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Sie hat das Gesicht einer Madonna, aber ein Herz aus Dollarscheinen. Nach seinem Ausbruch aus dem Gefängnis begegnet Tim Sunblade der Prostituierten Virginia. Als er feststellt, dass die ungewöhnlich wortgewandte Zehn-Dollar-Schlampe sich nur für Geld interessiert, weiß er, dass er für seinen geplanten Raubüberfall die richtige Partnerin gefunden hat. Tim ahnt nicht, dass dieser Engel mit den lavendelgrauen Augen sein Albtraum wird ... Bill Pronzini: »Black Wings Has My Angel ist unbestreitbar ein Noir-Klassiker, und uneingeschränkt empfehlenswert.« Legendär, ein Juwel des American Noir, das sich mit den besten Werken von Jim Thompson, Cornell Woolrich oder David Goodis messen kann. Zum ersten Mal auf Deutsch.
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2025
Aus dem Amerikanischen von Martin Ruf
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Black Wings Has My Angel
erschien 2016 im Verlag Eraserhead Press.
erschien 1953 im Verlag Gold Medal Books.
Copyright © 1953 by Elliott Chaze
Copyright © dieser Ausgabe 2025 by Festa Verlag GmbH
Justus-von-Liebig-Straße 10
04451 Borsdorf
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
Lektorat: Joern Rauser
Titelbild: Verena Tapper / via 99design
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-98676-221-6
www.Festa-Verlag.de
Für Jane Grigsby,
die absolut großartig ist.
ERSTER TEIL
1
Mehr als 16 Wochen lang hatte ich als Hilfsarbeiter auf einer Bohrinsel im Atchafalaya River die großen, silbernen Bohrgestänge geleert, die Säcke mit Bohrschlamm vom Frachtkahn ans Ufer geschleppt, den Rücken belastet, mit den Muskeln gearbeitet und im Kopf auf Leerlauf geschaltet. Ich brauchte nämlich jede Menge Leerlauf. Nach ungefähr 1800 Metern Tiefe drehten wir das Gestänge ab, und dann gaben sie das Bohrloch auf, zahlten uns aus und sagten, wir sollten in zwei, vielleicht in drei Monaten wieder anfragen.
Benson, der kleine, verrückte Bohrleiter, meinte, ich hätte gut gearbeitet. Er sagte, die meisten großen Männer auf einer Bohrinsel seien schlampig und langsam, doch ich hätte mein Gewicht eher so eingesetzt wie ein kleiner Mann, und wenn er die nächste Probebohrung organisieren würde, wäre ich seiner Ansicht nach so weit, direkt auf dem Bohrturm zu arbeiten. Er sagte, ich sei zu gut, um meine Arbeitskraft »unten auf der Plattform mit den Mulis« zu verschwenden. Er wollte mich lieber oben haben, mit dem Wind in meinem Haar und 20 Cent mehr pro Stunde auf meinem Gehaltsscheck. Ich habe es gerade noch geschafft, ihm nicht ins Gesicht zu lachen.
Jetzt fühlte sich das heiße Seifenwasser in der altmodischen Badewanne in dem kleinen Hotel in Krotz Springs einfach nur wunderbar an.
Fast vier Monate lang hatte ich kein heißes Bad mehr gehabt. Die Seife war ölig und duftete, und wenn sie über meine Brust glitt, bildeten sich kleine runde Bläschen, von denen jedes mit dem milchig-grünen Wasser gefüllt war. Ich sank so tief in die Wanne, dass mein Kinn genau auf der Wasseroberfläche ruhte. Dann seifte ich mir den Kopf ein und schrubbte ihn mit den Fingerspitzen und Fingernägeln. Danach tauchte ich noch tiefer in das heiße Wasser ein, hielt den Atem an und spürte, wie sich der Monate alte Schmutz von mir löste. Ich trage mein Haar immer kurz, und zwar so kurz, dass ich die Seife mit den Fingernägeln einmassieren kann, wenn ich mir den Kopf wasche. Diesen Trick verdanke ich der Washington and Lee University. Es ist allerdings so ziemlich das Einzige, was sie mir in diesem wunderbaren, kulturbeflissenen und an Frauen armen Nest beigebracht haben, wo sich die Studenten gegenseitig mit »Gentleman« ansprechen und einem angesichts dieser entsetzlich eleganten Beaniemützen, die die Studienanfänger tragen, geradezu übel wird. Dort betritt kein einziger Mensch den sorgfältig gestutzten Rasen, alle sind immer so anständig, dass es schon wehtut.
Der Page klopfte an die Tür des Schlafzimmers, während ich noch immer unter Wasser war.
Ich war überrascht, ihn überhaupt hören zu können. Das Geräusch drang durch die dicke Stahlwanne und das Wasser, ein hämmernder, klingelnder Ton. Ich tauchte auf und sagte ihm, dass ich käme, sobald ich mich abgetrocknet hätte, und er antwortete mit dieser müden, vollkommen neutralen Stimme, die für Hotelpagen so typisch ist: »In Ordnung«. Während ich mich abtrocknete, klopfte er schon wieder, und ich hatte gerade das Handtuch um mich geschlungen, als ich an die Zimmertür kam, die auf den flohverseuchten Flur mit den käsefarbenen Wänden führte.
»Hier ist sie«, sagte er.
Und da war sie wirklich. Vermutlich werde ich immer daran denken, wie ich sie das erste Mal gesehen habe, als sie in diesem halbdunklen Flur stand, und neben ihr der Page aus einem Provinzhotel, der wie der Affe eines Leierkastenspielers angezogen war und sich mit einem schiefen Grinsen beinahe an sie lehnte.
»Sie ist ein echter Hingucker, stimmt’s, mein Junge?«
Ich bestätigte, sie sei tatsächlich ein echter Hingucker. Er wusste das zu schätzen und lächelte, wobei er viel zu viel von seinen Zähnen sehen ließ. Er sagte, er sei froh, dass sie mir gefalle; sie sei die Beste in Krotz Springs, und nur Gott allein wisse, warum sie in einem kleinen Fischerdorf am Atchafalaya herumhänge, obwohl sie doch in New Orleans oder Memphis oder jeder anderen Stadt leben könnte mit ihren Beinen und ihren guten Manieren und alledem.
Sie sagte nichts.
Ihre Augen waren lavendelgrau, sie hatte helles, fast cremefarbenes goldenes Haar, das federnd erschien und sich eher leicht gewellt als eindeutig lockig an ihren Kopf schmiegte. Sie trug ein marineblaues Barett, das einen an europäische Filme denken ließ.
Und dann waren da das Haar, das Gesicht und außerdem ein langer, locker sitzender, metallfarbener Regenmantel, der ziemlich nass war und einen kalten, frischen Geruch in das muffige Zimmer trug. Schließlich habe ich ihre Beine gesehen. Der Kommentar des Pagen war keinesfalls ein Witz gewesen. Und dann gab es da noch ihre Füße, breit, rundlich und so kurz wie die eines Babys. Die Schuhe wirkten eher teuer. Sie waren aus braunem Veloursleder und schimmerten feucht.
»Um Himmels willen, gib ihm seinen Dollar«, riet sie, wobei sie überhaupt kein Gefühl in ihre Bemerkung legte, egal was für eins.
Ich ging zum Schreibtisch, holte den Dollar und gab ihn dem Pagen. Wieder lächelte er so grässlich und verschwand.
Sie kam herein, schloss die Tür, und dann waren wir zusammen in diesem Zimmer, einfach so. Das waren wir zwar einerseits, andererseits aber auch nicht. Nach 16 Wochen auf einer Bohrinsel ist es ein angenehmer Schock, wenn man entdeckt, dass man keinen Schlamm in den Ohren hat und sich mit einer jungen, teuer aussehenden Frau mit lavendelgrauen Augen allein in einem Zimmer befindet.
»Hallo«, sagte sie, im Ton noch immer ganz nüchtern.
Ich glaube, ich habe gegrinst. Ich erinnere mich, dass dieses stoische Auftreten à la Buster Keaton nicht zu der anmutigen Schönheit ihres Gesichts zu passen schien – es passte auch wirklich überhaupt nicht. Als sie sich auf das eisenhart gestärkte obere Laken des Bettes fallen ließ, gab dieses ein komisches Knistern von sich.
Ich sagte: »Wenn ich gewusst hätte, dass das hier so förmlich wird, hätte ich mir ein hübscheres Handtuch umgebunden.«
»Ich bin müde«, sagte sie. Ihre gewölbten Hände lagen auf dem aluminiumfarbenen Gummi des Regenmantels auf ihren Knien. »Wir sollten uns die Witze ersparen.«
»In Ordnung.«
»Mach niemals Witze mit einem müden Flittchen«, riet sie mir. »Niemand wird so müde wie ein müdes Flittchen.«
Dann erschauderte sie und sagte, sie könne einen Drink vertragen. Ich schenkte ihr einen Bourbon on the rocks ein, indem ich das Glas aus dem Badezimmer holte und alles nahm, was vom Eis noch übrig war. Ich machte eine gemächliche Zeremonie daraus, zum Teil weil der orangerote Bourbon so hübsch aussah, als er gegen das Eis schlug, zum Teil aber auch, weil ich wollte, dass ihn das Eis ein wenig verdünnte, und zu einem weiteren Teil, weil meine Hände zum ersten Mal seit langer Zeit sauber waren und mir das quietschende Geräusch gefiel, das das Glas an meinen sauberen Handflächen machte.
»Er ist gut«, sagte sie, ohne das Gesicht zu verziehen, so wie die meisten Frauen, wenn sie fast puren Whiskey tranken.
»Du meinst, er war gut.«
»Ich könnte noch einen vertragen.«
»So, wie du aussiehst, könntest du die ganze Flasche vertragen.«
»Das ist möglich.« Sie nickte und musterte mich von oben bis unten. Weder anerkennend noch verletzend, sondern so, wie man ein Gebäude oder einen Berg oder einen Ameisenhügel betrachtet: Sie schaute einfach nur. Ich stand da und nahm es hin, während mich der dünne Strohteppich an den Sohlen meiner vom Wasser aufgeweichten Füße kratzte. Ich verspürte den lächerlichen Impuls, mich vorzustellen und in eine klassische Salonplauderei einzusteigen, in der es darum ging, wo man herkam und welche gemeinsamen Freunde man möglicherweise hatte. Und ihr zu erklären, warum ich ein Handtuch trug. Und ihr zu sagen, dass der Page mich vollkommen falsch verstanden und ich eigentlich ein großes, dämliches, kommerzielles Stück Frau gewollt hatte; und kein schlankes und so gelassenes Ding, dessen Haut die Farbe von in Honig geschmolzenen Perlen hatte.
Stattdessen schenkte ich uns die Drinks ein; diesmal mischte ich sie mit lauwarmem Wasser.
Der Regen schlug wie ein Rammbock gegen die Fenster und das Blechdach des Hotels. Zuerst strömte er mit einem zischenden Dröhnen herunter, dann mit einem Flüstern und schließlich mit einem lauten Schmirgeln, als riebe jemand mit Sandpapier über Holz. Sie leerte auch das zweite Glas, stand vom Bett auf und begann, sich auszuziehen. Und dann – während die nackte Glühbirne noch immer ihr grelles Licht auf das Bett warf – waren wir zusammen.
Wenn ich jetzt daran zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an die dümmsten Dinge: an die straffe Falte unmittelbar über ihrer Hüfte in ihrem Kreuz. Daran, dass sie nach Babyatem roch, ein süßer, kaum wahrnehmbarer Geruch, der sich immer weiter zurückzog, sodass man nie sicher sein konnte, ob er wirklich da war – gleichgültig wie nahe man ihm kam. An die braunen Flecke in ihren lavendelgrauen Augen, die dicht unter der Oberfläche dahintrieben, als ich sie küsste. Wobei die Augen weit offen und aufmerksam waren. Und doch gleichgültig. Die Augen eines Gourmets, dem man ein Stück altes Brot anbietet, das er eher aus Notwendigkeit annimmt, ohne mehr Geschmack dabei zu empfinden, als unweigerlich nötig ist. Ich erinnere mich, dass ich aufstand und zu ihr zurückkam, und daran, dass ich später, als der Whiskey aufgebraucht war, einen Schuh gegen die Glühbirne warf. Ich erinnere mich auch an den Geruch der regnerischen Dunkelheit im Zimmer und daran, wie ich ihr sagte, dass ich mir am Glas der Glühbirne auf dem Boden die Füße aufgeschnitten hatte. Und daran, wie sie sagte, ich selbst sei auch nicht besser als ein Flittchen; und dass ich sie im Rhythmus der Regenböen auf dem Dach liebte – wirklich, genau das habe ich getan. Aber damals kam es mir ganz natürlich vor. Und ich fühlte mich so wunderbar sauber, von Kopf bis Fuß eingeseift und im Einklang mit dem ganzen verdammten Universum, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte selbst als Wolke in den Himmel aufsteigen und herabregnen und zu Blitzen werden, die das käsefarbene Zimmer in Fetzen rissen.
Früh am nächsten Morgen war ich auf, um noch mehr Wasser und Seife abzubekommen. Sie kam schon ins Bad, während ich noch in der Wanne war. Sie war angezogen und sagte mir, dass sie jetzt gehen werde und es eine nette Nacht gewesen sei. Sie sagte es mit der leisen, künstlich klingenden Stimme eines Kindes, das eine Geburtstagsparty verlässt, und schien mit ihren Gedanken bereits irgendwo anders zu sein. Ihre Augen waren klar, sie hatte frischen roten Lippenstift aufgetragen. Dass ich gerade ein Bad nahm, schien ihr nicht mehr zu bedeuten als die Risse in den Kacheln an der Wand.
Ich hievte mich aus der Wanne, hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer zurück. Und nun dauerte es drei Tage, bis wir das Zimmer verließen. Zusammen. Sie sagte, es sei wie in dem Lied, das sie immer wieder in dem kleinen Radio auf dem Nachttisch spielten: »If You’ve Got the Money, Honey, I’ve Got the Time.« Die simple Melodie und die Worte klangen ganz komisch, wenn sie in ihrer kultivierten Wellesley-Art mit ihrer kaum wahrnehmbar abgehackten, damenhaften Stimme aus ihrem Mund kamen.
»Aber wenn das Geld weg ist«, sagte sie, »bin ich auch weg. Ich schlafe mit niemandem mehr, nur weil es besonders aufregend wäre.«
»Hast du das überhaupt jemals getan?«
Sie lachte. »Belassen wir es einfach dabei: Jetzt mach ich es nicht mehr.«
Für mich war das in Ordnung. Nach Monaten auf dem Fluss war ich nicht grade wählerisch, was die Nuancen einer Romanze anging – ich wollte nur so viel wie möglich davon. Und damals wäre es mir genauso wenig eingefallen, mich in sie zu verlieben, wie mir eine Mahlzeit aus der großen, gelben Seife in dem viktorianischen Bad zuzubereiten.
»Wenn das Geld weg ist«, sagte ich zu ihr, »werde ich wahrscheinlich auch genug von dir haben.«
»Das hoffe ich.«
»Warum?«
»Weil es besser sein wird, wenn du genug von mir hast.« Aber wie ich schon sagte, als wir das Hotel verließen, verließen wir es zusammen. Der gute alte Page mit dem komischen Gesicht brachte unser Gepäck zu meinem Packard-Cabrio; er schleppte die Taschen einen Block weit bis zu dem Parkplatz unten am Fluss, wobei er bei jedem Schritt schief grinste.
Ich gab ihm einen Dollar und dann, nachdem er die Taschen im Kofferraum zwischen den Heckflossen verstaut hatte, noch einmal 50 Cent.
Der Packard war eigentlich nicht schlecht, wenn man so viel Zeug unterbringen wollte, und in Alexandria legte ich bei einem Gebrauchtwagenhändler einen Stopp ein und kaufte ein paar Louisiana-Nummernschilder mit dem weißen Pelikan darauf. Nur für alle Fälle. Der Mann gab sie ziemlich billig ab, und sobald sie in den vernickelten Fassungen befestigt waren, schimmerten sie auch angenehm.
Kurz nachdem wir auf die Brücke über den Red River gefahren waren, ließ ich meine Mississippi-Nummernschilder über das Eisengeländer segeln und sah zu, wie sie zwölf Meter unter mir im Fluss aufschlugen und das Wasser spritzen ließen. Sie beobachtete mich, indem sie sich in ihre ledergepolsterte Ecke lehnte und wortlos rauchte.
Nichts schien sie zu überraschen: weder das Auto noch die Nummernschilder, und auch nicht die Tatsache, dass sie sich mit einem Fremden auf eine Reise machte, deren Route nirgendwo verzeichnet war. Der Wind peitschte ihr helles Haar wie in der Limonade-Werbung, also auf eine schöne und bereitwillige Art. Die geteerten Querstreifen auf dem Highway hämmerten in immer rascheren Abständen gegen die Räder, bis das Hämmern zu einem Summen wurde. Die Luft war mild, aber noch nicht tot. Und über allem lag das sehr gute Gefühl, ein Ziel zu haben.
2
In Dallas kam es irgendwie dazu, dass ich wenden musste und durch ein Nobelviertel fuhr, wie der Home-and-Garden-Club sie liebt. Da waren alle Häuser aus langen, dünnen Wänden gebaut, die aus römischem Backstein oder fleckigen Feldsteinen bestanden und weit von der Straße zurückgesetzt waren. Ihre Panoramafenster schimmerten in der späten Sonne wie Goldfolie. Wir fuhren an einer Art Club vorbei, wo kleine, gelenkige Kinder mit bewundernswerter Lässigkeit ein paar brandneue Tennisbälle hin- und herfliegen ließen, wobei die Schläge, die sie bei – sicherlich – teuren Trainern gelernt hatten, fast unverschämt wirkten. Als dieser Stadtteil hinter uns lag, sahen wir ein paar schmuddelige Jugendliche, die einen alten, grauen Ball über ein graues Asphalt-Spielfeld droschen. Das war ein öffentliches Spielfeld mit ausgefranstem Hühnerdraht als Bande.
Diese Kinder spielten aggressiv, ruckartig und schnell, ihre Bewegungen waren hässlich und entschlossen. Sie schlugen auf den Ball ein, als wollten sie eine Schlange umbringen.
»Es ist schon seltsam«, sagte sie zu mir, »sie können dasselbe Spiel spielen, und doch ist es völlig anders. Das muss am Geld liegen.«
»Ja.«
»Alles stinkt ohne Geld.«
»Fast alles.«
»Eines Tages werde ich mich wieder darin aalen. Ich werde mich splitternackt ausziehen und in kühlen, grünen 100-Dollar-Noten baden.«
»Du hast ›wieder‹ gesagt.«
»Wirklich?«, fragte sie neckend.
»Sag du es mir.«
»Was wäre anders, wenn es so stimmt?«
»Oh, nichts wäre anders«, antwortete ich. »Überhaupt nichts. Aber es ist schon komisch, wie du mit deinen teuren Lederschuhen mit zweifarbigem Einsatz und deinem Millionen-Dollar-Gepäck die ganze Zeit versuchst, wie eine Zehn-Dollar-Schlampe mit rußiger Stimme zu klingen. Du wirkst irgendwie merkwürdig.«
»Sei nicht so ermüdend.«
»Genau das ist es, was ich meine, solche Wörter wie ›ermüdend‹. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie gehört, dass ein Flittchen ›ermüdend‹ gesagt hat.«
Jetzt hatte sie das Interesse verloren. »Eines Tages«, sagte sie, »werde ich in 100-Dollar-Noten baden, und zwar in neuen, die nie zuvor jemand benutzt hat.« Sie kicherte. Das war ein leises, helles Geräusch vor dem tiefen Summen des Packard im Hintergrund. Sie atmete ganz eigenartig, als säße ihre Lunge weiter oben, in ihren Schultern. Sie trug ein T-Shirt aus einer Art kakaofarbenem Frotteestoff, und wenn sie sich tief in ihren Sitz zurücklehnte, war das großartig anzuschauen. Ihr Rock bestand aus grauem Flanell und stand ihr so gut, als wäre er aufgemalt. Und darunter waren ihre Beine. Man hört von Beinen und liest über sie. Aber wenn man ein Paar wirklich gute Beine sieht, weiß man sofort, dass alles, was man bisher gelesen und gehört hat, nichts anderes als ein Haufen Mist war.
Ich warf meinen Kopf zurück und lachte. Dann scherten wir nach links aus. Dabei rammten wir fast einen Oldsmobile ’98, grau wie ein Schlachtschiff, und der Mann und die Frau darin reckten ihre Hälse und starrten uns im Vorbeifahren an. Wir zeigten ihnen unsere Zungen. Die beiden blinzelten ungläubig.
»Schau sie dir an«, sagte sie, »mit ihrem großen, zimperlichen 8000-pro-Jahr-Stirnrunzeln.«
Sie sagte, sie wisse, dass der Mann 8000 pro Jahr verdiene, denn er trug ein weißes Oxford-Hemd mit einem Button-down-Kragen, und als er die Stirn runzelte, machte er das genauso wie ein 8000-pro-Jahr-Typ. Als erwartete er einen Bonus dafür.
»Das ist kein schlechtes Geld«, sagte ich, um ihr auf den Zahn zu fühlen.
»Es gibt kein schlechtes Geld.«
»Oh?«
»Aber, Liebling, man muss ganze Berge davon haben, man sollte es sogar klumpenweise besitzen, denn wenn man nur kleine Häufchen davon hat, macht einen das krank und auch kleinlich.«
Es war das erste Mal, dass sie mich »Liebling« genannt und fast so etwas wie eine Rede über mein bevorzugtes Thema gehalten hatte. Ich betrachtete sie mit neuem Interesse. Man kann sagen, was man will, aber Menschen, die wirklich hungrig auf Geld sind, die einen alles verschlingenden Hunger nach Geld haben, lassen sich einfach nicht mit anderen vergleichen. Ich hatte erwartet, irgendwann genug von ihr zu haben, und geplant, sie zwischen Dallas und Denver irgendwo auf der Toilette einer Tankstelle zurückzulassen. Ich hatte ihr gesagt, dass ich Handlungsreisender sei und Novitäten und Notionen an Drugstores verkaufe und dass das Geschäft in den Wintermonaten schlecht laufe, weshalb ich auf der Bohrinsel im Fluss gearbeitet hätte, um die Flaute zu überbrücken. Es ist komisch, aber ich habe herausgefunden, wenn man jemandem sagt, dass man Novitäten und Notionen verkauft, halten die Leute es für unhöflich, zu fragen, was Novitäten und Notionen sind. Sie fragen einfach nicht mehr weiter. Aber sei’s drum. Bis sie sagte, so etwas wie schlechtes Geld gebe es nicht, wollte ich sie nach wie vor nach einem weiteren Tag oder so unterwegs loswerden. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, aber ich dachte immer noch, ich würde es tun, denn eine Frau hatte einfach keinen Platz in meinen Plänen. Die meisten von ihnen prahlen nur und man kann sie leicht durchschauen. Ich weiß nicht, warum, aber keine Frau gleicht so sehr einer anderen Frau, wie ein Mann einem anderen gleicht. Vielleicht sind es die tausend verschiedenen Arten, wie sie ihr Haar tragen oder ihre Lippen schminken. Ich weiß es nicht. Aber diese hier – mit ihrer von kakaofarbenem Frottee bedeckten Brust und den absolut perfekten Beinen – hätte auch ein Blinder an einem Freitagmittag im Rockefeller Plaza finden können.
Die Straßenschilder ergaben wieder einen Sinn, und wir wendeten noch einmal und fuhren wieder durch das Nobelviertel in Richtung Norden, bis wir den Highway erreichten, den ich gesucht hatte.
In jener Nacht hielten wir an einem Barbecue-Stand, wo eine Art Maschine unablässig die Rindersteaks über einem Kohlenfeuer wendete wie ein blutiges Riesenrad. Wir aßen langsam und spülten das fettige, geröstete Fleisch mit eiskaltem Bier hinunter, und dann rauchten wir und schwiegen. Ich wollte noch etwas Kartoffelsalat essen, und als wir ihn bekamen, beschlossen wir, ihn zu teilen und noch ein Bier zu besorgen. Vom Bier hatten wir länger als vom Salat. Nachdem wir ausgetrunken hatten, kam sie zu mir herüber, und ich küsste sie lange. Ihre Lippen waren kühl und frisch und weich. Sie küsste wie eine hervorragende Tänzerin, die ihrem führenden Partner folgt, sie gab und nahm im exakt richtigen Augenblick und ließ mich verstehen, dass da noch sehr viel mehr und dies hier nur eine Kostprobe war. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich glaube, der Kuss dauerte eine Viertelstunde. Aber ich hatte immer noch vor, sie auf der Damentoilette irgendeiner Tankstelle zurückzulassen. Denn man kann sich nicht aus dem Gefängnis freiküssen, das weiß ich mit Sicherheit. Mit absoluter Sicherheit sogar. Und noch als ich sie küsste, erinnerte ich mich in irgendeinem dunklen Teil meines Gehirns, wie sich die Einzelhaft in Parchman in Mississippi angefühlt hatte. In Einzelhaft schieben sie einem das Essen durch eine Klappe unten in der Tür, und man bekommt niemanden zu sehen, absolut niemanden. Ich habe das Tablett immer zurück durch die Klappe getreten und sie in der Hoffnung, dass sie reinkommen und mich zusammenschlagen würden, mit Flüchen überschüttet. Ich habe einfach alles getan, um die Monotonie zu unterbrechen. Aber sie kamen nicht herein. Ich habe Schattenboxen gemacht, um mir die Zeit zu vertreiben. Es gab kein Fenster, nur eine gelbe Glühbirne mit den Innereien von Käfern darauf, und ich wusste nie, ob es Tag war oder Nacht, ob es regnete oder die Sonne schien, ob Sonntag war oder was auch immer. Man kann sich nicht aus einem solchen Ort freiküssen, und es gibt kein Barbecue und auch kein kaltes Bier dort.
Trotzdem, falls sie so fahren konnte, wie sie im Bett war … Ich überließ ihr das Steuer, als wir den Barbecue-Stand verließen, und sie fuhr so elegant, wie man es sich nur wünschen konnte, vom Kiesweg herunter auf die Straße. Sie kam ohne die geringste Unsicherheit mit dem Automatikgetriebe zurecht und sie fütterte den schweren Wagen mit einem ziemlich gleichmäßigen Strom von Benzin.
Ich rauchte noch eine Zigarette und legte mich dann schlafen. Ich spürte das gut gepolsterte, kühle Leder an meinen Schultern und glitt, die Knie unter dem Armaturenbrett, die Lederrippen hinab. Dann war ich wieder in Parchman, und alles war grau, die Steine, die Menschen, die Luft. Nach dem Mittagessen liefen die Knastbrüder auf dem großen, ovalen Innenhof herum und warteten, bis sie zur Arbeit gerufen wurden. Das Oval war von drei Stockwerken mit umlaufenden Balkonen umgeben, und da war Shorty, ganz oben, im dritten Stock, genau wie im letzten Sommer. Er hatte das graue Eisengeländer umklammert und schrie. Dann fing er an, sich gegen die Brust zu schlagen, genau wie ich es erwartet hatte, und dann kletterte er auf das Geländer, schwankte eine endlose Sekunde lang hin und her und vollführte schließlich einen vollendeten Schwalbensprung. 18 Meter tiefer schlug er mit Brust und Kinn auf dem gepflasterten Boden auf. Das Geräusch glich keinem anderen, das man jemals zu hören bekommt. Nicht laut. Nicht leise. Ich rannte zu ihm, aber da waren schon eine Menge anderer, und ich konnte nicht zu ihm durchdringen, denn sie machten bereits sauber und rollten ihn auf eine Plane. Das Einzige, was ich nach seinem Aufschlag jemals wieder von ihm zu sehen bekam, war der dunkelgraue Fleck auf dem hellgrauen Steinboden. Alles spielte sich jetzt genauso ab, wie es wirklich gewesen war, und wieder stand Jeepie am Rand der schwitzenden Gruppe und versuchte, eine Zigarette zu schnorren. Und Thompson weinte und sagte, dass Shorty früher ein Mitglied der amerikanischen Amateur-Turmspringernationalmannschaft gewesen und es der beste Weg für ihn war, so zu sterben – vor aller Augen. Thompson sagte, Shorty habe diesen Schwalbensprung auf den Steinboden so elegant gemacht, als würden ihm die Juroren bei einem Wettkampf Punkte dafür geben. »Siehst du, wie er die Füße aneinandergelegt und den Rücken durchgedrückt hat?« Sie mussten Thompson irgendwohin bringen, aber einen Tag später stand er schon wieder im Lederwarenladen und war ganz der Alte und so grau wie immer. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er Shorty noch einmal erwähnt hätte, ganz gleich auf welche Art.
Der Traum löste sich auf in himbeerfarbenen Lippenstift und lavendelgraue Augen mit Flecken darin und in einen Wirbel nach Baby riechenden Haars und in das Lied, das gerade im Radio lief: »If You’ve Got the Money, Honey, I’ve Got the Time.« Und dann kehrte er übergangslos und ohne zu verschwimmen ins Gefängnis zurück. Wir trugen die schmutzigen blauen Uniformen der Wachen, und da war Blut, klebrig und frisch, am linken Ärmel meiner gestohlenen Jacke. Wir gingen mit einer Holzleiter zur Betonmauer, Jeepie vorn, ich in der Mitte und Thompson am Ende der Leiter. Das Licht kam wie eine lange, klare Röhre vom Wachturm herab. Es schwankte hinter uns, bewegte sich hin und her und senkte sich dann auf uns. Fast konnte ich seine kalte Hitze spüren. Es blendete mich so sehr, dass meine Augen schmerzten, und mein ganzer Körper schmerzte, denn ich rechnete damit, dass man auf mich schießen würde. Der Wächter fragte in einem merkwürdigen Gesprächston: »Wer da?« Und Thompson winkte zum Turm hinauf und sagte: »Alles in Ordnung. Alles okay.« Dann lehnten wir die Leiter schräg gegen den Beton und das noch immer direkt auf uns gerichtete Licht vom Turm ließ den Quarzsand in der Mauer funkeln. Thompson und ich waren fast schon oben und über die Mauer hinweg; in der Dunkelheit auf der anderen Seite war es kalt, kalt und still. Ich sah auf, und Jeepie hing dort mit dem Bauch am Beton. Er war in goldenes Licht getaucht und ich konnte sein Gesicht mit der sich gabelnden Ader hoch oben an seinem Kopf erkennen. Und dann kam das Rattern vom Turm, kein gefährliches oder dramatisches Geräusch, sondern ein gewöhnliches Klappern, als schüttelte jemand eine Zigarrenkiste mit ein paar Steinen darin. Und Jeepies Gesicht wurde zu einem Chaos aus schimmernder Schwärze, einem modernistischen Gewirr aus Flüssigkeiten und Fleisch, in das sich die Kugeln aus dem Turm bohrten. Es war immer noch ein Gesicht, aber man konnte nicht mehr sagen, wo sich die Augen und der Mund befunden hatten, bevor das Rattern des Maschinengewehrs aus dem Turm begonnen hatte. Und dann war es überhaupt kein Gesicht mehr, also rannten Thompson und ich von der Mauer weg.
Ich zuckte zusammen, und als ich die Augen öffnete, scherte sie weit und geschmeidig um einen gelben Diesellaster aus. Gute fünf Zentimeter fehlten und wir hätten ihn gestreift, doch wir glitten an ihm vorbei und um ihn herum, als wäre unser Auto gebuttert, und dann jagte sie den Packard auf 85 Meilen hoch. Ich gähnte, kratzte mich am Kopf und suchte nach meinen Zigaretten.
Dass sie am Steuer saß, gab mir ein gutes Gefühl. Sie klebte mit dem linken Kotflügel geradezu am Mittelstreifen und folgte ihm so exakt, als wäre er eine Schiene. Ich schlief wieder ein, bevor ich die Zigaretten fand. Ich träumte wieder, und diesmal redete Jeepie die ganze Zeit über. Sein großer Plan. Wie oft hatte ich schon davon gehört. Aber jetzt sprach er durch den Mund, den das Maschinengewehr für ihn gemacht hatte, und die Worte waren zermanscht und feucht. Er sagte, als Erstes müsse man einen Wohnwagen kaufen, einen vollkommen harmlos aussehenden und besonders breiten Wohnwagen, so breit, wie es das Gesetz zuließ, und vielleicht sogar noch ein wenig breiter. Er sollte mindestens zehn Meter lang sein, sagte er, und er sollte nicht funkeln oder irgendjemandes Interesse wecken. Es musste ein langweiliger Wohnwagen sein, der aussah, als lebte jemand darin, und der Häuslichkeit ausstrahlte. Es musste ein Wohnwagen sein, der hier und da eine Delle und eine altmodische Anhängerkupplung hatte – keine hydraulischen Sachen für Jeepie –, doch der große Plan starb mit ihm oben auf der Mauer. Das Wichtigste war, dass der Wohnwagen wie ein großer Kasten sein musste, mit einer geraden, stabilen Rückwand. Die Rückwand war das Entscheidende, und Jeepie sagte auf seine feuchte Art mit seinem armen, von Kugeln geschaffenen Mund, dass nichts in Ordnung wäre, wenn die Rückwand nicht in Ordnung war.
In Wichita Falls legten wir zum ersten Mal eine richtige Pause ein; in dem dunklen, verschlafenen Hotel mit den hohen Zimmerdecken und den sauberen, gekachelten Bädern blieben wir drei Tage. Ich wurde die letzten halbmondförmigen Schlammspuren unter meinen Fingernägeln los, und gemeinsam brachten wir drei Dreiviertelliterflaschen I. W. Harper Whiskey hinter uns und noch viele andere Dinge, die hier zu beschreiben unpassend wäre. Nach dem zweiten Tag fühlte ich mich so gelenkig und leichtfüßig wie eine Gans und hatte genug davon, im Zimmer zu essen. Ihr ging es genauso, weshalb wir in die Innenstadt fuhren und in einem Restaurant mit einer hübschen emaillierten Fassade, das Steaks als Spezialität des Hauses anpries, ein paar graue Steaks aßen.
Nach dem Abendessen hielten wir an einem Schmuckgeschäft und kauften ihr einen einfachen Ehering aus Weißgold. Sie trug keinen Nagellack an ihren langen, runden Fingern, wodurch die Finger irgendwie noch nackter wirkten, und dem Verkäufer schien es wirklich schwerzufallen, ihre Hand loszulassen, nachdem er ihr den Ring übergestreift hatte. Vielleicht war dieser Ring lächerlich, vielleicht aber auch nicht. Denn immerhin würden wir immer gemeinsam ein Zimmer nehmen, und Hotelleute werden manchmal komisch, wenn nichts an den Fingern ist.
Dann gingen wir in ein Kaufhaus und ich besorgte ihr einen rosafarbenen Hüfthalter, der breite Stoffeinsätze hatte und mehrere Nummern zu groß für sie war. Die Einsätze waren wichtig, sie waren in kleinerem Maßstab sogar genauso wichtig wie die stabile Rückwand von Jeepies Wohnwagen. Wir kauften ihr auch Jeans und es war wirklich eine feine Sache, zu sehen, wie sie die Jeans vor dem dreiteiligen Spiegel anprobierte. Dabei wirkte sie wie ein einziger langer, schmaler Streifen Gold, doch hier und da gab es in der Kabine bestimmte Öffnungen, wie man sie in der Vogue sieht, wo Frauen einfach auf gewisse Art ein Bein herausstrecken und einen Fetzen Denim so aussehen lassen, als handelte es sich dabei um etwas, das man verspeisen sollte. Die Verkäuferinnen in der Abteilung für Damenbekleidung schnurrten und kicherten und gurrten, und sie behandelte sie mit einer lässigen Freundlichkeit.
Zu den Jeans bekam sie eine Denimjacke, die an jeder anderen Frau wie ein Umstandskleid ausgesehen hätte. Aber an ihr wirkte die Jacke lebendig und man konnte sofort sagen, wo sie unter all dem groben Stoff war und wo sie nicht war. Ihr teures, gedankenverlorenes Lächeln verschwand, in ihre Augen trat ein ganz neuer Ausdruck und sie tauchte praktisch in die Spiegel ein, wobei der Ehering wie sechs Millionen Dollar funkelte.
In der Nacht damals, unserer letzten in Wichita Falls, riss sie die vorgefertigten Nähte des Hüfthalters auf und nähte 1700 Dollar in die Einsätze ein. In drei dieser Einsätze waren vier Scheine, und im vierten waren fünf. Das war alles Geld, das ich auf der Bohrinsel im Atchafalaya River bekommen hatte, sowie noch ein wenig, das ich hier und da hatte verdienen können, bevor ich bei dem Bohrunternehmen angefangen hatte. Es war nicht viel, aber ich hatte eine Riesenangst davor, pleite zu sein. So fühlte ich mich schon immer, wenn es darum ging, kein Geld zu haben. Und was den Hüfthalter einer Frau betrifft: Er lässt einen an verschiedene Dinge denken, aber ganz bestimmt nicht an Geld. Ich sagte ihr, wir würden den Hüfthalter im Handschuhfach des Packard aufbewahren, denn bei ihrer Figur würde sie ihn sicher nicht brauchen, und außerdem hatte ich, wie schon gesagt, vor, sie loszuwerden, sobald sich eine günstige Gelegenheit fand.
Ich hatte noch immer fast 100 Dollar in meinem Geldclip und fand, das war mehr als genug, um uns nach Denver zu bringen. Den Rest des Geldes würden wir dort brauchen, und wenn wir es richtig einsetzten, oder besser, wenn ich es richtig einsetzte, würde ich für lange, lange Zeit in Saus und Braus leben können.
Seit wir Krotz Springs verlassen hatten, dachte ich manchmal an uns beide als »wir«. Das ärgerte mich; es roch nach Weichheit, und davon wollte ich nichts wissen. Trotzdem tauchte es immer wieder in meinen Plänen auf und machte mich zunehmend wütend, sodass ich, als wir Raton, New Mexico, erreichten, zu dem Schluss kam, dass es allmählich Zeit wurde, meine Freundin mit dem cremefarbenen Haar aufzugeben.
Und das erwies sich als so einfach, dass es schon fast enttäuschend war.
In einem der Außenbezirke von Raton, am Fuß des Bergpasses, hielten wir an einem Café samt Tankstelle und gingen hinein, um einen Kaffee zu trinken.
Wir hatten den leeren Greyhoundbus gesehen, der davorstand, und das Café war voller Reisender aus diesem Bus. Sie aßen Sandwiches und tranken Kaffee in jener gehetzten, lustlosen Art von Leuten, denen man gesagt hat, dass sie nur 15 Minuten haben, um sich frisch machen und etwas zu sich nehmen zu können. Es gab einige Tische mit Tischplatten aus schwarzem Kunststoff, auf denen man die spiralförmigen Streifen erkennen konnte, nachdem sie feucht abgewischt worden waren. Und dann eine Theke mit weißen Hockern, die rechtwinklig abknickte und am Südende des Raums zu einer Whiskey- und Bierbar führte.
Als wir hereinkamen, ließ der Lärm plötzlich nach – die Männer sahen sie an. Diejenigen ohne Begleitung starrten sie geradezu an, während die verheirateten Männer sie aus den Augenwinkeln musterten, als spielte es keine große Rolle für sie, dass sie hier war. Aber sie sahen trotzdem hin. Es war keine Frage, dass sie »es« hatte – was immer auch dieses »es« sein mochte –, sie strahlte es so eindringlich und unablässig aus wie ein kreisendes Leuchtfeuer. Und wenn man »es« nicht sah, spürte man trotzdem die Wärme und wunderte sich.
Ich nahm ihren Arm, obwohl ich mich für diese dumme Beschützergeste hasste, und sagte: »Besorgen wir uns zuerst mal einen Drink.« Es standen weniger Leute an der Bar als an der Essenstheke.
Sie rümpfte die Nase. »Ich glaube, wir haben schon zu viel getrunken. Damit man das Trinken genießen kann, darf man eine Weile lang nichts trinken. Der Kontrast ist wichtig.«
»Du kannst ja so viel kontrastieren, wie du willst. Ich besorge mir jedenfalls einen Drink.«
Auf einem der weißen Hocker an der Speisetheke saß ein noch halbwegs junger Kerl, und während wir uns unterhielten, schwang er sich herum, um sie zu beobachten. Er hatte dichte, blauschwarze Hollywood-Koteletten und trug einen Anzug, der für den Mai in New Mexico viel zu sehr nach Tweed und New England aussah. Das Jackett hatte so viele Taschen mit Stoffklappen, dass er einem Ventilator glich. Sie machte eine große Show daraus, etwas in ihrer Handtasche zu suchen, und zog einen Schmollmund, wie das nur eine Frau mit einem passenden Mund hinbekommt. Dann sagte sie, sie werde zum Auto gehen, um ihre Zigaretten zu holen, denn sie habe sie auf dem Sitz liegen lassen, und sie sei gleich wieder zurück; ich solle inzwischen schon mal meinen Drink bestellen, sie würde sich mir dann später anschließen. Dazu schenkte sie mir noch ein strahlendes Lächeln und die Tür schlug hinter ihr zu. Ich bestellte meinen I. W. Harper an der polierten Bar. Das Lächeln, mit dem sie mich bedacht hatte, war zwar in Ordnung, aber es war auch kalt gewesen, wenn Sie wissen, was ich meine: die Lippen mächtig gespreizt, aber Augen und Herz unbeteiligt. So schlief sie auch mit mir. Mechanisch wunderbar, und doch so, als würden ihre Bewegungen ferngesteuert, ohne dass sie selbst etwas damit zu tun hatte. Der doppelte Whiskey landete mit einer sanften Explosion etwa in dem Moment in meinem Bauch, als sie in das Café zurückkam. Sie schlenderte zu einem freien Hocker an der Speisetheke, und der Hollywood-Koteletten-Typ begann, kleine Happen von ihr mit den Augen zu verschlingen. Er saß zu ihrer Linken. Eine dicke Frau in einem Kleinmädchenkleid aus karierter Baumwolle saß zwischen ihnen, aber er beugte sich nach vorn, verrenkte sich und starrte sie an.
Nach und nach verließen die Busreisenden das Café, wobei einige von ihnen halbe Sandwiches und Kekse mitnahmen.
Ich nahm noch einen Drink, und als ich mich wieder umsah, war die dicke Frau verschwunden und der Spaßvogel in Tweed, der am ganzen Leib Taschen mit Stoffklappen trug, sprach mit meiner Mitreisenden. Sie sagte nichts. Andererseits zog sie sich aber auch nicht von ihm zurück, und plötzlich wurde mir klar, dass das eine günstige Gelegenheit war, einen klaren Schnitt zu machen und sie einfach auf ihrem Porzellanhocker sitzen zu lassen, während ich mich nach Denver verzog. Der Barkeeper sah mich merkwürdig an, halb amüsiert und halb besorgt. Eine Fliege stolzierte auf dem Rand meines Glases entlang, eine purpurne Fliege, deren Rücken ständig die Farbe wechselte wie die Schwanzfedern eines Hahns. An solche Dinge erinnere ich mich in aller Deutlichkeit, deutlicher als daran, wie sie aussah oder ich mich fühlte.
Ich trat von der Bar weg und ging ganz langsam zur Tür. Sie drehte sich nicht um.
Der Packard startete problemlos, und als die Räder den Kiesweg hinter sich hatten und auf die Straße rollten, trat ich vielleicht eine Minute lang das Gaspedal durch und pfiff vor mich hin: »If You’ve Got the Money, Honey, I’ve Got the Time.« Zuvor hatte es witzig und freimütig und passend geklungen. Zuvor hatte es auch fröhlich und unkompliziert geklungen. Jetzt aber schwang in der Melodie etwas Hässliches mit.
»Na ja«, sagte ich zum Armaturenbrett, »ich habe das Geld und ich habe Zeit.«
Ich lachte, aber der heiße Wind New Mexicos riss mir das Lachen aus meinem Mund, bevor es zu hören war. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und lachte noch lauter, aber es klang nicht besser. Ich fuhr an den Straßenrand, um meine Extrazigaretten aus dem Handschuhfach zu holen. Die fünf Päckchen lagen darin, zusammen mit meiner Miniaturtaschenlampe, die ich bei meiner Arbeit benutze, und dann war da auch noch der 357er Smith and Wesson Magnum Revolver. Aber das, was nicht dort war, wo es hingehört hätte, war der rosafarbene Hüfthalter, den wir in Wichita Falls gekauft hatten.
Meine Sachen umgaben die Stelle, wo der zusammengefaltete Hüfthalter gelegen hatte. Ich habe noch nie ein größeres, schwärzeres Loch gesehen als das, in dem sich dieser Hüfthalter befunden hatte.
