Schwarze Löcher - Brian Cox - E-Book

Schwarze Löcher E-Book

Brian Cox

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Beschreibung

Schwarze Löcher gehören zu den Topthemen der Astronomie und sind aus der Forschung nicht mehr wegzudenken. Das renommierte Autorenduo Brian Cox und Jeff Forshaw (bereits bei KOSMOS erschienen: "Warum ist E = mc2?", "Mensch und Universum", "Was wiegt das Universum?") erklären gewohnt unaufgeregt, leicht verständlich und wissenschaftlich fundiert, was hinter Schwarzen Löchern steckt und wie sie uns dabei helfen könnten, unseren Platz im Universum zu finden.

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Seitenzahl: 368

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Für Jeffs Mutter, Sylvia

Inhalt

1 Eine kurze Geschichte der Schwarzen Löcher

2 Die Vereinigung von Raum und Zeit

3 Die Unendlichkeit an einen endlichen Ort bringen

4 Gekrümmte Raumzeit

5 Hinein ins Schwarze Loch

6 Weiße Löcher und Wurmlöcher

7 Das Wunderland von Kerr

8 Echte Schwarze Löcher aus kollabierenden Sternen

9 Die Thermodynamik Schwarzer Löcher

10 Hawking-Strahlung

11 Spaghettifiziert und verdampft

12 Das Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand

13 Die Welt als Hologramm

14 Inseln im Strom

15 Der perfekte Code

Danksagung

Quellenangaben

Autoren

Impressum

1

Eine kurze Geschichte der Schwarzen Löcher

„Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem Sinn und nur in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen.“

ALBERT EINSTEIN

Im Herzen der Milchstraße gibt es eine Verkrümmung im Gewebe des Universums – verursacht durch etwas, das vier Millionen Mal massereicher ist als unsere Sonne. Raum und Zeit sind dort in der direkten Umgebung so stark verkrümmt, dass Lichtstrahlen gefangen bleiben, wenn sie sich näher als zwölf Millionen Kilometer heranwagen. Der Bereich, aus dem es kein Zurück mehr gibt, ist durch einen Ereignishorizont begrenzt. Er wird so genannt, weil das Universum außerhalb für immer von allem isoliert bleibt, was innerhalb passiert. Oder zumindest dachten wir das, als der Name geprägt wurde. Wir tauften es Sagittarius A*, und es ist ein supermassereiches Schwarzes Loch.1

Schwarze Löcher befinden sich dort, wo die massereichsten Sterne geleuchtet haben, in den Galaxienzentren, am Rande unseres aktuellen Verständnisses. Sie entstehen auf natürliche Weise und sind die unvermeidlichen Folgen der Gravitation, wenn zu viel Materie in einem ausreichend kleinen Raumvolumen kollabiert. Doch obwohl die uns bekannten physikalischen Gesetze sie vorhersagen, können sie Schwarze Löcher nicht vollständig beschreiben. Physiker verbringen ihre berufliche Laufbahn damit, nach Ungereimtheiten zu suchen, Experimente durchzuführen, um irgendwas zu finden, das nicht durch die bekannten Gesetze zu erklären ist. Das Wunderbare an der steigenden Zahl Schwarzer Löcher, die wir überall am Himmel entdecken, ist, dass jedes einzelne ein Experiment der Natur ist, welches wir nicht erklären können. Das bedeutet: Uns fehlt etwas Grundlegendes.

Die moderne Erforschung von Schwarzen Löchern begann mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie aus dem Jahr 1915. Diese ein Jahrhundert alte Theorie der Gravitation führte zu zwei erstaunlichen Vorhersagen: „Erstens: das Schicksal massereicher Sterne ist, hinter einen Ereignishorizont zu kollabieren und zum ‚Schwarzen Loch‘ zu werden, das eine Singularität enthält. Und zweitens: In unserer Vergangenheit gibt es eine Singularität, die in gewissem Sinne einen Anfang des Universums darstellt.“ Dieser bemerkenswerte Satz steht auf der ersten Seite eines wegweisenden Lehrbuchs über die Allgemeine Relativität: The Large Scale Structure of Space-Time, 1973 verfasst von Stephen Hawking und George Ellis.i Es führt anregende Begriffe ein – Schwarzes Loch, Singularität, Ereignishorizont –, die Teil der Popkultur geworden sind. Es besagt auch, dass die massereichsten Sterne des Universums am Ende ihres Lebens durch die Gravitation zum Kollaps gezwungen werden. Der Stern verschwindet und drückt der Struktur des Universums einen Stempel auf. Doch hinter einem Horizont bleibt etwas übrig: eine Singularität, eher ein Augenblick als ein Ort, wenn unser Verständnis der Naturgesetze versagt. Es gibt auch eine Singularität in unserer Vergangenheit, die den Beginn der Zeit markiert: den Urknall. Wir müssen die grundlegende Vorstellung akzeptieren, dass es im tiefsten Innern unserer wissenschaftlichen Beschreibung der Gravitation, jener vertrauten Kraft, die das Verhalten von Kanonenkugeln und Monden bestimmt, um die Natur von Raum und Zeit geht.

Es ist nicht offensichtlich, dass die Gravitation mit Raum und Zeit zusammenhängen soll, geschweige denn, dass der Versuch, sie in einer wissenschaftlichen Theorie zu beschreiben, einen dazu bringt, über den Anfang und das Ende der Zeit nachzudenken. Schwarzen Löchern kommt bei der Untersuchung dieser tiefen Verbindung eine zentrale Rolle zu, weil sie die extremsten beobachtbaren Schöpfungen der Gravitation sind. Sie sind intellektuell so schwierig zu fassen, dass viele Physiker bis weit in die 1960er der Meinung waren, Schwarze Löcher seien ein Artefakt der Mathematik, die die Allgemeine Relativität beschreibt. Die Natur habe sicherlich einen Weg gefunden, das Entstehen Schwarzer Löcher zu vermeiden. Selbst Einstein schrieb 1939 eine wissenschaftliche Veröffentlichung, in der er folgerte, dass Schwarze Löcher „in der physikalischen Realität nicht existieren“.ii Einsteins berühmter Zeitgenosse Arthur Eddington formulierte es markanter: „Es sollte ein Naturgesetz geben, das einen Stern davon abhält, sich so absurd zu verhalten.“ Nun, es gibt keines und sie tun es.

Wir wissen inzwischen, dass Schwarze Löcher eine natürliche, unvermeidliche Phase im Leben von Sternen sind, die einige Male massereicher sind als unsere Sonne. Und da es viele Millionen solcher Sterne in unserer Galaxis gibt, existieren viele Millionen Schwarze Löcher. Sterne sind große Materieansammlungen, die sich dem Gravitationskollaps widersetzen. In ihren frühen Lebensphasen widerstehen sie der nach innen gerichteten Kraft ihrer Eigengravitation, indem sie in ihren Zentren Wasserstoff in Helium umwandeln. Dieser als Kernfusion bekannte Vorgang setzt Energie frei, die einen Druck erzeugt, der den Kollaps aufhält. Derzeit befindet sich unsere Sonne in dieser Phase und wandelt in jeder Sekunde 600 Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium um. Große Zahlen überfliegt man in der Astronomie häufig, aber wir sollten innehalten und über den gewaltigen Unterschied zwischen Sternen und den Gegenständen der menschlichen Alltagserfahrung staunen. 600 Millionen Tonnen sind die Masse eines kleinen Bergs. Unsere Sonne hat, schon bevor die Erde entstanden war, jede Sekunde Wasserstoff von der Masse eines Bergs verbrannt. Keine Sorge: Es ist noch genug Wasserstoff übrig, damit sie ihren Kampf mit der Gravitation für weitere fünf Milliarden Jahre fortsetzen kann. Die Sonne kann das tun, weil sie groß ist; es passen bequem eine Million Erden in sie hinein. Sie hat einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometern. Ein Passagierflugzeug müsste sechs Monate fliegen, um sie einmal zu umrunden. Dabei ist die Sonne ein kleiner Stern: Die größten bekannten Sterne sind tausendmal größer, ihre Durchmesser liegen im Bereich von einer Milliarde Kilometern. In der Mitte unseres Sonnensystems stehend, würde so ein Stern Jupiter einhüllen. Solche Ungetüme beenden ihr Leben in einem katastrophalen Gravitationskollaps.

Die Gravitation ist eine schwache, aber unerbittliche Kraft. Sie wirkt ausschließlich anziehend. Stehen ihr keine anderen, stärkeren Kräfte entgegen, wirkt diese Anziehungskraft bis ins Unendliche. Die Gravitation versucht, Sie durch den Boden Richtung Erdmittelpunkt zu ziehen – und den Boden gleich mit. Der Grund, warum nicht alles in einem zentralen Punkt zusammenstürzt, ist die Unnachgiebigkeit der Materie. Sie besteht aus Teilchen, die den Gesetzen der Quantenphysik gehorchen und einander abstoßen, wenn sie sich zu nahe kommen. Aber die Unnachgiebigkeit der Materie täuscht etwas. Wir können nicht wahrnehmen, dass der Boden unter uns im Wesentlichen leerer Raum ist. Die Elektronenwolken, welche die Atomkerne umschwirren, halten die Atome auseinander und gaukeln uns vor, dass feste Objekte dicht gepackt sind. In Wahrheit nimmt der Atomkern nur einen winzigen Teil des Atomvolumens ein und der Boden unter unseren Füßen ist immateriell wie Dampf. Die abstoßenden Kräfte im Innern der Materie sind gleichwohl sehr stark und in der Lage, Sie davon abzuhalten, durch den Boden zu fallen, und zugleich sterbende Sterne zu stabilisieren, die bis zu zwei Sonnenmassen haben. Doch es existiert eine Grenze und diese Grenze bilden Neutronensterne.

Ein typischer Neutronenstern hat einen Radius von nur wenigen Kilometern und etwa die 1,5-fache Sonnenmasse – eine Million Erden zusammengepresst auf ein Gebiet von der Größe einer Stadt. Neutronensterne rotieren sehr rasch und senden dabei kegelförmig Radiowellen aus, die wie ein Leuchtturm das Universum erhellen. Die erste Beobachtung solcher Neutronensterne, die als Pulsare bezeichnet werden, gelang Jocelyn Bell Burnell und Antony Hewish 1967. Die Lichtblitze waren so regelmäßig – sie zogen alle 1,3373 Sekunden über die Erde hinweg –, dass Bell Burnell und Hewish sie „Little Green Men-1“ tauften. Der schnellste bislang entdeckte Pulsar, bezeichnet als PSR J1748 – 2446ad, rotiert 716-mal pro Sekunde. Neutronensterne sind extrem energiereiche Himmelsobjekte. Am 27. Dezember 2004 traf ein Energieausbruch die Erde, blendete Satelliten und blähte unsere Ionosphäre auf. Die Energie wurde durch die Umstrukturierung des Magnetfelds um den Neutronenstern SGR 1806 – 20 freigesetzt, der 50 000 Lichtjahre von der Erde entfernt auf der anderen Seite unserer Galaxis liegt. In einer Fünftelsekunde strahlte der Stern mehr Energie ab als unsere Sonne in 250 000 Jahren.

Die Schwerkraft an der Oberfläche eines Neutronensterns ist 100 Milliarden Mal so groß wie auf der Erde. Alles, was auf die Oberfläche stürzt, wird augenblicklich plattgedrückt und in eine Atomkernsuppe verwandelt. Wenn Sie auf die Oberfläche eines Neutronensterns fielen, würden die Teilchen, die einst zu Ihren voluminösen Atomen gehörten, in Neutronen umgewandelt und so dicht zusammengepresst werden, dass sie fast mit Lichtgeschwindigkeit umherschwirrten, um einander auszuweichen. Dieses Umherschwirren stabilisiert einen Neutronenstern von bis zu ungefähr zwei Sonnenmassen, aber nicht darüber hinaus. Jenseits dieser Grenze siegt die Gravitation. Schüttet man auch nur ein bisschen mehr Masse auf die Oberfläche, kollabiert der stadtgroße Stern zu einer Singularität. Georges Lemaître, ein katholischer Priester und einer der Begründer der modernen Kosmologie, beschrieb die Urknallsingularität am Anfang unseres Universums als einen Tag ohne Gestern. Eine Singularität durch den Gravitationskollaps ist ein Moment ohne Zukunft. Außerhalb davon bleibt nur ein dunkler Abdruck von etwas übrig, das einst leuchtete: ein Schwarzes Loch.

Heute haben wir konkrete Beobachtungshinweise dafür, dass unser Universum von Schwarzen Löchern bevölkert ist. Die Aufnahmen in Abbildung 1.1 wurden mit dem Event Horizon Telescope gemacht, einem Netz aus Radioteleskopen in Amerika, Europa, dem pazifischen Raum, Grönland und der Antarktis. Das linke Bild zeigt das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie M 87, die 50 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Wie so oft in der Wissenschaft wird dieses verschwommene Bild von Weither zunehmend schöner, sobald man mehr darüber erfährt, was man da eigentlich sieht.

Das Schwarze Loch hat 6,5 Milliarden Sonnenmassen und befindet sich in der dunklen Mitte des Bildes, dem sogenannten Schatten. Diese Region ist dunkel, weil die Gravitation so stark ist, dass Licht nicht entkommen kann – und da sich nichts schneller als das Licht bewegen kann, kann gar nichts entkommen. Im Schatten liegt der Ereignishorizont des Schwarzen Lochs von M 87, einer Kugel im Raum mit einem Durchmesser vom 240-fachen Abstand zwischen Erde und Sonne. Der Ereignishorizont schirmt das äußere Universum von der Singularität ab. Die helle Scheibe um den Schatten entsteht hauptsächlich durch Licht, das von Gas und Staub abgegeben wird, während sie – auf Spiralbahnen kreisend – dem Schwarzen Loch immer näher kommen. Dabei verformt die Gravitation des Schwarzen Lochs ihre Bahnen zu einer charakteristischen Donut-Kontur.

Abbildung 1.1, links: Das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie M 87. Rechts: Sagittarius A*, das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis. Beide abgebildet vom Event Horizon Telescope. Auch auf Tafel 1.© European Southern Observatory/EHT Collaboration/Science Photo Library

Das rechte Bild zeigt das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis: Sagittarius A*. Mit gerade mal 4,3 Millionen Sonnenmassen ist es ein vergleichsweise kleiner Fisch. Die leuchtende Scheibe würde bequem in die Merkurbahn passen. Die Existenz von Sagittarius A* wurde zunächst indirekt durch die Beobachtung von Sternen nachgewiesen, die es umrunden. Diese Sterne werden als „S-Sterne“ bezeichnet. Der Stern S2 umrundet das Schwarze Loch in besonders geringem Abstand mit einer Umlaufzeit von 16,0518 Jahren. Diese Genauigkeit ist wichtig, weil die detaillierte Beobachtung der S2-Umlaufbahn mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie abgeglichen wurde und daraus die Existenz eines Schwarzen Lochs folgte, noch deutlich bevor seine Aufnahme gelang. S2 wurde 2018 bei seiner engsten Annäherung ans Schwarze Loch beobachtet, als er in nur 120 Astronomischen Einheiten Abstand den Ereignishorizont passierte.2 Bei der geringsten Entfernung bewegte sich der Stern mit drei Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Reinhard Genzel und Andrea Ghez bekamen 2020 den Nobelpreis für die hochpräzisen Beobachtungen, die sie viele Jahre lang durchgeführt hatten. Die Beobachtungen waren der Beweis dafür, dass es ein „supermassereiches kompaktes Objekt im Zentrum unserer Galaxis“ gibt. Die beiden teilten sich den Preis mit Sir Roger Penrose, der mathematisch nachgewiesen hatte, dass „die Bildung Schwarzer Löcher eine robuste Vorhersage der Allgemeinen Relativität ist“.

Wir haben auch einige kleinere Schwarze Löcher mit stellaren Massen aufgespürt, und zwar anhand der Wellen in Raum und Zeit, die bei ihrem Zusammenstoß miteinander auftreten. Im September 2015 registrierte der Gravitationswellendetektor LIGO Wellen in der Raumzeit, die durch den Zusammenstoß zweier Schwarzer Löcher in 1,3 Milliarden Lichtjahren Abstand von der Erde verursacht wurden. Die Schwarzen Löcher waren 29- und 36-mal so massereich wie unsere Sonne. Innerhalb von weniger als zwei Zehntelsekunden stießen sie zusammen und verschmolzen miteinander. Während der Kollision übertraf die Energieabgabe in der Spitze die von allen Sternen im beobachtbaren Universum um einen Faktor 50. Die Gravitationswellen erreichten uns mehr als eine Milliarde Jahre danach. Sie änderten den Abstand entlang von LIGOs vier Kilometer langer Lasermessstrecke um das Tausendstel eines Protonendurchmessers in exakt dem flüchtigen, wackelnden Muster, das die Allgemeine Relativität vorhergesagt hatte. LIGO und der Schwesterdetektor Virgo haben seitdem viele Verschmelzungen von Schwarzen Löchern erfasst. 2017 wurde der Physik-Nobelpreis an Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne verliehen, unter deren Leitung LIGO entwickelt, gebaut und betrieben wurde. Der „stellare Friedhof“ aus stellaren Schwarzen Löchern und Neutronensternen ist in Abbildung 1.2 auf dem Stand dargestellt, als wir dieses Buch schrieben.3

Zusammengenommen beweisen diese Beobachtungen, die mit verschiedenen Teleskopen und Verfahren gemacht wurden, dass Neutronensterne und Schwarze Löcher zweifelsfrei existieren. Science-Fiction verwandelt sich in Wissenschaft, wenn experimentelle Untersuchungen Theorien bestätigen. Und während unsere theoretische Reise uns entlang immer merkwürdigerer Pfade in immer stärker verworrenes intellektuelles Terrain führen wird, sollten wir uns daran erinnern, dass diese absurden Dinge real sind. Sie sind Teil der natürlichen Welt. Wir sollten daher versuchen, sie mithilfe der bekannten Naturgesetze zu verstehen. Scheitern wir, bietet sich uns die Gelegenheit, neue Naturgesetze zu entdecken. Dies ist ganz sicher der Fall und reicht weit über die kühnsten Träume der ersten Pioniere hinaus.

DER VERSUCH, DAS ABSURDE ZU VERHINDERN

Schwarze Löcher wurden erstmals 1783 von dem englischen Pfarrer und Wissenschaftler John Michell und unabhängig davon 1798 von dem französischen Mathematiker Pierre-Simon Laplace vorgeschlagen. Michell und Laplace argumentierten wie folgt: Genauso wie ein hochgeworfener Ball langsamer wird und ihn die irdische Gravitation zurück zum Boden zieht, ist es vorstellbar, dass Objekte mit so starker Gravitationsanziehung existieren, dass sie Licht einfangen können.

Ein Gegenstand, der von der Erdoberfläche aus nach oben geworfen wird, muss schneller als elf Kilometer pro Sekunde sein, um ins All zu entkommen. Diese Geschwindigkeit wird als Fluchtgeschwindigkeit der Erde bezeichnet. Die Gravitationsanziehung auf der Sonnenoberfläche ist viel stärker, entsprechend ist die Fluchtgeschwindigkeit mit 620 Kilometern pro Sekunde höher. Auf der Oberfläche eines Neutronensterns kann die Fluchtgeschwindigkeit einen nennenswerten Prozentsatz der Lichtgeschwindigkeit erreichen.4 Laplace berechnete, dass ein Körper mit einer Dichte, die der irdischen vergleichbar ist, aber mit einem Durchmesser vom 250-Fachen der Sonne, eine so große Gravitationsanziehung hätte, dass die Fluchtgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit überträfe. Deshalb „könnten die größten Körper im Universum aufgrund ihrer Größe unsichtbar sein“.iii Das war eine faszinierende Vorstellung, die ihrer Zeit weit voraus war. Stellen Sie sich eine kugelförmige Schale im Raum vor, die die Oberfläche von einem der dunklen laplaceschen Riesensterne bildet. Die Fluchtgeschwindigkeit wäre die Lichtgeschwindigkeit. Nun machen Sie den Stern innerhalb der Schale etwas dichter, dann würde die Sternoberfläche schrumpfen, aber die gedachte Schale bliebe und würde eine Grenze im Raum bilden. Befänden Sie sich auf der Schale, die nun über der Sternoberfläche liegt, und würden mit einer Taschenlampe nach außen leuchten, ginge das Licht nirgendwohin. Es bliebe für immer eingefroren, könnte nicht entkommen. Diese Grenze ist der Ereignishorizont. Im Innern der Schale würde das Licht der Taschenlampe umkehren und auf den Stern zurückgezogen werden. Nur außerhalb der Schale könnte Licht entkommen.

Michell und Laplace malten sich diese dunklen Sterne als gewaltige Objekte aus. Womöglich konnten sie sich keine Alternative vorstellen. Ein Objekt muss aber nicht groß sein, um an der Oberfläche eine starke Gravitationsanziehung zu haben. Es kann auch sehr klein und dicht sein, zum Beispiel ein Neutronenstern. Für ein Objekt beliebiger Masse kann man mit Isaac Newtons Gesetz den Radius des Bereichs ohne Entkommen berechnen, der um das Objekt entsteht, wenn es ausreichend komprimiert wird:

Wobei G für die Newtons Gravitationskonstante steht, in der die Stärke der Gravitation steckt, und c für die Lichtgeschwindigkeit. Wenn wir irgendwas mit der Masse M zu einer Kugel zusammenpressen, deren Radius kleiner als RS ist, erzeugen wir einen dunklen Stern. Setzen wir die Masse der Sonne in diese Gleichung ein, bekommen wir einen Radius von ungefähr drei Kilometern. Für die Erde beträgt er etwas weniger als einen Zentimeter. Es ist schwer vorstellbar, wie die Erde auf die Größe eines Kiesels zusammengepresst werden könnte. Womöglich haben Michell und Laplace diese Möglichkeit deshalb nicht in Betracht gezogen. So wunderlich sie scheinen mögen, wären dunkle Sterne nicht sonderlich lästig oder absurd, falls sie existieren würden. Sie fingen das Licht ein, aber das würde nur bedeuten, dass wir sie nicht sähen. Genauso wie Laplace es dargelegt hat.

Dieses einfache newtonsche Argument gibt uns ein Gefühl für die Vorstellung eines Schwarzen Lochs: Die Gravitation kann so stark sein, dass Licht nicht entkommen kann. Doch Newtons Gravitationsgesetz ist nicht anwendbar, wenn die Gravitation stark ist und Einsteins Theorie angewandt werden muss. Die Allgemeine Relativität ermöglicht ebenfalls Objekte, deren Gravitationsanziehung so stark ist, dass Licht nicht entkommen kann. Aber die Folgen sind ganz anders, definitiv ziemlich lästig und absurd. Wie im newtonschen Fall wird jedes Objekt Licht einfangen, falls es unter einen gewissen kritischen Radius komprimiert wird. In der Allgemeinen Relativität wird dieser Radius als Schwarzschild-Radius bezeichnet, weil ihn 1915 – kurz nach der Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie – erstmals der deutsche Physiker Karl Schwarzschild berechnet hat. Zufällig ist die Formel für den Schwarzschild-Radius in der Allgemeinen Relativität genau dieselbe wie im newtonschen Ergebnis oben. Der Schwarzschild-Radius ist der Radius des Ereignishorizonts bei einem Schwarzen Loch.

Wir werden in Kapitel 4 mehr über den Schwarzschild-Radius erfahren, wenn wir die Mittel der Allgemeinen Relativität zur Hand haben. Aber wir können einen kurzen Blick auf einige der Absurditäten werfen, die auf uns zukommen. Wir werden erfahren, dass Schwarze Löcher in ihrer Umgebung den Verlauf der Zeit beeinflussen. Fällt ein Astronaut auf ein Schwarzes Loch zu, vergeht die Zeit langsamer als auf einer Uhr weit draußen im All. Das ist interessant, aber nicht absurd. Das absurd klingende Resultat lautet: Gemäß der weit entfernten Uhr bleibt die Zeit am Ereignishorizont stehen. Von außen betrachtet sieht man niemals etwas ins Schwarze Loch fallen. Das bedeutet, dass ein Astronaut, der auf ein Schwarzes Loch zufällt, am Ereignishorizont für immer erstarrt. Das gilt auch für die Oberfläche eines Sterns, der in sich zusammenstürzt, um ein Schwarzes Loch zu bilden, und dabei auf den Ereignishorizont trifft. Auf den ersten Blick scheint die Theorie der Allgemeinen Relativität Unsinn vorherzusagen. Wie kann ein Stern durch den Ereignishorizont zu einem Schwarzen Loch kollabieren, wenn man nie sieht, dass seine Oberfläche diesen Horizont überquert? Solche Betrachtungen bereiteten Einstein und den anderen Pionieren Probleme, und das ist nur eines von unzähligen scheinbaren Paradoxa.

Bei Einstein und der Mehrzahl der Physiker bis in die 1960er-Jahre führten solche Bedenken zu dem Schluss, dass die Natur einen Ausweg findet. Die Forschung zu Schwarzen Löchern drehte sich primär um den Nachweis, dass sie nicht existieren können. Vielleicht war es ja unmöglich einen Stern beliebig zu komprimieren, um einen Ereignishorizont zu erzeugen. Das klang vernünftig, denn ein zuckerwürfelgroßes Stück Neutronensternmaterie wiegt mindestens 100 Millionen Tonnen. Vielleicht verstand man nur nicht ganz, wie sich die Materie bei so extremen Dichten und Drücken verhält.

Sterne sind große Ansammlungen von Materie, die gegen ihren Gravitationskollaps ankämpfen. Geht ihnen der nukleare Brennstoff aus, hängt ihr Schicksal von ihrer Masse ab. 1926 veröffentlichte R. H. Fowler, ein Kollege von Eddington in Cambridge, einen Artikel mit dem Titel „On Dense Matter“. Darin zeigte er, dass die neu entdeckte Quantentheorie einem alten kollabierenden Stern die Möglichkeit eröffnete, die Entstehung eines Ereignishorizonts durch einen Effekt namens Elektronenentartungsdruck zu vermeiden.iv Dies war der erste Hinweis auf das bereits im Zusammenhang mit Neutronensternen erwähnte „Quantenwackeln“. Fowlers Schlussfolgerung wirkte wie eine unvermeidliche Folge der beiden Eckpfeiler der Quantentheorie: Wolfgangs Paulis Ausschlussprinzip und Werner Heisenbergs Unschärferelation.

Das Ausschlussprinzip besagt, dass Teilchen wie Elektronen nicht denselben Platz im Raum besetzen können. Werden viele Elektronen durch einen Gravitationskollaps zusammengepresst, schaffen sie sich ihre eigenen winzigen Volumina im Sterninnern, um voneinander Abstand halten zu können. Nun kommt Heisenbergs Unschärferelation ins Spiel. Sie besagt, dass, wenn ein Teilchen in ein kleineres Volumen eingesperrt wird, sein Impuls wächst. Mit anderen Worten: Wenn Sie ein Elektron einsperren, dann wird es herumwackeln – und je mehr Sie versuchen, es einzusperren, desto mehr wackelt es herum. Das erzeugt auf ähnliche Weise einen Druck, wie die Hitze der Kernfusionsreaktionen im früheren Leben des Sterns die Atome zum Herumwackeln brachte und so einen Kollaps verhinderte. Anders als der Druck aus den Fusionsreaktionen benötigt der Elektronenentartungsdruck jedoch keine Energiefreisetzung, um sich aufzubauen. Es sah so aus, als ob ein Stern der nach innen gerichteten Gravitation unendlich lange widerstehen könnte.

Astronomen kannten solche Sterne, die als Weiße Zwerge bezeichnet wurden. Sirius B ist ein lichtschwacher Begleiter von Sirius, dem hellsten Stern am Himmel. Von Sirius B war bekannt, dass seine Masse ähnlich groß wie die der Sonne, sein Radius jedoch mit dem irdischen vergleichbar ist. Die Dichte von Sirius B wurde bei damaligen Messungen auf 100 Kilogramm pro Kubikzentimeter geschätzt, was – wie Fowler anmerkte – „bereits interessante theoretische Überlegungen aufkommen ließ“. In seinem Buch The Internal Constitution of Stars schrieb Eddington: „Ich glaube, es ist im Allgemeinen angemessen, die Schlussfolgerung ‚dass das absurd ist‘ zu ergänzen.“ Moderne Messungen ergeben eine mehr als zehnmal höhere Dichte. So absurd dieser planetengroße fremdartige Stern auch erschien, hatte Fowler dennoch einen Mechanismus entdeckt, der erklärte, wie der Stern der Gravitation widerstehen konnte. Für die damaligen Physiker schien dies eine große Erleichterung gewesen zu sein, denn er verhinderte das Unvorstellbare. Dank Fowler sah es so aus, als ob Sterne ihr Leben als Weiße Zwerge beendeten. Dank des Quantenwackelns der Elektronen würden Sterne nicht auf den Schwarzschild-Radius kollabieren und keinen Ereignishorizont bilden.

Das Gefühl der Erleichterung hielt nicht lange an. 1930 berechnete ein 19 Jahre alter Physiker namens Subrahmanyan Chandrasekhar, wie stark genau der Elektronenentartungsdruck werden kann. Dies erledigte er während einer 18 Tage dauernden Reise von Madras nach Cambridge, um mit Eddington und Fowler zu arbeiten. Fowler hatte keine Obergrenze für die so zu stützende Sternmasse gesetzt, und anscheinend gingen die meisten Physiker davon aus, dass es keine gebe. Doch Chandrasekhar erkannte, dass der Elektronenentartungsdruck begrenzt ist. Einsteins Relativitätstheorie besagt, dass, egal wie sehr ein Elektron auch eingesperrt ist, es nicht schneller herumwackeln kann als mit Lichtgeschwindigkeit. Chandrasekhar berechnete, dass diese Geschwindigkeitsgrenze von einem Weißen Zwerg erreicht wird, der ungefähr 90 Prozent der Sonnenmasse besitzt.v Eine genauere Berechnung ergibt, dass diese Chandrasekhar-Grenze, wie sie heute heißt, bei 1,4 Sonnenmassen liegt. Wenn ein kollabierender Stern diese Masse überschreitet, liefern die Elektronen nicht mehr genug Druck, um dem nach innen gerichteten Zug der Gravitation zu widerstehen, weil sie sich nicht schneller bewegen können. Dann muss der Gravitationskollaps weitergehen. Eddington beeindruckte das nicht. Er fand, dass Chandrasekhar die Relativitätstheorie falsch mit der damals noch neuen Quantenmechanik verknüpft hatte. Richtig ausgeführt würde die Berechnung ergeben, dass Weiße Zwergsterne mit beliebig großen Massen existieren könnten. Die Diskussion mit dem ehrwürdigen Eddington machte den jungen Chandrasekhar tief betroffen. Noch Jahrzehnte nach Eddingtons Tod im Jahr 1944 schrieb Chandrasekhar über diese Zeit als „eine sehr entmutigende Erfahrung … dass meine Arbeit von der astronomischen Community völlig diskreditiert wurde“. Letztlich bestätigte sich, dass Chandrasekhar recht hatte. 1983 bekam er den Nobelpreis für seine Arbeit über die Struktur der Sterne.

Chandrasekhars 1931 veröffentlichtes Ergebnis galt nicht als endgültiger Beweis dafür, dass Schwarze Löcher wirklich entstehen. Einstein sorgte sich noch 1939 über das scheinbare Einfrieren der Zeit am Ereignishorizont. Vielleicht existierte irgendein anderer Prozess, der den Kollaps eines Weißen Zwergs aufhalten konnte, wenn schon der Elektronenentartungsdruck versagte? Ende der 1930er-Jahre schlugen der amerikanische Physiker Fritz Zwicky und der russische Physiker Lev Landau richtigerweise vor, dass es noch dichtere Sterne als Weiße Zwerge geben könnte, die nicht durch den Elektronenentartungsdruck gestützt werden, sondern durch den Neutronenentartungsdruck. Unter den extremen Bedingungen eines Gravitationskollapses können Elektronen zum Verschmelzen mit Protonen gezwungen werden und so Neutronen und leichte Teilchen namens Neutrinos bilden. Letztere verlassen den Stern. Neutronen wackeln genauso wie Elektronen herum, wenn sie eng zusammengepresst werden. Doch weil sie mehr Masse haben als Elektronen, leisten sie mehr Widerstand. Solche Objekte sind Neutronensterne.

Es ist berechtigt zu fragen, ob dies das endgültige Schicksal für alle extrem massereichen Sterne ist, denn nach der Erfahrung mit den Weißen Zwergen könnte auch der Neutronenentartungsdruck seine Grenzen haben. Vielleicht schleudern die massereichsten Sterne Materie ins All, wenn sie kollabieren, oder sie prallen zurück und explodieren, wenn sie die Dichte eines Neutronensterns erreichen. Diese Möglichkeiten waren zur damaligen Zeit nicht einfach von der Hand zu weisen – die Kernphysik war ein sehr junges Feld und das Neutron selbst wurde erst 1932 entdeckt.

1939 führten J. Robert Oppenheimer und sein Student George Volkoff, ausgehend von Richard Tolmans Arbeiten, die heute so bezeichnete Tolman-Oppenheimer-Volkoff-Grenze ein. Sie legt eine obere Grenze für die Masse eines Neutronensterns auf knapp drei Sonnenmassen fest. Oppenheimer und ein weiterer Student, Hartland Snyder, wiesen in der Folge nach, dass unter bestimmten Annahmen die massereichsten Sterne hinter einen Ereignishorizont kollabieren müssen und ein Schwarzes Loch bilden.vi Diese grundlegende Veröffentlichung beginnt wie folgt: „Wenn alle thermonuklearen Energiequellen erschöpft sind, wird ein ausreichend schwerer Stern kollabieren. Solange er sich nicht durch Rotation spaltet, Masse abstrahlt oder Masse durch Strahlung weggetragen wird und sich dadurch die Masse des Sterns auf die Größenordnung der Sonne verringert, wird diese Kontraktion unbegrenzt andauern.“ Die letzten Zeilen der Einleitung führen die Folgen für den Verlauf der Zeit am Ereignishorizont, um den sich Einstein sorgte, genauer aus: „Die Gesamtdauer des Kollapses ist für einen Beobachter, der sich mit der Sternmaterie mitbewegt, endlich, für diesen idealisierten Fall und typische Sternmassen liegt sie in der Größenordnung von einem Tag; und ein äußerer Beobachter sieht den Stern asymptotisch auf seinen Gravitationsradius schrumpfen.“5 Mit anderen Worten: Ein Stern, der nicht viel schwerer als die Sonne ist, fällt für jemanden, der mit der Oberfläche des kollabierenden Sterns nach innen stürzt, in etwa einem Tag in sich zusammen und hört auf zu existieren – für jeden, der von außen zuschaut, dauert das eine Ewigkeit. Das ist das rätselhafte Verhalten der Zeit, das wir bereits erwähnt hatten. Oppenheimer und Snyder akzeptierten diese grundlegende Folge der Allgemeinen Relativität und zeigten, dass sie zu keinerlei Widersprüchen führt. Wir werden uns mit diesem verblüffenden Ergebnis in den weiteren Kapiteln genauer befassen.

An diesem Punkt kam der Zweite Weltkrieg dazwischen, die Gedanken der Physiker in aller Welt drehten sich darum, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen. In den USA wurde die Expertise in der Kernphysik, die sich durch die Untersuchung der Sterne verbessert hatte, besonders wichtig für die Entwicklung der Atombombe. Oppenheimer wurde bekanntermaßen der wissenschaftliche Leiter des Manhattan-Projekts. Als der Krieg endete und die Physiker sich wieder anderen Dingen zuwandten, stand eine neue Generation in den Startlöchern. In den USA wurde diese Generation von John Archibald Wheeler gefördert. Wheeler prägte bei einem Vortrag im Ballsaal West des New Yorker Hilton am 29. Dezember 1967 den Begriff „Schwarzes Loch“. In seiner Biografie beschrieb Wheeler den intellektuellen Kampf in den 1950er-Jahren mit den Schwarzen Löchern.vii „Einige Jahre lang ging mir diese Vorstellung eines Kollapses zu dem, was wir heute ein Schwarzes Loch nennen, gegen den Strich. Es gefiel mir einfach nicht. Ich versuchte wirklich alles, um einen Ausweg zu finden, um die zwingende Implosion einer großen Masse zu vermeiden.“ Er erzählt, wie er schließlich zur Überzeugung kam, dass „nichts einen ausreichend großen Klumpen kalter Materie von einem Kollaps auf die Größenordnung des Schwarzschild-Radius abhalten kann“. Wheelers Umdenken gipfelte in einer Veröffentlichung von 1962 mit seinem Studenten Robert Fuller, in der sie folgern, dass „Punkte in der Raumzeit existieren, von denen nie Lichtsignale empfangen werden können, egal wie lange man wartet“.viii Dies sind die Punkte innerhalb des Ereignishorizonts, von denen das äußere Universum für immer abgetrennt bleibt. Schwarze Löcher schienen unvermeidlich zu sein. Alle verbliebenen theoretischen Zweifel wurden 1965 ausgeräumt durch Sir Roger Penroses nobelpreiswürdige Veröffentlichung „Gravitational Collapse and Space-Time Singularities“. Es ist ein dreiseitiges Meisterstück, in dem Penrose bewies, dass – mit Wheelers Worten – „für fast jede Beschreibung von Materie, die man sich nur vorstellen kann, in der Mitte eines Schwarzen Lochs eine Singularität sitzen muss“.ix

EIN TIEFGRÜNDIGES LEUCHTEN

Unsere kurze Geschichte der Schwarzen Löcher bringt uns ins Jahr 1974 und zu einer Veröffentlichung von Stephen Hawking. Sie führte zu einer scheinbar einfachen Frage, die seitdem die Forschung an Schwarzen Löchern für ein halbes Jahrhundert vorangetrieben hat.

In den 1970er-Jahren war unter Theoretikern weitgehend akzeptiert, dass Schwarze Löcher existieren, auch wenn Astronomen sie noch finden mussten. So verlagerte sich das Interesse der kleinen Gruppe derer, die sich weiterhin mit Schwarzen Löchern befassten, auf die konzeptionellen Herausforderungen. Hawkings Veröffentlichung im Magazin Nature ist griffig mit „Black Hole Explosions?“ betitelt.x Hawking zeigte darin, dass die Anwesenheit eines Ereignishorizonts eine dramatische Folge für das Vakuum des Alls in der Umgebung hat. Die Quantentheorie besagt, dass der leere Raum nicht leer ist. Er ist ausgefüllt mit Feldern, die sich ständig verändern, und diese Fluktuationen äußern sich in der Möglichkeit, Teilchen zu erzeugen – Photonen, Elektronen, Quarks, genau genommen jedes beliebige Teilchen. Das Vakuum hat eine Struktur. Im normalen leeren Feld-Wald-und-Wiesen-Raum tauchen diese Fluktuationen auf und verschwinden wieder. Man kann sich das so vorstellen, dass sogenannte virtuelle Teilchen ständig schlagartig anfangen und wieder aufhören zu existieren – aber unterm Strich kein reelles Teilchen jemals wie durch ein Wunder aus dem Nichts entsteht. Die Anwesenheit des Ereignishorizonts stört dieses Gleichgewicht, sodass die vergänglichen virtuellen Teilchen real werden können. Diese Teilchen, als Hawking-Strahlung bezeichnet, strömen hinaus ins Universum und nehmen einen winzigen Bruchteil der Energie des Schwarzen Lochs mit. Über unvorstellbar lange Zeiträume, weitaus länger als das aktuelle Alter des Universums, wird ein typisches Schwarzes Loch dadurch verdampfen und schließlich explodieren. Um Hawkings berühmte Formulierung zu verwenden: Schwarze Löcher sind nicht so schwarz. Sie leuchten sanft wie schwache Kohlen am kalten Himmel. Sehr schwache Kohlen. Die Temperatur eines Schwarzen Lochs von einer Sonnenmasse liegt 0,000 000 06 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt. Das ist viel kälter als das heutige Universum.6 Sagittarius A* ist noch kälter: 4,31 Millionen Mal kälter, um genau zu sein. Aber die Temperatur eines Schwarzen Lochs ist nicht null, was enorm wichtig ist. Es bedeutet, wie wir herausfinden werden, dass Schwarze Löcher den Gesetzen der Thermodynamik unterliegen – dieselben Gesetze, denen glimmende Kohlen, Dampfmaschinen und Sterne gehorchen – und es bedeutet, dass Schwarze Löcher nicht unsterblich sind. Eines Tages in einer fernen, fernen Zukunft werden sie alle verschwunden sein.

Dieses schwache Leuchten wirft eine tiefschürfende Frage auf. Wenn das Schwarze Loch verschwindet, was passiert dann mit all dem, was dort hineingestürzt ist? Wegen des einzigartigen Entstehungsmechanismus der Hawking-Strahlung – in der Nähe des Ereignishorizonts aus dem Vakuum gerissen – könnte es so aussehen, als ob die Strahlung nichts mit dem zu tun hat, was irgendwann während seiner Existenz in das Schwarze Loch hineingestürzt ist. Daher ist es sehr schwer vorstellbar, wie die Information über irgendetwas, das hineingefallen ist, oder gar über den kollabierten Stern, aus dem sich das Schwarze Loch gebildet hat, irgendwie – eingeprägt in die Strahlung – erhalten bleiben könnte. Tatsächlich schienen Hawkings ursprüngliche Berechnungen in diesem Punkt sehr eindeutig zu sein. Die Strahlung, die Überreste des Schwarzen Lochs, enthält überhaupt keine Information.

Leonard Susskind, einer der Pioniere der modernen Forschung über Schwarze Löcher, erzählt die Geschichte eines Treffens in einem kleinen Mansardenzimmer, 1983 in San Francisco, bei dem Hawking erstmals diese Frage stellte und beantwortete – falsch, wie sich später herausstellte. Susskinds Erzählung aus erster Hand über diese gewaltige intellektuelle Anstrengung, die Hawkings Frage erzeugte, heißt The Black Hole War: My Battle with Stephen Hawking to Make the World Safe for Quantum Mechanics. Susskind hat ein Händchen für Titel. Er war mal Mitautor einer Veröffentlichung mit dem Titel „Invasion of the Giant Gravitons from Anti-de Sitter Space“. Er schreibt: „Stephen behauptete, dass Informationen beim Verdampfen eines Schwarzen Lochs verloren gingen, und, noch schlimmer, er schien es zu beweisen. Wenn das wahr gewesen wäre… die Grundlagen unseres Fachs wären zerstört gewesen.“

Susskind bezog sich dabei auf einen der Pfeiler der modernen Physik: den Determinismus. Wenn wir alles über ein System wissen, egal ob es sich dabei um einen einfachen Gasbehälter oder das Universum handelt, können wir seine künftige Entwicklung voraussagen und wie es in der Vergangenheit aussah. Das ist natürlich eine Aussage, die nur prinzipiell gilt. In der Praxis ist es unmöglich, alles über die Zukunft und Vergangenheit zu wissen, weil wir über jedes reale physikalische System immer nur unvollständige Informationen haben. Aber in der Wissenschaft zählen, anders als in der modernen Politik, Prinzipien. Hätte Hawking recht gehabt, würden Schwarze Löcher das Universum grundlegend unvorhersagbar machen und die Grundfesten der Physik würden bröckeln.

Heute wissen wir, dass Stephen Hawking falsch lag: Information wird nicht vernichtet und die Physik ist ungefährdet – wie Hawking persönlich mit Freude, ohne Bedauern, anerkannte. Er tat das nicht zuletzt, weil die laufende Forschung, die durch seine ursprüngliche Behauptung ausgelöst wurde, uns immer weiter zu einem neuen Verständnis von Raum und Zeit und den Eigenschaften der physikalischen Realität treibt.

In der letzten Auflage von A Brief History of Time schrieb Hawking, dass er 2004 letztendlich seine Meinung geändert hatte, und gestand ein, dass er eine Wette mit John Preskill (auf dessen Arbeiten wir später noch stoßen) verloren hatte. Nach einer weiteren Wette über die Vorzüge von Kricket und Baseball, die er ebenfalls verlor, schenkte Hawking Preskill eine Enzyklopädie über Baseball. Beim Verfassen dieser Zeilen, so Hawking, wisse niemand, wie die Information aus dem Schwarzen Loch herauskomme – nur dass es ihr gelinge. Klar war jedoch, dass diese Information sehr schwer zu entschlüsseln wäre. „Es ist, als ob ein Buch verbrannt wird“, schreibt er. „Die Information ist technisch gesehen nicht verloren, wenn man die Asche und den Rauch aufbewahrt – was mich wieder an die Baseball-Enzyklopädie denken lässt, die ich John Preskill gab. Vielleicht hätte ich ihm die verbrannten Überreste geben sollen.“

HINTER DEM HORIZONT

Stellen Sie sich vor, dass Sie auf dem Boden eine Uhr finden. Bei genauer Betrachtung sind Sie begeistert von ihrer Raffinesse und außerordentlichen Genauigkeit. Der Mechanismus wurde sicherlich konzipiert; es muss einen Schöpfer gegeben haben. Ersetzen Sie „Uhr“ durch „Natur“ und Sie haben das Argument für einen Gott, wie es der Theologe William Paley 1802 formulierte. Heute wissen wir, dass die überwältigenden Belege für Darwins Theorie der Evolution durch natürliche Auslese dieses Argument erheblich untergraben. Der Uhrmacher ist die Natur, und er ist blind. „Diese Sichtweise auf das Leben ist großartig“, schrieb Darwin, „mit seinen verschiedenen Kräften, die ursprünglich einigen wenigen Formen oder einer einzigen eingehaucht worden sind; und dass, während dieser Planet dem festen Gesetz der Schwerkraft folgend, aus einem so einfachen Anfang unendliche Formen, die schönsten und wunderbarsten Formen entstanden sind und noch entstehen.“

Aber was ist mit dem unveränderlichen Gesetz der Schwerkraft – einer Voraussetzung für die Existenz der Planeten, auf denen sich die endlosen Formen entwickelten? Oder mit den Gesetzen der Elektrizität und des Magnetismus, die die Lebewesen zusammenhalten? Oder mit dem subatomaren Teilchenzoo, aus dem wir aufgebaut sind? Wer oder was legte diese Gesetze fest, den Rahmen, in dem sich alles abspielt?

Die Geschichte der modernen Physik ist eine des Reduktionismus. Wir brauchen keine umfangreiche Enzyklopädie, um die inneren Zusammenhänge der Natur zu verstehen. Vielmehr können wir eine fast endlose Spanne an Naturphänomenen scheinbar unangemessen wirkungsvoll mit der Sprache der Mathematik beschreiben, vom Innern des Protons bis zur Entstehung von Galaxien. Mit den Worten des theoretischen Physikers Eugene Wigner: „Das Wunder der Angemessenheit der Sprache der Mathematik für die Formulierung der Gesetze der Physik ist ein traumhaftes Geschenk, das wir weder verstehen noch verdient haben. Wir sollten dafür dankbar sein.“xi Die Mathematik des 20. Jahrhunderts beschrieb ein Universum, das von einer beschränkten Zahl unterschiedlicher Arten fundamentaler Teilchen erfüllt ist, die miteinander auf einer Bühne wechselwirken, die als Raumzeit bezeichnet wird. All das geschieht gemäß einer Sammlung von Regeln, die sich auf der Rückseite eines Briefumschlags niederschreiben lassen. Wenn das Universum erschaffen wurde, dann könnte sein Schöpfer ein Mathematiker gewesen sein.

Heute scheint die Erforschung der Schwarzen Löcher in eine neue Richtung zu weisen, hin zu einer Sprache, die häufiger von Quantencomputerwissenschaftlern verwendet wird: die Sprache der Information. Raum und Zeit könnten Gebilde sein, die in der tiefstgehenden Beschreibung der Natur nicht existieren. Stattdessen werden sie aus verschränkten Quantenbits der Information auf eine Weise erzeugt, die einem geschickt konstruierten Computercode gleicht. Wenn das Universum erschaffen wurde, dann könnte der Schöpfer ein Programmierer gewesen sein.

Doch wir müssen aufpassen. Wie schon Paley laufen wir Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen. Die Rolle der Informationswissenschaft bei der Beschreibung Schwarzer Löcher könnte auf eine neue Beschreibung der Natur hinweisen, aber das bedeutet nicht, dass wir programmiert wurden. Vielmehr könnten wir zu dem Schluss kommen, dass die Sprache der Informatik gut geeignet ist, um die algorithmische Entfaltung des Kosmos zu beschreiben. So formuliert gibt es hier kein größeres oder kleineres Wunder als bei Wigners Wunder über die Angemessenheit der Sprache der Mathematik für die Formulierung der Gesetze der Physik. Die Informationsverarbeitung – das Umwandeln der Bits von der Eingabe bis zur Ausgabe – ist keine Konstruktion der Informatik, es ist eine Eigenheit unseres Universums. Raumzeit als Computercode deutet auf keinen Programmierer hin, vielmehr sollten wir es so sehen: Irdische Informatiker haben Tricks entdeckt, die die Natur bereits ausgenutzt hat. So betrachtet sind Schwarze Löcher kosmische Hilfen, um unsere Beobachtungen in eine neue Sprache zu übersetzen, die uns einen Einblick in die tiefste Vernunft und die strahlendste Schönheit gewähren.

1 Sagittarius A* wird im Englischen „Sagittarius A-star“ ausgesprochen, im Deutschen „Sagittarius A Stern“.

2 1 Astronomische Einheit ist (ungefähr) gleich dem Abstand zwischen Erde und Sonne.

3 Anmerkung der Redaktion: Die englische Originalausgabe erschien 2022.

4 Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 299 792 458 Meter pro Sekunde.

5 Mit „Gravitationsradius“ ist der Schwarzschild-Radius gemeint.

6 Die Temperatur der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung liegt heute 2,725 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt.

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DIE VEREINIGUNG VON RAUM UND ZEIT

„Das Wort ‚Abstand‘ an sich gehört nicht in ein Buch über die Allgemeine Relativitätstheorie. Das Wort ‚Zeit‘ allein gehört nicht in ein Buch über die Allgemeine Relativitätstheorie.“

EDWIN F. TAYLOR, JOHN ARCHIBALD WHEELER UND EDMUND BERTSCHINGERi

Schwarze Löcher sind ein ideales Lehrobjekt der Physik, denn für deren Verständnis wird aus so ziemlich all ihren Bereichen etwas benötigt. Don Page beginnt seinen umfassenden „unvollständigen Überblick über die Hawking-Strahlung“ mit dem Satz: „Schwarze Löcher sind vielleicht die perfektesten thermischen Objekte im Universum, und doch sind ihre thermischen Eigenschaften nicht vollständig verstanden.“ii Die Thermodynamik ist einer der Eckpfeiler der Physik. Sie behandelt so vertraute Konzepte wie Temperatur und Energie und ein möglicherweise weniger vertrautes Konzept, die Entropie. Daher werden wir etwas Thermodynamik lernen müssen. Stephen Hawkings wegweisende Veröffentlichung „Particle Creation by Black Holes“ beginnt mit: „In der klassischen Theorie können Schwarze Löcher nur Teilchen absorbieren und nicht emittieren. Es wird jedoch gezeigt, dass quantenmechanische Effekte dazu führen, dass Schwarze Löcher Teilchen erzeugen und emittieren, als ob sie heiße Körper wären …“iii Also müssen wir etwas Quantenmechanik lernen. Und natürlich gibt es Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, in der – wie Misner, Thorne und Wheeler in ihrem (in puncto Qualität und Gewicht) großen Lehrbuch Gravitation schreiben – „… der Leser ins Land der Schwarzen Löcher befördert wird und dort auf Kolonien von statischen Grenzen, Ergosphären und Horizonten trifft – hinter deren Schleier sich klaffende, grausame Singularitäten verbergen“.iv Dieses Land werden wir zuerst erforschen.

In der Schule lernen wir, dass die Gravitation eine ziemlich alltägliche Sache ist – die Kraft zwischen alltäglichen Dingen. Sie können auf der Erdoberfläche nicht allzu hoch springen, weil es eine Kraft gibt, die Sie wieder zurück nach unten zieht. 1687 stellte Isaac Newton dieses Prinzip als Formel dar und veröffentlichte es in The Principia Mathematica. Newtons Theorie funktioniert in den meisten Situationen gut und ermöglicht uns, die Bahnen von Raumfahrzeugen zum Mond und darüber hinaus zu berechnen. Auf den ersten Blick besagt sie überhaupt nichts über Raum und Zeit. Doch Newton setzte bei der Formulierung der Theorie zwei Eigenschaften von Raum und Zeit voraus. Er nahm an, dass Zeit universell ist: Wenn alle im Universum perfekte Uhren tragen und alle Uhren irgendwann in der Vergangenheit synchronisiert wurden, dann werden sie in der Zukunft alle dieselbe Zeit anzeigen. Newton formulierte es poetischer: „Absolute, wahre und mathematische Zeit, die aus sich selbst und aus ihrer eigenen Natur heraus gleichmäßig fließt, ohne Rücksicht auf etwas Äußeres …“ Genauso nahm er an, dass der Raum absolut ist: eine große Bühne, auf der wir unsere Leben leben. „Der absolute Raum in seiner Eigenheit, ohne Rücksicht auf irgendetwas Äußeres, bleibt immer gleich und unbeweglich … Absolute Bewegung ist die Verschiebung eines Körpers von einem absoluten Ort zu einem anderen.“ Diese Annahmen klingen nach alltäglichem, gesundem Menschenverstand – sogar derart, dass es ein Beleg für Newtons Genialität ist, dass er sie überhaupt machte. Sein wahres Genie offenbart sich, wenn wir herausfinden, dass diese Sorgfalt weitblickend war – denn beide Voraussetzungen sind falsch. So ist das Universum nicht aufgebaut, und wenn die Grundfesten einer Theorie bröckeln, dann auch die Theorie an sich. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ist der Ersatz. Sie beschreibt ein Universum, in dem die Abstände im Raum und die Geschwindigkeit, mit der die Zeit vergeht, von der Nähe eines Beobachters zu Sternen und Planeten und Schwarzen Löchern oder gar vom Weg zum Einkaufen und zurück abhängen.

Es ist eine experimentelle Tatsache, dass die Zeit an verschiedenen Orten unterschiedlich schnell vergeht und davon abhängt, wie schnell sich die Dinge relativ zueinander bewegen. Für ein 1971 durchgeführtes, wunderbar einfaches Experiment kauften Joseph C. Hafele und Richard E. Keating Round-the-World-Flugtickets für sich und vier hochpräzise Atomuhren. Gemäß ihren eigenen sorgfältig gewählten Worten: „In der Wissenschaft haben relevante experimentelle Fakten Vorrang vor theoretischen Argumenten. In einem Versuch, ein empirisches Licht auf die Frage zu werfen, ob makroskopische Uhren die Zeit in Übereinstimmung mit der konventionellen Deutung von Einsteins Relativitätstheorie erfassen, haben wir vier Cäsium-Atomuhren auf kommerziellen Flügen rund um die Welt geflogen, zunächst in Richtung Osten, dann in Richtung Westen. Dann verglichen wir die Zeit mit der entsprechenden Zeit, welche die Referenz-Atomzeitskala des US Naval Observatory anzeigte. Wie aufgrund theoretischer Vorhersagen zu erwarten war, verloren die fliegenden Uhren während der Reise nach Osten Zeit (sie alterten langsamer) und gewannen während der Reise nach Westen Zeit dazu (sie alterten schneller).“v Die ostwärts reisenden Uhren verloren 59 Nanosekunden und die westwärts reisenden Uhren gewannen 273 Nanosekunden.1 Das sind winzige Zeitunterschiede für so eine lange Reise, aber sie sind nicht null und vor allem stimmen die experimentellen Messungen mit den mathematischen Berechnungen gemäß Einsteins Theorie überein. Die Veröffentlichung von Hafele und Keating endet in ähnlich prägnanter Form: „Auf jeden Fall scheint es kaum eine Grundlage für weitere Diskussionen darüber zu geben, ob die Uhren nach einer Weltumrundung dieselbe Zeit anzeigen, denn wir fanden heraus, dass sie es nicht tun.“ Und da haben wir es – eine bemerkenswerte und höchst unerwartete Eigenheit unseres Universums, die sich mit der Relativitätstheorie beschreiben lässt: Die Zeit ist nicht das, was sie zu sein scheint.

Der Raum ist ebenfalls nicht das, was er zu sein scheint: Auf den Abstand zwischen zwei Punkten im Raum können sich nicht alle verständigen– ein weiterer Widerspruch zum gesunden Menschenverstand. Spreizen Sie Ihre Finger vor sich. Wer würde es wagen zu behaupten, dass der Abstand zwischen Ihren Fingerspitzen vom Beobachter abhängt? Einstein würde das. Dies ist ebenfalls eine gut überprüfte experimentelle Tatsache. Der Large Hadron Collider am CERN ist der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt. Die Aufgabe dieser gigantischen Maschine ist es, Protonen in einem unterirdischen Tunnel mit 99,999 999 Prozent der Lichtgeschwindigkeit kreisen zu lassen, bevor sie aufeinanderprallen. Dahinter steckt die Absicht, die Struktur der Materie und die Kräfte der Natur zu erforschen, die unsere Welt am Laufen halten. Für jemanden, der in Genf steht und diese großartige Ingenieursleistung bestaunt, hat der LHC einen Umfang von 27 Kilometern. Aus Sicht der Protonen, die im Ring umlaufen, beträgt sein Umfang vier Meter.