Schwanzgeständnis - Jule Gruber - E-Book

Schwanzgeständnis E-Book

Jule Gruber

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Beschreibung

Ich blute aus der Pforte meiner Vagina und will einen Penis – aber nur manchmal. Überall schwirren Stereotypen zu Frauen* und Männern* herum. Und selbst ich als genderfluides und geschlechtermäßig allgemein konfuses Wesen kann mich ihnen nicht entziehen. Darum auch die Tuchfühlung mit Dr. Sigmund Freud.

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Seitenzahl: 259

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Inhaltsverzeichnis

Für mich

Prolog

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

Für mich

Und ein bisschen für dich.

Aber hauptsächlich für mich.

Prolog

Ich habe an einem Samstagmorgen endgültig festgestellt, dass ich ein Freak bin.

Abertausende, wenn nicht unendlich viele Videos habe ich mir zu ähnlichen Themen bereits reingezogen. Meistens nachts, weil ich mich da seltsamerweise weniger beobachtet fühle. Als würde tagsüber jemand in der Schwebe vor dem Fenster im vierten Stock hocken und hineinglotzen, nur um erspähen zu können, was ich auf dem Laptopbildschirm flimmern habe. Das ist natürlich vollkommener Blödsinn, aber ich darf gelegentlich auch ein wenig Paranoia schieben.

Weil ich es kann. Und weil ich auch nur ein Mensch bin.

Rein zu meiner eigenen psychischen Befriedigung habe ich es also dann getan, wann immer mich am wenigsten die Befürchtung beschlichen hat, die Leute in der U-Bahn hätten aus den sage und schreibe dreißig Metern Entfernung und dazu noch innerhalb der zwei Sekunden, die der Zug braucht, um an meinem Fenster vorbei zu rauschen, die absurde Möglichkeit, herein zu gaffen und zu denken: „Oh, Jule! Jule, was machst du nur!“

Wenn ich gerade keine Videos angucke, komme ich manchmal nicht umhin, mich nackt vor das Fenster zu stellen und dort zu tanzen, damit sie was zu Meckern und Lästern haben oder ihr trister Alltag durch meinen wackelnden, asymmetrischen Körper erheitert wird. „Himmel, Herrgott! Was macht sie da? Schenkt der Wahnsinnigen ein Korsett, ihre Brüste springen auf die Straße!“ Ich bezweifle genau genommen, dass auch nur spazierende Leute zu mir hochsehen, es sei denn, ein Vogel scheißt ihnen mit der Zielgenauigkeit eines Scharfschützen und unheimlich gutem Timing auf den Schädel. Also ist es vollkommen legitim, die Brüste kreisen zu lassen, weil ich in Wahrheit unbeobachtet bin und mich sowieso niemand identifizieren könnte.

Jetzt weißt du es.

Falls du mal entlang des Wiener Gürtels Richtung Innenstadt spazieren fährst und so was Ähnliches zu Gesicht bekommst… Das war ich. Aber wage es nicht, mir zuzusehen, wenn ich im Netz surfe! Privatsache. Es gibt gewisse Regeln auf dieser Welt und das ist eine davon: Im Gegensatz zu meinem bislang unentdeckt gebliebenen Exhibitionismus bleiben andere Dinge besser geheim. Manche Videos zum Beispiel.

Falls du gleich an Pornos gedacht hast – sorry, du liegst falsch. Weil ich diese besondere Kunstform des menschlichen Aktes sehr wertschätze, auch wenn ich ihn in all den erdenklichen Auswüchsen nicht unbedingt praktizieren möchte, schaue ich besonders spannende Exemplare dieser kleinen Streifen gelegentlich auch an der Bushaltestation, an der Supermarktkasse oder versehentlich auf Lautsprecher bei der Arbeit. Das war zwar eher ein Unfall, aber bitte! Das Bisschen Sex hat das einschläfernde Meeting nur ein wenig aufgelockert.

Hin und wieder habe ich die späten Stunden jedenfalls auch so lange genutzt, bis es draußen wieder hell geworden ist. Wie an diesem besagten Samstagmorgen eben. Meistens wird in den entsprechenden Videos die unheimliche Erleichterung thematisiert. Die Erleichterung, die du angeblich empfindest, wenn du zu dir selbst findest und sein darfst, wer du eigentlich bist. Also, dass du dir selbst erlaubst, dass du das sein darfst. Was da so esoterisch um die Ecke kommt und klingt wie ein Selbstfindungstrip beim Schamanen im peruanischen Dschungel ist in Wahrheit nur die Klärung einer Identitätsfrage. Oder jedenfalls ein Teil der Identität. Was weiß ich, ich bin kein Psychofritze. Eigentlich geht es auch in erster Linie darum, sich dabei möglichst wohlzufühlen. Ftm oder Mtf, bei manchen Geschichten sind mir unweigerlich die Tränen gekommen.

Ich nenne mich und meine Gleichgesinnten nicht Freaks, weil ich finde, dass wir abartig sind. Ich tue es als Genugtuung all den Pradataschenträgerinnen gegenüber, die ihre Lippen aufplustern und sich für den nächsten Nagelstudiobesuch prostituieren als wäre ihr Leben davon abhängig, dass die keratinhaltige Schutzplatte ihres Fingers rosa gestrichen werden muss und glitzert wie eine mit Strass beklebte Bordelltür. Für all die engstirnigen Krawattenknoter, die nicht weiter als zwei Häuserblocks denken und andere gern in vorgefertigte Schubladen stopfen, während sie selbst als Herrscher der Kommoden ganz oben walten und entscheiden dürfen, welche Socke wo hingehört und wann der arschbackenspaltende Tanga den Slip ablöst. Für alle, die dir und allen Gleichgesinnten die Schuld daran geben, dass die Welt ist, wie sie ist. Für all die verzweifelten Eltern, die sich doch nichts gewünscht haben als einfach nur normale Kinder. Oder anders ausgedrückt – für all diejenigen, die es nicht gernhaben, wenn Menschen einfach nur ausleben, wer sie wirklich sind.

Logischerweise bin ich nicht wirklich ein Freak – und die anderen sind auch keine Freaks. Ich nenne uns einfach so. Wir sind nur das, was Leute gern als anders, seltsam, komisch, unnormal und beknackt bezeichnen. Weil wir uns nicht von den Schubladeneinweisern beeindrucken lassen und anarchistisch unsere wild gestreiften Socken links und unabhängig von ihrer Farbe tragen. Weil wir uns schminken oder nicht schminken, rasieren oder nicht rasieren, laut schrill oder viel zu leise sind. Weil wir Mankinis stylisch finden und dabei kreischend durch den 1. Bezirk laufen. Weil wir mal mehr und mal weniger zeigen, wer und wie wir sind.

Und wir sind geil so.

Ach, und falls es dir nicht aufgefallen ist: Ich verallgemeinere hier aus Prinzip und werfe mit allerhand verrückten Stereotypen um mich, damit meine überaus unpopuläre Weltanschauung für dich ein Stück plakativer wird. In Wahrheit mag ich alle Menschen gleich wenig.

I

Penis.

Ja, du hast richtig gelesen: Penis. Links, rechts, schwing dein Teil, Helikopter. Pimmelparty. Da ich jetzt deine Aufmerksamkeit habe, kann ich ja zum eigentlichen Text übergehen.

Mein Name ist Jule. So halb jedenfalls, ich will dir ja keinen Bären aufbinden. Eigentlich heiße ich Juliana, aber in meinem Freundeskreis nennt man mich Jule. Ich bin mittlerweile 25 Jahre alt und habe mich noch nicht entschieden, wie ich über diese Zahl denken soll. Ein Vierteljahrhundert klingt viel, andererseits könnte ich aber auch noch drei Vierteljahrhunderte vor mir haben. Ob das gut oder schlecht ist, wird sich wohl erst herausstellen. Ich bin dauersingle, wohne allein, wenn man die Staubmäuse und Kleidermotten oder meinen im Mietverzug befindlichen Hamster Dave nicht mitzählt. Und ich liebe es, in der Straßenbahn wie in Trance aus dem Fenster zu glotzen.

Manchmal schreibe ich dort auch handschriftlich kleine Absätze auf und ich stehe darauf, die Blicke der Neugierigen zu beobachten. Sie kennen erst keine Zurückhaltung und stecken ihre Nasen in meine Notizen, als wollten sie eine Line Koks ziehen, bis sie vor Entsetzen doch lieber aus der 37er-Linie hechten, weil ich jede Zeile einer Seite mit obszönen Kritzeleien und dem bösen P-Wort schmücke. Penis.

Aber nochmal von vorn: Mein Name ist Jule und Freud hatte recht.

Ich will gar nicht behaupten, dass jedes Wort aus seinem Mund seine Richtigkeit gehabt hat. Aber ein kluger Mann war er trotzdem. Wenn ich ihn kennengelernt hätte oder er jedenfalls heute noch am Leben wäre, würde ich ihn zu mir einladen und im Wohnzimmer auf der roten Couch ein Glas Wein mit ihm trinken. Dass mein Sofa rot ist, ist quasi Zufall. Und die Farbwahl hat nur wenig damit zu tun, dass sich Überbleibsel von Menstruationsblut nach ausführlicher Masturbation auf so einem Untergrund besser kaschieren lassen als auf Weiß. Auf meiner liegt allerdings kein Perserteppich, so gut situiert bin ich nicht und ehrlich gesagt brauche ich nicht noch einen Staubfänger.

Ich stelle mir vor, wie wir dort gemeinsam sitzen und im Stoff versinken, uns gegenseitig zuprosten und mit weit aufgerissenen Mündern lachen. Nicht, weil wir uns gegenseitig oberflächliche Komplimente machen und so tun müssen, als wären wir die besten Freunde. Wir hätten nicht nur eine Flasche Wein, sondern zwei oder drei, und an einem guten Tag würden wir uns vielleicht sogar Kuchen ins Gesicht stopfen. Auf der Straße hätte ich ihn immer begrüßt, ihn umarmt oder auf die Wangen geküsst, obwohl ich das wirklich etepetete finde. Insgeheim hätte ich ihn heiraten wollen, aus nur einem Grund: Er hatte recht.

Also, was den Penisneid angeht.

An mir baumelt nichts. Außer meine Brüste, wenn ich mich dazu entschließen sollte, keinen BH zu tragen, denn die sind trotz oder wegen meines Alters nicht besonders feste. (Zumindest habe ich immer das Gefühl, sie hätten ihre beste Zeit schon hinter sich. Auch wenn sich im Mutterleib zuerst der Anus bildet, bin ich davon überzeugt, dass meine Möpse die ältesten meiner Körperteile sind.) Sie sehen scheiße aus und ich vermeide es, sie anzusehen. Sowohl im Spiegel als auch durch das Senken meines Blickes. Im Normalfall binde ich die Fettpolster aber lieber fest, eigentlich fixiere ich sie vielmehr und wenn es Zwangsjacken für Titten gäbe, ich hätte welche. Das ist nicht sonderlich ungewöhnlich, schließlich bin ich eine Frau. Und Frauen tragen irgendwann ab Einsetzen der Pubertät und winzigen Dreieckserhebungen einfach BHs – eine gesellschaftliche Norm, der du dich heute ja fast nicht mehr erwehren kannst.

Ich bin also weiblich.

Zumindest sagte das wohl der Arzt meiner Mutter, als er mich aus dem Geburtskanal rausgefischt und recht schnell bemerkt hat, dass meine primären Geschlechtsmerkmale größtenteils nicht mit freiem Auge erkennbar sind. Abgesehen von meiner Vulva, wenn ich die Beine spreize. Ich denke jedenfalls, dass er das getan hat, ich habe meine Mutter nie gefragt, wie die Atmosphäre im Kreissaal so gewesen ist und ob ich einfach nur rausgeflutscht bin wie eine geölte Sardine oder ob sie sich stundenlang abgequält hat, um einen ausgewachsenen Blauwal durch ein Mauseloch zu pressen. Aber ich tippe mal eher auf Letzteres. Denn mal im Ernst, das ist meine Lebensphilosophie: Wieso einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Man munkelt außerdem, dass Geburten üblicherweise nicht mit Kaffeekränzchen zu vergleichen sind.

Na jedenfalls steht es deswegen auch so auf meiner Geburtsurkunde und in allen anderen Dokumenten zu meiner Person. Juliana Gruber, geboren am 10.8. in Wien, Geschlecht weiblich.

Du kannst es dem Geburtshelfer auch nicht verübeln, immerhin inspiziert sogenanntes medizinisches Fachpersonal auch nur kurz die Region südlich des Äquators, wenn sie sich kleine verschrumpelte Alienbabys zum ersten Mal ansehen. Meine Reproduktionsanlagen haben sich immer schon nach innen gewunden anstatt nach außen gedreht, entsprechend bin ich eine Frau. Es wäre noch viel seltsamer und gleichzeitig auch beunruhigend, könnten Götter in Weiß in das Innenleben von Neugeborenen hineinsehen und erkennen, womit sie es eigentlich zu tun haben. Das wäre tatsächlich ein Grund, sie so zu nennen. Schon das bloße Nachsehen zwischen den kleinen Beinchen und anschließendes Festhalten auf Papier ist eigentlich bereits ein Schritt zu weit in meine Privatsphäre, denn ich bin ihm ganz sicher nicht mit meiner Intimität voran ins Gesicht gefahren.

Aber wen kümmert das? So ein mit Plazenta und Käseschmiere bedecktes Kind ist in den ersten Momenten seines Lebens wahrscheinlich nur mit Herumplärren beschäftigt. Kein Wunder.

Ich meine, wer findet es schon super, durch einen viel zu engen Tunnel gequetscht zu werden, halb blind auf die Welt zu kommen, weil alles rundherum voller Kälte, Schleim, Blut und sonstigen Körpersäften oder Fäkalien vollgeschmiert ist, um dann als unschuldiges und wehrloses Etwas erstmal auf seine Genitalien reduziert zu werden? Wer hat dem Arzt das erlaubt? Ich ganz sicher nicht.

Er mag zwar eine halbe Ewigkeit studiert haben, trotzdem stimmt die Erkenntnis des werten Herrn von vor knapp 25 Jahren nur zur Hälfte. Und deswegen bin ich ganz auf Seiten von Freud, auch wenn der schon lange unter der Erde liegt und mir in meiner Ansicht über seine Theorie ganz bestimmt nicht recht geben würde. Vielleicht dreht er sich jetzt mehrfach im Grab um wie sich das Dönerfleisch bei Dönerbuden-Ali bei mir am Straßeneck um die eigene Achse dreht und er ärgert sich über meine 37er-Niederschriften, sodass er am liebsten wie ein Zombie aus einem schlechten Musikvideo aus der Erde kriechen und mich verfolgen wollen würde, um mein Hirn aufzufressen und diese Gedanken ein für alle Male zu vernichten. Das wäre kein Problem für mich. Ich würde Freud mein Gehirn auf einem Silbertablett servieren, wenn das ginge.

Ich finde Penisse nett ausgedrückt nicht ansprechend. Für alle, die es anders nicht kapieren wollen: Ich finde sie nicht geil.

Sie sind nicht schöner anzusehen als Vulven, die du in manchen Fällen immerhin mit Blüten vergleichen kannst, und eigentlich stelle ich sie mir in den meisten Fällen eher hinderlich vor, beim Laufen zum Beispiel oder beim Radfahren mit harten Satteln. Oder beim Reiten.

Als Ausnahme gilt wie immer ungeniertes Pinkeln an allen möglichen Orten dieser Erde, was sich bei üblem Blasendruck als überaus praktisch erweisen kann. Dafür eignen sich weibliche Geschlechtsteile zugegebenermaßen weniger gut. Vor allem weil dafür erstens immer die Hosen fallen müssen und zweitens jedes kleine Lüftchen an deinem nackten Hintern vorbeizieht. Machst du es zu oft oder zu unbedacht, ziehst du dir eine Blasenentzündung zu und du erfindest schon bald bei der Anamnese eine irrelevante Lügengeschichte, damit du dich mit Medikamenten vollpumpen kannst, obwohl du in Wahrheit nur pissen musstest. Aber anstatt auf Ehrlichkeit zu setzen beteuerst du, dass dir dummerweise die Eiswürfel am Arsch vorbeigefallen sind und du sowieso schon gehört hättest, dass der Winter dieses Jahr etwas früher einsetzen würde. Bei 38° im Schatten nämlich.

Außerdem kannst du weibliche Geschlechtsteile nur äußerst schlecht schütteln und kaum jemand läuft stets mit einer Rolle Klopapier durchs Leben. Freiluftpinkeln bleibt in erster Linie mal das Privileg der Schwänze, aber vielleicht treiben wir es noch auf die Spitze und hocken uns auch schon bald neben den Stephansdom, weil wir mal müssen und die Stimmung gerade passt oder der Gram über die Kirchensteuer einen Weg nach draußen sucht.

Trotzdem komme ich als Frau oft nicht drum herum, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich einen hätte. Damit tue ich Freud, dem Realen, nicht dem Zombie, erstmal einen Gefallen und er wird mir interessiert und mit hochgezogenen Brauen zuhören, während er seinen Rotwein schwenkt. Möglicherweise korrigiert er seine Haltung und räuspert sich, damit ich meine Ansicht kurz etwas näher ausführen kann. Das Lachen verstummt, immerhin geht es jetzt um seine Arbeit. Und er ist von der höchstprofessionellen Sorte. Ob ich damit zur Patientin degradiert werde und sich sein Interesse jetzt nur noch auf mein kleines… „Problem“ bezieht, ist mir eigentlich vollkommen schnuppe. An meiner Hingabe zu ihm ändert sich deswegen ja nichts.

Mit einem Penis meine ich kein zusätzliches Geschlechtsteil wie es in manchen Erotikmangas ab und an gern dargestellt wird. Ich würde nicht plötzlich intersexuell sein und testen wollen, was sich besser anfühlt oder mich deswegen innerlich fragen, welche Reproduktionsanlagen eher meinem Ich entsprechen. Oder ob ich lieber als Hermaphrodit weiterleben möchte, weil meine geheimen Vorbilder immer schon Regenwürmer waren. Was natürlich nicht weniger erstaunlich, gleichermaßen aber Humbug ist. Und es geht auch nicht darum, für einen Tag das Geschlecht zu wechseln, um aus purer Neugierde und spaßeshalber herauszufinden, wie sich Boxershorts unter dem Gesäß und ein mit den richtigen Stimulantien leicht erregbares Glied so machen, wenn du mit rasendem Gedankenkarussell in der U-Bahn einen Sitzplatz kriegst und die Beine übereinanderschlägst oder deine Knie zufällig die Knie deiner Nebenperson berühren.

Auch nicht, um eben mal schnell doch nicht in der Öffentlichkeit zu urinieren, weil du dich fürs Männerklo außer im Falle einer Dünnschissepidemie sowieso so gut wie nie anstellen musst und auch noch im Stehen gepisst werden kann. Und das nicht aus Furcht, sich anderenfalls einen Vaginalpilz einzufangen. Frauen steht das zwar auch frei, und ich behaupte sogar, sie haben ähnlich gutes Zielvermögen – und das, obwohl sie ihre Hände dabei nicht benutzen – aber es ist mitunter ganz schön anstrengend, in der Luft das eigene Gewicht zu balancieren, wenn du in voller Montur über einem öffentlichen Klo thronst, das vermutlich zu Kaiser Franz Josefs Zeiten zum letzten Mal geschrubbt worden ist. Denn kein vernünftiger Kopf setzt sich auf ein öffentliches Scheißhaus. Die schreien schon mit Leuchtreklame: „Vulva bitte hier platzieren, Scheidenpilz befindet sich auf Position, bereit zum Andocken!“

Ich will mich als Mann fühlen können. Für das entsprechende Körpergefühl benötigt man meines Erachtens nun einmal einen Schniedel.

Die Worte, die Sigmund auf den Lippen liegen, sind mir wohlbekannt. „Realität und Wunscherfüllung – aus diesen Gegensätzen sprießt unser psychisches Leben.“ Wenn das der Wahrheit entspricht, dann ist meine Psyche ein verdammtes Gewächshaus, aus dem das Unkraut nur so rauswuchert, in dem es liebevoll gedüngt wird und wundervoll gedeiht. Der Rasenmäher ist seit Jahren schon kaputt und die Sense ist mir zu schwer, ich bin eben ein faules Stück. Ein paar Blümchen im Kopf erscheinen mir aber auch weitaus schöner als knietiefes Moor.

Eigentlich bin ich eine frauliche Frau. Also, wenn ich morgens vor dem Spiegel stehe und mich selbst ansehe, bin ich nicht unzufrieden mit dem, was sich mir gegenüber befindet und auf mich zurückblickt. Ich habe ein Fahrgestell, das ich durchaus herzeigen kann, wenn ich Bock drauf habe. Nicht, dass ich darum außerhalb meiner eigenen vier Wände gern nackt rumlaufe oder vollends von mir überzeugt bin. Das sind Frauen doch sowieso nie, weil sie immer irgendwo eine kleine Eiterbeule oder ein störendes Haar finden, das umgehend ausgerupft werden kann. Und sie geben es nicht gern zu, aber eigentlich wollen sie nur vor dem Spiegel stehen und den Talg aus der Pore popeln, bis nur noch leicht geklärte Flüssigkeit rauskommt, weil es ihnen insgeheim Spaß macht.

In jedem Fall bilde ich mir ein, mich selbst sehr nüchtern betrachten zu können.

Mein Gesicht ist das Schönste an mir. Ich muss nicht mit meinem BMI kämpfen, aber an manchen Körperteilen ist mehr dran als an anderen. An meinem Arsch zum Beispiel. Der größte Störfaktor an meinem Ebenbild sind diese Brüste. Mir ist egal, was andere über sie denken, nur ich habe das Privileg, sie zu beurteilen. Sie haben keine schöne Tropfenform, wie du es von den halbnackten Models an jeder beliebigen Straßenecke kennst. Wenn sie mir mehr wert wären als der Rest und ich wenigstens die Monatsraten von meinem Hamster in regelmäßigen Abständen überwiesen bekommen würde, sodass ich mein Toastbrot seit Neuestem nicht auf meinem Bügeleisen braten müsste, würde ich sie operieren lassen. Damit sie da nicht traurig runterhängen wie zwei depressive Us, die versehentlich ihren Weg vom Alphabet zu meinem Körperbau gefunden haben. Außerdem sieht es so aus, als hätte die Schwerkraft auf meine linke Körperhälfte eine größere Einwirkung als auf die rechte. Also ein großes und ein kleines U. Gilt übrigens auch für Untenrum. Aber Vulvalippen formen sich eher wie ein J oder S.

Du siehst – der menschliche Körper kann ganz schön viel mit einer Buchstabensuppe gemeinsam haben.

Es sieht scheiße aus. Trotzdem weiß ich, dass das normal ist. Sie sind normal. Jule-normal eben. Das reicht eigentlich schon aus. Wahrscheinlich würde ich sie deswegen dann doch auch wieder nicht operieren lassen.

Freud hätte sein Glas spätestens an dieser Stelle abgesetzt und mit einer Serviette die Kuchenreste von seinem Mund abgetupft. Jetzt muss er sich voll und ganz dem Notieren zuwenden, damit er den tiefen Einblick in meine Psyche festhalten und nie wieder vergessen kann. Er würde mich nicht unterbrechen, weil er ein gebildeter und zuvorkommender Mann ist. Aber wenn ich beim Sprechen pausieren sollte, wird er mit Sicherheit seine Zweifel einwerfen, mich vielleicht sogar zurechtweisen. Aber auf einen Einwand warte ich geradezu. Ob er Zeit für eine Zigarre findet, ist ganz ihm überlassen. Für Freud hebe ich sogar das strikte Rauchverbot in meiner Wohnung auf.

Frauen sind grundsätzlich schöner als Männer, finde ich jedenfalls. Sie sind graziler und bewegen sich ganz anders, vielleicht haben sie ein besseres Körpergefühl und ein anderes Verhältnis zu ihrem Auftreten und fallen deswegen leichter durch ihre Ausstrahlung auf. Womöglich hat die schlaue Menschheit ihnen auch nur äußerst erfolgreich eingeimpft, dass sie ihr Leben lang lediglich auf ihr Äußeres reduziert werden und deswegen besonders Acht auf ihren Körper geben müssen. Vielleicht verkrüppelt die Evolution irgendwann ihre Füße, damit sie nur noch in hochhackige Schuhe reinpassen. Und sobald der Chromosomensatz feststeht, entwickelt sich beim Mädchen noch im Mutterleib ein Glätteisen mit dazu.

Dieses weibliche Geschöpf in meinem Spiegel ist nicht unhübsch, an manchen Tagen ist es einfach nur das – ein korrektes weibliches Wesen, mit allem, was zu einer Frau angeblich so dazugehört. Aber das bin manchmal einfach nicht ich, auch wenn ich mich dort wiedererkenne, weil ich immer schon diesen einen Körper besessen habe. Weil da immer schon dieses Muttermal unter meiner rechten Pobacke gewesen ist und sich eine Narbe in meiner Augenbraue befindet, weil ich ein dummes Kind war und gern mit Anlauf gegen Türen geknallt bin. Ein Hobby, das vielleicht auch meine Verwirrung beeinflusst hat? Freud zieht eine Augenbraue hoch.

Meistens macht das alles überhaupt keinen Unterschied. Zu 90 % wachst du schließlich nicht mit den Händen im Schlüpfer auf, um zu checken, ob Scheideneingang und Klitoris noch da sind, oder andersherum, um dich am Sack zu kratzen, bevor du geistig auch nur ansatzweise in der Lage bist, nach dem ersten Blinzeln deine Umgebung zu erkennen oder bis drei zu zählen. Den Großteil der Zeit spielt es auch keine Rolle, welcher Buchstabe hinter Juliana Gruber eingetragen wurde. Ein F für weiblich oder ein M für männlich. Es ist scheißegal, weil kein Mensch Tag und Nacht darüber nachdenkt, welchem Geschlecht er zugehört. Mein Name ist Jule und ich mache mich aus. Nicht, was auf einem blöden Bogen Papier gedruckt steht und ein Geburtshelfer beschlossen hat, als ich gerade einmal ein paar Sekunden alt war. Meine Geschlechterzugehörigkeit ist ein Teil von mir, nicht ich bin ein Teil von ihr. Sollte man meinen.

Schlussendlich ist es doch derselbe Körper, der schon immer an einem drangeklebt hatte. Ob du es willst oder nicht, bis zu einem gewissen Grad gewöhnst du dich einfach an die Umstände. Auch wenn dir monatlich ein Messer in den Unterleib gerammt wird, dort unten alles spannt und zwickt und du am liebsten nur noch FKK praktizieren möchtest, weil in ein paar Momenten sowieso wieder alles vollgeblutet sein wird. Wenn du aber gerade nicht mit Menstruieren und dem Gedanken beschäftigt bist, dir einfach selbst die Gebärmutter rauszureißen, fällt dir das Frausein gar nicht besonders auf. Was sollst du sonst auch tun? Du kannst deine Haut nicht an- und ausziehen, nach Belieben austauschen wie deine Unterhosen. „Ah, heute wär’ ich lieber Philippinin“ funktioniert eben nur im Science-Fiction-Universum, in dem du in unterschiedliche Häute steigst wie in Pkws, mit denen du dann bequem ein paar Runden drehen kannst, bis du sie parkst und dir ein neues Ganzkörperkondom besorgst. In der Realität ist das dann doch eher ungewöhnlich. Und falls du es doch tust, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass du bald hinter Gittern sitzt.

Selbst ich pappe mir tonnenweise Conditioner ins Haar (okay, ich gebe zu, dass ich ihn hauptsächlich gegen die unendlich vielen Knoten und Vogelnester benutze), Hosen mit gutem Schnitt gehören zur Standardausstattung und wenn ein wichtiger Termin ansteht, schminke ich mich sogar. An besonders guten Tagen auch mit Lippenstift, obwohl ich typischerweise finde, dass meine Zähne dadurch immer so gelb wirken wie mein Urin, wenn ich mir mal wieder besonders ungesunden Mist reingezogen habe. Und dabei ziehe ich Schlabberlook vor. Ich gehe tendenziell eher zur Arbeit und weniger zum Schönheitswettbewerb. Abgesehen davon, dass ich beim Telefonieren sowieso keinen direkten Kontakt mit Fremden oder gar Kundentermine habe, sollen die Leute mal lieber froh sein, dass ich überhaupt angezogen und nur manchmal mit Pyjama erscheine. Und scheiße, ich will mir nicht jeden Tag überteuertes Plastik in die Augen klatschen, das meine Maulwurfsehstärke korrigiert, mir die Beine rasieren oder ständig die Erben der Finsternis unter meinen Fingernägeln rauspulen. Ich hab’ echt Besseres zu tun.

Aber damit nicht genug. Und Freud würde kurz aufsehen und sich die Brille zurechtrücken, weil jetzt erst der richtig bemerkenswerte Teil folgt. Er ahnt solche Dinge immer schon im Vorhinein durch seinen sechsten Psychologen-Sinn und fordert mich mit seinem Blick auf, endlich zum Kernpunkt zu kommen, während ich immer noch finde, dass er perfekt wäre für so ziemlich jedes Unterfangen. Der Altersunterschied ist mir vollkommen egal und wenn es hilft, bin ich von jetzt an ein Vierteljahrhundert, weil es älter klingt. Denn nie müsste ich mir Gedanken darüber machen, dass er mich falsch interpretiert. Weil Freud recht hat.

Auch an den unzufriedenstellenden Tagen wachst du nicht mit der Hand zwischen den Beinen auf, aber spätestens, wenn du deinen inneren Schweinehund überwunden hast und dich aufrappelst, wird dir vor dem Spiegel klar, wie beschissen eigentlich alles ist. Die schmalen Schultern und dieses runde Gesicht. Deformierte Titten, die da überhaupt nicht hängen sollten, und so ein gebärfreudiges Becken, dass die engsten Hosen es nicht hinkriegen, irgendwas zu kaschieren. Du müsstest schon einen ganzen Parmaschinken abschneiden, um das wieder in Ordnung zu kriegen. Eigentlich ganz okay für eine Frau, ja schon. Aber dann steht dort Jule, weil Jule eben mein Name ist. Nicht, weil ich Jule bin.

Ich sehe auch Jule, so wie alle anderen auch. Jule, die Frau. Ein ehrliches Gefühl sagt mir nur, dass es Julian ist, der mir da aus diesen haselnussbraunen Augen entgegenblickt. Und Julian empfindet genau das, was Dr. Freud schon früh festgehalten hat. Beim Anblick seines eigenen weiblichen Genitals überkommt ihn ein Kastrationsschreck. Er ist Julian!

Der irgendwo auf dem Weg von der Gebärmutter seiner Erzeugerin in die Hände des Geburtshelfers seine Eier verloren haben muss. Wo sind sie hin und können die ohne bleibende Schäden wieder drangenäht werden? Stecken die noch in der Geschlechtshöhle seiner Mutter? Denn er hätte sie zusammen mit seinem Penis gerne zurück. Voll funktionsfähig, damit keine Gelegenheit ausgelassen werden kann, unterm Nachthimmel an einen Betonpfeiler in der Innenstadt zu pinkeln. Hin und wieder auch dazu, sich seiner Anwesenheit durch das Einklemmen im Reißverschluss zu erinnern. Das kann einer Frau selten passieren. Sie muss bestenfalls das winzige Stück Unterwäsche aus den dunklen Ecken da unten rausfummeln.

Im Gegensatz zu Jule ist Julian mit der Gesamtsituation immer unzufrieden. Kein Wunder, so wie er aussieht. Dabei wäre er eigentlich sehr leicht zufriedenzustellen. Aber was soll ein Kerl mit Möpsen auf der Brust? Es soll ja welche geben, die im Geheimen von derartigen Spontanmutationen träumen und sich wünschen, zu jeder Tageszeit an so einem handfüllenden Gewebe rumzuspielen. Nicht er.

Und schon gar nicht an sich selbst.

II

Wenn Julian die Wahl hätte, würde er sich seine Brüste mit einem Fleischmesser amputieren. In etwa so, wie du dir bei einem Migräneanfall eine Kopftransplantation wünschst oder bei einer üblen Mittelohrentzündung den Drang verspürst, mit einer Stricknadel alles im Schädelinneren mal ordentlich durchzurühren. Natürlich ohne Möglichkeit auf Rekonstruktion des Urzustands, was bei deinem Gehörgang meistens wenig wünschenswert ist und ein Leben ohne Kopf gestaltet sich im Übrigen auch ein bisschen schwierig.

Er würde sich ohne Betäubung (dafür bleibt keine Zeit und der Wodka ist wahrscheinlich alle) in die Badewanne stellen, unten ansetzen und dann mit ruckartigen Bewegungen durch das ungeliebte Fettgeschwabbel schneiden, das da unnötigerweise an ihm herumschlenkert. Es gibt ihm keinerlei Zufriedenheit, nicht den leisesten Anflug von Erregung und schon gar nicht haben diese Titten etwas mit einem primitiven Wunsch zu tun, permanent ein Polster für nervöse Hände bei sich zu haben. Andere Männer können behaupten was sie wollen, es ist absoluter Bullshit, eine halbe Frau vor sich herzuschieben. Dieser spielerische Gedanke ist nur in der Fantasie unterhaltsam, nicht in der Realität. Wobei es sich genau genommen eher nur um eine Speckschwarte handelt. Aber theoretisch könnte man sie knusprig in Öl rausbraten. Es bleibt also nur eine Wahl übrig: kurzer Prozess.

Sie sind unnötiger Ballast, den er als Mann nicht mit sich führen sollte.

Dabei sind sie noch nicht einmal sonderlich groß – eine Handvoll. Auch wenn es um ein Vielfaches leichter ist, ein kleineres Körbchen zu verstecken, abzubinden und mit aller Gewalt in einen etwas zu kleinen Sport-BH zu stopfen, irgendwie schmerzhaft zur Seite und wenn möglich bis unter die Achseln zu drehen, damit wenigstens in weiten T-Shirts die Brust einigermaßen flach aussieht... Im Grunde ist es scheißegal. Sie sind da und sie stören. Die Dinger haben weder eine Funktion, noch sind sie besonders empfindlich, da kann ich ihm beipflichten. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob du unsere Brüste streichelst oder eine tote Katze, in beiden Fällen ist keinerlei Regung zu erwarten. Wenigstens hätte die Katze aber noch weiches Fell und unsere Haut ist… Na ja, sagen wir mal: an manchen Stellen etwas dellig, wenn nicht mit der Kraterlandschaft des Mondes zu vergleichen.

Unser größtes Wiedererkennungsmerkmal, wenn du so willst.

Wie zwei ausgebuchtete Anomalien sind diese Brüste also einfach nur an Julian dran. Die einzige Ausbuchtung an seinem Körper sollte sich wenn überhaupt, dann in seinem Schritt befinden, nicht gut einen halben Meter weiter höher und in doppelter Ausführung, mit ungleich großen Warzenhöfen und der Empfindlichkeit, die Menschen ansonsten nur im Zustand der Leichenstarre aufweisen.

Wahrscheinlich wären sein Selbsthass und auch seine für Außenstehende unerklärlichen Wutausbrüche irgendwo in schwindelerregenden Höhen, wenn er anstatt eines soliden Bs seine Möpse gerade einmal in einen Büstenhalter mit Aufschrift D reinbringen würde. Meistens liegt die üble Laune in der unendlichen Unzufriedenheit begründet, obwohl er noch Glück im Unglück mit diesem Frauenkörper hat. Immerhin schafft er es irgendwie doch, seine Brüste hügelmäßig einigermaßen seinem Bauch anzupassen, auch wenn es manchmal lange dauert, mit zu wenig Luftzufuhr und krächzendem Atem verbunden ist oder gar noch höllisch schmerzt. Trotzdem kann Julian nicht einfach verdrängen oder vergessen, dass nichts an ihm so ist, wie es sein sollte. Spätestens beim Abnehmen der Bandagen wird ihm erneut klar, dass er nichts als eine zu bearbeitende Baustelle ist.

Bevorzugtes Hauptwerkzeug: Fleischmesser.

Komischerweise stört es ihn weniger, anstatt eines Schwanzes eine Vagina zu besitzen. Er hat weniger das Bedürfnis an einen Betonpfeiler zu pinkeln oder sich einen runterzuholen, als irgendwie seine Relieftitten dem Rest möglichst anzugleichen. Es ist aber auch viel leichter, auf etwas zu verzichten, das nie da war, als etwas loswerden zu wollen, das nahtlos an einem dranklebt und weg muss. Außerdem ziehen ihm die wenigsten Leute auf offener Straße die Hosen runter oder fassen auf der Suche nach Kronjuwelen einmal in seine Shorts rein, um sich seines Geschlechts zu überzeugen. Aber wer Möpse mit sich rumträgt, der trägt nun mal beschissene Möpse mit sich rum. Die musst du nicht angrabschen, um dir sicher zu sein, dass sie da sind. Sie sprechen für sich selbst und sind zwei sehr ausschlaggebende Argumente.

Aber wenn er die Wahl hätte, dann würde Julian wohl auch gern einen Penis besitzen – ganz klar.

Während ich so bei meinem Keks abbeiße und abermals bemerke, dass Freud mich eindringlich mustert wie ein Versuchskaninchen, werden mir gleich zwei Dinge bewusst. Erstens, Julian würde sich kaum mit Sigmund auf ein Sofa setzen und ungeniert aus dem Nähkistchen plaudern. Er ist nicht der Typ, der schluchzend sein Gesicht in einem Taschentuch versteckt und sich an einen Psychoanalytiker klammert, in der Hoffnung, er beendet sein Leiden mit ein paar geschickten Handgriffen. Schnipp schnapp, Titte ab. Das liegt daran, das er sich einfach selbst eine Lösung sucht. Es muss ja schließlich schnell gehen. Zweitens, es macht mich irgendwie an, dass sich außer mir noch jemand dafür interessiert, wie mein Leben so abläuft. Absolute Aufmerksamkeit von einem Erwachsenen, reif, intelligent, mit mehr Gedanken in einer Millisekunde in seinen Gehirnwindungen als die meisten in ihrem ganzen Leben in ihren Matschbirnen auf die Reihe bekommen.

---ENDE DER LESEPROBE---