiert wird. Das Vorgehen der Unterrichtsplanung, das im Folgenden skizziert wird, orientiert sich am Planungsraster von Klafki im Sinne seiner kritisch-konstruktiven Didaktik, die auf bildungstheoretischen Überlegungen fußt. Charakteristisch für diesen didaktischen Ansatz ist einerseits die Zielperspektive, die Schülerinnen und Schüler durch Hilfestellungen in ihrem Lernprozess „ … zu wachsender Selbstbestimmung-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit in allen Lebensdimensionen“ (2007, 90) zu befähigen. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf den Schülerinnen und Schülern, sondern dieses Ziel schließt auch den kritischen Blick auf das Handeln der Lehrpersonen mit ein, inwiefern dies Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bietet. Andererseits impliziert die konstruktive Didaktik die Veränderung der Schulwirklichkeit durch didaktische Modellentwürfe und ermöglicht Lehrpersonen eine größere Reichweite ihres pädagogischen Handelns.

In Klafkis didaktischem Ansatz besteht ein enger Bezug zwischen theoretischen Überlegungen und praktischem Handeln. Ebenso sollten Bezüge zwischen der didaktischen Theorie und deren praktischer Umsetzung sowie den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Konsequenzen didaktischer Überlegungen und Vorgehensweisen erarbeitet werden. Didaktik gilt als Möglichkeit zur Unterstützung im Demokratisierungs- und Veränderungsprozess der Gesellschaft (2007, 89 ff).

1.2.1   Zielrichtungen des Unterrichts

Partizipationsziele

Zentral für theoretische Aussagen zur Unterrichtsplanung ist nach Klafki in erster Linie die Beschreibung der zentralen Ziele, die im Unterricht eröffnet werden sollen, um die genannten und gewünschten gesellschaftlichen Auswirkungen zu begünstigen (2007, 256). Unserer Meinung nach sind für den Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung grundlegende partizipatorische Ziele zentral, die in Tabelle 2 aufgeführt werden.

Tab. 2: Zielrichtungen von Unterricht

Da sich jeglicher Unterricht über Interaktionsprozesse realisiert, liegt in der Teilhabe an der Unterrichtsinteraktion die Grundlage für die Realisierung der weiteren genannten Zielperspektiven. Eine differenzierte Darstellung dazu findet sich in Kapitel 7.1. Wenn Unterricht die in der Tabelle genannten Zielperspektiven einlösen soll, dann müssen diese bereits bei der Planung mitgedacht werden.

1.2.2   Unterrichtsplanung kritisch-konstruktiv

kritisch-konstruktive Didaktik

Das Konzept der kritisch-konstruktiven Unterrichtsplanung nach Klafki basiert auf sieben Problemfeldern bzw. Fragedimensionen, die in Abbildung 1 beziffert sind (2007, 272).

Abb. 1: Didaktische Analyse nach Wolfgang Klafki (2007, 272)

In Bezug auf die Eingrenzung des Themas und dessen Begründung werden zunächst die ausgewählten Themen und die sie konstituierenden allgemeinen Ziele geprüft. Die Gegenwarts-, Zukunfts- und exemplarische Bedeutung stehen hier in keiner vorgegebenen Reihenfolge, sondern in wechselseitiger Abhängigkeit. In der Gegenwarts- (1) und der vermuteten Zukunftsbedeutung (2) wird eruiert, inwiefern die Thematik Relevanz in der gegenwärtigen Lebensphase der Schülerinnen und Schüler hat, Verstehens-, Urteils- und Handlungsmöglichkeiten an die Hand gibt und zugleich Entwicklungsmöglichkeiten bezüglich ihrer Zukunft bietet. Die exemplarische Bedeutung (3) zeigt in Form von allgemeinen Zielen der übergreifenden Unterrichtseinheit allgemeine Zusammenhänge auf.

Innerhalb der thematischen Strukturierung (4) wird das Thema in seinen Bausteinen und bezogen auf mögliche Teillernziele betrachtet und es werden Möglichkeiten der Erweis- und Überprüfbarkeit (5) eruiert.

Die Zugangs- und Darstellungsmöglichkeiten (6) beziehen sich auf die gesamte Thematik oder auf einzelne Teile von ihr. Unter Bezugnahme auf die Bedingungsanalyse können unterschiedliche Zugangsoder Darstellungsmöglichkeiten notwendig sein. Die Möglichkeiten, einen Lerngegenstand zugänglich machen zu können, sind nicht zu vernachlässigende Aspekte bei der Auswahl des konkreten Themas.

Bei der methodischen Strukturierung werden konkrete Lehr-Lern-Prozesse (7) und mögliche Interaktionsformen fokussiert.

Fragen nach Klafki

Klafki formuliert zu den einzelnen Schritten konkrete Fragen:

●  Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt (Erfahrung / Fertigkeit) bereits im Leben der Kinder bzw. sollte er darin haben?

●  Worin liegt die Bedeutung des Inhalts für die Zukunft der Kinder?

●  Welchen allgemeinen Sinn- oder Sachzusammenhang vertritt oder erschließt dieser Inhalt? Ist dieser kulturell bedeutsam? Welches Phänomen lässt sich exemplarisch erfassen?

●  Wie ist die Struktur des Inhaltes?

–  Was sind die einzelnen Inhaltsaspekte?

–  Wie ist der Sinnzusammenhang der Einzelaspekte?

–  Was sind die verschiedenen Sinn- und Bedeutungsschichten?

–  Was muss sachlich vorausgegangen sein?

–  Welche Eigentümlichkeiten des Inhaltes werden den Kindern den Zugang zur Sache vermutlich schwer machen?

–  Was ist das ,Mindestwissen‘ (die inhaltliche Grundsubstanz)?

–  Was ist das lebendige Wissen (das aktive Wissen, das angewendet wird)?

●  Welches sind die besonderen Fälle, Phänomene, Situationen, Versuche, in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhaltes interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, anschaulich werden kann? (2007, 271–284)

Dieses differenzierte Planungsvorgehen ist unserer Ansicht nach geeignet, die oben skizzierten Zielperspektiven von Unterricht zu unterstützen. Im Kontext heterogener Lerngruppen ist jedoch kritisch zu sehen, dass die Lernvoraussetzungen kaum individualisiert im Hinblick auf alle Entwicklungsbereiche berücksichtigt werden. Zudem erscheint uns eine Verknüpfung von didaktischen und methodischen Entscheidungen sinnvoll. Letztere werden in der Darstellung Klafkis nicht ausdifferenziert.

1.2.3   Planungsraster

Im Folgenden schlagen wir daher ein Planungsraster vor, das verschiedene Entscheidungsfragen im Rahmen der Unterrichtsplanung zusammenfasst und so als Orientierungsgrundlage dienen kann. Dieses Raster bildet den roten Faden durch die Themen und Kapitel dieses Buches. Die Arbeit für die Lehrperson, sich diese Fragen immer wieder in der Unterrichtsplanung mit Blick auf den konkreten Bildungsinhalt und die Lerngruppe zu stellen und sich den jeweils notwendigen Informationshintergrund zu erarbeiten, kann dadurch allerdings nicht ersetzt werden. Es handelt sich hier – ähnlich wie es Klafki für seinen Planungsentwurf formuliert hat – um ein Problematisierungsraster (2007, 266), das generelle Kriterien der Unterrichtsplanung benennt, jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation immer wieder neu bearbeitet werden muss.

Problematisierungsraster

In die Darstellungsform des folgenden Planungsschemas werden die Grundannahmen bzw. die benannten sieben Fragedimensionen Klafkis übernommen. Einige Aspekte der didaktischen Analyse nach Klafki werden bereits in der Auseinandersetzung mit dem Inhalt und den Lernvoraussetzungen deutlich. Die Fragen Klafkis nach der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung werden im Rahmen unserer Planung an zwei Stellen thematisiert, sowohl zur begründeten Eingrenzung der Lerninhalte als auch zur Spezifikation der Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler. Ziel unseres Rasters ist es, Bausteine vorzustellen, die in einer Unterrichtsplanung notwendig sind. Die Abfolge in der Bearbeitung oder Darstellung dieser Bausteine kann variieren. Für die schriftliche Unterrichtsplanung sind unterschiedliche Schrittfolgen denkbar.

Ausgangspunkt unseres Planungsvorgehens stellt die Wechselwirkung zwischen der Auswahl und Eingrenzung des Bildungsinhaltes mit dem Wissen um die Lernerfahrungen und Lernmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler dar. Zwar findet die Bedingungsanalyse auch bei Klafki Berücksichtigung. Sie steht jedoch dort im Bezug zur gesamten Lerngruppe. Bezüglich der Heterogenität der Lerngruppe – im Kontext von Behinderung – halten wir es für unerlässlich, die individuellen Lernvoraussetzungen detailliert zu beobachten und jeweils aktuell den Blick darauf zu richten. Konsequent werden dann daraus individualisierte Lernchancen zum gemeinsamen oder unterschiedlichen Lerngegenstand hergeleitet und formuliert, die in einem begründeten methodischen Vorgehen münden. Abbildung 2 fasst die wesentlichen Elemente einer Unterrichtsplanung zusammen.

Abb. 2: Elemente einer Unterrichtsplanung (Planungsraster)

Theoretische Grundlagen und Ausgangspunkte

Als Ausgangspunkt der Planung und Gestaltung von Unterricht gilt es, die Sichtweise auf Behinderung zu reflektieren, da diese in besonderem Maße die Haltung einer Lehrperson prägt (→ Kap. 2). Die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) zeigt auf, inwiefern in Unterrichtssituationen Barrieren der Aktivität und der Partizipation in den Fokus genommen und abgebaut werden können.

Verschiedene Lernorte

Dem Förderbedarf in der geistigen Entwicklung kann an verschiedenen Lernorten (allgemeine Schule (Einzelintegration, Integrationsklasse, Kooperationsklasse), Sonderschule) entsprochen werden. Die unterrichtlichen Rahmenbedingungen unterscheiden sich jedoch und müssen daher bei der Planung beachtet werden. Sowohl Strömungen der allgemeinen Didaktik als auch spezielles sonderpädagogisches Wissen und Leitlinien der Bildung und Erziehung müssen in die Unterrichtsplanung einfließen.

Die grundlegenden Ziele des Unterrichts werden durch das jeweilige Verständnis der Lehrperson von Bildung und Lernen bestimmt. In der Theorie lassen sich dazu verschiedene Bezugspunkte finden, die jeweils unterschiedliche Vorstellungen für das Vorgehen bei der Planung und Durchführung von Unterricht mit sich bringen. Diese gilt es bewusst auszuwählen und begründet anzuwenden.

Bildungsinhalt

Unterrichtsplanung kann mit der begründeten Auswahl des Inhaltes, der in Bezug zum Bildungsplan bzw. in integrativen / kooperativen Gruppen zu den verschiedenen Curricula stehen sollte und in einem bestimmten Unterrichtsfach angesiedelt ist (→ Kap. 3), beginnen. Auch die Beachtung einer mittelfristigen Unterrichtsplanung bzw. eines Stoffverteilungsplanes ist hierbei relevant.

Sachinhalt

Über diesen Sachinhalt muss zuerst ein grober thematischer Überblick erarbeitet werden, sodass der Inhalt anschließend sinnvoll eingegrenzt und angeboten werden kann. Bei der Auswahl des Bildungsinhaltes steht der Curriculumsbezug an erster Stelle: Welcher Bildungsinhalt aus dem Curriculum steht im Hinblick auf die Lerngruppe im Mittelpunkt der Stunde? Bei der Auswahl und der Eingrenzung des Themas ist sowohl entscheidend, welches kulturell und anthropologisch bedeutsame Wissen zur Aneignung angeboten wird als auch die Frage, welcher individuelle Kompetenzerwerb damit verbunden werden kann. Ebenso kann ein individueller Förderbedarf, der sich aus der Einschätzung und Beschreibung der Lernvoraussetzungen ergibt, zum Inhalt des Bildungsprozesses werden. Materiale und formale Bildungsinhalte haben gleichermaßen Bedeutung.

Sachanalyse

Es folgt die fachwissenschaftliche Sachanalyse, in der die Kerngedanken und Grundstrukturen des Bildungsinhaltes herausgearbeitet werden. Zudem werden die erarbeiteten inhaltlichen Teilaspekte gewichtet: Gibt es Aspekte, deren Verständnis erst den Zugang zu weiteren Teilaspekten ermöglicht? Auch hier ist die Erarbeitung des Bildungsinhalts nicht ohne Blick auf die Lerngruppe sinnvoll unterrichtsbezogen zu leisten. Die fachwissenschaftliche Sachanalyse dient der Information der Lehrperson, um den Schülerinnen und Schülern den Inhalt fundiert anbieten zu können. Der Inhalt wird in seiner Breite und Tiefe angeschaut, um zu erkennen, welche Teilaspekte für die Schülerinnen und Schüler relevant sind und welche Präsentationsmöglichkeiten (→ Kap. 4.5) diese anbieten. Hierzu wird im Kontext der Elementarisierung der Inhalt auf seine Struktur hin geprüft, die Teilelemente und ihre notwendige Reihenfolge werden erkannt, und dadurch eine Auswahl im Hinblick auf die Schülervoraussetzungen getroffen.

Lernvoraussetzungen

individuelle Erfahrungen

Gleichbedeutend zur Auseinandersetzung mit dem Bildungsinhalt stellt sich die Frage, welche Lernvoraussetzungen (→ Kap. 4) sich nach eingehender Beobachtung der Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Kognition, Emotion, Kommunikation, Sozialität und Motorik zeigen:

●  Welche Bedeutung hat der Bildungsinhalt in der aktuellen und zukünftigen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler (Gegenwarts- und Zukunftsbezug)?

●  Über welche Erfahrungen und Vorkenntnisse im Hinblick auf den Bildungsinhalt verfügen sie (Vergangenheitsbezug)?

●  Welche Arbeitsmethoden und Sozialformen sind ihnen bekannt und für den Einsatz in der gesamten Lerngruppe sinnvoll?

●  Welcher Unterstützungsbedarf liegt aufgrund der individuellen Handlungskompetenz bei ihnen vor (medial und personell)?

●  Inwiefern ergeben sich aus den individuellen Entwicklungsvoraussetzungen Förderaspekte, die für einzelne zum Bildungsinhalt werden sollten?

●  Welche Aneignungsmöglichkeiten nutzen sie vorwiegend?

Lernchancen

individuelle Aneignung

Unter dem Begriff Lernchancen (→ Kap. 5.1.4) versammelt sich die Auswahl einzelner Grundaussagen oder Teilaspekte des Bildungsinhaltes für einzelne Schülerinnen und Schüler vor dem Hintergrund ihrer je individuellen Lernerfahrungen und Aneignungsmöglichkeiten. Der Entscheidungsprozess wer lernt was? stellt eine Schlüsselposition in der Unterrichtsplanung dar. Die Lehrperson steht damit vor der Herausforderung, folgende Fragen zu berücksichtigen:

●  Welche Lernchancen sollen im Rahmen der Unterrichtsreihe der gesamten Lerngruppe eröffnet werden?

●  Welche differenzierten Lernchancen sollen im Rahmen der Unterrichtsstunde den einzelnen Schülerinnen und Schülern eröffnet werden?

Dabei gilt es, bezogen auf einzelne Entwicklungsbereiche, Schwerpunkte zu setzen.

Methodische Entscheidungen

Auswahlkriterien

Die methodischen Entscheidungen (→ Kap. 6 und 7) orientieren sich zum einen an den Vorstellungen der planenden Lehrperson von Lernen und den daraus abgeleiteten Unterrichtsprinzipien wie z. B. Differenzierung, Handlungsorientierung etc. und zum anderen an den zuvor in der Unterrichtsplanung formulierten Lernchancen. Die Lehrperson wählt eine methodische Grundform mit Blick auf den Bildungsinhalt, die methodischen Lernvoraussetzungen und die zeitlichen und personellen Ressourcen aus. Zudem wird der zeitliche Ablauf der einzelnen Unterrichtsphasen organisiert. Sozialformen, der individualisierte Einsatz von Medien und Hilfsmitteln sowie die vorhandenen personellen Ressourcen werden bestimmt. Ebenso sind in diesem Planungsschritt folgende Fragen sinnvoll:

●  Inwiefern können mit Blick auf die Kommunikationsmöglichkeiten der jeweiligen Lerngruppe die bedeutsamen Aspekte der Lehrersprache sowie der Lehrer-Schüler-Interaktion im Vorfeld geplant werden? Welche Hilfsmittel müssen hierzu zur Verfügung stehen und wie und wann werden diese eingesetzt?

●  Welche potenziellen oder geplanten erzieherischen Maßnahmen sind im Umgang mit der Lerngruppe zu beachten (z. B. Umgang mit Regeln und Konflikten, Einsatz von Bestärkung etc.)?

●  Inwiefern können im Vorfeld des Unterrichts Handlungsalternativen für die Lehrperson geplant werden, um einen flexiblen Umgang mit der Planung im Unterricht zu unterstützen? (An welchen Stellen kann ggf. sinnvoll gekürzt werden? An welchen Stellen könnten alternative oder zusätzliche Aufgaben benötigt werden? Etc.)

●  Welche personellen Ressourcen stehen zur Verfügung und wie werden diese genutzt?

Unterricht analysieren und bewerten

Planungskontrolle

Im Sinne einer Planungskontrolle erscheint es sinnvoll, im Anschluss an den Unterricht die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler auf die Lernangebote und den Verlauf der Unterrichtsinteraktion kritisch zu betrachten (→ Kap. 8):

●  Welche Impulse der Lehrperson wurden von den Kindern und Jugendlichen aufgenommen?

●  Inwiefern kann das Lernarrangement besser auf die Lernbedürfnisse und -möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler abgestimmt werden?

Durch die Reflexionen und Rückmeldungen können neue Erkenntnisse für die weitere Unterrichtsplanung gewonnen werden.

Um die beschriebenen Planungsschritte zu verdeutlichen, werden wir diese in den folgenden Kapiteln am Unterrichtsbeispiel Energie anwenden. Die weitere Struktur des Buches orientiert sich quasi an dem Planungsmuster. Auch die oben skizzierten zentralen didaktischen Fragen nach Klafki finden in den einzelnen Kapiteln Berücksichtigung.

Neben dieser vorgestellten Planungsstruktur sind in Anlehnung an Esslinger-Hinz et al. (2013, Kap. 4) Varianten denkbar:

●  Eine Möglichkeit besteht darin, an den Kompetenzangaben aus den Bildungsplänen (besonders denen der Allgemeinen Schulen) anzusetzen und daraufhin den Bildungsinhalt begründet einzugrenzen und auf die Lernvoraussetzungen abzustimmen.

●  Eine weitere Alternative dazu ist, die Planung mit der Analyse der Lernvoraussetzungen (z. B. Pflegebedarf) zu beginnen, darauf aufbauend den Bildungsinhalt auszuwählen (z. B. Hygiene) und die Kompetenzen bzw. Lernchancen zu beschreiben.

Eine Auswahl zwischen den unterschiedlichen Varianten wird vor dem Hintergrund der Dynamik der Lerngruppe getroffen.

1.2.4   Zeitliche Planungsebenen

Im Hinblick auf den Prozess der Unterrichtsplanung lassen sich verschiedene zeitbezogene Ebenen unterscheiden (Schmoll 2010, 68 f):

●  Perspektivplanung: langfristig und weitreichend angelegte Lernchancen wie z. B. Erwerb von Medienkompetenz,

●  Umrissplanung:Grobplanung einer Unterrichtsreihe, ohne Planungsentscheidungen für einzelne Stunden zu treffen,

●  Prozessplanung: Unterrichtsskizzen, die der Lehrperson als Kontrollplan bezüglich des geplanten Verlaufes der Unterrichtsstunde dienen,

●  Planungskorrektur: Abweichungen und Ergänzungen während des Unterrichtsverlaufes.

Unterrichtsverlaufspläne

In der Schulpraxis wird am ehesten die Prozessplanung in Form von Stundenverlaufsplänen schriftlich verfasst. Es herrscht kaum Einigkeit über die konkrete Ausgestaltung des Rasters. Schmoll hat eine Übersicht verschiedener Versionen zusammengetragen, die in Abbildung 3 dargestellt ist. Jede Zeile gibt dabei einen Vorschlag wieder. Die verschiedenen Varianten können dadurch im Vergleich betrachtet werden (2010, 69).

Abb. 3: Rasterarten von Unterrichtsverlaufsplänen (Schmoll 2010, 69)

Innerhalb des Planungsrasters erscheinen in jedem Fall die zeitliche Zuordnung der einzelnen Handlungsschritte im Unterricht sowie der Hinweis auf die benötigten Medien von Vorteil. Um die Maßnahmen zur Individualisierung und Differenzierung im Rahmen der Unterrichtsplanung im Blick zu behalten, haben wir eine eigene Spalte in das Planungsraster eingefügt. Tabelle 3 zeigt einen Vorschlag für die Gestaltung einer Skizze zum Stundenverlauf.

Tab. 3: Aufbau einer Unterrichtsskizze

2   Spannungsfeld: Bildung und (schwere) geistige Behinderung

Abb. 4:Theoretische Grundlagen und Ausgangspunkte einer Unterrichtsplanung

Georgens / Deinhardt (1861) legten den Grundstein für die professionelle Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung und somit für die Disziplin der Allgemeinen Heilpädagogik. Lindmeier verweist darauf, dass bereits Georgens und Deinhardt davon ausgingen, Bildung sei für Kinder mit kognitiven Beeinträchtigungen nur gemeinsam mit nicht behinderten Kindern sinnvoll. Aufgrund dessen nahmen sie in ihre Wiener Anstalt Levana behinderte und nicht behinderte Kinder auf und waren der Meinung, dass eine „schlechthin abgesonderte Erziehung unzulässig“ sei (Georgens / Deinhardt 1858, 34, zit. nach Lindmeier 2001, 410 f).

„Denn zur Genesung gehört notwendig eine gesunde Umgebung, zur geistigen Genesung eine Sphäre geistiger Gesundheit, und wenn Kinder füreinander überhaupt unentbehrliche Erzieher sind, so gilt dies für idiotische Kinder insbesondere (…): [Idiotische Kinder, C.L.] sind kindliche Erzieher, d. h. des lebensweckenden und überall vermittelnden Einflusses gesunder Kinder bedürftig, ohne diesen zurückgeben zu können, was sie empfangen. Dennoch lässt sich nicht behaupten, dass die gesunden Kinder in dem Verkehre mit den schwachen und idiotischen (…) verlieren; sie gewinnen vielmehr wesentlich in sittlicher und intelectueller Beziehung dadurch, dass sich besondere Verhältnisse des Schutzes und der Fürsorge bilden, und alle die Schwäche schonen und unterstützen lernen. In den gemeinsamen Spielen (…) tritt besonders frappierend hervor, wie sich die Schwachen durch die Theilnahme an einer Bewegung oder Handlung, die sie als zusammenhängende und bedeutende empfinden, ohne noch das Verständnis derselben zu haben, gehoben fühlen, und wie die gesunden Kinder ganz von selbst gewöhnt und befähigt werden, den Schwachen fast unmerklich und ohne Beeinträchtigung der eigenen Spiellust nachzuhelfen […]“ (Georgens / Deinhardt 1858, 36, zit. nach Lindmeier 2001, 410 f).

Spezialisierung

Auch wenn die aktuellen sozialen Auswirkungen des gemeinsamen Unterrichts von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung differenzierter betrachtet werden, zeigt das Zitat jedoch, dass seit über 150 Jahren das Spannungsfeld zwischen Gemeinsamkeit und Besonderung bzw. speziellem und allgemeinem Unterricht die Diskussion prägt. Seit der Gründung der Schulen für Geistigbehinderte in den 1960er-Jahren blickt die fachrichtungsspezifische Didaktik auf eine kurze, aber abwechslungsreiche Historie zurück. Die letzten 50 Jahre der organisierten institutionellen Angebote schulischer Betreuung und Bildung wurden durch unterschiedliche Strömungen geprägt.

Ausgehend von einer medizinischen Sicht auf Behinderung, durch welche die Aufmerksamkeit auf die ,besonderen Bedürfnisse‘ beim Lernen gelenkt wurde, hat sich ein hoch spezialisiertes Angebot (Konzepte, hochqualifiziertes Personal, spezielle Medien, eigenes Curriculum etc.) entwickelt. Der Blick auf die ,Defizite‘, der aus heutiger Sicht negativ bewertet wird, führte in den Anfängen der Disziplin (als Teilbereich der Erziehungswissenschaft) durchaus zu einem positiven Ertrag. Dieser lag darin, dass die Lernmöglichkeiten von Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt wahrgenommen und in der Institution Schule berücksichtigt wurden.

Integration / Inklusion

Neben dem Trend der Spezialisierung der sonderpädagogischen Fachrichtungen wurden parallel bereits in den 1970er-Jahren die Normalisierung des Lebenslaufes und der Lebenssituation sowie die Integration / Inklusion dieses Personenkreises in die allgemeinen institutionellen Angebote diskutiert. In der Debatte um ,eine Schule für alle‘ wird auf die Einlösung des Bildungsrechts von Menschen mit geistiger Behinderung durch einen uneingeschränkten Zugang zu allen Bildungsinstitutionen und einer grundlegenden Veränderung des Bildungssystems Bezug genommen. Die Diskussion zur Umsetzung dieser Vorstellungen verläuft jedoch politisch teilweise kontrovers und scheint bisweilen ins Stocken zu geraten.

Zu Beginn einer Reflexion über systematische Unterrichtsplanung für Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen Behinderung sowie im Kontext der gerade beschriebenen Überlegungen stellt sich die Frage, worin im Hinblick auf schulisches Lernen das Spezifische der Fachrichtung liegt:

●  Verlangt die Unterstützung von Bildungsprozessen im Kontext geistiger Behinderung eine spezielle Didaktik? Oder anders gefragt:

●  Inwiefern können Konzepte aus der allgemeinen Didaktik für den Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und im gemeinsamen Unterricht genutzt werden?

Spannungsfeld der Disziplin

Die Disziplin der Geistigbehindertenpädagogik steht angesichts dieser Fragen in mehrerlei Hinsicht in einem Spannungsfeld, das sich an den folgenden Themen festmachen lässt:

●  die Sichtweise auf Behinderung zwischen sozialen und medizinischen Aspekten (→ Kap. 2.1),

●  die historische und aktuelle Entwicklung und Ausgestaltung des Förderschwerpunktes geistige Entwicklung zwischen Bewahrung und Bildungsanspruch (→ Kap. 2.2),

●  die Öffnung des Förderschwerpunktes mit Blick auf den gemeinsamen Unterricht in der Integration / Inklusion – zwischen sonderpädagogischer Spezifikation und allgemeiner Didaktik (→ Kap. 2.2),

●  das Verständnis von Bildung und Lernen zwischen Lebenspraxis und fachbezogenen Bildungsinhalten (→ Kap. 2.3).

2.1   Internationale Sicht auf Behinderung (ICF)

Internationaler Behinderungsbegriff

2001 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein international gebräuchliches Instrument zur Erfassung von Funktionsfähigkeit und Behinderung veröffentlicht.

In der „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) wird Behinderung als biopsychosoziales Phänomen beschrieben, das sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Komponenten ergibt. Die ICF-CY (Weltgesundheitsorganisation 2013) ist speziell für Kinder und Jugendliche in der Altersspanne von der Geburt bis zu 18 Jahren entwickelt worden.

Diese Klassifikation bietet ein breites Spektrum von Informationen zur Gesundheit und verwendet eine standardisierte allgemeine Sprache, welche die weltweite gemeinsame Kommunikation über Gesundheit und gesundheitliche Versorgung in verschiedenen Disziplinen und Wissenschaften erleichtert.

Funktionsfähigkeit

Behinderung wird im Kontext der ICF nicht als ein Merkmal einer Person betrachtet, sondern situationsabhängig, d. h. mit Blick auf die gesamte Lebenssituation des Individuums. In der ICF fungiert der Begriff Funktionsfähigkeit als Oberbegriff für alle Körperfunktionen und Aktivitäten sowie für die Partizipation einer Person. Dementsprechend dient Behinderung als Oberbegriff für Schädigungen der Strukturen und Funktionen des Körpers, Beeinträchtigungen der Aktivität und der Partizipation (Weltgesundheitsorganisation 2005, 9). Daher ist die ICF grundsätzlich zur Beschreibung des Gesundheitszustandes oder von Gesundheitsproblemen nutzbar und somit auf alle Menschen – nicht nur auf Menschen mit Behinderung – anwendbar (2005, 13). Grundlegend ist die Auffassung, dass sowohl die Funktionsfähigkeit als auch die Behinderung eines Menschen eine dynamische Interaktion zwischen dem Gesundheitsproblem (Krankheiten, Gesundheitsstörungen, Verletzungen, Traumata etc.) und den Kontextfaktoren, auf die wir noch gesondert eingehen, darstellt.

Struktur der ICF

Zu den zentralen Komponenten zählen (2005, 16)

●  die Körperstrukturen (anatomische Teile des Körpers wie Organe, Gliedmaßen und deren Bestandteile),

●  die Körperfunktionen (physiologische Funktionen von Körpersystemen),

●  die Aktivitäten (Durchführung einer Aufgabe oder Handlung, z. B. im Bereich Lernen, Mobilität etc.),

●  die Partizipation bzw. Teilhabe einer Person (Einbezug in eine Lebenssituation und eine Lebensgemeinschaft).

Diese Bereiche stehen in einem Wirkungszusammenhang mit den Kontextfaktoren. Die Kontextfaktoren werden wiederum unterteilt in Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren:

●  Als Umweltfaktoren gelten materielle, soziale und einstellungsbezogene Einflussgrößen auf die Lebenssituation der jeweiligen Person.

●  Personenbezogene Faktoren sind Eigenschaften oder Attribute wie Alter, Geschlecht, Bildung, Ausbildung, Erfahrung, Persönlichkeit und Charakter, Fitness, Lebensstil, Gewohnheiten, Erziehung, Bewältigungsstile, sozialer Hintergrund, Beruf sowie vergangene oder gegenwärtige Erlebnisse (2005, 22, 146).

In Abbildung 5 wird der Zusammenhang der verschiedenen Komponenten innerhalb des ICF-Modells dargestellt.

Ressourcen- und Defizitorientierung

Zentral in diesem Modell ist die Abkehr von einem monokausalen und eindimensionalen Begründungszusammenhang von Behinderung, der seinen Ursprung in einer medizinischen Schädigung findet. Vielmehr können auch Einschränkungen der Partizipation bzw. der Aktivitäten als Auslöser einer Behinderung gesehen werden. Damit ist eine Abkehr vom einseitig individualtheoretischen Behinderungsverständnis (die Behinderung liegt als Eigenschaft in der Person) vollzogen.

Abb. 5: Biopsychosoziales ICF-Modell (Weltgesundheitsorganisation 2005, 23)

Dennoch bleibt zu die ICF grundlegend ein Klassifikationsinstrument darstellt, das einerseits Schädigungen und Beeinträchtigungen in der Aktivität und Partizipation und somit Defizite erfasst, andererseits jedoch auch ressourcenorientiert die potenziell kompensatorische und unterstützende Funktion des Umfeldes zum Abbau potenzieller Barrieren in den Fokus nimmt.

Relevanz für die Unterrichtsplanung

Während die Arbeit an den Körperstrukturen und -funktionen hauptsächlich in das Aufgabenfeld von Medizinern und Therapeuten fällt, kann pädagogisch durch die Gestaltung des Unterrichtsumfeldes, der Bereitstellung von Hilfsmitteln und personeller Hilfe eine größtmögliche Aktivität und Partizipation angestrebt und begünstigt werden. In erster Linie helfen die Kategorien der ICF und ICF-CY (Version für Kinder und Jugendliche, erstmalig veröffentlich von der WHO 2011), einen differenzierten Blick für potenzielle Barrieren zur Aktivität und Partizipation im individuellen Fall zu entwickeln. Die Sichtweise der ICF auf Behinderung prägt nicht nur die deutsche Sozialgesetzgebung (z. B. SGB V und SGB IX), sondern beeinflusst außerdem die Ausrichtung der schulischen sonderpädagogischen Förderung.

Partizipationschancen

Anhand der Indikatoren der ICF-CY gilt es, Aktivitätsmöglichkeiten zu erfassen und Unterstützungsmaßnahmen zu planen, um Barrieren zu minimieren (→ Seite 114 ). Die Partizipationsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern können einerseits auf die Klassenoder Schulgemeinschaft bezogen und andererseits im Kontext von gesellschaftlicher Integration und Inklusion betrachtet und erweitert werden. Die Sichtweise der ICF auf Behinderung prägt nicht nur die deutsche Sozialgesetzgebung (z. B. SGB V und SGB IX), sondern beeinflusst außerdem die Ausrichtung der schulischen sonderpädagogischen Förderung.

2.2   Spezielle oder allgemeine Didaktik?

Comenius hat bereits 1657