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Auf dem Schwalbennesthof ist immer was los! Neue Tiere, spannende Aufgaben und wunderschöne Ausritte mit ihrer besten Freundin Fee - die 12-jährige Olivia kann sich über Langeweile nicht beklagen. Als die zuckersüßen Miniponys Wolke und Faxi ein neues Zuhause brauchen, sind die Bewohner des Hofes gleich Feuer und Flamme. Sie tun alles, damit sich die beiden schnell eingewöhnen. Doch andere Geschehnisse trüben den Frieden: Ein Mädchen, das zuvor noch um die Aufnahme ihres Pflegepferdes gebeten hatte, verschwindet mit dem Pony. Olivia und ihre Freundin Fee glauben zu wissen, wo die beiden zu finden sind, und machen sich auf eigene Faust auf die Suche ...
Ein abenteuerlicher Pferderoman mit viel Fachwissen und Glossar im Anhang
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2022
Auf dem Schwalbennesthof ist immer was los! Neue Tiere, spannende Aufgaben und wunderschöne Ausritte mit ihrer besten Freundin Fee – die 12-jährige Olivia kann sich über Langeweile nicht beklagen. Als die zuckersüßen Miniponys Wolke und Faxi ein neues Zuhause brauchen, sind die Bewohner des Hofes gleich Feuer und Flamme. Sie tun alles, damit sich die beiden schnell eingewöhnen. Doch andere Geschehnisse trüben den Frieden: Ein Mädchen, das zuvor noch um die Aufnahme ihres Pflegepferdes gebeten hatte, verschwindet mit dem Pony. Olivia und ihre Freundin Fee glauben zu wissen, wo die beiden zu finden sind, und machen sich auf eigene Faust auf die Suche …
Ein abenteuerlicher Pferderoman mit viel Fachwissen und Glossar im Anhang
Sarah Lark, geboren 1958, wurde mit ihren fesselnden Neuseeland- und Karibikromanen zur Bestsellerautorin, die auch ein großes internationales Lesepublikum erreicht. Nach ihren fulminanten Auswanderersagas überzeugt sie inzwischen auch mit mitreißenden Romanen über Liebe, Lebensträume und Familiengeheimnisse im Neuseeland der Gegenwart und schreibt spannende Kinder- und Jugendbücher über Pferde. Sarah Lark ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Schriftstellerin, die in Spanien lebt.
Sarah Lark
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright © 2022 by Boje Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Margit von Cossart, Köln
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München unter Verwendung von Motiven von © jean schweitzer/shutterstock.com; Vera Zinkova/shutterstock.com; avian/shutterstock.com; lynea/shutterstock.com
eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-7517-2788-4
boje-verlag.de
luebbe.de
lesejury.de
»Bist du aufgeregt?«, fragte Fee.
Olivia kam eben mit einem Halfter in der Hand aus einem der Ställe des Schutzhofes Schwalbennest und sah, wie ihre Freundin von ihrer Schimmelstute Nixe stieg.
»Vielleicht … vielleicht ein bisschen …«, gab sie zu, was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Tatsächlich zitterten ihr die Knie, und sie hatte in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen.
»Wird schon gut gehen«, erwiderte Fee.
Olivia folgte Fee noch einmal in den Stall und wies ihr eine der Boxen mit Auslauf zu, in der Nixe warten konnte, bis Olivias Abenteuer ausgestanden war. Sie hatten geplant, später noch zusammen auszureiten und damit den freien Tag mitten in der Woche zu feiern. Lehrerausflug. Sie und Fee gingen in eine Klasse. Sie fuhren früh morgens mit ihren Fahrrädern zum Bahnhof und von dort mit dem Zug weiter nach Mainz. Die Fahrt dauerte nur zwanzig Minuten. Als Fee noch im Schwalbennest gewohnt hatte, hatten sie gemeinsam radeln können, nach dem Umzug ihrer Familie trafen sie sich am Bahnhof.
»Hast du das schon mal gemacht?«, wollte Olivia wissen, während Fee ihr Pony absattelte.
»Ein Pferd zugeritten?«, fragte Fee. »Nöö … also nicht direkt. Ich hab wohl schon junge Pferde geritten. Aber das erste Mal … das lässt meine Mutter eigentlich immer Thomas machen, der lässt sich nicht so schnell abbuckeln.«
Fees und Thomas’ Mutter bildete Pferde und Reiter aus und hatte immer Pferde in Beritt, mitunter auch solche, die erst an Sattel und Reiter gewöhnt werden mussten. Thomas war ein verwegener Reiter, der sich nicht davor fürchtete.
Olivia schluckte. »Buckeln sie … oft?«, fragte sie verzagt.
Fee lachte. »Ach komm, Olivia, du hast deine Mutter doch gehört! Julia sagt, wenn sie richtig vorbereitet sind, buckeln sie nicht. Und du arbeitest jetzt schon so lange mit Lucie.«
Olivias Mutter Julia und Fees Mutter Frau Kesselbrink waren beide erfahrene Pferdefrauen, aber nur sehr selten einer Meinung, was die Ausbildung und den Turniereinsatz von Pferden anging. Fee bewunderte Julia, die früher für Pferdezeitschriften geschrieben hatte und jetzt den Schutzhof Schwalbennest leitete. Olivia dagegen hatte größten Respekt vor Frau Kesselbrink. Sie nahm Reitunterricht bei ihr und verdankte ihr sicher einen großen Teil der Turniersiege und -platzierungen, die sie mit ihrem Pony Partygirl erzielte.
Fee strahlte, als Olivias Mutter nun den Stall betrat. »Hallo, Julia!«, grüßte sie.
»Hallo, Fee! Na, kommst du zuschauen an Lucies großem Tag?«, fragte Olivias Mutter mit einem Gähnen. Es war noch sehr früh am Morgen, aber Olivia hatte es nicht abwarten können anzufangen.
Julia war eine schlanke Frau mit freundlichen blauen Augen und braunem, halblangem Haar. Im Gegenteil zu Olivias war es völlig glatt, und Olivia pflegte sie darum zu beneiden. Sie mochte ihre dunkle Hautfarbe, die sie ihrem ghanaischen Vater verdankte, aber ihre Kräusellocken fand sie schrecklich. Meist fasste sie sie zu einem Pferdeschwanz zusammen, und gleich würde sie die Reitkappe aufsetzen und sie damit noch ein bisschen mehr bändigen. »Wolltest du dein Pferd nicht schon reinholen, Olivia?«, wandte Julia sich nun an sie.
Der Stall auf dem Schwalbennesthof war bis auf Nixes Box leer. Die Pferde waren alle auf der Weide.
»Ich bin auf dem Weg«, antwortete Olivia und an Fee gewandt: »Kommst du mit?«
Fee schloss sich ihr natürlich an. Sie beide waren unzertrennlich, seit sie sich in den Osterferien kennengelernt hatten. »Dann können wir Party auch gleich reinbringen«, regte sie an und lief rasch in den Stall, um noch ein Halfter zu holen. »Sie kann Nixe Gesellschaft leisten. Nachher wollen wir ja sowieso ausreiten.«
»Wenn ich dann noch kann …«, unkte Olivia.
Ihre Mutter hatte das gehört und runzelte die Stirn. »Hast du jetzt doch ein bisschen Angst?«, fragte sie verständnisvoll. »Also wenn du es nicht machen möchtest, steige ich als Erste auf. Ich habe volles Vertrauen zu Lucie.«
Olivia schämte sich ein bisschen, dass sie selbst das nicht hatte. Aber weder ihre frühere Reitlehrerin Frau Helwig noch Frau Kesselbrink hatten je von Vertrauen zu Pferden gesprochen. Eher von Kontrolle über Pferde. Erst seit sie aus Berlin zu ihrer Mutter gezogen war und mit ihr auf dem Schwalbennesthof wohnte, lernte Olivia umzudenken. Sie ließ Partygirl mehr Freiheit, traute sich gemeinsam mit ihrem Pony mehr zu – und jetzt war da eben Lucie.
Die kleine Schimmelstute war mit einem großen Transport verwahrloster und misshandelter Pferde und anderer Tiere auf den Hof gekommen. Sie war fünf Jahre alt und außer einer Allergie und Hautparasiten hatte sie keine gesundheitlichen Probleme gehabt. Lediglich unterernährt war sie gewesen, doch nachdem sie zugenommen hatte und bis auf die Allergie auskuriert war, sprach nichts dagegen, sie zu reiten. Olivia hatte sich sofort in sie verliebt – ebenso wie ihre Mutter in den dunklen Wallach Hobo, der ebenfalls gesund und erst sechs Jahre alt war. Sie hatte vorgeschlagen, beide Pferde anzureiten, und Olivia bei der Vorbereitung von Lucie geholfen. Und heute sollte es nun so weit sein – das erste Aufsitzen stand an.
»Du willst doch jetzt nicht wirklich kneifen!«, meinte Fee. »Nach all der Arbeit!«
Olivia schüttelte den Kopf. Ihre Freundin hatte in den letzten Wochen fasziniert beobachtet, wie sie Lucie zunächst beigebracht hatte, sich ordentlich führen zu lassen – rückwärts und vorwärts und auch über Bodenhindernisse, wie etwa durch ein aus Stangen gebildetes L. Danach hatte ihre Mutter ihr geholfen, sie anzulongieren, zunächst an der einfachen Longe und dann an der Doppellonge, mit deren Hilfe die Stute schon mal lernte, die Trense anzunehmen und auf Zügelhilfen zu reagieren. Lucie war an den Longiergurt gewöhnt worden, dann an den Sattel. Olivia und ihre Mutter hatten mit ihr und Hobo Spaziergänge gemacht, damit sie lernten, nicht vor Autos, Traktoren, Fahnen oder wehenden Planen zu scheuen. Zuletzt hatten sie mit ihnen geübt, neben einem Stuhl als Aufstiegshilfe ruhig stehen zu bleiben und ihren künftigen Reiterinnen zu erlauben, sich schon mal über den Sattel zu lehnen, um ihn damit ein bisschen zu belasten. »Meine Mom longiert die Pferde nur mit Sattel, und wenn sie damit nicht mehr buckeln, steigt Thomas auf«, hatte Fee die eher kurze Vorbereitung der Pferde im Stall Kesselbrink erklärt. »Das kannst du nicht damit vergleichen, wie Julia sie aufs Aufsitzen vorbereitet.«
Olivia war immer noch etwas verzagt. Sie fühlte sich erst besser, als die Mädchen nun die weitläufigen Weiden des Schwalbennesthofes erreichten und gleich mehrere Pferde zu ihrer Begrüßung wieherten. Die kleine Rappstute Partygirl löste sich sofort aus der Herde und trabte auf ihre Freundin Olivia zu, und Lucie tat es ihr mit einem jubelnden Wiehern gleich.
Fee wollte bei ihrem Anblick aber erst mal umfallen vor Lachen. »Was habt ihr denn mit der gemacht? Habt ihr sie als Zebra verkleidet?«
Tatsächlich trug Lucie eine netzartige Decke im Zebradesign und eine dazu passende Haube über dem Kopf.
»Das ist wegen der Insekten«, erklärte Olivia. »Sie reagiert doch allergisch auf Mückenstiche. Die Decke und das Gesichtsnetz halten die Biester fern. Angeblich wirkt die Zebrazeichnung zusätzlich abschreckend. Julia hat für alle empfindlichen Pferde solche Decken gekauft.«
»Besser, als die Pferde einzusperren«, meinte Fee, als sie sah, dass etliche »Zebras« die Weide bevölkerten – eine Meinung, die Fees Mutter nicht teilte. Frau Kesselbrinks Beritt- und Turnierpferde durften nie auf die Weide. »Vielleicht würde so eine Decke ja auch gegen das Ausbleichen helfen.«
Während Olivia Lucie begrüßte, legte Fee Partygirl das Halfter an. Frau Kesselbrink hatte bei der letzten Reitstunde tadelnd angemerkt, dass Partygirls vormals lackschwarzes Fell ausblich. Durch die Sonne, der es auf der Weide ausgesetzt wurde, verfärbte sich das Haar an den Spitzen bräunlich.
Olivia zuckte mit den Schultern. »Bestimmt, aber da macht Julia nicht mit. Ein gesundes Pferd braucht keine Weidedecke, meint sie. Schlimm genug, dass die Allergiker nicht ohne rausdürfen. Sie müssen doch schwitzen, bei dem warmen Wetter.«
Die Decken bestanden zwar aus Materialien, die das weitgehend verhinderten, ein bisschen unbequem waren sie trotzdem für die Pferde.
Die Mädchen führten die beiden Stuten nun zum Stall, banden sie an, und Olivia befreite Lucie von ihrer Decke. Sie war darunter ganz sauber, aber sie striegelte sie trotzdem noch, um ihr vor dem Satteln eine Massage zu gönnen. Fee putzte die ziemlich staubige Party und stellte sie dann in eine Paddockbox neben Nixe. Die Stuten begrüßten sich über den Zaun hinweg.
Fee beobachtete sie, während Olivia Lucie aufsattelte und -trenste. Ihre Mutter nickte ihr anerkennend zu – sie hatte den Hallenboden noch mal geglättet und stieg nun von dem kleinen Trecker, den sie dafür benutzte.
»Dann gehen wir es mal an«, sagte sie fröhlich. »Was ist nun, Livvie? Willst du oder soll ich?« Ihre Mutter war die Einzige, die sie Livvie nannte.
Olivia schluckte. »Ich mach’s«, entschied sie und holte ihren Reithelm und die Sicherheitsweste aus der Sattelkammer.
Ihr Vater bestand darauf, dass sie eine Schutzweste trug, wenn sie allein mit Partygirl zum Reitunterricht in den nahe gelegenen Stall der Kesselbrinks ritt. Er war damit nicht einverstanden. Ihm wäre es lieber, Partygirl wäre gemeinsam mit den Pferden der Reitlehrerin in deren neue Anlage umgezogen, und Olivia hätte sich mehr ihrer Turnierkarriere gewidmet als der Arbeit mit Julias vierbeinigen Sozialfällen, wie er die schutzbedürftigen Tiere nannte.
Olivias Mutter führte Lucie nun in die Halle – und Olivia hätte beinahe einen Rückzieher gemacht, als sie die Zuschauer sah, die sich dort eingefunden hatten. Herr und Frau Bender, die sich von den Kindern Opa und Oma Bender nennen ließen, sowie ihre fünfjährige Enkelin Marie saßen schon erwartungsvoll auf einer Bank. Neben Marie hockte das vietnamesische Hängebauchferkel Piggy. Es blinzelte aus blitzenden Schweinsäuglein in die Bahn. Und auch Siegfried hatte sich eingefunden, Olivias und Julias schlappohriger kleiner Hund.
Oma und Opa Bender machten sich auf dem Hof nützlich und wohnten deshalb zu einer günstigen Miete. Opa Bender half bei den Pferden des Schutzhofes und bekam dafür ein Gehalt, Oma Bender hatte eine Herde Schafe und stellte herrlich leckeren Käse her, den sie auf einem Bauernmarkt verkaufte. Außerdem konnte sie einfach großartig backen.
Mandy, die junge Frau, die Olivias Mutter eingestellt hatte, um bei der Stallarbeit zu helfen, hielt sich im Vorraum der Halle an einem Besen fest. Sie hatte die Arbeit nicht erfunden, wie Julia und Opa Bender klagten, doch jemand Besseres hatte sich nicht gefunden
»Startet jetzt das Rodeo?«, fragte Mandy vergnügt und strich ihr kurzes blondes Haar zurück. Sie trug es hinten stoppelkurz und vorn zu einer Tolle geföhnt, die ihr ständig ins Gesicht fiel.
Olivia sah ihrer Mutter an, dass sie kurz davor war, etwas Unfreundliches zu erwidern und Mandy vielleicht auch daran zu erinnern, dass sie eigentlich die Weiden abäpfeln sollte, statt den sauberen Hallenvorplatz zu fegen. Sie beherrschte sich jedoch eisern. Der Stall brauchte Mandy – allein mit Opa Benders Hilfe war die Arbeit nicht zu schaffen.
In den ersten Wochen hatten Julia und Olivia ohne Stallarbeiter gemistet, nur mit Hilfe von Pferdeliebhaberinnen aus dem Ort. Es war sehr schwere Arbeit gewesen, die Olivias Mutter hatte tun müssen, obwohl sie eigentlich andere Aufgaben hatte. Leider waren Arbeitskräfte, die sich im Stall nützlich machen wollten und konnten, nicht leicht zu finden. Die Anstellung der ein bisschen langsamen, aber sehr starken Mandy war schließlich ein Kompromiss gewesen.
Olivia griff nun nach einem Stuhl, der neben dem Stalleingang bereitstand, und trug ihn in die Halle. Fee gesellte sich zu den anderen Zuschauern und machte das Siegzeichen.
Olivia lächelte zaghaft, während ihre Mutter Lucie neben dem Stuhl verhielt. Die Steigbügel an ihrem Sattel waren bereits auf Olivias Beinlänge eingestellt.
»Dann steig jetzt einfach auf«, ermunterte ihre Mutter sie. »Und erzähl ihr dabei was, damit sie weiß, wo du bist.«
Wenn eine Reiterin aufstieg, so hatte sie Olivia erklärt, geriet sie außerhalb des Gesichtsfelds des Pferdes. Das erschrak deshalb manchmal, wenn es plötzlich ihr Gewicht spürte.
»Kann ich singen?«, fragte Olivia.
Ihre Mutter lachte. »Solange ich es nicht muss!«
Sie war ziemlich unmusikalisch, während Olivia den Pferden gern etwas vorsummte oder sang, seit Frau Kesselbrink nicht mehr in der Nähe war. Sie hatte darüber immer tadelnd den Kopf geschüttelt.
»Lucie hat doch ihr eigenes Lied!« Olivia setzte den Fuß in den Steigbügel und sang dabei eine einfache Melodie. »Lucie, Lucie, Lucie ist fein, Lucie, Lucie, Lucie ist mein. Lucie, Lucie ist mein bestes Stück. Lucie, Lucie, alle singen mit!«
Lucie wandte ihr die Ohren zu und lauschte aufmerksam. Sie rührte sich nicht, als Olivia langsam in ihren Sattel glitt, und scheute auch nicht, als sie sich darin aufrichtete. Dabei, so hatte ihre Mutter erklärt, nahmen Pferde nämlich wieder einen Schatten wahr – und das könnte ja auch ein angreifendes Raubtier sein.
Lucie blieb allerdings ruhig, nahm erst einen Leckerbissen aus der Hand von Olivias Mutter und wandte dann den Kopf, um sich von Olivia eine Möhre reichen zu lassen. Auch das war geübt, Olivia hatte sich schon über den Sattel gelehnt und die Schimmelstute nach einer Möhre angeln lassen.
»Dann gib ihr jetzt die Hilfen zum Antreten«, forderte Olivias Mutter sie auf.
Olivia legte die Schenkel an, und Julia führte Lucie an. Die folgte brav dem Führstrick.
»Na, wie fühlt es sich an?«, fragte ihre Mutter fröhlich.
Olivia hatte kaum zu atmen gewagt. Es war unvorstellbar! Sie saß auf einem Pferd, das vorher nie einen Reiter getragen hatte. Und dabei bewegte es sich so selbstverständlich, als hätte es nie etwas anderes getan.
»Ein … äh … bisschen wacklig …«, sagte sie nun, nachdem sie endlich wagte, etwas zu entspannen. »Als würde sie schwanken.«
Ihre Mutter lachte. »Gut gemerkt!«, lobte sie. »Lucie bewegt sich noch unsicher. Sie muss sich unter deinem Gewicht erst ausbalancieren. In den nächsten Tagen wird das besser werden. Lass sie jetzt einmal anhalten.«
Olivia setzte sich tief in den Sattel und nahm die Zügel leicht an. Dabei sagte sie »Haaalt!«, wie sie es geübt hatten. Tatsächlich stoppte Lucie sofort. Natürlich gab es auch dafür wieder einen Leckerbissen. Olivia strahlte, als sie wieder anritt.
»Das machen wir jetzt noch zweimal, wechseln dann die Hand, und danach reicht es für heute«, erklärte ihre Mutter.
Es klappte alles tadellos – doch als sie auf der letzten Runde den Eingang der Halle passiert hatten, stieß Mandy die Tür auf. Sie hatte wohl das Interesse an den eher langweiligen Vorgängen in der Halle verloren und gedachte nun, den zusammengefegten Sand ins Innere der Halle zu fegen.
Lucie blieb irritiert stehen. Olivias Mutter sprach freundlich auf sie ein, und Olivia wollte eben wieder ihr Lied für sie anstimmen, als etwas Kleines Schwarzes in die Halle schoss.
»Piggy!«, rief Marie und sprang auf. Sie hatte Olivia so gebannt zugesehen, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass Piggy von der Bank gesprungen war, um etwas herumzuschnüffeln.
Siegfried bellte, rannte dem Schweinchen aber immerhin nicht nach, denn Opa Bender hielt ihn geistesgegenwärtig am Halsband fest. Piggy dagegen hüpfte zwischen Lucies Beinen hindurch, rannte in die Mitte der Reitbahn und warf sich dann in den Sand, um sich darin zu suhlen.
Olivia erschrak zu Tode. Jetzt würde das junge Pferd buckeln, steigen oder durchgehen – jedenfalls irgendetwas tun, um sie abzuwerfen. Tatsächlich machte Lucie zwei irritierte Trabschritte. Doch dann straffte sich Julias Führstrick, und gleichzeitig erklang Olivias, wenn auch mit zitternder Stimme ausgestoßenes, Kommando: »Haalt!«
Lucie blieb stehen. Olivia fiel ein Stein vom Herzen, sie hätte die Schimmelstute umarmen können und vor Freude jubeln. Stattdessen nestelte sie ein weiteres Leckerli aus ihrer Gürteltasche. Lucie nahm es gelassen entgegen. Dann sahen alle drei zu, wie Marie auf Piggy zustürzte, um das Schweinchen wieder einzufangen.
»Du bist so frech!«, schalt sie das kleine Tier.
Olivia und ihre Mutter mussten lachen.
»Du nicht!«, flüsterte Olivia Lucie zu. »Du bist richtig toll!«
»Das ist sie«, bestätigte ihre Mutter. »Reiten wir weiter?« Olivia gab erneut die Hilfen zum Antreten, und Julia führte die Stute zurück zu dem Stuhl. »Dann steig mal ab!«, forderte sie Olivia auf.
Sie ließ sich aus dem Sattel auf den Stuhl gleiten, stieg hinunter und begann, Lucie mit Leckerbissen zu überschütten.
»Das war doch ein toller Start!«, sagte Julia zufrieden. »Du kannst stolz sein. Und nächste Woche ist Hobo dran. Aber bei dem bin ich die Erste!«
Olivia brachte Lucie in den Stall, begleitet von Fee, die vor Bewunderung und Begeisterung fast platzte.
»Das war ja sooo toll! Sie hat überhaupt nichts gemacht! Nicht mal, als Piggy zwischen ihren Beinen durchgerannt ist … Ich meine, sie kennt Piggy natürlich. Aber trotzdem!«
Olivias Mutter erklärte Marie, dass so etwas nicht noch einmal passieren durfte, und warum es so gefährlich war. Dann hielt sie Mandy eine Standpauke.
»Sie müssen doch wissen, Mandy, dass man nicht lautstark eine Hallentür aufreißt, wenn man weiß, dass drinnen ein Pferd angeritten wird. Ein wahres Wunder, dass Lucie so gelassen reagiert hat.«
»Ein Wunder?«, meinte Mandy unbeeindruckt. »Hat doch nix gemacht, das Pferd. Gar nicht wie im Film. Sind Sie sicher, Frau Wiegand, dass Lucie nicht schon längst zugeritten war?«
Olivias Mutter wandte sich ohne einen weiteren Kommentar ab. »Es ist immer so«, beklagte sie sich gleich darauf bei Olivia und Fee. »Wenn sie gebuckelt hätte, und du wärst oben geblieben, hätten dich alle bewundert. Aber wenn es unspektakulär bleibt, weil das Pferd einfach gut vorbereitet war, weiß das keiner zu schätzen. Jedenfalls war es großartig! Und ihr geht jetzt ausreiten? Musst du dann gleich nach Hause, Fee, oder wollt ihr zwei nachher mitkommen, die Ponys holen?«
Julia hatte im Auftrag der Stiftung entschieden, zwei Miniponys auf dem Schwalbennesthof aufzunehmen, und wollte sie später abholen.
Olivia und Fee stimmten eifrig zu und versprachen, ihren Ausritt nicht allzu lange auszudehnen. Jetzt sahen sie aber erst mal einen knallroten Kleinwagen auf den Hof rollen. Mandy musste das Tor offen gelassen haben, als sie mit dem Trecker rausgefahren war. Julia war der Ärger darüber anzusehen. Alarmiert rief sie nach Siegfried, der zum Glück im Stall war. Man konnte nur hoffen, dass auch Piggy und die drei Shetlandponys, die Opa Bender manchmal als »Rasenmäher« auf dem Hofgelände frei herumlaufen ließ, unter Aufsicht waren.
Olivia sattelte noch ab und fütterte Lucie, und so lief Fee rasch um den Stall herum, um das Tor zu schließen. Dem Auto entstieg derweil eine hübsche junge Frau in modischen Jeans, Westernstiefelchen und einem T-Shirt mit romantischem Pferdemotiv. Sie schob ihre große Sonnenbrille ins blonde Haar und lächelte Olivia und ihrer Mutter gewinnend zu. Dann ließ sie zwei Hunde von der Rückbank ihres Wagens springen. Beide waren sehr klein, einer sah wie ein puscheliges Wölkchen aus, aus dem nur ein spitzes Mäulchen herausragte. Obendrein war er reinweiß wie eine Schneeflocke. Der andere dagegen hatte gar kein Fell, nur an Kopf, Ohren, Rute und Füßen zeigte sich ein ulkiger Schopf.
Siegfried starrte beide fassungslos an, bevor er schwanzwedelnd näher kam. Artgenossen gegenüber war er meistens friedlich. Der Basset-Mischling hatte auch nicht viel zu melden, er war noch fast ein Welpe.
»Hallo!« Die junge Frau grüßte strahlend. »Ich bin Melissa. Sind Sie Frau … äh … Afrani?«
»Wiegand-Afrani«, stellte Julias Mutter sich vor. »Wiegand genügt. Und könnten Sie bitte Ihre Hunde anleinen? Sie scheinen ja ganz lieb zu sein, aber für Besucherhunde besteht hier grundsätzlich Leinenpflicht.«
»Zarina und Mingping tun wirklich niemandem was«, erklärte Melissa, holte aber trotzdem eine rosafarbene und eine himmelblaue Leine aus dem Wagen. Die Hunde näherten sich sofort auf ihren Ruf.
»Vielen Dank«, sagte Julia. »Und was kann ich jetzt für Sie tun? Das Auto gehört hier übrigens nicht hin, wir haben draußen einen Parkplatz … Aber wir können uns hier kurz unterhalten, ich habe nur nicht viel Zeit.«
Die junge Frau lächelte erneut gewinnend. »Ich … Also, es ist so, dass ich mein Pferd zu Ihnen stellen will … Eine Araberstute. Sie ist sehr schön.«
»Wir sind kein Pensionsstall«, setzte Olivias Mutter zu einer Erklärung an.
Melissa winkte ab. »Nein, nein, ich weiß. Ich … wollte sie Ihnen schenken. Man kann sie nicht mehr reiten. Sie ist chronisch lahm.«
»Wir sollen sie also auf dem Schutzhof aufnehmen«, präzisierte Olivias Mutter. »Wenn Sie die Anfrage bitte schriftlich per Mail oder per Post einreichen würden? Ich muss das mit der Stiftung absprechen.«
»Nun gucken Sie sie doch erst mal an!«
Melissa holte ihr Handy heraus. Sie hielt das Bild ihrer über eine Weide galoppierenden Fuchsstute nicht nur Julia, sondern auch Olivia und Fee vor die Nase. »Ist sie nicht uuunglaublich hübsch?« Sie zog das U bewundernd in die Länge. »Die hättet ihr doch bestimmt gerne hier, oder?« Sie wandte sich an die Mädchen. »Sie ist ein richtiges Barbiepferdchen, und sie lässt sich megagut putzen und all das, was ihr gern macht …«
Olivia wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. »Unsere Ponys sind auch sehr hübsch«, erklärte sie schließlich und wies auf Nixe und Partygirl, die tatsächlich außergewöhnlich gut gebaut waren, und auf Lucie mit ihrem edlen kleinen Araberkopf und den sanften Augen.
»Das Aussehen der Pferde, die wir aufnehmen, ist uns völlig gleichgültig«, bemerkte ihre Mutter. »Warum wollen Sie das Pferd denn überhaupt abgeben?«
Melissa sah sie an, als wäre sie begriffsstutzig. »Na ja, weil es lahmt«, erklärte sie dann. »Ich hab schon bei drei anderen Gnadenbrothöfen angefragt, aber die wollten sie alle nicht nehmen. Sind wohl voll. Da dachte ich, ich komme hier mal persönlich vorbei und rede mit Ihnen. Sie müssen mir einfach helfen.« Ihr Lächeln wurde herzzerreißend. »Sonst … sonst muss ich sie einschläfern lassen …«
Olivia und Fee schauten gleichermaßen entsetzt. Das Bild der Stute hatte sie nicht sonderlich beeindruckt, aber gleich einschläfern? Das musste Julia verhindern!
Olivias Mutter wirkte unbeeindruckt. »Und wo ist das Pferd jetzt?«, fragte sie.
»Auf einer Koppel«, gab Melissa Auskunft. »Mit anderen Pferden.«
Julia nickte. »Gut. Und lahmt es ständig?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein, nur wenn man es reitet. Es …«
»Dann weiß ich ehrlich gesagt nicht, weshalb wir Ihre Araberstute aufnehmen sollten. Ihr geht es doch offenbar gut«, meinte Olivias Mutter.
»Aber ich will was zum Reiten!«, erklärte Melissa und nahm die Sonnenbrille aus dem Haar. »Und zwei Pferde kann ich mir nicht leisten. Ich bin Studentin …«
Olivias Mutter ließ den Blick vielsagend über das Auto, die Rassehunde und die Designerjeans schweifen.
»Was … äh … sind denn das für Hunde?«, fragte Fee, die sah, wie sich Julias Stirn umwölkte.
Melissa strahlte sofort wieder. »Zarina ist ein Pomeranian, also ein Zwergspitz, und Mingping eine Chinesische Schopfhündin. Beide sind Zuchttiere und –«
»Ich verstehe also richtig, dass wir uns Ihres chronisch lahmenden Pferdes annehmen sollen, damit Sie sich ein neues kaufen können«, kam Julia zurück zum Thema.
Melissa nickte. »Ja, weil … Also, dass Aljescha … dass sie lahmt … das konnte doch niemand wissen …«